Balduin Groller
Töte sie!
Balduin Groller

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Fünftes Kapitel.

In seliger Weltabgeschiedenheit hatte das junge Paar seine Honigwochen verlebt. Der Winter war streng, aber kurz gewesen, und ein wunderbarer Vorfrühling erregte in beiden die Sehnsucht ins Weite. »Jetzt können wir schon wieder unter Leute gehen,« meinte Fritzi, »wir sind ja ein altes Ehepaar.«

Ein altes Ehepaar! Sie waren schon volle sechs Wochen verheiratet.

»Ja, wir wollen hinaus,« stimmte Urbany bei. »Ist's dir schon langweilig geworden, Fritzi, auf unserem Schlosse?«

»Nein, Rudolf; nicht langweilig. Es war die schönste Zeit meines Lebens, und ich glaube nicht, daß man für die Dauer so glücklich sein kann.«

»Warum nicht, Fritzi? Was sollte sich ändern? Eines ist freilich notwendig. Du mußt mich immer ein bißchen lieb haben, sonst freilich –!«

»Du mich aber auch, Rudolf!«

»Das kann ja gar nicht anders sein, Fritzi. Wenn's nach mir ginge, ich bliebe am liebsten mein Lebelang hier mit dir auf der Scholle sitzen.«

»Nicht schwindeln! Auch du möchtest schon ganz gerne wieder einmal in die Welt hinaus!«

»Aber nur mit dir! Und mit dir überall hin!«

»Ich doch auch mit dir, Rudolf. Ohne dich – den Gedanken kann ich nun gar nicht mehr ausdenken. Und wenn es mich jetzt doch hinaustreibt, so macht das der Frühling. Der Frühling hat mir's angethan! Er hat es allem angethan, was da auf Erden ist. Die Gräser stecken ihre Spitzen hervor, und schon reckt auch manche Feldblume das Köpfchen und möchte sich umsehen in der Welt.«

»Und so ein Feldblümchen bist nun auch du, Fritzi, nicht wahr? Du reckst auch das Köpfchen und möchtest dich auch umsehen in der Welt. Was möchte sich nun mein neugieriges Feldblümchen ansehen, Paris, Venedig, Rom oder die Riviera?«

»Die Riviera!« rief Fritzi begeistert. »Es war immer mein Lieblingstraum, einmal dorthin zu kommen. Fahren wir dem Frühling entgegen, Rudolf!«

Am nächsten Tage wurde die Reise angetreten. Sie fuhren dem Frühling entgegen, und als sie in Nizza angelangt waren, da hatten sie ihn ganz, den grünenden, blühenden, duftigen, warmen, sonnbeglänzten Frühling, und sie genossen ihn mit doppeltem Behagen, als sie aus den Briefen Frau Schönchens, die am Tage der Hochzeit in das gräfliche Palais in Wien mit allen ihr zukommenden Würden und Vollmachten eingesetzt worden war, und die sie seitdem nicht gesehen hatten, entnahmen, daß der Winter über alles österreichische Land einen neuen tückischen und erfolgreichen Überfall vollführt habe, und daß nun wieder alles in Schnee und Eis starre. Beim Lesen solcher Schilderungen dufteten die Rosen doppelt so süß, lachte die Sonne doppelt so hell, und doppelt so wonnig erglänzte das blaue, das schimmernde Meer.

Natürlich machten sie auch ihren Ausflug nach Monte Carlo. Die Anregung dazu war von Urbany ausgegangen; Fritzi hatte zwar unablässig daran gedacht, aber dennoch mochte sie es nicht sein, die diesen Vorschlag machte. Es wäre ihr dabei gewesen, als hätte man sie auf einer Sünde ertappt. Seitdem sie denken konnte, hatte sie von der Spielbank phantasiert. Es war ihr bis in die allerjüngste Zeit immer recht knapp ausgegangen im Leben mit den Mitteln, und sie hatte immer nicht nur Sinn gehabt für eine gewisse Prachtentfaltung und eine glänzende Lebensführung, sondern auch eine wahre Sehnsucht danach. Seitdem sie der Bühne angehörte, hätte sie leicht den Glanz erringen können, freilich auf Kosten ihres tapfer gehüteten guten Rufes, aber dazu war sie eine zu kluge und trotz ihres impulsiven Temperamentes im Grunde doch auch eine zu reinliche Natur und dann auch zu stolz. Es war ihr immer ein Hochgefühl sondergleichen gewesen, und das hätte sie nicht um alle Schätze preisgegeben, mit grausamer und unverhohlener Geringschätzung herabzusehen auf ihre Berufsgenossinnen, die im Glanze schmählich erworbener Diamanten strahlten und in prunkenden Karossen ihre Schande zur Schau trugen.

Aber die Sehnsucht nach Glanz und Überfluß lebte doch auch in ihr, und da die Wirklichkeit ihr keine Aussicht bot, keine Aussicht wenigstens, bei der sich's ehrlich bleiben ließ, so verlor sie sich ins Reich der Träume. Die Sache war doch so einfach. Einmal nach Monte Carlo fahren, dort mit einem kühnen Handstreich die Bank sprengen, und alle Sorge hatte ein Ende.

Nun war sie in Monte Carlo, und auch ihr blieb die Erfahrung nicht erspart, daß die Wirklichkeit immer wesentlich anders ist, als wir sie uns vorher im Traume auszumalen pflegen. Sie sah am Arme ihres Gatten dem Spiele zu, und es kam über sie wie ein Gefühl der Enttäuschung.

Von da soll man sich das Glück holen! Und spielend soll man es sich holen! Wie anders nahm sich das doch in der Nähe aus wie in ihren Phantasien. Das war kein Spiel, sondern Ernst, abschreckender Ernst; kein Spiel, sondern Arbeit, und eine widerliche Arbeit, weil sie nicht verklärt ward von der Poesie und dem Segen jeder rechten und ehrlichen Arbeit. Wie hatte sie sich auf den Moment gefreut, und nun schämte sie sich fast, daß sie da war.

Sie hatte nun freilich den ersehnten Glanz, und es waren nicht mehr die schwellenden Hoffnungen, die sie hierher geführt hatten, aber sie glaubte ehrlich zu sein, wenn sie sich sagte, daß dieses »Spiel« keine magische Gewalt über sie haben würde, auch wenn sie arm dastünde, und sie die Hoffnung hegen könnte, hier das Glück zu erjagen.

»Willst du nicht dein Glück versuchen?« fragte sie, nachdem sie eine Weile dem Spiele zugesehen, ihren Gatten.

»Ich spiele nicht,« antwortete Urbany ruhig.

»Ah? Du bist ein Mann von Grundsätzen?«

»Nein, Kind, ich bin ein Mann ohne Grundsätze. Nicht aus Grundsatz spiele ich nicht, sondern weil's mich nicht freut.«

»Aber in eurem Klub, – da wird doch viel und hoch gespielt. Spielst du dort auch nicht?«

»Niemals!«

»Und du läßt rennen, hast den größten Rennstall – wettest du auch nicht?«

»Niemals!«

»Höre, Rudolf, du bist ja ein Mustermensch; da muß man sich neben dir schämen!«

»Ich sagte dir ja schon, es sind nicht Grundsätze, es ist rein Temperamentssache. Ich finde keine Unterhaltung dabei, das ist alles. Daß es nicht Grundsätze sind, will ich dir gleich beweisen, wenn du willst, indem ich einige Einsätze mache.«

Er warf einige Goldstücke auf den Tisch, und wohin sie fielen, ließ er sie liegen, und, als die rollende Kugel nach einer Weile stille stand, da hatte er sie verloren.

»Siehst du,« sagte er lächelnd, »ich habe, Gott sei Dank! kein Glück im Spiel! Aber dir wird es vielleicht Spaß machen, da mitzuthun, Fritzi. Ich war schon darauf bedacht.«

Er zog einen kleinen blauseidenen Beutel mit einer Silberschnur aus der Tasche; der Beutel war mit Goldstücken gefüllt, und er gab ihn ihr nun in die Hand. Fritzi besann sich einen Augenblick und nestelte dann die Silberschnur auf.

»Halt!« sagte Urbany nun. »Bevor du anfängst, Fritzi, wollen wir erst Luftschlösser bauen. Was wirst du dir für deinen Gewinnst kaufen?«

»Aber ich habe ja noch gar nicht gewonnen!«

»Eben darum! Die Luftschlösser dürfen kein Fundament haben. Also strenge deine Phantasie an!«

»Das ist ja das Gräßliche an diesem Ort, daß man nicht einmal träumen kann. Bei all dem Glanz eine so schreckliche Nüchternheit!«

»Denke nur nach. Was werden wir mit dem Gewinnst anfangen?«

»Was sollte ich mir wünschen? Ich habe ja alles von dir.«

»Irgend eine Thorheit!«

»Also gut, ich werde mir einen kleinen Wagen mit zwei kleinen Ponies kaufen, den ich dann selbst kutschieren werde.«

»So einen hübschen kleinen Korbwagen?«

»Jawohl, und hinten drauf muß ein kleiner Groom sitzen!«

»Wie wird er denn angezogen sein?«

»Wie unsere Lakaien im Schloß. Weiße Seidenstrümpfe, rote Plüschhosen und einen blauen Frack mit silbernen Knöpfen.«

»Ganz richtig, und einen großen Cylinderhut werden wir ihm aufsetzen.«

»Jawohl, einen großen Cylinder mit breiter Silberborte.«

»Jetzt hätten wir also das Luftschloß beisammen, und nun kannst du anfangen.«

Fritzi setzte sich an den Spieltisch und begann zu pointieren. Urbany sah ihr ein halbes Stündchen zu, und, als er bemerkte, daß sie ganz absorbiert werde von den Wechselfällen des Spieles, da machte er einen kleinen Rundgang durch den Spielpalast, und dann verließ er denselben sogar ganz für einige Minuten. Als er wieder kam und sich abermals hinter den Stuhl Fritzis stellte, da hatte sie seine Abwesenheit gar nicht bemerkt.

Fritzi verlor; das Häuflein vor ihr hatte sich stark gelichtet. Sie war aufgeregt und sichtlich in ärgerlicher Stimmung.

»Wie geht's, Fritzi?« fragte Urbany, dem es leid that, sie in schlechter Stimmung zu sehen.

»Schlecht, Rudolf! Da sieh nur, wie der goldene Berg zusammengeschmolzen ist!« Sie sagte das mit erzwungenem Lachen, aber es war nicht unschwer ihr anzumerken, daß ihr das Weinen näher stand, als das Lachen. »Wieviel war denn in dem Beutel, Rudolf?« fragte sie darauf beklommen.

»Zerbrich dir darüber den Kopf nicht!«

»Ich möchte es wissen!«

»Wer wird denn nachzählen!«

»Ich möchte es doch wissen!«

»Es waren hundert Stück.«

Fritzi zählte nach. »Es ist schrecklich, Rudolf! Gerade die Hälfte ist schon verloren!«

»Du bist ein Kind!« antwortete er, sich zu ihr neigend, und dann schob er, bevor sie es hindern konnte, mit einer Hand den ganzen noch vorhandenen Rest auf Rot. Die Kugel surrte im Kreise, und als sie stand, hatte Rot gewonnen.

»Da wäre also das ganze Unglück wieder gutgemacht!« rief er ihr zulächelnd. »Willst du nun aufhören?«

»Noch ein Viertelstündchen lasse mich spielen, Rudolf, man will doch nicht ganz umsonst dagesessen haben!«

»Gut, aber ich werde nicht mehr neben dir stehen. Ich hatte dir kein Glück gebracht!«

»Zum Schluß doch!«

»Aber vorher nicht!«

Auf der entgegengesetzten Seite des Tisches wurde ein Platz frei. Urbany beeilte sich, ihn zu erobern, und er saß nun Fritzi gegenüber und – er spielte mit. Etwa eine Stunde währte noch das Spiel, dann erhob sich Fritzi mit verstörter Miene, – sie hatte alles verloren. In der nächsten Minute war Urbany an ihrer Seite und bot ihr den Arm.

»Was machst denn du für ein desperates Gesicht, Fritzi?«

»Denke nur, Rudolf, ich habe alles verloren,« erwiderte sie mit Thränen kämpfend. »Es ist schmählich; so viel Geld! Ich könnte weinen d'rum, daß ich so leichtsinnig war!«

»Frauen sollten wirklich nicht spielen, sie kränken sich gleich zu sehr über einen Verlust. Übrigens hast du nichts verloren, Fritzi, nicht einen Heller!«

Sie sah ihn groß an, sie verstand in nicht.

»Das geht ganz natürlich zu,« fuhr er fort. »Ich habe mir den Spaß gemacht, gegen dich zu spielen, und weil ja die Männer doch gewöhnlich höher spielen als die Frauen, so habe ich immer gleich das Doppelte gesetzt. Legtest du auf Schwarz, so spielte ich das Doppelte auf Rot, und lockte dich Pair, so hielt ich mich mit dem doppelten Betrage auf Unpaar. Dabei konnte also nicht mehr verloren werden, als was ich von Vorneherein für verloren gab, und nun haben wir sogar noch gewonnen!«

Fritzi wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, so sehr freute sie sich nun über das Ergebnis.

»Hier deine hundert Napoleons, Fritzi,« fuhr er fort. »Sie gehören dir, für mich spiele ich nicht.«

»Nein, die gehören nicht mir; ich bin schon zu Tod froh, daß wir nichts verloren haben!«

»Du sollst solche Dinge nicht so tragisch nehmen, Fritzi. Mir liegt auch nichts daran, das Geld dieser Bank fortzutragen. Sie soll es wieder haben –, oder wir unser Luftschloß. Paß' auf, Fritzi, es ist für dich!« Er legte hierauf auf einen Satz hundert Napoleons auf Rot, und Rot gewann. Darauf verließen sie den Saal.

Als sie abends nach Nizza zurückkehrten, da stand vor dem Thore der Villa, die sie gemietet hatten, ein reizender Korbwagen, dem zwei prächtige Ponies vorgespannt waren, und hintendrauf saß richtig ein Groom unter Lebensgröße in der bekannten gräflich Urbanyschen Livree.

* * *

 


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