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Gewiß, liebe Freundin, ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe ähnlicher Geschichten wie die des Herrn D. aus dem Bereiche des Ödipuskomplexes erzählen, und ich hatte Ihnen auch versprochen, es zu tun. Aber wozu? Wenn Sie sich durch diese eine Erzählung nicht beeinflussen lassen, werden mehrere es auch nicht so rasch 132 tun. Außerdem finden Sie in der Literatur der Psychoanalyse solcher Geschichten die Hülle und Fülle. Ich will lieber versuchen, mich gegen Ihre Einwände zu wahren, sonst wurzeln sich allerlei Vorurteile in Ihnen fest, und unser Briefwechsel wird sinnlos.
Sie begreifen nicht, sagen Sie, wie durch derlei Vorgänge, wie ich sie Ihnen erzählt habe, körperliche Veränderungen im Menschen entstehen können, wie er dadurch organisch krank werden soll, und noch weniger, wie er durch Aufdecken der Zusammenhänge gesund wird. All diese Dinge, liebe Freundin, begreife ich auch nicht, aber ich sehe sie, ich erlebe sie. Natürlich mache ich mir allerlei Gedanken darüber, nur lassen sie sich schwerer mitteilen. Um eins aber möchte ich Sie bitten, geben Sie in unserem Zwiegespräch die Unterscheidung zwischen ›psychisch‹ und ›organisch‹ auf. Das sind doch nur Bezeichnungen, um sich über irgendwelche Besonderheiten des Lebens leichter zu verständigen, im Grunde ist beides dasselbe, beides denselben Hauptlebensgesetzen unterworfen, demselben Leben entsprungen. Ohne Zweifel, ein Weinglas ist etwas anderes als ein Wasserglas oder ein Lampenzylinder, aber es ist doch Glas, und all diese Glaswaren werden vom Menschen hergestellt. Ein Holzhaus ist verschieden von einem Steinhaus. Sie bezweifeln wohl aber selbst nicht, daß es lediglich eine Zweckmäßigkeitsfrage, nicht eine Frage des Könnens ist, ob ein Baumeister ein Holzhaus oder ein Steinhaus baut. Genauso ist es mit organischen, funktionellen, psychischen Erkrankungen. Das Es wählt sehr selbstherrlich aus, was es für eine Erkrankung hervorbringen will und richtet sich nicht nach unseren Namen. Ich glaube, wir verstehen uns nun endlich, oder wenigstens Sie verstehen mich und meine klare Behauptung, daß für das Es ein Unterschied zwischen organisch und psychisch nicht besteht, und daß infolgedessen, wenn man das Es überhaupt durch die Analyse beeinflussen kann, auch organische Krankheiten psychoanalytisch behandelt werden können und unter Umständen müssen.
Körperlich, seelisch. Was für Gewalt hat ein Wort! Man dachte sich einmal – vielleicht denkt mancher es noch –, daß es einen menschlichen Körper gäbe, in dem wie in einer Wohnung die Seele hause. Aber selbst wenn man das annimmt, der Körper an sich erkrankt nicht, da er ja ohne Seele tot ist. Totes wird nicht krank, wird höchstens schadhaft. Nur Lebendiges erkrankt, und da kein Mensch daran zweifelt, daß nur lebendig genannt wird, was Körper und Seele zugleich ist – aber verzeihen Sie, das sind ja alles Dummheiten. Wir wollen uns nicht über Wörter zanken. Es kommt hier, wo Sie meine Meinung hören wollen, nur darauf an, 133 daß ich verständlich ausdrücke, was ich meine. Und meine Meinung habe ich Ihnen deutlich gesagt: Für mich gibt es nur das Es. Wenn ich die Worte Körper und Seele gebrauche, verstehe ich darunter Erscheinungsformen des Es, wenn Sie wollen, Funktionen des Es. Selbständige oder gar gegensätzliche Begriffe sind es für mich nicht. Verlassen wir das unerquickliche Thema jahrtausendlanger Verwirrung. Es gibt andere Dinge zu besprechen.
Sie stoßen sich daran, daß ich dem Verdrängungsprozeß so große Wirkungen beilege, machen mich darauf aufmerksam, daß es auch Mißgeburten und embryonale Erkrankungen gibt, und verlangen, daß ich auch andere Vorgänge würdige. Darauf kann ich nur erwidern, daß ich den Ausdruck ›Verdrängen‹ bequem finde. Ob er für alles ausreicht, interessiert mich nicht. Für mich hat er bisher ausgereicht, auch für meine sehr oberflächliche Bekanntschaft mit dem Embryonalleben. Ich habe also keinen Grund, ihm etwas Neues hinzuzufügen oder gar ihn beiseite zu legen.
Vielleicht ist es nützlich, ein wenig zu phantasieren, damit Sie einen Begriff von der Ausdehnung solch eines Verdrängens bekommen. Nehmen Sie an, zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, sind allein im Eßzimmer. Die Mutter ist irgendwie in einem anderen Zimmer beschäftigt oder schläft, kurz, die Kinder fühlen sich sicher, so sicher, daß das ältere die Gelegenheit benützt, um sich und das jüngere Kind durch Augenschein von dem Unterschied der Geschlechter und von der Vergnüglichkeit solcher Betrachtung zu unterrichten. Plötzlich tut sich die Tür auf, die Kinder haben gerade noch Zeit auseinanderzufahren, aber das Schuldbewußtsein läßt sich nicht verbergen. Und da die Mutter, überzeugt von der kindlichen Unschuld ihrer Sprößlinge, beide in der Nähe der Zuckerdose sieht, nimmt sie an, daß sie genascht haben, schilt darüber und droht ihnen mit Schlägen, wenn es wieder vorkommen sollte. Vielleicht wehren sich die Kinder gegen die Unterstellung des Naschens, vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist kaum anzunehmen, daß sie ihre eigentliche Sünde, die sie für viel schwerer halten, eingestehen. Sie schweigen darüber, verdrängen sie. Beim Nachmittagskaffee wird die Mahnung von der Mutter wiederholt, das eine schuldbewußtere Kind errötet und gibt so zu erkennen, daß es sich für den verführenden Teil hält. Es verdrängt wiederum, was es gern eingestehen möchte. Nach ein paar Tagen – die Mutter hat längst vergeben, hat aber ihre Freude daran, das Kind zu quälen – fällt irgendein Scherzwort irgendeiner Tante gegenüber. »Der Junge weiß, wo die Zuckerdose steht«, oder irgend etwas Ähnliches. Und diese Tante macht später auch eine 134 Anspielung. Da haben Sie eine Kette von Verdrängungen, wie sie wohl nicht allzu selten sich bilden mag. Nun sind die Kinder verschieden; das eine nimmt es mit seinen Sünden leicht, das andere schwer, und für ein drittes ist es fast unerträglich, daß es gesündigt hat und vor allem, daß es die Sünde nicht gebeichtet hat. Was bleibt ihm übrig? Es drückt und drückt auf die Sünde, drängt sie aus dem Bewußtsein, stopft sie ins Unbewußte. Da liegt sie nun, vorläufig sehr oberflächlich, aber nach und nach wird sie tiefer gedrückt, tiefer und tiefer, bis schließlich die Erinnerung aus dem Bewußtsein verschwunden ist. Damit sie aber ja nicht wieder zum Vorschein kommt, werden ›Deckerinnerungen‹ darübergelegt, vor allem die, daß die Mutter ungerecht gewesen ist, das Kind ohne Grund des Naschens beschuldigt und mit Schlägen bedroht hat. Nun geht es los, oder wenigstens es kann losgehen. Es hat sich ein Komplex gebildet, der berührungsempfindlich ist, der nach und nach so schlimm wird, daß selbst die Annäherung an den Komplex schon als furchtbar empfunden wird. Nun sehen Sie sich bitte den Komplex an. Auf der Oberfläche sind die Deckerinnerungen: der Zucker, das Naschen, die falsche Anschuldigung, die Drohung mit Schlägen, das Verschweigen und damit das Lügen, das Rotwerden, weiterhin die Zuckerdose, der Eßtisch mit seinen Stühlen, das Zimmer mit einer braunen Tapete und allerlei Möbeln und Porzellan, das grüne Kleid der Mutter, das fünfjährige Mädchen im schottischen Kleid mit Namen Gretchen und so weiter. Tiefer liegt dann das Gebiet der Sexualität. Unter Umständen wird schon jetzt die Arbeit des Verdrängens schwierig. Aber es kann auch sein, daß diese Arbeit sich bis ins Unglaubliche steigert. Nehmen Sie das Wort ›Zucker‹, es gehört in den Komplex, muß also möglichst vermieden werden. Ist es irgend anderswoher noch schuldbelastet, vielleicht durch ein wirkliches Naschen, so ist der Wunsch des Verdrängens um so größer. Aber es reißt dann auch andere Begriffe mit sich: süß, weiß etwa, oder viereckig, dann greift es vielleicht auf andere Formen des Zuckers über, auf den Zuckerhut, von dort auf den Hut selbst oder auf die blaue Farbe der Umhüllung. Sie können das ganz nach Belieben ins Unendliche ausdehnen, und, verlassen Sie sich darauf, nicht allzu selten dehnt das Unbewußte seine Verdrängungsarbeit mit Hilfe der Assoziation ins Unendliche aus. Auf der Flucht vor dem süßen Zucker entsteht seelische Bitterkeit, oder es wird süßliche Sentimentalität als Ersatz benützt, eine übergroße Sorgfalt, nie fremdes Eigentum sich anzueignen, gliedert sich an das Wort »Naschen«, daneben aber auch das kindliche Vergnügen am harmlosen Betrug, die 135 pharisäische Gerechtigkeitsliebe stellen sich ein, die Worte Schläge, Schlagen, Schlacht, Rute, Gertrud, Ruth, Strafe, Birke, Besen geraten mit in den Komplex, verfemt und doch lockend, denn die ungebüßte Sünde verlangt nach Strafe, noch nach Jahrzehnten schreit sie nach Schlägen. Die braune Tapete wird unerträglich, grüne und schottische Kleider werden es, der Name Gretchen erregt Übelkeiten, und so geht es fort. Und dann kommt noch das ungeheure Gebiet der Sexualität hinzu.
Vielleicht denken Sie, ich übertreibe oder ich erzähle Ihnen irgendeinen ausgefallenen, seltenen Lebenslauf eines Hysterischen. Ach nein, solche Komplexe schleppen wir alle mit uns herum. Gehen Sie nur in Ihr Inneres, Sie werden da manches finden, manche unerklärliche Abneigung, manche seelische Erschütterung, die im Vergleich zu ihrer momentanen Veranlassung unbegreiflich stark ist, manchen Zank, manche Sorge und Verstimmung, die nur verständlich wird, wenn Sie den Komplex betrachten, aus dem sie stammt. Wie werden Ihnen die Augen aufgehen, wenn Sie gelernt haben, die Brücke zwischen der Gegenwart und der Kindheit zu schlagen, wenn Sie begriffen haben, daß wir Kinder sind und bleiben, und daß wir verdrängen, unablässig verdrängen. Und daß wir, gerade weil wir verdrängen und nicht vernichten, gezwungen sind, bestimmte Lebenserscheinungen immer von neuem herbeizuführen, gezwungen sind, zu wiederholen, zu wiederholen. Glauben Sie mir, es ist seltsam, wie oft sich der Wunsch wiederholt. In seinem Innern sitzt ein Kobold, der zwingt ihn zur Wiederholung.
Von diesem Wiederholungszwang müßte ich Ihnen mehr erzählen, aber ich bin bei den Verdrängungen und bin Ihnen noch eine Erklärung schuldig, wie ich mir die Wirkung des Verdrängens als Ursache organischer Leiden denke. Denn daß allerhand psychische Beschwerden daraus entstehen können, werden Sie auch ohne meine Erläuterungen begreifen. Was ich Ihnen nun sagen werde, sind wiederum Phantasien. Sie können sie ernst nehmen, Sie können darüber lachen, beides berührt mich nicht. Für mich ist die Frage, wie organische Leiden entstehen, unlösbar. Ich bin Arzt, und als solcher interessiert es mich nur, daß bei der Lösung der Verdrängung Besserung eintritt.
Darf ich Sie bitten, meinen Auseinandersetzungen ein kleines Experiment vorangehen zu lassen. Denken Sie bitte an irgend etwas, was Sie sehr interessiert, etwa daran, ob Sie sich einen neuen Hut anschaffen sollen oder nicht. Und nun versuchen Sie plötzlich, den Gedanken an den Hut zu unterdrücken. Wenn Sie es 136 sich recht schön ausgemalt hatten, wie Ihnen der Hut stehen wird und wie Sie darum beneidet werden, wird es Ihnen nicht möglich sein, den Gedanken daran zu unterdrücken, ohne die Bauchmuskulatur zusammenzuziehen. Vielleicht beteiligen sich auch andere Muskelgruppen an der Anstrengung des Unterdrückens, die obere Bauchpartie tut es sicher; sie wird bei jeder, auch der geringsten Anspannung zur Mitarbeit verwendet. Die Folge davon ist unbedingt eine Schwankung im Kreislauf, wenn diese Schwankung auch noch so gering ist. Und diese Schwankung teilt sich mit Hilfe der sympathischen Nerven anderen Gebieten des Organismus mit, zunächst wohl denen, die direkt benachbart sind, dem Darm, dem Magen, der Leber, dem Herzen, den Atmungsorganen. Sie können sich die Schwankung so gering denken, wie Sie wollen, da ist sie doch. Und weil sie da ist und weil sie auf allerlei Organe übergreift, setzen sofort eine Menge chemischer Prozesse ein, von denen selbst der Gelehrteste nicht das mindeste versteht. Nur, daß diese Prozesse stattfinden, das weiß er, weiß es um so besser, je mehr er sich mit Psychologie beschäftigt hat. Nun denken Sie sich diesen anscheinend so unbedeutenden Vorgang zehnmal im Laufe des Tages wiederholt. Das bedeutet schon etwas. Aber lassen Sie ihn zwanzigmal in der Stunde auftreten, dann haben Sie einen solchen Hexensabbat von mechanischem und chemischem Durcheinander, daß es schon nicht mehr schön ist. Und verstärken Sie die Intensität und die Dauer der Anstrengung. Nehmen Sie an, daß solche Anstrengung stundenlang, tagelang dauert, daß nur kurze Augenblicke des Losgelassenseins der Bauchpartien dazwischen sind. Sollte es Ihnen noch immer schwerfallen, einen Zusammenhang zwischen Verdrängen und organischem Erkranken zu phantasieren?
Vermutlich haben Sie noch nicht viele Menschenbäuche nackt gesehen. Aber mir ist das oft zuteil geworden. Und da läßt sich oft etwas Seltsames feststellen. Quer über die obere Bauchhälfte vieler Menschen geht eine strichförmige Falte, eine langgedehnte Runzel. Die kommt vom Verdrängen. Oder es finden sich rote Äderchen, oder der Bauch ist aufgetrieben, oder was es sonst noch ist. Denken Sie sich doch nur, daß jahrelang, jahrzehntelang ein Mensch herumläuft, der sich vorm Treppengehen ängstigt. Die Treppe ist ein Geschlechtssymbol, und es gibt zahllose Menschen, die von dem Gedanken des Fallens auf der Treppe verfolgt werden. Oder denken Sie sich jemanden, der undeutlich fühlt, daß ein Hut ein Geschlechtssymbol ist, oder ein Knopf, oder das Schreiben. Solche Leute müssen dauernd, fast unaufhörlich verdrängen, 137 müssen Bauch, Brust, Arme, Nieren, Herz, Gehirn dauernd mit. Kreislaufschwankungen, mit chemischen Überraschungen, mit chemischen Vergiftungen heimsuchen. Nein, Liebe, ich finde es nicht im geringsten sonderbar, daß das Verdrängen – oder irgendwelche anderen psychischen Geschehnisse – organische Leiden herbeiführen. Im Gegenteil, ich finde es sonderbar, daß solche Leiden verhältnismäßig so selten sind. Und ein Staunen, ein ehrfürchtiges Staunen vor dem Es der Menschen erfüllt mich, daß es imstande ist, alles was geschieht, zum Besten zu lenken.
Nehmen Sie ein Auge. Wenn es sieht, gehen allerlei Prozesse in ihm vor. Wenn ihm aber verboten ist zu sehen, und es sieht doch, wagt es aber nicht, seine Eindrücke dem Gehirn zu übermitteln, was mag dann wohl in ihm vorgehen? Wäre es nicht denkbar, daß es, wenn es tausendmal am Tage gezwungen ist, etwas, was es sieht, zu übersehen, schließlich die Sache satt bekommt und sagt: »Das kann ich bequemer haben; wenn ich durchaus nicht sehen soll, werde ich kurzsichtig, verlängere meine Achse, und wenn das nicht ausreicht, lasse ich Blut in die Netzhaut treten und werde blind«? Wir wissen so wenig vom Auge. Gönnen Sie mir also den Spaß, zu phantasieren.
Sind Sie aus dem, was ich schrieb, klug geworden? Aber Sie müssen es mit Nachsicht lesen, beileibe nicht kritisch. Im Gegenteil, Sie sollten sich hinsetzen und noch ein Dutzend oder drei Dutzend solcher Phantasiegebäude sich selbst zurechtbauen. Was ich gab, war nur ein Beispiel, ein Erfinden übermütiger Laune. Achten Sie nicht auf die Form, auch nicht auf den Gedanken. Mir kommt es auf die Denkweise an, darauf, daß Sie den Verstand beiseite schieben und schwärmen.
Habe ich von der Entstehung der Erkrankungen gesprochen, so muß ich wohl auch ein Wort über die Behandlung sagen. Als ich vor Jahren meiner Eitelkeit so viel abgerungen hatte, daß sie mir gestattete, zum ersten Mal an Freud zu schreiben, antwortete er mir etwa Folgendes: »Wenn Sie begriffen haben, was Übertragung und Widerstand sind, können Sie ruhig an die psychoanalytische Behandlung Kranker herangehen.« Also Übertragung und Widerstand, das sind die Angriffspunkte der Behandlung. Ich glaube, über das, was ich unter Übertragung verstehe, habe ich mich deutlich genug ausgedrückt. Bis zu einem gewissen Grade kann der Arzt sie herbeiführen, zum mindesten kann er und soll er die einmal entstandene Übertragung zu erhalten und zu lenken 138 suchen. Aber das Wesentliche, das Übertragen selber ist ein Reaktionsvorgang im Kranken, in der Hauptsache ist es dem Einfluß des Arztes entzogen. So bleibt schließlich als Hauptarbeit der Behandlung das Beseitigen und Überwinden des Widerstandes. Freud hat einmal das Bewußtsein des Menschen mit einem Salon verglichen, in dem allerlei Leute empfangen werden. Im Vorraum, hinter der verschlossenen Tür im Unbewußten, staut sich die verdrängte Masse psychischer Wesenheiten, und an der Tür steht ein Wächter, der in das Bewußtsein nur hineinläßt, was salonfähig ist. Danach können die Widerstände von drei Stellen ausgehen, vom Salon, dem Bewußtsein aus, das bestimmte Dinge nicht einlassen will, vom Wächter aus, einer Art Vermittler zwischen Bewußtem und Unbewußtem, der in hohem Grade vom Bewußtsein abhängig, doch immerhin eigenen Willen besitzt und hie und da eigensinnig den Eintritt verwehrt, obwohl das Bewußtsein die Erlaubnis gab, und vom Unbewußten selbst, das keine Lust hat, sich in der anständig langweiligen Umgebung des Salons aufzuhalten. So würde man also dazu kommen, in der Behandlung diese drei Instanzen der Widerstandsmöglichkeiten zu beachten. Und bei allen dreien wird man darauf gefaßt sein müssen, allerlei seltsame Launen zu finden und Überraschungen zu erleben. Da aber nach meiner Meinung sowohl Bewußtsein wie Pförtner letzten Endes willenlose Werkzeuge des Es sind, hat diese Unterscheidung nur geringe Bedeutung.
Bei Gelegenheit der Geschichte des Herrn D. habe ich Ihnen ein paar Formen des Widerstandes mitgeteilt. In Wahrheit gibt es dieser Formen Tausende und Abertausende. Man lernt darin nie aus, und so wenig ich mich zum Anwalt des Mißtrauens eigne, so fest bin ich doch davon überzeugt, daß man als Arzt immer und immer damit rechnen muß: Jetzt befindet sich der Kranke im Widerstande. Hinter jeder Lebensform und Lebensäußerung verschanzt sich der Widerstand, jedes Wort, jede Gebärde kann ihn verstecken oder verraten.
Wie soll man nun mit dem Widerstand fertig werden? Das ist schwer zu sagen, Liebe. Ich glaube, das Wesentliche dabei ist, daß man bei sich selber beginnt, daß man erst einmal in seine eigenen Winkel und Ecken, Keller- und Speiseräume hineinguckt, Mut zu sich selber, zu seiner eigenen Schlechtigkeit oder, wie ich lieber sagen würde, Menschlichkeit findet. Wer nicht weiß, daß er selber hinter jeder Hecke und Tür gestanden hat, und wer nicht zu sagen 139 weiß, was für Dreckhaufen hinter solch einer Hecke liegen und wie viele Haufen er selber hingesetzt hat, der wird es nicht weit bringen. Das erste Erfordernis ist also wohl Ehrlichkeit, Ehrlichkeit gegen sich selbst. Bei sich selbst lernt man am besten die Widerstände kennen. Und sich selbst lernt man am gründlichsten kennen, wenn man andere analysiert. Wir Ärzte haben es gut, und ich wüßte nicht, welch anderer Beruf mich locken könnte. Dann glaube ich, braucht unsereiner noch zwei Dinge, Aufmerksamkeit und Geduld. Geduld vor allem, Geduld noch einmal. Aber so etwas lernt sich.
Also sich selbst analysieren, das ist nötig. Leicht ist es nicht, aber es zeigt uns unsere individuellen Widerstände, und es dauert nicht lange, so treten einem Erscheinungen entgegen, die zeigen, daß es auch Widerstände ganzer Klassen, ganzer Völker, ja der gesamten Menschheit gibt, Widerstände, die vielen, ja allen gemeinsam sind. So ist mir heute wieder eine Form aufgefallen, die ich oft fand, die, daß wir uns scheuen, bestimmte kindliche Ausdrücke zu brauchen, Ausdrücke, die uns in unserer Kindheit geläufig waren. Im Verkehr mit Kindern und, merkwürdigerweise, im Liebesverkehr brauchen wir sie unbedenklich, da sprechen wir ruhig von ›Wässerlein machen‹, vom ›Hotto‹ oder ›Wauwau‹, vom ›Pipi‹, ›Aa‹, ›Popo‹, aber unter Erwachsenen sind wir gern selber erwachsen, verleugnen unsere Kindesnatur, und ›scheißen‹, ›schiffen‹, ›Arsch‹ sind uns geläufiger. Großtun, weiter nichts.
Zum Schluß muß ich wohl auch noch ein Wort über die Wirkung der Behandlung sagen. Nur leider weiß ich davon wenig. Ich habe die vage Idee, daß die Erlösung des Verdrängten aus der Verdrängung eine gewisse Bedeutung dabei hat. Ob das aber direkt der Heilungsvorgang ist, bezweifle ich. Vielleicht entsteht dadurch, daß irgend etwas Verdrängtes in den Salon des Bewußtseins kommt, nur eine Bewegung im Unbewußten, und diese Bewegung bringt Heil oder Unheil. Danach wäre es nicht einmal nötig, daß das Verdrängte, was den Anstoß zur Erkrankung gab, zum Vorschein käme. Es könnte ruhig im Unbewußten bleiben, wenn nur Platz dafür geschaffen würde. Nach dem, was ich bis jetzt über diese Dinge weiß – ich sagte es schon, es ist sehr wenig –, will es mir scheinen, daß es oft genügt, den Pförtner an der Tür zu bearbeiten, daß er irgendeinen Namen in den Raum des Unbewußten hineinschreit, etwa den Namen ›Wüllner‹. Ist unter den Nächststehenden kein Mensch, der Wüllner heißt, so geben sie doch den Namen nach hinten weiter, und wenn wirklich dieser Name nicht bis zu dem eigentlichen Träger dringt, so findet sich 140 vielleicht irgendein Müller, der den Ruf absichtlich oder unabsichtlich mißversteht, sich nach vorn zwängt und in das Bewußtsein eingeht.
Der Brief ist lang, und des Schwatzens will kein Ende werden. Adjö, Vielliebe, es ist Schlafenszeit. Ich bin ein arg müder
Troll