Jacob und Wilhelm Grimm
Kinder- und Hausmärchen
Jacob und Wilhelm Grimm

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180. Die ungleichen Kinder Evas

Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben waren, so mußten sie auf unfruchtbarer Erde sich ein Haus bauen und im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen. Adam hackte das Feld und Eva spann Wolle. Eva brachte jedes Jahr ein Kind zur Welt, die Kinder waren aber ungleich, einige schön, andere häßlich. Nachdem eine geraume Zeit verlaufen war, sendete Gott einen Engel an die beiden und ließ ihnen entbieten, daß er komme und ihren Haushalt schauen wollte. Eva, freudig, daß der Herr so gnädig war, säuberte emsig ihr Haus, schmückte es mit Blumen und streute Binsen auf den Estrich. Dann holte sie ihre Kinder herbei aber nur die schönen. Sie wusch und badete sie, kämmte ihnen die Haare, legte ihnen neugewaschene Hemden an und ermahnte sie, in der Gegenwart des Herrn sich anständig und züchtig zu betragen. Sie sollten sich vor ihm sittig neigen, die Hand darbieten und auf seine Fragen bescheiden und verständig antworten. Die häßlichen Kinder aber sollten sich nicht sehen lassen. Das eine verbarg sie unter das Heu, das andere unter das Dach, das dritte in das Stroh, das vierte in den Ofen, das fünfte in den Keller, das sechste unter eine Kufe, das siebente unter das Weinfaß, das achte unter ihren alten Pelz, das neunte und zehnte unter das Tuch, aus dem sie ihnen Kleider zu machen pflegte, und das elfte und zwölfte unter das Leder, aus dem sie ihnen die Schuhe zuschnitt. Eben war sie fertig geworden, als es an die Hausthür klopfte. Adam blickte durch eine Spalte und sah, daß es der Herr war. Ehrerbietig öffnete er und der himmlische Vater trat ein. Da standen die schönen Kinder in der Reihe, neigten sich, boten ihm die Hände dar und knieten nieder. Der Herr aber fing an sie zu segnen, legte auf den ersten seine Hände und sprach: »Du sollst ein gewaltiger König werden,« ebenso zu dem zweiten: »Du ein Fürst,« zu dem dritten: »Du ein Graf,« zu dem vierten: »Du ein Ritter,« zu dem fünften: »Du ein Edelmann,« zu dem sechsten: »Du ein Bürger,« zum siebenten: »Du ein Kaufmann, zu dem achten: »Du ein gelehrter Mann.« Er erteilte ihnen also allen seinen reichen Segen. Als Eva sah, daß der Herr so mild und gnädig war; dachte sie: »Ich will meine ungestalten Kinder herbeiholen, vielleicht, daß er ihnen auch seinen Segen giebt.« Sie lief also und holte sie aus dem Heu, Stroh, Ofen, und wo sie sonst alle hin versteckt waren, hervor. Da kam die ganze grobe, schmutzige, grindige und rußige Schar. Der Herr lächelte, betrachtete sie alle und sprach: »Auch diese will ich segnen.« Er legte auf den ersten die Hände und sprach zu ihm: »Du sollst werden ein Bauer,« zu dem zweiten: »Du ein Fischer,« zu dem dritten: »Du ein Schmied,« zu dem vierten: »Du ein Lohgerber,« zu dem fünften: »Du ein Weber,« zu dem sechsten: »Du ein Schuhmacher,« zu dem siebenten: »Du ein Schneider,« zu dem achten: »Du ein Töpfer,« zu dem neunten: »Du ein Karrenführer,« zu dem zehnten: »Du ein Schiffer,« zu dem elften: »Du ein Bote,« zu dem zwölften: »Du ein Hausknecht dein lebelang.«

Als Eva das alles mit angehört hatte, sagte sie: »Herr, wie teilst du deinen Segen so ungleich! Es sind doch alle meine Kinder, die, ich geboren habe: deine Gnade sollte über alle gleich ergehen.« Gott aber erwiderte: »Eva, das verstehst du nicht. Mir gebührt und ist not, daß ich die ganze Welt mit deinen Kindern versehe; wenn sie alle Fürsten und Herren wären, wer sollte Korn bauen, dreschen, mahlen und backen? Wer schmieden, weben, zimmern, bauen, graben, schneiden und nähen? Jeder soll seinen Stand vertreten, daß einer den anderen erhalte und alle ernährt werden wie am Leib die Glieder.« Da antwortete Eva: »Ach, Herr, vergieb, ich war zu rasch, daß ich einredete. Dein göttlicher Wille geschehe auch an meinen Kindern.«

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