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Platz vor Heros Turm, wie zum Schluß des vorigen Aufzuges. Es ist Morgen.
Beim Aufziehen des Vorhanges steht Hero in der Mitte der Bühne, den herabgesunkenen Kopf in die Hand gestützt, vor sich hinstarrend. Janthe kommt.
Janthe.
Stehst du noch immer da, gleich unbewegt,
Und starrst auf einen Punkt? Komm mit ins Wäldchen!
Die Luft hat ausgetobt, die See geht ruhig.
Doch hörtest du den Aufruhr heute nacht?
Hero.
Ob ich gehört?
Janthe. Du warst so lang hier außen.
Zwar endlich hört' ich Tritte über mir.
Doch leuchtete kein Licht aus deiner Kammer.
Hero.
Kein Licht! Kein Licht!
Janthe. Dich martert ein Geheimnis.
Wenn du's vertrautest, leichter trügest du's.
Hero.
Errietst du's etwa schon und frägst mich doch?
Ich sollte wachen hier, doch schlief ich ein.
Es war schon Nacht, da weckte mich der Sturm.
Schwarz hing es um mich her; verlöscht die Lampe.
Mit losgerißnem Haar, vom Wind durchweht,
Flog ich hinan. Kein Licht! nicht Trost und Hilfe,
Lautjammernd, auf den Knien fand mich der Tag. –
Und doch, und dennoch!
Janthe. Arme Freundin!
Hero. Arm?
Und dennoch! Sieh! die Götter sind so gut!
Ich schlief kaum ein, da löschten sie das Licht.
Beim ersten Strahl des Tags hab ich's besehn,
Mit heißem, trocknen Aug' durchforscht' die Lampe:
Kein Hundertteil des Öles war verbrannt,
Der Docht nur kaum geschwärzt. Klar war es, klar:
Kaum schlief ich ein, verlöschte schon das Licht.
Die Götter sind so gut! Geschah es später,
(Von ihr wegtretend, vor sich hin.)
So gab der Freund sich hin dem wilden Meer,
Der Sturm ereilte ihn, und er war tot.
So aber blieb er heim, gelockt von keinem Zeichen,
Und ist gerettet, lebt.
Janthe. Du scheinst so sicher.
Hero.
Ich bin es, denn ich bin. Die Götter sind so gut!
Und was wir fehlten, ob wir uns versehn,
Sie löschen es mit feuchtem Finger aus,
Und wehren dem Verderben seine Freude.
Ich aber will so jetzt, als künft'ge Zeit
Auch ihnen kindlich dankbar sein dafür;
Und manches was nicht recht vielleicht und gut
Und ihnen nicht genehm, es sei verbessert;
Zum mindesten entschieden, denn die Götter,
Sie sind dem festen, dem entschiednen hold.
Nun aber, Mädchen, tritt dort an die Anfurt.
Sieh, ob dein Aug' die Küste mir erreicht,
Das sel'ge Jenseits, wo – Schau gen Abydos!
Ich hab's aus meinem Turm nur erst versucht,
Doch lagen Nebel drauf. Nun ist's wohl hell.
Willst du? (Sie setzt sich.)
Janthe (nach dem Hintergrunde gehend).
Doch sieh! es brach der Sturm den Strauch,
Der dort am Fuße wächst des Turms, und, liegend,
Verwehren seine Zweige mir den Tritt.
Hero.
Erheb die Zweige nur! Bist du so träg?
Janthe.
Noch Tropfen hängen dran.
(Mit dem Fuße am Boden hinstreifend.)
Auch Tang und Meergras
Warf aus die See. – Ei, Muscheln, buntes Spielzeug!
Es pflegt der Sturm die Trümmer seines Zorns
Hierherzustreun. – Das Ende eines Tuchs.
Es ist so schwer. Ein Lastendes von rückwärts
Hält es am Boden fest. – Fürwahr ein Schleier!
Fast gleicht es jenen, die du selber trägst,
Zu Schleifen eingebunden beide Enden,
Nach Wimpelart. Sieh zu! vielleicht erkennst du's.
Doch ist es feucht, sonst würf' ich dir's als Ball.
Hero.
Laß das Getändel, laß! Erheb die Zweige.
Janthe.
Sie sind so schwer. O weh, mein gutes Kleid!
Nun, denk ich, halt ich sie. Ei ja! sie weichen.
Tritt selber nur herzu! Ich halte. Schau!
(Sie hat die auf den Boden herabhängenden Zweige zusammengefaßt und emporgehoben. Leander liegt tot auf der Anfurt.)
Hero (aufstehend).
Ich komme denn! – Ein Mann! – Leander! – Weh!
(Nach vorn zurückeilend.)
Betrogne und Betrüger, meine Augen!
Ist's wirklich? wahr?
Janthe (die mit Mühe über die Zweige nach rückwärts geblickt).
O mitleidsvolle Götter!
(Der Priester kommt von der rechten Seite.)
Priester.
Welch Jammerlaut tönt durch die stille Luft?
Hero (zu Janthen).
Laß los die Zweige, laß!
(Janthe läßt die Zweige fallen, die Leiche ist bedeckt.)
Hero (dem Priester entgegen, und bemüht ihm die Aussicht nach rückwärts zu benehmen).
Mein Oheim, du? –
So früh im Freien? – Doch der Tag ist schön.
Wir wollten eben beide – Freudig – froh! –
(Sie sinkt von Janthen unterstützt zu Boden.)
Priester.
Was war? Was ist geschehn?
Janthe (mit Hero beschäftigt, nach dem Strauche zeigend).
O Herr! mein Herr!
Priester.
Erheb die Zweige! Schnell!
(Es geschieht.)
Gerechte Götter!
Ihr nahmt ihn an. Er fiel von eurer Hand!
Janthe (noch immer die Zweige haltend).
Erbarmt sich niemand? Nirgends Beistand, Hilfe?
Priester.
Laß dort und komm!
(Indem er sie anfaßt.)
Hörst du? und schweig! Entfällt
Ein einzig Wort von dem was du vernahmst
(Sich von ihr entfernend, laut.)
Ein Fremder ist der Mann, ein Unbekannter,
Den aus das Meer an diese Küste warf,
Und jene Priestrin sank bei seiner Leiche,
Weil es ein Mensch, und weil ein Mensch erblich.
(Der Tempelhüter und mehrere Diener sind von der rechten Seite gekommen.)
Priester.
Am Strande liegt ein Toter. Geht, erhebt ihn!
Daß seine Freunde kommen und ihn sehn.
(Diener gehen auf den Strauch zu.)
Priester.
Nicht hier. Den Turm herum. Rechts an der Anfurt.
(Diener auf der linken Seite ab. In der Folge sieht man durch die Blätter Anzeichen ihrer Beschäftigung. Endlich wird der Strauch emporgehoben und befestigt, wo dann der Platz leer erscheint.)
Tempelhüter (leise).
So ist's denn –?
Priester. Schweig!
Tempelhüter. Nur, Herr, um dir zu melden:
Der ältre jener beiden Jünglinge,
Die du wohl kennst; wir fanden ihn am Strand,
Trostlosen Jammers, suchend seinen Freund.
Die Diener halten ihn.
Priester. Führt ihn herbei.
Hat er die Freiheit gleich verwirkt, und mehr,
Sei's ihm erlassen, bringt er jenen heim.
(Tempelhüter nach der rechten Seite ab.)
Priester (zu Hero, die sich mit Janthens Hilfe aufgerichtet und einige Schritte nach vorn gemacht hat).
Hero!
Hero. Wer ruft?
Priester. Ich bin's. Du höre mich!
Hero (scheu nach rückwärts blickend, zu Janthe).
Wo ist er hin? Janthe, wo?
Janthe. O mir!
Priester.
Da's nun geschehn.
Hero. Geschehen? Nein!
Priester. Es ist!
Die Götter laut das blut'ge Zeugnis gaben,
Wie sehr sie zürnen, und wie groß dein Fehl;
So laß in Demut uns die Strafe nehmen;
Das Heiligtum, es teile nicht die Makel,
Und ew'ges Schweigen decke was geschehn.
Hero.
Verschweigen ich, mein Glück und mein Verderben,
Und frevelnd unter Frevlern mich ergehn?
Ausschreien will ich's durch die weite Welt,
Was ich erlitt, was ich besaß, verloren,
Was mir geschehn, und wie sie mich betrübt.
Verwünschen dich, daß es die Winde hören
Und hin es tragen vor der Götter Thron.
Du warst's, du legtest tückisch ihm das Netz,
Ich zog es zu, und da war er verloren.
Wo brachtet ihr ihn hin? ich will zu ihm!
(Der Tempelhüter und mehrere Diener führen Naukleros herbei. Der Hüter geht gleich darauf nach der linken Seite ab.)
Hero.
Ha du! o Jüngling! Suchst du deinen Freund?
Dort lag er, tot! Sie tragen ihn von dannen.
Naukleros.
O Schmerz!
Hero. Ringst du die Hände, da's zu spät?
Du staunst? Du klagst? Ja, läss'ger Freund!
Er gab sich hin dem wildbewegten Meer,
Beschützt von keinem Helfer, keinem Gott,
Und tot fand ich ihn dort am Strande liegen.
Und fragst du wer's getan? Sieh! dieser hier,
Und ich, die Priesterin, die Jungfrau – So? –
Menanders Hero, ich, wir beide taten's.
Mit schlauen Künsten ließ er mich nicht ruhn,
Versagte mir Besinnen und Erholung;
Ich aber trat in Bund mit ihm und schlief.
Da kam der Sturm, die Lampe löscht' er aus,
Das Meer erregt' er wild in seinen Tiefen,
Da jener schwamm, von keinem Licht geleitet.
Die schwarzen Wolken hingen in die See,
Das Meer erklomm, des Schadens froh, die Wolken,
Die Sterne löschten aus, ringsum die Nacht.
Und jener dort, der Schwimmer sel'ger Liebe
Nicht Liebe fand er, Mitleid nicht im All.
Die Augen hob er zu den Göttern auf,
Umsonst! Sie hörten nicht, wie? oder schliefen?
Da sank er, sank. Noch einmal ob den Wogen,
Und noch einmal, so stark war seine Glut.
Doch allzumächtig gegen ihn der Bund
Von Feind und Freund, von Hassern und Geliebten.
Das Meer tat auf den Schlund, da war er tot.
O ich will weinen, weinen, mir die Adern öffnen,
Bis Tränen mich und Blut, ein Meer, umgeben;
So tief wie seins, so grauenhaft wie seins,
So tödlich wie das Meer, das ihn verschlungen.
Naukleros.
Leander, oh, mein mildgesinnter Freund!
Hero.
Sag: er war alles! Was noch übrigblieb,
Es sind nur Schatten; es zerfällt; ein Nichts.
Sein Atem war die Luft, sein Aug' die Sonne,
Sein Leib die Kraft der sprossenden Natur,
Sein Leben war das Leben, deines, meins,
Des Weltalls Leben. Als wir's ließen sterben,
Da starben wir mit ihm. Komm, läss'ger Freund,
Komm, laß uns gehn mit unsrer eignen Leiche.
Du hast zwei Kleider und dein Freund hat keins,
Gib mir dein Kleid, wir wollen ihn bestatten.
(Naukleros nimmt seinen Überwurf ab, Janthe empfängt ihn.)
Hero.
Nur einmal noch berühren seinen Leib,
Den edlen Leib, so voll von warmem Leben.
Von seinem Munde saugen Rat und Trost.
Dann – ja, was dann? – Zu ihm!
(Zum Tempelhüter, der zurückgekommen ist.)
Verweigerst du's?
Ich will zu meinem Freund! Wer hindert's? du?
(Sie macht eine heftige Bewegung, dann sinken Haupt und Arme kraftlos herab. Janthe will ihr beistehen.)
Hero.
Laß mich! Der Mord ist stark. Und ich hab ihn getötet.
(Ab nach der linken Seite.)
Priester (zu Janthen).
Folg ihr!
(Janthe geht.)
Priester (zu Naukleros).
Du bleib! Dein Leben ist verwirkt,
Doch schenk ich dir's, bringst heim du jenen Toten
Und schweigst dein Leben lang. Kamst du allein?
Naukleros.
Mir folgten Freunde von der Küste jenseits.
Priester.
Halt sie bereit. – Wo brachtet ihr ihn hin?
Tempelhüter.
Zum Tempel, Herr.
Priester. Warum zum Tempel, sprich!
Tempelhüter.
So will's der Brauch.
Priester. Will's so der Brauch, wohlan!
Die Bräuche muß man halten, sie sind gut.
Und nun zu ihr! Entfernt die Störung erst,
Legt mild die Zeit den Balsam auf die Wunde.
Ja, dies Gefühl, im ersten Keim erstickt,
Bewahrt vor jedem zweiten die Verlockte,
Und heilig fürderhin – Komm mit! Ihr folgt!
(Alle ab.)