Franz Grillparzer
Studien zur Philosophie und Religion. Historische und politische Studien
Franz Grillparzer

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Oesterreichisches

Fürst Metternich

(1839.)

Das Urteil über Fürst Metternich dürfte bald fertig sein: Ein ausgezeichneter Diplomat und ein schlechter Politiker.
        Grillparzer.

Man hält den Fürsten Metternich ziemlich allgemein für einen großen Staatsmann. Ich war nie dieser Meinung. Das ist ziemlich gleichgültig für das Urteil der Welt; übrigens hindert mich auch nichts, meine eigene Meinung zu haben. Gehen wir einmal die hervorragendsten Epochen seiner Laufbahn durch, vielleicht daß sich manches zur Begründung einer so abweichenden Ansicht vorfindet. Vor dem Jahre 13 kann von ihm nicht die Rede sein, denn bis dahin war seine Laufbahn rein diplomatisch, und ihn für einen der gewandtesten Diplomaten zu halten, darin vereinige ich mich gern mit der allgemeinen Stimme. Die Frage ist nur, ob er auch ein großer Politiker sei. Im Jahre 13 nun ist zuerst die Allianz gegen Napoleon. Man hat darin viel Großes gefunden. Wenn man aber weiß, daß es sich dort nur um einen Interessenschacher handelte und, wenn Napoleon sich hätte entschließen können, die illyrischen Provinzen mit Triest an Oestreich zurückzugeben, letzteres seiner Partei treu geblieben wäre, so fällt das Großartige der Sache so ziemlich von selbst weg. Das Gelingen war ein Zufall, die Schlacht von Dresden hatte entschieden, und wenn Vandamme sich nicht so unvorsichtig bei Kulm benahm, war die Allianz zersprengt, denn nichts hätte den Kaiser Franz abgehalten, nach seiner Art in vierzehn Tagen einen Separatfrieden zu schließen. Ein Unbilliger könnte dem Fürsten Metternich daraus einen Vorwurf machen, daß er vor seinem Beitritt zum Bund der Mächte nicht die Teilung der Beute im voraus sicher gestellt und dadurch die ungeheure Vergrößerung Rußlands verhindert hätte, das unmittelbar nach Napoleons Sturze sich an dessen Stelle setzte, nur mit einer nachhaltigern Furchtbarkeit, eben weil diese nicht wie dort auf einer Person, sondern auf Sachen beruhte. Dieser Vorwurf aber wäre unbillig. Die Mächte ließen sich ihre Successe nicht träumen. Das Unerwartete, der Zufall trat ins Spiel, was aber andererseits wieder den Ansichten und Planen der vereinigten Staatsmänner ihr Großartiges und Voraussichtiges benimmt. Daß er dazu half, den Enkel seines Kaisers zu entthronen, daran that er ganz recht, denn es galt, nicht bloß Napoleon zu stürzen, sondern sein System, das unter einem Nachfolger früh oder spät wieder aufgelebt hätte. Die Gründe aber, die ihn zunächst bestimmten, mögen wohl einer materielleren, in Zahlen auszudrückenden Natur gewesen sein. Gentz' Briefe werfen auf diese Seite des politischen Charakters unseres Mannes ein ziemlich helles Licht. Wenn ein Vorgesetzter die Geschenkannahme bei Untergebenen duldet, so nimmt er es gewöhnlich in dem Punkte selbst nicht gar genau, und der ungeheure Aufwand des Fürsten, sein Ankauf von Gütern, er, der den Nachlaß seines Vaters in Cridastand übernahm, deutet ziemlich klar auf diplomatische pour boire. Doch das mag so Sitte sein.

Die Einsetzung der Bourbons, die materialistische Verteilung der Welt unter die Nachfolger und Nachahmer von Napoleons Gewaltherrschaft sei ihm geschenkt, denn wer weiß, ob er diese Dinge gewollt und ob er sie hätte verhindern können. Das Geheimnis der heiligen Allianz, die wohl vornehmlich auf einer romanhaften Idee Alexanders im ersten Momente des Gelingens beruht haben mag, ist noch unerforscht; unzweifelhaft aber ist die diplomatische Geschicklichkeit, mit der man durch Niederträchtigkeiten aller Art, in denen Religion und Gewissensbisse wohl eine große Rolle spielen, den von Natur edeln russischen Kaiser bis zur völligen Sinnesänderung brachte. Aber, wie gesagt, an Metternichs diplomatischem Talente hat noch niemand gezweifelt.

Daß dieser Staatsmann unterließ, die gute Stimmung Deutschlands zu benützen, um die Reichskrone auf Oestreich zurückzubringen, daran that er recht . . . . Wer nicht zu antworten weiß, handelt klug, der Frage aus dem Wege zu gehen. Daß er sich aber von Preußen verlocken ließ, Oestreich an die Spitze der antiliberalen Reaktion zu stellen, Oestreich, das bei der Gesinnung seiner Völker der Streit gar nichts anging, und er dadurch die Neigung Deutschlands in Haß und Abscheu verkehrte, das zeigt, wie wenig großartig sein Blick von jeher war, eng auf die Kabinette beschränkt und ohne Ahnung, daß die Zeit der Völkerpolitik gekommen war. Hier fing auch offenbar der nachteilige Einfluß Gentzens auf ihn an. Dieser Mann von hellem Verstand, aber eine sybaritische, feige Natur, als Deutscher Pedant, trotz früherer Beweglichkeit, brachte durch den Einfluß seiner Unterhaltung die Idee vom System in das mousseux der geistreichen Natur des Fürsten. Ohne Instruktion, von einem mehr weiblichen, taktartigen, als männlichen, denkenden Verstande (wie er in den diplomatischen Gesellschaften und Antichambern ausgebildet wird), hatte der Fürst seine bisherigen Successe der augenblicklichen geschickten Benützung der Umstände zu verdanken. Nun kam ein neues Agens hinzu: Prinzipien, von denen er bisher nichts geträumt hatte. Dieses neue Element schmeichelte seiner Eitelkeit, weil es Würde und scheinbare Konsequenz in seine Handlungen brachte; seinen aristokratischen Neigungen, denn der Aushängeschild hieß: Bestehen, Legitimität; ohne auf der anderen Seite seinem aphoristischen Geiste zu enge Schranken zu setzen, denn es hinderte ihn nicht, von Zeit zu Zeit mit einzelnen Intriguen dazwischen zu fahren und sein diplomatisches Gelüsten zu büßen, auf die Gefahr, durch solche Husarenstreiche all das wieder zu zerstören, was ein methodischer Gang seit Jahren festgestellt hatte. Hierbei kam ihm sein an Auskunftsmitteln fruchtbares Talent zu statten, das immer wieder einzulenken und aus allen Zufällen Vorteil zu ziehen wußte. So oder so aber blieb der eigentliche Leitstern seiner Handlungen immer das Gelüsten und sein Haupt-, wenn nicht einziges Mittel: die Intrigue. Napoleon, der freilich seinen Feinden nicht gern Gutes nachredete, hat ihn auf St. Helena bezeichnet als: bugiardo, bugiardo e niente che bugiardo. Das klingt freilich hart. Wenn man aber die etwas grobe Wachstubensprache in Salonausdrücke übersetzt: Intrigant, Intrigant und nichts als Intrigant, so ist man der Wahrheit vielleicht ziemlich nahe gekommen.

Dieses Sichandichten und Vorlügen von Gesinnungen und Prinzipien hatte nur die üble Folge, daß à force de répétition der Fürst endlich anfing, seine eigenen Lügen zu glauben, was immer der Zeitpunkt ist, wo der Betrüger in den Betrogenen übergeht. Auch der Fürst entging dieser Klippe nicht, und der als gran tacaño anfing, hat als Don Quixote aufgehört.

Die erste üble Wirkung dieses Hervorstellens legitimistischer Gesinnungen war, wie gesagt, daß es Preußen möglich wurde, den Haß des konstitutionellen Deutschlands von sich auf Oestreich zu wälzen. Geschah dies nicht, so konnte erstere Macht nie daran denken, unter dem Aushängschild eines Zollvereines die politische Suprematie über Deutschland sich vorzubereiten.

Wir übergehen hier die Ungeschicklichkeit des in diese Zeitfolge fallenden Vertrages mit Bayern über Salzburg und Berchtesgaden, wo der Wiener Staatsmann eine Unkenntnis der gemeinsten geographischen Verhältnisse an den Tag legte und endlich zum Abschluß der Konvention seinen Haus- und Tischnarren sendete, bloß um dem armseligen Gecken zu einem Orden zu verhelfen. Besagter Geck ließ sich auch wirklich übertölpeln, was zur Folge hatte, daß die reichsten Bezirke Salzburgs nebst ganz Berchtesgaden an Bayern kamen, ja die Oestreich gebliebenen Salzwerke nebst den Betriebswaldungen sich im Augenblicke des Abschlusses schon auf bayrischem Grund und Boden befanden, was eine neue Konvention und neue Opfer erforderlich machte. Wir übergehen die Ungeschicklichkeit, die Sieben-Inseln, die (wie Metternich wenigstens selbst gegen einen venetianischen Bevollmächtigten versicherte) Oestreich angeboten wurden, den Engländern zu überlassen, was den venetianischen Handel in einen immerwährenden Blockadezustand versetzte und (wie wieder die Venetianer versichern) jeden Aufschwung desselben für alle Zeit unmöglich machte.

Nach Uebergehung aller dieser sekundären Griffe und Mißgriffe gelangen wir auf den zweiten Fall, wo der helle Verstand des Fürsten sich von Eitelkeit und aufgedrungenen Systemen irre, und zwar wie folgenschwer für die Zukunft! irre leiten ließ. Es ist dies die griechische Frage. Sonderbarerweise hat gerade dieses Ereignis am meisten dazu beigetragen, den Ruf des Fürsten als vollendeter Politiker festzustellen. Daß er von allen Staatsmännern der einzige war, der die aus jener Verwicklung hervorgegangene Uebergewalt Rußlands vorhersah, der einzige, der den allgemeinen Schwindel nicht teilte, das hat ihn, sowie in jener Zeit zum Abscheu, doch, nach ausgekühltem Enthusiasmus, zum Gegenstande der Bewunderung von jung und alt gemacht.

Laßt einmal sehen, was an der Sache ist! Daß er, er und sein . . . . Kaiser die einzigen in Europa waren, die kein Mitgefühl für die Leiden der Griechen hatten, die einzigen, bildungslos genug, um an der Erhaltung des Landes, von dem alle Bildung ausging, kein Interesse zu nehmen, oder endlich die einzigen, die von vornherein entschlossen waren, keinem menschlichen Gefühl Einfluß auf den Gang ihrer winkelzügigen Politik zu gestatten – diese Seite der lobenden Anerkennung wird am Ende nicht so beneidenswert sein.

Aber, wird man einwenden (obwohl es nicht wahr ist), sie haben gefühlt wie die andern, aber ihr Gefühl dem Verstande untergeordnet, die Notwendigkeit der Erhaltung der Türkei samt der Größe der russischen Gefahr erkannt und danach gehandelt. Das klingt ganz gut, ohne darum ein großes Lob zu sein. Niemand, ohne besondern Aufwand von Scharfsinn, erkennt die Gefährlichkeit der Katze besser als die Maus, sowie die Notwendigkeit der Erhaltung von Mauerlöchern und Vorratskammern. Jedes Land hat, wie seine Vorurteile, so auch seine Wahrheiten, die jedermann weiß, durch die besondere Lage und das Bedürfnis belehrt, indes sie andern, weit vorgeschrittenen Nationen noch lange ein Geheimnis bleiben. So ist es in Oestreich mit der orientalischen Frage. Ein Dritteil des industriellen und zwei Dritteile des kommerziellen Gewinnes knüpfen sich an den Orient, und jeder Fiaker auf der Straße wird euch sagen, wie notwendig die Erhaltung der Türkei für Land und Leute sei. Daß nun der Staatsmann Oestreichs das gewußt hat, was jeder Lohnkutscher weiß, ist nicht so bewundernswert. Die Frage ist aber: welche Mittel hat er ergriffen, um das drohende Unheil abzuwenden, und welche Folgen haben diese Mittel notwendig nach sich gezogen? Hier wollen mir ihn erwarten und dann loben, wenn wir können.

Sein erster Irrtum also war, daß er glaubte, es sei möglich, die Befreiung Griechenlands zu hintertreiben. Die bejahende Antwort auf diese Freiheitsfrage war zu einem Völkeraufschrei geworden, und keine der Regierungen Europas hätte es wagen dürfen, der allgemeinen Stimme der civilisierten Welt diese Genugthuung zu versagen. Aber Metternich, unbelehrt durch die französische Revolution, durch den spanischen und den deutschen Befreiungskrieg, war mit seiner Politik noch immer in der Zeit zurückgeblieben, wo die Kabinette in strenger Sonderung von den Völkern dastanden, wo man nur die Maitresse des Fürsten oder den Kammerdiener des Günstlings bestochen zu haben brauchte, um jedes politischen Erfolges sicher zu sein. Oder vielmehr sein ganzes Bestreben ging dahin, diese Zeit des diplomatischen Schachspiels wieder zurückzubringen. Er glaubte sie also schon zurückgebracht und verzweifelte daher nicht an der Möglichkeit des Gelingens. Diesen Irrtum wollen wir ihm verzeihen; als aber die Erfahrung die Unmöglichkeit der Verwirklichung seiner konservativen Politik gezeigt hatte, welche Thorheit, welcher Aberwitz, sich von der orientalischen Frage, einer Lebensfrage für Oestreich, entweder aus gekränkter Eitelkeit selbst auszuschließen oder aus Ungeschicklichkeit ausschließen zu lassen. Der Mißgriff wirkte nach zwei Seiten: Einmal gab das Nichtanschließen Oestreichs an die allgemeine Forderung der Pforte Mut zum Widerstand und führte dadurch den russischen Feldzug herbei. Zweitens beraubte sich Oestreich durch sein Ausschließen von der Prozedur auch seines Votums bei der Entscheidung und mußte ruhig mitansehen, wie der Vertrag von Adrianopel die Selbständigkeit der Türkei auf immer vernichtete. Der Fürst hat sich in späterer Zeit, bei Entstehung der Dampfschiffahrt, mit wohlgefälligem Lächeln die neue Handelsverbindung als seine Idee zuschreiben lassen. Hätte er bei Gelegenheit der griechischen Frage eine Ahnung gehabt, daß die Donau etwas anderes sei als ein großes Wasser, das beim Ausgang des Winters große Verheerungen anrichte, er würde nicht unthätig geblieben sein bei einer Verhandlung, die den Russen die Donaumündung und dadurch das Schicksal des Donauhandels für immer in die Hände gab.

Die nächste Reihenfolge trifft nun die Julirevolution. Dies Ereignis war zu drohend, nicht nur für die absoluten Staaten, sondern für die ganze Welt, als daß man es nicht verzeihlich, ja klug finden sollte, wenn die drei Mittelmächte, für den Augenblick ihre gegenseitigen Beschwerden vergessend, sich zu einem engen Bündnis gegen das in der Entwicklung begriffene Monstrum vereinigten; vorausgesetzt, daß jeder der Teilhaber klug genug war, nach Vorübergehen der Gefahr wieder seine persönlichen Interessen zu besorgen und die nicht weniger monströse Verbindung geheimer Feinde untereinander wieder aufzugeben. Aber auch abgesehen von der Versäumung dieses Zeitpunktes, ließ sich der Fürst gleich anfangs zwei unersetzliche Fehler zu schulden kommen. Beide betreffen die inneren Verhältnisse Oestreichs und sind daher bei der Abschätzung des Ruhmes unseres Mannes von Ausländern nie gehörig gewürdigt worden.

Oestreich war die erste Macht, welche unmittelbar auf die Nachricht von der Julirevolution ihre Militärmacht verstärkte. Diese Vermehrung war unnötig, den aufrichtigen Bund der drei Mächte vorausgesetzt; unzureichend, wenn Rußland eine Doppelrolle spielen wollte; in einem und andern Falle aber für die Finanzen verderblich. Oestreich, durch absurd unternommene und geführte Kriege, durch eine geistlose Verwaltung zu Grunde gerichtet, durch wiederholte Bankrotte um alles Vertrauen gebracht, hatte eben im Jahre 1830 angefangen, sich aus seiner Zerrüttung zu erholen. Das Budget dieses Jahres bot, seit einem Menschenalter zum erstenmal, einen unbedeutenden Ueberschuß der Einnahmen über die Ausgaben dar.

Diese günstigen Aussichten wurden durch die neuen Rüstungen für alle Zukunft zerstört. Der vermehrte Militäretat, in den der Adel sehr froh war seine jüngeren Söhne unterzubringen oder für die schon untergebrachten schnelle Avancements zu erhalten, vermehrte die nur durch Anlehen zu deckenden Auslagen dergestalt, daß Oestreich nach Verlauf von neun Jahren seine Staatsschuld um 200 Millionen vergrößert und sich der Lage nahe gebracht sah, neue Anlehen bloß zur Deckung der Zinsen aufzunehmen, was, wie man zugeben wird, bereits der ausgesprochene Bankrutt ist. Aber noch nicht genug! Die Unmöglichkeit, die vermehrte Last zu tragen, machte eine allmähliche Reduktion des Heeres zur unerläßlichen Notwendigkeit, und heute, am Schlusse jener neun Jahre, wo die orientalischen Verwicklungen die Stütze einer Armee gebieterisch forderten, sieht sich Oestreich, wie beim Beginn, wieder ohne schlagfertige Heeresmacht, aber auch ohne Geldmittel, eine solche ins Feld zu stellen! Man wird einwenden: die jetzige Gefahr ist groß, aber die damalige war es nicht minder. Was hätte man thun sollen? Antwort: was Preußen gethan hat, das auf seiner Hut war, aber nicht um einen Thaler mehr ausgegeben hat, als seine finanzielle Lage erlaubte. Aber freilich haben dafür seine Staatsmänner der Eitelkeit entbehrt, die Schiedsrichter von Europa zu heißen und den Schuldenmachern zu gleichen, die, indem sie das Geld mit vollen Händen wegwerfen, dafür von dem Pöbel als wichtige Leute angestaunt werden.

Hatte den einen Fehler die Eitelkeit begangen, so beging den andern der Schreck. Ungarns wurmstichige, zeitunangemessene Konstitution durch allmähliches Ignorieren nach und nach außer Uebung zu bringen, war seit jeher eine der Hauptaufgaben der östreichischen Staatskunst gewesen. Wenn der Billigkeitssinn einerseits der Willkür abgeneigt ist, so mußte er andererseits wohl erkennen, daß in der egoistisch-aristokratischen Tendenz eines ungarischen Landtages wenig Heil für das Beste des Landes zu erwarten und – Willkür gegen Willkür – selbst der vorübergehende Druck eines einzelnen Gewaltherrschers noch leichter zu ertragen sei, als der durch Privilegien verewigte einer unwissenden rohen, hab- und machtgierigen Adelsclique, die nur in der Niederhaltung jeder Entwicklung eine Bürgschaft für ihre unsinnigen Vorrechte finden konnte. Dasselbe System hatte Kaiser Franz während einer dreißigjährigen Regierung befolgt, Landtage wurden selten gehalten, Rekruten ohne Bewilligung der Stände ausgehoben. Die unbedeutenden Geldbeiträge gingen regelmäßig ein. Man murrte dagegen in Adelskonventikeln, schmähte, ließ seinem Unmut gegen die sogenannten »Schwaben« (Deutsche) freien Lauf und hatte sich endlich daran gewohnt. Da kam die Julirevolution. Im ersten Schreck wußte die Regierung (und das war Metternich in allen Staatsrechtsfragen) kein besseres Mittel, als dem auftauchenden demokratischen Prinzip ein aristokratisches entgegenzusetzen. Landtage wurden wieder gehalten, die ungarische Konstitution mit Bewußtsein der Lügenhaftigkeit belobt (habetis bonam constitutionem, sagte ihnen Kaiser Franz, et mantenebo illam), und so ging der Unsinn seinen erneuten Gang. Ja, man vergaß sogar der Rückwirkung, welche die durch die Julirevolution rege gewordenen Ideen auf den ungarischen Adel ausüben mußten, der unscharfsichtig genug ist, um gar nicht zu begreifen, daß ihr Fall gerade das Gegenteil der französischen Freiheits- und Gleichheitsfrage ist. Weil sie Reden hielten, schrieen und Opposition machten wie die französischen und englischen Liberalen, so hielten sie sich für Freiheitsmänner und Liberale wie jene. In diesem Lärm nun trotzten sie der Regierung ein Zugeständnis nach dem andern ab, und wenn die Ausbeute gleich jedes einzelne Mal nicht bedeutend ist, so wird sie doch im Lauf der Jahre zu einer Masse anwachsen, gegenüber welcher die Ausübung einer geordneten Staatsgewalt nicht ferner möglich ist.

Wie viel zu weit man nun aber auch in der ersten Furcht vor jener Revolution gegangen sein mochte, gerecht war, auf das gehörige Maß zurückgebracht, die Besorgnis allerdings, und klug, daß man sich gegen mögliches Weitergreifen stärkte und verbündete. Nur hätte man, als die Furcht vorüber war, nicht den Haß an deren Stelle setzen und aus Kastengeist dem Manne sein Amt erschweren sollen, dem es gelungen war, den überschwellenden Strom in seinen natürlichen Ufern zurückzuhalten. Statt dessen benützte man jeden Anlaß, um den Bürgerkönig fühlen zu lassen, welcher ungeheure Unterschied zwischen ihm und den Tröpfen von Gottes Gnaden befestigt sei, um die Nationaleitelkeit der Franzosen bis aufs Innerste zu kränken, gerade als ob die Aufgabe gewesen wäre, einen Ausbruch herbeizurufen, statt ihn zu hintertreiben.

Wenn Rußland so handelte, war es gewissermaßen natürlich, denn es wollte die Zerwürfnis. In Preußen ist einmal das Russischthun und die Großsprecherei zu Hause. Oestreich aber hätte begreifen sollen, daß vielleicht in kurzer Zeit Frankreich in der orientalischen Frage dieselbe Rolle spielen werde, die es, Oestreich selbst, in der Julifrage spielte, die Rolle des mindest beteiligten Schiedsmannes. Statt dessen wurden die Abgesandten Louis Philipps in den Salons des Fürsten Metternich von dessen eigener, plump-hochmütigen, verstandlosen Gemahlin öffentlich beschimpft, man ergriff jede Gelegenheit, um die Erinnerung an die vom Throne gefallene – gestürzt wäre ein zu heroischer Ausdruck! – also vom Throne gefallene Dynastie wach zu erhalten, ja als Louis Philipp, der Pacifikator von Europa, den Bund mit dem Bestehenden durch eine Heirat seines Thronfolgers mit einer östreichischen Erzherzogin besiegeln wollte, schlug man ihm nicht etwa die Hand dieser Prinzessin ab – das wäre der blinden Leidenschaft, dem aristokratischen Hochmut, der hohlen Theoriemacherei zu wenig gewesen! – nein, man ließ ihn nach Wien kommen, gab das Mädchen dem Freiwerber, der kurz vorher erst eine Schwester des Prinzen plantiert hatte, und schickte ihn so beschimpft und verspottet nach Hause. Man benahm sich, als ob man alle Prinzessinnen von Europa unterm Verschluß hätte, als ob man eine Heiratskontinentalsperre auf gut Napoleonisch gegen das neue Königshaus verhängen könnte. Oder hielt man dafür, daß eine östreichische Prinzessin ein gar zu hohes Ziel sei? Du guter Gott! Maria Luise hatte die Erzherzoginnen wohlfeil gemacht.

Was Oestreich zurückwies, nahm Preußen an. Geschah es mit beiderseitiger Einwilligung, oder spielte letzteres dabei seinen hohen Alliierten ein Stückchen aus der Tasche, genug, es geschah, und die Einwirkung auf die Politik ließ nicht lange auf sich warten. Preußen ernannte seinen Gesandten in Paris zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten, fing an, in den Tuilerien sich als eine verwandte Macht zu benehmen, die Invektiven gegen Frankreich hörten auf, kurz, die Zeichen einer Annäherung waren nicht mehr zu verkennen. Da mußte Rat geschafft werden! Der deutsche Zollverband noch von früher her, jetzt die Aussicht auf ein Bündnis mit Frankreich in der nächsten Zukunft, wozu noch eine kleine Rancune über die Zillerthaler Religionsgeschichte kam. Was war nur gleich dagegen anzuzetteln? Die Hermesianische Ketzerei bot sich da wie gerufen.

Der Fürst hatte von jeher geliebt, sich mit Lumpen aller Art zu umgeben. Die vorzüglichste Rolle darunter spielten die Renegaten und Konvertiten, überhaupt die Ueberläufer religiöser und politischer Gattung. Wer von jeher den Meinungen zugethan war, die Fürst Metternich als sein Evangelium predigte, den verachtete er als einen Dummkopf: hatte er doch selbst diese Meinungen nur zum Behuf seiner Rolle vorangestellt. Wer aber von der entgegengesetzten Partei, mit Bewußtsein der Lügenhaftigkeit, seines Bauches, seines Säckels, seiner Dienstcarriere wegen, zu ihm übertrat, der galt ihm als ein kluger Mann, und verstand er noch die Kunst, ihn zu amüsieren – wäre es auch nur durch Schwächen gewesen, die etwas zu lachen gaben – so war er willkommen. Die meisten dieser Lumpe nun waren religiöser Art. Daß ein dummes und bigottes Volk am leichtesten zu regieren sei, mochte ihm wohl schon früh vorgeschwebt haben, daher duldete er diese Energumenen schon zu einer Zeit, wo er selbst noch ziemlich Freidenker war. Nun aber kam bei ihm nach und nach das Alter mit der Perspektive des Todes heran. Durch den Tod des Kaisers Franz war der Hofeinfluß in die Hände der Damen des kaiserlichen Hauses gekommen, die, nach Art der Besseren dieser Hochgestellten, gewohnt waren, die Langeweile eines unbeschäftigten Lebens mit Religionsübungen auszufüllen, und – der alternde Fürst hatte zum drittenmale geheiratet. Da der Leitstern seiner Handlungen im Privat- wie im öffentlichen Leben immer das Gelüsten war, so nahm er sich ein junges, rasches, ungebildetes, von einer hochmütigen und bigotten Mutter geleitetes Weib. So sehr sich der Fürst durch großartigen Leichtsinn und vornehmes Behagen konserviert hatte, mußte doch mancher Wunsch der rüstigen Magyarin unerfüllt bleiben. Um desto mehr galt es, die erfüllbaren Wünsche zu befriedigen. Schenken, Geben, Zuvorkommen war die Losung. Aber Hals- und Armschmuck, Perlen und Diamanten hatte sie zu Genügen. Was blieb da zu geben, als: zum Geburtstagsangebinde die Jesuiten, zum Neujahrsgeschenke die gemischten Ehen? Der Fürst ward in dieser Umgebung zum Frömmler, oder wußte wenigstens selbst nicht mehr, was er war.

In solcher Verfassung fand ihn die Kölner Angelegenheit. Man würde ihm unrecht thun, wenn man annähme, daß er die ganze Größe der Verwicklung von vornherein durchschaut, daß er zu einer Zeit, wo Krieg und Aufstand von Belgien her Europa bedrohte, das Ereignis in seiner nachherigen Ausdehnung gewollt habe, gewiß aber ist, daß der erste Anlaß dazu: die Denunziation der hermesianischen Lehre in Rom, von Wien, von der nächsten Umgebung des Fürsten, mit seinem Vorwissen ausging. Er überließ sich dabei nur seiner gewöhnlichen Neigung zur Intrigue, seiner gereizten Stimmung gegen Preußen und dem Wunsche, der drohenden kommerziellen und politischen Vereinigung Deutschlands unter Preußens Aegide eine religiöse Spaltung entgegenzusetzen. Der gewünschte Erfolg schlug jedoch gerade in sein Gegenteil aus. Deutschland vereinigte sich nur noch enger zur Abweisung der römischen Anmaßung: außer Bayern – und das nur für die Lebensdauer des gegenwärtigen Königs – gelang es keinen Proselyten zu machen; Preußen – nach Abwendung der belgischen Gefahr – erwartete fest und ruhig von der Zeit die Ebnung der aufgeregten Meinungswellen; Rußland ernannte aus eigener Machtvollkommenheit einen katholischen Metropoliten, und der römische Hof hat durch seine voreiligen und zeitungemäßen Gewaltstreiche diese seine Gewalt für jetzt und immer zerstört. Von dem Augenblicke, als sich zeigte, daß er noch immer dasselbe wolle, wie im neunten Jahrhunderte, stößt ihn das neunzehnte unwiderruflich zurück, und verliert er nun auch noch Spanien, so geht der Romanismus zugleich mit dem Absolutismus zu Grabe.

Der Absolutismus muß aber zu Grabe gehen, seit durch den Tod des Sultans Mahmud und die dadurch neu aufgetauchte orientalische Frage der Streit zwischen den absoluten Mächten selbst ausgebrochen ist. Oestreich, von seinen Finanzen mit einem Bruche bedroht, durch ein neunjähriges Vergeuden seiner Kräfte mitten im Frieden erschöpft, ist außer stande, gegen die Anmaßungen Rußlands irgend selbständig aufzutreten. Es muß sich den liberalen Mächten in die Arme werfen, die es früher zurückstieß, glücklich genug, wenn man es mit Verzeihung sonstigen Hochmuts, und soweit es die eigenen Interessen gestatten, aufnimmt. Frankreich, an das sich anzuschließen man früher versäumt, wird aus einer suchenden Macht die gesuchte. Der Preis der neuen Allianz wird die unbedingte Einwilligung in alles das sein, was Frankreich und England im Sinne des konstitutionellen Liberalismus einzurichten für gut finden. Ehe der Zustand der Hilfsbedürftigkeit eintrat, konnte man als Alliierter derlei Neuerungen hemmen, modifizieren, nun muß man sich ihnen fügen. Ja, will man nicht ganz das Spielwerk fremder Mächte sein, so wird man, wie zur Zeit von Napoleons Weltherrschaft, seine Zuflucht zu den eigenen Völkern nehmen müssen, und die gefürchteten Ideen von Nationalität, Völkerfreiheit, Mißbrauch der Gewalt werden, von der Regierung angerufen, wieder auftauchen, wie damals.

Kurz, der Fürst Metternich muß am Ende seiner Laufbahn die zwei Aufgaben seiner konservativen Politik verfehlt sehen: Niederhaltung des Liberalismus und Erhaltung des status quo, namentlich der Türkei; verfehlt durch seine Schuld als notwendige Folge seiner Maßregeln. Aber das, was Gentz das »rasende Glück« des Fürsten nennt, kam ihm auch hier zu Hilfe. Der Tod Sultan Mahmuds und die Aussicht auf das, was kommen wird, schlug ihn wie ein Blitzstrahl zu Boden. Eine alle Fakultäten des Geistes zerstörende Krankheit ersparte erstens seiner Eitelkeit die Demütigung, vielleicht noch mit einem Herrn Thiers oder Guizot in freundschaftliche, bittweise Korrespondenzen treten zu müssen, und ließ seinen Lobrednern die Möglichkeit, sagen zu können: Ja, wenn Metternich noch lebte, oder wenn Metternich noch gesund wäre! indes doch die Lage so ist, daß auch die höchste Geschicklichkeit nichts daran zu ändern vermöchte.

Wenn der hier ausgesprochene Tadel etwa den Schein der Geringschätzigkeit angenommen hatte, so muß man sich dagegen hiermit ausdrücklich verwahren. Fürst Metternich war von Hause aus ein Mann von Ehre und Gefühl, entschlossen und mutig, der Verstand aber, in den diplomatischen Salons unter Weibern und Höflingen ausgebildet, mehr poliert, als gestählt, mit der Spitze ritzend, statt mit der Schneide trennend und, durch eine glückliche Auffassungsgabe verführt, das Resultat der Untersuchung vor der Operation des Untersuchens anticipierend.


(1839.)

Eine in ihrer Art merkwürdige Erscheinung. Der Diplomat in seiner vollständigsten Ausbildung und Bedeutung. Die Gemütseigenschaften von Natur gut, aber abgestumpft durch den Gebrauch. Der Verstand nach Art der Weiber fein, scharf, schnell auffassend, aber zugleich eng, ohne Kraft und Tiefe, überhaupt mehr als Takt, denn als Denkvermögen wirkend. Charakter decidiert, ja energisch, versatil aus Mangel an Grundsätzen und doch wieder beharrlich, aber nur aus Hochmut und Rechthaberei. Ueberhaupt bezeichnet bei diesem Staatsmanne der Uebergang vom Schnellgewandten zum Beharrlichen zugleich die Epoche der Abnahme seines Talents. Von Natur prinzipienlos, aber geschickt im Ergreifen der Umstände, mischte zuerst der Umgang mit dem bekannten G. die Idee eines Systems wie einen schweren Bodensatz in seine champagnerartig aufsprühenden Gedanken. Da es von Natur an Haltung gebrach, so war dieses caput mortuum eines Systems willkommen, um den auseinanderfahrenden Bestrebungen eine Art Mittelpunkt zu geben, dem Schimmer Würde beizugesellen; indem aber zugleich dasselbe System nicht selbst erwachsen, sondern nur angefügt, kein Brennpunkt der Ueberzeugungen, sondern nur eine Folie für sie war, so wurde dessen Einfluß ein hindernder statt ein fördernder. Es nahm die Freiheit der Bewegungen, ohne ihnen das Verlorne durch innern Nachdruck zu ersetzen. So haben wir diesen Mann als den Quixote der Legitimität in Europa sein Land finanziell zu Grunde richten gesehen, gegen die Bildung ankämpfen, die ihm von Hause aus wert war, sich mit seinen natürlichen, anerkannten Feinden verbinden, um ein angeblich Heiliges zu verfechten, indes er auf der andern Seite wieder nicht Anstand nahm, von der kirchlichen, ja im Notfall von der bürgerlichen Revolution Mittel zu erborgen, wenn es darum galt, Fehler des Kalküls wieder gut zu machen oder Wunden der Eitelkeit zu heilen. Das letztere war seine Natur, das erstere die eingelernte Lektion.


(1842.)

Diesem Fürsten Metternich wird es ergehen, wie dem alten Könige von Holland. Was war da vor zehn Jahren für ein Gepreise und Gelobe von letzterem. Ueber die Charakterstärke, den Heldenmut, mit dem er alte Ansprüche nicht aufgab, der schlechten Richtung der Zeit sich entgegenstellte, samt andern Großheiten. Und auf einmal zeigte sich's, daß er mit all dem nichts erreicht, wohl aber seinen eigenen Staat an die Grenze des Abgrundes geführt hatte, so daß er – besonders da er sich in seinem Greisenalter nicht den Kitzel einer neuen Heirat versagen konnte – abdanken mußte, um nicht gesteinigt zu werden. So hat jener andere Mann sich unter den Lobeserhebungen von ganz Europa immer um die Angelegenheiten bekümmert, die sein eigenes Land am wenigsten angingen, Oestreich in ein Meer von Schulden gestürzt, um Syrien sich der Gefahr eines Krieges ausgesetzt, und die Donauprovinzen den Russen in die Hände geraten lassen u. s. w. Den Wert einer Leitung des Aeußern erkennt man nur aus der Wirkung auf das Innere.


(1847.)

Oestreich mit dem Fürsten Metternich kömmt mir vor wie ein armer Mann, der einen vortrefflichen Koch hat. Der Koch versteht sich auf die feinsten Speisen, aber der Herr kann sie nicht bezahlen. Für ihn, den Herrn, wäre eine Köchin, die sich auf bürgerliche Küche beschränkte, bei weitem vorteilhafter.


(1823.)

In Aegypten scheinen nach dem Diodor I, 90 die Könige die verschiedenen Religionsmeinungen ihrer Unterthanen, vermöge deren ein Nomos dasselbe Tier anbetete, das der benachbarte verabscheute und tötete, ebenso kleinlich-staatsklug benützt zu haben, als man in einem gewissen neuern Staate die Nationalabneigungen der zum allgemeinen Verbande gehörigen verschiedenen Volksstämme gebraucht; divide et impera! Nur war der Unterschied, daß Aegypten wenig von äußern Feinden zu besorgen hatte.


Von den Sprachen

(Um 1840.)

Wenn die Ungarn den Slaven die magyarische Sprache wenigstens für die öffentlichen Verhandlungen aufdringen wollen, so bedienen sie sich vornehmlich zweier Argumente. Das erste ist, daß sie die erobernde Nation seien und daher ein Recht hätten, ihre volle Nationalität auf die Besiegten zu übertragen. Wenn aber die Magyaren in frühester Zeit Ungarn erobert haben, so ist dasselbe in späterer Zeit von den Deutschen geschehen, die das Land den Türken entrissen haben, und die Deutschen hätten daher dasselbe Recht für ihre Sprache geltend zu machen, was auch unter Kaiser Joseph geschehen ist und, genau besehen, für die ganze Einwohnerschaft das Vernünftigste wäre, wieder nur für die öffentlichen Verhandlungen, versteht sich.

Das zweite Argument ist, daß die Slaven bei Erlernung der magyarischen Sprache doch nichts verlieren, da sie auch früher die lateinische hätten erlernen müssen, dabei ist nur der kleine Unterschied, daß bei Aneignung der lateinischen Sprache man zugleich einen großen andern Besitz erwirbt, den der gesamten römischen Litteratur nämlich, indes man mit der magyarischen Sprache nichts erhält als ein Ausdrucksmittel, das kein Kulturmittel ist und auch nie eines werden wird. Die Ungarn sollten vielmehr selbst bedenken, daß, wenn bei der allgemeinen Kulturlosigkeit ihrer eigenen Nation sich in ihren bessern Köpfen, wie nicht zu leugnen, eine gewisse Originalität und Kraft kundgibt, sie dies vielleicht hauptsächlich der von Kindheit auf betriebenen römischen Litteratur verdanken. Ich will der ungarisch-lateinischen Sprache nicht das Wort reden, sie hatte aber wenigstens einen Vorzug, das allgemeine Verständigungsmittel für drei verschieden redende, gleich berechtigte Nationen zu sein.

Die magyarische Sprache wird dem Lande nie das werden, was die lateinische war. Dieselbe Nationalität, welche die Ansprüche der Magyaren hervorgerufen hat, ist – in verdoppeltem Maßstabe, wie immer bei den Unterdrückten – unter den Slaven rege geworden; sie werden sich die Sprache ihrer Bewältiger nie, als höchstens zu den öffentlichen Verhandlungen, aufdringen lassen, und zwar um so mehr, als die ungarische Sprache keine Zukunft hat. Ohne Zusammenhang mit irgend einem europäischen Idiom und auf ein paar Millionen größtenteils unkultivierter Menschen beschränkt, wird sie – abgesehen davon, daß in der ungarischen Nation sich nie ein wissenschaftliches oder Kunsttalent bemerkbar gemacht hat – nie ein Publikum haben. Und ohne Leser keine Litteratur. Wenn Kant seine Kritik der reinen Vernunft in ungarischer Sprache geschrieben, so hätte er vielleicht drei Exemplare abgesetzt. Gedichte und allenfalls einzelne Romane, Zeitungsartikel und politische Diatriben können, besonders solang die Mode warm ist, mit Glück in der Landessprache debitiert werden; das ist aber die Litteratur des Augenblicks und der Oberflächlichkeit, wo bleibt da die sonstige, die eigentliche Bildung? Ein Ungar, der nichts als Ungarisch kann, ist ungebildet und wird es bleiben, wenn seine Fähigkeiten auch noch so gut wären. Anders dagegen ist es schon mit dem Slaven. Er gehört einem weit verbreiteten Stamme, dessen Zeit nahe bevorsteht und schon da wäre, wenn nicht an der Spitze das mit Recht verabscheute Rußland stände. Er hat also für seine Sprache wenigstens eine Aussicht, der Ungar keine, obwohl für die Gegenwart dem Slaven seine Aussicht eben auch nichts hilft und er, wie der Ungar, genötigt ist, zu einer andern Sprache als Bildungsmittel seine Zuflucht zu nehmen, und das ist die deutsche.

Was folgt nun aus dem allem? Es folgt, daß, was die Ungarn gegen die lateinische Sprache gethan haben, alles nicht für die ungarische, sondern für die deutsche Sprache geschehen ist. Ungarn ist germanisiert und wird's mit jedem Jahre mehr werden. Jeder Kandidat der Bildung ist zugleich ein Kandidat der deutschen Sprache. Hier ist von keinem gewaltsamen Aufdrängen die Rede, wie Kaiser Joseph gethan hat, sondern die Sache nötigt, und das ist der rechte Zwang. Fünf oder sechs große Nationalitäten haben den Raum der Welt eingenommen, und nur für die slawische ist noch Platz. Kleinere Korporationen gelangen nicht mehr an die Oberfläche. Der Schotte und Irländer befindet sich, was Sprache betrifft, wohl dabei, sich mit den Schätzen der englischen zu bereichern, und der Baske dies- und jenseits der Pyrenäen liest und schreibt französisch oder spanisch, je nachdem er diesem oder jenem Völkerverbande angehört, obschon von gleichem Stamme und im Verkehr mit Stammverwandten der mütterlichen Ursprache noch immer und mit Vorliebe sich bedienend. Sollten die Ungarn, um sich vor der zwingenden Gewalt des deutschen Idioms zu retten, auf die Möglichkeit einer Bildung durch die französische oder englische Sprache hinweisen, so wird dadurch die Verwirrung nur größer, der Viellern- und Nichtswisserei fände sich Thür und Thor geöffnet, und die magyarische Sprache gewänne doch auch nichts dabei.

Bildet daher eure ungarische Sprache aus und verbreitet sie ohne andern Zwang, als den ihrer Vorzüge, nach Möglichkeit, besonders da einmal die Mode der Nationalität gekommen ist, ein Artikel, den ihr wie eine Kinderkrankheit eben von den perhorreszierten Deutschen durch Ansteckung ererbt oder doch in neuen Schwung gebracht habt. Aber bedenkt: mit Umschlag der Mode wird die jetzt verspottete Humanität wieder in ihre früheren Rechte treten, und man wird einsehen, daß das Beste, was der Mensch sein kann, eben ist, ein Mensch zu sein, ob er nun einen Attila trägt und Ungarisch spricht, oder trotz seiner deutschen Sprache in einem englischen Frack und französischen Hut einhergeht.


(1841.)

Habe das Buch »Oestreichs Zukunft«Oesterreich und seine Zukunft von dem Freiherrn v. Andrian-Werburg. Hamburg 1841. gelesen, ist viel Wahres mit vielem Falschen darin enthalten, welch letzteres bei solchen Schriften nicht anders möglich ist. Nach meiner Ansicht geht Öestreich seinem Untergange entgegen, wenn es nicht dreierlei bewerkstelligt:

Die Verbesserung der Finanzen scheint das Schwerste und ist das Leichteste. Abgesehen von staatswirtschaftlichen Verbesserungen, darf man nur den Gedanken aufgeben, die Geschicke der Welt bestimmen und veralteten Prinzipien die Oberhand verschaffen zu wollen. Die antiliberalen Rüstungen seit dem Jahre 1830 haben die Verlegenheit herbeigeführt. Oestreich, das nur seine eigenen Interessen besorgt, hat augenblicklich sein Defizit entfernt und Einnahmen und Ausgaben in Einklang gebracht.

Ebenso wird dem deutschen Prinzip und damit dem Prinzip der Einheit die Oberhand verschafft, wenn man die Fesseln der Bildung aufhebt. Die deutschen Provinzen werden durch ihren Zusammenhang mit dem gebildeten Deutschland dadurch eine solche Oberhand erhalten, daß alle diese slavischen und magyarischen Bestrebungen dagegen wie Seifenblasen zerplatzen werden. Ist Wien einmal der geistige Mittelpunkt der Monarchie, so wird es der politische sein und bleiben.

Um den Ungarn Lust zu machen sich den übrigen Provinzen anzuschließen, muß man diesen eine Lage geben, die sie für Ungarn beneidenswert hinstellt, und eine Form, die ähnliche Bürgschaft hat, wie sie Ungarn bereits besitzt, so daß letzteres durch Aufgeben ihrer Konstitution nicht etwas verlöre, sondern etwas Besseres eintauschte. Das könnte nun geschehen, indem man allen außerungarischen Provinzen eine gemeinschaftliche Verfassung gäbe. Ich bin eben kein besonderer Freund der Konstitution, aber ohne dieses Mittel wird man Ungarn nie aus seinem zugleich isolierten und absurden Zustande herausreißen.


(1842?)

Da wäre denn in einem Bündchen gesammelt alles, was in Kaffeehäusern und Salons gegen die ungarische Konstitution vorgebracht zu werden pflegt. Damit soll nicht gesagt sein, daß das Vorgebrachte durchaus falsch sei. Im Gegenteile, das meiste ist wahr; verliert aber dadurch an seinem Wert, teils, daß es Gebrechen aufzudecken vermeint, die jedermann schon längst als solche anerkannt hat, ferner aber, daß bei der Oberflächlichkeit des Ueberblicks nur die eine Seite betrachtet, die andre dagegen gänzlich außer acht gelassen wird. So reicht z. B. der Verstand eines Schulknaben hin, um das gehässige des englischen Torysmus zu zeigen, indes die bedeutenden Männer der genannten Partei recht gut wissen, was sie wollen, und wenn sie im Unrecht sein sollen, doch nur von ebenso tief denkenden und zugleich praktischen Köpfen, als sie selbst sind, dessen überführt werden könnten. Das Wort Aristokratie hat in neuerer Zeit und zwar mit Recht, einen übeln Klang, woher aber in einem Lande, dessen dritter Stand noch gar nicht existiert oder unfähig ist, sich über die Anforderung seiner unmittelbarsten Bedürfnisse zu erheben, woher anders als aus dem zur Not gebildeten Teile der Nation in einem solchen Lande die Elemente der Volksvertretung zu nehmen seien, dürfte schwer zu bestimmen sein. Sagt man: aus dem Bürgerstande, so sind unter den ungarischen Städten wohl nicht viele, deren Bewohner sich wesentlich von den Landbewohnern unterscheiden: dann vermehrt ihr die Last, indem ihr sie erweitert, denn die Aristokratie macht nicht den Adel aus, sondern das Vorrecht, Adel und Bürger würden die Rechtsungleichheit nicht nur verdoppeln, sondern auch verewigen.Danach ist in der Handschrift gestrichen: Nur als Werkzeug in Händen der Regierung hätte der Bürger getrennt von dem Bauern zum Behuf der leichteren Erlangung einer Majorität Bedeutung und Wert, wie ungefähr die irländischen Katholiken in Händen des englischen Ministeriums; die Majorität soll aber nicht leicht zu erlangen sein, sondern schwer, durch Zweckmäßigkeit und Nutzbarkeit der Regierungsvorschläge.

Da bliebe denn bei der Unzulänglichkeit der bisherigen Repräsentation und der Unmöglichkeit zur Gewinnung einer bessern freilich nichts anderes übrig, als – was der Verfasser auch anzudeuten scheint – sich mit Aufgebung aller Bürgschaften zutrauensvoll der Regierung in die Arme zu werfen. Das wäre auch allerdings das beste, vorausgesetzt, daß die Regierung Beweise gegeben hatte, ein solches Zutrauen auch zu verdienen. Ob die östreichische Regierung nun in diesem Falle ist, liegt nicht in den persönlichen Zwecken des Verfassers zu untersuchen. Ebensowenig aber soll es auch hier weiter ausgeführt werden, sondern soll zur eigenen Begutachtung des Lesers als unbeantwortetes Fragezeichen hiermit diese Zeilen schließen. –?–


(1844.)

Das erste Heft der deutschen MonatschriftDeutsche Monatsschrift, herausgegeben von Biedermann, Januar 1844, S. 26–40: »Freiherr von Kübeck und die östreichische Finanzverwaltung« von ungenanntem Verfasser. enthält unter dem Vorwande einer Kritik des Tengoborskischen WerkesTengoborski, Ueber die Finanzen, den Staatskredit, die Staatsschuld und die Hilfsquellen Oesterreichs. Wien 1844. einen heftigen Angriff auf den Zustand des östreichischen Finanzwesens und wieder unter letzterem Vorwande einen weit heftigeren, ja boshaften auf den gegenwärtigen Leiter dieses Finanzwesens, den Hofkammerpräsidenten Freiherrn von Kübeck. Der Schreiber gegenwärtiger Zeilen wird es nicht unternehmen, den eben genannten Staatsmann zu verteidigen, wozu es ihm vielleicht an Kenntnissen fehlt, gewiß aber an genügenden Daten, in welch letzterem Falle sich übrigens nicht nur er, sondern mit ihm zugleich die ganze übrige Welt befinden dürfte. Die ersten Schritte des Freiherrn von Kübeck deuten nämlich weniger auf ein isoliertes Auskunftschaffen, als vielmehr auf ein durchgreifendes System hin, dessen Entwicklung als Ganzes man erst abwarten muß, ehe man sich ein Urteil über die einzelnen Teile anzumaßen berechtigt ist. Ebensowenig soll über Ziffern gestritten werden. Denn – abgesehen von einzelnen Kalküls- oder Vergleichungsfehlern, die auf das Hauptresultat wenig Einfluß haben – wer kennt diese Ziffern, solange sie die östreichische Staatsverwaltung nicht selbst bekannt macht? Wer steht Herrn Tengoborski dafür, daß man ihm alles mitgeteilt habe? Ich selber kann mich nicht rühmen, in das Geheimnis eingeweiht zu sein. Dasselbe dürfte von dem Verfasser des Aufsatzes in der deutschen Monatschrift gelten, da man doch nicht annehmen kann, daß der Aufsatz von jemand herrühre, der durch Amt und Eid, durch Gehalt oder Pension berufen ist zur Verschweigung dessen, was er kundgibt, und zur Verteidigung von dem, was er angreift.


(Januar 1847.)

Der Palatinus von Ungarn ist tot. So groß der Verlust, der ausgezeichneten Eigenschaften des Verewigten wegen, an sich ist, so wird er noch vergrößert durch die Schwierigkeit, ihn zu ersetzen. Ein Magnat des Landes dürfte, alles andre ungerechnet, kaum Ansehen genug haben, die halb patriotischen, halb zur Mode gewordenen Widersetzlichkeiten zu bändigen. Von der herrschenden Familie aber sind die Oheime des Kaisers, die an Eigenschaften dem Verblichenen nicht nachstehen, durch ihr vorgerücktes Alter und die Schwierigkeit, sich eine der Landes- und Geschäftssprachen, sei es nun die ungarische oder lateinische, bis zur Redefertigkeit geläufig zu machen, von der Kompetenz ausgeschlossen, indes die jüngern Familienglieder erst von der Zeit jene Reife zu erwarten hätten, die über den Ehrgeiz, die Leidenschaften und die Lockungen der Popularität hinaussetzt. Und doch ist es notwendig, entweder einen vollendeten Geschäftsmann oder eine Respektsperson hinabzusenden. Von der letztren Qualifikation, weiß ich nur einen und dies ist der präsumptive Thronerbe, der Erzherzog Franz Karl.

Dieser Herr hat sich zwar, vielleicht aus einer loyalen Delikatesse, bisher von den öffentlichen Geschäften entfernt gehalten, und es dürfte ihm daher, wie jedem, der in ein neues Verhältnis kommt, an der nötigen Gewandtheit fehlen. Aber das Land müßte sich geehrt fühlen, die künftige Hoffnung des Gesamtstaates mit der Obsorge über sein Wohl betraut zu sehen; dem entschiedensten Oppositionsmann dürfte es nicht gleichgültig sein, demjenigen entgegenzutreten, der als künftiger König, auf das Schicksal des einzelnen mehr oder weniger Einfluß zu nehmen hat und endlich werden Bewegungen, die mehr aus den Leidenschaften als aus einem vernünftig ins Auge gefaßten Zweck hervorgehen, leichter durch den Respekt im Zaume gehalten als durch Gründe, und wenn es die besten wären. Die ersten schwankenden Schritte würden durch die Neuheit der Stellung entschuldigt, jeder Fortschritt in der Kenntnis des Landes und der Geschichte müßte schon als Aussicht für die Zukunft mit Begeisterung aufgenommen werden und niemanden wäre es leichter als ihm, in einer mehr zurückgezogenen als jedesmal eingreifenden Stellung jene Grundsätze zu überwachen, deren Einhaltung das Gesamtwohl der Monarchie unerläßlich macht. Man sage nicht, daß gerade durch die Eigenschaft als Thronerbe die unvermeidlichen Fehlgriffe des Neulings einen Schatten auf den künftigen König werfen. Die Majestät bedeckt alles, und bei der Notwendigkeit der Successionsordnung sind es weniger die von dem Zufall abhängigen Vollkommenheiten, als die Heiligkeit des Mittelpunktes der Staatsmacht, was der Königswürde ihren Glanz verleiht. Sollte man als ungehörig bezeichnen, daß der künftige Herrscher eine dienende Stellung einnehme, so bedenke man, daß alle Kronprinzen von Europa in der Armee dienen, und wollte man letzteres aus der Gewohnheit und dem Hergebrachten erklären, so versuche man einmal etwas, das nicht hergebracht ist.

Er und seine geistreiche Gemahlin würden in Pest Hof halten. Sie würden den Adel, der in Ungarn das Volk ist, um sich versammeln und die liebenswürdige Gastfreundschaft fände einen Widerklang in den Gästen auch außer den Grenzen des Salons. In mehr oder weniger Jahren reifte ein jüngeres Glied der Familie zu jenem Alter heran, das in unsern Tagen zur Volksleitung nötiger ist, als in allen vorhergegangenen, da in einer mehr bewegten als ihren Regungen treu bleibenden Zeit erst mehrere erlebte Wechsel der Bewegungen einen richtigen Blick auf die Natur der Bewegung selbst gestatten.

So viel, was Ungarn selbst betrifft. Welcher Nutzen aber für die ganze Monarchie daraus hervorginge, ist kaum zu berechnen. Die Throne von Europa sind gegenwärtig größtenteils mit gutwilligen, zum großen Teile mit verständigen Fürsten besetzt; was ihnen aber beinahe sämtlich abgeht, ist die Kenntnis des Volkes, die eigene Ueberzeugung von der Richtung und den Bedürfnissen der Zeit. In der einsamen Königsburg wird derlei nicht erworben. Gerade Ungarn, wo die Bewegung bis zur Uebertreibung geht, wäre eine Schule für den künftigen Regenten, wie keine andere. Die Notwendigkeit, sich von dem Guten und Schlimmen jeder Partei zu überzeugen, selbst den einzelnen nicht für gleichgültig zu halten, in Wechselwirkung mit allen zu treten, würde jene Beweglichkeit des Geistes erzeugen, die im Feststehen nicht passiv und im Fortschreiten nicht übereilt ist. Die Söhne des Erzherzogs, talentvolle, aber vereinsamte Prinzen, würden hier erst ihre Erziehung vollenden, und leicht dürfte aus ihnen ein Regent hervorgehen, dem Stammvater des Hauses, Rudolf von Habsburg, gleich, der eine neue, aber trotz ihrer Neuheit, oder vielmehr durch ihre Neuheit geregelte Zeit über Deutschland brachte.

Oestreich hat sich dem materiellen Fortschritte angeschlossen, aber die vervollkommten Beförderungsmittel werden erst dann einen Sinn haben, wenn der Geist des Fortschritts nicht nur die Bahnen aussteckt, sondern auch im Wagen mitfährt.

(1848.)

1.

Die Leute sagen mir: nun habt ihr die Preßfreiheit, nun schreib! sprich zum Volke! Aber zu schreiben aus keinem andern Grunde, als weil man die Preßfreiheit hat, käme mir vor, wie ein junger Kadett, der zum erstenmale einen Säbel an der Seite hat und der nun glaubte, er müßte ihn nun gleich auf der Stelle gegen irgend jemand brauchen. Die Preßfreiheit ist ein scharfes Schwert, laßt es uns nur ziehen, wenn die Not es erheischt. Aber die Not war schon da! – Allerdings. Ich hatte auch die Feder schon halb aus der Scheide gezogen. Anfangs wollte ich dem Volke sagen: Sei mutig! – aber sie waren mutig. Als später die Zugeständnisse etwas zögernd auf sich warten ließen, wollte ich sie zur Mäßigung ermahnen – aber sie waren mäßig. Zuletzt schien's mir notwendig, zu warnen, man möge über den Starrsinn halb wahnsinnig gewordener Ratgeber nicht die sprichwörtlich gewordene Milde, das Wohlwollen des regierenden Hauses vergessen; als ich aber auf die Straße kam, fuhr der Kaiser eben durch die kurz noch halbempörte Stadt, und das Volk jubelte ihm entgegen, wie einst als Kronprinz, als er nach einer todesgefährlichen Krankheit das erste Mal sich wieder öffentlich zeigte; als ob die letzten Jahre des Druckes gar nicht dagewesen wären. Da dachte ich mir: Was soll man einem Volke sagen, das durch einen glücklichen Instinkt überall das Rechte selbst herausfindet?

Ich war immer stolz, ein Oestreicher zu sein. Wenn mir litterarische Freunde über unser Zurückgebliebensein in der Bildung klagten, und wie das übrige Deutschland geringschätzig auf uns herabsehe, so dachte ich mit Georg in Götz von Berlichingen: Guckt ihr –! und so weiter. Gesunder Menschenverstand und Natürlichkeit der Empfindung sind unscheinbare Güter; wer sie aber durch nachgeplapperte Theorien und unfruchtbare Vielwisserei verloren hat, ist übler daran, als wer auf sie allein beschränkt ist. Ich war immer stolz, ein Oestreicher zu sein. Ich habe nie im Auslande drucken lassen, nie stand ein Wort von mir in den deutschen Journalen. Selbst die Zensurgesetze habe ich geachtet, weil ich glaubte, es zieme dem rechtschaffenen Manne, sich den Gesetzen seines Vaterlandes zu fügen, gesetzt auch, sie wären absurd. Und sieh da, der Tag ist gekommen, wo ihr meinen Stolz gerechtfertigt. Ihr habt euch in diesen letzten Tagen als Oestreicher benommen, als ein Volk, das Kopf und Herz im rechten Gleichgewicht hat, keines das andere unterdrückend und beide einander dienend.

Und doch möchte ich ein Wort der Warnung sprechen.


2.

Meine Mitbürger!

Ihr habt ein heldenmütiges Werk vollbracht und niemand kann euch seine Bewunderung versagen. Selbst wer die Gesetzlichkeit, ja Ersprießlichkeit bezweifelte, müßte sich gefangen geben, von der Ueberzeugung der Notwendigkeit. Ein Zustand, der nicht dauern kann, trägt in sich die Erlaubnis zur Aenderung. Ich selbst habe weder an der Einleitung noch an der Ausführung teilgenommen. Zu letzterer bin ich nicht körperkräftig genug, zu ersterer – gerade herausgesagt – zu gewissenhaft. Derlei Wetten mit der verhüllten Zukunft erfordern junge freudige Herzen, oder alte schwindelnde Köpfe.

Ihr habt erreicht, was vor acht Tagen noch ein Märchen schien. Wenn in den Zugeständnissen noch manches unbestimmt erscheint, so habt ihr glücklicherweise – oder leider – die Staatsgewalt in eine Lage gesetzt, daß sie alle Rückhalte aufgeben muß. Aber hemmt nicht länger den geordneten Gang der Regierung. Der östreichische Staat besteht nicht wie Frankreich oder Spanien oder selbst Preußen und Bayern aus einer einzigen, in sich einigen Nation. In diesem alten, ziemlich baufälligen Gebäude wohnen viele sich halb fremde Menschen, und die jetzt herrschende Influenza der Nationalitäten begünstigt, ja fordert heraus zu Spaltungen und Parteien. Diese Ungarn, von denen ihr glaubt, sie kämen euch beizustehen, sind nur gekommen, um für eigene, uns und ihnen gleich verderbliche Zwecke die Verlegenheit zu benützen, in die ihr die Regierung gestürzt habt.


3.

Meine Freunde und Landsleute!

Viele von euch haben mir von jeher Achtung gezeigt, und die mich näher kennen, kennen mich als ehrlichen Mann. Ich habe daher ein Recht auf euer Zutrauen. Wenn ich mich bisher nicht öffentlich vernehmen ließ, so geschah es, weil ich bei sonst nicht üblen Fähigkeiten, mir die Eigenschaften und Kenntnisse eines politischen Mannes nicht zutraute. Ich glaube, die große Mehrzahl von euch sollte ein ähnliches Mißtrauen in sich fühlen. Die Dinge nehmen übrigens eine so bedrohliche Gestalt an, daß das Politische in den Hintergrund tritt und die natürliche, die materielle Gefahr sich furchtbar Platz macht.

Die mit jeder Staatsumwälzung verbundenen ersten Unruhen sind vorüber. Ihr habt euch dabei vortrefflich benommen und meinen alten Stolz auf mein Vaterland glänzend gerechtfertigt. Nach kurzem Stillstand aber treten diese Unruhen von neuem ein. Diesmal durch nichts gerechtfertigt, vielmehr durch alles mißbilligt, was dem Menschen teuer und heilig ist.

Vor allem die Ehre!

Ihr glaubt mit dem Urteile über die gestürzten Gewalthaber schnell fertig zu sein, wenn ihr sie als Verräter und Bösewichte bezeichnet. Sie waren es aber nicht. Sie waren, obgleich vom alten System geblendet, in ihrer Art gutwillige, ja rechtschaffene Männer, die nur glaubten, teils daß die neuen Ideen auf den bunt und lose zusammengefügten östreichischen Staat keine Anwendung litten, teils daß ihr selbst für die Freiheit noch nicht reif wäret. Gebt ihnen nicht recht durch euer Toben. Die eine Hälfte ihrer Voraussetzung ist eingetroffen. Der nicht mehr durch zwingende Gewalt zusammengehaltene Staat droht zu zerfallen. Gönnt ihnen nicht den Triumph, auch euch richtig beurteilt zu haben! Reif zur Freiheit ist nur, wer sich selbst zu beherrschen weiß. Sollen sie glauben, ihr vermöchtet es nicht?

Aber nicht nur die verbannten Gewalthaber, auch die übrige Welt hat euch bisher schief beurteilt. Man hat euch als genußsüchtig, leichtsinnig, gedankenfaul verschrieen. Euere neuerlichen Demonstrationen und Katzenmusiken nehmen einen Charakter der pöbelhaften Lustigkeit an, der die Welt sicher in ihrer Meinung bestärken dürfte. Der Zweck dieser Ruhestörung mag ernsthaft sein, das äußere Gewand aber ist bei den Chorführern Roheit, und bei den von außen Zuströmenden Spaß. Werft nicht einen Schatten auf eure ruhmwürdige erste Freiheitsbewegung, indem ihr der zweiten den Anschein der Straßenunterhaltung gebt.

So viel von dem Unwürdigen dieser Vorgänge, nun zu dem Schädlichen, ja Verderblichen.

Begreift ihr nicht, daß ihr das Geschäft der Feinde unseres Gesamtverbandes treibt? Hier ist nicht von Frankreich oder andern äußern Feinden zu sprechen, die das Zerfallen unserer Staatsgewalt mit Wollust anschauen; habt ihr nicht gesehen, wie eure ersten durch die Not gerechtfertigten Unruhen von den hastigen Leitern eines Brudervolkes benützt wurden, um ein Teil der Monarchie beinahe ganz vom Stammkörper zu trennen? Wollt ihr ähnlichen Bestrebungen anderer Teile der Monarchie eine gleiche Widerstandslosigkeit zubereiten? Ihr bemüht euch um die gute Einrichtung eines Staates und fragt nicht, ob, wenn die Einrichtung fertig ist, auch noch ein Staat übrig sein werde?

Ihr seht den Widerwillen der verschiedenen Nationalitäten, sich von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte regieren zu lassen, und ihr verstärkt noch diese Ungeneigtheit, indem ihr die Widerstrebenden glauben macht, diese Regierung werde ihrerseits wieder von Straßenaufläufen und Katzenmusiken regiert. Die euch nur schwer als Brüder, als Söhne eines gemeinschaftlichen Vaters anerkennen wollen, sollen nun Straßenpöbel sich als ihrem Herrn unterwerfen?

Ihr setzt Minister ein und ab wegen Vorgängen, die ganz außer dem Bereich ihrer amtlichen Vorherbestimmung liegen, über Vorgänge, so unbedeutend an sich, daß sie eher vor den Richterstuhl der konventionellen Höflichkeit als der ministeriellen Verantwortlichkeit gehören. Ihr setzt Männer ab, die mit ehrenvollen Wunden bedeckt und geschmückt mit der Achtung der Welt, sich schon dadurch als eure Freunde bekunden, daß sie von euren frühern Gewalthabern angefeindet und nach Möglichkeit von den Geschäften entfernt wurden. Sollen die notwendigen Eigenschaften eurer künftigen Staatsmänner nicht Kopf und Herz, sondern feste Nerven und Schamlosigkeit sein, um die Unbilden und das Geheul der Menge standhaft ertragen zu können?

Weil ein Geistlicher geistliche Dinge von seinem beschränkten Standpunkt beurteilt, weil ein untergeordneter Beamter nicht da kurzweg entscheidet, wo ihm keine Entscheidung zusteht, glaubt ihr euch mit der Rückkehr eines vertriebenen Ordens bedroht. Aber, meine Freunde, nicht von Parteien und Advokaten hängt die Entscheidung ab, sondern von dem Richter. Die Ligorianer werden nicht mehr zurückkommen.


4.

Meine Freunde und Landsleute, besonders von der akademischen Legion!

Ich habe in der gegenwärtigen Epoche noch nie öffentlich zu euch gesprochen. Wenn ich es unterließ, so geschah es aus einem gerechten Mißtrauen in meine Befähigung. Von allen Gebieten des menschlichen Geistes lag mir keines ferner als die Tagespolitik. Ich sage Tagespolitik. Denn die Politik der Jahrhunderte, welche man Geschichte heißt, und die Natur des menschlichen Geistes, der sich gleich bleibt, trotz aller anscheinenden Verschiedenheit, war das angestrengte Studium meines nun siebenundfünfzigjährigen Lebens. Wenn ich demungeachtet an meiner Berechtigung zweifelte, so wünschte ich nur, ihr und eure Schriftsteller fühlten ein ähnliches Mißtrauen in sich selbst.

Aber die Dinge sind auf einen Punkt gekommen, daß jeder Vernünftige, der nicht in der Aufregung ist, in der ihr seid, die gräßlichen Folgen leicht voraussehen kann. Ich würde meine Pflicht als Bürger zu verletzen glauben, wenn ich schwiege.

Also was wollt ihr? Was hofft ihr? Ist das, was ihr wollt, erreichbar durch die Mittel, die ihr anwendet, oder macht ihre Anwendung nicht vielmehr das unmöglich, was ihr wollt?

Ihr wünscht, daß der Kaiser nach Wien zurückkehre, und ich wünsche es mit euch. Aber kann er es unter diesen Umständen? Würde ihm in unsern Bruderländern noch irgend jemand gehorchen, wenn man ihn unter dem Einflusse eurer Barrikaden und Bajonette glaubt?

Solltet ihr euch über die Abwesenheit des Kaisers damit trösten, daß wenigstens das Ministerium des Gesamtreiches in unsern Mauern ist, so bedenkt, daß dieses Ministerium bereits abgedankt hat und nur provisorisch sein Amt verwaltet. Sollte der Kaiser, was Gott verhüte, sich einem andern Landesteile in die Arme werfen, so wird es bald an einem neuen Ministerium nicht fehlen, und ihr habt dann nur vier Privatleute mehr in euern Mauern, die außer denselben so ohnmächtig sind als ich und ihr.

Wien ist nur die Hauptstadt der östreichischen Monarchie als Sitz der Gesamtregierung. Dies geistige Band gelöst, bleibt es nur noch die bevölkertste Stadt von Niederöstreich, und es ist bloß die Macht der Gewohnheit, wenn Wiener-Neustadt und St. Pölten sich für minder berechtigt halten als wir.

Ihr glaubt den Kaiser in den Händen der Aristokratie und fürchtet Reaktionen. Meine Freunde, der Adel kann sich wohl noch in den Antichambern breit machen, aber seine Stellung wird der künftige Reichstag bestimmen, und sie dürfte keine glänzende sein. Was aber die Reaktionen betrifft, so fürchte ich, ihr selbst seid die größten Reaktionäre. Wenn erst der friedliche Bürger glaubt, unsere Unordnungen seien die Folgen der Freiheit, so wird bald die Mehrzahl den frühern, in den Märztagen glücklich abgeschüttelten Zustand bedauern, ja endlich wohl gar zurückwünschen.

Die akademische Legion ist entrüstet, weil man sie mit Gewalt entwaffnen wollte. Ich weiß nicht, ob man das und wer es gewollt hat. Aber für jeden Fall habt ihr widerstanden und seid siegreich hervorgegangen. Eure Ehre als bewaffnete Macht ist gerettet. Aber nun vergeßt nicht den zweiten Teil eurer Bestimmung: schützt die Ordnung und Sicherheit der Stadt. Sind diese Barrikaden zu euerem Schutze gebaut, so macht sie überflüssig, indem ihr euch selbst auflöst. Vollbringt das Opfer, das ihr schon einmal angeboten. Kein rechter Mann läßt sich zwingen; aber freiwillig sich dem allgemeinen Wohle unterordnen, ist der Heldenmut des echten Bürgers. Uns erschreckt das Militär nicht, das ihr entfernen wollt, ja wir dürften es nötig haben bei der Entwicklung früherer Unvorsichtigkeiten, die mit den Barrikaden im nächsten Zusammenhange stehen und ich nicht näher bezeichnen will. Noch dazu ist das Militär inner der Stadt minder gefährlich, als außerhalb, denn die Staatsgewalt muß es verpflegen. Es gibt aber in der Kriegskunst ein Mittel, Festungen und Städte zu bezwingen, ohne einen Schuß zu thun und zwar durch militärische Besetzung der Kommunikationswege außer der Stadt. Ueberschätzt eure Macht nicht. Bürger und Nationalgarde werden bald zur Besinnung kommen. Welche Verbündete wollt ihr dann berufen? Ich schaudre, es zu denken. Macht nicht, daß der Segen, den wir über euch in den Märztagen gesprochen, sich in Fluch verkehre, in Fluch, den die Nachwelt teilen würde und ihr selbst, zehn Jahre später. Tretet ab, da ihr es noch mit Ehren könnt. Die Gewalt der Ereignisse ist furchtbar, und mancher hat als Verbrecher die Bahn verlassen, die er als Held betrat.

Was ich euch hier sage, würde jeder von euch sich selbst sagen, wenn die Aufregung ihm nicht die Besonnenheit raubte.


(1848.)

Die Schurken sind immer praktisch tüchtiger, als die ehrlichen Leute, weil ihnen die Mittel gleichgültig sind.

*

Das Grundübel unserer Zeit ist die historische Abschätzung der moralischen Handlungen. Die Vergangenheit darf und soll historisch beurteilt werden, weil sie fertig vor uns daliegt und wir nichts dazu oder davon wegthun können. Handlungen aber, die in die Zukunft hinausreichen, unterliegen der moralischen Beurteilung, aus dem einfachen Grunde, weil wir für die Folgen nicht einstehen können. Gutes aus Ueblem hervorzubringen ist die Sache Gottes oder des Weltgeistes, oder wie man es sonst nennen mag.


(1849.)

Herr Professor Palacky ist wahnsinnig geworden. Er stellt in einem ernsthaft gemeinten Aufsatze in diesen Blättern an die Regierung die Anforderung, den einzelnen Kronländern eigene Ministerien des Innern, des Unterrichts u. s. w. zu gewähren. Er ist also durch die letzten Erfahrungen in Ungarn nicht belehrt worden. Glaubt er nun, daß die Regierung, die notgedrungen die Sache in die Hand genommen hat, auf derlei Vorschläge wirklich eingehen werde? Und wenn nicht, was ist seine Absicht mit jenem Aufsatze? Will er nur der Eitelkeit seiner Landsleute schmeicheln und seiner eigenen dazu? Die Lage ist zu ernst für derlei Spielereien. Oder will er Unzufriedenheit mit der Regierung erwecken, indem er sie hindert, auf dem konstitutionellen Wege fortzugehen, den sie eingeschlagen und, wie wir glauben, redlich einhalten will? Will er die baldige Zusammenberufung der Reichsstände unmöglich machen und Ausnahmszustände verlängern, deren Aufhören jeder Rechtschaffene wünscht? Das wäre boshaft, und die Voraussetzung von Wahnsinn wäre noch ein Lob gegenüber der von Heimtücke.

Glücklicherweise aber ist Herrn Palackys Gesinnung nicht die der Mehrheit seiner Landsleute, sondern nur einer kleinern Fraktion, der Partei der germanisierten Tschechen. Nachdem sie alles, was sie wissen und können, von den Deutschen gelernt haben, ahmen sie ihnen, zum schuldigen Danke, auch ihre neuesten Narrheiten nach. Denn woher stammt dieses Geschrei von Nationalität, dieses Voranstellen von einheimischer Sprach- und Altertumswissenschaft anders als von den deutschen Lehrkanzeln, auf denen gelehrte Thoren den Geist einer ruhig verständigen Nation bis zum Wahnsinn und Verbrechen gesteigert haben? Dort ist die Wiege eurer Slavomanie, und wenn der Böhme am lautesten gegen den Deutschen eifert, ist er nichts als ein Deutscher, ins Böhmische übersetzt.

Glücklicherweise aber, wiederhole ich, gibt es noch einen Kern der Nation, der von diesem slavischen Deutschtum nicht angesteckt ist. Es sind jene eigentlichen Tschechen, verständig natürliche Menschen, die ihre Sprache reden, weil sie eben ihre Muttersprache ist, aber auch nichts dagegen hätten, sich einer andern zu bedienen, wenn sie zufällig zehn Meilen weiter rechts oder links geboren wären. Sie wissen, daß die Sprache allerdings ein hohes Gut des Menschen ist, daß aber sein Wert in dem besteht, was er denkt und will, nicht in den Lauten, in denen er beides ausdrückt. Sie wissen, daß jahrhundertalte Verhältnisse sich nicht auf gutdeutsch durch einen täppischen Enthusiasmus über Nacht aufheben lassen, und daß Gleichberechtigung nicht eins und dasselbe ist mit Gleichgeltung, so wie mein Eigentum gleichberechtigt ist mit dem des Fürsten Liechtenstein, was aber nicht hindert, daß er ebensoviele Millionen besitzt, als ich Hunderte. Es fällt ihm nicht ein, zu glauben, daß sein von ein paar Millionen gesprochener Dialekt sich je von dem Einflusse einer der vier oder fünf herrschenden Weltsprachen werde freihalten können, und wenn man ihm sein Böhmisch durch das Prädikat Slavisch in den Adelsstand erheben will, so lacht er ungläubig, wie der Engländer lacht, wenn ihn ein Berliner Sprachgelehrter als germanischen Stammverwandten in seine deutsche Familie aufnehmen will. In der Erziehung seines Sohnes endlich hat er nicht Lust, ihn auf vaterländisches Salz und Brot zu setzen, wenn hart daneben eine reich besetzte Tafel die nahrhaftesten Speisen darbietet, noch glaubt er ihn auf eine böhmische Universität geschickt zu haben, wenn der Professor für seinen böhmischen Vortrag sich vorher aus deutschen Büchern vorbereiten und der Schüler in denselben deutschen Büchern sich Rats erholen muß, ob sein Lehrer sie richtig verstanden oder nicht.

Ich stelle die Sprachfrage voran, weil Herrn Palackys Begeisterung wesentlich eine neudeutsche, d. h. antiquarisch-litterarische ist. Das Wohl und Wehe seiner Landsleute liegt ihm weniger am Herzen, als die Sprache, in der sie über ihr Unglück jammern.


(1852.)

Ein Aufstand noch ist notwendig, und das ist der der Slaven in Ungarn, hervorgerufen durch das unsinnige Magyarisieren der herrschenden Partei; denen muß man dann zu Hilfe kommen und das ganze Land in die Vereinigung der allgemeinen Stände hereinziehen.


(1857?)

Wenn man eine Regierung haßt, so ist das (besonders da man sie dann gewöhnlich auch fürchtet) bei weitem nicht so gefährlich, als wenn man sie verachtet. Oestreichs Unglücksfälle in letzterer Zeit stammen größtenteils aus dieser Quelle: die in sich unverbundenen Nationalitäten schämen sich ihr anzugehören. Die Regierung mag sich mit ihren kirchlich bigotten Bestrebungen hüten, dieses Gefühl nicht von neuem wieder zu erwecken.


(1868.)

Jedermann ist darüber einig, daß das Konkordat in Oestreich ein großes Unglück für die Unterthanen war, weil es die Erziehung, den Unterricht, die Ehe, alle bürgerlichen und menschlichen Verhältnisse mehr oder weniger unter die Herrschaft einer Kirche gebracht hat, die notgedrungen ist, sich aller Verstandesentwicklung entgegenzusetzen, weil nur der Unverstand ihre übernatürlichen Voraussetzungen annehmen kann. Das ist aber nur die eine Hälfte des Unglücks, das Uebel nach unten. Das Uebel nach oben ist, daß die Kirche sich die Vorzüge nicht schenken läßt, sondern etwas dafür gibt: das göttliche Recht des Monarchen. Das ist nun die reine Despotie. Der Monarch kann alles thun, was ihm beliebt, und ist nur seinem Gewissen und denen also, die sein Gewissen dirigieren, verantwortlich. Ueber den Satz: Wem Gott ein Amt gibt, gibt er auch Verstand, lacht jedermann; denn Gott gibt die bürgerlichen Aemter nicht, sondern die Menschen geben sie, und die Menschen können wohl ein Amt geben, aber die Fähigkeiten dazu nicht. Aber wenn Gott selbst dem Monarchen das Amt gibt, so kann und muß er ihm dazu auch die Fähigkeiten geben. Daher entsteht nun nebst der Willkür auch der Eigendünkel, die Meinung, alles besser zu verstehen, der dieses Land zu Grunde richten wird und den guten Anfang dazu bereits (1859) gemacht hat.


Entwurf einer Verteidigungsschrift nach der Aufhebung der Ludlamshöhle.

(1826.)

Es ist im Gesetze nirgends verboten, daß Personen sich vereinigen in einer unschuldigen Absicht, als die ist, sich anständig zu unterhalten.

Es ist nirgends verboten, daß ein solcher Verein sich über gewisse Regeln des Verhaltens vereinige, die bloß Unordnung verhüten und Ausartung in Ungezogenheit und Roheit vorbeugen sollen.

Es ist nirgends geboten, derlei unschuldige und unbedeutende Regeln des Verhaltens der Behörde anzuzeigen. Das Gesetz verbietet bloß, sie zu verheimlichen.

Jede Verheimlichung setzt aber eine vorhergegangene Frage oder eine Pflicht zur Anzeige voraus; letztere, wie gesagt, ist im Gesetze nirgends angedeutet. Verheimlichung ist eine Begehung, Nichtanzeige eine Unterlassung.

Nachdem die Polizei die Ludlam über patriotische Beiträge abquittiert, und die Gabe als von der Gesellschaft kommend, in der Zeitung eingerückt, hatte sie die Gesellschaft stillschweigend anerkannt.

Das Ganze beruht auf einem Fehler der Polizei: da die Mitglieder der Gesellschaft eine Pflicht zur Anzeige nicht hatten, wohl aber die Polizei eine Pflicht, sich um die Verhältnisse eines Vereines zu bekümmern, der mit ihrem Vorwissen sich versammelte, als Gesellschaft Geld an sie abführte, so hätte sie, bevor sie das Bestehen des Vereines durch Aufführung in der Zeitung anerkannte, früher seine Einrichtung genauer untersuchen und sich von deren Unbedenklichkeit überzeugen müssen. Von dem Augenblicke, als die Wienerzeitung die Gabe der Gesellschaft, die sich täglich in der Wohnung des Gastwirtes Heidvogel versammelt, aufführte, bekam jedermann ein Recht der anerkannten Gesellschaft beizutreten.


Entwurf des Ehrenbürger-Diploms der Stadt Wien für den Grafen Radetzky

(7. August 1848.)

Wir Gemeindeausschuß und Magistrat der Haupt- und Residenzstadt Wien beurkunden hiermit: Graf Joseph v. Radetzky, Feldmarschall und Großkreuz des Theresienordens, hat durch mehr als zwei Menschenalter an allen Waffenthaten der östreichischen Armee, als Schwert und Schild, durch Tapferkeit und Feldherrneinsicht, ruhmvollen Anteil genommen.

Von den Türkenkriegen der Achtzigerjahre bis zu den Befreiungsschlachten von Kulm und Leipzig ist kein glorreiches Ereignis, das nicht ihn, das nicht er gleichmäßig verherrlichet hätte.

Auf die höchste Stufe des Krieger- und Bürgerruhms hob ihn aber die jüngste Vergangenheit, als sein Name und sein Heer der alleinige Ausdruck von der einst gefürchteten Macht Österreichs waren, als er in zwölf Tagen, deren jeder ein Sieg, einem jahrelang vorbereiteten tückischen Ueberfallskriege ein Ende machte, und sich jenen Helden anreihte, die als Wiederhersteller des Vaterlandes im Gedächtnisse der spätesten Enkel fortleben. Die Meinungen der Zeit verschlingt die Zeit, was aber alle Zeiten groß genannt haben, steht unerschüttert in jedem Wechsel.

Zum bleibenden Zeichen der Dankbarkeit, welche mit dem ganzen Vaterlande auch diese Stadtgemeinde dem größten Feldherrn unserer Zeit, der Zierde Oestreichs, dem Stolze Deutschlands schuldig zollt, haben wir, Gemeindeausschuß und Magistrat der Haupt- und Residenzstadt Wien, uns selber ehrend, dem Grafen Joseph v. Radetzky das Ehrenbürgerrecht der Haupt- und Residenzstadt angeboten und verliehen, demselben die Rechte eines Ehrenbürgers der Stadt Wien eingeräumt und seinen ruhmvollen Namen als den Ersten in dem goldenen Buche der Ehrenbürger der freien Kommune Wien eingezeichnet.

Zur Urkund und Bekräftigung dessen haben mir gegenwärtiges Diplom ausgefertigt, unterzeichnet und mit unserem Siegel versehen.


Entwurf der Adresse des Verwaltungsrates der Wiener Nationalgarde an den Grafen Radetzky.

(1848.)

Eure Excellenz!
Hochverehrter Herr Feldmarschall!

Die freie Stadtgemeinde Wien hat sich selbst geehrt, als sie beschloß, Euer Excellenz Namen dem Verzeichnisse ihrer Bürger voranzusetzen. Wenn die friedliche Bevölkerung dem Manne ihren Dank ausdrückt, dessen Thaten und Name die beste Bürgschaft der wiederkehrenden Ruhe waren, so fühlte schon damals, als die Kunde der ersten entscheidenden Siege in Italien zu uns drang, jener Teil der Bewohner von Wien, dessen Aufgabe es war, der Anarchie mit den Waffen in der Hand entgegenzutreten, und welcher noch am 23. August für Ordnung und Recht sein Blut verspritzte – die Nationalgarde Wiens – sich gedrungen, Eurer Excellenz die anerkennende Bewunderung der weltgeschichtlichen Thaten des östreichischen Heeres in Italien und ihres unsterblichen Führers auszusprechen. Indem sie es wagen, dem Sieger von Custozza, der jüngst bei Novara neue unverwelkliche Lorbeeren errungen, dieses Schwert, das Sinnbild und Werkzeug des Sieges – darzubringen, ist ihr Wunsch, daß Eure Excellenz bei dem Anblicke dieses Schwertes jetzt und noch eine Reihe von Jahren gedenken mögen, wie nicht Mangel an Mut und Hingebung jene Greuel in Wien verschuldet, vielmehr die rollende Zeit im ersten Absturze unaufhaltbar sei, es wäre denn von einer Heldenfaust gleich Radetzkys.


Entwurf eines Trinkspruches auf Seine Majestät Kaiser Franz Joseph I.

(Sliacz 18. August 1851.)

Ich trinke die Gesundheit unseres Kaisers und Herrn, als eines Leuchtturms in unserer sturmbewegten Zeit, als einer Fahne, um die sich alle Rechtgesinnten scharen mögen, um nicht vereinzelt zu unterliegen in dem Streite gegen den Wahnsinn und das Verbrechen; die Gesundheit dessen, der jung genug ist, um nicht die Fehler eines veralteten Systems als Gewohnheit in sich zu tragen, und alt genug, um den Geist der Zeit von dem Geiste der Mode zu unterscheiden, den die Vorsehung mit allen Gaben ausgerüstet hat, die ihm nötig sind und uns: mit der Frömmigkeit des Christen, der Tapferkeit des Kriegers, dem Wohlwollen des Menschen, der Festigkeit des Mannes, an den jeden schon die Sorge für das eigene Wohl fesseln würde, wenn nicht die von den Vätern ererbte Treue heilige und daher, will's Gott, festere Bande knüpfte. Oft möge ihm der heutige Tag zurückkehren, der sein Geburtstag ist und zugleich der Tag der Wiedergeburt unseres schönen gemeinsamen Vaterlandes.

Glück und Segen über Franz Joseph, den Gott für uns gewählt, und den unsere Herzen bestätigt.


Entwurf einer Adresse des Herrenhauses an Seine Majestät Kaiser Franz Joseph I.

(1861.)

Eure Majestät!

Das treugehorsamste Herrenhaus des Reichsrates hat mit freudiger Bewegung die Mitteilungen vernommen, die das Staatsministerium im Auftrag Eurer Majestät bezüglich der ungarischen Wirren an dieses Haus gelangen ließ.

Wir haben daran nach zwei Seiten die Festigkeit des Fürsten bewundert, der sein angestammtes Recht zu bewahren, aber auch auf dem eingeschlagenen constitutionellen Wege zu beharren entschlossen ist.

Wir preisen die Friedensliebe, die ungeachtet so viel Trotz und Ungebühr, den Weg der künftigen Verständigung noch immer nicht für verschlossen hält.

Wir erkennen die Vorsorge des Vaters, der einer teils irregeleiteten, teils eingeschüchterten Menge jene Reue im voraus zu ersparen wünscht, welche der Vorhalt aller Interessen und die Vereinsamung in der Welt der Bildung auch über jene bringen wird, die jetzt Ordnungslosigkeit für Freiheit und Starrsinn für Beharrlichkeit zu halten scheinen.

Möge bald auch jenseits der Leitha wieder ein Strahl der Bruderliebe erwachen, die uns erfüllt und durch Jahrhunderte aus allen Stämmen Oestreichs ein einiges und zufriedenes Volk gemacht hat.


Entwurf einer Adresse an Ihre Majestät Kaiserin Elisabeth bei ihrer Rückkehr aus Madeira.

(1862)

Ehrfurchtsvoll und freudig begrüßen wir Sie wieder in der Mitte der Ihren.

So übertrieben die Gefahr sein mochte, von der wir Sie bedroht glaubten, in unsrer Besorgnis war sie wirklich und wahr, und wir preisen jetzt als eine Rettung, was doch nur eine Erhaltung war.

Allein nicht nur für Ihr hohes Selbst, auch für Ihren Gatten, den Herrscher von Oestreich, bricht mit Ihrer Rückkehr ein neuer Tag an.

Die Zeiten sind so trüb und verworren, daß der Mann nirgends mehr einen Platz des Ausruhns hat, als in seiner Häuslichkeit.

Je höher die Stellung, um so mehr ausgesetzt dem Sturm, von Sorgen umlagert, kann er von dem Tage nichts mehr sein nennen als den Abend.

Seien Sie wieder die Herrin des Hauses, die Mutter langentbehrter Kinder, die Trösterin nach den Mühen des Tages, die erheiternde Freundin, die ausgleichende Milde selbst bei gerechtem Zorn und tugendhafter Entrüstung, eine Vertreterin des Schutzengels über Ihren Gatten und dadurch über uns alle. Oder vielmehr: Seien Sie es nicht! Sie sind es.


Entwurf eines Aufrufes zu Beiträgen für das Tegetthoff-Denkmal in Wien.

(1871.)

Ausgezeichnete Männer sind ein doppelter Segen, Einmal fördern sie die Zeit, in der sie wirken. Dann bleiben sie als leuchtendes Beispiel für alle kommenden.

Ein solcher Mann war Vizeadmiral Tegetthoff, den wir eben erst verloren. Ein Seemann, dem nur ein größerer Wirkungskreis fehlte, um sich den berühmtesten Seehelden aller Zeiten anzureihen. Aber dieser weitere Wirkungskreis fehlte ihm, und als Admiral in einem wesentlich festländischen Staate ist er in Gefahr, in kommender Zeit allmählich dem Vergessen anheimzufallen.

Und das wollen mir verhüten. Denn er war nicht nur in seinem Fache, er war in jedem – als Soldat im allgemeinen, als Hochgebildeter in jedem Fache des Wissens, als Geschäftsleiter, als Staatsmann, als Bürger, als Patriot ein Vorbild, und das soll er bleiben.

Da ist denn die Idee entstanden, ihm ein Standbild zu errichten. Und in Wien, am Alserring, gegenüber der Votivkirche, soll es stehen, die aus einem Dankopfer für die Erhaltung des erhabenen älteren Bruders unabsichtlich zu einem Totenmal für den in einem anderen Weltteil so schändlich hingemordeten jüngeren Bruder geworden ist.

Hier, vermischt mit dem Andenken des unglücklichen Kaisers Max von Mexiko, unter dessen Augen sich Tegetthoff gebildet, der ihm als Leiter der Marine die materiellen Mittel für seine Siege vorbereitet, dessen Leiche der Allezeitgetreue in das Vaterland zurückgebracht hat, hier soll er stehen und seinen früheren Wohlthäter und die Ehre des Vaterlandes hüten.

Mögen alle Freunde des Vaterlandes und alle Bewunderer menschlicher Vorzüge die Ausführung des Werkes durch ihre Beiträge möglich machen.

 


 


 << zurück