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(1819.)
Wohin der Leiter eines Gemeinwesens dasselbe bringen kann, wenn ihm Strenge der Grundsätze fehlt, ist Perikles der sprechendste Beweis. Je mehr vorzügliche Gaben ein solcher Lenker hat, um desto gefährlicher, wenn ihm die wichtigste fehlt. Es ist etwas Aehnliches zwischen Perikles und Ludwig XIV. – nicht der Person des letzteren, Gott bewahre mich, den Olympier so zu schänden! – aber dem Geist seiner Regierung, dem siècle de Louis XIV.
(1820.)
Gregor VII. hat in neuerer Zeit wieder seine Verteidiger gefunden. Diese meinen, es wäre der Welt in manchem Betracht zuträglich gewesen, wenn eine geistliche Macht schiedsrichterlich ob der weltlichen gewaltet hätte. Aber – geistliche Macht? äußerlich wirkende, zwingende Macht? Wer hat sie gegründet? Von wo leitet sich der Rechtstitel ihres Bestehens her, eh noch von ihrer Wirksamkeit die Rede ist? – Dann, kann mit Vernunft eine Macht zugegeben werden, deren Mißbrauch dreimal größern Schaden anrichtet, als ihr weisester Gebrauch Nutzen stiften kann? wozu noch kommt, daß es für ihre Wirksamkeit Ersatzmittel gibt, gegen ihren Mißbrauch keinen Schutz. – Ferner: Bei Anordnung und Feststellung menschlicher Zustände und Einrichtungen muß durchaus auf nichts gebaut werden, als was unmittelbar in der gemeinen Menschennatur gegründet ist. Die Triebfeder der menschlichen Handlungen ist aber der Nutzen. Eine Macht aufstellen, deren guter Erfolg allein durch die Mäßigung desjenigen bedingt ist, der sie ausübt, scheint Unsinn. – Dann, wie haben denn die Päpste wirklich die äußere Macht ausgeübt, die man ihnen zugestand oder die sie sich zu verschaffen wußten? – Gehen wir die Reihe der römischen Kaiser und der Päpste durch; waren mehr gewaltthätige Kaiser oder mehr herrschsüchtige Päpste? – Endlich hat die Macht jedes weltlichen Herrschers doch eine Grenze in der Vernunft, im Recht, insofern sich beide in der öffentlichen Meinung aussprechen – in der Religion, wenn man will; aber die Macht des Auslegers der Religion? – Weh der deutschen Nation, daß sie auf die Meinung gekommen ist: der Enthusiasmus, ein herrlicher Hebel in außerordentlichen Fällen, könne als Triebrad bei Einrichtung des gewöhnlichen Zustandes der Dinge in Anschlag gebracht werden. Die Wurzeln müssen in die Erde gelegt und von allen Seiten gesichert sein, Blätter, Blumen und Früchte mögen sich heben ins schöne, aber unbeständige Reich der Luft. – Das ist mir eingefallen bei Lesung der Chronik des Lambert von Aschaffenburg und den Anmerkungen, die der Herausgeber Bucholz darüber macht.
(1831.)
Aehnlichkeit der Bestrebungen Gregors VII. mit denen des Lykurg. Nur war die Verfassung des letztern möglich, denn – der überall schlagendste, hier aber vielleicht einzige Beweis der Möglichkeit – sie bestand wirklich und erhielt sich. Gregors Voraussetzungen existierten nirgends, als in seinem Kopfe. Die Reinheit des Herzens und der Aufschwung der Geister beim Klerus, die allein seinen Plan ohne horreur denkbar machten, war durchaus nie in so hohem Grade und so allgemein vorauszusetzen, und sein System hat höchstens der Form nach ab und zu, dem Gehalt nach aber nicht einen Augenblick bestanden. Die Neuern mögen ihn loben, wie sie wollen, was man ihm an Schurkerei nimmt, muß man ihm an Verrücktheit zulegen.
(1834.)
Vorrede.
»Dieser (der Kern des Lebens) war bei Innocenz: Erkenntnis und Verwirklichung der höchsten Bestimmung des Pontifikats als einer zur Leitung der Kirche und hiermit zum allseitigen Heil des gesamten Menschengeschlechts von Gott selbst geordneten Anstalt.«
»Ob jene Erkenntnis eine richtige oder eine irrige, ob sie dem wohlverstandenen Christentum gemäß oder zuwider, ob sie aus der Lehre seines Stifters zu begründen sei, danach hat der Geschichtschreiber nicht zu fragen?« Gewiß, insofern er weder lobt noch tadelt, sondern bloß erzählt; denn sonst wäre der Alte vom Berge, wären die Menschenopfer des Moloch auch zu rechtfertigen.
Höchst sonderbar, wenn er, im Gegensatz der neuesten Revolutionsstürme die Zeit Innocenz' als eine solche anspricht, welche gegen alle Störungen ein kräftiges Gegengewicht anerkannte, die Gesellschaft durch alle Abstufungen und durch alle Verhältnisse zu einem harmonisch ausgebildeten, darum auch festgegliederten Ganzen sich gestaltete, ein aus dogmatischer Kraft ausgehendes Gravitationsgesetz die Wandelbahn bestimmte. Man sollte denken, er spricht von Arkadien.
Der Verfasser bekennt sich als einen Freund Ludwig Hallers. Gut, wollen sehen!
p. 47 spricht der Verfasser offenbar in jenem abscheulich menschenfresserischen Sinn der ältesten Kirche von dem Sakrament des Altars als einem tremendum mysterium; er nennt diese Ansicht die echt katholische.
p. 48 macht der Verfasser die Hypochondristen, unter die er auch seinen Lothar zählt, zu den gebornen Richtern des Menschengeschlechtes; denn was ist einer, der sein Auge nur auf die Schattenseiten des menschlichen Daseins zu wenden im stande ist, anders als ein Hypochondrist. Ich bin auch ein solcher, wie wahrscheinlich der Verfasser gleichfalls: aber ich bilde mir nicht ein, ein Richter des Menschengeschlechtes zu sein.
Durch Cölibat, Ascetik und Scholastik gezogene Hypochondristen, mit einer im Geschäftsleben hinzugekommenen größeren oder kleineren Beimischung von Eigennutz und Schurkerei, das waren diese weltrichtenden Päpste. Doch will ich mich gern eines andern belehren lassen!
Diese schwarzgalligen Deklamationen aus Innocenz' Werken erschrecken, wenn man denkt, daß sie von einem zum praktischen Eingreifen Bestimmten herrühren . . .
Verteidigung der Kreuzzüge mit Berufung auf den (absurden) Geist jener Zeit. Es wäre unhistorisch, diesen Geist modern zu ignorieren; nichts aber fordert, selbst absurd zu werden, indem man ihn billigt. Was war der Zweck der Kreuzzüge? Des Landes Herr zu werden, dessen Herr Christus selbst nicht sein wollte, da er die Königswürde ausschlug: dann, erobert, wie bewahren? Indem man es als Festung betrachtete, und alljährlich das Herzblut des Abendlandes als Besatzung hineinsandte? Oder, was militärisch und politisch allein denkbar war, indem man auch die rund umher liegenden Völker unterwarf und die lateinische Kirche im Orient mit Gewalt der Waffen zur herrschenden machte. Anderes nicht hat Mahomet gewollt und die Welt hat ihn darob verdammt . . .
p. 439. Ohne dies (diese Kämpfe der Päpste) wäre das Christentum eine jüdische Sekte geblieben! Du hast es gesagt . . .
Dieser Innocenz ist eine Art Wahnsinniger. Wie Don Quixote überall Schlösser, sieht er überall die Kirche.
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Das Buch mit einer Mischung von Bewunderung und Grausen gelesen. Bewunderung über die tiefe Forschung, das ungeheure Quellenstudium, die Einheit und Rundung der Konzeption und Komposition, aber zugleich mit Grauen über den innersten Geist desselben, der, kurz ausgesprochen, der Satz ist: daß konsequentes Handeln nach einer großartigen Idee von aller moralischen Zurechnung befreie. Was zur Rechtfertigung vom Geiste dieser Zeit und der individuellen Ansicht gesprochen wird, wäre ebenso geeignet, dem Alten vom Berge und der spanischen Inquisition das Wort zu führen. Wenn es absurd ist, vom Geist der Zeit keine Notiz zu nehmen, so ist es noch verwerflicher, den Geist einer absurden Zeit zu billigen.
Es hat lange zum Ton gehört, von Innocenz als von einem eigentlichen Bösewicht zu sprechen. Der Verfasser zeigt ihn uns in einem höheren Lichte und gewiß mit Recht. Aber durch Ascetik, Scholastik und Cölibat erzeugte Hypochondrie, der . . .
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2. Band.
Die Vorrede ein erneuter Beweis von der Befangenheit des sonst so trefflichen Mannes. Ausdruck der Begeisterung des Stubengelehrten über die versuchte Realisierung einer Schulidee. Versuchte. Denn Innocenzens Anmaßungen haben das Papsttum für immer vernichtet. Nach seinem Tode flackerte es noch eine Zeitlang fort, brannte und sengte sogar für eine Weile, erlosch aber dann für alle Zukunft. Requiescat in pace . . .
Der Papst macht Versuche, die Russen zur katholischen Kirche zurückzuführen, die aber erfolglos bleiben. Ein eigentlicher geistlicher Don Quixote!
(1835.)
Das Beste, was man für das Papsttum sagen kann, ist, daß für eine so kenntnislose, rohe, alberne Zeit, als das Mittelalter war, eine so brutale, unsinnige, aber nachhaltige Zwangsgewalt noch immer ein Glück zu nennen ist. Menschen mag man lehren und ermahnen, aber für Tiere gehört ein Maulkorb. Objektiv genommen, möchte man sagen: Alles ist gut, was sich erhalten kann, denn es zeigt sich dadurch als mehr oder weniger notwendig: aber es subjektiv verteidigen, wie Hurter gethan, ist eine Schändlichkeit oder Verrücktheit.
König Albrecht II. gilt für einen löblichen Fürsten, am Schlusse seines Buches bezeichnet ihn Kurz auch ausdrücklich als einen solchen, die Darstellung aber ist aus diesem Gesichtspunkte völlig mißraten. Nicht ein guter Zug wird erwähnt, nichts als Verfolgungen, fromme Grausamkeit, mitunter bis zum Empörenden, Schwäche, Kleinlichkeit. Wenn die neuern Deutschen das Mittelalter aufs lächerlichste hervorstreichen, so findet dagegen Kurz gar keine Thüre in dasselbe. Er hat sich eine Art neuer Haarbeutelzeit ideiert, in der er geistig lebt und die ihm den Maßstab für alle Jahrhunderte abgibt. Auch ist sein Stil einmal gar zu schlecht und seine Darstellung stroherner als billig. Uebrigens ein braver Mann und schätzbarer Materialienaufstapler. Das Beste im ganzen Buche – das Konzilium zu Basel, sowie das Schlechteste – die Erzählung der Unruhen während Albrechtens Minderjährigkeit.
(1844.)
Das macht diesen Friedrich IV. so ekelhaft, daß, indes seine Feigheit ihn zu jeder Lösung untüchtig machte, seine Habsucht ihn in immer neue Verwicklungen hineinzog. Von seinem Historiographen EhmelEhmel, Geschichte Kaiser Friedrich IV. Hamburg 1840-43. kann man wohl sagen, daß er unter den Geschichtschreibern ungefähr dieselbe Stelle einnimmt, wie sein Held unter den Königen.
*
Das einzige, was Friedrichen während seiner ganzen Regierung gelungen, ist jene Aussöhnung Deutschlands mit Papst Eugen und Auslöschung der Wirkungen des Basler Konziliums auf dem Fürstentage zu Frankfurt, was aber eben auch nichts war, als eine Rückkehr zum alten Schlendrian und die Ursache der spätern Kirchentrennung ward. Bezeichnend für die Ansichten des Papsttums jene Bulle Eugens vom 6. Februar 1447, in der er alle ein paar Tage früher gegebenen Konzessionen als nicht erteilt erklärt, insofern sie in irgend etwas der Lehre der heiligen Väter, den Privilegien und der Autorität des römischen Stuhles abträglich wären. Eine ärgere Schufterei ist wohl kaum denkbar.
(1836-1838.)
Sicher hat, seinen Vater Friedrich III. ausgenommen, kein Kaiser als solcher eine so erbärmliche Rolle gespielt, als Maximilian I. Seine Privateigenschaften zugegeben, war er doch der eigentliche Don Quizote seines Jahrhunderts und besonders in seinen italienischen Expeditionen steigert sich die Erbärmlichkeit beinahe zum Verächtlichen.
(1819.)
Wie Kaiser Joseph Friedrich II. nachahmte oder vielmehr nacheiferte, so that es zum Teil Karl V. gegenüber von Franz I. Er hätte gar zu gern als Mensch und Held gegolten, aber seine Stellung ließ es nicht zu. Daher seine Ausforderung an den ritterlichen König, seine beinahe allzu unvorsichtige Reise durch Frankreich und sein Aufenthalt am Hofe des Beleidigten; daher sein Zug nach Tunis. Diese Uneinigkeit mit sich selbst, diese, freilich nach einer Seite hin sehr überwiegende Doppelseitigkeit, rieb ihn so ganz auf, als zuletzt die Plane seiner Größe, der er seine Persönlichkeit zum Opfer gebracht hatte, durch Moritzens von Sachsen Abfall, vernichtet wurden. Napoleon wäre in kein Kloster gegangen, wenigstens nicht in einer Lage, die so schlimm war, als die Karls bei seiner Abdankung. Ich begreife nicht, wie man seinen letzten Schritt, ohne eine gewisse Tiefe des Gemüts vorauszusetzen, erklären kann; und doch leugnet man ihm diese gewöhnlich ab.
(1824.)
Das Benehmen Karl V, unmittelbar vor und nach dem Passauer Vertrage ist mir so unbegreiflich nicht, als es manchem zu sein scheint. Seine Lieblingsidee war ohne Zweifel, die Kaiserkrone auf seinen Sohn Philipp und seine Linie überzutragen. Deshalb vor allem suchte er das Reich zu beruhigen, und die protestantischen Fürsten entweder unschädlich zu machen, oder bei so guter Laune zu erhalten als möglich. Hätte er nicht eine Gewährung von ihrer Seite (Ernennung seines Sohnes zum römischen König) von ihnen erwartet, er würde den Sieg bei Mühldorf gewaltthätiger benützt haben, als er wirklich that. Moritzens Doppelzüngigkeit entging dem schlauen Mann gewiß nicht; er wollte aber nur nicht das Licht an beiden Enden anzünden und hoffte wohl Moritzen so lange hinzuhalten, bis seine zweite Herzensangelegenheit: die Reformation der katholischen Kirche, die er von dem Trienter Konzilium erwartete, und welche die Abneigung der Protestanten gegen Vereinigung der beiden Religionen und eine katholische Regentendynastie brechen sollte, vorher zu stande bringen, eh er sich gegen jenen neuen Feind wandte, von dessen zaudernder Verstellung er vielleicht noch sogar gute Dienste im Kurfürstenrat zur Erwählung Philipps zum römischen Könige hoffte. Die Weigerung seines Bruders Ferdinand, jene Krone abzutreten, und das frühe Losbrechen Moritzens machten seine Pläne hinsichtlich der römischen Königswürde scheitern. Von nun an lag ihm am Reiche nichts mehr, und da zu gleicher Zeit Heinrich von Frankreich sich thätig in die Sache mischte, trat Karl nur noch als König von Spanien auf. Als solcher mußte er vor allem das Umsichgreifen der Franzosen zurückweisen und daher schloß er den Passauer Vertrag, ließ die deutschen Sachen gehen wie sie mochten, opferte die Zukunft des Deutschen Reiches für eine ruhige Gegenwart, für die Zukunft Spaniens auf, und suchte den erneuerten guten Willen der deutschen Fürsten nur gegen Frankreich zu nützen. Er marschierte auf Metz.
Eines der schimpflichsten Dinge, die Karl zu diesem letzteren Zwecke that, war wohl sein Vergleich mit dem räuberischen Markgrafen Albrecht von Brandenburg, in welchem er jene Verträge bestätigte, die dieser den Bischöfen von Würzburg und Bamberg durch die Gewalt der Waffen abgedrungen hatte. Als das Kammergericht, dieser Bestätigung entgegen, die Partei der Bischöfe nahm, mußte Karl dem Markgrafen selbst die Unmöglichkeit gestehen, sein Wort zu halten. Wahrscheinlich hat er auch mit jenem Vergleiche nichts gewollt, als durch den Markgrafen seine Widersacher im Reiche beschäftigen. Unwürdig!
Die oben geäußerte Ansicht von den Ursachen der Veränderung in dem Betragen Karls nach dem Passauer Vertrag erhält auch dadurch eine Bestätigung, daß er von dieser Zeit an sich um den Religionsfrieden in Deutschland eigentlich gar nicht mehr kümmerte, und – er, der auf allen andern Reichstagen der erste und letzte war – auf dem Reichstage zu Augsburg, der jenen endlichen Frieden zu stande bringen sollte, nicht mehr erschien, sondern seinem Bruder Ferdinand die ganze Sorge überließ.
(1823.)
Wenn man nachforscht, wer die erste Veranlassung zur kirchlichen Spaltung in Deutschland gegeben hat, so war es Karl des V. Bruder Ferdinand mit den Herzogen von Bayern und einigen Bischöfen, welche auf Antrieb des Kardinal Campeggio zu Regensburg Anno 1524 eine Verordnung gegen die neue Lehre ergehen ließen, statt daß sie auf die Maßregeln des ganzen Reiches gewartet und indes jeder für sich in seinem Lande das ihm dienlich Scheinende veranlaßt hätten, oder vielmehr die unbedeutenden Reformationen des Papstes annahmen, die der Reichstag verworfen hatte, der auf Grundverbesserungen und ein zu dem Ende abzuhaltendes Konzilium drang.
(1856.)
Die Reformation Luthers war – mit Rücksicht auf das Unheil, das die Religionskriege namentlich über Deutschland gebracht haben – schon darum übereilt, weil die philologischen Studien schon angefangen hatten, den Köhlerglauben von allen Seiten einzuengen. Luther war starkgläubiger als der Papst und alle seine Kardinäle. Er hat, indem er den äußern Aberglauben angriff, den innern nur verstärkt und, indem er den Streit hervorrief, nur verhindert, daß das Christentum nach und nach das wurde, was eine Religion erst zum Segen für eine gebildete Zeit macht: eine ehrwürdige Gewohnheit, die man beibehält, weil man nichts Besseres weiß, und ohne in ihre Grundlagen und Beweise näher hineinzugehen. Das ist kein Tadel für Luther und seine Zeit, denn sie wollten das Unleidliche schon gegenwärtig nicht leiden, und es ist ein schlechter Trost für eine Generation, wenn man ihr sagt, es werde in einem Jahrhundert schon von selbst besser werden.
Capefigue, histoire de la Réforme, de la Ligue et de Règne de Henri IV.Paris 1834.
. . . Reuchlin. Gute Bemerkung über die geringe Zahl und Unbedeutendheit der deutschen Gelehrten zu jener Zeit . . .
Das Papsttum erhielt sich so lang, als es der Ausdruck der Bildung der Zeit war, und kein geistiges Bedürfnis über den Kreis desselben hinausging; sobald aber Wissenschaft, Kunst, körperliches und politisches Leben einen eigenen, einen anderen Weg einschlugen, ward es von einem Förderungsmittel ein Hindernis und zerfiel, seiner inneren Stützen beraubt.
Darstellung des Verlaufes von Luthers Reformation ziemlich unbedeutend, was den Gang derselben in Deutschland betrifft.
Besser geschildert der Abfall Englands.
In Frankreich ist er auf bekanntem Boden und wird zusehends bedeutender.
Franz I. und Margarete, seine Schwester, lieben die philosophierenden, der Reform geneigten Geister, lassen aber ungehindert zu, daß sie verbrannt und auf jede Art verfolgt werden.
Franzen werden wohl zu tiefe Motive geliehen, wenn man diesen Widerspruch in seinem Betragen durch die Furcht erklärt, daß der Geist der Untersuchung sich später von der Religion auch auf die Staatsgewalt wenden werde. Er war aber gewohnt, andere in den Geschäften schalten zu lassen und sich mit dem Genuß seiner Stellung zu begnügen, Genuß nicht gerade im niedrigsten Sinne genommen.
Das Hauptübel bei Capefigue ist, daß er den Charakter Luthers nicht versteht, daß er nicht begreift, daß man so rechthaberisch, so heftig, so unbillig als Luther und doch zugleich ein wahrhaft Begeisterter sein kann. Luther bestand so eisern auf seiner Meinung, weil er sie Wort für Wort aus der Schrift geschöpft zu haben glaubte, nicht weil sie die seinige war.
(1822.)
Was für eine vortreffliche Natur dieser Herzog von Sully ist. So wie es ein glückliches Temperament dem Körper nach gibt, das in Fülle ohne Uebermaß besteht, so gibt es auch ein glückliches Temperament der Seele, eine glückliche Mischung der Säfte des innern Menschen. Wie Sully alle lobenswerten Eigenschaften hat, und zwar so, daß immer eine die andere hält und unterstützt, wodurch erst allein alle zur Thätigkeit kommen und eigentlich Wert erhalten. Das: ne quid nimis ist die gefährlichste Klippe für alle außerordentlichen Geister, wo die Tugend aufhört, fängt das Laster an, ja die meisten Laster sind eigentlich nur der Exzeß guter Eigenschaften.
(1835.)
Ich weiß nicht, ob jene Anekdote, die Madame Motteville I, 266 erzählt, in die Geschichte übergegangen ist. Daß König Karl, im Begriff, ins Parlament zu gehen, seiner Gemahlin zusagte: in einer Stunde wolle er frei sein; er gedachte nämlich, seine vorzüglichsten Gegner im Parlamente gefangen nehmen zu lassen. Die Königin sah ungeduldig auf die Uhr, und da die Stunde vorüber war, teilte sie der Gräfin Carlisle jene Worte des Königs mit und bezeichnete die zu Verhaftenden mit Namen. Diese, ohne sich etwas merken zu lassen, geht hinaus und schreibt auf der Stelle einige Zeilen an die Bedrohten. Der König aber war durch einige Bittsteller aufgehalten worden und trat erst ins Parlament, als jene bereits die Zettel erhalten und das Parlament demgemäß gestimmt hatte. Dadurch ging denn natürlich der ganze Anschlag verloren. Madame Motteville versichert übrigens, die Geschichte aus dem Munde der Königin selbst zu haben.
(1859.)
Ich zweifle keinen Augenblick, daß Cromwell trotz seiner Heuchelei und Schurkerei doch wesentlich religionsgläubig war, an das Uebernatürliche der Religion nämlich, mit Uebergehung des Natürlichen, menschlich Begründeten. Das geht auch hervor aus den Briefen des talentvollern seiner Söhne, Heinrich, unmittelbar nach dem Tode des Vaters, an Thurlon (Guizot 5. Bd., S. 12): »Je ne connais personne qui égale mon père, et pourtant lui même ne suffirait pas à une telle tâche s'il n'etait en intime communion avec Dieu.«
(1857.)
Ferdinands Schwäche geht selbst aus HurtersGeschichte Ferdinand II., Schaffhausen 1850 ff. enkomiastischer Darstellung überall deutlich hervor. Daß er z. B. den Wiener Vertrag unterschrieb, gleich darauf aber verlangte, daß er für unwirksam erklärt werden sollte.
Ebenso als der Wiener Traktat (mit Ferdinands Unterschrift) nach Regensburg kommt und die kaiserlichen Räte Ferdinanden erklären, unter diesen Umständen könnten sie nicht mehr gemeinschaftlich mit ihm handeln, bricht er in Thränen aus und ist kaum zu trösten.
Ferdinands Orakel waren, solang sie lebte, seine Mutter und später die Pfaffen.
(1830.)
Daß Gustav Adolf zu Lützen vom Herzog von Lauenburg auf Anstiften des Kaisers sei ermordet morden, reduziert sich schon durch die Bemerkung FörstersF. Chr. Förster, ungedruckte eigenhändige vertrauliche Briefe und amtliche Schreiben Albrechts von Waldstein. Berlin 1828-29. (die einzige gute, die ich bisher in den ersten zwei Bänden gefunden) ad absurdum, daß den Kaiserlichen die Gefangennehmung Gustavs vorteilhafter gewesen wäre, als sein Tod. Wenn er schon ermordet worden (er ist es aber gewiß nicht, sondern zufällig und unerkannt gefallen), so wäre mir der Verdächtigste der, den Förster als am entferntesten von jedem möglichen Verdacht bezeichnet: Bernhard von Weimar.
(1846.)
Dieser Prinz Eugen von Savoyen war wirklich ein außerordentlicher Mensch. Es ist eine Vorurteilsfreiheit und Klarheit der Ansichten in ihm, die durchaus nicht seiner abgeschmackten Zeit angehört. Friedrich der Große steht nicht so isoliert da, als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist.
(1847.)
Gelesen die Briefe des Papstes Ganganelli,Clemens XIV., seine Briefe und seine Zeit, Berlin 1847. Von A. v. Reumont, anonym. vorderhand zur Hälfte. Offenbar ein vollkommen rechtschaffener Mann, freilich mit vorherrschender Weichheit. Schon angesteckt von der Eleganz der damaligen italienischen (oder vielmehr der französischen) Litteratur, dabei aber von einer Innigkeit, ja Strenge des Glaubens, wovon man sich die Möglichkeit, in einer solchen Nebeneinanderstellung, heutzutage kaum mehr vorstellen kann. Die damalige Erziehung und das Klosterleben bietet allein die Erklärung. In der Philosophie, deren Lehrer er war, gerade so weit gekommen, um die Scholastik widerwärtig zu finden, aber ohne Ersatz durch eine andere Anschauungsweise, weshalb er sich wohl auch gar so völlig in das Positive flüchtet. Die Jesuiten nirgends getadelt, aber ein Widerwille gegen die laxen Moralgrundsätze, welche die ihrigen waren, an mehreren Stellen ausgedrückt. Da er alle diese Seiten offen zur Schau trägt, so bleibt es freilich unbegreiflich, wie man, seine Liebenswürdigkeit unbeschadet, glauben konnte, in ihm den rechten Papst für die damalige schwere Zeit gefunden zu haben.
(1855.)
Fouché gibt in seinen Memoiren einen Grund für die Verurteilung Ludwigs XVI., der furchtbar stichhaltig ist, den nämlich: alle Machthaber der Nationalversammlung gleichmäßig zu kompromittieren, so daß keiner an eine Rückberufung der Bourbons ferner denken konnte. Soviel ich weiß, hat das niemand aufgegriffen.
(1838.)
Robespierre, dieser Pedant der Freiheit.
(1841?)
In Robespierre ist etwas, das selten vorkommt, dafür aber auch furchtbar ist, wie nichts zweites: die Exaltation eines kalten Gemütes. Thiers findet den Schlüssel zu seinem Charakter im Neide. Ich glaube, er hat seine Gegner mehr verachtet, als beneidet. Er war der Pedant der Revolution. Er hielt sich allein für klug, weil kein Gefühl Zutritt in seinem Innern hatte. Wenn er Diktator sein wollte, so geschah es, weil er sonst niemand dazu fähig glaubte, und hat er später mit den Feinden Frankreichs oder den Bourbons unterhandelt, so war gewiß weniger Eigennutz die Ursache, als Geringschätzung.
(1822.)
Napoleon, in der Schilderung, die er dem Direktorium von den Generalen seiner Armee macht (Oeuvres I, 58), vergißt bei Aufzählung ihrer Eigenschaften nicht, beizusetzen, ob sie in ihren Unternehmungen glücklich seien oder nicht.
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Fürchterlich ist schon bei seinem ersten Auftreten die Art, wie Napoleon überall nichts sieht als seine Ideen und bereit ist, ihnen alles aufzuopfern. Er ist nicht grausam von Natur, kaum hart, und doch begeht er Härten und Grausamkeiten, wenn die Ausführung seiner Plane es erfordert. Gewiß hat er sich aber aus keiner derselben jemals ein Gewissen gemacht, denn seine Gedanken, immer nur auf die Hauptsache gerichtet, ließen ihm die Nebensachen mit ihrer Rechtlichkeit oder Unrechtlichkeit gar nicht in die Augen fallen. Er ist gewiß ruhig gestorben.
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Was war es denn, was Napoleon zu all seinen ungeheuren Unternehmungen antrieb? – Frankreich, die Welt zu beglücken? Daran hat er wohl nie so eigentlich gedacht. – Nachruhm? Er hat wohl nicht fest genug an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt, als daß die Unsterblichkeit des Namens ein so gewaltiges Motiv für ihn sein konnte. – Was also denn? Das Bedürfnis seines unablässig bewegten Geistes nach immer neuen, nach immer stärkeren Reizmitteln. Es fehlte ihm die Fähigkeit, zu genießen, darum mußte er immer handeln, wenn er sich nicht selbst verzehren wollte. Wie der Branntweinsäufer zuletzt Scheidewasser trinken muß, um nur einen Reiz auf der Zunge zu fühlen, so gingen seine Unternehmungen immer mehr ins Kolossale, bis sie sich im Schrankenlosen verloren. Nicht Ehrsucht war der Hebel, sondern Thatendurst.
*
Was mag er vom Uebersinnlichen gedacht haben? Ueber das Ganze im Zusammenhang dachte er vielleicht gar nicht. Einzelne Erscheinungen erklärte er, wie überhaupt die Phantasie pflegt, außer dem Zusammenhange aus sich selbst, immer mit Außerachtlassung eines höchsten, letzten Grundes, den nächsten ins Auge fassend. So glaubte er an eine Vorherbestimmung und an ein Glück. Das war von jeher die Weise der Thätigen.
*
Was nicht auf den Körper und die Denkkraft sich bezieht, bezeichnet er mit dem Beiwort: morale; in diesen weiten Bezirk gehört der Mut nicht weniger als das Ehrgefühl und die Rechtlichkeit. Napoleon hatte Lieblingsausdrücke, im Jahr 1796 war es das Adjektiv moral.
(1822.)
Eines plagte Napoleon, so wie es mich plagt: eine ungeheuere, bewegliche, den Erfolgen ewig zuvoreilende und sie sodann zurücklassende Phantasie. Das trieb ihn zu immer neuen Entwürfen, zu Planen, die oft an den Wahnsinn zu grenzen scheinen, und ließ ihn doch immer leer. Sein ganzes Leben war ein Ringen, einen Punkt zu finden, auf dem er vergnügt hätte sein können. Das geht auch aus den Memoiren Josephinens hervor. Siehe jene Rede auf dem Teich zu Malmaison.
(1836.)
Napoleon bildete sich ein, er hätte Corneille zum Fürsten gemacht, wenn er zu seiner Zeit gelebt; ich glaube, er hätte ihn auf lebenslang einsperren lassen.
(September 1817.)
Ich las eben das Manuscrit venu de St. Hélène d'une manière inconnueLondon 1817. (von dem ich übrigens nicht begreife, wie man Napoleon selbst den Verfasser davon glauben kann). Nachdem das Ganze bis nahe zum Schluß wie aus ehernen Eingeweiden herausgeflossen ist, so daß man billig zweifeln möchte, ob der, der es geschrieben, außer Knochen und Fleisch denn noch etwas unter der Brust gehabt haben könne, kömmt auf einmal auf der 95. Seite, bei Gelegenheit der Kapitulation von Paris, die Stelle vor: Mais je ne fus pas maître d'un premier mouvement de douleur, en voyant la capitulation de Paris signée par mon plus ancien frère d'armes. Diese Stelle, an sich wenig empfindsam, hätte mir beinahe Thränen gekostet. Unerwartete, sparsam vorkommende Züge von Empfindung rühren. So hat es Homer gemacht, z. B. im 3. Buch der Iliade, wo Helena ihre Brüder unter den Angreifern sucht, aber
– Τοὺς δ' ἤδη κάτεχεν φυσίζοος αἶα
ἐν Λακεδαίμονι αὖϑι, φίλῃ ἐν πατρίδι γαίῃ.
Das sollte man sich anmerken, wenn man Tragödien schreiben will, und nicht das Subjektive ewig herauskehren und nach allen Seiten Rührungen auswerfen.
(1839?)
Madame AbrantesMémoires de la Duchesse d'Abrantes. Paris 1821 ff. bestreitet jene Hesitation, jenes Versagen der Rede und des Entschlusses, das Bourrienne und andere am 18. Brumaire im Saale der Fünfhundert von Napoleon aussprachen. Dagegen läßt sie ihn, da er die Truppen mit einer Anrede begeistern will, dabei keinen Augenblick stille stehn und immer im Zickzack herumgehen, aus Besorgnis vor einem Pistolenschuß. Letzteres ist viel unwahrscheinlicher und mit Napoleons sonstigem Charakter unvereinbarlicher als ersteres. Er hat aber bei großen Unglücksfällen öfter (namentlich bei beiden Abdankungen, beim Rückzug aus Rußland), obgleich immer nur für kurze Zeit, ein Hinter-sich-selbst-zurückbleiben gezeigt, das merkwürdig genug ist. Napoleon wußte den Erfolg zu erschaffen, er hatte ihn aber zugleich notwendig, um der zu sein, der er war. Der Hintergrund seines Wesens, bei aller Verstandesschärfe, war eine riesenhafte Phantasie, die seinen sämtlichen Fakultäten jene alles mit sich reißende Gewalt gab. Wenn diese vis moris durch ein starkes Desappointement außer Wirksamkeit gesetzt wurde, brauchte er immer einige Zeit, sich wieder zu steigern. Er war, trotz seiner scheinbaren Kälte, der Mann des Enthusiasmus, und ein roter Faden von erhabenem Wahnsinn geht durch alle seine Plane.
Madame Abrantes beschuldigt Las Cases der Unwahrhaftigkeit, weil er Napoleon im Memorial jene halblächerliche komnenische Abstammung ihrer Familie bezweifeln läßt, von der er doch überzeugt gewesen sein soll. Sie thut Las Cases unrecht. Denn wie Napoleon im Spiele betrog und die Eigennamen durch Verstümmlung sich mundgerecht machte, so sprach er auch mitunter die Unwahrheit, um durch Weglassung oder Hinzufügung ein Ereignis für seinen klassifizierenden Geist so geläufig zu machen als einen Eigennamen für seinen Mund. Davon sind hundert Spuren in seiner Konversation auf St. Helena. Er wußte zuletzt selbst nicht mehr, was er auf solche Art zu den Ereignissen und Verhältnissen rein hinzugedichtet.
Ich freue mich, daß Madame Abrantes diese mir widerliche femme galante, diese Kaiserin Josephine, in demselben Lichte sieht, in dem sie immer mir erschienen ist . . .
Zugleich der Wahnsinn Alexanders und die berechnende Klugheit Cäsars war in diesem Mann! Er war der verständigste Wahnsinnige, der je gelebt hat.
(1855.)
Die Memoiren von Masséna,Paris 1849-50. obwohl für einen Nichtmilitär ziemlich langweilig, sind doch wieder höchst interessant. Daß im Juli 96 es Augereau war, der Bonaparten bestimmte, gegen Wurmser angriffsweise vorzugehen, indes jener sich hinter den Po zurückziehen wollte, daß später gegen Alvinczy es nur von einem Haare abhing, und der Sieg wäre den Oesterreichern geblieben; ja daß damals, statt von einem durchgreifenden Plan Napoleons, die Niederlage der Oesterreicher vielmehr dadurch veranlaßt wurde, daß sie in einem vereinzelten Bergkriege alles im voraus methodisch anordnen und bestimmen wollten, indes die Franzosen, außer einigen berechneten Punkten, sich tapfer und gewandt herumschlugen, wie es eben gehen wollte.
Das sind sehr merkwürdige Dinge, obwohl einem Oestreicher dabei das Herz im Leibe blutet.
Mr. de Talleyrand voulut donc deux chambres et un pouvoir exécutif. C'est vers ce but, qu'il a constamment marché.Selle, Vie politique du Prince Talleyrand. Paris 1931. T. I, p. 106. In der That? So glaubt man, daß es Talleyrand je um ein Prinzip zu thun war? Zwar in seiner Jugend vielleicht. Später hat er wohl gewiß nur sein Interesse, wenn möglich, ohne zu großen Nachteil des Ganzen, gesucht; wenn mit dessen Vorteil, um so lieber. Talleyrand kann seiner ganzen Natur nach kein Konstitutioneller sein. Man denke sich ihn als Minister in einer Kammer!
(1837.)
Mémoires de Lafayette, tom. I.Paris 1837. Wie kindisch, wie eitel, aber auch wie naiv-gutmütig ist all das Gewäsch, das er dem General Washington schreibt. Wer kann glauben, daß die Auszeichnung, die Lafayetten von letzterem zu teil ward, außer der Neigung zu jener Gutmütigkeit, etwas anderes war als eine Lockspeise für die französische Regierung und dessen Volk? Wie er damals war, ist der Schreiber dieser Memoiren immer geblieben. Er starb als ein altes Kind, immer bereit und geschickt, sich an die Spitze einer jungen Bewegung zu setzen, aber auch immer von ihr ausgestoßen, sobald sie die Kinderschuhe vertreten und die Folgen sich an die Stelle der Ursachen gesetzt hatten.
(1856.)
Die deutschen Geschichtschreiber der Neuzeit sind sehr übel auf Thiers zu sprechen. Was Thiers als Mensch und Intrigant betrifft, mögen sie sehr recht haben. Ebenso, was seine Parteilichkeit für Frankreich und Napoleon angeht. Er hat treu dargestellt, aber lediglich aus französischen Quellen. Dafür hat er aber große Vorzüge. Er schreibt gut, ohne in Schönschreiberei zu verfallen. Er entwickelt mit der größten Bestimmtheit und Deutlichkeit. Endlich versteht er die öffentlichen Geschäfte. Er hat selbst in allen Fächern gearbeitet, ja die höchste Leitung des Staates geführt, indes die deutschen Tugendpolterer nur aus ihrer Studierstube und vom Katheder poltern.
Ein solcher Tugendpolterer war auch der Freiherr vom Stein, das Ideal dieser Herren. Zugegeben seine großen Verdienste als Minister des Innern für Preußens Wiedererweckung und Kräftigung, hat er sich doch, als Napoleons Macht durch die Elemente und die Ueberkraft der Waffen niedergerannt war, in Bezug auf die neue Weltstellung als ein ziemlich unklarer Kopf gezeigt. Er wußte gar nicht mehr, ob er ein Russe, ein Preuße oder ein deutscher Standesherr war. Frankreich Provinzen zu entreißen, die für alle Zeit französisch geworden waren. Die Uebermacht Frankreichs zu brechen und dafür auf Rußland zu übertragen, ja zu verewigen, da letzteres auf breiteren Basen ruht als Frankreich. Er, der dem Fürsten Metternich Mittelmäßigkeit vorwirft, weil er sich von den Umständen, wenn auch offenbar zu sehr, bestimmen ließ, hatte nichts Angelegentlicheres, als Polen an Rußland zu geben und dafür Sachsen von Preußen plündern zu lassen. Er gehörte ein wenig in die Klasse der Arndt und Jahn, die vortrefflich sind, wenn es gilt, Mauern umzuwerfen, aber wenn es geschehen ist, überall im Wege stehen.
(1834.)
RahelEin Buch des Andenkens für ihre Freunde, Berlin 1834. II, 117: »Aber Diplomaten ist das Gräßlichste in der menschlichen Gesellschaft! Der Stand. Diplomaten werden hart durch Weichlichkeit: und dies geschieht dem Henker nicht einmal. Visiten werden Pflichten; Anzüge, Kartenspiel, das müßigste Klatschen – Geschäfte, wichtige. Keine Meinung haben, und sie nur dadurch nicht äußern, welches die ausgebreitetste, sündhafteste Krankheit des Pöbels (welcher gemeint ist, weiß man) ist, – wird Klugheit, Betragen genannt; und wird eine wahre Verhärtung der Seelenorgane.«
Ebenso die Schilderung Gentzens II, 116, der aus Pfiffigkeit log und vor Lügen dumm wurde, weil er à force de mentir zuletzt selbst daran glaubte.
(1836.)
Etwas Erbärmlicheres und die neueste Zeit Charakterisierenderes gibt es nicht leicht, als diesen St. Simon, den Stifter der bekannten Sekte. In seiner Jugend Soldat des amerikanischen Freiheitskrieges und brav wie alle Menschen, die mit ihrem Leben nichts zu machen wissen, dann schmutziger Agioteur, hierauf Verschwender und ausschweifend, zuletzt, aber nicht früher, als bis sein Geld zu Ende war, Philosoph. Seine Wahrheiten – die Gemeinplätze des Straßengeplauders oder die Paradoxien des leeren Geldbeutels; dadurch auf Gleichsituierte einwirkend, daß er Narr genug war, selbst daran zu glauben, und doch mit so kläglichen Zwischenräumen im Selbstbetrug, daß er aus Ueberdruß der äußeren Entbehrungen bis zum Versuch des Selbstmordes geht. Und dieser nun der neue Messias, der Stifter eines neuen Glaubens.
Die jungdeutsche (Heinesche) Ausgleichung des Widerstreites von Fleisch und Geist saint-simonisch.