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Wechselwirkungen.

Wer das Schicksal der isländischen Nation studiert und ihren Kampf mit den feindlichen Naturkräften der Insel – der sie jedoch in leidenschaftlicherer Weise verbunden sind als irgendein anderes Volk mit seiner fruchtbaren Heimat –, wer ihr volkliches Ringen um ihre Sprache und einen eigenen autonomen Staat beachtet, ihre alte Literatur und ihre junge Malerei vergleicht, wird Wahrnehmungen machen, die, von Island und seiner besonderen Kultur ganz abgesehen, von allgemeinem Interesse für die Beziehungen zwischen Natur, Volk und Kunst sind. Die Einzigartigkeit jener nordischen Landschaft, die ausgeprägte Eigenart des Volkes, die Abgelegenheit der Insel und die Einfachheit der übrigen in Betracht kommenden Verhältnisse machen diese Wahrnehmungen besonders lehrreich.

Was die Malerei anlangt, so fällt sogleich auf, daß sie in dem Augenblick zum ersten Male auftritt, wo die wirtschaftliche Voraussetzung für ihre Verbreitung auf der Heimatinsel vorhanden ist, das heißt der Erwerb von Bildern bei einer Anzahl einheimischer Kaufleute in Betracht kommt. Eine wirklich produktive Künstlerpersönlichkeit entsteht erst, als Asgrimur Jonsson auf die französischen Impressionisten in Berlin stößt. Ihr Anblick bedeutet für ihn eine künstlerische Offenbarung. Das ist bezeichnend. Denn die Licht- und Luftverhältnisse der isländischen Landschaft sind derart, daß sie nur mit einer Farbentechnik, die zum mindesten auf den Erfahrungen der Impressionisten fußt, künstlerisch wiedergegeben werden können. Ein Maler, der dies nicht beachtet, verfällt, bei den merkwürdig scharfen Konturen, bei Buntheit und Reichtum an Kontrasten, womit die hochnordische Atmosphäre alle Dinge dieser Welt in der Entfernung umgibt, unfehlbar dem Kitsch.

Andererseits sind Landschaften schwer vorstellbar, die mehr als jene vulkanische Gebirgswelt zu großzügiger Flächenbehandlung herausfordern, und bei denen die aufregenden farbigen Gegensätze kunstvoll herausgearbeitet werden müssen, »damit«, wie sich Fritz Stahl in seinem Buche »Wege zur Kunst« ausdrückt, »aus der Landschaft ein Bild entstehe, das heißt eine geschlossene, gegliederte, besondere und innerlich bewegte Farbenfläche.« Es ist einleuchtend, daß dem andern führenden Maler, Jon Stefansson, die farbenkontrastkundige Schulung Matisses, ebenfalls eine Erleuchtung war. –

Und trotzdem, wenn diese Maler ihre ursprünglichen Impulse auch von auswärts erhielten, so haben sie doch zusammen mit den andern Landesmalern, welche die verschiedensten Schulen durchmachten und sich allmählich von altmodisch-akademischen Fehlbegriffen befreiten, in gegenseitiger Anregung und durch die gegenständliche Nahrung ihrer Malerei, – dank der Aufgabe die isländische Natur wiederzugeben, also in der Wechselwirkung zwischen Natur und Kunst, – im großen und ganzen eine einheitliche Entwicklung eingeschlagen, so daß man schon heute von ihrer Malart als von einer künstlerischen Einheit sprechen kann. Es ist bezeichnend, daß die meisten isländischen Berglandschaften in der Behandlung eine deutliche Ähnlichkeit mit den Bergbildern Hodlers haben, obwohl die isländischen Maler den Schweizer in der Regel kaum dem Namen nach kennen. Man findet in den besten Bildern aller der verschiedenartig geschulten Maler einen charakteristischen Ausdruck des isländischen Nationalgenius: Chaos und Gestaltungswille, eine Verbindung von Urkraft und Unverbrauchtheit, geistiger und sinnlicher Leidenschaft und jugendlicher Naivität – Naivität in des Wortes bester Bedeutung, nämlich jene Eigenschaft, ohne welche ein Mensch noch niemals mit künstlerischer Intuition begabt wurde und das Wagnis der Kunst vollführte.

Wenn man die junge Malerei der Isländer mit ihrer alten Literatur vergleicht, findet man untrüglich denselben nationalen Genius – ein Jahrtausend überspringend – sich in der Kunst offenbaren. Natürlich hat die ganz junge Malerei noch nicht so sicher ihre eigene Form ausgebildet, wie während der Jahrhunderte ihres Entstehens, die altnordische Literatur. Dem vollkommenen Traditionsmangel, dem talentvollen aber überwiegend instinktivem Suchen nach der adäquaten Ausdrucksform ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, daß der malerische Wert der Bilder, auch der begabtesten isländischen Maler, recht verschieden ist. Aber dieselben Ansätze präziser Gestaltungskraft und originellen Formwillens wie in der Literatur kommen in der Malerei vor. Und dies ist das Entscheidende.

Die Malerei war bei der sinnlichen Liebe der Bewohner zu der romantischen Natur des Landes schicksalsbestimmt. Sie haben ihre Vulkane und Gletscher zu lange besungen und mit dichterischem Leben erfüllt, als daß sie der sinnlich viel unmittelbareren Kunst, der Malerei, hätten widerstehen können.

Wenn früher der Anblick eines Berges, z. B. der Hekla, die Sagen und Dichtungen auslöste, die diesen Berg verklären – ähnlich wie den japanischen Fuschima in den Augen der Landesbewohner –, so genügt nun seine bildliche Darstellung. Auf diese Weise erhält die belebende Wechselwirkung zwischen Natur und Dichtkunst neue Impulse durch Hinzutritt eines neuen Bundesgenossen, eben der Malerei.

Die tiefe Abhängigkeit der isländischen Maler von dem Weltbilde, das ihnen schon von der frühesten Kindheit an vor Augen gestanden hat, drückt sich auch negativ aus: sie versagen meistens wenn sie andern Aufgaben gegenüberstehen als der Wiedergabe von Landschaft oder Menschen ihrer Heimat.

Andrerseits kommt kaum eines der ziemlich zahlreichen Bilder ausländischer Künstler, die im Altingsgebäude in Reykjavik zu sehen sind und Sujets von der Insel wiederzugeben suchen, dem Geiste der isländischen Landschaft nahe. Sie werden in dieser Beziehung auch von mittelmäßigen und ungeschickt gemalten Bildern der einheimischen Maler übertroffen. Die fremden Bilder sind eben fast alle fremd. Sie könnten ebensogut Norwegen oder ein anderes Bergland darstellen. Sie sind in ihrer Farbentönung falsch und geben eine andere Luft als die isländische Atmosphäre wieder. In ihrer Gesamtauffassung sind sie in den wenigsten Fällen überhaupt bildhaft, sondern stellen nur kleine ineinander geschobene Kulissen dar, auf denen Details gemalt sind, die das künstlerisch abgeblendete Auge in Wirklichkeit kaum wahrnimmt, und die darum stören. – Diese fremden Bilder sind vielfach von in Skandinavien recht bekannten Malern ausgeführt, die zweifellos eine viel gründlichere Schulung als die temperamentvollen und manchmal unsystematisch um eine eigene Kunstform ringenden jungen Isländer hatten. Eine wirklich auserwählte und voll durchgebildete Künstlerpersönlichkeit wird natürlich in der ganzen Welt, überall, wo immer sie steht und geht, schaut und malt (wie etwa Gauguin), Kunstwerke hervorbringen. Aber derartige fremde Künstler sind bis jetzt nicht in Island gewesen, und die einheimische Malerei ist wohl noch zu traditionslos, als daß sie bereits heute solche, man kann sagen, universelle Künstlerpersönlichkeiten hervorbringen könnte. Jon Stefansson ist vielleicht auf dem Weg zu einer solchen.

Der neue Verbündete, die moderne Malerei, die dem kleinen Volke für die Erhaltung seiner geistigen Tradition entstanden ist, sollte mit größter Liebe gepflegt werden, denn die fast amerikanische Geschwindigkeit mit der Islands Modernisierung vor sich geht, bedeutet neben den Vorteilen für das nationale Leben auch eine Gefahr: die Gefahr, daß Island nicht mehr Hüterin der ältesten skandinavisch-germanischen Kultur bleibt, sondern vermittels Grammophon, Rundfunk und Kino, geistig gesprochen, eine amerikanische Kolonie wird. Es ist sinnlos und müßig, gegen diese Dinge zu polemisieren, denn in Island verschaffen sich natürlich dieselben Entwicklungsgesetze Geltung wie anderswo in der Welt. Notwendigerweise werden Autos die Pferdekarawanen als Beförderungsmittel verdrängen, die befreienden kurzen Röcke und die Garçonnefrisur werden an die Stelle der zeitraubenden Zöpfe und der hemmenden Nationaltrachten treten (so stilvoll, aber dem Stile vergangener Zeiten angehörend, diese auch sein mögen). Aber eine natürliche Modernisierung braucht nicht gleichbedeutend mit einer geistigen Amerikanisierung zu sein. Vielmehr kann ein Volk mit neuen geistigen Mitteln erst recht seine Eigenart und seinen Charakter behaupten und offenbaren. Die Nation, die sich stets wandelt und doch ihrem Wesen treu bleibt, hat die Zukunft für sich – selbst wenn sie nur aus hunderttausend Menschen besteht. Hierbei hat die Kunst zu allen Zeiten im Leben der Völker als der unverfälschteste Ausdruck ihres Wesens eine besonders wertvolle Rolle gespielt.

Gegen die Einseitigkeit Amerikas ist die Vielheit Europas das beste Gegengift. Die isländischen Künstler sind den Weg nach Europa gegangen. Ebenso instinktsicher wie ihre Musiker sich ihre Anregungen und ihr Wissen aus Deutschland holten, fanden ihre Maler, wenn auch meistens über Dänemark und Deutschland, den Weg nach Frankreich.

Die Malerei bildet eine von beiden Seiten zu begehende Brücke zwischen der nordischen Insel und dem europäischen Kontinent. Neue Impulse sind auf ihr nach Island gelangt, und uns vermittelt sie in fruchtbarer Wechselwirkung leicht assimilierbare und farbenreiche Vorstellungen von diesem wenig bekannten nordischen Lande.

Aber es erforderte bis jetzt noch große Mühe einen Überblick über die isländische Malerei zu erlangen, weil nirgends in der Welt, nicht einmal in der Sammlung des Alltings in Reykjavik eine genügende Anzahl von Bildern im selben Räume vereinigt waren. Die besten Arbeiten sind im Privatbesitz in Reykjavik, andern Orten Islands und Kopenhagen verstreut. –

Darum hat die »Nordische Gesellschaft« in Lübeck in glücklicher Zusammenarbeit mit der isländischen Regierung, einem zu diesem Zweck gebildeten Komitee in Reykjavik und einem andern in Kopenhagen jetzt eine Anzahl Bilder von allen in Betracht kommenden isländischen Malern vereinigt und eine Wanderausstellung veranstaltet. Von künstlerischen Fragen ganz abgesehen, können, wie gesagt, diese Bilder auch weiteren Kreisen lebendige Eindrücke des nördlichsten Kulturlandes der Welt vermitteln, und vielleicht wird die junge isländische Malkunst, durch das Echo, welches ihre Bilder im modernen Deutschland finden, gestärkt werden und neue Anregungen und Impulse erhalten.


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