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Als ich mich auf die verzweifelte Suche nach diesem Zeugen begab, war soeben der Krieg erklärt, aber noch keine Landung auf Kuba befohlen worden. Doch während ich mich auf meiner Reise nach dem Süden befand, wurde diese lang erwartete Maßregel getroffen, und bei meiner Ankunft in Tampa stieß ich auf all die Verwirrung, die eine Truppeneinschiffung mit sich zu bringen pflegt.
Natürlich war es unter diesen Umständen sehr schwierig, meinen Mann sofort aufzufinden. Ungezählte Nachforschungen verliefen ergebnislos, und da ich niemand hatte, der mir die erwünschte Auskunft geben wollte oder geben konnte, durchstreifte ich das Lager von einem Ende zum anderen, bis ich endlich einem Offizier begegnete, den ich an seiner Uniform als Rauhreiter erkannte. Ich hielt ihn an und fragte unter Hinweis auf meinen Zweck nach James Calvert.
Er sah mich groß an und deutete statt der Antwort nach den Lazarettzelten.
Nichts hätte mich mehr in Erstaunen setzen können.
Krank? rief ich.
Im Sterben, entgegnete er.
Im Sterben! Curly Jim! der krauslockige James. Unmöglich. Ich mußte mich betreffs des Mannes, den ich suchte, ungenau ausgedrückt haben, oder es gab zwei Leute namens James Calvert in Tampa. Curly Jim, der frühere Cowboy, war nicht der Mann dazu, im Lager zu sterben, ehe er Pulver gerochen hatte.
Es ist James Calvert vom Ersten Freiwilligenkorps, den ich suche, sagte ich. Ein großer, kräftiger Bursche –
Ganz recht, ganz recht. Manch kräftiger Bursche liegt schon unter der Erde. Auch ihm wird es so gehen. Typhus, Sie wissen. Schlimmer Fall. Von Anfang an keine Hoffnung. Schade, aber –
Ich hörte nichts mehr. Im Sterben! Curly Jim! Er, der als immun galt! Er, der das Geheimnis bewahrte!
Lassen Sie mich zu ihm, bat ich. Es ist wichtig – eine Polizeisache – ein Wort von ihm kann einem Menschen das Leben retten. Lebt er noch?
Ja, das schon, aber ich glaube, es wird unmöglich sein, ihn zum Sprechen zu bringen. Vor fünf Minuten erkannte er nicht einmal seinen Wärter.
Das war sehr schlimm! Aber ich verzagte nicht. Ich hatte kein Recht dazu. Ich hatte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um diese Unterredung möglich zu machen, und sollte jetzt aus Bequemlichkeit des verheißenen Lohnes verlustig gehen?
Lassen Sie mich zu ihm, wiederholte ich.
Ich wurde eingelassen. Die wenigen Personen, die ich um ein schmales Bett in der einen Ecke versammelt sah, traten beiseite, und es schnitt mir ins Herz, zu sehen, daß sie dies nicht sowohl aus Rücksicht auf mich oder meinen Auftrag taten, als vielmehr, weil sie erkannten, daß ihre Aufgabe am Bette dieses sterbenden Mannes vorüber war. Er stand auf dem Punkte, seinen letzten Atemzug zu tun. Ich drängte mich vorwärts, kniete nach einem raschen Blick auf seine geschlossenen Augen und blassen Gesichtszüge neben ihm nieder und flüsterte ihm den Namen Veronika Moores ins Ohr.
Er zuckte zusammen; alle bemerkten es. Auf der Schwelle des Todes hielt ihn irgend eine Gemütsbewegung – wir konnten nicht entscheiden, welcher Art – eine Sekunde zurück, und die blasse Wange zeigte einen Schimmer von Farbe. Obgleich die Augen sich nicht öffneten, bewegten sich doch die Lippen, und ich hörte die Worte:
Hielt Wort – erzählte es niemand – sie war so –
Das war alles. Im nächsten Augenblick starb er.
Ich war von dieser plötzlichen Vernichtung aller meiner Hoffnungen auf das schmerzlichste berührt. Sie waren allzu weitgehend gewesen, ohne Zweifel, aber sie hatten mich inmitten aller Mühseligkeiten und Gefahren aufrecht erhalten, bis sie jetzt hier mit der einen unerbittlichen Tatsache – dem Tode – endeten. War mein Mißerfolg besiegelt? Mußte ich zu dem Major mit meiner alten Ueberzeugung zurückkehren, aber ohne neue Beweise, neue Tatsachen, die dazu dienen könnten, meine Auffassung zu stützen? Ich mußte es unzweifelhaft. Mit dem Tode dieses Mannes waren alle Mittel, Frau Jeffreys Gemütszustand unmittelbar vor ihrer Trauung zu ergründen, dahin. Das konnte ich nun nie erfahren, was mir sonst eine glänzende Laufbahn eröffnet und vielleicht zur Rettung Cora Tuttles beigetragen hätte.
Gebeugt von diesem Schlage der Vorsehung verließ ich das Zelt. Draußen in der Nähe des Einganges lungerte ein kleiner Knabe herum. Ich sah ihn neugierig an und wollte eben davoneilen, als ich mich bei der Hand ergriffen fühlte.
Nehmen Sie mich mit, rief mir eine von Angst erstickte Stimme zu. Ich habe keinen Freund hier, seit er tot ist; nehmen Sie mich mit nach Washington zurück.
Washington! Ich drehte mich um und betrachtete den Jungen, der auf dem heißen Sande vor dem Eingange des Zeltes auf den Knien lag und mich flehend mit seinen Händen umklammerte.
Wer bist du? fragte ich, und wie kommst du hierher? Gehörst du zum Heere?
Ich half ihm für sein Pferd sorgen, flüsterte er. Er fand mich auf dem Zuge, auf den ich mich heimlich geschlichen hatte – denn ich wollte mit in den Krieg – ich tat ihm leid, und er teilte seine Rationen mit mir – aber jetzt will mir niemand etwas geben. Nehmen Sie mich mit; sie wird es nicht erfahren. Sie ist tot, sagen sie. Aber ich würde auch nicht hier bleiben wollen, wenn sie am Leben wäre. Ich habe genug vom Kriege, seit er – O, er war gut zu mir – ich habe nie jemand so lieb gehabt.
Ich betrachtete den Knaben mit einer seltsamen Empfindung, für die ich keine Bezeichnung hatte.
Von wem sprichst du denn? fragte ich. Von deiner Mutter – deiner Schwester?
O nein – es klang wie etwas Selbstverständliches – ich habe nie eine Mutter gehabt. Ich meine die Dame in dem großen Hause, die, die damals heiratete. Sie gab mir Geld, damit ich aus Washington fortgehe, und da ich Tambour werden wollte, folgte ich Jim. Ich glaubte nicht, daß er sterben würde, er sah so stark aus. Was haben Sie, Herr? Habe ich etwas gesagt, was ich nicht sollte?
Ich hatte ihn am Arme gepackt. Ich fürchte sogar, ich schüttelte ihn.
Die Dame! wiederholte ich. Die, die damals getraut wurde, – die dir das Geld gab? War es nicht Frau Jeffrey?
Ja, ich glaube, das war der Name des Mannes, den sie heiratete. Ihn habe ich nicht gekannt, aber ich habe sie gesehen –
Wo? Und warum gab sie dir das Geld? Ich will dich mit nach Hause nehmen, wenn du mir die Wahrheit darüber sagst.
Er sah nach dem Zelte zurück, von dem ich ihn etwas fortgezogen hatte, und ein hungriger Blick trat in seine Augen.
Nun, murmelte er, jetzt ist es kein Geheimnis mehr. Er sagte immer, ich müsse meinen Mund halten; aber er würde jetzt nicht so sprechen, wenn er wüßte, daß ich nach Hause kommen kann, wenn ich es erzähle. Ich tat ihm immer leid, immer. Was wünschen Sie von mir zu wissen?
Weshalb dir Frau Jeffrey Geld gab, um Washington zu verlassen.
Der Knabe zitterte, trat einen Schritt zurück, näherte sich mir dann wieder, und unter dem heißen Himmel von Florida, mitten unter dem Lärm und Tumult der Truppeneinschiffung, vernahm ich folgende Worte:
Weil ich gehört hatte, was sie zu Jim sagte.
Ich fühlte mein Herz so heftig schlagen wie noch nie in meinem ganzen Leben. Alle Hoffnung war also noch nicht verloren. Es gab noch einen Zeugen, wenn auch Jim tot war. Dem Knaben entging meine Erregung. Er starrte in großer Niedergeschlagenheit nach dem Zelte.
Und was war dies? fragte ich.
Seine Gedanken, die umhergeschweift waren, kehrten zurück, und er antwortete mit einiger Ueberraschung im Tone:
Es war nicht viel. Sie hieß ihn den Herrn in die Bibliothek führen und ihn bitten, Platz zu nehmen. Aber es war die Bibliothek, in der schon viele Leute gestorben sind, und auch er ging hinein und starb hier, wie Sie sich erinnern werden, und Jim sagte, er würde niemals darüber sprechen, und so versprach auch ich, es nicht zu tun, aber – aber – wann gedenken Sie abzureisen, Herr?
Ich antwortete ihm nicht. Ich hatte ein seltsames Empfinden, so seltsam, wie es meiner Ansicht nach Leute haben müssen, die in irgend einer schwierigen Lage ein unerwartetes Eingreifen der Vorsehung erleben.
Bist du der Laufbursche, der von dem Gärtner in Washington weglief? fragte ich, als ich imstande war, zu sprechen. Der Knabe, der Fräulein Moores Brautbukett brachte?
Ja, Herr.
Ich ließ seine Hand los und setzte mich nieder. Ohne Zweifel offenbarte sich hier eine höhere Macht als der Zufall. Auf was für verschlungenen Wegen war ich zu dieser Kenntnis gelangt, aus welch unerwarteten Quellen war sie mir zugeflossen!
Frau Jeffrey oder Fräulein Moore, wie sie damals hieß, sagte also Jim, er möge den Herrn in die Bibliothek führen und ihn bitten, Platz zu nehmen? fragte ich weiter. Warum?
Das weiß ich nicht. Er nannte ihr den Namen des Herrn, und dann flüsterte sie ihm dies zu. Ich hörte es, und dies war der Grund, warum auch ich Geld bekam. Aber ich habe jetzt nichts mehr. O Herr, wann fahren Sie nach Hause?
Ich sah starr vor mich hin. War es in Beantwortung dieser Frage, oder weil ich erkannte, ich sei jetzt auf einen Anhaltspunkt gestoßen, der mir sofortiges Handeln zur Pflicht machte? – genug, ich erwiderte:
Ich fahre sogleich, und du fährst mit mir. Lauf; der Zug, den wir benutzen, geht in zehn Minuten ab. Meine Aufgabe ist hier vorüber.