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Die Beiden begegneten sich, wie sie's verabredet hatten, nach der Siestastunde, von entgegengesetzten Seiten kommend, auf dem Wege nach dem Vicolo cieco. Der Thorbogen mit seiner hoch und frei stehenden Madonna, zu deren Füssen das andächtige Ampelchen nicht fehlen durfte, hatte in den letzten Tagen eine frische weisse Tünche erhalten, und nun scheinen die räthselhaften Mauern dahinter noch weiter zurückzuliegen.
Diese Veränderung hatte die Aufmerksamkeit des Künstlerviertels am Pincio erregt, so dass man beschloss, diesen düsteren Winkel zu begehen und im Namen der Kunst von ihm Besitz zu ergreifen. Aehnliche Entdeckungsfahrten lassen sich auf dem alten Weichbilde Roms noch immer unternehmen, und die Ausbeute für den wissbegierigen Forestiere, für das kunstsinnige Auge ist selten eine geringe.
Dass eben die Beiden die Ersten waren, welche mit dem Besuche des Vicolo Ernst machten, erklärt sich aus der fast naiven Neugierde des Einen und aus der Anhänglichkeit des Andern.
Ging der Erstere auf malerische Motive aus, so wich der Letztere, obwohl nicht auch er Pinsel und Palette handhabte, kaum je von seiner Seite; er wusste seine Anwesenheit, ja Zudringlichkeit gar beredt aus der Wesensgemeinschaft und wechselseitigen Förderung aller Künste zu begründen. Da er der neuern descriptiven Richtung der Musik huldigte, so ist's wohl auch möglich, dass er daraus Gewinn zu ziehen verstand, wenn er seinem Freunde zusah, wie derselbe mit sicheren Strichen einen geistlichen Stutzer mit kurzem Mäntelchen und drallen Waden oder die Alte an der Kirchenthüre, welche das messingblecherne, sie zum Bettel befugende Schildchen an der Brust befestigt trägt, oder den Campagnuolen, der zum Zeitvertreib seinen langen Stecken schwingt, oder den pfiffigen Jungen mit dem blöden Langohr seinem Skizzenbuche einverleibte.
Wunderlich genug sah's aus, als die Freunde den Thorbogen hinter sich hatten.
Rechts ragt über das niedere, braune Gemäuer, das sich um die Apsis von S. Andrea delle Fratte angesiedelt hat, der zopfigste Thurm Roms empor, der sich einbildet, er dürfe ja kein einfaches Bauwerk vorstellen, sondern müsse einen ungeheuren Stengel abgeben, welcher hoch oben in einem offenen Blumenkelch endet und vor lauter Schnickschnack zu einer ordentlichen Glockenstube keinen Raum bietet.
Links quillt unter einem hochgelegenen, üppiggrün überhängenden Gärtchen ein antiker Mauerkern, fast wie Früchtenbrod anzusehen, wulstig, laibartig hervor, und zieht sich im Bogen weiterhin.
Biegt man, diesem folgend, um das armselige Mauergerümpel, das den Weg verengt, so steht man plötzlich auf einem kleinen unregelmässigen Platze vor einem ansehnlichen Wohngebäude, in einfachen, aber grossgedachten Verhältnissen.
Das Dach, zu welchem kein Gesims den Uebergang vermittelt, ragt weit vor. Die wenigen Fenster sind nahezu so breit als hoch, sind hohläugig, weil ohne Glasscheiben; und obwohl die Strohmatten aufgezogen sind, blickt man durch sie doch nur in eine dunkle Leere. Es ist, als sei das Gebäude allen Winden und Wettern geöffnet.
Schwarz sind die Fensterstöcke, aber als Marmorrahmen zeigen sie die feine Arbeit der Früh-Renaissance.
Tiefgrau, dunkel sind auch schon die Aussenwände, so dass es den Anschein hat, als könnten diese breiten Flächen einen andern Farbenton gar nicht mehr annehmen. Und diese dauerhafte Farbe des Alters zieht sich in die Innenräume hinein – das, um was sie da bleicher sein mag, ersetzt der Schatten.
Niemand zeigt sich an den Fenstern, Niemand an der Schwelle. Nichts regt sich hörbar innen oder aussen. Wie inmitten des halben Verfalls versteinert, scheint sich das stumme Haus nun erst recht ewigen Bestandes zu erfreuen.
Ein schmales, hohes Gässchen zieht sich weiter hin; man hofft einen baldigen Ausgang ins freie, lichte Strassenleben zu gewinnen, wird aber, indem man an eine kahle Klostermauer stösst, gewahr, dass man sich in einen richtigen, labyrinthischen Vicolo verirrt hat.
Die beiden Freunde hatten schweigend ihre Musterung gehalten. Der Maler war bereits wiederholt vor- und zurückgetreten, wie um den lohnendsten Standpunkt zu finden, hatte sich auch schon mit der Hand, wie er zu thun pflegte, wenn er zugleich künstlerisch schaute und überlegte, an Bart und Kinn gegriffen.
Jetzt schien er den rechten Platz und Gedanken gefunden zu haben, denn er entfaltete rasch seinen kleinen Malkasten, langte ein schon grundirtes Brettchen hervor und führte, wie um eine Farbenskizze zu beginnen, den Pinsel nach der Palette, auf welcher die vorbereiteten Farben wie auf einer Musterkarte prangten.
Sie sind ein ungleiches Paar, der schaffende Maler Franz und sein feiernder Begleiter, der junge Musiker, Componist und Stipendist Karl Elsen – wie man ihn ohne Rücksicht auf sein »van« unter Kameraden kurzweg nennt. Franz sieht auf seinem Dreifuss zwerghaft klein und gedrungen aus, ist aber doch gut gebaut und hat das Militärmass, wie er denn auch einen Feldzug als Freiwilliger unter den Jägern mitgemacht hat. Er ist dunkelblond an Haar und Vollbart, und sein blassblaues Auge hat etwas von dem fetten Glanze, welchen man bei den Phäaken an der Donau finden will.
Die leichte Weise, sich zu gehaben und zu geben, die Art, wie er sich den schmalkrämpigen, gugelförmigen Hut aufsetzt und an der Schläfe darunter ein Haarbüschel vorragen lässt, Sprachweise und Witz, die sich in der Fremde keineswegs abschleifen liessen, kennzeichnen ihn in der That als süddeutschen Grossstädter.
Er lebt in Rom glücklich, seit er's mit seltenem Geschicke dahin gebracht hat, hier wirklich auch more romano zu leben. Er ist leicht gerührt und verführt, tüchtig und bereit zu jeder Leistung, die sich mit dem ersten Anlauf bewältigen lässt – ein immer beschäftigtes, aber nie tief und nachhaltig aufgeregtes Gemüth.
Für Elsen war der Umgang mit Franz ein leicht begreifliches Bedürfniss. Elsen hatte so zu sagen eine noch schlummernde Seele; weil es dieser an Regung fehlte, war auch seine Musik ohne Seele.
Eine aus den Werken der grossen Meister gesogene Begeisterung hatte ihn befähigt, mittels einer schwungvollen Arbeit den ersten Preis und damit ein Reisestipendium zu erringen. Aber überkommenes Licht ersetzt auf die Dauer keineswegs selbstständige Leuchtkraft; nur eigenes Feuer, eigene Fülle der Empfindung befruchtet in Wahrheit das künstlerische Schaffen.
Das fühlte Elsen aber erst halb und dunkel. Er war über den jugendlichen Zustand hinaus, in welchem er sich an fremden Empfindungen berauschte und deren Nachempfinden und Nachdichten für selbstbefriedigendes Wirken hielt. Aber er wähnte sich verarmt, indess er doch nur noch arm war an eigenem Leben; er kam sich übersättigt und abgestumpft vor, da er auf den ursprünglichen, stets labenden und verjüngenden Wunderborn in des Herzens Tiefen wenig achtete. Weil er sein eigenes Haus für leer hielt, drängte es ihn, bei fremdem Reichthum zu Gaste zu sein. Er suchte bei Franz Anregung, folgte ihm auf allen Pfaden, auf denen, wie es schien, dieser sie fand, und beneidete ihn um seine Fülle von Stimmungen, ohne auch nur zu ahnen, dass er selber vielleicht tieferer Leidenschaft fähig sei.
Und doch ist sein ganzes Aeussere danach angethan, diese Schlaffheit, dies laue Wesen Lügen zu strafen. Er ist von schlanker adeliger Gestalt; seine Stirn scheint gleichsam vom Kuss der Muse zu leuchten; darüber bäumt sich das dunkle Haar zu mächtigen Büscheln, um dann gelassen nach rechts und links abzufliessen; von feinem, schönem Schnitt ist die Nase, der Mund aristokratisch schmal besäumt, aber das braune, lang gewimperte Auge gross unter der schwarzen, geschwungenen Braue.
Dieses Auge müsste Wunder wirken, wenn es Feuer sprühte. Statt dessen ist aber der Blick matt oder zerstreut und erscheint häufig träumerisch nach innen gekehrt.
Manchmal streicht ein Hauch von Schwärmerei über das schöne Rund des Gesichtes, jener Schwärmerei, die so wohl den Jüngling kleidet und auf den unfertigen Mann noch hin und wieder einen Strahl zurückwirft.
Solch ein Schimmer kommt dem blassen, im Verhältniss zu dem energischen Dunkel eines bescheidenen Henri IV. fast vergilbten Antlitz sehr zu Gute.
Wie erst, wenn einmal der Tropfen dunkeln wallonischen Blutes diese Wangen röthete?
Verdriesslich, mehr zu sich selber sprechend, fuhr Franz von seiner Arbeit auf: »Wenn ich nur wüsste, womit ich diesen Winkel staffiren sollte?«
Elsen raffte seine Aufmerksamkeit zusammen, warf einen Blick auf das düstere Haus und einen anderen auf die werdende Skizze und meinte:
– Ein blühendes Mädchen, das an einem dieser finsteren Fenster Blumen begösse ... oder so eine aus dem unheimlichen Zauberbanne sehnend nach Rettung ausblickende Prinzessin.
– Das italienische Genre ist nicht sentimental, entgegnete in abweisendem Tone der Maler.
– Vielleicht eine Serenade?
– Bei Vollmondschein? Und lassen am Fenster dort den kahlen Schädel einer geifernden Hexe zum Vorschein kommen? Der Ort ist mir zu ausdrucksvoll für einen solchen Spass. Du willst doch nicht im Ernst, dass ein Romeo an dieser kalten Ruine nach seiner Giulietta emporspähen soll?
– So thu' es einstweilen mit einigen Moraspielern ab.
– Lieber liess' ich hier einen Bären tanzen, wenn ich nur auch dafür das Publikum zusammentrommeln könnte.
Und nachdenklicher fuhr der Meister fort:
– Das Was wüsste ich wohl schon beiläufig, aber die bedingenden Umstände ...
– Lass hören!
– Eine Blutthat! ... erwiederte Franz bestimmt und fing an, die Farben zu mischen, als gälte es dem Worte alsogleich die Ausführung folgen zu lassen.
Elsen erschrak beinahe und über sein Gesicht glitt es wie Abscheu. Der Einfall des Freundes dünkte ihn ein leichtfertiges, grausames Spiel der Phantasie. Er wollte entgegnen, doch er sah Franz emsig beschäftigt, und da die Sonne den Schnörkelthurm hinan immer höher entwich, wollte er ihm die kostbare Stunde nicht schmälern.
Aber plötzlich zuckt' es ihn, der lässig hinter dem Schaffenden stand, jäh empor und schon wollt' er den Freund an der Schulter fassen und ihm triumphirend zurufen: Siehst du die Prinzessin im Zauberbann?
Doch das Wort erstarb ihm auf den Lippen, eine unsichtbare Macht schloss ihm den Mund und hielt ihn zurück.
Er fühlte, dass seine Wangen glühten, und fürchtete instinktmässig nichts so sehr als den Aufblick des Genossen.
Erstaunt und entzückt starrte er zu einem Fenster des alten Hauses hinan und sein Selbst war bereits so geweckt, dass er den Anblick keinem Andern zum Mitgenusse gönnte.
Er genoss nicht anders, denn als wäre die Augenweide seine Entdeckung, als hätte er an ihr ein ausschliessliches Recht. So ist oft der Liebe erste Regung schon Eifersucht.
Was sich am Fenster zeigte, war ein Frauenbild, jung, schön, nonnenhaft-schön; Elsen, der noch seinen eigenen Gedanken nachhing, musste in ihm eine Prinzessin im Zauberbanne erblicken.
Verriethen ihre Züge nicht einen leisen Harm? Litt die Frische ihres Gesichts nicht wie unter einem unsichtbaren Mehlthau, der diese Blüthe mit vorzeitigem Welken bedrohte?
Liebreiz strahlte das Antlitz, Liebreiz athmete die ganze Gestalt – was wollte nur der feine, herbe Zug um den Mund? Das ist Ausdruck bewusster Spröde oder aber unfreiwilliger Entbehrung.
Ja, Spröde! Ihr erster Blick, der die Gruppe unten umfasste, drückte Befremden, Erstaunen, wenn nicht gar Unwillen aus.
Aber schon der zweite Blick aus dem dunklen Auge der Schönen galt ihm, galt Elsen allein, und es war dies ein langer, ein forschender Blick, der sich allmälig aus ängstlich verhohlenen Gluten zu erwärmen schien.
Und der fragende Ausdruck ging in Wohlwollen über, und auch dieses galt Elsen. Und der strenge Mund verzog sich zu einem Lächeln ... o kein blödes, bemitleidendes oder geringschätziges Lächeln! Es drückte eher Zutrauen oder ermuthigende Nachsicht aus.
Und auch das galt Elsen, konnte ihm nur gelten.
Als Franz von der kleinen Staffelei aufblickte, war die Gestalt vom Fenster verschwunden und als er sich nach seinem stillen Gefährten umwendete, hatte dessen Antlitz ein süsses Geheimniss zu bergen.
Elsen war Mannes genug, sich nicht zu verrathen.
Die Glocken des Schnörkelthurms, die in freier Luft hangen, hatten bereits wiederholt gebimmelt, doch wer achtet in Rom auf den einzelnen Mahnruf der ehernen Zunge? Der Glocken sind zu viele.
Nun liess sich aber aus der nahen Kirche Orgelklang und Litaneiensang hören. In S. Andrea delle Fratte wurde eine abendliche Marienandacht abgehalten.
Ueber Elsen kam es wie eine Eingebung.
Es zog ihn zur Madonna hin, welche vor Jahren den Israeliten Ratisbonne ihrer leibhaftigen Erscheinung gewürdigt haben soll, angethan mit dem glutrothen Kleide, in welchem Dante seine Beatrice erblickt hatte, und vom gebeugten Haupte bis zu den Fingerspitzen der demüthig hangenden Arme herab mit einer Strahlenlohe umgeben.
Seit dieser geheimnissvollen Stunde werden vor dem Bilde der Gebenedeiten in der Kirche drüben mehr Lichter angezündet als selbst vor dem Sanctissimum.
In diesem Augenblicke dachte Elsen dieser himmlischen Madonna – aber nur in Verbindung mit seiner eben gefundenen irdischen Madonna, und in der ungewissen Hoffnung, diese dort zu finden, trieb es ihn zum strahlenden Altare jener hin.
Er sprach daher, sich zum Gehen anschickend, zum Freunde:
– Der Gesang drüben muthet mich alt und volksthümlich an. Ich will hin, er ist der Aufmerksamkeit werth.
– Wirklich? hänselte der Maler. Nimm mir's nicht übel, aber mich hat's in der That schon gewundert, wie du so lange hier Maulaffen feil haben konntest, wo es doch gar keine Käufer giebt.
Auch Franz legte seinen Kram zusammen. Die einbrechende Dämmerung machte den Ort unheimlich. Jeder weitere Pinselstrich hätte zudem die Skizze eher verdorben als gefördert, da der Maler auf dem Bilde doch nur eine Stimmung festhalten kann.
Die Freunde schieden unter der wechselseitigen Zusage, sich nach dem Abendessen im gewohnten kleinen Kaffeehause zu treffen.
Elsen suchte unter der dichten Menge vor dem strahlenden Madonnen-Altare umsonst seine Schöne aus dem traurigen Hause, obwohl keine der knieenden Damen sich so tief über den Strohsessel beugen oder ihr Antlitz mit dem Schleier so dicht verhüllen mochte, dass ihm nicht wenigstens ein prüfender Blick auf die andächtigen oder sündhaft zerstreuten Züge geglückt wäre.
Er musste wider Willen seine Ausrede zu Ehren bringen und dem Gesang einen Reiz abzugewinnen suchen. Das Gesetz desselben war keineswege unergründlich; auf je zwei Stollen folgte der Abgesang. Jede der blumigen Apostrophen der lauretanischen Litanei wurde als Solo oder unisono gesungen, worauf der halbe Chor mit dem Ora pro nobis erwiderte; je nach zweimaligem derartigem Wechselgesang aber fiel der ganze Chor mit einem wiederholten, die Strophe abrundenden Ora ein.
Die Weise war schlicht, sanglich und in der That volksthümlich. Orgelklang verstärkte den Chor.
Das Ganze hatte einen zugleich innig flehenden und stürmisch verlangenden Charakter.
Das Tongemälde konnte man mit einem kräftigen Fresko vergleichen, aber einzelne feine, glockenhelle Stimmen wirkten wie aufgesetzte Lichter.
Elsen blieb bis zum Ende der Abendandacht, denn er wollte vor der Kirchenthür noch einmal sein Suchen wiederholen; noch hatte er nicht alle Hoffnung aufgegeben.
Er stand auch gar nicht lange auf seinem gut gewählten Platze, als unter den Ersten eine alte Frau aus der Kirche trat, unaugenfällig und bescheiden auf ihn zukam und bedeutsam zu ihm aufblickte.
»Eine verschämte Arme,« dachte sich Elsen, und da sein Herz heute seltsam weich gestimmt war, so wendete er sich mit der Frage an sie:
– Gute Frau, darf ich Euch eine Kleinigkeit anbieten?
– Tausend Dank, junger Herr! lautete die erfreute Antwort, aber es wäre recht sündhaft von mir gehandelt, wollt' ich so viele Aermere und Würdigere beeinträchtigen.
Drauf Elsen verlegen:
– Entschuldigt, Signora, ich wollt' Euch nicht kränken.
– Kränken? O du goldiges Herz! Die Madonna mög' Euch segnen und recht glücklich werden lassen. Sagt' ich mir doch gleich, dass Ihr, wie so jung und schön, so auch ein Engel an Güte sein müsstet. Alte Augen sehen oft besser als junge ... nennt es keine Schmeichelei.
Ablehnend entgegnete Elsen:
– Es thut mir leid, Euer Lob so wenig zu verdienen. Ihr irrt auch wohl in mir ... woher solltet Ihr mich auch kennen?
– Piano, Signore! Woher? Eine so junge Bekanntschaft, eine Bekanntschaft von heute behält mein schwacher Kopf wohl noch. Kommen denn so viele Forestieri in den Vicolo cieco, dass man den Einen mit den Andern verwechseln könnte? Wie Ihr so ruhig und geduldig neben Eurem Freunde standet und ausharrtet! Ich wollt' Euch schon einen Stuhl hinunter tragen, aber da hiess es: Vecchierella, das schickt sich nicht. Doch alte Sabina hin, alte Sabina her, mit braven jungen Leuten meint sie's doch immer gut. Verzeiht, dass ich Euch so zu sagen angehalten habe; heutzutage begegnet man der lieben Jugend überall leichter als in der Kirche. Ich traute meinen Augen kaum ...
– Eure Theilnahme, würdige Frau, unterbrach sie mit gesteigerter Aufmerksamkeit der junge Musiker, beschämt mich umsomehr, als ich bekennen muss, dass mir Euer gutes Gesicht entgangen ist, trotzdem ich müssig stand.
– Begreiflich, begreiflich! Du lieber Gott! Wozu hat denn die Jugend ihre Augen? Ich kenne das und hab' es auch selbst nicht anders gemacht; freilich ist's schon lange her. Jetzt steh' ich gerne zurück und es ist auch viel besser, wenn man es rechtzeitig freiwillig thut. Aber die Jugend! Es ist ohnehin bald vorbei mit ihr. Sie soll des Lebens froh werden; mir thut's weh, wenn ich sehen muss, dass es anders ist. Braucht Euch gar nicht zu schämen, Herr, und die Madonna verdenkt es Euch so wenig wie ich, die alte Sabina, die gar wohl bemerkt hat, dass Ihr nur für die arme Giuliana Augen hattet.
– Arm? Giuliana! O Ihr Glückliche, die Ihr sie kennt. Um Alles in der Welt, sprecht mir von ihr, erzählt!
Als hätte sie diesen Gefühlsausbruch erwartet und steuerte nun doch noch einem andern Ziele zu, begann die Alte viel bedächtiger:
– Wie Ihr gleich Feuer und Flamme seid, Herr! Macht meinen armen Kopf nicht wirr. Erzählen? Die Sache ist ja ganz einfach. Noch aber weiss ich nicht einmal, ob Ihr etwas für sie thun könnt oder wollt, ob Ihr Zeit und Gelegenheit dazu findet.
– Zweifelt nicht, Alles, was in meinen Kräften steht! Ich bin ihr ganz zu Diensten.
– Dass ich so ins Schwatzen kam! Und hätte die Sache doch so einfach ausrichten können. Dass ich's nur gestehe, da wir schon so weit sind, es ist eine Art Antrag oder vorerst nur eine Anfrage, Herr. Ihr meint doch wohl meine Giuliana?
– Wie Ihr mich peinigen könnt, Signora! Ja, sie ist's, keine Andere kann es sein. Sie erschien am Fenster, ach, nur einen Augenblick! Doch ich glaubte in ihren Augen etwas von ... dem Wohlwollen zu lesen, welches Ihr, würdige Donna, für mich gezeigt habt! O sprecht es aus, darf ich hoffen?
– Das klingt ja völlig wie ein Liebeshandel. Da ist's wohl höchste Zeit, dass wir nüchtern sprechen, entgegnete die Alte und blickte forschend in Elsen's Gesicht, als suchte sie darin nicht bloss die Anzeichen leidenschaftlicher Regung, sondern auch ein Stück Weltklugheit.
– Ihr müsst nämlich wissen, fuhr sie mit einem gewissen Nachdruck fort, meine Giuliana ... leider nicht ganz meine Giuliana, obgleich ich sie wie eine Mutter liebe und von meiner Brust genährt habe ... Giuliana ist Witwe.
– Witwe!
– Ja, Witwe. Ihr werdet mich fragen wollen, warum sie, noch so jung und schön, nicht wieder heirate? Leidige Verhältnisse, die nur Gott und die Madonna zu wenden vermögen! Ein wunderlicher Onkel, ein Tyrann, von dem sie abhängig ist, hält sie in klösterlicher Zucht. Doch was Kloster! In einem Convent sind der verwaisten Herzen viele, die sich gegenseitig trösten können. Ihr saht selbst den Vicolo cieco ...
– O die Arme, rief Elsen bewegt inzwischen.
– Ja, und womit kann die Aermste die Zeit anders verbringen, die Tage der Jugend, da man ein Recht hat, glücklich zu sein, wenn man nicht ein freiwilliges Opfer bringen will, als mit Lesen ... Zeichnen ... Stickerei ... Musik ...
– Musik! wiederholte Elsen begeistert; sie ist eine herrliche Gesellschafterin, eine mächtige Trösterin.
Sabina wusste vorläufig genug; sichtlich befriedigt und ohne dass Elsen den Sprung merkte, erwiederte sie:
– Das vermuthete ich ja gleich, dass Ihr ein Maestro di Musica seid. Und da meinte Giuliana, wie angenehm es wäre, einige Stunden mit Gesang und Musik auszufüllen, und ich dagegen meinte, dass unsere alten Meister nichts Rechtes verständen und dass uns einer unserer jungen leicht ins Gerede bringen könnte.
– Und da ist vielleicht mir das Glück zugedacht, mit Giuliana Musik zu pflegen? folgerte der junge Meister; O sie soll meine Cecilia, soll meine Muse sein!
Diese schwärmerische Auffassung schien der nüchternen Alten nicht sonderlich zu gefallen; sie stutzte einen Augenblick und sagte dann trocken: »Ja, Signor, Ihr sollt mit ihr Musik treiben.«
Geheimnissvoller aber fügte sie hinzu:
– Der Onkel brütet über Büchern und verträgt keinen Lärm. Daher wird es gut sein, eine Stunde zu wählen, da er nicht zu Hause ist ... etwa Ein Uhr nach dem Ave.
Elsen fand diese Rücksicht ganz natürlich, liess aber die Alte im Unklaren darüber, ob er die Bedeutung der vorgeschlagenen Stunde auch völlig erfasst habe. Er fragte nur mit Ungeduld:
– Vielleicht könnten wir wohl gar schon morgen beginnen?
– Si, domani, bestätigte Sabina. Also eine Stunde nach dem Ave, flüsterte sie lächelnd; verstanden, Maestro?
– Carlo ist mein Name; verlasst Euch drauf!
So endete diese merkwürdige Unterredung. Die Alte schüttelte im Weggehen wiederholt den Kopf. Sie war sich bewusst, Alles aufgeboten zu haben, um sich verständlich zu machen, musste aber schliesslich noch immer zweifeln, ob sie auch in der That richtig verstanden worden sei.
Diese schwerfälligen Forestieri! mochte sie denken. Einer unserer Giovini hätte mir schon nach dem zweiten oder dritten Worte sein capito zugeblinzelt. Hätte ich so Einem gesagt: Meine Herrin ist jung, hat Langeweile und sucht einen Musikmeister; er hätte mir geantwortet: Ich bin der Maestri berühmtester und stelle mich ihr zur Verfügung ... wenn er gleich von den Noten keinen Begriff hätte oder kaum wüsste, was eine Taste ist. Was thut man nicht für ein geliebtes Kind, das seine schönsten Stunden verdehnt und verseufzt! ...
Aber zum Wenigsten ist Signor Carlo ein schmucker Junge, und sie sollen beständig sein, diese Forestieri ...
Sabina trat vor ihre Herrin und berichtete:
– Also er heisst Carlo und ist Musikmeister; morgen Abend, eine Stunde nach dem Ave, will er kommen und der Witwe Giuliana seine Aufwartung machen.
Sie sprach es kleinlaut, und Giuliana erröthete.
Es war beiden Frauen nicht leicht um's Herz. Sie mieden sich mit den Blicken und keine fand das Wort, die vorwurfsvolle Stille zu bannen.
– Ach, wäre es nicht geschehen! seufzte Giuliana aus gequälter Brust vor sich hin.
– Wüsstest du, wie schwer mir der Gang geworden! erwiederte die Alte.
– Sabina, Sabina, hättest du je gedacht, dass deine Giuliana diesen Weg betreten würde? Ich schäme mich vor dir und mir.
– O Gott! Wie konnt' ich dich länger hinwelken sehen ohne Freund und Freude, armes Kind?
Giuliana sprang auf und presste die Alte ungestüm ans Herz. Die Thräne, welche noch an der Wimper hing, schien zu erglühen an dem Glanze, den nun ihr Auge strahlte.
Und als wäre ihr bewusst, welch unendlicher Freibrief die Liebe, flüsterte sie:
– Weisst, ich will ihn recht lieb haben.
– Die Madonna vergebe deiner Jugend und meiner zu grossen Liebe für dich! rief Sabina aus, halb geängstigt, halb beschwichtigt.
– Nun aber erzähle mir, was Alles er sprach, drängte Giuliana, Wort für Wort. Hab ich ihm gefallen? ...
Elsen war nach der Begegnung mit der Alten in einem unbeschreiblichen, glücklichen Taumel; er wusste und dachte nur das Eine: er sollte Giuliana sehen und mit der Töne Macht ihr Herz bestürmen.
Das Café, in welchem sich die kleine Gesellschaft, welcher Franz und Elsen angehörten, zum Schlaftrunk versammelte, war noch ein unverfälscht römisches. Es bestand nur aus einem niederen Gassenzimmer und einem kleinen Hinterstübchen.
Tags über herrschte solches Dunkel darin, dass der Gast geblendet wurde, wenn er auch nur durch den Netzvorhang der offenen Thür einen Blick aufs besonnte Strassenpflaster hinaus warf. Nachts brannte das grösste Licht vor dem Madonnabilde.
An der Credenziera waltete die Wirthin selbst, eine ruhige, heitere Frau. Sie schleppte Sonntags ihren blöden, bresthaften Mann in die Kirche, hatte aber im Uebrigen einen rüstigen Schaffner zur Seite.
Mit dem Café war die übliche Pasticceria verbunden; die leckeren Pastetchen lagen unter einem Glasdeckel zur Schau ausgebreitet und vor den Fliegen gesichert.
Gleichfalls hinter Glas, auf Stellen übereinander, standen die Rum-, Cognac- und verschiedenfarbigen Rosoglio-Flaschen, sowie die unschuldigen trüberen Bibite di seme, moro, orzo, viola, Veilchen-, Gersten-, Brombeeren- und Kürbissamensäftchen u. s. w.
Die Wände entlang lief eine gepolsterte Bank, gleich den vierfüssigen Stutzsesseln längst eingesessen. Sein rundes Solo-Tischchen konnte jeder Gast an sich ziehen.
Die Farbentupfen des Estrichs waren nicht mehr zu ergründen. Dagegen hatte die Credenz eine blanke Marmortafel und lief das klare Nass der Acqua vergine schnürchendick beständig in ein Marmorbecken.
Aus dem tiefsten und finstersten Winkel des Vorderzimmers blickte rothäugig das Herdfeuer hervor.
Zu den Stammgästen zählt das abendlich nach dem Ave sich einfindende Spielquartett, das mit den spade und bastoni lebhaft zu hantieren versteht. Es bilden dasselbe der breite Pizzicarolo, der knauserige Trattoriawirth vom oberen Platze, der nergelnde Tabaccaro von der nächsten Strassenecke, und ein Rentenbesitzer, der viel Musse hat. Letzterer ist unstreitig die interessanteste Figur.
Sor Stefano hat das Aussehen eines würdigen Diplomaten. Seine feinen, geistreichen Züge fallen um so mehr auf, als das Gesicht blass ist. Sein Backenbart zieht sich hinter die Wangen herab und lugt unter dem glattrasirten Kinn bescheiden vor. Die Farbe von Haar und Bart ist nur um einen Strich dunkler als das Bleich des Gesichtes. Er spricht gemessen ohne Spröde, gewählt ohne Ziererei; sein Organ ist kräftig und wohltönend.
Beim Kommen und Gehen schäkert er mit der dicken Wirthin, die ihm seine Stichelei mit derberen Hieben heimzahlt und regelmässig droht, ihn, den alten Sünder, bei seiner jungen Gattin zu verklagen.
Und der Wurf mit dem alten Sünder wird regelmässig von den anwesenden Bekannten belacht; aber so wenig schadenfroh und verletzend, dass der Gezeichnete wohl selbst mit einstimmt, und dabei tadellos schöne Zähne zum Vorschein kommen lässt.
Aber gezeichnet erscheint Sor Stefano darum doch nicht minder. Hochgewachsen, wohlgebildet, ungebeugt, hat er schon lange den Stock zum unentbehrlichen Begleiter.
Seine Schwäche liegt in den Beinen.
Er kann sie nicht anders als schleifend vorwärts bewegen, und den einen Fuss vor den andern zu heben, Treppen auf zu steigen kostet ihn die grösste Anstrengung.
Das Quartett war schon längst im Hinterstübchen thätig, als sich die Künstler am benachbarten Tische einfanden.
Franz sprach vom Vicolo cieco, schilderte in etwas aufschneiderischer Weise dessen düstere Romantik und zeigte seine Skizze vor.
Sor Stefano hatte bereits aufgehorcht und konnte so ziemlich dem Gespräche der Künstler folgen, denn es war auch ein Franzose darunter, dem man zu verdolmetschen sich beeiferte, was Franz in launiger Weise über den Vicolo vorbrachte, und Stefano verstand französisch.
Als der Letzte, Elsen, eintrat, wurde er mit der neckenden Frage empfangen, was wohl er im Vicolo gesucht und gefunden habe.
– Eine Musikstunde, lautete die Antwort.
Aber schon im nächsten Augenblicke schien der Sprecher das Wort zu bereuen. Er erröthete verlegen und hatte dabei noch einen fragenden Blick von Seite des blassen Spielers zu bestehen, dem er sein Profil zukehrte.
Zum Glück fasste Franz die unvorsichtige Aeusserung des Freundes als einen Witz auf und plauderte:
– Nicht schlecht! Im hohlen Gemäuer orgelt der Wind ... eine köstliche Naturstudie im Sinne Richard Wagner's.
Allmälig ebbete das Gespräch und Elsen wurde es nicht schwer, sich in seine gewöhnliche stumme Rolle hineinzufinden. War doch auch schon die Zeit zum Aufbruche gekommen. Denn die lange Gasse herauf liess sich Flöten- und Mandolinenklang mit dem Grundbass einer Ziehharmonika vernehmen.
Es währte nicht lange, so kam's zum Café hereingezogen, als hätte ein vorüberbrausender Bacchantenzug einen Theil seines heiteren Gefolges abgeschnellt.
Es waren die Musici der wandernden Serenade mit ihren begeisterten Zuhörern, Bursche und Mädchen mit glühenden Gesichtern und funkelnden Augen, lachend und kreischend, aber bei alledem gänzlich harmlos in ihrer Lustigkeit.
Sie bilden die letzte Hochfluth für's Café und zugleich den Kehraus für die stilleren Gäste. Im Nu haben sie von Bänken, Tischen, Stühlen Besitz genommen, aber was sie sich auftischen lassen, sind die kühlenden, bescheidenen bibite di seme, di orzo, di moro. Glückliches Völklein, so nüchtern in all seiner Trunkenheit!
Wie häufig begleitete der dicke Pizzicarolo den Sor Stefano nach Hause. Dem Behäbigen fiel dieser Freundschaftsdienst nicht allzuschwer, denn es ging langsam vorwärts, und da und dort blieb man völlig stehen, um in der stillen Gasse, unter dem milden Sternenhimmel, während fern die grosse Fontana rauschte oder ein vereinzelter Herrschaftswagen über den spanischen Platz rollte, bequem noch manches vertrauliche Wort auszutauschen.
Der Gegenstand, um welchen sich heute ihr Gespräch drehte, war offenbar von Beiden schon wiederholt berührt worden, und bedurfte keiner Einleitung mehr.
Stefano war der mittheilsamere; der Andere schien sich auf ein gelegentliches beschwichtigendes » ma che,« »warum nicht gar« zu beschränken.
So fuhr Stefano, als er um die Ecke heraufgekommen, die Schritte anhaltend, folgendermassen fort:
– Und dennoch, Schwager, bring' ich den Gedanken nicht los, dass ich sie doch nur unglücklich gemacht habe. Ich hielt mich noch zu etwas nütz, und so schmeichelte die Eitelkeit der lauernden Genusssucht. Das Alter wird egoistisch, keine Frage; aber dass selbst Wachsamere sich diesem Hange nicht entwinden können, das ist traurig. Dass ich die aufgeblühte Tochter an mein Siechthum kettete, wirft selbst auf meine Freundschaft zu ihrem Vater, für so echt ich sie auch hielt, ein schiefes Licht.
– Das ist doch zu arg! unterbrach den Selbstankläger da der hausbackene Gefährte: War's nicht gerade sein letzter Wunsch und Bitte? Wer sonst hätte sich der Verlassenen annehmen sollen? Ohne Ausstattung hätte nicht einmal das Kloster sie behalten.
– Aber ich hätte ihr eine Ausstattung zukommen lassen können, ohne ihre Jugend für mich als Opfer zu verlangen. Darin liegt's.
– Du thust wahrhaftig schon, als wärst du so übel dran wie unser Caffettiere.
– Der nichts davon weiss, und der es nicht zu verantworten hat, wenn seine Frau sich anderweitig tröstet ... sich unter Verhältnissen tröstet, die es fast verzeihlich erscheinen lassen, wenn sie sich nach einer andern Stütze umsieht.
– So gestatt' ihr denn auch einen Freund, wenn dich ihre Jugend dauert.
– Du, ein glücklicher Gatte, weisst nicht, was du mir da räthst und wie widerspruchsvoll dein Rath ist. Sich selbst Hörner aufzusetzen, nein, das vermag kein Mann über sich ... Und andererseits entartet nichts leichter als ein Weib, das von verbotener Frucht gekostet. Lieber des Hauses Ehre wahren, als sie rächen müssen.
– Es hilft nichts, fügte Stefano mit schmerzlichem Lächeln hinzu, ich muss entweder blind sein oder aber bald zu sein aufhören.
– Du bist ein Narr! lachte der Dicke aus vollem Halse.
Ruhig, als hätte er nur akademisch gesprochen, reichte ihm Stefano die Hand. Er war vor seinem Hause angelangt und liess den Klopfer fallen. –
Niemand verbrachte am nächsten Tage die erste Stunde nach dem Ave ungeduldiger und von beseligenderem Bangen erfüllt als Elsen.
Er war auf dem Pincio gewesen und hätte der Sonnenscheibe Bleigewichte gewünscht, die sie schneller hinter die Peterskuppel niederzögen. Er fühlte eine gährende Welt in seiner Brust und war der freudigen Zuversicht, dass sie sich in ein Reich der Harmonie ausgestalten müsse.
Als die Abendglocken zu läuten begannen, dichtete er eine Symphonie in das klingende Luftmeer hinein und überliess seine leicht beschwingte Seele den tönenden Wogen, und alle diese Tonwellen strömten niederwärts und über das dunkle Haus zusammen, dahin ihnen längst seine Sehnsucht vorausgeeilt war.
Er begriff nicht mehr, wie jemals die Welt und sein eigenes Herz für ihn stumm sein konnten. Er vernahm das Gefüge des Universums und den Wandel der Welten als Musik; und so viele Melodien erwachten und regten sich in seiner pochenden Brust, dass ihm schwül und Angst wurde vor diesem Reichthum, dass er betäubt in dieser Fülle versinken zu müssen wähnte.
Wiederholt hatte er sich hastenden Schrittes schon dem Hause genähert, das ihm wie ein verkleideter Tempel vorkam, und immer wieder musste er gewahren, dass die Stunde des Glückes noch nicht geschlagen, und immer wieder nahte er von anderer Seite.
Dass es Nacht geworden, merkte er kaum, aber dass nun die erste und dann eine zweite Glocke die ersehnte Stunde schlug, vernahm er gierigen Ohrs und jubelte innerlich auf.
Er stand vor dem Thor des finstern Hauses. Aber als werfe nun die ganze Umgebung einen Schatten über sein festliches Gemüth, athmete er schwer. Er zögerte, der herbeigeeilt war. Mit zitternder Hand griff er nach dem Klopfhammer.
– Chi è? rief innen eine widerliche Frauenstimme.
– Carlo, der Musikmeister, entgegnete Elsen stotternd.
Im mürrischsten Tone hörte er hierauf von der Stiege herab:
– Was will er?
Aber es klang weniger wie eine Frage denn wie eine Aeusserung der Unzufriedenheit.
Bald darauf kam es schlumpernden Schrittes durch die Hausflur. Das Thor öffnete sich und Elsen hatte im Lichte eines Wachskerzchens eine Erscheinung vor sich, vor welcher er zurückschrak.
Ein hageres Weib, hinkend, mit spärlichem gelbrothem Haar auf dem Schädel, rothen Brauen, das Gesicht von Sommersprossen und Narben entstellt, mit einer spinnenden Katze auf dem Arm, trat auf ihn zu, leuchtete ihm keck ins Gesicht und schnauzte ihn frech an:
– Wen sucht Ihr hier?
Elsen stieg das Blut zu Kopf; er antwortete streng:
– Die Witwe Signora Giuliana. Doch was geht das Euch an? Macht Platz, Alte!
– Was sagt Ihr, kleiner ragazzo? höhnte die Hexe; die Witwe Giuliana sucht Ihr? Ha, ha, ha!
Das Lachen klang teuflisch.
Da liess sich's in fast bittendem Tone von der Treppe herab hören:
– Aber Barbara, was macht Ihr denn?
Und schnell umschlagend ins Freundlich-Einladende klang es weiter:
– Favorisca, Signor Carlo! Bitte nur herauf zu kommen.
Elsen hatte die Stimme Sabina's erkannt und stieg rasch die Stufen empor. –
Barbara's boshafte Zunge sorgte schon dafür, dass die Neuigkeit, die Witwe Giuliana habe einen Musikmeister genommen, in der Nachbarschaft bekannt wurde. Das Ereigniss drang schnell über den Vicolo hinaus und errang die Aufmerksamkeit auch der nächsten Gassen.
Die Weiber, ob Donnen oder Dienerinnen, betrachteten es als eine Angelegenheit, die sie nicht nur insgesammt angehe, sondern bezüglich welcher auch sie ein Wörtlein drein zu sprechen hätten.
In der That bildete sich, obwohl ohne sichtliche Bewegung, eine Art weiblichen Volks- und Ehrengerichts.
Es erhoben sich Anklägerinnen, aber auch vertheidigende Stimmen wurden laut.
Die obere Schichte des Areopags that die Sache mit kurzen Bemerkungen bei gelegentlicher, jetzt allerdings auffallend häufiger Begegnung ab. Da hiess es: Ich sah es längst so kommen ... Aber dieses Aufsehen, ich bitte Sie ... Mein Gott, es ist auch ihr zu gönnen, hat's doch die A. und die B. damit noch eiliger gehabt ... Aber einen Fremden? ... Sind oft discreter als die Unsrigen ... Wir werden ja sehen, wie sie's treiben wird ... u. s. w.
Insgeheim dachte dabei wohl Eine von der Andern: Die Pharisäerin!
Lebhafter setzten sich die Mäuler beim Brunnen, beim Waschtrog, auf dem Gemüsemarkt, an der Treppe und in der Hausflur in Bewegung.
Und wer da am meisten lästerte, das war die rothe Barbara: Nimmt ihn gleich von der Gasse weg! geiferte sie; so was ist unerhört. Natürlich steckt die alte Sabina dahinter. Der sieht man's doch gleich an, dass sie eine Kupplerin ist. Wer weiss, wie oft sie schon Einen hinaufpracticirt hat. Diesmal stellte sie's aber doch gar zu dumm an. Figuratevi, sie vergisst, dem feinen Herrn zu sagen, wie oft er klopfen soll, und der süsse Junge klopft mich heraus! Gewiss hab' ich ihn mir gehörig angesehen. Kein übles Gesicht. Aber ich sag' Euch doch, dass solche hier dutzendweise herumlaufen. Ist nicht einmal blond. Aber ein Forestiero hat's sein müssen. Und das ist eine Schande! Und das dürfen wir nicht gelten lassen.
Wenn Barbara mit diesen und ähnlichen Worten auf allgemeine Zustimmung rechnete, so irrte sie sich gründlich. Man kannte sie und misstraute ihr, so gern man sich auch von ihr erzählen liess, wie Alles sich begeben hatte.
Wer weiss, was die hinter dem Rücken hält? äusserte Diese und Jene.
Man denkt in Rom von gewissen Dingen menschlich und milde ... und hat Ursache dazu.
Aber die schönste Bemerkung auf Barbara's niedrige Schmähworte äusserte doch die Blumen- oder Orangenverkäuferin an der Ecke der Propaganda; sie machte ihrem Murillo-Gesichte Ehre, indem sie meinte: Was weiss denn die Barbara von Liebe? Sie war ihr Lebtag hässlich und kennt nur den Neid. –
Ein paar Tage hatte sich Elsen nicht sehen lassen ... Grund genug für Franz, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen.
Es war zudem einer der Nachmittage, für welche der junge Componist ein- für allemal seine Freunde zum Besuch geladen hatte, um ihr Urtheil über seine neuesten Einfälle zu hören und sie, allenfalls zur Entschädigung, mit wirksam vorgetragenen Stellen aus Meisterwerken zu erfreuen.
Diese Productionsstunden hatten aber bereits ziemlich lange ihre Zugkraft eingebüsst. Immer lärmender waren in letzter Zeit die Tonschöpfungen Eisens geworden, sie arteten förmlich in einen sinnlosen Sturm aus.
Das war Reflexionsmusik, welche den schreienden Mangel an Empfindung zu übertäuben suchte.
Die Freunde hielten solchem Aufgebot von Mitteln ohne Zweck gegenüber mit ihrer Meinung zurück oder aber erwiederten Phrasen mit Phrasen.
Elsen fühlte sich selbstverständlich verletzt, und um sich zu rechtfertigen und für seine Kunst den tüchtigsten Gewährsmann aufzubringen, wählte er aus R. Wagner's Opern solche Stücke zum Vortrag, welche, abgetrennt vom dramatischen Vorgang und aus dem Zusammenhang gerissen, eben nur wieder schon Gläubige in Entzücken versetzen können.
Diese aufdringlichen Bekehrungsversuche machten daher die Freunde nur verstockter.
Dazu kam, dass Elsen's Stube insofern mit seiner Musik harmonirte, als sie einen Spottreim auf Sinn und Ordnung abgeben konnte. Bücher und Partituren lagen übereinander gehäuft, und frische Wäsche hatte Mühe, inmitten von Vergilbtem und Abgegriffenem ihre Reinheit zu bewahren. Wohl traf's sich auch, dass das, was man unter Tisch und Bett zu sehen, oder besser gar nicht zu sehen gewohnt war, sich auf Stuhl und Kasten breit machte, wohingegen die Gäste zusehen mochten, wie sie Platz fanden.
Man sah über diese wüste Wirthschaft hinweg, so lange der Kunstgenuss reichlichen Ersatz bot. Als aber auch in diesem das Wüste einriss, blieb man aus.
Nicht so Franz. Ein kurzes Fernbleiben, und der »Aufdringliche« ging ihm ab, er suchte ihn auf.
Als er die Treppe hinanstieg, war er nicht wenig erstaunt, aus Mozart's »Don Juan« spielen zu hören; Liebe heischende, ungestüm werbende Klänge drangen an sein Ohr. Das schien ihm ganz neu und bedeutsam. Er hielt unwillkürlich, und es kam noch besser.
Es folgte ein Lied, darin sich unverkennbar Herzensjubel aussprach. »Die Weckerin heisst Liebe« lautete der Schluss.
Franz trat ein und verlangte lebhaft:
– Sing' nochmals das Lied.
– Meine neueste Composition, entgegnete Elsen, fast scheu und verlegen.
– Desto besser. Ohne Umstände.
Elsen präludirte und sang:
Die klaren Bächlein rauschen all,
Die Lerche steigt mit Jubelschall,
Der Himmel leuchtet frühlingsblau,
Die Welt ist eine Blüthen-Au.
Wie sollten nicht im Blüthenhauch
Entknospen sich die Herzen auch,
und schwellen süsse Triebe?
Sag' an, wer so den Winter zwang,
Wem dieses holde Werk gelang? –
Die Weckerin heisst
Liebe!
Länger hielt sich der Maler nicht mehr, Er sprang auf und rief:
– Mensch, sieh mir ins Gesicht! Was ist mit dir geschehen? Du bist verliebt!
– Und werde geliebt, entgegnete Elsen, und fiel dem Freunde um den Hals.
– Aber frage nicht weiter, fügte er ängstlich bittend hinzu. Es ist noch zu neu, zu schön, zu wunderbar und unglaublich.
– Hm, meinte Franz, nachdem er den Glücklichen lange und seltsam betrachtet, du bist ein junger, hübscher Bursch und begabt, und doch kann ich mir dich als Liebhaber einer richtigen Römerin nicht denken. Da gilt's in den meisten Fällen rasch zuzugreifen. Dazu muss man entweder ganz simpel oder aber sehr fein sein. Und du bist weder das Eine noch das Andere. Du däuchst mir zu sehr Idealist.
Elsen lächelte zufrieden.
– Was geht's mich aber weiter an? fuhr Ersterer fort. Ich gratulire. Teufel auch, dass es dich treffen musste und an mir vorbei ging! Könnt' es gerade wieder einmal brauchen ... Schlingel, ich beneide dich.
Und wie von einem ernsteren Gedanken gefasst, ergriff er bald wieder das Wort und sagte treuherzig und eindringlich:
– Freund, ob's nicht doch besser wäre, wenn du mir ganz vertrautest?
Aber Elsen erhob wie flehend die Hände und liess sie gleich darnach auf die Tasten fallen, um jedes Bedenken verstummen zu machen und hinweg zu tändeln. Und er verfügte über gewinnende, berauschende Töne, wie nie zuvor.
Als es dunkelte, beschwor er den Freund, nicht nachzusehen und nachzuspüren, welchen Weg er einschlage.
Dies Versprechen fiel dem Maler nicht leicht; er hatte diesmal mehr als seine Neugierde, auch ein vorahnendes, beunruhigendes Gefühl zu unterdrücken.
Als traute er der erhaltenen Zusage doch nicht recht, wählte auch Carlo keineswegs den nächsten Weg in den Vicolo cieco.
Wohl mit Grund hatte Elsen von Frühling und Liebe gesungen. Oktober war gekommen und mit ihm ein zweiter Frühling für Campagna, Villen und Gärten, aber ein Frühling, dem nicht nordischer Winter, sondern der heisse, versengende, alles Leben zu völliger Schlaffheit herabstimmende Sommer des Südens vorausgegangen.
Mit welcher Sehnsucht hatte man nach monatelanger Dürre nach dem ersten vollen Regentropfen gelechzt, und mit welcher Befriedigung sah und hörte man den letzten Guss niederprasseln!
Nun hatte das ergiebige Nass seine Schuldigkeit gethan, die gelöschte und gesättigte Campagna überzog sich mit neuem Grün, in den Gärten sprosst' und blüht' es von neuen Trieben und der kahlste Baum wob wieder sein Laub- und Schattendach. Keine Sciroccoschwüle hielt länger silberdämmerig den Himmel umzogen, das Sonnenlicht ergoss sich leicht und klar, und hatte seine erschreckende, schmerzende Grelle abgethan; ab und zu ein Silberwölklein hoch oben gab von der überstandenen, wohlthätigen Sündfluth Zeugniss.
Und auch die Herzen erwachten aus ihrer Trägheit und Verdumpfung; die Nerven erstarkten, Muskeln und Sehnen streckten sich. Der Körper fühlte jugendliche Schnellkraft und neue Wünsche hoben die Brust. Liebe machte wieder ihre Rechte geltend.
Elsen, der, mit der jungen Liebe im Herzen, zugleich den wiedererstandenen Frühling in vollen Zügen genoss, wollte die schönen Oktobertage mit seiner angebeteten Giuliana nach seiner eigenen, etwas schwärmerischen Weise ausnützen. Er machte ihr daher den Vorschlag, sie möchte mit der alten Sabina zur Porta Pia hinaus einen Spaziergang unternehmen; in der Osteria zum Mezzo miglio würde er sie erwarten, dort sollte Sabina zurückbleiben, sie aber wollten und könnten sich, Arm in Arm, ein glückliches Stündchen über die grünen Hügelwellen der Campagna frank und frei ergehen.
Der erste Theil des Antrages stimmte zum Herkömmlichen, denn an Oktober-Nachmittagen strömen Massen des Volkes, der Nobile und die purpurbestrumpfte Eminenz so wenig ausgenommen als der Facchino, zu den Thoren hinaus, und man thut sich gern in den Osterien an der staubbefreiten Via gütlich.
Aber dieser Spaziergang erstreckt sich selten viel weiter, als wie weit rechts und links hohe Mauern, welche Villen und Vignen abschliessen, die Strasse besäumen. Froh und ungebunden von Hügel zu Hügelchen in die grüne Campagna hineinzustürmen, widerstrebt der äusseren Würde der Römerin und ihrer Gemächlichkeit.
Giuliana verwunderte sich daher über den Einfall ihres Maestro, wie sie überhaupt schon über manches Wunderliche in seinem Wesen den schönen Kopf geschüttelt hatte.
Er war mehr Künstler als Liebhaber; seine Seelentrunkenheit theilte sich nicht auch der Freundin mit, deren liebendes Verlangen in seiner Nähe eher an sich halten musste, als sich gehen lassen durfte. Aber Carlo bat für seinen Plan und sie liess sich schliesslich dazu bereden, wenn sie sich innerlich auch gestand, mehr einem eigenwilligen Kinde nachgegeben, als sich dem starken Willen eines Mannes gefügt zu haben.
Die rothe Barbara konnte um so leichter hinter den Ausflug kommen, als sie mit Giuliana unter einem Dache wohnte, als sie findig genug war, ein aufgefangenes Wort zu ergänzen, als sie aus dem belauschten Vorrichten eines Promenadekleides auf dessen bevorstehende Verwendung schliessen mochte, und überhaupt einen das Verhältniss Carlo's zu Giuliana durchkreuzenden Plan hegte.
Nicht umsonst hatte sie gegen den Forestiere geeifert; ihre boshafte Zunge stand diesmal auch noch im Dienste eines schändlichen Anschlages.
Barbara hatte an Gianni einen Verwandten ... man wäre versucht, einen recht nahen zu vermuthen, wenn der junge Mensch nicht hübsch oder sie selbst nicht, wie die Orangenhändlerin mit dem Murillo-Gesicht bemerkt hatte, all ihr Lebtag hässlich gewesen wäre.
Gianni hatte als armer Junge, zu dem sich Niemand als Vater oder Mutter bekennen wollte, in S. Michele an der Ripa Aufnahme und Unterkunft gefunden. Er hatte Cameen und Medaillons arbeiten gelernt und betrachtete sich daher als einen Künstler, wenngleich er es nicht unter seiner Würde hielt, in der Fremdensaison selbst mit seiner Waare hausiren zu gehen.
Er war zu einem kräftigen jungen Manne herangewachsen. Seinem Gesichte fehlte es nicht an Ausdruck, aber geistiger Adel war demselben nicht aufgeprägt. Eitelkeit machte ihn zuversichtlich, und eine gewisse Dreistigkeit schien er von den Trasteverinern angenommen zu haben.
Soweit sich natürliche Gradheit und Gutmüthigkeit mit einer ihm gleichsam von seinem Loos anerzogenen rohen Auffassung von Welt und Leben vertragen konnte, war solche noch vorhanden und bildete den Rest seiner bessern Natur.
In seiner mangelnden Herzensbildung, in seiner geringen geistigen Entwicklung glich er vielen hundert jungen Römern aufs Haar.
In beiden Beziehungen stünde ein deutscher Handwerksbursch hoch über ihm.
Aber äusseren Anstrich wusste er sich zu geben, gewandt war er im Benehmen, stolz fühlte er sich als Römer, und sein Selbstbewusstsein war so gross als seine Beschränktheit, wie denn gemeiniglich die beiden letzten Eigenschaften im geraden Verhältnisse zu einander stehen.
Barbara hatte an Gianni ihre Freude, er war ihr Schützling, und ihn auf ihre Weise zu befördern, betrachtete sie als ihre Aufgabe.
Und schon seit Langem hatte sie für ihn ein Ziel in Aussicht genommen, von welchem unverfänglich zu denken eben nur ihr und Ihresgleichen möglich war.
Sie wartete mit Ungeduld, bis Giuliana müde sein würde, eine Heilige zu sein oder zu spielen. Es sollte, wie sie noch bis vor Kurzem gedacht hatte, ihr dann ein Leichtes sein, den Blick der Donna auf ihren Gianni zu lenken.
Nun aber musste sie plötzlich sehen, dass ihrem würdigen Zögling ein Anderer zuvorgekommen, vorgezogen worden. Das versetzte sie in eine schäumende Wuth, stachelte ihren Neid und beschleunigte ihren Entschluss, der jetzt freilich ein unerwartetes Hinderniss im Wege fand.
Ihr Hass richtete sich zunächst gegen die Sabina, von der sie glaubte, dass selbe, lediglich, um ihr das Spiel zu verderben, die günstige Gelegenheit früher wahrgenommen und benützt habe. Brodneid mischte sich in den Zorn über die vermeintlich erlittene Ueberlistung.
Dann erstreckte sich ihr Hass auch auf Carlo als bevorzugten Nebenbuhler Gianni's. Dass bei der Wahl eines Freundes edlere Eigenschaften den Ausschlag geben könnten, liessen sie weder ihre Gesinnungsweise noch ihre Verblendung bezüglich Gianni's vermuthen.
Ebenso erschien es ihr völlig undenkbar, dass Giuliana selbst, nach eigenem Herzensantriebe, gewählt haben sollte. Für sie hatten derlei Verhältnisse nur eine mäklerische, geschäftliche Seite. Daher wendete sie ihr Auge auch keineswegs von Giuliana ab; nach wie vor schien sie ihr umgarnungswerth.
Es galt für sie nur den Einen auszustechen und den Anderen an dessen Platz zu bringen.
Den Muth zu einem solchen Versuche schöpfte sie aus der eigenen Schlechtigkeit und aus der gleich schlechten Meinung, welche sie von Andern hatte.
Gianni war in der letzten Zeit häufig bei seiner Verwandten, welche mit ihrer Katze in einer russigen Küche hauste, während sie zwei lichtarme Stuben an Leute tagscheuen Gelichters vermiethet hatte.
Hier empfing der gelehrige Schüler Unterweisungen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig liessen. Ab und zu ekelte selbst ihm vor seiner Lehrmeisterin und er war nahe daran, sich aus dem Handel zu ziehen.
Dann wusste ihm aber die Hexe von anderer Seite beizukommen, indem sie ihn einen guten Jungen nannte, der der Einzige sei, welcher sich der alten Barbara annehme und sie für den Schimpf, den ihr die garstige Sabina angethan, zu rächen vermöge.
Solch ein Ansporn zur Rache verfehlt auf einen Italiener selten die Wirkung.
Und Barbara wusste Gianni noch mehr zu reizen, indem sie ihm vorstellte, dass es eine Schmach wäre, sich eine so schöne Beute von einem Forestiere abjagen zu lassen.
Das war übergenug. Der Cameenschneider liess sich für den Ausflug der beiden Liebenden willig den Platz andeuten und versprach, seine Rolle zur Zufriedenheit zu spielen.
Die Osteria, welche Carlo vorgeschlagen, ist eine der lieblichsten in der ganzen Umgebung Rom's. Vom Quirinal führt der Weg, breit und eben, selten von staubaufregenden Rädern befahren, schnurgerade zum Thore. Sobald man die Stadtmauer hinter sich hat, schweift das Auge links über eine grüne Thalmulde zur Villa Albani hinüber, während rechts hochragende Cypressen und künstliche Ruinen der Villa Torlonia sichtbar werden. Drüber hinaus säumt zur Rechten eine bebuschte Hügellehne den Weg und mitten in dieses Laubdickicht hinein führt der gewundene Seitenpfad zur Osteria.
Letztere liegt anmuthig versteckt, hat eine lauschige Pergola, einen kleinen Laubgang, der in den Weinberg hinausführt, und Tische und Bänke in Menge unter luftigem Dache.
Es ist ein freundlicher Winkel, der weder die Nähe der Stadt noch die Oede der Campagna vermuthen lässt.
Dahin war Elsen vorausgeeilt und harrte mit wachsender Ungeduld der Geliebten, welche versprochen hatte, noch vor dem grossen Schwarm der Spaziergänger sich auf den Weg zu machen. Er hatte schon tüchtig Rundschau gehalten und freute sich, Giuliana bald auf einem andern schattigen Wege, als auf welchem sie kommen musste, wieder auf die Strasse hinabzuführen, über dieselbe zu setzen und dann mit ihr querfeldein zu wandern, dahin, wo ihm die Ferne am ländlichsten entgegengrünte.
Er sah sie kommen, eilte ihr entgegen und begrüsste sie mit jener Munterkeit, die dem Menschen mit starkem Naturgefühl inmitten frühlingsheiterer Umgebung von selbst angeflogen kommt. Er wies in die Ferne hin und fragte, ob ihr nicht das Herz lache und ob sie ihm seinen »Einfall« nicht freudig verzeihe.
So freudig gab sich Giuliana nun allerdings nicht, als Carlo erwartet hatte, aber sie lächelte, liess ihm den Arm und fragte, wie er sich ihre Verzeihung für seinen » Capriccio« wohl zu verdienen gedenke.
– » La Passeggiata di Giuliana« soll mein nächstes Opus heissen, erwiederte er begeistert, und wenn von meinem Gefühl im gegenwärtigen Augenblick auch nur ein Zehntel in dasselbe übergeht, so –
– Ah! hauchte Giuliana, wie enttäuscht oder gelangweilt, und schritt rascher auf die Pergola zu.
Carlo und Sabina folgten.
Aber schon bei ihrem Eintritte in die Weinlaube wurde Jedes von den Dreien zwar durch dieselben Gestalten, aber in verschiedener Weise und in ungleichem Grade, überrascht.
Tief unten an dem einen Ende des langen Tisches sassen Barbara und Gianni.
Giuliana stutzte kaum merklich und wendete sich dann würdevoll dem anderen Ende der Laube zu.
Auf Carlo wirkte die Erscheinung Barbara's wie der Anblick einer Spinne, einer Schlange oder Kröte. Er fühlte einen natürlichen Abscheu vor diesem weiblichen Cerberus; ihm war, als hörte er neuerdings ihr teuflisches Lachen. Die Frühlingswonne in seinem Herzen sank jäh und tief.
Gianni war ihm fremd; er betrachtete ihn unbefangen und dachte sich nichts dabei.
Nicht so Sabina; sie sah in dieser Begegnung kein Werk des Zufalls. Sie kannte die Rothe zu gut, als dass sie nicht die Absicht ihres frevelhaften Spieles ahnen sollte.
Dieser Zug sollte das junge Verhältniss lockern und war zugleich gegen sie als dessen Vermittlerin gerichtet. Daher auch dieses höhnische Lächeln um Barbara's Mund, dieses Leuchten ihrer falschen Augen.
Die beiden Weiber massen sich, als wollte eines das andere mit den Blicken erdrosseln, knicksten aber zugleich gegen einander, als wären sie Frauen von Stand.
Kaum hatten die Neuangekommenen Platz genommen, als sich Barbara mit der Miene freudigster Ueberraschung erhob und ehrerbietig gegen Giuliana gewendet sprach:
– Di grazia, Signora, das ist ja ein helles Wunder! Eine Nonne verlässt öfter die Clausur, als Sie sich einen Schritt aus ihrer Einsamkeit gestatten. Und dennoch dieses blühende Aussehen! Der Himmel weiss, was er thut. Mir hat die grosse Hitze stark zugesetzt ... Ja, das Alter! Und da hab' ich so einen guten Giovinotto, der sich nicht schämt, seine alte Tante ein wenig in die Luft zu führen. Weit tragen mich die Füsse ohnehin nicht mehr ... Und ist ein Künstler, mein braver Knabe; seine Arbeiten dürfen sich sehen lassen. Er hat Ihnen eine Camee geschnitten – auch Signora Giuliana würde ihre Freude daran haben, wenn sie sie sehen wollte. Wir sind früh aufgebrochen wegen der Leute; mit seiner alten Verwandten macht der brave Bursch wohl eine hübsche Figur, ha, ha! Es ist ein reines Opfer. Müssen auch bald wieder fort, wegen meiner alten Beine. Guten Tag, Sora Sabina! Ihre Dienerin, Signor Maestro!
Und sie schickte sich an, die Laube zu verlassen. Giuliana, die zu der Ansprache wiederholt genickt hatte, erwiederte freundlich, aber ohne sonderliche Wärme:
– Bleibt doch, gute Barbara; wir, die wir unter einem Dache wohnen, werden uns wohl auch an einem Tische miteinander vertragen können.
An Gianni richtete sie kein Wort; der bescheidene Junge schien auch keines zu erwarten.
Sabina hatte sich an Giuliana's rechte Seite gesetzt, so dass sie von den durch's Laub blickenden Strahlen der Nachmittagssonne nicht beirrt wurde, all' demjenigen ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen, was sich etwa auf dem Gesichte der Herrin spiegeln würde.
Carlo sass ihr gegenüber; er war um seine gute Laune gebracht. Er fühlte sich gestört und eingeengt, war aber selbst zu lautern Sinnes, als dass er sich von den widerwärtigen Tischgenossen ein bestimmtes Arg versehen mochte.
Er war um's Wort verlegen, das ihm doch früher so lebhaft von den Lippen geflossen.
Aber auch Giuliana und Sabina schienen nicht zu wissen, welchen Ton sie anschlagen sollten, denn sie machten sich viel mit dem Fächer zu schaffen.
In dieser Unbehaglichkeit hob Carlo mit einer gleichgiltigen Bemerkung französisch an; aber Giuliana beugte rasch vor, indem sie laut sagte:
– Da muthet Ihr mir, Maestro, viel zu viel Uebung zu; sprecht immer euer Italienisch, es klingt schon ganz leidlich, und spart Ihr Eure Zunge nicht, so wird es sich noch mehr glätten.
Nun war wieder guter Rath theuer. Begreiflich, denn ist eine Spinne in die Schüssel gefallen, wer mag noch länger draus löffeln?
Wer einzig in dieser Pause, während Eins den Blick des Andern zu meiden schien, wusste, was er zu thun hatte, das war Gianni. Er war von der kundigen Tante nur zu gut unterwiesen worden und besass angebornes Geschick und Keckheit genug, unter der Maske der Bescheidenheit sein freches Spiel zu beginnen.
In der That, wenn jemals Augen eine verwegene Sprache zu führen verstanden, so waren es seine. Erst schienen dieselben nur blöder Bewunderung fähig zu sein; sie wendeten sich ab, wie von solcher Schönheit geblendet, wie scheu betreten. Dann heuchelten sie einen ängstlichen, einen um Vergebung flehenden Ausdruck. Und dreister erhoben sie sich wieder und forschten, fragten und brannten.
Dabei streiften erst grollende und dann geringschätzige Blicke Carlo, und bald scheute sich der Bube nicht mehr, die Donna selbst mit tief empfundenem Mitleid zu kränken.
Ja, wie nun seines Sieges gewiss, schoss das Auge alle Glut auf das umgarnte Opfer ab, nicht mehr bangend, nicht mehr bittend, sondern wie mit roher Macht überwältigend.
Und alle diese Kunststücke mit den entsprechenden Seufzern und dem lechzenden Beben der Lippen vollzog Barbara's hoffnungsvoller Schüler in so schüchterner Haltung, als fürchte er nichts mehr, denn dass seine Tante diese seine wachsende, mächtig auflodernde Leidenschaft gewahren könnte. Er that mit seiner Unverschämtheit schamhaft und geheim; ja, als litte er unter dem Zwange der Umstände unsäglich, war er es, der zum Fortgehen drängte.
Und Giuliana?
Selbstverständlich strafte sie die dreisten Blicke des jungen Menschen, und sie war doppelt schön in ihrem Stolze, ihrer Würde.
Aber sollte ihr die Einfältigkeit dieser Geständnisse nicht auch ein kleines Behagen einflössen? Es lag eine Huldigung gegenüber ihrer Schönheit darin, welche abzulehnen man sich nicht immer stoisch genug fühlt. Ein unschuldiges Augenspiel unterhält zugleich, und auf diese Entschädigung glaubte sie für die störende Anwesenheit Barbara's Anspruch machen zu dürfen.
Allmählig rührte sie der hübsche Bursch fast und sie musste sich gestehen, dass er in seinem verstohlenen Andringen ungewöhnlichen Muth entwickle.
Ein Vergleich mit Carlo liess sich nicht länger abweisen und kostete sie einen leisen Seufzer, der vielleicht sagen wollte: Ach, hätte er etwas von diesem werbenden Ungestüm!
Aber vor dem nächsten Blick Gianni's erbebte sie in ihrem Innern; der schien ihr Geheimniss wie ihren Wunsch durchschaut zu haben, ihm gegenüber verlor sie ihre Unbefangenheit.
Und es kam zündender und herrischer. Sie erschauderte vor einer Macht, der sie sich nicht mehr entziehen zu können wähnte. Das war Frechheit und Grausamkeit zugleich, aber sie bangte und schwelgte darin.
Halb offenen Mundes neigte sie sich wie schwindelnd zurück. Es geschah dies, als Gianni aufstehend sich verbeugte, mit einem festen Blicke, der nur Giuliana galt, Abschied nahm und seiner zufriedenen Meisterin folgte.
Dieser stumme Vorgang, dieser gleichsam mit den unsichtbaren Waffen und Fühlern des Instincts geführte Kampf beanspruchte weder lange Dauer, noch wurde er ohne Unterbrechung geführt, noch war er für den Uneingeweihten ein auffallendes Schauspiel, noch auch verhinderte er jede andere Unterhaltung. Allerdings fand letztere bei Giuliana nur zerstreute Aufnahme und halbes Gehör.
Sabina sprach wenig, denn sie hatte sich vorgenommen, in den Mienen der Herrin, Gianni's und seiner Tante zu lesen, und Barbara verstand es vortrefflich, ihre Aufmerksamkeit so in Anspruch zu nehmen, dass ihr Manches vom geschilderten Duo entging. Sie fühlte dunkel, dass sie im Nachtheile sei, dass sich die Lage mit jedem Augenblick verschlimmere. Sie hatte, um eine gewaltsame Wendung herbeizuführen, die Fortsetzung des Spazierganges vorgeschlagen, aber bei Carlo, der in seiner Verblendung die Begegnung für vorübergehend und belanglos hielt, und noch fortwährend auf sein Querfeldein hoffte, keine Unterstützung gefunden.
Dafür hatte aber auch er mit jeder Saite, die er anschlug, entschiedenes Unglück. Seine Gedanken kreisten sorglos um ein Pulverfass, an das die glimmende Lunte gelegt war.
Als die Beiden fort waren, bemerkte er, erleichtert aufathmend und gleichsam reine Luft witternd:
– Eine hässliche Alte, diese Barbara.
– Und ein frecher Junge, dieser ihr Gianni, ergänzte Sabina mit Nachdruck, und forschte in den Zügen Giuliana's, wie um eine beruhigende Bestätigung darin zu finden.
Giuliana aber schien beide Aeusserungen überhört zu haben. Sie war in Gedanken.
Sabina blickte besorgt und schwieg.
Die Geliebte verstimmt, ihre Gefährtin verdrossen und schweigsam: was konnte dem Maestro da Schicklicheres einfallen, als auf seinen alten Vorschlag zurückzukommen?
– Aber, lieber Freund, es geht nicht mehr, verwies Giuliana sanft und deutete auf die Gäste, welche mittlerweile die anderen Tische besetzt hatten; was würden die Leute sagen, wenn Sabina zurückbliebe und wir uns in die Weite verlieren wollten?
– O wie ganz anders ist man doch hier gesittet! erwiederte Carlo, froh, die Angebetete wenigstens wieder zum Sprechen gebracht zu haben. Bei uns nimmt Niemand ein Aergerniss daran, wenn Jung zu Jung sich paart, Hand in Hand über die Wiese lustwandelt oder den Hügel erklimmt, oder selbst zu traulicher Schwärmerei sich ins Wäldchen stiehlt. Man kehrt mit erhitzten Wangen zurück, aber ein Küsschen in Ehren war Alles!
– Und habt doch auch rothes Blut wie wir? ... Ueberrascht dich meine Frage? fuhr Giuliana erheitert fort, ei, so erzähle mir, wie man bei Euch liebt.
Carlo's Auge leuchtete.
– O Giuliana, sprach er, die deutsche Liebe ist schön. Alle unsere Dichter haben sie gefeiert und noch ist ihr Lob nicht ausgesungen. Sie ist tief und innig, sie ist wahr und echt, sie ist treu und beständig, sie ist keusch und rein, sie weiss zu hoffen und zu harren, zu tragen und selbst zu entsagen.
– Und versteht sie auch zu wagen? Und ist sie auch glühend? fragte Giuliana gespannt.
– Sie setzt ihr Alles dran, den geliebten Gegenstand zu gewinnen; sie verzehrt sich in glühender Sehnsucht nach ihm; in höheren Flammen schlagen die vereinigten Herzen zusammen; ihr Symbol ist jenes heilige Feuer, das nie ausgeht, nie verlischt.
– Aber auch nie ein Haus in Brand steckt, schnitt Giuliana das Thema rasch und kurz ab, warf die Lippen auf, erhob sich stolz und sagte zu Sabinen: Es ist Zeit, dass wir gehen.
Noch besann sie sich, sah Elsen fast zornig an, schien an einem Wort zu würgen, aber es blieb ungesprochen.
Rasch reichte sie ihm die Hand zum Abschied, und wandte sich mit einem trockenen:
– A rivederci!
Elsen hatte nicht den Muth oder die Lust, der Scheidenden nachzublicken. Er war viel zu feinfühlig, als dass er nicht empfunden hätte, was Giuliana's Worte und noch mehr das, was sie verschwiegen, besagen wollten. Er erröthete und sah vor sich nieder. Das war eine Kränkung, eine Schmähung, welche sein Mannesbewusstsein ins Mark traf.
Aber, herausgefordert, war dasselbe auch nahe daran, sich zu empören. »Unweiblich!« knirschte er vor sich hin. Doch als könne er seiner eigenen Anschuldigung nicht glauben, folgte dem Zornesausbruch ein Seufzer, und sein Auge trübte sich.
Er vergegenwärtigte sich die liebliche Gestalt, ihre zündenden Augen, ihre Lippen, die er lächeln gelehrt, und er hätte vor ihr niedersinken, verlangend aufblicken und sie zu sich, an seine Brust niederziehen mögen.
»O Thor, der ich war!« schalt er sich. »Sind wir geschaffen, einander nicht zu verstehen?«
Und nun stand die Stolze, die Zürnende, das liebende Weib vor seinem Geiste, das gleichwol an sich zu halten wusste und nur wie in spröder Abkehr in die Asche blies, welche die Glut ihrer Leidenschaft bedeckte – und Carlo blickte wie zu einer Heroine zu ihr hinan.
»War ich blind?« fragte er sich ... und nach strenger Prüfung musste er sich antworten: »Mehr als dies, ich war selbstisch.«
»Dass ihre Nähe mich beglückte, dass aus ihrem Auge ein Funke mein Herz traf, dass sie meiner Seele Schwung, Sang und Klang verlieh, dass sie in mir neue Kräfte weckte, meinen Gedanken und Phantasien einen Inhalt gab – das Alles nahm ich hin, besass und genoss es, ohne daran zu denken, womit ich es ihr vergelten sollte, was ich ihr bot oder zu bieten hätte.«
»Ich schwelgte, unbekümmert, ob sie darbte. Weil ich befriedigt war, musste auch sie es sein? Wohl ist auch schon zu beglücken ein beseligendes Gefühl. Darf ich aber auch nur voraussetzen, dass sie für die Art und Weise, wie mein Glück, welches ihr Geschenk, ihre Schöpfung ist, sich ausdrückt und kundgiebt, Sinn und Verständniss habe? ... Es war im Grunde doch ein recht kindischer Einfall, sie über Stock und Stein in die Campagna hineinnöthigen zu wollen, als ob diese ernste, epische Oede mit dem lieblich-lyrischen Charakter der deutschen Frühlingslandschaft viel Verwandtes hätte.«
»Klarer umschrieben und ausdrucksvoller sind hier die Berge; es wird Tag und es wird Nacht mit einer Entschiedenheit, welche, die Uebergänge verachtend, befremdet und erschreckt; eigensinniger sind die Wasser, keine Nebelgespinnste verhängen und verdämmern die schöne Formenwelt. Der Boden ist vulkanisch – und nur im Blut, im Pulsschlag, in den Leidenschaften der Menschen sollte dieser jähere Charakter der Natur nicht zu verspüren sein? Nur den Menschen wollten wir ihn verargen? Verargen, was ihrem Glücke förderlich? Verargen, um was wir kälteren Menschen sie beneiden sollten? Sie sind ursprünglichere Menschen. Wie hier Entschluss und That einander näher gerückt sind, so auch Hoffnung und Erfüllung, Suchen und Finden; man nippt nicht erst lange vom Becher, den das Glück voll darbietet.«
In derlei Betrachtungen erging sich Carlo, und seine Gedanken nahmen mehr und mehr die Farbe seiner Sehnsucht, seines Verlangens, seiner entfachten Leidenschaft an. Er sprang auf und lächelte erglühend: Ich will ihr sagen, dass »Tristan und Isolde« ein Deutscher gedichtet ...
Als er aber vor ihrer Schwelle stand, empfing er den Bescheid, dass sie unpässlich, dass sie heute nicht mehr zu sprechen sei.
Da griff Carlo an sein Herz und rief schmerzlich aus: O, Giuliana, was thust du!
Er taumelte zurück und bemerkte nicht, wie Sabina ihm verwundert, besorgt und schliesslich unwillig nachblickte, als wollte sie sagen: Und, Signor Carlo, was thut Ihr? Die Thür ist offen ... was stürmt Ihr nicht herein, rafft die Schmollende in Eure Arme, presst sie trunken an Euer Herz und sagt: Weib, du bist mein!?
Er hörte, wie die Thür zugeschlagen wurde – sie sollte sich ihm nicht wieder öffnen.
Innen harrte Giuliana. Sie sass auf einem Lehnstuhl, in sich geschmiegt, ein Bild stolzer Geschlossenheit, gleich den marmornen sitzenden Kaiserinnen des Alterthums.
Aber die Kälte und Ruhe hatte sie mit diesen nicht gemein. Sie bezwang mit Mühe die Aufregung, welche ihren leichtverhüllten Busen mächtiger hob. Ihre Lippen waren trocken, aber glänzten, wenn sie selbe befeuchtete, wie Tollkirschen. Ihre Augen stierten gross ins Licht, das sich in ihnen fast unheimlich wiederspiegelte.
Es war auf die Flämmchen der dreischnäbeligen Oellampe vertheilt, und wie hoch diese kleinen Feuerzungen auch flackern mochten, eine einheitliche, herrliche Lohe bildeten sie doch nicht – sie konnten es nicht. Dafür brauchten sie auch nur wenig Oel ... wie jenes heilige Feuer, das nie ausgeht, nie verlischt.
Sie wendete sich unmuthig ab von diesem Sinnbild haushälterischer Liebe.
Sabina kam zurück. Giuliana wechselte mit ihr nur wenige, aber gewichtige, verhängnissvolle Worte, und stiess diese Worte rauh und herrisch hervor:
– Also liess er sich abweisen?
– Er litt sichtlich darunter ... habe Geduld.
– Nachdem ich mich gedemüthigt?
– Es kann noch Alles gut werden. Er wird wieder kommen ... bedenk, er ist ein Fremder, e poco pratico, und das hat auch seine gute Seite.
– Und wenn er wieder kommt ...
– Nun, Giuliana?
– Dann magst du ihm sagen, fuhr das getäuschte Weib heftig und höhnisch fort; dann magst du ihm sagen, dass er seine Andacht und Verehrung in die Kirche trage, zu den Füssen der Madonna, das wird ihm zum Verdienst angerechnet werden; und dass er, wenn er küssen will, seinen Kuss auf die kalten Reliquienschreine oder auf den ehernen Fuss des heiligen Petrus drücken möge – ist auch ein verdienstlich Thun; und dass er, wenn er eine Patronin braucht, sich an die heilige Cäcilia wenden könne, sie hat schon Vielen geholfen ...
– Welche Blasphemien! rief die Alte erschrocken und verzweiflungsvoll aus. Die Madonna erbarme sich unser! Giuliana! Giuliana! was sinnst du?
– Selbst der Teufel hat seinen Lohn für den Abfall von der Pflicht; er macht Gott die Seelen der Menschen abtrünnig.
– Bist du besessen?! Kind, Kind, komm zu dir!
Und sie bekreuzte sich, die Alte, und sie drängte sich an Giuliana, um sie wie ein unartiges Kind zu beschwichtigen, und sie jammerte:
– Du machst uns unglücklich, Kind! Denk, wie du dich bewahrt bis zur Stunde.
– Und meine Tage verlor. Lass ab, Schmeichlerin, Heuchlerin! Ich habe Hunger nach Glück und Liebe.
– Du weisst nicht, was du wagst.
– Wohl aber, was du zu thun hast.
Und Giuliana fügte mit gedämpfter Stimme, welche der letzte Rest weiblicher Zurückhaltung zittern machte, hinzu:
– Wenn der junge Mann mit der Camee kommt, lasst ihn ein.
– O Gott, es ist um dich geschehen! schloss die Alte und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
War's nicht, als ob es an der Thür klingelte?
Noch einmal blickte Sabina fragend und bittend in das Gesicht der Herrin ... einem stummen Winke gehorchte sie schweigend.
Giuliana sank in den Armstuhl zurück.
Am nächsten Morgen trafen sich, was jüngster Zeit nicht so häufig der Fall gewesen, Elsen und Franz beim Frühstück; fast schien es weniger zufällig, als weil es Elsen nach dem Freunde verlangte.
Er sah übernächtig, leidend aus.
Der Maler hatte ein zu gutes Auge für derlei Leichenbittermienen und sagte:
– Carl, du gefällst mir nicht ... was gab's?
– Eine verunglückte Landpartie, ein Missverständniss ... schon diese Andeutung kostete dem schamhaften Sinn Elsen's Ueberwindung.
– Und weiter? forschte Franz.
– Sie hat mich gestern Abends nicht vorgelassen.
– Und war doch zu Hause? Und du liessest dich, anstatt sie auf der Stelle zu besänftigen, abweisen? Freund, ich weiss gar nicht, wer von Euch Beiden Unrecht hat, aber das war ein Fehler, wenn nicht noch Schlimmeres.
– Ich kam mit übervollem Herzen ... die Kränkung that zu wehe, auch sie soll es inne werden.
– Verkehrt, verkehrt! Besser, ihr hättet Euch tüchtig ausgezankt. Den Hader in die Länge zu ziehen, taugt nichts. Bist du ihrer auch morgen noch sicher?
– Du erschreckst mich! ... Nein, nein, an einer Laune scheitert mein Glück nicht.
– Das ist auf italienischem Boden überhaupt ein unpassendes Wort. Aus Laune wechselt kein italienisches Mädchen ihren Geliebten, aus französischer Genäschigkeit wird keine Römerin ihrem Manne untreu. Sie fühlen zu wahr, diese holden Geschöpfe. Einer solchen, allerdings oft plötzlichen Abwendung geht immer ein tiefes Gefühl des Unbefriedigtseins oder die Ueberzeugung voraus, dass Eins fürs Andere nicht passe. Insofern magst du ruhig sein.
Elsen traten aber im Gegentheil Schweisstropfen auf die Stirne.
– Und der Abgewiesene, fragte er, der Verrathene?
– Mag es dulden, mag es rächen; aber vielleicht am besten rasch vergessen.
– Nimmermehr! brauste Elsen auf, und seine Rechte ballte sich.
Franz blickte ihn gross an:
– Ich dränge mich nicht in dein Geheimniss ein, sagte er und fügte glücklich lächelnd hinzu: Will's Gott, so hab' ich bald selbst eins zu hüten ... aber keine Unbesonnenheit, Carl!
Das Gespräch musste, zur Unzeit für Elsen, abgebrochen werden, denn ein Bekannter trat auf die Beiden zu und hatte, von der Strasse kommend, Eile, ihnen das Neueste mitzutheilen.
– Wisst Ihr, fragte er, was eben geschieht? Man verbarricadirt die Porta del Popolo. Ich will nur rasch einen »Schwarzen« nehmen und dann Umschau halten, was am Lateran, am Paulusthor und weiterhin vorgeht. Will einer der Herren mit?
Maler Franz liess sich nicht zweimal dazu auffordern.
Mit den jüngsten Ereignissen im Kirchenstaate zusammengehalten, hatte die Schliessung der Thore Rom's nichts sonderlich Auffallendes, denn man schrieb den October 1867.
Die Garibaldianer waren ins Land gedrungen. Um den Bolsena-See hatte es bereits hitzige Gefechte abgesetzt. Die Papalini, voran die Zuaven, hatten sich tüchtig geschlagen, aber der Vorstoss der feindlichen Hauptmacht auf der kürzesten Linie nach Rom und die Besatzung Monterotondo's konnte nicht verhindert werden.
Im päpstlichen Hauptquartier sah man sich zu dem Entschlusse gezwungen, das Land preiszugeben und die Truppen zum Schutze der Hauptstadt zusammenzuziehen. Dazu brauchte es Zeit; Rom war daher immerhin der Möglichkeit eines Handstreichs ausgesetzt.
Auch wurde an einer Volkserhebung in der Stadt selbst gearbeitet, um dem Freischaarenführer einen volksthümlichen Grund für sein Unternehmen und eine Handhabe zu bieten.
Doch waren auch schon die Franzosen mit ihren wunderthätigen Chassepots auf dem Wege.
Es war am 22. In der Stadt herrschte eine merkwürdige Stimmung, und wer ein aufmerksames Auge hatte, konnte seltsame Anzeichen gewahren. Im häuslichen und geselligen Leben war man auf Erschütterung und Störung gefasst. Wie auf allgemeine Verabredung besuchten die Hausmütter den Lebensmittelmarkt zahlreicher und machten grössere Einkäufe. Ohne viele Worte wurde die Hausthorsperre eingeschärft und bereitwilliger befolgt. Der Barbier, der Krämer, der Tabakverkäufer, der Caféwirth versäumten nicht, ihren Kunden wohlmeinende Winke zukommen zu lassen.
Freunde, für welche man besorgt war, lud man für den Abend zu Gast; Neugierige, die man sichern wollte, suchte man am Ausgehen und Herumschweifen zu verhindern; Fremden, denen man wohlwollte, führte man zu Gemüthe, dass die Unsicherheit zunehme.
Es war still in Rom, aber auch schwül. Wo man Etliche miteinander sprechen hörte, da war's, als beflissen sie sich einer gedämpfteren Stimme, epigrammatischer Kürze und sybillinischer Dunkelheit.
Wenn sich Blicke begegneten, so schien's, als verständigten sich Verschwörer.
Man erwartete Leiter des vorbereiteten Aufstandes von auswärts, aber wer wusste Auskunft darüber zu geben, ob selbe schon eingetroffen? wer Rath zu schaffen, wie ihrer habhaft zu werden sei?
Vor dem Platzcommando auf der Piazza Colonna lagerten Truppen Tag und Nacht. Die Wachtposten wurden verstärkt, die Patrouillen vermehrt und die Fremden streng gemustert.
Und gingen, um einen ausserordentlichen Zustand der Dinge zu kennzeichnen, nicht Todte aus den Gräbern hervor, während sich Lebende verkrochen, und zeigten sich nicht auch Gespenster bei helllichtem Tage?
Sor Stefano schwankte zu ungewöhnlicher Stunde über die Strasse; er sah fahl aus zum Erschrecken. Seine Lippen bebten, als wenn sie leise Worte murmelten. Er blickte, als hätte er das Scherzen verlernt.
Sein ungewöhnlicher Besuch galt dem breiten Pizzicarolo, der eben die Thür seines Kaufladens ausfüllte und die Gasse auf und nieder blickte.
Die beiden Männer wussten sich unbehorcht.
Stefano sprach mit zornigem Nachdruck, und über das Gesicht des Schwagers, der sonst aus vollem Halse zu lachen verstand, verbreitete sich finsterer Ernst. Er erwiederte wenig oder gar nichts, aber er nickte, nickte und nickte ein drittesmal.
Als Stefano wieder seinem Hause zustrebte, kreuzte Elsen seinen Weg.
Der junge Mann fiel durch sein verstörtes Wesen auf.
Der Blasse hielt mitten in der Strasse inne und blickte ihm kopfschüttelnd nach. Seine Züge milderten sich fast zum Mitleid und, wie einen gefassten Vorsatz bekräftigend, sprach er vor sich hin: Warte, dir soll noch rechtzeitig geholfen werden.
Dass sich dieser hinfällige Mann just mit seinem Schicksale beschäftigte, ja für ihn auf Rettung sann, davon ahnte Elsen wohl nicht das Mindeste.
Wusste er doch nicht einmal, was er selber dachte und that. Es war die Unruhe in ihn gefahren, und alle Qualen der Ungewissheit drängten und trieben ihn. Er war auf den Beinen und kannte keinen Grund, kein Ziel dafür. Aber unbewusster Weise trieb er sich in der Nähe des Vicolo cieco herum und umkreiste immer wieder das Quartier, in welchem das düstere Haus, die verwirkte Heimat seiner lichten Freuden, lag.
Noch konnte er an diesen Verlust nicht glauben, noch hoffte er von einer nahen, aber doch so träge herannahenden Stunde, dass sie Alles ausgleichen und die Feier eines Herzensbündnisses schauen würde, welche ihren und den Neid der allerfahrnen Zeit erregen sollte. Armer, bethörter Carlo!
Schon zum drittenmale kam er nun an der Orangenverkäuferin mit dem Murillogesichte vorüber. Von den theilnahmsvollen Blicken dieser jungen, guten Frau hatte er keinen bemerkt. Aber jetzt vernahm er ihre klangvolle Stimme, ihren einladenden Ruf: »Schöne Sicilianen, Herr, blutfarbige Sicilianen!«
Er erinnerte sich, dass er brennenden Durst empfinde.
Während ihm die Frau ein Paar der schönsten Früchte darbot, sagte sie mit einer Theilnahme, die unwillkürlich zu Herzen drang:
– Tröstet Euch, Signor Maestro; die Euch den Gianni vorziehen konnte, ist eine Unwürdige.
– Gianni?! schrie Elsen, und es dämmerte in ihm auf, und sein Gesicht nahm einen schrecklichen, einen drohenden Ausdruck an.
– Ja, Herr! Wer Gewissheit bringt, ist unser Freund, sagt das Sprichwort.
– Gewiss, ich danke Euch, Frau! erwiederte Carlo und hastete davon. Von diesem Augenblick an hatten seine Gedanken einen andern Inhalt.
Auch die rothe Barbara litt es nicht in ihrer Hexenküche. Sie hatte viel herumzuhorchen in der Nachbarschaft, denn ihr bangte vor dem Urtheil, das ihren Gewaltstreich treffen konnte.
Und ein Gewaltstreich war's in der That, ein Frevel gegen die Sitte, gegen die allgemeine Duldung, was sie ins Werk gesetzt hatte. Denn so nachsichtig man eine Verlassene, Vernachlässigte oder Verrathene wegen ihres Einen Freundes und Trösters beurtheilt, ja dieses ihr Verhältniss gleichsam in Schutz und Obhut nimmt, Gassen auf Gassen ab dessen Geheimniss wahrt, das Kommen und Gehen des Erwählten sichert, und gegen den mittelbar oder unmittelbar schuldtragenden Gatten, Vater oder Verwandten gleichsam eine Verschwörung bildet: ein eben so grosses Aergerniss erregt ein jäher, leichtfertiger Wechsel des Freundes; der ganze weibliche Gerichtshof wendet sich von der Gefallenen, der verrathene Gatte oder Verwandte bekommt Wind vom Unrath in seinem Hause, dem gekränkten Liebhaber wird stillschweigend die Gelegenheit zur Rache geebnet, der Eindringling gilt für geächtet, und wer ihm Vorschub leistet, für einen Kuppler.
Diesen Umschwung hatte Barbara zu befürchten, und sie überzeugte sich nur zu bald, dass er auch in aller seiner Strenge eingetreten war.
Man wendete ihr den Rücken, man gab auf ihr Geschwätz keine Antwort, würdigte ihre dringliche Vorstellung, dass der Vorige ein Fremder, ihr Schützling aber ein Eingeborener sei, keiner Aufmerksamkeit und fertigte sie mit der Bemerkung ab: Das habt Ihr gut gemacht; man wird ja sehen, ob Ihr Euch dessen lange freuen werdet.
Der allgemeine Gang der Ereignisse verhinderte also keineswegs das Weben und Wühlen der Leidenschaften Einzelner.
Unter dem Druck des Bangens, der auf Allen lastete, pochte gleichwohl manches Herz erregbar, wilder. Und während sich eine Entscheidung für's grosse Leben vorbereitete, schärfte auch die Privatrache ihren Dolch.
Der schwüle Tag neigte sich zu Ende. Er sollte aber nicht schliessen ohne ein letztes, nachdrückliches Omen.
Die Engelsbrücke war belebt, als sich die Sonne schon hinter der Riesenkuppel zu bergen anfing. Diese vielen Müssiggänger heute! Aber es verweilte anfangs Keiner, wenn er gleich binnen Kurzem desselben Weges wiederkam, den er gegangen.
Allmählig blieb der Eine und der Andere zwischen den Berninischen Engeln stehen und blickte aufwärts, den Strom entlang, der, wie er rechts vom Ponte Molle sich heranschlängelnd zum Vorschein kam, noch golden leuchtete.
Und es kam darauf näher und näher.
Schon nahm man wahr, dass es Boote seien.
Aber Boote ohne Fracht, völlig leer! Die Schaufel der Ruder lag inwendig auf dem Kiel, die Stangen ragten zum Bord hinaus.
So kam eins hinter dem andern im Kielwasser, zwei grössere und ein kleines, langsam, schweigsam und bedeutsam.
Nun schaukeln sie tief unten an der Engelsburg vorüber, deren Besatzung auf der vordersten Bastion geschaart steht und gleich den Müssiggängern auf der Brücke die herrenlosen Fahrzeuge betrachtet, die leicht und unaufgehalten weiter treiben, die Niemand Miene macht, ans Land zu ziehen.
Auf der Brücke genoss man das seltsame Schauspiel schweigend. Wer ja eine Verwunderung laut werden liess, war eine harmlose Natur, deren Nerven das, was in der Luft lag, nicht witterten.
Man zerstreute sich einzeln, wie man gekommen war.
Die Abendglocken läuteten; die kurze Dämmerung breitete sich friedlich über die Stadt; die Nacht begann.
Aber in der Nacht entlud sich's.
Bewaffnete Haufen stürmten das Capitol hinan, wurden aber mit blutigen Köpfen heimgeschickt. Auf einschichtigen Wegen war ein anderer, wenig geordneter Schwarm gegen die Gasfabrik auf dem alten Circus Maximus im Anzuge, fand aber unerwarteten Widerstand. Dagegen gelang die Ueberrumpelung des Paulsthors; doch dasselbe zu behaupten war nur so lange möglich, bis die Carabinieri vom Capitol her angerückt kamen. Jenseits des Tibers flog ein Theil der Kaserne Serristori in die Luft und begrub fünfundzwanzig Mann der Zuaven-Musikkapelle mit ihren Trümmern.
Dies die grossen Schrecken der Nacht. Der Ausdehnung des Weichbildes wegen wusste man in dem einen Winkel nicht, was in dem andern geschah, obwohl schon derjenige Theil des Putsches, welcher in der Nähe sich abspielte, hinreichte, die Gemüther mit Angst zu erfüllen und den Schlummer zu verscheuchen.
Die Nacht war dunkel und ihre Stille wurde selbst in denjenigen Theilen, welche kein Kampf durchtoste, fortwährend von platzenden Petarden, von Schreckens- und Hilferufen, von streifenden Patrouillen und sprengenden Reitern unterbrochen, und manch Einem sass das Verhängniss auf den Fersen.
So war's um die erste Nachtstunde; ein junger Mann bog in die Via de' due Macelli. Er hat Eile, sein Gebahren ist auffallend, achtlos verfolgt er sein Ziel: Alles in Allem, er erscheint verdächtig, und schon hat ihn ein Dragoner eingeholt und mit derber Faust am Rockkragen gefasst.
– Lasst los! bittet und herrscht zugleich der Aufgegriffene; sein Wesen zeigt keine Angst, nur Ungeduld. Ich habe in nächster Nähe ein kleines, aber dringendes Geschäft abzuthun und stehe Euch dann gern zur Verfügung. Bei Gott, ich lass' Euch nicht lange warten und – fügte er widerlich lachend hinzu – wenn es Euch Freude macht, sollt Ihr mich dann schuldiger finden als jetzt.
Verkehrter kann man es wohl nicht anstellen, um loszukommen. Der Reiter konnte nur glauben, zum Verbrecher auch noch einen Verrückten bekommen zu haben, und befahl, indem er sein Pferd wendete:
– Vorwärts!
– Lasst los! wüthete der Gefangene mit grimmigem Blick zu ihm hinan; haut mich auf der Stelle zusammen, wenn ich fertig bin – aber nur das Eine noch!
Und er suchte sich des Rockes zu entledigen, um nicht länger die hemmende Faust im Genick zu fühlen.
Diese aber krampte sich tiefer ein, und ihr Eigner verstand keinen Spass mehr. Fort gings auf die Piazza Colonna.
Das schien dem jungen Menschen nun auch ganz recht zu sein; er versuchte keinen weitern Widerstand, vielmehr beschleunigte er seine Schritte, um auch Ross und Reiter etwas von seiner Hast mitzutheilen.
Ob man ihn auf dem Wege, den er so häufig gewandert, erkannte, ob ihm Mitleid einen Blick zusendete, ob ihn Neugierde anglotzte, ob einzelne Kaffeehausgäste in die Thüre traten, ob man das Dümmste oder Aergste von ihm dachte, das Alles kümmerte ihn nicht.
Man kam auf den Platz. Soldaten schlossen ihn von allen Seiten ein. In der Nähe der Marc-Aurelsäule brannte ein Lagerfeuer, dessen Wiederschein von den Gewehrpyramiden blinkte. Im aufflackernden Lichte schien es sich auch hoch oben an der Säule zu regen; die kriegerischen Reliefs, die sie spiralförmig umgaben, wurden lebendig.
Der Dragoner war vom Pferde gesprungen und führte seinen Gefangenen gegen die weissen Säulen des Atriums, an denen Offiziere lehnten und zur Stunde wohl die friedlichste Luft von ganz Rom athmeten. Drinnen im Palazzo mit der heiteren Façade waltete das Platzkommando.
Der Gefangene schritt gehobenen Hauptes und freien Blicks umher. Er konnte nicht unbeachtet vorüber gelangen.
Plötzlich trat denn auch ein Oberlieutenant der Zuaven auf ihn zu und rief ihn lachend an:
– Aber, lieber Elsen, wie kommst denn du hierher?
Erfreut erwiederte der junge Musiker:
– Ich dachte wohl, einen meiner Bekannten hier zu finden. Mach, dass ich bald, recht bald wieder meiner Wege gehen kann. Ich brauche dir wohl nicht erst zu sagen, dass ich mit den dummen Händeln dieser Nacht nichts zu thun habe. Ich danke dir für's Leben, wenn du mir noch vor einer halben Stunde die Freiheit erwirkest.
Die Bürgschaft eines Zuaven-Offiziers wog viel. Man liess den »Phantasten« laufen, nachdem man seinen Namen, Herkunft, Beschäftigung, Alter und Wohnung verzeichnet und ihm eine Ermahnung zur Vorsicht auf den Weg gegeben hatte.
Diese Warnung war aber völlig in den Wind gesprochen. Kaum sah sich Elsen ausserhalb des Geheges von Bajonnetten, so blickte er auf die Uhr und fing in jenem Tempo auszuschreiten an, welches ihm die eiserne Faust des Dragoners zugezogen hatte. Er strebte jenem Punkte zu, auf welchem er festgenommen worden. Und von da aus eilte er in den – Vicolo cieco.
Er stürmte so ungestüm auf die Schwelle des düsteren Hauses zu, dass er eines dunkeln Körpers vor derselben erst gewahr wurde, nachdem er mit dem Fusse daran gestossen.
Es war ein Mann, der regungslos dalag auf kalter Erde, da, wo die karge Helle der Nacht den dichtesten Schatten warf.
Entsetzt, ob er gleich selbst mit Blutgedanken kam, beugte Elsen sich nieder nach dem Antlitz des Menschen, der in seiner Verlassenheit einem Aas in todtem Geklüfte glich.
Er sah schärfer zu und schrie auf, grässlich und heiser vor Wuth: »Himmel, nicht einmal die Rache gönnst du mir?«
Die Nacht, von so vielen Angstrufen und Wuthausbrüchen betäubt, antwortete nicht.
Es war Gianni, der in seinem Blute lag. Mit wollüstiger Grausamkeit betastete und rüttelte ihn Elsen und suchte nach der Wunde, wie um sich an ihrem Anblick zu laben.
Aber rasch zog er seine Hand zurück und wendete sich mit Abscheu ab.
»Eine feige Hand,« knirschte er, »ist mir zuvorgekommen!! Schmach der Memme, die ihn von rückwärts fällen konnte.«
»Ich wäre dir anders begegnet,« fuhr er, von seinen Rachegedanken berauscht, fort; »ich hätte dich Aug' im Auge gefasst, hätte dir zugerufen: Bube, wehre dich deiner Haut, du hast sie verwirkt! Hätte dich niedergerungen, hätte dich gewürgt, bis dein Gesicht keine buhlerische Fratze mehr schnitt; hätte nach deinem falschen, lüsternen Herzen gezielt und hinaufgerufen: Giuliana, perfida, sieh dein Opfer!
Und er schrie zu dem Fenster hinan: »Giuliana, perfida, sieh dein Opfer!«
Aber die Fenster sahen blind und schwarz wie die Augen eines Todtenkopfes in die Nacht.
Nicht anders heult das Raubthier des Waldes, das von Hunger getrieben ins Fangeisen gerieth, seine Wuth in die starre, lautlose Wildniss, als hier Carlo in ohnmächtigem Schmerze mit seinem Geschrei den weltvergessenen Vicolo erfüllte.
Und als er endlich merkte, dass er hier ein Ueberflüssiger, ging er – ein Zerrütteter.
Der Morgen, welcher alle Gräuel der verflossenen Nacht aufdeckte, leuchtete auch in den Vicolo cieco hinein.
Obwohl Gianni weit abseits von den Kampfplätzen gefunden wurde, las man ihn doch zu jenen Opfern des Putsches auf, in denen man noch Leben verspürte, und schaffte ihn mit diesen auf einem Karren zu den Benfratelli auf die Tiber-Insel. Man ahnte die besondere Ursache seiner Wunde, hatte aber nicht Lust und Zeit, einer Privatrache nachzuspüren.
Maler Franz fand beim Frühstück folgendes Billet vor:
»Geehrtester Herr, ich ersuche Sie, mich morgen früh in Ihrem Café zu erwarten – ich werde ihre Geduld auf keine lange Probe stellen – und mit mir einen Gang im Interesse Ihres Freundes Carlo Elsen zu unternehmen.
Ihr Diener Stefano.«
Sor Stefano hielt Wort; er fand sich ein, als Franz noch kaum das Briefchen gelesen und sich darüber gehörig verwundert hatte.
In raschen Worten machte Stefano dem Maler Mittheilungen, die mehr und mehr dessen Erstaunen und Besorgniss erregten.
– Und nun, schloss der Blasse, wollen wir ihn aufsuchen, und ihn, wie ich hoffe, zu einem heilsamen Entschlusse bewegen.
Das Aufsuchen war überflüssig.
Carlo war eingetreten und hatte sich, ohne ein Wort zu sagen, in einem bemitleidenswerthen Zustande in eine Ecke geworfen. Er war die Nacht hindurch herumgeirrt, er hatte Schlaf gesucht und nicht gefunden, er hatte gefiebert. Sein Denken und Fühlen war in arger Verwirrung. Er schalt Giuliana eine Treulose und bejammerte sie als Verführte; er fluchte ihr und wollte sie wiedersehen. Er klagte sich als Mörder an: in Gedanken, im Entschlusse, und fühlte zugleich Ekel vor sich selber als einem Manne der Blindheit und Ohnmacht. Er sehnte sich darnach, sich einer Frevelthat bewusst zu sein, und schauderte vor dem sich erneuernden Anblick dessen zurück, was sich ihm an der Schwelle der Geliebten geboten. Am liebsten hätte er wieder die Faust des Dragoners im Nacken gefühlt. Er war müde, er kam sich werthlos und unnütz vor, ihn schmerzten Kopf und Augen.
Franz wollte auf den Freund zueilen, aber Stefano wehrte es ihm.
Dafür richtete sich dieser selbst vor dem Kranken auf und begann ernst und nachdrücklich, und um von den wenigen Morgengästen nicht verstanden zu werden, in französischer Sprache:
– Monsieur, Sie werden in wenigen Stunden nach Assisi abreisen.
Den Blassen vom Kopf bis zu den Füssen messend, entgegnete Carl trotzig:
– Ich denke nicht daran.
– Dort lebt und lehrt der gründlichste Kenner Palestrina's.
– Was kümmert's mich?
– Im Vicolo cieco ist heut' Nacht eine Blutthat geschehen und man räth auf den Nebenbuhler.
– Das war ein Feiger, nicht ich.
Stefano erzitterte leise, fuhr aber strenger fort:
– Der Rächer war kein Feigling und hatte keine zitterige Hand. Sie werden Giuliana nicht wiedersehen.
– Und wer will mir's verbieten? brauste Elsen auf.
Kalt lautete Stefano's Antwort:
– Ich, ihr – Gatte.
Das wirkte.
Lautlos, gebrochen sank Elsen auf die Bank zurück und starrte wie blöd vor peinlichem Erstaunen ins Leere.
Eh' Stefano den Maler bei Carl allein liess, wandte er sich nochmals um, blickte mit feuchtem Auge auf den im Innersten Getroffenen und sagte weich:
– Treibt es nicht weiter, Freund, wir Beide sind gerächt. –
Aber noch lange spukten der Blasse, die rothe Barbara und ihr Bube in seinen Fieberträumen und schlangen einen wüsten Reigen um das unvergängliche Bild Giuliana's, eh' Elsen unter Franzens treuer Hut in Assisi genas.
Die drei Dinge, zu welchen der dicke Pizzicarolo genickt hatte, besagten: Die Hexe aus dem Hause gejagt, dem frechen Gesellen einen Denkzettel gegeben, und mit dem jungen Musiker auf gute Art fort aus Rom!
Giuliana hat das stillschweigend zugestandene Recht der mal-maritate, der unglücklich Verheirateten, sich nach einem Freund und Tröster umzusehen, verscherzt.
Nach den Ereignissen der Octobernacht will man sie, als auf ihrem ersten Ausgange begriffen, unter schwarzgekleideten Matronen, die zu besonderer Andacht nach Sta. Maddalena zogen, bemerkt, und trotz des dichtesten Schleiers an ihrer herrlichen Gestalt und an ihrem königlichen Gange erkannt haben.
Stefano, ihr Gatte, lebt zu dieser Stunde noch.
Als Gianni die Benfratelli verliess, sagte er zu der ihm zur Seite hinkenden Barbara:
– Ein andermal verwendet mich nicht als – Secondino.
Maler Franz hat seine Skizze aus dem Vicolo cieco unausgeführt gelassen.