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Tag und Nacht.

»Sei ein Mann und folge mir nicht nach.«

Goethe.

 

Doctor Fritz Egger lebte seit Jahren in Rom. Die wenigen Bande, welche ihn noch an die deutsche Heimat geknüpft, waren zerrissen oder stark gelockert, und eine bescheidene Selbstständigkeit erlaubte ihm, seinen Studien zu leben und dort sesshaft zu sein, wo er für sie den ergiebigsten Boden fand. Er trieb Geschichte und Archäologie, und nach jeder Sommerfrische in den Albaner- oder Sabinerbergen, nach jedem Ausflug auf schweigende Ruinenfelder, denen er gleichwohl manches neue Bekenntniss abzulauschen verstand, kehrte er wieder zu seiner Hauswirthin Sora Vittoria und auf sein hochgelegenes Stübchen zurück, zu dessen Fenster herein ihn der Morgensonnenstrahl und die grünen Wipfel des Pincio grüssten.

Vittoria's Töchterlein Caroline war ihm zugethan; er scherzte und koste mit ihr, bis ihn eines Tages aus ihren grossen dunklen Augen ein Strahl traf, der eine magdlich-spröde abwehrende Seele verrieth. Das liebliche Kind hatte sich in eine scheue Jungfrau verwandelt, die den gelehrten Hausgenossen und Freund nach wie vor in der Wahl von Büchern zu Rathe zog, ihm aber ihre unschuldigen Herzensregungen vorenthielt. Egger betrachtete mit heimlichem Entzücken diese schöne Metamorphose, die ihm in dem Grade mehr einen empfänglichen Geist erschloss, in welchem sich vor ihm des Mädchens Herz mit seinen beginnenden Geheimnissen zurückzog. Er empfand Etwas wie Lehrerstolz, denn er durfte sich sagen, dass er unmerklich auf Carminens Bildung einen leitenden Einfluss ausübte, obwohl deren Mutter selbst auch ihrer Aufgabe als Erzieherin vollständig gewachsen war. Er liebte das Mädchen wie ein geistiger Pathe, und das jungfräuliche Herz gefiel ihm um so mehr, als er, nach Dante auf der Mitte unseres Lebensweges angelangt und keinen Anspruch auf dasselbe erhebend, ebenso befähigt als unbefangen war, es zu durchschauen.

Ein anderer Liebling des deutschen Gastes war der kleine Eugen der Nachbarin. Frau Modesta machte ihrem Namen Ehre. Sie war in keinem Zuge eine auffallende Schönheit, in jedem Betracht aber eine anmuthige Erscheinung. Man übersah sie leicht das erstemal, wer jedoch öfter in ihre Nähe kam, hegte für sie wachsende Verehrung. Sie war eine Dulderin, ohne sich damit zu brüsten und ohne Mitleid zu beanspruchen. Sie lebte ihrem Kinde, ihrer Würde, war freundlich ohne Vertraulichkeit, tugendhaft, ohne an ihrer Tugend schwer zu tragen. Ihr Gatte war ein politischer Flüchtling und liess wenig von sich wissen. So viel erfuhr man vom Hörensagen, sie selbst klagte und schwatzte niemals. Der kleine Eugen, den sie regelmässig auf seinen ersten Schulgängen begleitete, war ihr Trost, ihr Stolz; aber, eine verständige Mutter, verhätschelte sie ihn nicht. Wenn nun Egger den lebhaften Knaben ans Herz drückte, so dachte er dabei gar innig an dessen Mutter und wünschte, dass all' seine Liebkosungen an ihrem kostbaren Herzen zu kräftigen Dolmetschern und Fürbittern würden. Seit einem Jahre und darüber war sie der ausschliessliche Gegenstand seiner stillen Huldigungen. Und Frau Modesta war nicht blind dafür, stellte sich auch nicht, als verstünde sie dieselben nicht. Sie war ihrem Verehrer gut, sie behandelte ihn mit Vertrauen, mit Auszeichnung und Wärme und doch, mit keinem Wort, keinen Schritt trat sie jemals aus dem Kreise frauenhafter Weiblichkeit heraus, in welchem sie sich, ohne ihn ängstlich abzumessen, sicher fühlte.

Es gab keinen grösseren Gegensatz, als welcher zwischen Sora Modesta und Sora Filomena bestand, welch' Letztere mit einer alten Anverwandten, nur eine Treppe tiefer, dasselbe Haus bewohnte. Auch sie war Strohwittwe, auch ihr Gatte lebte im Exil – die Herrschaft der Monsignori verstand politische Flüchtlinge und Strohwittwen zu machen, und nicht selten fand sich der hartnäckige Verfolger des Verbannten und der aufmerksame Tröster der zurückgebliebenen Ehehälfte in einer und derselben gefeiten Person. Der lachenden Strohwittwen gab es daher im päpstlichen Rom nicht wenige, die grollenden aber, von den geistlichen Verwaltern der Pensionen und milden Stiftungen kurz gehalten, kleideten ihre Hoffnung in trikolore Farben. Für eine lachende Wittwe galt auch Sora Filomena, doch war sie es nicht aus niederer Berechnung, sondern aus Temperament. Sie war ein naives Kind des Instinktes, keine Kokette. Ihre Augen lachten selbst noch hinter Thränen, und wenn der schöne ernstere Mund mit einem Lächeln mit einstimmte, so konnte die glückliche Stunde kein berauschenderes Gesicht zeigen. Die fröhlichen Augen blau, weiss und rosig das Incarnat, die langen Wimpern gleich den hochbogigen Brauen und der reichen Fülle des Haares schwarz, die Züge zum Ausdruck olympischer Sorgenlosigkeit gestimmt: war Filomena eine Schönheit, die leuchten müsste, wo sie erschien. Aber sie wusste nicht, wie schön sie war; Huldigungen, ihrer Schönheit dargebracht, missfielen ihr. Doch wenn ihr junges Herz sprach und in eines Mannes Brust ein gleich rückhaltloses Echo weckte, so feierten zwei Menschenkinder einen Liebesbund, wie solcher ursprünglicher selbst im goldenen Zeitalter nicht geschlossen wurde. Ja, Filomena war liebebedürftig, aber sie suchte nicht hinter der schmalen, faltenlosen Stirn nach einer bequemen Lebensphilosophie, sondern folgte den Regungen des Herzens. Sie konnte ebenso spröde sein, als sie liebeseelig im Hochgefühle aufging, und die Verehrer, welche sie kalt und grausam schalten, waren gewiss zahlreicher als die, in deren Leben sie eine süsse Erinnerung wob. Sie liebte, liebte viel, aber schleppte niemals an Verhältnissen und gab sich niemals preis. Und ebenso aufrichtig, wie sie liebte, litt sie auch. Wenn sie in Stunden der Selbsteinkehr des fernen Gatten gedachte, war ihr Schmerz nicht Einbildung oder Verstellung, sondern wahre Zerknirschung; dann fehlte ihr nichts zu einer büssenden Magdalena als die Ausdauer. Einst hatten Filomena's schöne Augen auch dem deutschen Gelehrten gelacht, aber Egger begriff zu schwerfällig, und die Römerin wandte sich gleichgiltig von ihm ab. Seither gingen beide wie friedfertige Nachbarn an einander vorüber. Filomena blickte mit Verwunderung zum kalten Germanen auf und Letzterer musste das glückliche Naturkind mehr beneiden, als er's verdammen konnte. Dass sein Herz ihn zur stilleren Nachbarin hinzog, wusste sie nicht – auch hätte sie's ihm keineswegs missgönnt.

Das Haus beherbergte noch Viele, es war ein Miethhaus von unten bis oben; der Barbier rechts und der Krämer links vom Thore bildeten das Stäteste im Wechsel von Kommen und Gehen. Die Bekannten Egger's nannten das gastliche Haus die Burg der Strohwittwen und versäumten keine Gelegenheit, ihn mit diesen schönen Insassen aufzuziehen. Da der Spott nach Filomena's Seite hinzielte, liess ihn Fritz auch ruhig über sich ergehen. Er lebte eingezogener als die meisten seiner Landsleute, obwohl Keiner rüstiger über die Campagna wanderte, wenn es den Besuch einer geschichtlichen Fundstätte galt. Ueber die Hast und das Erstaunen frischangekommener Romfahrer war er hinaus.

Seit einigen Tagen hielt er das freundlichste Zimmer seiner braven Hauswirthin mit Beschlag belegt. Die festliche Woche der Centenarfeier Petri und zahlreicher Heiligsprechungen, für welche Rom Gäste, Fromme wie Weltkinder, nach Hunderttausenden erwartete, nahte heran und der Fremdenzufluss aus der Heimat sollte ihm einen lieben Schüler und Freund bringen. Es war dies Carl von Kirchberg, dessen Jugend er einige Jahre geleitet und dessen weitere Entwicklung er nicht ohne Besorgniss aus der Ferne verfolgt hatte. Carl war der einzige Sohn eines Banquiers, der es, ohne an Credit und Achtung Einbusse zu erleiden, vom Comptoirmenschen zum Gutsbesitzer, vom Bürgerlichen zum Adeligen gebracht hatte. Die Standeserhöhung des Vaters machte sich in der Erziehung des Sohnes als gewaltsamer Schritt fühlbar; anfänglich zum Kaufmann bestimmt, sollte Carl zum Cavalier erwachsen. Nicht genug an diesem Zwiespalt, kam bald noch eine dritte Strömung im elterlichen Hause zur Geltung. Carl hatte einen Onkel von mütterlicher Seite, der sich als streitbarer Kirchenfürst einen Namen machte. Selbstverständlich ergriff der geadelte Banquier für die Sache seines geistlichen Schwagers Partei und der Hirteneifer dieses zog als Pietismus ins Haus der Schwester.

Auf Carl übten die gehäuften Neuerungen einen verwirrenden Einfluss aus. Er wurde an der Bedeutung der Berufswahl irre, fand die adeligen Ansprüche hohl und lästig und fühlte das Frommthun seiner Umgebung als Mehlthau auf seiner Lebensfreude. Ein starkes Wesen hätte gleichwohl zwischendurch seinen Weg gefunden, doch Carl war wohl eine gerade, aber zugleich lässige, mehr innerliche als streitbare Natur. Er konnte den einander bekämpfenden Einwirkungen nur weichen Widerstand entgegensetzen, und was er durch Leben und Thätigkeit hätte auskämpfen sollen, ward für ihn zum Gegenstand mattherziger Grübelei. Bald traten an ihn auch die Anforderungen als an den Stammhalter eines neugebackenen Adelsgeschlechtes heran: er sollte heiraten. Der Vater liess Andeutungen fallen, die Mutter schmeichelte um eine Schwiegertochter, Muhmen und Basen hatten schon die passendste Vorwahl getroffen. Aber, du lieber Gott, für Alles wusste der Eltern und Verwandten Sorgfalt Rath zu schaffen, für ein Edelreis zum beginnenden Stammbaum, für Rechtgläubigkeit und Seelenheil – nur das Herz des guten Carl war unfähig, Ja zu sagen. Des Vaters Tod führte nur einen Stillstand herbei, um die Sache nachher desto dringlicher zu machen. Carl wusste, dass er nicht lange mehr werde widerstehen können, und wurde ein menschenscheuer Hypochonder.

So viel hatte Carl's ehemaliger Erzieher erfahren – genug, um sich bewogen zu fühlen, noch einmal in das Leben seines Zöglings einzugreifen. Egger wollte ihn seiner doppelt dünkelhaften Umgebung entrückt sehen, wollte ihn in der Nähe haben. Die Centenarfeier und die Canonisationen boten ihm eine willkommene Gelegenheit; eine Einladung, nach Rom zu kommen und sich an den ausserordentlichen kirchlichen Festlichkeiten zu betheiligen, musste Carl mit Freuden annehmen und konnten dessen bigotte Angehörige unmöglich verdächtigen. Carl von Kirchberg meldete auch sofort sein Kommen. Und als er vor den Ueberresten der Diocletians-Thermen, in die sich Kirche, Kloster, Kreuzgang und Futterscheuern einträchtig theilen, aus dem Waggon stieg, warf er sich, ein schmucker, blonder Mann, mit treuherzigen aber melancholischen Augen, seinem Lehrer und Freunde in die Arme.

Von Sora Vittoria wurde der neue Gast mit jener Herzlichkeit begrüsst, mit jener Aufmerksamkeit behandelt, welche sie dem Freunde Egger's schuldig zu sein glaubte. Aber sie brauchte sich dabei nicht Gewalt anzuthun, denn der junge Mann gefiel ihr sichtlich. Noch merkwürdiger war, dass auch die spröde Carmine dem Ankömmling ohne Befangenheit entgegentrat, ihm die Hand reichte, ihn mit klangvoller Stimme willkommen hiess. Ja, während die Hauswirthin und Fritz die Sachen Carl's vorläufig dem Zimmer einordneten, verharrten die jungen Leutchen im Gespräch mit einander, als oh sie sich schon Mancherlei zu sagen hätten.

Für eine der ersten Nachtstunden, welche Vollmondschein versprachen, schlug Fritz einen Besuch des Colosseums vor. Sein kranker Freund sollte zunächst der Vorwelt Geistergruss vernehmen, und mochte dieser auch überwiegend elegisch berühren, so war er doch zugleich so mächtig, dass des Beschauers Seele, dem eignen Ich entrissen, sich fremden grossen Eindrücken gefangen geben musste. Als es zum Auszug kam, geschah es wie selbstverständlich, dass Carl dem Mädchen den Arm reichte, und dass Carmine den ihrigen nicht zurückhielt. Das junge Paar schritt voraus. Desto besser! dachte sich Egger – das ist der rechte Cicerone für ein schwermüthiges Herz; mögen immerhin die Alterthümer diesmal zu kurz kommen, es kommt einem jungen Leben zu statten.

Vor Neptuns Muschelwagen mit den schnaubenden Rossen und den schmetternden Tritonen hielt man einige Minuten. Das Wasser der Fontana Trevi rauschte bergstrommächtig, und das schräg einfallende Mondlicht schien Leben und Bewegung in die marmornen Glieder des Meerbeherrschers und seines Gefolges zu bringen. Carmine wusste selbst nicht, wie ihr der Gedanke kam, ihrem Begleiter vom Mythus des schönen Brunnens, von seinem Cultus und dass ein Abschiedstrunk aus ihm eine baldige Wiederkehr nach Rom verbürge, zu erzählen. Es war ihr bisher noch niemals eingefallen, dass derlei wissens- oder mittheilenswerth sei.

Nachdem man auf den Corso eingebogen, fragte Carl nach dem Namen der mächtigen Burg mit den scharf geschnittenen Zinnen, die halb im Licht, halb im Dunkel zur Rechten breit und stolz sich vorschob. Carmine nannte den Palazzo di Venezia und fügte hinzu, Federigo behaupte, dass die Steine zu diesem Bau vom Colosseum genommen worden.

»Was muss das für ein Coloss sein,« erwiederte Kirchberg verwundert, »von welchem dieser Palast eine ausgebrochene Rippe vorstellt!«

Dann ging's auf der breiten Treppe zum Capitol hinan, welches, ein richtiger Januskopf, mit den heiteren Renaissancepalästen dem gegenwärtigen Rom zugekehrt ist, während das andere greisenhafte und tiefgefurchte, aber noch in einzelnen Zügen Hoheit verrathende Angesicht auf Schutt und Trümmer des alten Forums blickt. Es wurde wenig gesprochen auf dieser weltgeschichtlichen Warte; von den Gestalten der Gegenwart war Niemand mit herauf gefolgt und lautlos, aber im Schimmer der Verklärung lag das Ruinenfeld der Vergangenheit da.

Die alten schlanken Säulen, einzeln, zu dreien, zu fünf und mehr, schienen, ihren wunderlichen Schattenbildern nach zu urtheilen, gewachsen und blühten im Jugendglanze; die Reliefs an der schwerfälligeren Pracht der Triumphbogen erwachten aus der Erstarrung; die Theile antiker Architektur an anderen Bauten traten in stärkeren Linien hervor und wiesen die modernen Zuthaten als unebenbürtig hinter sich: es war, als spiegle sich das Alterthum in seinen schönen Trümmern und suche sich über seinen Verfall zu täuschen.

– Dort liegt der tarpeische Fels versteckt, wies Egger.

– Und dort unten – mahnte Carmine – die breite Masse, halb Tag, halb Nacht, mit der lichten Kante ist das Colosseo.

Man stieg aufs Forum hinab, wandelte durch die junge Allee, die in klassischem Schutt wurzelt, schritt unter den Victorien des Titusbogens hindurch und sah aus dem riesigen Tonnengewölbe der Constantin-Basilika die schwarze Nacht vorglotzen.

Da eilte Egger einige Schritte voraus, beantwortete den Anruf des Wachpostens und wies, auf die Mitfolgenden deutend, seinen Permesso vor.

Schon was sich als Schale des Eies, als schlankes, leichtes Gehäuse des Colosseums darstellt, ist ein gewaltiges Labyrinth von Hallen, Gängen, Treppen, Gemächern und Schlupfwinkeln neben- und übereinander, mit geborstenen Gewölben, sturzdrohenden Felsstücken und schwarz- oder silberhaarig niederhangendem Strauchwerk. Tritt aber der Fuss auf die Arena hinein, so vollzieht sich vor den Blicken, was im Auge selbst vorgeht, sobald es ins Dunkel späht; wie nämlich die Pupille sich erweitert, so dehnt sich das Amphitheater vor dem Eintretenden weiter und weiter aus. Ein eigenthümliches Zagen verkürzt den Schritt, die Stille und Majestät des Raumes nöthigt dem Besucher Schweigen und Ehrfurcht auf. Wer schwatzend oder lachend hereingeschritten käme, müsste für einen Profanen, einen Tollen gelten. Von dem feierlichen Frieden der Nacht scheint eben ein Stück Einsamkeit eigens ausgeschieden und hier eingehegt worden zu sein. Und wie die endlose Wüste den Wanderer die Einsamkeit einschüchternd und athembeklemmend fühlen lässt, so hier trotz des hohen Mauerwalls die bleiche, nur an dem einen Rande tief dunkelnde Arena. Damit sich der Mensch in diesem Riesenoval als Herrscher fühle, muss er zu vielen Tausenden erscheinen.

Carl und Carmine liessen sich auf die Stufen des grossen Passionskreuzes nieder, während Sora Vittoria und Fritz bei einer der vordersten Kreuzweg-Kapellen Platz nahmen. Jetzt erst wurde man gewahr, dass auch noch andere Besucher in der weiten Runde waren. Dieselben unterhielten sich flüsternd, und wenn je ein lautes Wort gesprochen wurde, so weckt' es befremdlichen Nachhall. Dieser Stätte mochte allerdings nur der Applaus oder das ungeduldige Gemurmel von Hunderttausenden geziemen. Der Sternenhimmel leuchtete herab, und wenn eine einsame Silberwolke hoch oben vorüberzog, so konnte man an ihr die Grösse der Rotunde ermessen – oder auch an der Weile, die ein an diesem Ende aufgestörter Nachtvogel brauchte, um an's andere Ende zu gelangen. In den oberen Bogengängen blitzt' es von Zeit zu Zeit auf; waghalsige Männer steigen bei Laternenschein im alten Gemäuer herum und gleichen Wichtlein in braunen Erzgängen.

– Ich wundere mich nur über meine schüchterne Carmine, begann die würdige Donna leise zu Fritz; so zutraulich benimmt sie sich sonst nicht einmal gegen Sie.

– Gewiss; aber auch Carl ist ein Anderer, als ich befürchtet habe. Er wurde mir als Hypochonder und widerspenstiger Ehecandidat geschildert, und hier zeigt er sich seit dem ersten Auftreten als aufmerksamer Ritter.

– Ein bischen melancholisch scheint er aber immerhin zu sein.

– Ich betrachte mich als Arzt seiner Seele und bin mit dem Anfange der Kur mehr als zufrieden. Als Cicerone hoff' ich ihn angemessen zu beschäftigen; Landsleute und Geschäftsfreunde seines Vaters werden mir behilflich sein, seinen Muth aufzurichten, und je besser er sich in Rom umsieht, desto mehr wird sich sein Blick über die engen häuslichen Verhältnisse hinaus erweitern.

– Es ist wohl der Umstand, dass er leidet, was meine Tochter anzog; sie hat ein gutes Herz.

– Sollten die jungen Herzen nicht mehr für einander fühlen können?

– Grausamer Spötter! Ein armes Mädchen, das froh sein muss, wenn es einen braven Geschäftsmann oder eine Mitgift für's Kloster findet ...

– Aber er gefiele der Mutter doch nicht minder als, gesetzt den Fall, der Tochter?

– Ich soll wohl gar mithelfen, dem jungen Ding' den Kopf zu verdrehen? No, signor medico, als Pille für Ihren Patienten halten wir uns für zu gut.

Rechtfertigte das Benehmen der jungen Leute diese Anzüglichkeiten? Allem Anschein nach mit nichten. Sie sassen ruhig neben einander und was sie sprachen, hatte eher einen ernsten als einen leichtfertig schäkernden Inhalt.

– Es sei ein Glück, meinte Kirchberg, unter so grossen Eindrücken und Erinnerungen wie in Rom aufzuwachsen; man dürfe an so vielen würdigen und schönen Dingen Antheil nehmen, dass man sich unmöglich ganz einsam und unglücklich fühlen könne; er sehe hier viel mehr lichte Gesichter als jenseits der Alpen.

– Wenn man aber nicht selbst andere Länder gesehen habe, oder sich's von Fremden sagen lasse, erwiederte Carmine, so wisse man's doch nicht, wie schön man es habe.

– Man lebe und geniesse hier eben wie Kinder, welche nicht wissen, wie glücklich sie sind.

– Aber am Rhein und an der Donau sei's doch auch schön, wie Federigo sage; und der Sommer sei dort grün und frisch, und wir hätten gar keinen rechten Wald, behaupte der Doctor.

– Ob sie wohl Lust hätte, Deutschland zu sehen?

– Warum nicht? Aber wie die Engländerinnen möchte sie nicht reisen. Ihr Bruder sei in Livorno, und dahin sei auch sie schon gekommen. Die Mutter könne nicht fort, und sie seien arm.

– Arm, aber zufrieden! bemerkte Carl tonlos für sich. Nach einer Weile fragt' er, ob sie gern lese, und ob sie ihm zuweilen Etwas vorlesen wolle, damit er daran sein Italienisch verbessern könnte?

– Mit Vergnügen! Aber er spreche jetzt schon besser als Federigo, da er bereits ein Jahr in Rom war.

Beide überliessen sich wieder dem überwältigenden Eindruck der Umgebung, bis Carl die unvermittelte Frage stellte: »Wie aber, Fräulein Carmine, wenn ein Bräutigam käme und Sie mit sich fortnehmen wollte?«

Unbefangen antwortete das Mädchen: »Lieber wär' es mir schon, wenn er zu uns zöge, als dass ich mich von der Mutter trennen müsste.«

– Recht so! Sie sind ein gutes Kind, versicherte Kirchberg und drückte der Gefährtin Hand mit Wärme. Und nun sich die Hände einmal gefunden hatten, wollten sie auch nicht sobald wieder von einander lassen.

In diesem Augenblick betrat, an seiner Uniform leicht erkenntlich, ein Zuavenoffizier mit einer Dame die Arena. Der Säbel klirrte auf dem klassischen Boden, die Schöne tänzelte an der anderen Seite des modernen Galliers. Rasch trat das Pärchen aus dem Schatten und mit galant-theatralischem Pathos rief der Ritter aus: »Hier wollen wir ein Schauspiel aufführen, von welchem diese alten, an Blut und Gräuel gewöhnten Mauern nichts wissen: ma chère, lass' dich küssen!«

Unangenehm berührt von diesem Auftritt stand Carmine auf, entzog ihre Hand der des neuen Bekannten und sagte, vor die Mutter tretend: »Lass uns nach Hause gehen.«

Carl, der durch ein lockeres Possenspiel seine ritterliche Aufmerksamkeit carikirt sah, begriff des Mädchens jungfräuliches Zartgefühl und war selbst taktvoll genug, auf dem Heimweg der Mutter den Arm zu reichen.

Doch nur Mutter und Tochter zündeten ihr Cerino an und stiegen sogleich in ihre Wohnung hinauf. Fritz wollte mit seinem Freunde noch beim »Genio« zusprechen, wo er um diese Stunde eine heiter anregende Gesellschaft versammelt wusste. Da rückten nämlich, wenn sich die unruhigen Zugvögel zerstreut hatten, gewöhnlich einige erbgesessene Landsleute zusammen, die mit rosiger Laune alter Kunst, alter Meister und alter Zeiten gedachten.

Der »Grieche« fehlte selten, als biederer Baier so genannt, weil er längere Zeit im Ottonischen Griechenland studirt und gemalt und von daher die Vorliebe für Fez und hellseidene Gürtelschärpe mitgebracht hatte; ein Grossvater in spe, wiegte er seine elastische Gestalt noch wie ein Tänzer oder Turner, und übertraf an lebhaftem Wesen ebenso sehr seinen Sohn, als dieser auf dem besten Wege war, in der Kunst den Vater zu überholen – der jugendliche Alte sah's mit vieler Freude.

Wie der Baier Griechenland, so kannte der schwäbische »Freund des Cardinals« Russland, das er an der Seite eines kränklichen Generals jahrelang nach verschiedenen Richtungen durchwandert hatte; von dorther kamen ihm Pension und Aufträge zu. Eine beneidenswerthe Natur, war er zufrieden mit dem, was er schuf, und fand auch alles Andere »in seiner Art« gut. Seine Harmlosigkeit hatte ihm die Freundschaft eines der feinsten Köpfe des kirchlichen Senats, des deutschen Cardinals nämlich, zugezogen, von dessen Offenbarungen er »in seiner Art« geheimthuenden Gebrauch machte.

Der »Freskant« hingegen dachte pessimistisch von der Kunst und ihrer Entwicklungsfähigkeit, seit das Zittern seine Meisterhand befallen; während die Nazarener in verzückten Blicken und Wundmalen schwelgten, hatte er einige Stanzen eines vaterländischen Königsschlosses im Sinne Uhlands mit geschichtlichen Wandgemälden geschmückt, welche deutsche Kraft und italienische Schönheit glücklich vereinigen; als schöner Jüngling und Mann zaudert' er so lange, seinen südlichen Verehrerinnen vor den heimatlichen Blonden, oder umgekehrt, den Vorzug zu geben, bis die Zeit des Freiens um war – übrigens gab es keinen dankbareren Hüter süsser Erinnerungen als ihn.

Die dunkle, hagere Gestalt des »Romantikers« fiel weiterhin auf; ritterlichen Geblüts jagte er zeitlebens, ein moderner Don Quixote, verblichenen Idealen nach und paarte umfassendes Urtheil mit einer unglücklichen Hand. Sein Schatten war ein blasser Baron, Convertit, der zu Zeiten die Lust verspürte, mit Blut und Eisen unter die Ketzer zu fahren; in zahmeren Stunden beschäftigte er sich mit dem Mikroskop und spiesste Käfer; während des Corso's auf dem Pincio aber war er ein Elegant, der nach einer Braut ausspähte.

Ruhig im Urtheil, fein im Umgange, kenntnissreich, ein versöhnendes Element dagegen war der »Schlesier.« Er schaffte täglich das volle Stundenmass in seinem Studio, aber keiner seiner Bekannten konnte sich rühmen, je ein Werk seiner Hand gesehen zu haben; er hatte eine Römerin zur Frau, die noch schöner und frischer war, als ihre heiratsfähigen Töchter erster Ehe.

Das süsse, allezeit beschäftigte, vorwurfslose Nichtsthun hatte sodann Niemand in Rom gründlicher als der alte »Prager« inne. Seine Heimat lag eigentlich an den Ufern des Rheins und über seine Beziehungen zu vornehmen Persönlichkeiten duldete er anzügliches Gerede. Er rühmte sein Madonnenbild und einen Pokal, den er vor einem Menschenalter geformt. Ersteres hatte die Züge einer längst verwelkten Geliebten. Er trug das Haar gelockt wie in den Jugendtagen, ging dem guten Tropfen nach und schwatzte, zwar etwas aufdringlich, aber zugleich sehr anregend, über Kunst und Künstler.

Der »Erbe« i. e. des künstlerischen Nachlasses und der Tochter eines der Koryphäen der neuen deutschen Kunst schwieg meistens, da ihn seine zunehmende Schwerhörigkeit dazu verurtheilte. Er zählte zum engeren Kreise des alten Königs Ludwig von Baiern, der an dem gleichen Gebrechen litt; zwischen König und Künstler gab es Missverständnisse der ergötzlichsten Art, so z. B. wenn der Mäcen sich in gnädiger Anwandlung nach dem Befinden von dessen Gattin erkundigte, und der Erbe in Gedanken an Statuen oder Bilder eifrig antwortete, ihr fehle Nase und rechter Vorderarm, oder er hoffe nächster Tage mit der Restauration zu Ende zu kommen.

Nicht vollzählig endlich hätte sich die Gesellschaft gefühlt, wenn das »Kind« ausgeblieben wäre. Es war dies ein altes Kind, an die achtzig Jahre alt; aber es sass in Hemdärmeln da, wenn die Jungen froren und sich gegen den Zug verwahrten. Es war ein unverwüstliches Muster künstlerischer Frohnatur, ohne je selbst ein grosser Künstler gewesen zu sein; bei seinem Anblick wurden die Alten jung und schämten sich die Jungen ihres begeisterungsträgen Fischblutes.

So schilderte Fritz auf dem Wege zum »Genio« seinem Freunde die Gesellschaft, in welche derselbe eingeführt werden sollte. Er wies auf die ehrwürdigsten Häupter der Tafelrunde hin, wie ja auch ein Wald nach den ältesten Stämmen geschätzt wird. Einen kleinen Sparren hatte fast Jeder der Stammgäste zu viel – aber solch ein Quentchen Narrheit macht das Leben erträglich und fördert die wechselseitige Kurzweile.

Die Beiden wurden herzlich empfangen und manche Foglietta ihnen zu Ehren geleert. Aber bereits war ihnen ein Gast zuvorgekommen der selbst für Fritz eine neue Erscheinung war. Es war dies die ausgeprägteste Bourbonen-Physiognomie, die sich denken lässt: gross und dunkel das Auge, stolz gehöckert die Nase, gemächlich und rund Kinn und Unterkinn. Dem glattrasirten Gesicht und der dunklen Kleidung nach konnte man in dem Unbekannten einen Weltpriester vermuthen, unmöglich aber auf den Gedanken gerathen, dass ein Carmelitermönch unter den Augen seines Ordensgenerals seinen braunen Habit mit einem bequemen Reise-Anzug vertauscht haben sollte. Und doch bekannte sich Fra Filippo – so nannte sich der Fremde – als Carmeliter und Missionspriester in Nordamerika. Seine Wiege stand im Allgäu, dem fetttriftigen Lande der Käskönige, und in seine Rede flochten sich Nachklänge deutschen Studentenhumors. Er sprach lebhaft und gewandt, und mit eingewobenen englischen Ausdrücken verlieh er seinen Mittheilungen eine fremdartige Verbrämung. So erzählte er von Missionspfarren, die grösser seien als italienische Erzbisthümer, von Versehgängen, welche an Ausdehnung die canonischen Visitationsreisen europäischer Bischöfe übertreffen, von Kathedralen, die aus einem Blockhaus bestehen, von Hochmessen, bei welchen der Celebrant sein eigener Ministrant sei, von Predigten unter einem rohgezimmerten Kreuz in Urwaldsmitte, von kirchlichen Insignien, bei welchen eine Hanfschnur die goldene Prälatenkette vertrete und das Kreuzlein daran aus Holz geschnitzt sei, von Gemeinden, in welchen der Missionar als Priester, Schulmeister und Friedensrichter zugleich wirke. Die Kirche sei frei in Amerika und der Priester geniesse die Rechte des Staatsbürgers; aber sich gegen die Gesetze des Staates aufzulehnen, lasse er sich ebensowenig beikommen, wie in kirchlichen Angelegenheiten den Arm der weltlichen Gerechtigkeit anzurufen. In den Augen des Amerikaners gelte der Bischof für einen Geschäftsmann und Gentleman wie jeder Andere – Standeseitelkeiten würden ihn lächerlich erscheinen lassen. Ehe und Schule regle der Staat; wer über die gesetzliche Ordnung hinaus ein religiöses Bedürfniss habe, komme zum Priester. Für Kirchen- und Schulstreit mit dessen mannigfach verquickten Voraussetzungen habe man jenseits des Oceans wenig Verständniss.

Kirchberg horchte auf; er, der in dem Federkrieg, welchen sein hochwürdiger Onkel so hartnäckig mit der Regierung führte, zum Clericalen gedrillt worden, lernte nun statt eines bureaukratischen und rechthaberischen ein einfaches, thätiges, bescheidenes Christenthum kennen, das sich nicht auf Rechte und Privilegien, sondern auf Pflichten steifte. In diesem Sinne richtete Carl auch Fragen und Einwendungen an Fra Filippo, der schliesslich auf den unmittelbaren Anlass seiner Romfahrt zu sprechen kam.

Seit Jahren habe nämlich sein kleiner Convent den Weinbedarf durch einen und denselben Agenten bezogen und sei mit den bezüglichen Sendungen wohl zufrieden gewesen. Vor kurzem habe sich besagter Agent mit seinen Probeflaschen wieder eingestellt und man sei auf dem Wege gewesen, handelseins zu werden, da der Prior von der alten Sorte zu dem alten Preise mit der Bemerkung verlangte, dass diese Qualität sich auch am besten zum Messewein eigne. »Zum Messewein?« wiederholte der Agent. »›Warum nicht?‹« fragten die Patres. Darauf Jener: er sei zwar kein Katholik, glaube aber zu wissen, dass zum Messopfer Rebensaft, wirklicher Rebensaft nothwendig sei. »Selbstverständlich!« antwortete man ihm verwundert. Und der Agent fuhr fort: wenn dem so sei, so fühle er sich als Gentleman denn doch verpflichtet, zu bekennen, dass der Wein, wie ihn seine Firma liefere, seines Wissens bis zur Stunde auch nicht mit Einem Tropfen Rebenblut noch Bekanntschaft gemacht habe. Darüber grosse Bestürzung im ganzen Convent. Man sann und schlug nach und brachte heraus, dass man mindestens drei Jahre lang tagtäglich auf die verschiedensten Stiftungen und frommen Meinungen von diesem sauberen Wein geopfert hatte. Es fragte sich nun, ob diese Messen nicht sammt und sonders ungiltig seien? Ob man sie auf die gleichen Meinungen und mit echtem Opferstoff nicht noch einmal lesen müsse? Oder ob der entschuldbare Irrthum sie saniren, respective Dispens erwirken könne? Die Sache auf dem schriftlichen Wege anhängig zu machen, dazu hatte der Convent weder Zeit noch Lust, es hätte endlose Schreibereien abgesetzt: daher habe man sich für eine mündliche Berichterstattung entschieden und ihn, den Sprecher, nach Rom geschickt, damit er den Fall in kürzester Zeit zu einem glimpflichen Austrag bringe.

Der ebenso ergötzliche als schwierige Casus wurde von den Tischgenossen mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit aufgegriffen, und an ungebetenen Gutachten hatt' es keine Noth. Einige meinten, der gute Glaube rette den Werth der fraglichen Messen. Andere entgegneten, da es an der gehörigen Substanz gefehlt habe, so sei eine Transsubstantiation gar nicht möglich gewesen und mithin auch keine Messe zu Stande gekommen. So könne nur ein Utraquist argumentiren, warf man von dritter Seite ein; von den beiden Gestalten, Brod und Wein, sei wenigstens die erstere ordnungsmässig vorhanden gewesen und in den mystischen Leib, in Christi Fleisch und Blut verwandelt worden, und das genüge. Ein Vierter bemerkte, die Controverse habe Aehnlichkeit mit der Wiederholung der Taufe für den Fall, dass bei der ersten Vornahme ein wesentliches Gebrechen mitunterlaufen. Tausende von Messen wiederholen?! riefen Etliche ungläubig aus. Nicht Wiederholen, sondern »Biniren« wäre das Richtige, urtheilte der »Romantiker«; mit der Intention einer neuen Messe lasse sich ausnahmsweise je eine der früheren, unvollständig erledigten Messintentionen verbinden. Das schien Vielen als recht und billig einzuleuchten. Der »Freund des Cardinals« bot in verschämter, der blasse Baron, der in der päpstlichen Dataria ein- und ausging, in officiös-zuversichtlicher Weise dem seltsamen Carmeliter für seine kitzliche Sache Vermittlung und Unterstützung an. Fra Filippo aber dankte Beiden, indem er lächelnd bemerkte, er sei nach Rom gekommen, den Papst zu sehen.

Als es zum Aufbruch kam, erboten sich Kirchberg und Egger, den transatlantischen Mönch bis an die Klosterpforte das Geleit zu geben. Dieser aber wehrte: »Nicht doch – ich wollte nicht meinen ehrwürdigen Brüdern in ihren engen Zellen zur Last fallen; drum hab' ich mir eine Miethwohnung gesucht; ich hause ...« und er nannte Gasse und Nummer, welche dasselbe Haus bezeichneten, das auch die Freunde beherbergte. Man war beiderseits zufrieden mit diesem Zufall, der die junge Bekanntschaft wie ein kräftiger Ruck förderte, und als man sich auf dem Stiegenabsatz trennte, hatte man schon für den nächsten Tag ein Wiedersehen verabredet.

Eindrücke, wie sie nicht leicht eigenartiger und verschiedener gedacht werden können, begleiteten sonach den jungen Kirchberg in seine späte Nachtruhe. Im Colosseum hatte der Geist des Alterthums zu ihm gesprochen; im »Genio« war er in die Fragen und Interessen des modernen, des päpstlichen Rom hineingezogen worden; einen neuen, freieren Himmel wusst' er über sich ausgespannt und eine liebliche Frauenknospe hatte leise an sein Herz gerührt. Wie mächtig auch Natur und Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart auf ihn einwirkten, sein letzter Gedanke hiess doch – Carmine.

Egger hatte für seinen Freund keine ängstliche Tagesordnung aufgesetzt; er wollte ihn nicht ermüden oder übersättigen, nicht durch Gallerien, Museen, Kirchen und Paläste jagen, nicht von Hügel zu Hügel oder aus einer Villa in die andere zerren, nicht Antikes und Modernes, Heiliges und Profanes ihm in greller, abstumpfender Folge vorführen. Carl sollte gut sehen, mit Musse gemessen, bequem studiren, sollte nachhaltige Eindrücke empfangen und vor Allem den Freund und Lehrer nicht so bald wieder verlassen. Hatte daher eine berühmte Gallerie die Aufmerksamkeit in erhöhtem Grade in Anspruch genommen, so sorgte ein Abendgang durch eine der idealen Landschaften, welche man römische Villen nennt, oder der Ausblick von St. Onofrio über das Ave-klingende Rom für eine beruhigende Ausgleichung; hatte man zu lange in der Vergangenheit und bei den grossen Todten geweilt, so wurde um so bereitwilliger in geselligem Kreise das Recht der Lebenden anerkannt, und von dem Hohen und Pathetischen liess man sich gern auf die Niederung der Idylle und des Genres herab.

Auch die häuslichen Stunden der Siesta waren nicht ausschliesslich dumpfer Ruhe gewidmet. Carmine hielt ihr Versprechen, sie las ohne declamatorisches Pathos mit warmer Stimme vor und hob Stellen poetischer Empfindung durch wahrhaft mitfühlendes Verständniss. Carl berauschte sich schon an Klang und Sprache, bis ihn ein tieferes Dichterwort aus Mund und Herz des Mädchens mit doppelter Gewalt traf. Aber Carmine sollte dafür auch an allen schönen Genüssen theilnehmen, welche Carl in so reichlichem Masse ausser dem Hause fand; er nöthigte sie auf den Pincio mit, wenn die stolzen Prachtkutschen in jähem Räderschwung um den Obelisken bogen, er schlug ihr vor, in der lauschigsten Osteria ausserhalb der Mauern mit ihm den Kaffee zu nehmen, er plante einen gemeinsamen Ausflug nach den Wasserfällen und Felsengrotten Tivolis, ja sie hätte bald nicht mehr von seiner Seite weichen können, wenn die Mutter und Fritz nicht in stillschweigendem Einverständniss mit schonenden Ausreden und unerwarteten Hindernissen dazwischen getreten wären. Sie thaten dies nicht etwa, weil sie dem ritterlichen Geiste Kirchbergs misstrauten, sondern weil sie fürchteten, dass Carmine in ihrer Unerfahrenheit und mit der lebhafteren Empfänglichkeit einer Italienerin den Huldigungen des deutschen Gastes eine zu tiefe Bedeutung beilegen könnte. Und Carmine selbst auch schien zufrieden, wenn sich das Zusammensein mit Carl auf die Stunden häuslicher Geselligkeit beschränkte, sei es, dass sie den widerlichen Auftritt im Colosseum noch nicht verwunden hatte, sei es, dass sie bereits für ihr Herz fürchtete.

So war ein ungewöhnlich frischer Morgen herangekommen, welchen die beiden Freunde zu einem Ritte auf die Via Appia benützten. Vor der Porta di S. Sebastiano liess man die Pferde tüchtig ausgreifen – Ross und Reiter befanden sich wohl dabei. Dem Naturgenuss, zu welchem die frühe Tageszeit so ermuthigend lud, mussten die geschichtlichen Erinnerungen, welche in räthselhaften Denkmaltrümmern die classische Strasse säumen, einstweilen noch nachstehen. Man sprengte der jungen Sonne entgegen, liess zur Rechten und Linken die aneinander gehalfterten Bogen alter Wasserleitungen zurückweichen, begegnete manchem schwerfälligen und stier blickenden Büffelgespann und erwiederte den Gruss der Campagnuolen. Die Campagna war durchmessen, sachte gings zu dem grün gebetteten Albano hinan.

Hier bot sich Rast, Imbiss und Umschau bis zu dem fern aufleuchtenden Meeresstrand. Hier fühlten sich die Beiden angeweht von dem grossartigen Charakter des alten ager Romanus, dessen Schilderung ein Epos, dessen stumme Sprache eine Symphonie ist. Bald eine fette Trift, bald ein weitgedehntes goldenes Ackerfeld, das viele Hunderte von blitzenden Sicheln auf einmal beschäftigt, bald unter unsäglicher Glut eine fieberbrütende Wüste; bald im reichsten Frühlingskleid und dann im schwülen Schatten, im jähen Blitzesleuchten sommerlicher Gewitter: so ist die Campagna schon im Wechsel der Jahres- und Tageszeiten ein mächtiges, eindrucksvolles Bild. Denkt man sich aber statt der Jubiläumspilger, statt der in reifiger Weihnachtsfrühe des Weges ziehenden Pifferari, statt der modernen Touristen, Künstler, Fuchsjäger und Sportsmen als Staffage die zur Weltherrschaft ausziehenden Legionen oder den Ansturm Reiche zertrümmernder Barbaren oder die fehdelustigen Fähnlein stolzer Barone, welche Tempel und Grabmäler in Trutzburgen verwandelt haben, oder die Heere jener fremdländischen Schirmvögte, welche der Papst berief, um seine dreifache Krone mit ihren dreifachen Machtansprüchen aufrecht zu halten: dann zuckt nicht nur ein rother Widerschein von jenen Scheiterhaufen, auf welchen an der Legionenstrasse die alten Römer bestattet wurden, nicht bloss ein Glutstrahl von Hirten- oder Lagerfeuern über die schweigende Campagna, sondern sie liegt ausgebreitet vor den sinnenden Blicken des Eintagsmenschen als eine Riesenurkunde, in welche alle Wetter und Mächte der Welt sich eingezeichnet haben.

In diesem Sinne betrachteten die Freunde die braune Ebene, auf welche sie, ernster gestimmt, wieder herabstiegen. Jetzt, nachdem sie den grossen Eindruck empfangen, wollten sie dem Einzelnen ihr Augenmerk zuwenden. Aber Egger war kein pedantischer Cicerone; er kramte nicht sein archäologisches Wissen aus, sondern begnügte sich, Carl auf die hervorragendsten Grabmalstrümmer aufmerksam zu machen, auf landschaftliche Reize und Ausdrucksformen hinzuweisen und zu belächeln, wie schlicht sich da und dort heutige Genügsamkeit in den antiken Grabstätten einzunisten verstand.

So kam man zum Monumente der Cäcilia Metella, dem stolzesten und besterhaltenen Denkmal an der Via Appia, das, auf der Höhe eines der grösseren Wellenhügel der Campagna gelegen, mit seinem marmorblanken Rundbau aus Quadern weithin das Land beherrscht. Die barbarische Fehdelust des Mittelalters brach Schiessscharten in das geschlossene Rund, setzte dem feinen Grabtempel plumpe Zinnen auf und fügte ihm Schlosshof und Kirche an, tribut- und zollsüchtig die Strasse absperrend. Aber diese jüngeren Zubauten verwittern, und schöner und weisser schält sich wieder die antike Rotunde heraus, deren Fries aus Guirlanden und Stierschädeln das Auge des Kunstsinnigen entzückt. Sie warf einen breiten, gastlichen Schatten hügelabwärts. Fern stieg die Peterskuppel empor und über der Stadtmauer wurde der Statuenkranz des Laterans sichtbar.

Kirchberg stieg vom Pferd und lagerte sich, Fritz folgte seinem Beispiele.

– So oft ich an diesem formfeinen Mausoleum vorüberkomme, begann Letzterer, fühl' ich einen leisen Vorwurf, dass ich Junggeselle geblieben! Es muss denn doch etwas Herrliches sein um ein gut geartetes Weib, wenn es eines solchen Denkmals für würdig befunden werden konnte und wenn die zerstörungseifrigsten Jahrhunderte Sorge trugen, dass uns in leuchtenden Lettern der Name dieses Weibes erhalten bleibe.

Kirchberg schnellte halb empor, als fühlt' er sich von einer absichtlichen Stachelrede getroffen und verletzt. Doch das Gesicht seines Freundes war ruhig und lauter. Fritz hatte bei dem Worte ohne Nebenabsicht ausschliesslich an sich selbst gedacht oder, wenn ja noch an eine Person, so sicherlich nur an Sora Modesta.

Carl zauderte noch eine Weile, dann erwiederte er:

– Du lösest mir die Zunge, Freund; ich wollte dir schon dieser Tage sagen, dass ich liebe, dass ich heiraten will, aber ...

– Wirklich? rief Egger aus, auf dessen Gesicht sich eine aufrichtige Ueberraschung spiegelte. Du thust gut daran und wirst mit diesem Entschluss alle deine Angehörigen beglücken.

– O nicht, wie diese wollen! wehrte Jener unwillig. Entweder Carmine oder Keine.

– Carmine?

– Was wunderst du dich? Ich bin kein Hofmacher von Beruf und müsste mich all' der Aufmerksamkeiten für das Fräulein schämen, wenn sie nicht vom Anfang an einen ernsteren Hintergrund gehabt hätten.

– Carmine! ... aber bedenkst du auch, dass Alle, welche auf das neue Geschlecht und Wappen Derer von Kirchberg stolz sind, an der Seite des einzigen Stammhalters ein Edelfräulein zu sehen wünschen?

– Carmine ist eine Römerin.

– Mit ihrem Taufschein als romantischem Adelsbrief dürfte sie von den Deinigen kaum als ebenbürtig anerkannt werden.

– So ist sie dafür eine Musterkatholikin, eine päpstliche Unterthanin.

– Und die Nichte weiland eines Monsignore oder gar eines Cardinals, wie ich dir verrathen zu dürfen glaube; aber sie ist nicht bigott.

– Nun, dann sollen die Meinen von ihr Herzensadel und wahre Frömmigkeit lernen! Ich bin volljährig.

– Ja, sie ist eine Perle an Geist und Herz ... den diabolus Rotae zu spielen, fällt mir schwer genug. Aber bist du ihrer Gegenliebe gewiss? Wird sie dir folgen und von der Mutter lassen?

– Vorläufig denk' ich in Rom zu bleiben und mich, um keinen Müssiggänger abzugeben, mit einer Capitaleinlage und einigen Stunden Comptoirdienst an dem Bankiergeschäft des wackern Consuls Kolb zu betheiligen. Ich habe bereits bei meinem ersten Besuch für diesen Gedanken die Meinungen ausgeholt und ihm nicht abgeneigt gefunden. Damit, dass ich vor der Hand bleibe, gewöhne ich mich am besten an Charakter und Wesen meiner lieben Braut, an den Localton ihrer Ansichten und Lebensweise. Ueber's Jahr, wenn es in Deutschland duftet und blüht, besuche ich mit Weib und Schwiegermutter die Heimat. Geschieht dies mehrmals, so lebt sich Carmine unschwer in die deutschen Verhältnisse ein. Schliesslich wird sich's ja zeigen, ob wir uns dies- oder jenseits der Alpen für die Dauer niederlassen sollen.

– Nicht übel, meinte Egger, und mit steigender Wärme fuhr er fort: Und deine schonende Sorgfalt ist gewiss der beste Beweis deiner Liebe. Euch als ein glückliches Paar zu sehen, du glaubst gar nicht, wie mich das freuen würde. Ich bin dem Mädchen gut, wie es nur immer ein Bruder, ein Lehrer und Mentor sein kann. An der Seite des rechten Mannes ist die Italienerin eine vortreffliche Gattin und Mutter, und vollends Carmine – o, sie ist ein seltener Schatz. Ich könnte mir diesen Edelstein in einer schlechten oder dürftigen Fassung gar nicht denken. Lieber leuchte er für sich allein – so dachte ich mir, ehe du kamst, staunend, wie herrlich sich das schöne Kind an Leib und Seele entwickelte.

Entzückt horchte Carl auf; als wollt' er ihm danken, als wollt' er ein stilles Gelöbniss in seine Hände legen, drückte er dem Freunde wieder und wieder die Rechte. Und eh man sich zu Pferd setzte, warf er sich ihm mit Ungestüm an die Brust. Der Kuss, den er ihm gab, war gewiss der vollen Bedeutung nach ein Verlobungskuss, nur diesmal auf den Mund des Freundes, statt auf die Lippen der Braut gedrückt. Erst nach diesem Gefühlsausbruch war man im Stande, die Sache weiter zu besprechen, und in gehobener Stimmung ritt man in die Stadt zurück.

Dort erwartete den jungen Kirchberg aus dem Gesandtschaftspalais eine Einladung zum Diner. Egger empfing das gleiche Billet; da aber sein ehemaliges Verhältniss zu Carl als das eines Lehrers zum Schüler im Palazzo bekannt war, so zog er es diesmal vor, fern zu bleiben, denn er mochte auch nicht einen Schatten des Verdachtes aufkommen lassen, als ob er auch in Rom noch seinen Freund bevormunden wollte.

Er gehörte also diesen Abend wieder einmal sich selbst an.

Aber er war in einer eigenthümlichen Gemüthsverfassung. Das Glück des Freundes hatte auch ihn berauscht, dessen Werbemuth auch seinen Muth gehoben, und sein einsames Herz sehnte sich mehr als je nach Liebe. Er, der zwei ihm gleich theueren jungen Herzen zu einem schönen Liebesbunde verhalf, fühlte zugleich doch auch Etwas wie Neid, so weit solcher überhaupt ein edles Gemüth zugänglich findet. Er wehrte nach Kräften dieser selbstischen Anwandlung und rief ein- über's andremal: »Zu spät! zu spät!« aus.

Aber diese traurige Beschwörungsformel vermochte sein Verlangen nicht zu beschwichtigen; es war da als ein schönes Herzensbedürfniss, als ein Feuer, das wirklich brannte – warum also zu spät? Er vergegenwärtigte sich das von mildem Zauber umflossene Bild Modesta's, er wusste sie in seiner Nähe, fast Thür an Thür – oh! und erwog Worte, zündende Worte, ihr Herz zu rühren. Er kannte ihre einfache Hausordnung, kannte jeden ihrer Schritte. Jetzt stand sie in der Küche und bereitete an dem rasch aufzüngelnden Röhrichtfeuer für den herzigen Kleinen und sich das schmale Abendmahl; jetzt bringt sie unter Liebkosungen ihren Eugen zur Ruh. Es ist finster in ihrem Stübchen; sie sitzt an der Seite des Kindes und belauscht dessen Athemzüge. Jetzt ist es fest eingeschlummert und jetzt tritt sie geräuschlos noch einmal in die Küche heraus, um an der verglimmenden Herdglut ihre mehrschnäbelige Oellampe anzuzünden, an welcher sie wachen, träumen und sich härmen will, bis ein mildthätiger Schlaf auch ihre Augen überkommt. So heute wie gestern – arme Verlassene! starkes Herz!

Egger sprang auf. Wenn er jetzt, wie um zum »Genio« zu gehen, sein Zimmer verliess, so musst' er sie am glutblinkenden Herd erspähen, so konnt' er sie begrüssen, ein paar Worte mit ihr wechseln, ihr die Hand drücken ... jetzt oder nie!

Und schon trat er aus der Thür. Modesta blickte ruhig auf, als sie seinen Schritt hörte; freundlich und ruhig erwiederte sie seinen Gruss, ruhig fuhr sie fort, ihre Lampe anzuzünden, als er näher kam, und selbst ihre Hand entzog sie ihm nicht.

Fritz aber flüsterte mit brennenden Lippen: »Signora, sind wir nicht thörichte, undankbare Kinder? Wir sollen uns des Lebens freuen und thun es nicht; wir versäumen den letzten Rest der Jugend und haben davon die Reue! Die Tugend, welche Ihr übt, ist für kalte, stolze Herzen. Um die schuldlos verlassene Ariadne zu trösten, kam ein Gott; aber glaubt mir, mehr als ein schöner, wankelmüthiger Gott ist das Herz werth, welches ich Euch biete.«

Modesta erröthete und senkte das Haupt tief gegen die Flämmchen ihrer Lampe nieder; der Arm, den sie leise abwehrend erhob, zitterte; es zitterte ihre ganze Gestalt am stützenden Herdrand. Noch antwortete sie nicht, noch blickte sie nicht auf, sondern ihre Augen schienen mit den wehenden Flammen Zwiesprach zu halten.

Endlich bewegt sie sich mit dem Licht sachte gegen die Zimmerthür und winkt zu schweigen und zu folgen; dies Alles, ohne Fritz anzusehen. Glückesahnung und Zweifel zugleich durchzuckt diesen, da er den Raum betritt, der sich seinem Sehnen und Drängen noch niemals erschlossen. Heftig schlägt sein Herz – es weiss nicht, welche Entscheidung seiner harrt.

Modesta ist an ihr Bett getreten, dreifaches mildes Licht fällt auf weisse Kissen und Linnen, und des Mannes Seele durchschaudert's wunderbar.

Und wieder winkt sie Schweigen und schlägt leise, leise die Decke zurück und – da liegt nun, von der hoch gehaltenen Lampe beleuchtet, im seligsten Kindesschlummer der kleine Eugen!

Egger blickt vom Kind zur Mutter auf, deren Antlitz vor Stolz und Freude glänzt, deren verklärtes Auge dem seinen nicht ausweicht.

– Ein Amorino, ein wahrer Amorino! ruft Fritz gedämpften Lautes aus. Und drängender fährt er fort: Ich will sein Vater sein, Modesta! O wie schön, wie reich an Liebe muss dein Herz sein. Hörst du mich, Geliebte? Vergessen wir in glücklicher Stunde Welt und Fesseln.

Die Lampe auf den Tisch stellend, ängstlich ihr Kleinod wieder verhüllend und sich mühsam aufrichtend erwiederte die Mutter, in einem Tone, der nach Festigkeit rang: »Ich will, dass er sich niemals seiner Mutter zu schämen brauche. Und sein Schlaf ist mir heilig.«

– So seid Ihr selbst eine Heilige, Signora! stöhnt Egger drauf, scheu zurücktretend, mit unsäglichem Weh' in Wort und Herzen.

– O nein, nein! jammerte das Weib, plötzlich in Thränen ausbrechend und krampfhaft an das Herz fühlend. O dass ich's wäre, Federigo! Du weisst nicht, was ich leide. Ich wollte, dass greis mein Schädel und träg mein Blut, und dass ich nichts wüsste von Liebe als nur für mein Kind.

– Du liebst also? Du liebst mich, Modesta? jubelt Fritz auf. Lass fahren die Sorgen; einst wird Eugen unseren Bund begreifen und ihn segnen. O meine süsse Modesta, o mein Weib!

Und schon hielt er sie innig umschlungen und bedeckte ihr Antlitz mit feurigen Küssen.

Sie aber wehrte ihm, wehrte ihm mit verlangender Seele und mit widerstrebenden Armen – unseliger Kampf, davor ein Gott in Mitleid erbeben, darüber das Herz des Menschenfreundes brechen könnte!

– Lass ab, lass ab! bat Modesta mit ersterbender Stimme. Ich ertrag' es nicht, ein verlornes Weib zu sein, nicht das Glück und nicht die Schande!

Und mit Riesenkraft sich entwindend, eilt sie ans Bett und reisst den schlafenden Knaben in ihre Arme und ruft mit dem Aufschrei einer zu Tode gequälten Seele: »Sei du mein Schützer, wie ich dich beschütze bei Tag und Nacht! Kind, rette deine Mutter!«

Als der kleine Eugen seine sturmbeschwichtigenden Kindesaugen aufschlug, war sein erstes Wort: »Warum ist der bon Dottore so bleich? Mama, ist er krank?«

– Ja, mein Kind! bestätigte Modesta mit erzwungener Fassung: er ist krank, und ich will ihm in der Küche Etwas bereiten, das den Schmerz stillt! Inzwischen sei recht lieb und artig mit ihm.

So, mit blutenden Herzen spielten die Beiden Komödie vor den fragenden Blicken des Kindes.

Als Fritz aus dem Stübchen taumelte, war ihm, als käme er aus einem Grab, darin all' sein Lieben und Leben zurückgeblieben. Er irrte in die Nacht hinaus, irrte durch Gassen und Gässchen und wurde, ein Schiffbrüchiger, endlich an die gastliche Schwelle des »Genio« verschlagen. Als er sich im Kreise der Tischgenossen sah, wusst' er nicht, wie er hiehergekommen.

Sora Modesta aber weinte und schluchzte die Nacht hindurch. Ihre Thränen brannten um so schmerzlicher, als sie dieselben vor ihrem Kinde zu verbergen suchte. Sie küsste und herzt' es mit heftiger Zärtlichkeit. Eugen weinte in der Mutter Armen, und eh ihm wieder die Augen zufielen, fragt er mehr als einmal: »Mama, bist auch du krank?«

Er ahnte nicht, wie weh' diese Frage that.

Begreiflicher Weise nahm Egger diesen Abend an der Unterhaltung der »Genio«-Gesellschaft nur geringen Antheil; seine Gedanken weilten anderswo; in seinem Herzen zitterten Hoffnung und Enttäuschung nach und der Sturm der Aufregung hatte sich noch keineswegs gelegt. Obwohl er Mannes genug war, sich Andern gegenüber zu beherrschen, so lud sein Gesicht doch nicht wie sonst zu einem heitern Kampfe mit Stichelreden ein. Man liess ihn daher, nachdem man sich nach dem Verbleiben seines jungen Freundes erkundigt, möglichst unbehelligt. Ohnehin war man heute weniger lebhaft als sonst, oder aber der Wolkenschatten auf dem Einen Gesicht trübte den ganzen Himmel der Geselligkeit.

Fritz erinnerte sich, seinen Schlüssel zum Appartamento der Sora Vittoria dem voraussichtlich später nach Hause kehrenden Freunde abgetreten und sich mit keinem zweiten versehen zu haben. Er wollte daher zeitig aufbrechen, um seine Hauswirthin und deren Gäste nicht mit Glockengeklingel wecken zu müssen, Einlass begehrend. Dem widersetzte sich aber Fra Filippo: »Nichts da, Doctor. Wir gehen zusammen und Sie schlafen bei mir; meine Kammer ist geräumig, ich trete Ihnen den weichen Theil des Bettes ab und lagere mich mit dem Strohsack auf den Boden. Als Missionar bin ich nicht verwöhnt und weiss mich in noch viel schlimmeren Fällen zu behelfen.«

Egger willigte ein; es drängte ihn eigentlich gar nicht nach Hause, und heute noch einmal an Modesta's Thür vorüber zu müssen, hätte ihn Ueberwindung gekostet. Er empfand eine zugleich schmerzliche und heilige Scheu vor dieser Schwelle.

Die Theilung des Lagers vollzog sich verabredetermaassen, nur dass nach wechselseitigem Nöthigen und Weigern der Mönch schliesslich mit dem Strohsack im Bett verblieb und Fritz, weicher liegend, auf dem Estrich sich's bequem machte.

Man sprach noch von Diesem und Jenem, eh sich der Schlaf einstellte, obgleich sich Egger meist aufs Zuhören beschränkte und selbst dieses ein getheiltes war.

Doch welchen Ton schlug der Frate jetzt an? Sonderbar – unglaublich – spricht der feurige Genzanowein aus ihm? redet er irre?

Sein, des Doctors Gesicht – erzählte der Carmeliter geheimnissvoll –, habe ihm vom ersten Augenblick Vertrauen eingeflösst; in seiner Nähe fühle er sich sicher, er bitte, ihn nicht zu verlassen, denn er sei ein Verfolgter. Mörder seien ausgeschickt, ihm aufzulauern, alle Welt sei bestochen, ihn zu verrathen. Er kenne seine Feinde, aber sei machtlos, da man ihm keinen Glauben schenke. So könne er nur fliehen, sich da und dort verbergen, und müsse beständig auf seiner Hut sein. Nicht die Jesuiten seien die Schlimmsten, sondern die Benedictiner, die ihm aufsässig geworden, als in seinem Heimatsconvent zu Pittsburg die Madonna »vom guten Rath« wunderthätig zu wirken begonnen. Es geschehe aus purem Neid, dass sie ihm nachstellten, denn zu ihrer Madonna sei noch keine Seele gepilgert, vor ihr habe noch kein Brandytrinker sein Laster abgeschworen. Sie hätten gegen ihn die Rothhäute aufgebracht, ihm auf langer Prärienwanderung den Proviant wegstehlen lassen und das Schiff angebohrt, auf welchem er über den Mississippi setzen wollte. Und konnten sie ihm nicht schaden, so neckten sie ihn doch; so finde er Teufelsfratzen in seinem Brevier, Weiberwäsche unter seinen Effecten und Spinnen in seinem Kelch. Der Argen Aergster sei Pater Fridolin; er habe ihn, wie sehr derselbe auch stets vermummt war, jetzt unter den Passagieren, jetzt unter den Matrosen am Bord der »Cimbria«, jetzt in der Kajüte, jetzt auf dem Zwischendeck herausgefunden und sich nur dadurch vor dessen Gift zu wahren gewusst, dass er auf der ganzen Ueberfahrt fast nur mit kalten Speisen sein Leben fristete. Um dem Feind zu entkommen, sei er schon in Havre ans Land gestiegen, aber sowie Jener diese Flucht merkte, habe derselbe sich vom enteilenden Schiffe in die See geworfen, um schwimmend und landend sein Opfer vor Abgang des nächsten Trains noch einzuholen. In Marseille sei er Tag und Nacht von einem Hotel ins andere, aus einer Strasse in die andere bis zum Hafen hinaus von zwei Strolchen verfolgt worden; als Dritten im Bunde und als Hetzer habe er ganz deutlich den Pater Fridolin erkannt. Um die Mörderbande irre zu führen, hab' er sich auf dem Postdampfer einschreiben lassen, aber vor dessen Abfahrt sich insgeheim auf ein früher auslaufendes italienisches Boot geflüchtet. So sei er mit einem kleinen Vorsprunge in Rom angekommen, aber er dürfe sich dessen nicht freuen, denn wahrscheinlich sei ihm schon wieder der Verfolger auf der Spur und habe wohl auch schon unter den »Genio«-Gästen seine Vertrauten. Und wenn er schon hier das Leben lassen müsse, so solle die Welt wenigstens wissen, wer die Hand dabei im Spiel gehabt, und die Meuchlersippe kennen lernen.

So erzählte und phantasirte der unglückliche Mönch, und wenn Fritz im wirren Durcheinander sich auch an die scheinbar vernünftigsten Fäden des Gedankengespinnstes hielt, so musste er sich doch fragen, wie dieser gesunde, tüchtige und praktische Mann zu all den peinigenden Vorstellungen gekommen? Dass dieselben dem Aberwitz angehörten, dass der Mann am Verfolgungswahn litt, war länger nicht mehr zu bezweifeln. Quälend drohte das furchtbare Nachtleben des Gefährten auch Egger's Hirn umspinnen zu wollen, und doch kannt' er nicht einmal noch die Grenzen des Spukes, denn immer toller und wüster wurden Fra Filippo's Reden und Bilder – er erzählte nicht mehr, sondern sah und erlebte, und was er schaute und im Traum durchmachte, begleitete er mit furchtbaren Ausrufen. Rauchgeschwärzt tauchte seines Feindes Antlitz aus der Glutstätte des Dampfers empor, die gewaltigen Arme desselben rasten in der Maschine, trieben Rad und Schraube, um das Schiff zum Scheitern zu bringen; er hielt das Steuer gefasst, er folgte als beutegieriger Hai, er sprang als Raubthier aus des Urwalds Dickicht, vertrat ihm höhnend den Weg auf die Kanzel, mischte mit Unrath seinen Opferwein, umlauerte ihn als italienischer Bandit und warf sich mit gezücktem Dolch auf den Schlummernden.

Und Fra Filippo sprang vom Strohsack, zündete ein Licht an und leuchtete unters Bett, hinter den Kasten, gegen die versperrte Thür, an die geschlossenen Fensterbalken – erst hastig, dann ruhiger, erst wild angeregt, dann besonnener.

Fritz verfolgte den Paroxysmus des Frate mit wachem Ohr und halbgeschlossenen Lidern. Er regte sich nicht, athmete kaum, aber seine Schläfen pochten; sein Wille stählte die Spannkraft der Glieder und aufs Aeusserste gefasst, sann er nach, wie einem Wuthausbruch des Zimmergenossen zu begegnen sei.

Jetzt sah er, wie der Kranke vor ihm hielt, sich über ihn beugte und ihm in's Gesicht leuchtete – und er durfte mit keiner Wimper zucken.

Des Mönches Mienen drückten Schrecken und Wuth aus, doch nur kurze Zeit. Sie glätteten sich; er schien den vor ihm Liegenden zu erkennen oder doch für harmlos und ungefährlich zu halten.

Diesen günstigen Augenblick nahm Egger wahr; er that, als wehrt' er halb unbewusst einem einfallenden Lichtstrahl, that, als erwacht' er eben und fände sich nicht gleich zurecht, und fragte dann mit freundlichem Erstaunen:

– Sie noch wach, Hochwürden? Es muss doch spät sein, oder besser vielleicht schon früh am Morgen. Verzeihen Sie, wenn Ihre merkwürdigen Erlebnisse mich in den Schlaf gelullt, auch Scheherazade's wunderbare Beredsamkeit wirkte wie Mohn. Oder hab' ich zu lebhaft geträumt, hab' ich geschnarcht? und Sie erinnerten sich nicht sogleich, welche unbequeme Einquartierung sich Ihre Gastfreundschaft aufgeladen?

– Mir muss der ungewohnte Wein – wie heisst er nur gleich? – etwas zu Kopf gestiegen sein, erwiederte Fra Filippo kleinlaut; allerdings vergass ich einen Augenblick auf Ihre liebe Gegenwart. Aber fürchten Sie keine Störungen mehr. Nochmals gute Nacht! –

Als wär' es nicht schon genug, eine Nacht an der Seite eines Geisteskranken zubringen zu müssen, ohne ihn verstehen und ihm helfen zu können, bekam Egger noch eine Scene zu belauschen, die seinem offenen Herzeleid gegenüber wie der grausamste Spott sich ausnahm. Schon während des kläglichen, wilderregten Zustandes des Frate hört' er aus nächster Nachbarschaft ab und zu rasches, jäh abbrechendes Geflüster. Er achtete nicht weiter darauf, so lange all seine Aufmerksamkeit und Theilnahme vom Stubengefährten in Anspruch genommen war.

Nun dieser sich beruhigte und allem Anscheine nach in tiefen Schlaf versank, sucht' er zu errathen, was denn nebenan die Nachtruhe störe. Selbst schlafen konnt' er ohnehin nicht; ihm fieberte im Kopf und im Herzen, und seine Sinne waren krankhaft geschärft.

Er orientirte sich unschwer; an seine heutige Herberge musste die Wohnung der Sora Filomena stossen. Das nächstgelegene konnte ihr Schlafgemach sein; sonach war er nur durch eine dünne Wand von der lachenden Strohwittwe, von Modesta's ungleicher Schicksalsschwester, geschieden. Ja, das ist ihre Stimme, ihr Lachen, und das kann wohl nur ihr süsses Liebesgeflüster sein. Oh, es fiel wie siedend Oel in die frische Herzenswunde Egger's! Ein glühender Rost däuchte ihm sein Lager; kein Büsser kasteite sich je grimmiger, als er litt.

Oh, wer reulos geniessen könnte, wie diese Weltkinder! seufzte er tiefstinnerlich. Wie sagtest du, meine Heilige? »Ich ertrüg ' es nicht, ein verlorenes Weib zu sein, nicht das Glück und nicht die Schande.« Auch nicht das Glück! Wie arm die Tugend machen kann! Aber, du meine Heilige, lacht uns das Schicksal nicht selbst in's Gesicht? Sieh, hier zu meiner Linken eine süsse Hölle und zur Rechten ein Auserwählter, der von allen Schreckgespenstern des Wahnwitzes gepeinigt wird, und ich, dein treuer Verehrer, schuldlos – welch' bitterer Trost! – schuldlos im Purgatorio zwischen Beiden! Und was hast du davon, dass du so hoch über Sora Filomena stehst als der Himmel über der Erde? Wohl dir, wenn sich dir niemals diese Frage aufdrängt!

Und er horchte abermals auf, ihm war, als sollt' er auch die zweite Stimme in des Liebestammelns Raserei erkennen. Ja – und Blut und Gedanke stieg ihm gleichzeitig zu Kopf – ja, wenn er's wäre, Carl, Carminen's Verlobter, der draussen beim Denkmal der Cäcilia Metella in seine Hand und an seinen Lippen den Treuschwur gethan?! Nein, nein, wehrte der Gefolterte, es ist nicht möglich! Und er hauchte mit brennendem Athem vor sich hin: Carmine, Filomena! gleichsam als wollt' er sich überzeugen, dass es nicht angehe, Beide in Einem Athemzug zu nennen. Und doch, er lauschte wieder und konnte den Verdacht nicht bannen, den Stachel nicht los werden, der sich tiefer und tiefer in sein Herz bohrte. Kam Carl nicht von einem feinen epikureischen Mahle? Fritz wusste aus eigener Erfahrung, dass Freisinn und Lebenslust im gesandtschaftlichen Palais, wo ein Junggeselle residirte, mit am Tische gesessen. Und wenn Filomena in verschwiegener Stunde den Heimkehrenden anlachte: oh, wer konnte der verführerischen Schönheit dieser Sirene widerstehen? Fritz hatte seinen jungen Freund mit Vergnügen in jenen heiteren Kreis treten sehen; er wollte, dass dessen Lebensmuth geweckt werde, er hätte ihm unter anderen Umständen gern ein Schäferstündchen gegönnt – aber Carminen's Bräutigam in Filomenas Schlingen, das reine, holde Kind um einer selbstsüchtigen Buhlerin willen vergessen, wenn auch nur einen Augenblick, einen Augenblick getrübter Zurechnungsfähigkeit lang vergessen: das schnürte sein Herz zusammen. Er stöhnte tief auf und warf sich auf die andere Seite. Am liebsten wär' er aufgesprungen, das Haus mit der Frage durchgellend: Ist Carl zurück? schläft er in seinem Zimmer, seinem Bett? ist ruhig sein Schlaf und schlägt sein Herz reulos? Ach, dass er seinen Zögling noch wie einst richten gedurft! Aber wenige Stunden waren erst seitdem verflossen, da er selbst vor den fragenden Blicken eines Kindes die Augen niederschlagen musste.

Es war ein wohlthätiger Strahl der Morgensonne, welcher endlich in Fra Filippo's Zimmer drang, Spukgestalten bannend, Gedanken klärend und Empfindungen läuternd. Ob er auch schon nebenan die schöne Sünderin weckte und ihres Gewissens Fackel entzündete? Ob wirklich Carl ihres süssen Frevels Genosse gewesen? Egger dachte zunächst weder an ihn noch an sie, noch an die entsagende Dulderin Modesta. Die Eindrücke der letzten Nacht lagen chaotisch schwer auf seiner Seele und sein Denken war dumpf. Er sehnte sich aus der Nacht in den Tag, aus dem Kerker in die Freiheit, aus dem Engen in's Weite. Ihm verkündete der Sonnenstrahl Klarheit und Befreiung.

Von seinem räthselhaften, unglücklichen Gastfreund, der ruhig und noch schlummerbedürftig schien, nahm er mit kurzen Worten Abschied, und eilte, ohne zuvor sein Zimmer zu betreten, auf die Strasse. Gleichgiltig wohin, nur nicht unter Menschen! Er wollte sich ergehen und auf dem Wege Sammlung und Gleichmuth wiederfinden. So zog er Hügel ab und Hügel an gegen die hehr thronende Maria Maggiore, und von da nach dem noch stilleren Lateran. Dass er durch volkreichere Gassen den Rückweg einschlug, wurde er kaum gewahr, so sehr war er noch mit sich selbst beschäftigt.

Nach Hause kommend, traf er Carmine allein; die Mutter war auf dem Gemüsemarkt. Erst bei dem Anblick des lieblichen Mädchens war es ihm, als seien nun alle Schatten der Nacht geschwunden. Nicht Schuld noch Wahn hafteten an der magdlichen Erscheinung, welche Schönheit, Jugend und Glückeswürdigkeit mit noch schlummernden Wünschen war. Egger's Seele und Mienen heiterten sich auf vor diesem Bilde.

Er wurde aber mit Vorwürfen empfangen. »Ihr habt uns in Angst und Sorge versetzt, Sor Federigo,« begann Carmine. »Warum sagtet Ihr uns nicht, dass Ihr die Nacht über ausbleiben wolltet? Wohl erriethen wir, dass Ihr keinen Schlüssel bei Euch hattet, aber Mama und ich hofften von Stunde zu Stunde, dass sich die Klingel rühren würde. Erst heute Morgen erfuhren wir, dass Ihr bei Fra Filippo unten geschlafen. Das war nicht nothwendig, und es war recht garstig von Euch, uns solche Besorgniss zu bereiten. Wartet nur, bis die Mama nach Hause kommt.«

Rasch entschlossen, die günstige Gelegenheit zu benützen, um einen Blick ins spröde Herz des Mädchens zu thun, erwiederte Fritz: »Ei, ei, strenge Carmine, wie konnt' ich solche Theilnahme voraussetzen? Gelt' ich denn noch Etwas bei Euch?«

– Welche Verstellung! Als ob Ihr nicht wüsstet, dass Ihr fast den Beichtvater bei mir ersetzt.

– Es ist eine eigene Sache um so einen weltlichen Beichtvater; er wird nur in die schönen und harmlosen Geheimnisse seines Beichtkindes eingeweiht.

– Setzt Euch in den Beichtstuhl, dann beicht' und bekenn' ich Euch auch die anderen.

– Es käm' auf die Probe an. Sollte der Unterschied zwischen beiden Bekenntnissen ein so unerheblicher sein? Wer's glaubt ...

– Dottore!

– Ihr lasst mich längst nicht mehr in Euren Augen lesen.

– Längst?

– Oder doch seit einiger Zeit nicht mehr.

– Das heisst billig beigeben.

– Gleichviel; zwischen Längst und Jetzt und näher dem Letzteren liegt doch Etwas, das vielleicht nur der wahre Beichtvater zu errathen bekäme.

– Auch der nicht!

Noch nicht?

– Ihr werdet unausstehlich, dafür, dass man um Euch in Sorge ist; auch Euer Freund Carlo fragte schon zweimal recht ängstlich nach Euch.

– Bei Euch? Uebrigens ist dieser Vorwurf nicht unverdient – wer weiss, wie lange wir ihn noch haben.

– Reist er schon so bald wieder?

– Seine Familie will, dass er sich häuslich niederlasse und heirate.

– So hat er wohl schon eine Braut?

– Fast glaub' ich's.

– Ist sie schön und gut?

– Wozu diese besorgte Frage?

– Weil ich glaube, er müsse immer was Gutes und Freundliches um sich haben, damit er nicht wieder traurig werde.

– War er's? und ist er jetzt anders?

– Schaut ihn Euch selbst an; warum kam er so melancholisch hieher, wenn er eine Braut hat, die ihn liebt?

– Ihr bezweifelt also, dass er Bräutigam ist?

– Was geht es mich an? Ich mag nicht vermuthen, wo Ihr bereits wisst. Behaltet übrigens Euer Wissen für Euch.

Und damit kehrte das aufgeweckte Kind dem Inquisitor den Rücken.

– Ei du Schlänglein mit dem Taubenherzen! rief ihr, aber leise für sich, Egger nach; übrigens hast du doch mehr verrathen, als du vielleicht wolltest – ich weiss, was so bald zu erfahren ich kaum hoffen konnte, und bin zufrieden. Glückesahnung ist in dein Herz gezogen und hat deinen Witz behende, dein Zünglein beweglich gemacht. Und er ist deiner nicht unwürdig, er kann's nicht sein ... es war ein verleumderischer Spuk der Nacht! Deine glückliche Zuversicht kann nicht trügen. Die ernste Carmine munter, und der melancholische Carl wie umgewandelt und dem Leben wieder gegeben: o, junge Herzen finden und verstehen sich so schnell, dass sie mit einander schon im Klaren sind, wenn wir mit unseren alten Sinnen aufzumerken beginnen.

Es war eine reine Freude, mit welcher er so das Glück der beiden ihm so lieben Herzen überdachte. Seine Theilnahme hatte sich von aller selbstischen Beimischung gereinigt. Auf die Stunde, in welcher ihn selbst gestern die Entscheidung getroffen, blickte er wehmüthig wie auf die Spuren eines Sturmes zurück, welcher Klärung brachte, wenn er auch eine schöne Hoffnungssaat vernichtete. Dafür sprosste und blühte die Hoffnung des theuren jungen Paares um so herrlicher; das richtete ihn auf und macht' ihn seines eigenen Unglückes im aufrichtigen Antheil an dem Glück der Freunde vergessen. Schon berechnet' er den Tag, da Carl von Kirchberg entweder unter Zustimmung seiner Angehörigen oder aber Jenen zum Trotz als Eigenberechtigter vortreten und von Carminens Lippen den Brautkuss werde empfangen können. Er fühlte eine wahre Ungeduld nach diesem beseligenden Augenblicke, als fürchte er instinktiv die Wetterwendigkeit des Glücks, auch wo es mit andern als bloss seinem Herzen spiele.

O Ahnung, die so selten täuscht, wenn sie Unheil kündet!

Es war um Mitternacht – der Tag hatte schön geendet; man hatte den Abend traulich verplaudert, Carl und Carmine hatten sich häufiger die Hände gedrückt und innig und inniger einander in die Augen geguckt. Ersterer hatte sich lyrisch, schmachtend, liebekrank wie ein rechter Bräutigam gegeben – es war um Mitternacht, als es leise an Egger's Thür pochte. Auf die Frage: »Wer ist's? Was giebt's?« wurde ihm geantwortet: »Lasst mich ein, Sor Federigo; es darf Niemand geweckt werden, ich habe nur zu Euch Vertrauen.«

Er erkannte Vittoria's, seiner Wirthin, Stimme; sie klang besorgt.

Er öffnete und die würdige Donna kam flüsternd auf ihn zu: »Der Kaufmann aus Perugia, der gestern eingezogen, ist plötzlich erkrankt. Ich wollt' eben zu Bette gehen, machte aber noch die Runde, um zu sehen, ob Alles in Ordnung sei. Als ich an seiner Thür vorüber kam, hört' ich ihn ächzen. Ich habe mich überzeugt, dass der Fall kein unbedenklicher ist.«

– Plötzlich – kein unbedenklicher: was meint Ihr damit, Signora?

– Ich kenn' Euch als muthigen Mann und nehme Eure Hilfe in Anspruch, also darf ich Euch meine Besorgnisse nicht verschweigen. Der Zustand des Kranken scheint leider zu denjenigen Fällen zu gehören, welche von den Aerzten aus begreiflicher Rücksicht nicht beim rechten Namen genannt werden.

– Um Gotteswillen, die Cholera? Also wirklich Cholerafälle? Bei diesem Fremdenandrang!

– Pst! ich bitt' Euch! Wir müssen ruhig handeln.

– Wo liegt der Mann?

– Im Hinterstübchen, mit der Aussicht aufs Hausgärtchen.

– Thür an Thür neben Carl? Schrecklich, diesen tödtet die Furcht, wenn er nur davon hört.

– Für's Erste müssen wir daher das Bett des Kranken möglichst weit von der gemeinsamen Wand entfernen, und ihm selber eindringlich Ruhe empfehlen. Dann muss ein Arzt gerufen werden. Dr. Parenti wohnt uns am nächsten und ist ein erfahrener Mann – hier die Adresse: Angelo custode, das Haus neben der Apotheke, zweiter Stock. Ich kann der Tochter wegen nicht fort – geht also Ihr, bon Dottore! Und nehmt für alle Fälle aus der Apotheke einige Limoni und etwas Ricinusöl mit. Ich stell' Euch Eure Schuhe vor das Thor des Appartamento und lass' es offen, vergesst Zündhölzchen und Wachskerze nicht. Mich trefft Ihr in der Küche. Nur Eile und kein Geräusch! ... Doch zuvor müsst Ihr mir ja noch das Krankenbett auf die andere Seite bringen helfen.

Die Umsicht und Fassung der würdigen Donna machte Egger zum willfährigen Werkzeug und Boten. Er sah den Erkrankten und schloss von dessen abstossendem Aeussern auf einen ausgedorrten Junggesellen, auf einen geizigen Alten, an welchen Samariterdienste zu verschwenden ein reines Geschenk der Menschenliebe war.

Auf dem Wege zum Arzt erwog Fritz, obwohl von Haus aus muthig, mit Schaudern die Ueberfüllung Roms, den verheerenden Charakter der Krankheit und den Beginn der sommerlichen Fieberzeit. In wenigen Tagen erreichten die kirchlichen Feste ihren Höhepunkt. Die Fremden, andächtige und profane Festgäste, zählten bereits jetzt nach vielen Zehn-Tausenden, und noch täglich, stündlich nahten neue Schaaren von Pilgern und Schaulustigen auf den Schienenwegen, auf schnellen Schiffen und auf den staubigen Campagnastrassen. Und unter diese alle sollte das jähe Sterben fahren? Fürchterlich, grausam! Der apostolische Himmelspförtner, dem zu Ehren man erstaunlichen Aufwand machte, und die neue Schaar von Heiligen, denen man als erklärten Wunderthätern Cult, Tempel und Altäre feierlich zuerkennen wollte, sollten sie nicht besser für ihre Verehrer und Gäste aus allen Theilen der Welt zu sorgen vermögen? Das wäre die ungeheuerlichste und bitterste Ironie.

Und doch mehrten sich die bedenklichen Erkrankungs- und Sterbefälle, und was der Prete, der Hotelier, der Custode, was die Curie und das ganze mitverschworene Rom laut zu nennen krämerschlau vermieden, ging heimlich von Mund zu Mund, der Name Cholera. Erst, als im nahen Albano in wenigen Stunden dem Würgengel Hunderte erlagen, als man im allgemeinen Schrecken Nachts qualmende Scheiterhaufen zündete, händeringend die Schutzpatrone umlagerte, barfüssige Bittgänge veranstaltete oder aber, von Freunden, vom eigenen Fleisch und Blut verlassen, mit einem grässlichen Fluch auf den schwarzen Lippen verschied; als die Sommerfrischler aus Rom wieder dahin zurückflüchteten, um, statt von der rechten, von der linken Hand des Todes gefasst zu werden, und als die Zuaven herbeieilen mussten, Todtengräberdienste zu verrichten: erst dann fiel die Larve und nannte man das Ding bei seinem Namen. Allerdings waren da die festlichen Tage bereits vorüber, war die Ernte bereits eingeheimst. Als ungebetene Nachfeier konnte ihr die böse Krankheit keinen Eintrag mehr thun.

Der Zustand des Kaufmanns aus Perugia war einer derjenigen Fälle, in welchen sich die Epidemie vorerst nur anmeldete. Der Arzt, welcher in der Nacht zum Patienten gerufen worden, schüttelte den Kopf, schwieg gründlich und verordnete energische Mittel. Aber es stand nicht bloss das eine Leben auf dem Spiele – das Miethhaus war bis ins letzte Gemach besetzt: verlautete von dem bedenklichen Uebelbefinden des einen Hausgenossen, so konnte panischer Schrecken alle übrigen ergreifen und die Herberge in ein Lazareth verwandeln. Es war daher äusserste Vorsicht vonnöthen, der Wissenden konnten nur wenige Verlässliche sein, und keine Veränderung im Hause sollte die Arglosen stutzig machen.

Dem still waltenden Geiste Donna Vittoria's gelang es, jeden aufregenden Verdacht von den Gesunden fernzuhalten, und ihre grossherzige Fürsorge sah sich aufs Schönste belohnt, als der Arzt am dritten Tage erklärte, der Patient habe das Schlimmste überstanden und bedürfe nur mehr stärkender Ruhe.

An eben diesem dritten Tage aber war's, dass der junge Kirchberg, dessen Kommen, Weilen und Gehen bisher keine besondere Befangenheit verrieth, zu ungewöhnlicher Stunde eintrat und hastig nach Fritz verlangte. Er ging diesen mit scheinbarer Ruhe an: »Ist es wahr, Fritz, dass wir in Rom die Cholera haben?«

– Einige wenige verdächtige Fälle sind verbürgt, alles Uebrige ist Gerede der Müssigen und Aengstlichen. Bedenk' aber auch den Fremdenandrang und die Jahreszeit. Einige Kranke oder Todte mehr böten in den gegenwärtigen Tagen kaum etwas Auffallendes.

– Und gerade unser Haus sei ein Herd der Epidemie, hört' ich im Café de Rome erzählen.

– Ich weiss zur Stunde im ganzen Hause nur eine einzige Person unwohl, und selbst diese befindet sich nach ärztlichem Ausspruche entschieden auf dem Wege der Besserung.

– Der Arzt wurde in der Nacht gerufen und es ging sehr ängstlich und heimlich zu, erzählt man sich. Ich musste an Carmine denken, und eine unerklärliche Besorgniss trieb mich nach Hause.

– Carmine hat den starken Geist der Mutter. Sei versichert, Carl, es ist Nichts.

– Ich glaube dir ja und bin für meine Person durchaus nicht ängstlich; aber wenn wir für alle Fälle denn doch an ein sicheres Asyl in den Bergen dächten? ... Ich will mich noch heute erklären, um ein Anrecht zu haben, verhütend einzugreifen. Ich finde früher keine Ruhe.

– Ich wehr' es dir nicht, lieber Carl, aber vor der Hand ...

– Ist keine Gefahr zu besorgen, ich weiss es. Doch versprich mir, wenn sich die Anzeichen mehren sollten, mich davon zu verständigen; es ist immer besser, wenn ich's von dir, als durch entstellende Gerüchte erfahre. Mich brauchst du nicht zu schonen, denn für meine Person bin ich nicht ängstlich.

– Verlass' dich darauf. Und sag' mir: bleibt es bei dem für heute beabsichtigten Spaziergang nach der Acqua acetosa, welche Goethe so gern besuchte? Mama und Carmine könnten mitgehen.

Fritz hätte gern anders gefragt. Des Freundes verstörtes Wesen rief ihm, er wusste nicht wie, das Liebesgeflüster der schrecklichen Nacht ins Gedächtniss. Und seltsam wehmüthig wollte ihn der Ton berühren, in welchem Kirchberg antwortete:

– Nimm mir's nicht übel, guter Fritz, ich möchte heute lieber mittels einiger Briefe die Entscheidung aus der Heimat beschleunigen. Und wenn Mama Vittoria Abends auch für mich decken liesse und wir wieder so traulich wie vor einigen Tagen beisammen sässen, so würde mich's heute gar nicht mehr gelüsten, auszugehen. Wie gesagt, ich möchte mich heute aussprechen.

– Ich will den goldenen Tropfen beistellen und zur Eifersucht der süssen Braut erzählen, dass das Bundessiegel, draussen bei der Cäcilia Metella, zuerst auf meine unwürdigen Lippen gedrückt worden.

Das sollte scherzend klingen.

Es kam nicht mehr zum goldenen Tropfen, nicht zum traulichen Beisammensein, zum Liebesbekenntniss, zum Brautkuss – wohl aber ging Carl von Kirchberg nicht wieder aus; er wurde getragen, da ihm seine Freunde das letzte Geleit gaben.

Er war nicht ängstlich für seine Person – traurige Selbsttäuschung! Der Muth hatte seinen Posten verlassen und der schleichende Tod bei unbewachter Pforte Eingang gefunden. Dieser verwüstete und brach das schöne junge Leben in wenigen Stunden.

Als er sich die Beute schon völlig gesichert sah, trat er für Augenblicke bei Seite, um sich triumphirend daran zu laben, wie die armen Lebenden von dem Sterbenden Abschied nahmen. Heute Dieser, morgen Ihr – meines Reiches ist kein Ende!

In einem Blicke unsäglicher Liebe und unsäglichen Weh's auf Carmine, in einer leisen Handbewegung, die verlangend und ängstlich abwehrend zugleich war, in dem klagenden Hauche: Carmine! weilte, zuckte und tönte noch das scheidende Leben – dann blieb von Carl von Kirchberg nichts als eine erstarrende Leiche.

Egger stierte sie an. Ein Wort des Bekenntnisses oder der Widerlegung von kalten Lippen, welch' kostbares Vermächtniss wär' es für ihn gewesen! Fiel wirklich ein Schatten tragischer Schuld auf dieses geknickte Leben? Fritz verschloss die Frage in seiner Freundesbrust als nagenden Zweifel.

Er ist todt! bestätigte tonlos der Arzt, und Todtengebete intonirten die geschäftigen Lippen der beiden Geistlichen.

Aber Carmine entriss sich dem Arme der Mutter und warf sich auf den Todten, aufschreiend: »Nein, er ist nicht todt ... er muss leben, er ist mein

Als man sie aufhob, schien sie eine Leiche, gleich ihrem Geliebten.

Die Glocken Roms hatten noch insgesammt den Triumph der neuen Heiligen zu verkünden – kaum ein einziges Geläut wollte sich zu einer Todtenklage hergeben, als man Kirchberg auf offener Bahre nach dem Campo santo der Deutschen trug. Es ist dies ein kleines Leichenfeld neben der riesigen Peterskirche. Hinter der Bahre folgte der Mann, welcher die Todtentruhe trug, und zwar so auf dem Rücken trug, dass sie weit über seinen Kopf hinausragte. Zu den Seiten schritten Bruderschaftsmitglieder, vermummt, mit spitzen Kapuzen auf dem Kopfe und brennenden Wachsfackeln in den Händen. Mönche mit vollen Bärten und geschorenem Scheitel psalmodirten hinterdrein, und die Leidtragenden aus der deutschen Colonie, welche den blonden Mann rasch liebgewonnen hatte, gingen gesenkten Hauptes. So der Grieche, der schwäbische Freund des Cardinals, der Romantiker, der Erbe und das alte Kind – insgesammt lebende Reste einer verklungenen Zeit, ein junges Leben zu Grabe geleitend, dem die Zukunft gebührte! Und doch, hätte man sie aufs Gewissen gefragt, diese gewiss ehrlichen Trauergäste, sie hätten heimlich bekannt, dass sie noch freue ihr eigenes Bischen Leben und ihr glücklicher Sparren!

Der Zug bewegte sich rasch durch die Gassen und über die Engelsbrücke – man sucht in Rom schnell aufzuräumen mit den Todten. Unter dem grünen Rasen neben der Peterskirche liegt seit Carls des Grossen Tagen gar mancher deutsche Mann; aber keinem hatte das Schicksal mit grausamerer Willkür den Lebensfaden durchschnitten, als dem jungen Carl von Kirchberg.

Fast zu derselben Stunde, da man Carl bestattete, sagte der genesene Kaufmann der Ewigen Stadt Lebewohl und kehrte nach Perugia zurück. Egger, der davon hörte, rief aus: »Recht so! das dürre, unfruchtbare Reis muss geschont werden. Geduld, lachende Erben! der alte Filz lebt noch. So will's das wunderbare Weltregiment.«

Den kranken Mönch, bei welchem mittlerweile der Verfolgungswahn von Neuem zum Ausbruch gekommen, holten Ordensbrüder in eine enge Zelle ihres Klosters ab. Wieder fuhr Egger aus dumpfbrütendem Groll empor: »Was masste sich der Mann auch an, mit einem Herzen von Menschenliebe, mit einem Mund voll Gotteswort seine Haut unter die Wilden zu Markte zu tragen? Sind die Wilden nicht besser dran als wir? Er hat seinen Lohn.«

Schon ruhte Carl in der Grube, darin Tag und Nacht keinen Unterschied mehr macht, und noch liefen für den Hingeschiedenen Grüsse aus der Heimat, artige Briefchen, Einladungen und sonstige Aufmerksamkeiten ein. Egger, der alle diese verspäteten Liebesbezeugungen sammelte und aufhob, bemerkte wehmüthig: »Die ihr ihn lieben und auszeichnen wolltet, was säumtet ihr so lange? Seht, er wollte freien und der Tod betrog ihn um den Brautkuss, weil er säumte. Nichts ist unwiederbringlicher als eine verlorene Liebesstunde. Wer auf Freuden ausgeht, muss sein wie ein Raubthier, geschickt zu Ueberfall und Ueberwältigung.«

Herzzerreissend war Carminen's Zustand. Sie trug all' ihr Leid verschlossen. Ein Wort des Zuspruches, des Trostes brachte sie in leidenschaftlich abwehrende Aufregung. Manche Weile stierte sie, wie an allen Sinnen gelähmt, vor sich hin; dann aber brachen plötzlich Thränen vor, heisse Thränen tiefinnerlichsten Weh's. Doch keiner Klage gab sie Worte, nie sprach sie den Namen Carl's aus, trug auch kein Verlangen, ihn zu hören oder sich mit Wehmuth in den Erinnerungen und Umständlichkeiten des traulichen Beisammenseins zu ergehen. Diese äusserliche Fühllosigkeit, die Spiegelglätte, unter welcher ein Sturm tobte, war vielleicht noch die minder bedenkliche Seite ihres Zustandes. Denn es kamen nächtliche Fieberstunden, in denen sie mit wildem Begehren nach ihrem Geliebten verlangte und leidenschaftlich den Mörder ihres Glückes verwünschte. Als solchen betrachtete sie ihren und ihres Geliebten treuen Freund – Egger. Sie hasste ihn, konnte seinen Anblick nicht ertragen und beantwortete seine Worte mit Wuth und Abscheu.

Sich von seiner Carmine, von diesem überaus geliebten und bedauerten Wesen, so verkannt und behandelt zu sehen, das schmerzte den guten Doctor mehr als alles Leid der letzten Tage. Das schnitt so tief in sein Herz, dass er meinte, der bessere Theil desselben müsse sich für immer von seinem Leben trennen. Er fand keinen Grund für dieses Paradoxon, für diese Entartung des Gefühls, für diesen Hass des kranken Mädchens, selbst wenn er die verzweifelte Logik des Wahnwitzes oder des Galgenhumors zu Hilfe rief.

Sein Fühlen und Denken versank tief und tiefer in Nacht. Die Gedanken, welche er ausfliegen liess, glichen Raben, welche krächzend sein Haupt umschwärmten und weiter und weiter ihre Kreise zogen, um aus Welt und Leben trostlose Kunde zu bringen. Und nur zu bereitwillig lieh Egger Gehör dieser Rabenbotschaft. Um sie zu narren, führt das Schicksal Menschen zusammen; es bindet und löst nach grausamer Laune. Eine leidige Uebereinkunft zwischen Schuldigen und Unglücklichen ist die Weltordnung; die Schuldlosen sind geächtet, und die zu bekennen wagen, dass sie glücklich, finden ihres Bleibens nicht. Es ist so bestellt, dass das Unglück des Einen dem Andern zu Trost und heimlicher Befriedigung gereicht und dass man in der Schwäche des Nächsten eine Entschuldigung für den eigenen Fall erblickt. Wer sich durch's Leben schlagen will, werde hart; eine Seele mit Narben und Schwielen widersteht dem Mitgefühl und geniesst, was man Erdenfreuden nennt, wie hausbacken Brot ... freilich auch nur wie hausbacken Brot! Doch vielleicht ist nicht mehr erreichbar, vielleicht ist es ein Wahn, dass der Mensch je, wenigstens für ungezählte Augenblicke, ohne Vor- oder Rückschau, mit all' seinem Hang und Sein, und wär' es auch mit dem letzten Hauch der Seele, in einem Hochgefühle aufgehen könne. Dann wehe Jenen mit feinen Fühlern, mit den zartesten Organen für das Glück! Sie sind am Schlimmsten daran; sie müssen zusehen, wie dasselbe plumpdreisten Händen als Beute zufällt und gleich einem Raub genossen wird; sie werden eingeschüchtert, versäumen zuzugreifen, gewahren zwischen Verlangen und möglicher Befriedigung einen ungeheueren Abstand, sprechen dem Glück als rohem Stoff in rohen Händen jeden künstlerischen Werth ab und hungern lieber, als dass sie mit dem Gesinde aus Einer Schüssel ässen, verzichten lieber, als dass sie ihre Anforderungen ermässigten, und verachten schliesslich, was sie kaum kennen. Was sie kaum kennen ...

Derlei Erwägungen gingen einem jähen Umschwung in Egger's Wesen voraus, einem Umschwung, wie solcher aus weichen Menschen harte, aus Menschenfreunden Menschenverächter, aus Tugend Laster zu machen im Stande ist.

Carpe diem! rief er mit der Grimasse eines Lächelns aus, und mit dem Muthe eines Verzweifelnden wollt' er sich in den Strom des Lebens stürzen, wollte geniessen, was er zu erhaschen vermochte, ohne der nächsten Stunde von der vorhergegangenen Rechenschaft zu geben; in jeder Minute wollt' er ganz aufgehen, gleichgiltig, ob er sich in der nächsten wiederfände; nicht die Kunst des Geniessens gelüstete ihn zu lernen, sondern die erträglichste Art des Selbstvergessens, der Selbstvernichtung.

Neapel! hiess sein Losungswort. Dort, sagt' er sich, ist die Natur aufrichtig in ihrem Anreiz, wie in ihrer Tücke, in ihrer Einfalt, wie in ihrem Cynismus, und lügt nicht in stolzen Erinnerungen und gewaltigen Ruinen. Das ist der rechte Sirenenstrand; lachende Leiber vorn und nacktes Gebein im Hintergrund. Als ob man bei letzterem nicht so wie so ankommen müsste! Ein Thor, wer die lockenden Weiber umgeht! Mag man nun den Tag oder die Nacht geniessen, die richtige Philosophie ist, sich genussessatt dem Vesuv zu Füssen zu betten und mit keiner Wimper zu zucken, mag er mit Lavaströmen oder Aschenregen drohen.

Egger machte sich reisefertig. Sora Vittoria hielt ihn nicht zurück. Die Nachbarinnen Filomena und Modesta, die sein Reiseziel in Erfahrung gebracht, händigten ihm Briefe an ihre Gatten, die Beide in Neapel lebten, mit der Bitte ein, selbe einer auf der Adresse näher bezeichneten alten Frau zur Weiterbeförderung zukommen zu lassen. Solche Wege pflegte die Correspondenz mit Exilirten einzuschlagen. Fritz versprach treuliche Bestellung. Filomena's Augen waren thränenverschleiert – hatte die Magdalenastimmung die Oberhand?

Sora Modesta, ruhig und würdevoll wie immer, reichte dem Scheidenden die Hand und sagte mit Wärme: »Bleibet stark, lieber Doctor; Ihr habt dieser Tage viel gelitten.«

– An mir und an Andern, erwiederte Fritz bitter, aber ich will den Baum der Empfindung tüchtig beschneiden; ohnehin eine Trauerweide, hat er noch unnöthige Wassertriebe. –

Auch Neapel hielt nicht, was es versprach. Egger weilte nun schon etliche Wochen hier und fühlte sich eher angewidert als angezogen, eher abgestumpft als erregt, fühlte sich blasirt, ohne Befriedigung gefunden zu haben. Es ist unrichtig, dass, wer den ethischen Sinn abgethan zu haben meint, deswegen schon den ausschliesslich natürlichen Instincten zurückgegeben sei. Es bleibt noch ein gewisses Reinlichkeitsbedürfniss der Seele zurück und das ästhetische Gewissen nimmt den Richterstuhl der Tugend ein. Wer einmal durch die Cultur gegangen, findet den Weg nicht wieder zur Natur zurück; er kann entarteter werden als der Wilde, meist wird er nur unglücklicher, ihm gleich in naiver Selbstbeschränkung von Bedürfniss und Genuss niemals.

Was Egger fand und finden konnte, war entweder ein Lethetrank in ekler Schale oder in kostbarem Gefäss schlechter Taumelwein. Kostbar und untadelig nach Inhalt und Kelch ist doch nur, was die Liebe kredenzt, und Liebe, wie sie einem verfeinerten Herzen und Geschmack Bedürfniss ist, lässt sich nicht erjagen, nicht kaufen. Sie ist ein freiwilliges Wechselgeschenk, und selbst als solches oft nur ein kurzer Wahn.

Noch eins brachte den lebenskranken Doctor um die gehofften Früchte. Er begriff, dass gleiche Einfalt auf beiden Seiten oder gleiche Verblendung oder gleiche Erfahrenheit und selbst gleiche Schlechtigkeit sich im Liebestaumel finden und verbinden könne; aber dass Findigkeit die Unerfahrenheit, Verderbtheit die Unschuld überliste, strich wider seinen geraden Sinn.

Und dieser blöde deutsche Mann hielt sich für verderbt genug, um mit den Sybariten des parthenopeischen Gestades in die Schranken zu treten?

Einst, als Fritz gelangweilt aus dem Theater S. Carlo kam und die Toledostrasse entlang flanirte, gesellte sich zu ihm ein geschmeidiger Mann, der ihm mit guter Suada und vieler Weitläufigkeit begreiflich zu machen suchte, dass eine Donna, die seinem Gasthof gegenüberwohne, sich lebhaft für ihn interessire.

– Schön, jung? fragte Egger, der des Mannes nächtliches Gewerbe auf den ersten Blick errieth, gleichgiltig.

– Und blond wie eine Deutsche, erwiederte Ersterer.

– Werde mir's überlegen.

– Zu Ihren Diensten, Signor.

Fritz fühlte eine Visitkarte in seiner Hand. Es war ihm in dem lächelnden und zugleich unternehmungsdreisten Gesichte des Zudringlichen Etwas aufgefallen, weshalb er vor dem nächsten Café einen Blick auf die Karte warf. Er hatte Mühe, eine grelle Lache zu unterdrücken. »Das also ist der Schatten, welcher zwischen mir und ihr stand?« rief er aus. »Ein Mann, der sie für ein gut Geld mir eigenhändig zugeführt hätte!«

Auf der Karte war nämlich zu lesen: »Eugenio Rocca, Romano.« Rocca hiess mit ihrem Zunamen – Sora Modesta und Eugenio hiess ihr herziger Kleiner, der vom Vater einige Züge hatte.

Fritz fühlte gute Lust, seiner Heiligen die Karte zu schicken, aber, um ihren Tugendstolz zu demüthigen, mit einer kleinen Aenderung: statt Romano sollte R–no, statt der Bezeichnung der Heimat die des schändlichen Gewerbes zu lesen sein. Doch er unterdrückte die Schadenfreude.

Das Zusammentreffen mit dem Gatten der einen Strohwittwe reizte Egger an, auch den andern Exilirten, Filomena's Mann, kennen zu lernen. Es war nicht leicht, ihn aufzufinden. Er wohnte ärmlich, lebte wie ein unbekannter Privatgelehrter, sah abgehärmt aus, hatte aber leidenschaftlich sprühende Augen. Sobald sich Fritz als Sora Filomena's Hausgenosse und Ueberbringer ihres jüngsten Briefes eingeführt hatte, ward der Professor Feuer und Flamme. »O ich weiss« – rief er aus, den Gast zum Sitzen nöthigend – »wie die Dulderin lebt; aber die Tage der Trennung sind hoffentlich gezählt, und dann soll ihre Verherrlichung gross, soll sie der Neid aller Frauen des alten, wie des befreiten, neuen Rom sein. Von diesem Epos, das ich seit Jahren unter der Feder habe, hoff' ich, dass es den Sturz der Priesterherrschaft vom Capitol herab urbi et orbi verkünden werde. Darf ich Ihnen einige Ottave Rime vorlesen? Gewiss, die Deutschen haben ja auch grosse Poeten und Sinn für Poesie. Und da Sie meine Frau kennen, so sagen Sie unumwunden, wie Ihnen diese Allegorie gefällt, und ob die damit verknüpfte Apotheose eine unverdiente ist?«

Und der Professor las. Die Verse liessen sich rhetorisch an und trotzten von Invectiven gegen Priester und Priesterherrschaft; manche derselben entbehrten epigrammatischer Würze und Spitze nicht, aber wirklich epischer Vorgang, epischer Stil war nicht zu gewahren. Allmälig hob sich aus einer umständlichen Schilderung der sittlichen Verderbtheit des päpstlichen Rom eine heroinenhafte Gestalt empor, die mit jedem Zuge mehr – der blonden lachenden Strohwittwe Filomena glich. Und dieser Filomena fiel im Gedicht die Aufgabe zu, an Reinheit, Seelenstärke und Frauenwürde, einer modernen Lucretia oder Virginia gleich, alle Frauencharaktere des Alterthums zu übertreffen!!

Sora Filomena eine Lucretia, eine Virginia! Das war für Egger an Apotheose und unfreiwilliger Satire zu viel. Er sprang auf, drückte dem Poeten die Hand und stürzte auf die Gasse, ausrufend: »Das lächerlichste, das bemitleidenswertheste Geschöpf auf dieser schlechten Welt, wahrhaftig, das ist der Idealist

Wenige Tage darauf verlautete von einem Unglücksfalle auf der Höhe des Vesuvs. Ein Forestiere sei zu waghalsig auf dem obersten Kraterrande vorgedrungen; der feurige Athemzug des Berges, mit seiner schwefelträchtigen Rauchwolke durch einen Windstoss von der gewöhnlichen Richtung abgelenkt, habe ihn wahrscheinlich betäubt, und nachdem er einmal am losen heissen Lavagerölle den Halt verloren, sei er unrettbar den ungeheuren Feuerschlund hinabgerollt. Er müsse ein Gelehrter gewesen sein, ein Deutscher.

Es war dies Fritz Egger.

Es selbst auch war ein Idealist, aber ein wehleidiger, der sich an den Kanten und Schroffen des Lebens wund stiess und darüber das Gleichgewicht verlor. Und so wie hier, schlägt nur zu oft feiger Idealismus in Pessimismus und Verzweiflung um. Es verlohnte sich, an einem deutsamen Fall der Modekrankheit unserer Zeit auf den Grund zu spüren.

Nur noch wenige Tage Geduld, und reichliches, würdiges Lebensziel und -Gut hätte sich dem Muthlosen von Neuem dargeboten. Ein Brief der Sora Vittoria, der ihn vergeblich suchte, meldete, dass Carmine den Typhus glücklich überstanden habe und in der Genesung rüstig vorschreite; sie gedenke mit Wehmuth des blassen Deutschen, für den sie doch nicht viel mehr als tiefe Theilnahme gefühlt haben könne, und verlange mit rührender Sehnsucht nach ihrem liebsten Freunde – Federigo.

Und kurze Zeit darnach fiel Eugenio Rocca, Modesta's Gatte, bei einem liederlichen Abenteuer, von der Kugel eines Engländers getroffen, der sich die schamloseste Ausbeutung von ihm und ähnlichen frechen Gesellen nicht ruhig gefallen lassen wollte.

So hätte für Egger noch Manches ein anderes Gesicht bekommen, wenn er ausgeharrt hätte bis an's Ende, das ohnehin Jedem nahe genug bevorsteht.

Carmine ist zur Stunde glückliche Gattin und Mutter. Ihr Mann ist ein namhafter Professor an der Sapienza in Rom.

Und die alte Tafelrunde im »Genio« weist kaum noch eine Lücke auf.


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