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Alle Landstraßen unsrer Gegend waren heiter und uns vertraut, jede davon hatte ihre Eigenart und Vorzüge, aber diese eine unterschied sich von den andern, indem sie es verstand, stets die Vorstellung eines ernsthaften Zwecks hervorzurufen, und einem das Herz seltsam erhob und ausweitete, wenn man auf ihr dahinschritt. Die andern waren hauptsächlich durch ihren Reichtum an Hecken und Gräben verlockend; sie entzückten uns durch immer wieder überraschende Darbietung der ersten Gänseblümchen, das Rascheln einer Feldmaus oder das Plumpsen eines Frosches, und Mitgeschöpfe in Viehgestalt steckten uns ihre kühlen Nasen zwischen Gattern oder Hürdenthörchen entgegen. Wenn man diese Landstraßen beging, durfte man nur bummeln wollen, denn von beiden Seiten wurden viel kleine Händchen ausgestreckt, um den Wanderer festzuhalten, die andre aber hatte einen strengeren Stil, und selbst wenn sie da und dort einen grünen Rain lockend in den Schatten des Gebüschs stellte, schien sie selbst, die breit und gerade ins Weite strebte, dem Weichling, der Ruhe und Schatten suchte, ihre Verachtung auszusprechen. Wenn Kränkung oder Enttäuschung auf meiner Seele lasteten, wenn ich, wie an diesem besonderen Tag, die ganze Welt durch eine schwarze Brille ansah, dann zog mich's zu dieser charaktervollen Landstraße, und ich liebte es, einsam auf ihr zu wandern und der Welt, die sich mir in so unerklärlicher Weise widersetzte, einen Nachmittag lang den Rücken zu kehren.
Den Ritterweg hatten wir Kinder sie benannt, denn unser Gefühl sagte uns, daß, wenn Lancelot und seine Waffenbrüder je auf ihren wuchtigen Schlachtrossen zu uns gezogen kämen, es nur auf dieser Straße und keiner andern geschehen könnte – vorausgesetzt natürlich, daß die ritterliche Tafelrunde in verschwiegenen Höhlen oder auf unentdeckten Inseln noch fortlebte. Erwachsene Leute bezeichneten sie gelegentlich als Pilgerstraße, von Pilgerfahrten wußte ich aber nicht viel, bis auf die des Tannhäuser aus dem Hörselberg. Ihn sah ich denn auch mitunter bleich und hohläugig aus irgend einem Gehölz hervorbrechen und eine Pilgerschar anrufen, die in verzweiflungsvoller Hast nach der heiligen Stadt eilte, wo Frieden und Entsündigung winkten.
»Alle Wege führen nach Rom,« hatte ich einmal sagen hören, den Spruch natürlich wörtlich genommen und mir mehrere Tage den Kopf darüber zerbrochen. Endlich aber war ich zu der Ueberzeugung gelangt, daß dieser Ausspruch in seiner Allgemeinheit nicht zutreffe. Für diese eine Straße aber, ja, da ließ ich mir diese kühne Behauptung gefallen! Mein Glaube wurde noch befestigt durch eine Thatsache, die Fräulein Smedley in der Geschichtsstunde erwähnte. Sie sprach nämlich von einer merkwürdigen Straße, die der Länge nach durch ganz England führe, hinab bis zur Küste, und sich dann gerade gegenüber in Frankreich fortsetze, auf diese Weise ohne alle Abweichungen von dem nebelverhüllten nordischen Hochland an Städten und Weingeländen vorüber bis ins Herz der ewigen Stadt führend. Unbekräftigte Aussprüche dieses Fräuleins wurden gemeiniglich mit Unglauben aufgenommen, in diesem Fall aber, wo unsre Landstraße selbst Zeugnis für sie ablegte, mußte sie ausnahmsweise »etwas gewußt« und die Wahrheit gesprochen haben.
Rom! Es war ein unwiderstehlich bezaubernder Gedanke, daß es gerade am andern Ende des weißen Landstreifens lag, der sich unter meinen Füßen abrollte und den Hügel hinunter zog. So ungebildet war ich nicht mehr, daß ich mir eingebildet hätte, es an diesem Nachmittag erreichen zu können, aber ich sagte mir, daß, wenn das Leben daheim so unerquicklich bliebe wie heute, und wenn Tante Elisa einmal auf einen Tag verreist wäre, daß dann – ja, daß wir dann sehen wollten. –
Ich suchte mir auch meine Ankunft in der ewigen Stadt auszumalen. Das Kolosseum, das kannte ich, natürlich, ganz genau durch einen Holzschnitt in einem Bilderbuch, so fing ich also damit an, das Kolosseum genau in die Mitte zu setzen. Für das übrige Stadtbild mußte ich mich an das Landstädtchen halten, wohin wir zweimal des Jahres kamen, um uns die Haare schneiden zu lassen, und das Ergebnis war, daß Vespasians Amphitheater eingerahmt wurde von engen schmutzigen Gassen, worin der »Rote Löwe« und der »Blaue Eber« samt den vollständigen Namen ihrer Eigentümer und der Aufschrift: »Billiger Mittagstisch« an den Fenstern prangten. Das Doktorhaus aus rotem Backstein und die neue Wesleyanische Kapelle, die wir sehr schön fanden, bildeten neben dem Kolosseum die architektonischen Sehenswürdigkeiten, und das römische Volk trieb sich, die Schwänze römischer Kälber zusammenflechtend, in groben Hemden und bräunlichen Zwilchhosen darin herum und lud sich in der wohllautenden Mundart von Wessex gegenseitig zum Bier ein. Von Rom schweifte meine Phantasie auch nach andern Städten ab, nach Damaskus, nach Brighton, Tante Elisas Ideal, nach Athen und nach Glasgow, wofür unser Gärtner schwärmte, aber sie wiesen alle eine gewisse Familienähnlichkeit auf, namentlich pflanzte sich die Wesleyanische Kapelle unter jedem Himmelsstrich fort. Bedeutend leichter war es, Luftschlösser und Phantasiestädte zu errichten, wo die Wirklichkeit keinerlei Schranken setzte und ich mein eigener, ganz selbständiger Baumeister war, und so schritt ich denn eben durch eine ganze Straße ergötzlicher Luftpaläste, als ich zufällig darin auf »den Künstler« stieß.
Er saß mit seiner Arbeit an der Landstraße, an einer Stelle, wo die kühlen, dunstigen, mit Wacholderstauden bewachsenen Halden in großartigem Bogen westwärts zogen. Daß er zur Malerzunft gehörte, bewies sein Handwerkszeug, überdies trug er auch Kniehosen und lange Strümpfe wie ich, und diese Tracht ist bekanntlich das Kennzeichen kleiner Jungen und großer Künstler. Ich wußte aus früherer Erfahrung, daß ich nicht gut daran thun würde, ihn mit Fragen zu belästigen oder ihm über die Schulter bei seiner Arbeit zuzusehen, denn darüber ärgert sich diese reizbare Menschengattung. Ihn anzustarren, verbot mir aber mein Gewissen nicht, dieser Punkt mußte in meiner »Anleitung zum Umgang mit Malern« übersehen worden sein, und so warf ich mich denn ins Gras und gab mich der leidenschaftlichsten Beobachtung seiner Person hin. Nach Verlauf von fünf Minuten hätte man mich über jeden Knopf an seinen Kleidern vernehmen können, ich würde die Prüfung glänzend bestanden haben, und der Besitzer wußte wahrscheinlich lange nicht so genau Bescheid über Stoff und Schnitt des Lodenanzugs, den er trug, als ich. Einmal blickte er auf, nickte mir zu, machte unwillkürlich eine Bewegung, um mir seinen Tabaksbeutel anzubieten, steckte ihn aber wieder in die Tasche und arbeitete weiter, wie ich ihn im Geist weiter photographierte.
Abermals mochten etwa fünf Minuten verstrichen sein, als er, ohne mich anzusehen, die Bemerkung hinwarf: »Ein schöner Nachmittag, den wir heute haben – haben Sie noch einen weiten Weg vor sich?«
»Nein,« versetzte ich. »Heute gehe ich nicht weiter. Ich hatte halb und halb im Sinn, bis nach Rom zu gehen, will's aber lieber aufschieben.«
»Hübsche Stadt, Rom,« murmelte er vor sich hin, »wird Ihnen gefallen.«
Ein paar Minuten darauf setzte er dann hinzu: »Jetzt hinzugehen, würde ich Ihnen auch nicht raten, jetzt ist's dort furchtbar heiß.«
»Sie waren doch nicht in Rom, oder?« fragte ich.
»Doch, doch,« erwiderte er. »Ich wohne dort.«
Das war ein wenig zu viel – da mußte man ja Mund und Nase aufsperren! Die Thatsache zu erfassen, daß ich einem lebendigen Menschen gegenüber saß, der in Rom wohnte, war ein hartes Stück Arbeit! Ein Gespräch war außer Frage – ich hatte Wichtigeres zu thun. Zehn geschlagene Minuten hatte ich daraus verwendet, mir sein Bild als das eines Künstlers und Fremden einzuprägen, und nun mußte die ganze Arbeit von einem andern Gesichtspunkt aus frisch begonnen werden. Ich machte mich trotzdem unerschrocken ans Werk, von dem weichen Filzhut an, den er auf dem Kopf trug, bis zu den derben englischen Stiefeln herunter, diesmal alles in römischen Glorienschein tauchend, und endlich rückte ich mit der Bemerkung heraus: »Aber Sie wohnen doch nicht wirklich in Rom, oder?«
Ich hatte nicht an seiner Aussage gezweifelt, aber ich wollte sie noch einmal hören.
»Nun, wie man's nimmt,« versetzte er, gutmütigerweise, die Unhöflichkeit meines Zweifels ungetilgt lassend. »Ich wohne dort, soweit ich überhaupt irgendwo wohne. Jedenfalls die Hälfte des Jahres über. Ich habe dort auch eine Art von Häuslichkeit. Sie müssen mich einmal besuchen und sich's ansehen.«
»Aber wohnen Sie auch sonst noch wo?« fuhr ich fort – der Fragedrang ließ mich alle guten Vorsätze und Vorsichtsmaßregeln vergessen.
»O ja, in der ganzen Welt herum,« erklärte er in etwas unbestimmter Weise. »Eine Hütte habe ich mir in Piccadilly gebaut.«
»Wo ist das?« forschte ich.
»Wo was ist? Ach so – Piccadilly. Das ist in London.«
»Und haben Sie einen großen Garten, und wie viele Schweine halten Sie sich?«
»Garten habe ich leider gar keinen,« gestand er mit Wehmut, »und Schweine zu halten, erlaubt man mir nicht, obwohl es meine größte Freude wäre. Es ist hart.«
»Ja, was treiben Sie denn nur den ganzen Tag?« rief ich, entsetzt über solches Elend. »Und wo spielen Sie nur, wenn Sie keinen Garten haben und keine Schweine, und gar nichts?«
»Wenn mich die Lust zum Spielen anwandelt,« erwiderte er ganz ernsthaft, »muß ich's auf der Straße thun, das ist aber ein sehr armseliges Vergnügen, kann ich Ihnen wohl sagen. Nicht weit von mir wohnt allerdings ein Ziegenbock, mit dem ich mich manchmal unterhalte, wenn mir's zu einsam wird, er ist aber gewaltig stolz.«
»Ja, Ziegen sind hochmütig,« pflichtete ich ihm bei. »Hier in der Nähe ist auch einer, wenn man aber mit dem sprechen will, nimmt er einen gleich auf die Hörner. Sie wissen doch, wie das thut, wenn man von jemand auf die Hörner genommen wird?«
»Ob ich das weiß!« versicherte er, weiter malend, in bewegtem Ton.
»Und sind Sie auch noch an andern Orten gewesen?« fuhr ich fort, »außer Rom und Picc–, wie heißt es doch?«
»An allerhand! Ich bin so eine Art von Odysseus, der vieler Menschen Länder und Städte gesehen hat. Der einzige Ort, wo ich eigentlich nie hinkam, ist die Insel des Glücks.«
Diesen Mann gewann ich lieb. Er beantwortete alle Fragen klar und bündig, und es fiel ihm nicht ein, sich über unsereins lustig zu machen. Ich hatte das Gefühl, daß man ganz offen mit ihm sprechen könne.
»Kämen Sie nicht auch gern einmal in eine Stadt, wo gar keine Leute drin sind?« fragte ich ihn.
Er sah mich ein wenig verdutzt an.
»Ich weiß nicht, ob ich Sie recht verstanden habe ...
»Ich meine eine Stadt,« begann ich ihm eifrig auseinanderzusetzen, »wo man zum Thor hineingeht, und die Läden alle voll sind mit den schönsten Sachen, und die Häuser ganz prachtvoll eingerichtet, aber gar kein Mensch darin – nirgends! Und da geht man in die Läden und nimmt sich, was man haben will, Schokolade und Zauberlaternen und Gummibälle, und braucht gar nichts zu bezahlen, und dann sucht man sich ein Haus aus und wohnt darin und thut gerade, was man mag, und geht gar nie ins Bett, eh' man Lust hat!«
Jetzt legte er den Pinsel aus der Hand.
»Das muß einmal eine hübsche Stadt sein!« sagte er ganz begeistert. »Schöner als Rom, denn weder in Rom noch in Piccadilly kann man ganz so leben, wie man mag. Ich fürchte, das ist wieder einer von den Orten, wo ich nie hingekommen bin.«
»Und da würde man dann seine Freunde einladen,« fuhr ich, immer eifriger werdend, fort, »natürlich nur solche, die man ganz besonders mag, und jeder hätte sein eigenes Haus – es sind ja massenhaft Häuser da – und Verwandte hätte man gar nicht, außer sie würden versprechen, sehr nett gegen einen zu sein. Wenn sie nicht nett wären, müßten sie gleich fort.«
»Sie haben also ein Vorurteil gegen Verwandte?« fragte der Künstler. »Vielleicht nicht mit Unrecht – unser Geschmack stimmt, wie ich sehe, in vielem überein.«
»Harold möchte ich natürlich bei mir haben,« überlegte ich, »und Charlotte auch – denen würd's riesig gefallen! Die andern – die andern, die werden jetzt schon zu alt. Ach, und Martha – Martha müßte natürlich auch da sein, wer sollte denn sonst kochen und alles besorgen? Martha würde Ihnen auch gefallen. Die ist viel netter als Tante Elisa – so denke ich mir eine richtige Dame!«
»Dann bin ich überzeugt, daß sie mir gefallen würde,« sagte er voll Herzlichkeit. »Und wenn ich einmal hinkomme – wie sagten Sie doch, daß Ihre Stadt heißt? War's nicht Nephelo, oder wie?«
»Ich ... ich weiß es selbst nicht,« gestand ich beschämt. »Sie hat, glaube ich, gar keinen ... noch gar keinen Namen.«
Der Künstler blickte weit hinaus über die Halde, dann sagte er leise vor sich hin: »Der Dichter sagt geliebte Stadt des Cecrops – willst du nicht sagen, geliebte Stadt des Zeus? Das stammt von Marc Aurel,« erklärte er mir, die Arbeit wieder ausnehmend, »den Sie wohl noch nicht kennen – werden ihn aber schon noch kennen lernen.«
»Wer ist er?« fragte ich.
»Ach – auch so einer, der in Rom gelebt hat,« versetzte er, darauf lospinselnd.
»Du liebe Zeit!« rief ich ganz betroffen. »Alle Welt scheint ja in Rom zu leben, und ich bin noch nicht ein einzigesmal dort gewesen! Aber ich glaube, meine Stadt wäre mir doch lieber!«
»Mir auch,« versicherte er mit Nachdruck, »aber dem Marc Aurel zum Beispiel, dem nicht.«
»Dann laden wir ihn gar nicht ein – oder?«
» Mir liegt nichts daran, wenn Sie es nicht thun wollen.«
Nachdem wir also über diesen Punkt ins reine gekommen waren, schwiegen wir beide eine Zeitlang.
»Hie und da,« begann er dann, »habe ich den einen oder andern getroffen, der aus einer Stadt wie die Ihrige kam – vielleicht war's ganz dieselbe. Die Betreffenden mögen nicht viel darüber reden – dann und wann ein halbes Wort, mehr erfährt man nicht, aber dort waren sie, das ist gewiß. An gar nichts nehmen sie besonderen Anteil; es ist ihnen ganz gleichgültig, wie es kommt, ob Wind oder Sonnenschein, und früher oder später entwischen sie auf Nimmerwiedersehen. Vermutlich sind sie dann in die Stadt zurückgekehrt.«
»Versteht sich,« rief ich mit Ueberzeugung. »Wundert mich nur, daß sie je daraus weggegangen – ich thät's nicht! Sachen zerbrochen haben sollen, die man nicht angerührt hat, nicht einmal mehr mit den Dienstboten Thee trinken dürfen, und seinen Hund nicht mit ins Bett nehmen, das ist doch wahrlich kein Vergnügen. Ich habe auch Leute gekannt, die hingingen.«
Der Künstler sah mich etwas überrascht, aber nicht ungläubig an.
»Nun, zum Beispiel, den Lancelot. Im Buch heißt's freilich, er sei gestorben, aber Bücher drucken manches falsch. Er ist einfach fortgegangen, wie König Artus auch. Und dann Robinson, als ihm's langweilig wurde, immer Kleider zu tragen und sich gesittet zu benehmen. Und all die netten Ritter in den Geschichten, die nämlich, die keine Prinzessin bekommen – es heiratet ja immer nur einer in jedem Buch – die werden wohl alle dort sein.«
»Und die, denen's nicht recht glücken will,« fuhr er fort, »die sich Mühe geben, so gut wie die übrigen, aber ausgestochen werden, danebengreifen oder zusammenbrechen und im Gedräng zerdrückt werden, die keine Prinzessin und kein Königreich, und wär's auch nur zweiter Güte, kriegen – von denen werden hoffentlich auch einige dort sein?«
»Gewiß, wenn Sie sie haben wollen,« erwiderte ich, obwohl mir der Fall etwas unklar war. »Wenn es Freunde von Ihnen sind, laden wir sie natürlich ein!«
»Was das für eine Herrlichkeit sein wird,« bemerkte er nachdenklich, »und wie sich der alte Marc Aurel darüber ärgern wird.«
Die Schatten waren länger geworden, ein goldener Dunst flimmerte auf der grünen Halde, und der Maler packte seine Siebensachen zusammen, offenbar um fortzugehen. Mir war das Herz sehr schwer; wie es schien, mußten wir uns trennen, gerade als wir so gut in Zug gekommen waren. Er stand auf, und ich sah jetzt erst, wie groß und schlank er war, und als er so hoch über mir stand, vergoldete die untergehende Sonne seine Haare und seinen Bart. Jetzt schüttelte er mir die Hand, als ob ich seinesgleichen wäre.
»Die Unterhaltung war mir sehr angenehm,« sagte er. »Sie haben sie auf ein Gebiet gelenkt, das wir nicht erschöpfen konnten – ich hoffe, daß wir uns wieder begegnen werden.«
»Aber ganz gewiß,« erwiderte ich, unangenehm davon berührt, daß er nur hoffte, was doch sicher war.
»Vielleicht in Rom?« fragte er.
»Ja, in Rom, oder auch in Picca –, wie heißt es doch?«
»Oder anderswo, in Ihrer Stadt – falls wir den Weg dorthin finden! Jedenfalls werde ich Umschau halten nach Ihnen, und Sie werden mir ein Zeichen geben, sobald Sie meiner ansichtig werden. Dann wollen wir Arm in Arm durch die Straße gehen und all die schönen Läden besuchen – Sie suchen sich ein Haus aus, und ich wähle mir auch eins, und dann wollen wir leben wie im Schlaraffenland und gute Kameradschaft halten.«
»Ich mein's aber anders,« rief ich aufgeregt. »Sie müssen in meinem Haus wohnen, bei mir, nicht in einem eigenen. Ich würde nicht jeden dazu auffordern, aber Sie fordere ich auf!«
Er that, als ob er sich den Vorschlag erst überlegen müßte, dann sagte er: »Abgemacht! Ich glaube, daß Sie es ehrlich meinen, und ich werde kommen. Mögen mich andre noch so dringend einladen, zu Ihnen werde ich kommen, und auch recht lange bleiben, aber ganz ohne Sie zu belästigen.«
Mit dieser Verabredung trennten wir uns, und ich ging mit Wehmut im Herzen von dem Mann, der mich verstand, zurück zu dem Haus, wo ich's niemand recht machen konnte. Wie kam's nur, daß er selbstverständlich und vernünftig zu finden schien, was Tanten, Pfarrer und andre erwachsene Leute für blühenden Unsinn erklärten? Nun, er würde mir das schon auseinandersetzen, wenn wir uns wieder träfen, und noch vieles andre dazu!
Der Ritterweg! Wie er doch immer erhebend und tröstlich wirkte! Vielleicht, daß mein Freund einer von den fahrenden Rittern war, nach denen ich mich schon so lang gesehnt hatte? Vielleicht, daß er das nächste Mal in seiner Rüstung kam – weshalb denn nicht? Er würde sich jedenfalls gut ausnehmen darin, und ich wollte mich sputen, zuerst am Platz zu sein, um die Sonnenstrahlen auf seinem Helm und Panzer funkeln zu sehen, wenn er einherritt auf der hohen Straße nach der goldenen Stadt.
Einstweilen mußte ich ja den Weg dorthin finden, was doch nur eine Kleinigkeit war.