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Die Argonauten

Der Eintritt von Fremden in unsern Kreis war immer, welcher Art diese auch sein mochten, dazu angethan gewesen, Mißtrauen und ein Gefühl der Unsicherheit zu erregen. Ja, in der That war er in der Regel als eine Mahnung aufgefaßt worden, sich in Keller oder Felsenhöhlen, unbetretenen Urwald oder entlegene Viehhütten zurückzuziehen, woraus nur abgefeimte Hausmädchen, die mit unsern Schlupfwinkeln und Befestigungen vertraut waren, uns ans Tageslicht befördern konnten, um uns der Gesellschaft zurückzugeben. Es war darum, keineswegs überraschend, daß die Helden des klassischen Altertums unsere Herzen durchaus nicht bei erster Bekanntschaft eroberten.

»Vertrauen,« sagt irgend jemand, »ist eine sich langsam entwickelnde Pflanze,« und diese stattlichen dunkelhaarigen Halbgötter, deren Namen schwer auszusprechen und deren Kennzeichen so seltsam waren, hatten es mit einer Festung zu thun, die stark besetzt war mit alten, vertrauten Kämpen. Ihre frostigen, ausländischen Gottheiten sprachen nicht so unmittelbar zu unsrem Gefühl wie die spöttischen, übelwollenden Hexen und Kobolde des Nordens. Wir vermißten die anziehende Gemeinschaft mit dem Tier – dem Fuchs, der uns, die buschige Rute hoch erhoben, zum verzauberten Schloß geleitet, dem Frosch im Brunnenhaus, dem Raben, der weisen Rat vom Baume krächzt, und – was Harold besonders hervorhob – es erschien uns durchweg unrichtig, daß der Held je ein andrer sein sollte, als der Jüngste von drei Brüdern. Dieser unumstößliche Glaube an das dem jüngsten Bruder beschiedene Glück hatte zwar auf Harold eine ungünstige Wirkung ausgeübt, eine gewisse Selbstbespiegelung und Vorwitzigkeit befördert, die hie und da körperliche Züchtigung erforderten; aber selbst wenn wir eine solche anwenden mußten, hielten wir treu zu dieser Anschauung im allgemeinen, und als wir die neuen Ankömmlinge, die in der Geschichtsstunde gelandet waren, mißtrauisch ins Auge faßten, machte uns anfangs selbst der alte Saturn den Eindruck eines Emporkömmlings.

Aber auch Fremdlinge können uns, wenn sie im Grund des Herzens wackere Gesellen sind, mit der Zeit zu guten Kameraden werden, und diese fröhlichen Schwerthelden hatten, sobald man sie näher kennen lernte, ganz das Zeug dazu. Perseus mit seiner Tarnkappe des Hades und seinen wunderbaren Flügelschuhen fand rasch Mittel und Weg, sich in unsere Herzen zu schleichen. Phöbus pochte im richtigen Märchenstil an Admetos' Thor und Psyche brachte den vorschriftsmäßigen Zauberpalast samt hilfreichen Vögeln und freundwilligen Ameisen mit. Odysseus mit seiner hinreißenden Schlauheit und Kriegslist riß die feindseligen Schranken vollends ein, und von nun an wurde die ganze Bande willig eingelassen und in unfern Freimaurerbund aufgenommen.

Ich war eines schönen Tages damit beschäftigt gewesen, Pächter Larkins Kälber, seinen besonderen Stolz, herumzujagen und zu verscheuchen, eigentlich nur um dem Manne zu zeigen, daß wir ihn nicht vergessen hatten, und kehrte von dieser Thätigkeit mit Gott und der Welt zufrieden in den Küchengarten zurück, wo ich zufällig meinen Bruder Eduard traf, der im Dunghaufen nach Würmern suchte. Er brachte die gefundenen Würmer in seiner Mütze unter, und wir gingen, wichtige Staatsangelegenheiten besprechend, gemeinsam unseres Weges. Als wir am Geräteschuppen vorüber kamen, fesselte ein seltsames Geräusch unsre Aufmerksamkeit, und als wir hineinsahen, entdeckten wir Harold, der sich einsam mit voller Hingebung, ja in wahrer Verzückung vergnügte. Er hockte in einem alten Schweinetrog, der als ausbesserungsbedürftig hierher gestellt worden war, und vor sich hin deklamierend, schwang er eine Schaufel bald hoch in die Luft, bald stieß er sie auf den Grund, ganz in der Art und Weise, wie man ein kanadisches Kanoe fortbewegen würde.

»Was für einen Blödsinn treibst du denn da wieder?« fragte Eduard hineingehend.

Harold wurde rot, verleugnete aber seinen Schweinetrog nicht, sondern hielt mannhaft zu ihm.

»Ich bin Jason,« versetzte er trotzig, »und das ist die Argo. Die andern Helden sind auch hier, ihr seht sie nur nicht, und eben durchschiffen wir den Hellespont. Seid so gut und stört uns nicht.«

Damit ruderte er weiter durch die purpurne See. Eduard aber versetzte dem Schweinetrog einen verächtlichen Stoß.

»Eine nette Argo, das muß ich sagen!« rief er.

Jetzt wurde Harold wild.

»Es ist nicht meine Schuld, daß ich keine bessere habe,« erklärte er zürnend, »und es ist auch eine gute Argo, wenn man sich's nur vorstellen kann. Aber du hast dir ja nie etwas vorstellen können!«

Eduard überlegte sich den Fall.

»Hört einmal,« eröffnete er uns dann seine Gedanken, »wie wär's, wenn wir uns Pächter Larkins Boot holten und in einer richtigen Argo geradeswegs den Fluß hinaufführen, um Medea und das goldene Vließ zu suchen? Und ich will dir etwas sagen, Harold, ich lasse dich den Jason sein, weil du zuerst drauf gekommen bist.«

Harold kugelte vor Aufregung aus dem Schweinetrog heraus.

»Aber allein aufs Wasser gehen dürfen wir ja nicht,« rief er.

»Nein,« warf Eduard mit edlem Spott hin, »das dürfen wir nicht. Jason hätte wohl auch keine Erlaubnis erhalten, wenn er vorher angefragt hätte, er ging einfach.«

Harold hatte nur der Form wegen Einsprache erhoben und ließ sich mit größter Bereitwilligkeit widerlegen. Die nächste Frage war nun, wie man's mit den Mädchen halten sollte. Selina wußte sich in einem Boot ganz gut zu benehmen, aber die Schwierigkeit war die, daß sie, falls ihr das Unternehmen nicht zusagen würde (und ganz moralgemäß war es ja nicht), hingehen könnte und uns anzeigen. Sie hatte jetzt eben das unangenehme Alter erreicht, wo sich das Gewissen zu entwickeln beginnt. Charlotte ihrerseits hatte die leidige Gewohnheit, am hellen lichten Tag zu träumen, und jedenfalls Anlage, in ihren verzückten Zuständen ins Wasser zu purzeln. Selbstverständlich würde sie in Thränen zerfließen, wenn sie entdecken müßte, daß man sie daheim gelassen habe, aber das war doch immer noch besser als ein feuchtes Grab! Kurz und gut, die öffentliche Meinung sprach sich, und vielleicht mit Recht, gegen die Zulassung der in Röcken wandelnden Menschheit aus, trotz des Vorgangs von Atalanta, die ja zur ursprünglichen Schiffsmannschaft der Argo gehört hatte.

»Und jetzt,« fragte Eduard des weitern, »wer bittet den Pächter Larkin um sein Boot? Ich kann's nicht – bei unserer letzten Begegnung bot er mir Ohrfeigen an. Das mußt du übernehmen.«

Ich schüttelte bedenklich den Kopf.

»Du weißt doch, was er für eine Gethue mit seinen Kälbern hat ...« begann ich.

Eduard verstand meine Bedenken sofort.

»Auch gut,« entschied er. »Wir fragen ihn gar nicht. Es kommt auch gar nicht darauf an. Höchstens würde er sich ärgern, und das thäte mir leid. Vorwärts – die Anker gelichtet!«

So gingen wir denn zum Fluß hinunter und machten ohne Erlaubnis, aber auch ohne Schwierigkeiten Larkins Boot flott, da der Feind bei der Heuernte beschäftigt war. Der sogenannte Fluß war zwar auf keiner Landkarte zu entdecken und unsre Argo konnte ohne Gefahr einer Havarie kaum darin gewendet werden, für uns aber war er ein Orinoko, an dessen Ufern sich das Leben aller Völker abspielte.

Um dem Larkinschen Gebiet zu entrinnen, mußten wir »stromaufwärts« rudern. Harold wurde pflichtgetreu zum Jason ernannt, während wir die übrigen Heldenrollen zwischen uns beiden teilten. Thessalien hinter uns lassend, drangen wir unter Jubelrufen zwischen den Symplegaden hindurch in den gefürchteten Hellespont und segelten dann am Gestade der Zauberinseln entlang. Lemnos schickte berauschende Heudüfte zu uns herüber, das Ufer von Aretias war mit wilden Rosen umgürtet und fröhliche Rufe der Mähder schallten von der thrakischen Küste.

Nach einer oder zwei Stunden Seefahrt bohrte die Argo ihren Kiel in den Schlamm eines Landungsplatzes, der von Kühen zerstampft war und von einer freundlichen Wiese umfaßt, die zum Rauch menschlicher Behausungen emporführte. Eduard sprang, von Forschungstrieb erfüllt, ans Land und ging die Höhe hinan, ohne sich nach seinen Genossen umzusehen, ich aber zögerte absichtlich, denn ich hatte ein moosbewachsenes Wasserthörchen entdeckt, das in einen Garten führte, der so tiefe Ruhe und Stille atmete, daß man ihm alle möglichen verzauberten Eigenschaften zutrauen konnte.

Es war wirklich, als ob sogar die Luft darin stiller und reiner wäre, so dünkte es uns wenigstens, als wir vorsichtig hinein schlüpften, und Harold trat ganz verschämt und behutsam aus, wie wenn wir die Schwelle eines Hauses unbefugterweise überschritten hätten und die Geister alter Zeiten an uns vorüberhuschen fühlten. Blumen gab's, wo man nur hinsah, aber sie trieben und blühten in einer Ueberfülle und Wildheit, die auf keine gärtnerische Pflege schließen ließ: der Heliotropduft erfüllte den ganzen Ort, daß man hätte denken sollen, die Blüten hingen in dicken Gewinden von Stamm zu Stamm. Auf dem Rasenplatz fehlten die Farbflecken der Gartenstühle, Shawls und hingeworfenen Bücher und an der Seite des Hauses, die nach dem Garten sah, waren die meisten Rollvorhänge herabgelassen. Die altersgraue Scheibe einer Sonnenuhr beherrschte die mittlere Anlage und zu dieser, als dem Menschlichsten, was zu erblicken war, fühlten wir uns unwillkürlich hingezogen. Ein alter Wahlspruch stand in verwitterten Buchstaben darauf und wir versuchten, ihn mit Augen und Fingern zu entziffern.

Zeit erprobt Treue

buchstabierte Harold endlich heraus. »Was das wohl zu bedeuten hat?«

Ich konnte ihm keinen Aufschluß geben und auch seinen weiteren Fragen über den inneren Mechanismus des Dings und wo man diese Uhr aufziehe, nicht beantworten. Selbstverständlich hatte ich ja schon »viele« solche Instrumente gesehen, aber die Art ihres Mechanismus war mir nicht deutlich geworden.

Noch waren unsre Köpfe über das kuriose Ding gebeugt, als ich, einmal aufblickend, Medea in Person vom Haus herunterkommen sah. Schwarzhaarig und schlank, mit einem ernsten, verschlossenen, blassen, stillen Gesicht – ich erkannte sie sofort und war natürlich nicht im mindesten überrascht, ihr zu begegnen, denn zu dem Zweck waren wir ja nach Kolchis ausgezogen! Harold dagegen, der wie die Katzen eine Vorliebe für die höchste Spitze jedes Dings hegte und eben auf die Scheibe geklettert war, erschrak derart, daß er herunterkugelte, sein Kinn ausschlug und den stillen Garten mit lauter Wehklage erfüllte.

Medea glitt wie eine Schwalbe den Weg entlang und kniete im nächsten Augenblick an seiner Seite, um ihm zu helfen, sein Kinn mit ihrem zierlichen Taschentuch abzuwischen und süße, tröstliche Liebeslaute in sein Ohr zu flüstern.

»Sie brauchen sich nicht so viel Sorge um ihn zu machen,« bemerkte ich verbindlich. »Er wird jetzt noch eine Minute weiter brüllen, dann plötzlich aufhören und ganz munter seilt.«

Meine Weissagung bestätigte sich. Nach Ablauf der vorschriftsmäßigen Frist verstummte Harold jählings wie eine Uhr, die ihre Stunde geschlagen hat, und mit seelenvergnügtem Gesicht befreite er sich aus Medeas Umschlingung, um einen Kieselstein aufzuheben und nach einer aufdringlichen Amsel zu schleudern.

»O ihr Jungen!« rief Medea, beinah' wild in die Hände klatschend. »Aus welcher Wolke seid ihr denn gefallen? Doch nein – ihr seid ja so köstlich schmutzig! Seit tausend Jahren haben sie mich hier eingesperrt, und die ganze, ganze Zeit habe ich keinen Menschen zu sehen bekommen, der unter hundertfünfzig Jahren alt wäre! Jetzt wollen wir auch gleich ein Spiel machen!«

»Ballschlagen ist ein nettes Spiel, wo Mädchen recht gut mitmachen können,« schlug ich vor, »und wir könnten die Sonnenuhr da als Zielscheibe nehmen – nur brauchen wir freilich einen Ball, einen Schläger und noch ein paar Mitspieler.«

Medea rang in tragischem Schmerz die Hände.

»Ich nenne weder einen Ball mein,« rief sie, »noch einen Schläger, noch Menschen, die mit mir spielten – nichts, nichts, was mir Freude machte! Aber einerlei – wir können ja im Küchengarten Versteckens spielen – und hieraus halten wir einen Wettlauf – der Nußbaum dort ist Ziel! Es ist ein Jahrhundert her, daß ich die Beine gerührt habe!«

Nichtsdestoweniger errang sie den Sieg mit solcher Leichtigkeit, daß ich, der ihr keuchend nachjagte, die Frage erwog, ob sie in ihren Altersangaben nicht um ein Jahr oder zwei übertreibe. Sie betrieb auch das Verstecken und Suchen mit der Hingebung und dem Geschick wahrer Meisterschaft, und während sie bald verschwand, bald wieder auftauchte, mit erhitztem Gesicht göttlich lachte, schien das Wesen der bleichen Zauberin ganz von ihr abzufallen und sie glich eher der andern, von der ich gelesen hatte, die vom blühenden Narzissenfeld geraubt wurde, um im Schatten der Unterwelt zu herrschen, von Zeit zu Zeit aber wieder Erde und Licht und die frische liebkosende Lust aussuchen darf.

Endlich müde geworden, schlenderten wir zu der Sonnenuhr zurück, und Harold, der nie von einer Frage abließ, ehe er sie gelöst hatte, begann von neuem mit dem Finger über die verwitterten Buchstaben streichend: »Zeit erprobt Treue – bitte, ich möchte so gern wissen, was das zu bedeuten hat.«

Medea senkte ihr Antlitz so tief über die Scheibe, daß es uns fast entzogen war.

»Deshalb haben sie mich ja hierher geschickt,« murmelte sie mit ganz veränderter leiser Stimme. »Sie halten mich gefangen, weil sie denken, ich werde vergessen – aber ich werde nicht vergessen – niemals – niemals! Und auch er – aber das weiß ich ja nicht – es ist so lange her – wie sollt' ich's wissen?«

Sie hatte das Gesicht jetzt in den Händen verborgen. Es war totenstill in dem verwilderten Garten und ich kam mir so recht ungeschickt, hölzern und hilflos vor. Außer einem unbestimmten Trieb, Harold einen »Schubs« zu geben, kam mir kein rettender Gedanke.

Keins von uns hatte die Annäherung eines zweiten weiblichen Wesens bemerkt, eines von der knochigen, rechtwinkligen Sorte – ach, so unähnlich unsrer teuren Freundin! Die Jahre, die Medea für sich in Anspruch nahm, mochten wohl ihr gehören, obendrein trug sie Halbhandschuhe, eine Verirrung, die mir Frauen besonders verhaßt macht.

»Lucie!« sagte sie mit einem scharfen Ton, durch den sie sich aufs schroffste als Tante verriet, und Medea schreckte schuldbewußt zusammen.

»Du hast geweint,« bemerkte die angenehme Dame, sie scharf beobachtend. »Und darf ich bitten – wer sind denn diese zwei Dreckspatzen?«

»Freunde von mir, Tante,« erwiderte Medea schnell gefaßt mit angenommener Heiterkeit. »Ich – ich kenne sie längst und habe sie gebeten, mich zu besuchen.«

Die Tante gab nichts als ein argwöhnisches Schnüffeln von sich.

»Du mußt ins Haus kommen, meine Liebe,« erklärte sie dann, »und dich hinlegen. Du bekommst ja Kopfweh von dieser Sonnenglut. Und ihr, meine Jungen, macht, daß ihr nach Hause kommt zu eurem Vesperbrot. Wenn ihr etwa wieder Besuche machen wollt, so kommt gütigst nicht ohne eure Kindermädchen.«

Harold hatte mich schon längst krampfhaft am Jackenärmel gezerrt, und ich wartete auch nur noch ab, bis Medea sich abgewandt hatte, uns im Weggehen eine Kußhand zuwerfend. Dann liefen wir spornstreichs zu unsrem Boot, das auch ganz ruhig und friedlich dalag.

»Der alte Drache!« bemerkte Harold.

»Ein Scheusal,« stimmte ich bei. »Und das Geschwätz – von der Sonne bekomme man Kopfweh! Aber Medea ist ein famoser Kerl – könnten wir sie nicht entführen?«

»Wir könnten's, wenn Eduard da wäre,« meinte Harold zuversichtlich.

Ja, wo war der? Was war aus diesem pflichtvergessenen Helden geworden? Wir sollten nicht lang in Ungewißheit darüber bleiben. Zuerst klang die schrille Stimme eines keifenden Weibes über die Wiese, und dann ward Eduard sichtbar, laufend, als ob er von den Furien verfolgt würde, denn das schimpfende Weib war ihm dicht auf den Fersen. Aufgeregt stolperte er ins Boot herein und rief uns zu: »Stoßt ab!«

Wir setzten all unsre Kräfte ein, und die Argo wurde flott, während die Dame uns vom Ufer aus ganz in derselben Mundart, worin Alfred den mordbrennerischen Dänen Trotz geboten hatte, mit Schimpfreden überflutete.

»Gerade wie ein Stück aus ›Westward Ho!‹« Von Charles Kingsley. Anm. d. Uebers. bemerkte ich beifällig, während wir mit dem Fluß flott dahinglitten. »Was in aller Welt hast du ihr denn zu leid gethan?«

»Rein gar nichts,« versicherte Eduard pustend, denn seine Lunge hatte sich noch nicht beruhigt. »Ich ging hinauf, um mir das Dorf anzusehen, das ich sehr nett fand und die Leute drin waren sehr höflich. Es war auch eine Hufschmiede dort, wo sie gerade Pferde beschlugen. Die Eisen rauchten und zischten, und es roch so komisch! Da blieb ich eine ganze Weile. Mittlerweile war ich durstig geworden und bat die alte Hexe um einen Trunk Wasser. Während sie's holte, kam ihre Katze aus dem Haus, sah mich recht unangenehm an und fauchte eine Bemerkung, die mir gar nicht gefiel. So ging ich zu ihr hin, nur ... rein nur, um ihr etwas Lebensart beizubringen, und, ich weiß selbst nicht, wie es kam, sie kletterte auf den Apfelbaum und pfauchte ganz scheußlich nach mir, und in der nächsten Sekunde rannte ich über die Wiese und die alte Urschel hinter mir drein ...«

Eduard war so voll von seinen Erlebnissen und den persönlichen Kränkungen, die er erlitten hatte, daß gar nicht daran zu denken war, ihn für Medea zu interessieren. Ueberdies dämmerte es schon ein wenig, und es war uns klar, daß die Schilderung unsrer Episode auf ein andermal verschoben werden mußte. Das wichtigste Abenteuer und die größte Gefahr standen uns, wie wir allmählich einsahen, überhaupt noch bevor – der Pächter mußte ja mittlerweile entdeckt haben, daß sein Boot fehlte, und hatte sich wahrscheinlich in den Hinterhalt gelegt, um uns an der Landestelle abzufangen. Die Landung anderswo vorzunehmen, war am heimischen Ufer ein Ding der Unmöglichkeit; stiegen wir statt dessen am andern aus, so mußten wir über die Brücke gehen, wo wir mit Leichtigkeit erkannt und von unsrem Haus, abgeschnitten werden konnten. Ich pries mich im stillen glücklich, daß unser Aeltester an diesem Tag von der Partie war. Sein Vorstellungsvermögen mochte ja etwas schwach und lückenhaft sein, aber im Erfassen greifbarer Thatsachen und dem Geschick, damit umzuspringen, hatte er nicht seinesgleichen. Uns tiefes Schweigen auferlegend, ruderte er bis in die nächste Nähe der unheimlichen Landestelle und setzte uns dann dieser gerade gegenüber ans Land. Lautlos stiegen wir, von der einbrechenden Dunkelheit begünstigt, aus dem Boot und kauerten uns im Weidengebüsch zusammen, während Eduard das leere Boot mit dem Fuß abstieß. Von der sanften Strömung getragen, glitt die alle Argo leise rauschend den Fluß hinab und wurde, als sie arglos an die verdächtige Stelle kam, von einem Strom von Schimpfreden begrüßt, die klar bezeugten, daß unsre Vorsicht nicht überflüssig gewesen war.

Uns im stillen wundernd, wie der im Dorf geborene und aufgewachsene Larkin zu solcher Redefertigkeit und solchem Wortschatz komme, lauschten wir seinen Schmähungen. Als er sich endlich klar gemacht hatte, daß sein armes Boot steuerlos, verlassen, Wind und Wellen preisgegeben und für ihn unerreichbar dahinglitt, ging er zu der ein paar hundert Schritte flußabwärts liegenden Brücke, und sobald wir seine nägelbeschlagenen Stiefel auf den alten Planken wiederhallen hörten, schlüpften wir aus unsrem Nest, fingen das Boot wieder ein, setzten über und legten die treue Argo fest an ihre erb- und eigentümliche Lagerstatt. Eduard hatte nicht übel Lust, die Rückkehr des Pächters abzuwarten, etliche Artigkeiten mit ihm auszutauschen und sich an den Ueberraschungen zu weiden, womit er uns hier begrüßen würde, aber er ließ sich in diesem Fall von besonnenerem Rat überzeugen. Es war ja immerhin möglich, daß die Seeräuberei uns noch nicht zur Last gelegt wurde – Odysseus hatte, wie ich ihm zu Gemüt führte, allen Grund gehabt, eine derartige unnütze Ruhmredigkeit zu bereuen, und würde uns – falls er da gewesen wäre! – sicher geraten haben, vorläufig den Rückzug anzutreten. Eduard hatte eine ziemlich geringe Meinung von meiner Klugheit, aber Odysseus war ein Autorität, der er sich ohne Einbuße an Selbstachtung unterwerfen konnte.


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