Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hundertundsechsundsechzigstes Capitel.
Vom Schachspiele.

Das Schachbrett enthält vierundsechzig Punkte in acht Felder vertheilt, einen Mann und eine Frau, Bräutigame und Bräute, Kleriker und Laien. Es spielen aber dieses Spiel sechs Personen. Das erste Bild ist der Roche und zwar von doppelter Art, weiß und schwarz, denn der rechte ist weiß, der linke aber schwarz. Seine Eigenheit aber ist, daß, wenn alle Figuren aufgesetzt sind, die Offiziere und Bauern durch ihren Vorzug gewisse Grenzen haben, bis zu welchen sie vordringen können, die Rochen aber, wenn sie eingeschlossen sind, nicht die Macht haben vorwärts zu gehen, wenn ihnen nicht durch die Offiziere und Bauern ein Weg gebahnt ist. Und er geht immer gerade aus und nie in einen Winkel, mag er nur vor- oder rückwärts gehen, und wenn er seitwärts geht, fängt er auf der andern Seite einen Stein und wird ein Räuber. So geht es dem wirklich Armen, der nur den einzigen Weg seiner Armuth hat, auf welchem er gerade auf den Herrn aller armen Leute, den Herrn Jesus Christus, zupilgert und die Stelle der Königin neben dem König der Könige einnimmt. Wenn er aber über seine Lage murrend seitwärts vom Wege abgeht, wird er ein Räuber, stiehlt was er kann und kümmert sich nicht um den Königsthron. Die zweite Figur ist aber der Springer, der über drei Punkte geht. Auf seinem eigenen Platze steht aber der, welcher schwarz ist, zur Rechten des Königs, und der weiße zu seiner Linken. Man nennt sie aber weiß und schwarz, nicht nach ihrer Farbe, sondern nach ihrer Stellung. Denn der rechte, welcher schwarz ist, marschirt immer rechts oder stellt sich auf einem schwarzen und leeren Punkte vor dem Bauer auf. Der linke aber macht nach seiner Eigenheit zwei Schritte vorwärts, einen nach der rechten Seite auf einen weißen Raum, und den andern links auf einen weißen und leeren Platz, und so gehen sie immer von drei zu drei Quadraten, indem sie ihre erste Stellung stets festhalten, daß der schwarze immer auf dem schwarzen Felde, und der weiße umgekehrt auf dem weißen, aber immer in einem Winkel vorwärts geht. Diese Springer nun, die bald hinauf und bald hinabgehen, bezeichnen die Weltweisen, welche drei Eigenschaften besitzen, nehmlich Verstand, Vernunft und Mannhaftigkeit. Sie sollten nun ihren Lauf durch Werke der Barmherzigkeit immer aufwärts nehmen, allein sie gehen abwärts durch ihre Beredtsamkeit und menschlichen Trug, und laufen seitwärts in einem Winkel durch drei Punkte, welche die Schlemmer bedeuten, die tagtäglich im Rausche leben, die Räuber, welche fremdes Eigenthum ohne Erlaubniß seines Herrn plündern und fortschleppen, und Hoffärtige, welche mit ihrer Abstammung, Schönheit und Ueberfluß an Reichthum prahlen, bezeichnen. Alle diese aber laufen seitwärts von der rechten Straße ab und werden endlich durch den König, d. h. den Teufel, fortgeschleppt und nach dem gerechten Gericht Gottes in die Hölle hinabgestoßen. Die dritte Klasse ist die der Ritter oder Läufer, von denen der rechte weiß und der linke schwarz ist. Der weiße thut aber sechs Schritte, die an seinem eigenen Platze liegen, einen nach rechts zu auf die schwarze Stelle vor den Bauer, den zweiten auf den schwarzen und leeren Raum vor den Wollweber, und den dritten links an die Stelle des Handelsmanns. Wenn er aber bei dem König steht, dann kann er sechs Quadrate durchschreiten, steht er aber in der Mitte, sogar acht. Gerade so ist es mit dem linken. Denn wenn der schwarze dem König gegenüber steht, marschirt der weiße vor ihm vorbei, und einer stellt sich dann links vor der Königin, die andere rechts vor dem König auf. Ebenso sollen die Ritter, wenn sie auf das Schlachtfeld hinabsteigen und einen Kampfplatz suchen, wacker und tapfer streiten und ihren König wie eine Mauer umgeben und ihn beschützen. Denn wir alle sind Streiter und müssen gegen den Teufel auf dem Wahlplatze dieser Welt streiten und unsern König, d. h. unsere Seele, vertheidigen. Denn unser Widersacher ist tapfer, indem er uns versucht und böse und unerlaubte Dinge gegen uns aufwirft, allein schwach, wenn wir ihn wirklich überwinden wollen, denn, sagt Petrus, tapfer im Glauben müssen wir ihm widerstehen und uns nicht an Furcht gewöhnen. Denn tapfere und erprobte Krieger pflegen zu Anfange, wenn sie die Waffen ergriffen haben, zu zittern, die Farbe zu wechseln und Blut aus der Nase zu schießen. Allein dieses Zeichen spricht eher für ihre Bravheit, als umgekehrt: denn es ist glaublich, daß derjenige, welcher zu Anfange der Schlacht von Furcht geschüttelt wird, wenn er wieder in den Kampf kommt, desto standhafter ficht und nicht den Rücken wendet, wenn es so weit gekommen ist, daß der Todesschrecken, den er vorher nur in der Ferne erblickt hatte, ihm jetzt gegenwärtig in seinem Angesichte zu drohen scheint. Denn beständig droht uns die Furcht vor dem bevorstehenden Tode und es wäre gut, wenn es nur der zeitliche wäre; darum müssen wir wacker und ohne alle Furcht die Waffen des Glaubens ergreifen und den Schild der guten Werke vorhaltend kämpfen, auf daß wir den zweiten Tod, d. h. den ewigen tapfer überwinden, von dem Boethius sagt: Ihr liegt ganz unbewußt hier, schon lauert der zweite Tod auf Euch. Jene Läufer aber, wenn sie nach der Schlacht an die Gränzen rücken, gehen als hätten sie wieder Herz und Tapferkeit bekommen, über acht Quadrate vorwärts und jagen ihre Gegner in die vier Winde. Ebenso ist es mit jeglichem Menschen, der in sich seine Niedrigkeit fühlt und über nichts hochmüthig ist; er wird die acht Quadrate der acht Seligkeiten überspringen, denn ein Jeglicher, der sich selbst erniedrigt, soll erhöhet werden. Die vierte Klasse ist aber die der Bauern, welche alle zusammen nur einen einzigen Schritt vorwärts thun dürfen. Denn sie können zwar auf dem einen Quadrate, auf welchem sie aufgestellt sind, bis zu dem dritten ausschreiten, weil sie gewissermaßen sicher an den Gränzen des Königs stehen, wenn sie aber über das Gebiet desselben hinausgeschritten sind, dann begnügen sie sich mit einem einzigen Schritte, gehen immer gerade aus, kehren aber niemals gerade wieder um, damit sie durch ihren Marsch, vermittelst ihrer Tapferkeit, zu gewinnen suchen, was die Offiziere, vermöge ihrer Würde, in Besitz haben. Darum, wenn sie durch die Läufer und andere Offiziere unterstützt bis an die Linie der feindlichen Quadrate gelangt sind, erobern sie, was ihnen die Gnade der Könige zugesteht. Man muß aber wissen, daß, wenn die Bauern gerade vorwärts marschiren, wenn sie einen feindlichen Offizier oder Bauer treffen, so können sie ihn in einem Winkel rechts oder links fangen und schlagen, nie geht aber ein Bauer außerhalb der geraden Linie rechts oder links vorwärts, er müßte denn die Würde der Königin in Besitz genommen haben. Diese Bauern bedeuten aber Leute von verschiedenem Range und Geschlecht, zwischen welchen Könige, Machthaber, Edelleute und andere Vornehme aufgestellt sind, um sie zu regieren und sie zu commandiren. Wenn sie nun aber ihre Pflichten nicht nach Gesetz und Vernunft ausüben, büßen sie den Vorzug des Adels ein und treten in die Lage und Stellung der Bauern. Denn wir Alle sind von einem Vater Adam geboren und gezeuget, unter denen die durch Tugenden Ausgezeichneten mit Recht die Namen von Königen und Edelleuten erhalten. Während aber die Bauern, d. h. die gemeinen einfältigen Leute, nach den Rathschlägen ihrer klugen Beichtväter lebend und den Befehlen der Kirche gehorsamend die Linie des richtigen und geraden Lebenswandels erreichen, erlangen sie mit Recht durch die Pflichtmäßigkeit ihres vervollkommneten Lebens im Himmelreiche den Titel von heiligen Königen und Edeln. Niemand verachte also die Bauern, weil wir lesen, daß sie zu Herrschaft und päpstlicher Würde, wenn sie voller Vorzüge und Gnaden waren, gelangt sind. Wie nehmlich ein Riese, Namens Arius, durch seine Schätze und sein von Tage zu Tage wohlhabender werdendes Reich aufgeblasen wurde, und überhaupt einen gar gottlosen König spielte, kam er einmal zur Wohnung Apollo's, um ihn zu fragen, ob irgend einer der Sterblichen glücklicher sey als er: siehe da erscholl aus einer verborgenen Höhle des Heiligthums eine Stimme, welche ihm einen gemeinen Landmann Agalaus vorzog, denn dieser besaß zwar fast nichts im Vermögen, allein er war reich in seinem Gemüthe, und trotz seinem hohen Alter noch nie über die Grenzen seines Gütchens hinaus gekommen. Also schätzte Apollo die rohe Hütte des Agalaus mit ihrer sorgenlosen Ruhe weit höher, als den traurigen und mit Kümmernissen reich gefüllten Hof des reichen Riesen. Denn er schlug seine wenigen, aber von Furcht freien Schollen Erde höher an, als die fette Küste von Lydien, die beständig voller Furcht vor Feinden war. Es war aber dieser arme Agalaus ein höchst tugendhafter Mann gewesen, denn je niedriger ein Mensch seinem Stande nach ist, desto höher steht er durch seine Tugend und Frömmigkeit, und desto berühmter und geehrter wird er dadurch. So war Virgilius, von Geburt ein Longobarde und seinem Geschlechte nach aus Mantua zwar von niederer Herkunft, allein durch seine Weisheit doch der größte und ausgezeichnetste unter den Dichtern. Wie ihm nun Jemand zuredete, er solle doch homerische Verse in sein Werk aufnehmen, antwortete er, es bedürfe einer großen Stärke dem Herkules seine Keule aus der Hand zu schlagen. Die fünfte Person aber, welche auf dem Schachbrete mitspielt und einen Namen trägt, ist die Königin. Ihr Gang ist aber von weiß auf schwarz, man stellt sie neben den König, und wenn sie von ihm geht, wird er gefangen. Wenn sie sich aber von ihrem eigenen schwarzen Quadrat, wo sie zuerst ihren Stand hatte, wegbewegt, so kann sie nur von einem Quadrat zum andern vorrücken, und zwar in Winkeln, mag sie nun vor- oder zurückgehen, fangen oder gefangen werden. Wenn man aber fragt, warum gerade die Königin dem Kampfe ausgesetzt wird, da doch das weibliche Geschlecht schwach und gebrechlich ist, so muß man sagen, wenn wir es durchaus wissen wollen, daß sie der Sitte derjenigen Frauen folgt, bei denen, wenn die Männer in den Krieg ziehen, die Frauen und Gattinnen derselben samt ihrer ganzen Familie mit ins Lager genommen werden, wie dieses die Thartaren thun. Und wenn sie auch von dem Bogen nicht vermieden werden, so können sie doch mehr Leute behindern, als durch Körperkraft zu Boden werfen. Indessen ist das zum Trost des Königs geschehen, und um ein Zeugniß ihrer Liebe zu geben, angestellt worden, daß die Königin dem König in den Kampf folgt. Wir verstehen aber unter der Königin unsere Seele, welche in dem Himmel auf der Straße der guten Werke zur Königin bestellt wird. Diese Königin ist aber weiß und schwarz: weiß wird sie durch die Beichte und Absolution, wenn ihr Knecht, d. h. der Körper, Alles rein bekennt, und wenn er für seine Sünden Buße gethan hat, losgesprochen wird, dann bekommt sie eine so glänzende Weiße, daß sie zehn Mal mehr leuchtet, als die Sonne. Schwarz wird sie aber durch den Ruß und die Häßlichkeit der Sünden. Sie muß aber stets neben dem König stehen, denn wenn sie das nicht thut, wird er gefangen und verletzt. Denn darum ist unsere Seele in unseren Körper gegossen worden, daß durch seine Wiedereroberung und Rettung das Heer der Engel, welches einen großen Verlust durch den Lucifer erlitten hat, vollständig wieder ergänzt und sie als Königin neben den König des Ruhms gestellt werde. Wenn sie aber vom Könige, der durch ihre Sorge geleitet und regiert wird, sich entfernt hat, wird er gefangen und durch sterbliche Thaten zur Hölle hingeschlachtet und dort aus Nimmerwiederkehr hinabgestürzt, und diese Königin, d. h. unsere Seele, möge nie im Auslande Krieg führen lernen, sondern von innen unsern Körper antreiben gute Werke zu thun, denn unsere Seele, d. h. die Vernunft, soll unsern Leib, wie der Reiter das Pferd, zur Tugend hinlenken und ihn unterrichten, nicht über die Gränzen der Lehren der Kirche hinaus zu springen, sondern sie muß von dem Quadrat einer Tugend auf das der anderen fortschreiten, und darum muß auch die Königin auf dem Schachbrete langsam gehen und nicht springen, sondern in den ihr gesteckten Grenzen bleiben. Denn Dyna, die Tochter Jacobs, erhielt ihre Jungfräulichkeit, so lange sie sich im Hause ihres Bruders ruhig aufhielt, sobald sie aber aus Neugierde ausgezogen war, sich in fremden Gegenden umzusehen, ward sie vom Sohn Sichem entehrt. Seneca sagt, daß Frauen, welche ein häßliches Gesicht haben, leichtsinnig und schamlos sind, denn es fehlt ihnen nicht an einem verführerischen Geiste. Solinus erzählt, daß das Weib ausgenommen, nur wenige Geschöpfe, wenn sie einmal empfangen haben, sich wieder vermischen. Die Frauen sollen aber vor den Augen aller Männer ein schwarzes Gesicht haben, damit sie nicht von Andern zur Wollust verführt in übeln Geruch kommen. Ovidius sagt: sie mögen nun ihre Einwilligung geben oder sie verweigern, immer werden sie sich freuen gesucht worden zu seyn: alle Schönen lieben dieses Spiel, und nur die ist keusch, die Keiner begehrt hat. Die sechste Klasse aber, welche dieses Spiel treibt, sind und heißen die Könige. Denn daß der König über Alle hervorragt, zeigt die Natur seiner Bewegung und seines Schrittes an. Wenn er nehmlich auf dem vierten weißen Quadrat steht, so hat er, wenn er selbst schwarz ist, auf dem nächsten weißen Flecke rechts einen Springer, Läufer und Rochen aber auf dem schwarzen. Auf der linken Seite nimmt er jedoch die entgegengesetzte Stelle ein, denn da der König über Alle, rücksichtlich seiner Würde, Macht und Herrschaft ausübt, geziemt es sich nicht, daß er sich durch einen weiten Raum von seinem Königsthrone entfernt; darum, wenn er sich von seinem weißen Quadrat aus in Bewegung zu setzen anfängt, folgt er sowohl rechts als links dem Naturell der Rochen. Indessen ist der Rochen so beschaffen, daß er sich linker Hand nicht auf einen schwarzen Punkt neben dem auf einen weißen stehenden Rochen stellen kann, wohl aber auf einen weißen Fleck, jedoch in einem Winkel zu dem genannten Rochen, wo die Wächter seines Staates aufgestellt sind und er bei diesem Vorwärtsgehen die Natur eines Laufers annimmt. Diese zwei Schritte macht er für die Königin. Es ist aber dieser König unser Herr Jesus Christus, der der König der Könige ist im Himmel und auf Erden, was auch die Art und Weise seiner Bewegung und seines Vorrückens andeutet. Denn während ihn alle Chöre der heiligen Engel bei seinem Vorrücken wie ihren Herrn verehrungsvoll begleiten, hat er den Springer und Rochen und die andern Schachfiguren bei sich, und hat den Platz des Weltalls geraden Wegs in Beschlag genommen, bei welchem es heißt, wie Petrus spricht: wenn ich gen Himmel hinaufsteige, bist Du da, und wenn ich zur Hölle hinabführe, bist Du auch da. Endlich hat er auch die Königin mit sich genommen, das heißt die fromme Mutter des Erbarmens, unsere Frau Maria. Denn um ihrer Willen thut er einen Schritt des Erbarmens zu dem Quadrat der Bauern, d. h. der auf Erden lebenden Menschen, weshalb er mit Recht jenen ruhmvollen Namen durch des Propheten Mund erhalten hat, wo er ihn den Vater alles Erbarmens und den göttlichen Tröster nennt. Denn während keiner der heiligen oder auserwählten Männer uns aus unserer Betrübniß und Verrath wegen der Sündhaftigkeit des ersten Menschen erlösen konnte, würdigte uns der barmherzige König seiner Gnade, indem er, um die Heerde und Zahl seiner Bauern wieder zu erobern, von seinem himmlischen Wohnsitze auf das Quadrat dieser jämmerlichen Welt herabstieg, und uns von des Bösen Gewalt erlösen wird. Dafür wollen wir ihm aber unsern Dank unendliche Zeiten hindurch bringen.


 << zurück weiter >>