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Zehntes Kapitel

Trotzdem der alte Detektiv fürchtete, auf falscher Fährte zu sein, war es doch das Richtige gewesen, der einfachen Erzählung Sam Lees zu glauben, wie der Leser bereits weiß.

Als Nonne verkleidet, hatte man Harry nach San Francisco gebracht.

Ah Hoeo war Thomas mit seinen Gefährten vorangereist.

Diese bestiegen erst den Eisenbahnzug, nachdem sie die zweite Eisenbahnstation hinter Barnwell erreicht hatten.

Thomas hatte unzweifelhaft den längeren Weg nach der entfernteren Eisenbahnstation aus dem Grunde zu Wagen zurückgelegt, um den alten Detektiv, falls er ihnen folgen sollte, von ihrer Spur abzulenken.

Von alledem, was auf dieser sonderbaren Reise sich ereignete, wußte Harry nichts oder doch so viel wie nichts. Von Zeit zu Zeit wurde er von Thomas gezwungen, eine Pille zu verschlucken, die jedenfalls mit der geeigneten Medizin getränkt war, die ihn in dem unzurechnungsfähigen Zustande erhalten sollte.

Es war Nacht, als sie in San Francisco ankamen und Thomas mit den beiden schnell eine schon bereitstehende Droschke bestieg.

Die Fahrt, die nun angetreten wurde, war eine ziemlich lange; wo sie endete, davon hatte Harry nicht die leiseste Ahnung.

Alles, woran er sich erinnerte, war, daß er mit seinem Begleiter von Ben Thomas eine schmale Straße entlang und dann viele Treppenstufen hinab in einen dunklen Raum geführt wurde.

Hier legte der Chinese seine Verkleidung ab und zog auch dem jungen Detektiv die Nonnenkleider aus.

Sobald dies geschehen war, warf Harry sich auf ein Bett, das er an seiner Seite erblickte und war denn auch schon nach wenigen Augenblicken in einen tiefen traumlosen Schlaf versunken.

Er mußte wohl stundenlang geschlafen haben, denn als er erwachte, fühlte er, daß sein Kopf bedeutend klarer war, er auch die Gegenstände um sich her zu erkennen vermochte. Merkwürdigerweise konnte er sich jedoch nicht an das erinnern, was hinter ihm lag.

Erst zu einer viel späteren Zeit war er imstande, sich an einzelne nebelhafte Vorgänge zu erinnern, dieselben aneinander zu reihen und das zu erzählen, was wir von ihm berichtet haben.

Wo in aller Welt bin ich? fragte er, als er sich auf seinem Lager aufrichtete.

Er befand sich in einem hübsch eingerichteten Zimmer, dessen Wände mit rotem Zeug behangen waren, wie man es in den chinesischen Wäschereien überall erblicken konnte, und lag hier auf einer eisernen Bettstelle auf weichem Lager.

Auf dem roten Zeuge waren an den vier Wänden Malereien chinesischen Charakters angebracht, darunter auch solche, die große Schlangen in den verschiedensten Windungen und Lagen darstellten.

So wand sich eine, die größte von allen, an einem Baumstamm empor, eine andere bewegte sich zwischen zwei Bäumen und streckte den Kopf nach oben, während eine andere mit geöffnetem Rachen sich nach unten hin bewegte.

Harry sah sich von Rätseln umgeben. Er strengte sein Gehirn an, um sich zu erinnern, was mit ihm vorgegangen war.

Bis zu diesem Augenblick hatte er noch niemals daran gedacht, daß er nicht mehr in Little Pekin sein könne. Man hatte ihm aber starke Mittel beigebracht.

Es waren diese elenden Zigarren, die mich so weit gebracht haben, hätte ich auch noch den Wein getrunken, dann wäre ich jetzt vielleicht tot, murmelte er vor sich hin.

Dabei fühlte er sich ungeheuer matt, wußte aber nicht eher, wie matt und schwach er eigentlich war, als bis er versuchte, sich auf die Füße zu stellen, die ihn aber nicht zu tragen vermochten, so daß er sofort zu Boden fiel.

Beim Himmel, irgend etwas hat mich aller meiner Kräfte beraubt, dachte er bei sich selbst.

Sich dann an einem Stuhl festhaltend, versuchte er sich wieder aufzurichten, nahm sich, so viel er vermochte, zusammen und besah sich nun seine Umgebung im Zimmer, das durch eine Lampe, die von der Decke herabhing, erleuchtet wurde.

Dabei machte er die unangenehme Entdeckung, daß das Zimmer weder ein Fenster noch eine Türe aufzuweisen hatte. Die Ventilation schien durch eine Röhre in der Decke reguliert zu werden.

Er schob die Vorhänge an den Wänden beiseite und sah überall die rohen Steinwände, ausgenommen eine Wand, die aus Brettern hergerichtet war.

Ich befinde mich in einem verborgenen Keller, dachte er. Es ist doch sonderbar, daß ich mit meinem Kollegen fast immer nach solchen Plätzen gelange. Well, ich denke, meine Zeit wird auch kommen und ich will nur warten, bis Ben Thomas sich wieder blicken läßt, denn daß er die Ursache dieses ganzen elenden Spieles ist, glaube ich sicher.

Damit legte er sich wieder aufs Bett in seinen eigenen Kleidern, da man ihm die Nonnenkleider ausgezogen hatte.

Und nun begann es auch in seiner Erinnerung wieder ein wenig aufzudämmern.

Das erste, woran er sich erinnerte, war die Höhle. So glaubte er auch, daß er sich noch in derselben befinde und dies eine der geheimen Kammern darin sei.

Während er noch darüber nachdachte, wurde der Vorhang vor der Holzwand schnell zurückgeschoben und im nächsten Augenblick standen Ah Hoeo und Ben Thomas vor ihm.

Der Chinese stieß einen Ruf der Überraschung in seiner eigenen Sprache aus, während Thomas weiterschritt und sich am Tische niedersetzte.

Well, Skott, wie fühlst du dich jetzt? Ist alles bei dir in Ordnung? fragte er.

Bei mir ist alles in solcher Unordnung, wie es nur sein kann, erwiderte Harry mit sanfter Stimme.

Ha! Und wem gibst du die Schuld daran?

Warum fragst du mich danach? Komm zur Sache. Du hast mich in einer feinen Weise treulos verlassen. Erkläre mir, was das alles zu bedeuten hat!

Well, so gib acht! rief Thomas. Es ist reiner Unsinn, in der Weise mit mir zu sprechen. Inwiefern habe ich dich denn treulos verlassen? Und aus welchem Grunde sollte ich mich denn mit dir abgeben? Was bist du für mich überhaupt? Nichts weiter als ein elender kleiner Detektiv, der von den Vereinigten Staaten nach Kalifornien kommt und seine Nase in anderer Leute Sachen steckt. Du kannst dich nicht wundern, wenn ich dir sage, du verdienst es, in allerlei Unannehmlichkeiten zu geraten, und das ist nun geschehen.

Wenn es dir Vergnügen macht, kannst du es allerdings in der Weise auffassen. Ich aber bin meiner Pflicht gefolgt, daran ist nichts zu ändern, sagte Harry.

Deiner Pflicht? Was du getan hast, geschah nur aus dem Grunde, von Fang Wang ein gutes Stück Geld zu verdienen und das weißt du auch gut genug.

Das ist nicht wahr.

Doch, so ist es; was dir begegnet ist und noch begegnen wird, hast du reichlich verdient und das ist die Hauptsache. Hoffentlich ist dein Kopf jetzt etwas klarer geworden.

Du hast mir stark betäubende Mittel gegeben!

Allerdings tat ich das, doch sage mir, wie weit du dich an alles erinnerst – sprich aber die Wahrheit, ich warne dich, es wird nur zu deinem Vorteil sein.

Ich weiß mich nicht an viel zu erinnern, das ist Tatsache.

Dann glaubst du auch, daß du noch in Little Pekin bist?

Das glaubte ich, bis du anfingst zu sprechen.

Nein, du bist nicht mehr in Little Pekin.

Wo denn?

In San Francisco.

Und wo ist mein Kollege?

Wenn er sich noch irgendwo aufhält, dann ist er in Little Pekin, ich hoffe aber, daß er tot ist.

Bei diesen Worten war Harry wie vom Schlag gerührt, er war unfähig, ein Wort zu erwidern.

Konnte dies derselbe liebenswürdige Geselle sein, den er in der Mine getroffen und den er in der Tat gerne gehabt hatte? Es schien ihm unmöglich, das zu glauben.

Aber die nächsten Worte Ben Thomas' bestätigten es.

Ich hoffe, daß der alte Halunke tot ist, da wir alles, ihn vom Leben zum Tode zu bringen, gut vorbereitet hatten, sagte er; doch waren wir zu sehr mit dir beschäftigt, um sicher zu sein, daß unser Befehl auch wirklich ausgeführt wurde, setzte er hinzu.

Aber, fuhr er fort, daß er etwa zu deiner Befreiung noch erscheinen könnte, ist ebenso unmöglich, als daß der Himmel einfallen könnte, du darfst auf ihn also nicht hoffen.

Und was wird mein Schicksal sein? fragte Harry.

Ich war eigentlich gekommen, um es dir zu sagen, es ist aber noch Zeit genug dazu. Das beste für dich wird sein, wenn du mit dieser Frage nicht allzusehr drängst.

Ich will es aber wissen.

Gut, dann sollst du es auch wissen. Wie ich glaube, kamst du nach Kalifornien, den Versuch zu machen, Charley Wangman, den Goldkönig, aufzufinden.

Daß dem so ist, ist dir wohl bekannt.

Und sein Leben zu retten, wenn dies in Gefahr war.

Natürlich, das war ein Teil unseres Programms.

Und diesen Teil jetzt auszuführen, ist unsere Absicht. Du sollst das Leben Charley Wangmans retten und wenn du so ängstlich darauf bedacht bist, zu erfahren, in welcher Weise dies geschehen soll, dann stehe auf und folge mir.

Harry erhob sich mühsam auf die Füße. Thomas schritt nach der Bretterwand voran, berührte einen Knopf in derselben und sofort bewegte sich eine Füllung der Bretterwand seitwärts, so daß nun eine Öffnung entstand.

Folge mir, Skott, sagte er, und halte dich dicht hinter mir, fürchte dich auch nicht vor dem, was du sehen wirst. Deine Todesstunde ist noch nicht gekommen und du wirst auch rechtzeitig benachrichtigt werden, wenn es so weit ist, das verspreche ich dir!

Harry folgte ihm durch einen Gang, der etwa ein halbes Dutzend Treppenstufen hinabführte und dann wieder durch eine geheime Tür ging.

Diese brachte ihn dann in einen so sonderbar ausgestatteten Raum, wie er noch niemals einen solchen gesehen hatte.

Es war ein langes, schmales Zimmer, das von farbigen Lampen, welche von der Decke herabhingen, erleuchtet wurde.

Der Fußboden bestand aus sehr künstlichem, in allen Farben gearbeiteten Mosaik und stellte die verschiedensten Bilder dar: Menschen, Tiere, Häuser, Bäume usw. konnte man überall erblicken, was sie aber bedeuteten, war nicht so leicht zu erkennen.

Die Decke war mit Freskomalereien bedeckt. Sonne, Mond, Sterne, Kometen waren hier vertreten, während eine große Schlange sich zwischen ihnen hindurchwand.

Das Tier war in den verschiedensten schillernden Farben gemalt, welche von jedem Standpunkt aus, den das Auge einnahm, in einem anderen Glanze erschienen.

Am Ende des Zimmers hing ein großer golddurchwirkter Teppich, hinter welchem sich einige Stufen erhoben und eine lange dicke Stange aufgerichtet war, deren Spitze sich oben in der Decke in eine Öffnung verlor.

Hinter diesem Pfahl stand ein kleiner chinesischer Götzentempel, überall mit kleinen vergoldeten Glöcklein behangen, dies war aber auch das einzige, was hier zu sehen war.

Vor dem Tempel befand sich ein kleiner Altar, auf welchen allerlei Gegenstände, manche von sonderbarer Gestalt, niedergelegt waren, gerade so, wie sie der alte Detektiv auf dem Altar in der Höhle gesehen hatte.

Unter ihnen befanden sich auch einige zinnerne Teller, die chinesische Goldmünzen aufzuweisen hatten, dann Kupfermünzen, die in der Mitte mit einem Loch versehen waren, ebenso auch etwas Reis, Tee usw. Desgleichen fanden sich allerlei Figuren, welche Menschen, Tiere, besonders aber Schlangen darstellten, die an Pfählen hinaufkletterten, dieselben Gegenstände, die der alte Detektiv auch in der Höhle gesehen.

Rings an den Wänden dieses sonderbaren Tempels herum lagen hölzerne Rahmen, welche mit seidenen Kissen ausgefüllt waren, auf denen Chinesen ausgestreckt lagen, die fast gänzlich unbekleidet waren.

An der Seite jedes dieser Menschen stand die Einrichtung für den Genuß des Opiums und jeder durfte nur zugreifen.

Diese Art des Opiumgenusses war allerdings für Harry eine neue Einrichtung, aber der schon krankmachende Geruch des tödlichen Giftes, mit dem er so bekannt war, verriet ihm die ganze Geschichte. Ein Götzentempel mochte es wohl sein, es war aber auch ebensowohl eine Opiumhölle.

Ben Thomas schritt bis zu einer Stelle vor, wo eine einzelne Person in einem tiefen Schlaf lag.

Es war ein junger Mann, dessen ganze Erscheinung aber wenig Ähnlichkeit mit einem Chinesen aufzuweisen hatte.

So, Skott, jetzt sind wir an Ort und Stelle, sagte Thomas, du wolltest Charley Wangman sehen und hier siehst du ihn. Nun hast du deinen Mann zuletzt also doch noch angetroffen.


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