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Helmut saß zu Haus am Schreibtisch über seinen Kollegheften beim traulichen Schein der Lampe. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und herein stürmte Heinz, so ungestüm, daß Helmut sich befremdet nach ihm umsah.
»Nanu? Was hast du denn?« fragte Helmut erstaunt den Freund.
Mit einem Ruck riß Heinz sich Mütze und Band ab und schleuderte sie vor sich auf den Tisch. »Da liegen sie!« und die Hände in den Hosentaschen vergrabend, warf er sich krachend in den Stuhl, die Beine weit vorstreckend und übereinanderschlagend.
»Ja, aber Heinz, was ist denn nur?« Besorgt sprang Helmut auf und trat zu dem Freunde, ihm teilnahmsvoll beide Hände auf die Schultern legend und in sein finster verzerrtes Gesicht schauend.
»Aus ist's, aus mit der ganzen Herrlichkeit – Fuimus Troes! – ich bin die längste Zeit Alane gewesen.« Mit erzwungener Gleichgültigkeit pfiff Heinz laut einen Gassenhauer vor sich hin, um symbolisch anzudeuten, daß er auf die ganze Geschichte pfeife.
»Ja, aber was ist denn los? Was ist denn geschehen?« forschte Helmut weiter.
»Geschehen?« stieß mit bitterem Hohne Heinz hervor, »nun, nichts weiter, als daß ein hochwohllöblicher Konvent es für gut befunden hat, das Benehmen Doblers gut zu heißen und mich obendrein noch auf vier Wochen aus der Couleur hinauszuwerfen, nichts weiter! So – nun weißt du es!« Und erregt wieder in die Höhe fahrend, sprang Heinz empor und begann wild im Zimmer auf und ab zu stürmen.
Einen Augenblick blieb Helmut still, dann aber wandte er sich wieder dem Freunde zu: »Die Strafe ist ja allerdings hart, aber – nimm es mir nicht übel, Heinz – auch dein Vergehen ist für einen Couleurstudenten kein geringes gewesen.«
»So?« fuhr Heinz, vor dem Freunde stehen bleibend, gereizt zu diesem herum, »und das sagst du mir? Stimmst also auch noch mit ein in den Chorus der Sittenrichter? Ich hätte wahrhaftig etwas Besseres um dich verdient!« Und mit bitterem Ausdruck wandte sich Heinz wieder ab, sich grollend an das Fenster stellend.
»Wieso, Heinz? Wie meinst du das?« Der Freund schwieg still. »Aber bitte, so sag mir doch wirklich, was du meinst, – ich verstehe dich ja sonst beim besten Willen nicht! Du erzähltest mir ja gestern, daß dich Dobler unter die Fuchtel genommen hat, daß du dir es aber hast nicht gefallen lassen. Was das aber mit mir zu tun hat –?«
»Nun, damit du es weißt,« langsam wandte sich Heinz herum – »ich habe es dir bisher, um dich nicht zu kränken, verheimlichen wollen; aber nun sollst du es auch wissen, damit du die ganze Sache im richtigen Lichte zu sehen lernst. Der Ausgangspunkt der ganzen Geschichte war nichts anderes, als ein schlankes Verbot meines verehrungswürdigen Couleurbruders Dobler, mit dir weiterhin zu verkehren!«
Helmut zuckte zusammen. »Und warum das?« In heftiger Bewegung, aber doch beherrscht, stieß er es hervor.
»Weil es für einen Couleurstudenten nicht ziemlich sei, mit einem Finken vertraulicheren Umgang zu pflegen.«
»Ach so!« Ein bitterer Zug erschien um Helmuts Mundwinkel.
»Ich habe ihm natürlich entsprechend darauf gedient und ihm erklärt, daß ich mir für meinen Umgang keine Vorschriften machen lasse. Siehst du – so kam die Sache, und nun hack du auch noch auf mich ein, wenn du Lust hast.« Mit wieder neu ausbrechendem Groll ging Heinz an dem Freund vorüber und begann seine erregte Wanderung in dem Zimmer wieder aufzunehmen.
Einen Augenblick blieb Helmut am Fenster stehen, den Kopf gesenkt und, eine tiefe Falte auf der Stirne, vor sich hinsinnend. Sollte er das auf sich sitzen lassen? Es brannte ihn in allen Fibern, hinzustürmen zu jenem hochmütigen Patron, und ihm ins Gesicht zu sagen, daß er auch als nicht farbentragender Student beanspruche, genau so voll angesehen und geachtet zu werden, wie jeder Kommilitone in der bunten Mütze!
Aber bald kam Helmut zu ruhigerer Auffassung. Was hätte es auch für einen Sinn gehabt, einem Menschen, der von Anschauungen sich leiten ließ wie Dobler, das zu sagen? Außerdem wäre es unter seiner Würde gewesen, sich noch mit ihm auseinanderzusetzen. Dem Wert seiner Person, seiner Ehre konnte ein Mensch wie jener nicht Abbruch tun, – er blieb, wer er war, hundertmal, auch gegen die Ansichten aller von der Gesinnung des Herrn Dobler! Selbstverständlich würde er aber niemals wieder in den Kreis der Alanen mit einem Fuße treten! Und so schritt denn Helmut auf den immer noch finster grollend umherwandernden Freund zu und legte herzlich seinen Arm um dessen Schulter.
»Heinz,« er ergriff nun die Hand des Freundes, »ich danke dir von ganzem Herzen, daß du dich meiner so wacker angenommen hast; ich bedaure wirklich aufrichtig, daß du dir meinetwegen die ganze Suppe eingebrockt hast. Es ist mir das ein Beweis von Freundschaft, auf den ich stolz bin.« Kräftig drückte er Heinzens Hand. »Aber wenn ich ganz ehrlich sein darf, Heinz – nicht wahr, du nimmst es mir nicht übel? – so muß ich dir doch offen sagen: so gut es gemeint war, dein Benehmen gegen Dobler war nicht richtig!«
»Was?« wollte Heinz von neuem erregt auffahren, aber Helmut drückte ihn beschwichtigend an sich. »Wirklich, Heinz, du mußt die Sache einmal ganz leidenschaftslos, ganz objektiv betrachten: du bist doch nun einmal Couleurstudent, bist es aus freien Stücken geworden und hast doch damit die Verpflichtung übernommen, dich all den Anschauungen zu unterwerfen, die in diesen Kreisen Geltung haben. Das oberste Gesetz des Couleurstudenten ist doch die Couleurdisziplin, der unbedingte Gehorsam gegen die Übergeordneten, wie es nach dem Comment einmal der ältere Bursch ist. Es ist genau so wie beim Militär: der Untergebene hat zu gehorchen, auch wenn ihm zehnmal unrecht geschieht! Stillschweigend hat er zu tun, was ihm geheißen, und wenn er glaubt, daß ihm unrecht geschieht, so darf er sich nicht selbst verantworten, sich womöglich gar auf eigene Faust sein Recht verschaffen wollen, sondern er muß den vorgeschriebenen Weg der Beschwerde beschreiten. Siehst du, Heinz, – das war der Fehler, daß du dich in trotziger Weise sofort gegen Dobler auflehntest, anstatt zunächst stillzuschweigen und mit Hilfe deines Leibburschen beim Konvent dein Recht gegen Dobler zu holen. Ich bin fest überzeugt, daß, wenn du diesen Weg beschritten hättest, du unbedingt auch zu deinem Recht gekommen wärest.«
Heinz schwieg, aber er mußte doch den Gedanken nachgehen, die da eben Helmuts Worte in ihm angeregt hatten. Im tiefsten Herzen hatte ihm eine leise Stimme schon selbst ähnliches zugerufen, aber in seinem wilden Trotz hatte er sich bisher dagegen gesträubt. Nun aber, wo ihm ein anderer, ein gänzlich Unbefangener, der es zudem herzlich wohl mit ihm meinte, dasselbe sagte, drängte sich ihm doch allmählich die Überzeugung auf, daß auch sein Benehmen nicht ein richtiges gewesen sei.
Jetzt war Heinz freilich noch viel zu erregt, um dem Freunde dies sofort einzugestehen; er machte sich vielmehr von Helmut los und immer noch unmutig sagte er. »Mag sein, daß auch ich nicht korrekt gehandelt habe; dann war es aber einfach sozusagen eine Notwehr gegenüber den Angriffen Doblers, und meine Schuld hätte zum mindesten gegen die seine aufgewogen werden sollen. Aber daß man jetzt mich allein mit der Strafe trifft, und dazu noch in solcher Weise – nein, das geht über meine Begriffe!« Und heftig schritt er aus dem Zimmer hinaus, in seine Schlafstube tretend, deren Tür er laut hinter sich schloß.
Helmut war klug genug, dem Erregten jetzt nicht mehr nachzugehen, sondern überließ ihn ruhig sich selbst. Er kannte Heinz ja genügend, um zu wissen, daß er solche inneren Konflikte am besten mit sich selber auskämpfte; so kam er am ehesten wieder zur Besinnung, während bei seinem leicht reizbaren Wesen selbst das freundlichste Zureden oft nur eine verstärkte Erregung erzeugte.
Und Helmut hatte recht, denn über Nacht kämpfte sich Heinz selber zu der Auffassung des Freundes durch. Am nächsten Morgen erklärte er diesem, daß er sich die Sache überlegt habe; er sei nun bereit, die Strafe, die über ihn verhängt wurde, hinzunehmen. Seine Beziehungen zu Herrn Dobler werde er allerdings in Zukunft nur auf das Formellste beschränken.