Christian Dietrich Grabbe
Napoleon oder die hundert Tage
Christian Dietrich Grabbe

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Zweiter Aufzug

Erste Szene

Paris im Jardin des Plantes.

Ein alter Gärtner und seine Nichte treten auf.

Der alte Gärtner. Nicht so wild Kind, nicht gesprungen, – hier ging einst Buffon sehr ruhig und ordnete sein System.

Die Nichte. Onkel, Onkel, welch ein Morgen! Wie durchschimmert ihn die Frühlingssonne! Eintrinken möcht' ich ihn!

Der alte Gärtner. Du Wilde, sieh nach den Bäumen – Haben Weide und Kastanie schon Knospen?

Die Nichte. Ja! alle, alle, und die Silberpappeln knospen dazu Oh,

ça ira, ça ira.

Der alte Gärtner. Nichte, das sag' ich dir ernstlich, tu' was du willst, aber singe mir keine politischen Lieder.

Die Nichte. Ça ira? politisch? Ich meinte, bald geht's los, und die Blumen brechen aus.

Der alte Gärtner. Wir können die Fenster von den Beeten nehmen – Ah, wie richten sich schon die Gräser auf. Hier Phalaris canariensis.

Die Nichte. Welch ein weitläufiger Name für ein so kleines, zierliches Ding. – Man möchte die Gräschen ausreißen und küssen, so allerliebst stehen sie da.

Der alte Gärtner. Die Kanone der Sternwarte donnert schon die zehnte Stunde an. Wir müssen fleißig sein, wollen wir vor Mittag noch etwas beschicken.

Die Nichte. Etwas beschicken? – Das überlaß heute den Leuten ringsum in der staubigen Stadt – Wir wollen hier das frische Grün genießen. – – Die schöne Kokosblüte in jenem Gewächshause nehm' ich mir zum Stickmuster.

Der alte Gärtner. Stickmuster, ja – Seit einem Jahre denkst du bei jeder Blume an Putz, Stickmuster und den unseligen Pierre. Ich glaube, du hingest ihm den ganzen Gartenflor um den Hals, deines Onkels Herz dazu.

Die Nichte. Mein Herz gern, deines nicht, Onkel. In deiner Brust, die für meine Mutter und mich so treu sorgte, säß' es doch besser als an seinem Halse. – Aber, wahr ist wahr, und schön ist schön, und gut ist gut: wahr, schön und gut ist er.

Der alte Gärtner. Er stört mich hier, und der Oberintendant des Gartens hat es schon übel genommen, daß ich ihn einlasse. Er ist ein Bonapartist oder gar ein Revolutionär.

Die Nichte. Wäre Pierre das (ich weiß wahrhaftig nicht, ob er es ist, denn auf sein politisches Geschwatz acht' ich so wenig wie der schlafende Müller auf das rauschende Rad), so müßten die Bonapartisten und Revolutionäre herrliche Leute sein.

Der alte Gärtner. Kind, Kind, ehre mir die Bourbons, unsere Herren.

Die Nichte. Vor einem Jahre mußt' ich ja das erste Kapitel des kaiserlichen Katechismus auswendig lernen, und Napoleon anbeten. Weißt du, wie du mir drohtest, als ich bei dem Aufsagen stotterte?

Der alte Gärtner. Vor einem Jahre, Kind! – Jetzt schreiben wir 1815.

Die Nichte. So – 1814 und 1815, das ist der Unterschied, – Es geht wohl mit den Herrschern, wie mit den Blumen, – jedes Jahr neue. – Ach, sieh' da meine wieder grünende Ulme!

Der alte Gärtner. Der König Ludwig der Achtzehnte gibt mir mein Brot, – und da kommt der verwünschte Pierre mit Damen –

Die Nichte. Damen? Was? Ha, der –

Der alte Gärtner. Damen der Halle.

Die Nichte. So – die machen mich nicht eifersüchtig.

(Pierre und Damen der Halle.)

Pierre. Elise, meine Elise! – Und alle Lilien ausgerottet, mein Vater!

Der alte Gärtner. Warum?

Pierre. Der König wird fortgejagt, – Napoleon kommt wieder.

Die Damen der Halle. Die Lilien weg! Die Lilien weg!

Der alte Gärtner. Stille, stille – Vor dem Garten stehen Gensd'armes, die dieses hören möchten.

Die Damen der Halle. Weg Gensd'armes und Lilien!

Der alte Gärtner. Meine Damen verwechseln sie nicht das Reich der Natur mit dem Reiche der Bourbons, nicht blühende Lilien mit gemalten.

Die Damen der Halle. Gut gesagt!

Der alte Gärtner. Bedenken Sie, daß dort die Büste Linnés steht. Auch Buff –

Eine Dame der Halle. Linné, was war der?

Eine andere. Ein herrlicher Mann, Madame. Erst Schusterjunge in Lyon, dann Fürst von Pommern, Schweden und den Haidschnucken, und immer dabei ein eifriger Republikaner und Beschützer des botanischen Gartens.

Die Damen der Halle. Behalte deine Blumen, Gärtner. Hoch lebe der Fürst Linné! (Die Damen der Halle ab.)

Der alte Gärtner. Mir wirbelt der Kopf: – Linné ein Schusterjunge, dann Fürst, Republikaner, und das alles so sicher gesagt. – Ich will sie eines Besseren belehren – Linné war –

Pierre. Still! – Rufe sie nicht zurück. Ich selbst mußte sie wider Willen hieherführen. Gott weiß, was ihnen einmal vom Linné in den Ohren geklungen hat, und was klingt, glauben sie, und erzählen es noch schallender wieder. – – Elise, schmollst du?

Die Nichte. Revolutionsmensch –

Pierre. Das verstehst du nicht. – Geliebte –

Die Nichte. Und das »Geliebte« verstehst du nicht. – Ha, da die weißen Kirschblüten – sitzen sie nicht am Baume wie junge Lämmer, die am grünen Berge klettern? – Wie schön!

Pierre. In deinem Auge blitzen sie schöner. – Napoleon soll jetzt, wie man munkelt –

Die Nichte. Folge mir unter den Kirschbaum.

Zweite Szene

Paris. Unter den Arkaden des Palais Royal.

Vieles Volk, Bürger, Offiziere, Soldaten usw., etwa wie in der ersten Szene des ersten Aufzuges.

Vitry. Bist satt, Chassecoeur?

Chassecoeur. Ja, von überreifen, übersüßen Kartoffeln.

Vitry. Sollen wir zur Seelenmesse, welche die Madame über den Gebeinen ihres Vaters halten läßt?

Chassecoeur. Lieber zur Hölle. – Madame ist sehr gnädig. Wenn die Gebeine, für welche sie jetzt betet, nicht eher einem Schreckensmann angehören, als dem längst in Kalk vermoderten Capet, bin ich verflucht.

Vitry. Gönn' ihr die Knochen. Fleisch ist nicht daran.

Advocat Duchesne (kommt). Was Neues!

Vitry. Das Neue ist heutzutag was Altes.

Die alte Putzhändlerin. An meinen Tisch, Herr!

Vitry. Immer die Politik am Putztische.

Duchesne. Wieder tolle Streiche! – Die Emigranten werden entschädigt.

Vitry. Wofür?

Duchesne. Dafür, daß sie zur Zeit der Not wegliefen.

Vitry. Wovon entschädigt?

Duchesne. Von dem Gelde und Blute der Nation.

Vitry. Chassecoeur, wir wollen künftig auch weglaufen.

Chassecoeur. Oh!

Vitry. Alter Junge, ärgere dich nicht zu arg. Aus dem jetzigen Spaß wird einmal wieder Ernst.

Duchesne. Die Ultras machen die offenbarsten Schritte, die Konstitution umzustürzen.

Vitry. Ist sie ihnen noch nicht schlecht genug?

Duchesne. Die Angoulême läßt die Jesuiten zurückrufen.

Vitry. Wir jagen sie wieder fort.

Duchesne. In Nîmes ermordet man schon die Protestanten, und niemand wehrt.

Vitry. Freund, daran zweifle ich: sie genießen des Schutzes unseres legitimen Herrschers.

Chassecoeur. Teufel, was ist denn legitim?

Vitry. Das, was alt ist.

Chassecoeur. Wie alt?

Vitry. Weiß nicht genau.

Savoyardenknabe (mit dem Murmeltier und Dudelsack).

La marmotte, la marmotte etc.

Chassecoeur. Der verdammte Junge mit seiner Bettelei. Man kann nichts vor seinem Singsang hören.

Vitry. Laß ihn. Murmeltiere sind vermutlich legitim. Wenigstens waren sie schon unter Heinrich dem Vierten in Paris.

Louise. O mein Philipp!

Vitry. Bitte, Kind, nicht zu nahe, – mit Vorsicht.

Louise. Wie, du kennst mich nicht mehr? hast du mich nicht geliebt?

Vitry. Kenn' ich jedes Sousstück, das mir durch die Hand gegangen ist? Ebenso wenig jedes Mädchen, das ich geliebt habe.

Louise. Ach, Philipp, unter den Fahnen der großen Armee schwurst du mir Treue.

Vitry. Auf wie lange?

Louise. Auf ewig.

Vitry. Das bedeutet seit dreißig Jahren soviel als gar nichts. Fahre wohl, Geliebte.

Louise. Ha, du –

Vitry. Geschwiegen, Mademoiselle, geschwiegen, sag' ich, hier kommen Zeitungen.

Duchesne. Was gibt es, Zeitungsverbreiter?

Zeitungsausrufer. Sie sprechen!

Duchesne. Wer?

Zeitungsausrufer. Die beiden Felsen im Meere!

Vitry. Welche Zeit! Die Steine reden!

Zeitungsausrufer. Carnot, Fouché – hier ihre Memoiren im Auszuge in den Zeitungen, – sie haben dem Könige die Wahrheit gesagt, ihm die Albernheiten der Restaurationsminister so deutlich vorgerückt, als wir sie uns hier sagen

Vitry. Ach, das hilft nicht viel, denn gut sagen ist leichter als recht hören.

Duchesne. Her, her die Zeitungen! Ich muß sie selbst sehen!

Volk. Wir wollen sie auch sehen! Her, her damit!

Zeitungsausrufer. Da habt ihr sie! (Er wirft die Zeitungen in die Luft. )

Duchesne (ergreift, wie viele andere, ein Blatt und liest). Ha – Oh – Richtig – Juchhe – schändlich – Wie wahr – Ja, anders, anders muß es werden, – Blut und Tod! – Gut, gut. – Herrlich! – Auf Elba rührt sich's allmählich – Im Pflanzengarten ist auch Lärm gewesen – Gut, gut, je schlechter, so besser – Das Korn gibt erst Mehl, wenn es zermalmt ist – Adieu, meine Herren, – ich muß zu Freunden. (Ab.)

Vitry. Was ist dir? Was treibst du mit den Armen?

Chassecoeur. »Auf Elba rührt sich's allmählich« – Ich schwinge in Gedanken den Säbel!

Vitry. Wo ist Louise? Fort? – Nein, sieh: ein junger Engländer entführt mir ihre Reize. Wohl bekomm's, Mylord!

Dritte Szene

Paris. Tuilerien. Saal der Herzogin von Angoulême.

Die Herzogin von Angoulême, und ihre Dame d'Atour, die Gräfin von Choisy.

Herzogin von Angoulême. Liebe Choisy, lies mir etwas vor. Mir schmerzt der Kopf.

Gräfin von Choisy. Gern, königliche Hoheit. – Soll ich etwas neu Erschienenes lesen?

Herzogin von Angoulême. Tu' es. Nur keine Zeitungen. – Was das für ein öder, trüber Nachmittag ist, – selbst die heilige Messe erfreute mich nicht.

Gräfin von Choisy. Hier ist ein Gedicht vom Herrn C-n, einem der neuen Poeten.

Herzogin von Angoulême. Lies den Seneca oder den C-n. Mir ist's eins.

Gräfin von Choisy. Ich lese, Hoheit. (Sie liest:)

»Es steht der Sultaninnen Erste
Am Fenster ihres Marmorschlosses.
O welche wohlgefügte Marmorquadern,
Wie schimmern sie selbst durch die Nacht!
O welche Rosen blühen in dem Zimmer,
O welche Ambradüfte hauchen da!
Doch was sind Marmorquadern, Rosen, Ambra,
Wenn die Gestalt der Sultanin, mit
Den prächtigen Schultern, blendend weiß,
Als wäre frischer Schnee darauf gefallen,
Mit ihren Lippen, dunkelrot,
Als wehten Flammen dir entgegen,
Mit ihrem Liebesflüstern, wundersüß,
Als hauchte Duft aus Edens Pforten,
Darunter steht in ihrer Schöne!
Die Diener und die Dienerinnen
Erwarten knieend ihre Worte,
Der Sultan selbst vergißt das Reichsschwert,
Harrt in dem Hintergrunde liebeseufzend,
Und schwelgt in ihres Nackens Anschaun.
Sie blickt hinaus: vor ihren Augen steigt
Das Heer der Sterne freudetrunken auf,
Der Bosporus jauchzt auf mit seinen Wogen,
Die große Stambul ahnet ihre Nähe
Und bebt vor wonnigem Gefühle,
Die Küsten Asias und Europas schmeicheln
Zu den Sandalen ihres zarten Fußes,
Sie blickt zurück, – sie faßt ihr Herz –«

Herzogin von Angoulême. Wie sinkt die Poesie. Auch in ihr Revolution. Was für falsche Verse!

Gräfin von Choisy. Wer hat denn den Versen das Gesetz gegeben, daß sie gerade sein müssen, wie die des Racine oder eines anderen Klassikers?

Herzogin von Angoulême. Auch du eine Empörerin, Choisy? Die Welt ist überreif. – Lies das Ende des Gedichtes.

Gräfin von Choisy. Es ist kurz: (Sie liest.)

»Und sie seufzt!« –

Herzogin von Angoulême. Und sie seufzt – – Ja, das mag wahr sein, ungeachtet des zu kurzen Verses.

Gräfin von Choisy. Jesu, Maria, wenn Er gelandet wäre!

Herzogin von Angoulême. Wie kommst du auf den Gedanken?

Gräfin von Choisy. Königliche Hoheit, der Gedanke kommt über mich.

Herzogin von Angoulême. Unsere Staatsmänner werden Ihn vor der Landung zu behüten wissen. – Aber die Brust ist auch mir überschwer. – Ich gehe zu meinem Oheim.

(Beide ab.)

Vierte Szene

Paris. Tuilerien. Die Zimmer des Königs.

König Ludwig, der Herzog von Angoulême, der Herzog von Berry.

König Ludwig. Recht abscheulich – abscheulich, da liegen die Broschüren von Carnot und Fouché. Beide verteidigen, jeder auf seine eigentümliche, tückische Weise, die sogenannten Rechte der Königsmörder und der Revolution, und beschimpfen meine Maßregeln und die meiner treuen Minister.

Herzog von Angoulême. Ich mag die Papiere nicht anfassen.

Herzog von Berry. Hängt die Kerle!

Oberzeremonienmeister (tritt ein). Die Herrn Blacas d'Aulps und d'Ambray.

König Ludwig. Mir willkommen.

(Oberzeremonienmeister ab; Blacas d'Aulps und d'Ambray treten ein.)

D'Ambray. Sire, der gute Marquis von Brandenburg will Sachsen haben.

Blacas d'Aulps. Und Rußland greift nach Polen.

König Ludwig. Gönnet ihnen das.

Blacas d'Aulps. Mit Erlaubnis, Sire: mit Polen mag es so werden, aber Sachsen ist ein uraltes Haus. Wir hatten Dauphinen aus ihm.

D'Ambray. Und, Sire, ein Teil unseres europäischen Einflusses beruht auf der fortdauernden Zerstücktheit Deutschlands – Wir dürfen da keine Macht zu sehr anwachsen lassen. – Auch Talleyrand denkt so, und hat schon protestiert.

König Ludwig. Talleyrand? Ich gebe nach. – Er trifft stets das Rechte.

Blacas d'Aulps. Zugleich warnt er vor Elba.

Herzog von Berry. Elba, immer und ewig Elba! Laßt doch den Namen verbieten! – Was will denn Elba? – Wir besitzen Frankreich.

D'Ambray. Verzeihen Eure Königliche Hoheit: Bonaparte soll mit Murat konspirieren.

Herzog von Berry. Und das?

D'Ambray. Ist lächerlich. Aber einige Vorsicht ist auch nicht ganz unnütz.

Herzog von Berry. Lieber d'Ambray, Vorsicht! – Bei zwei simplen Glückskindern! – Murat ist ein Narr, Bonaparte nicht viel Besseres, – darum figurierten sie unter dem Pöbel einige Jahre als große Hanswürste – Gottlob, die Zeit ist vorbei.

Oberzeremonienmeister (tritt auf). Seine Königliche Hoheit Monsieur.

König Ludwig. Er komme.

(Oberzeremonienmeister ab. Monsieur kommt.)

Woher Bruder?

Monsieur. Von der Jagd und der Messe. Manches Wildpret hab' ich geschossen.

König Ludwig. Wenn wir es schmausen, wollen wir der trefflichen Hand denken, die es schoß.

Monsieur. Sire, ich bin müde und kann am Abendessen nicht teilnehmen. Ich bitte, mich entfernen zu dürfen, nachdem ich Ihnen hiermit meine Aufwartung gemacht. Das Wildpret ist schon in den Küchen. – – Apropos, was fällt mir doch ein? – Ja, eben hör' ich, Bonaparte ist gelandet bei Toulon.

König Ludwig. Wie?

Monsieur. Es ist so. Der Mensch scheint durchaus sich verderben zu wollen. – Sire und Bruder, ich küsse Ihnen die Hand. Schlafen Sie gut, meine Herren. (Ab.)

König Ludwig. Blacas, d'Ambray? Hörten Sie?

Blacas d'Aulps. Monsieur sagt's. Es wird wahr sein.

D'Ambray. Der Präfekt Toulons muß ihn arretieren, kurz verhören, und sofort erschießen lassen.

Herzog von Berry. Wie dumm sind die Schurken! Wagt der Kronendieb an der Küste eines Volkes zu landen, welches er jahrelang tyrannisierte, – welches gegen ihn nur erbittert, gegen uns nur dankbar ist.

König Ludwig. Ich dächte doch, Berry, du zögest deine Haustruppen zusammen.

Herzog von Berry. Wie Sie befehlen, Sire. Sollte den Verwegenen aber nicht schon irgendein Dorfmaire erwischt haben?

König Ludwig. Wohl möglich. Doch mache deine Haustruppen immerhin marschfertig.

Herzog von Angoulême. Ach, bekümmern wir uns um den Raufbold nicht.

Oberzeremonienmeister (tritt ein). Ihre Königliche Hoheit, die Herzogin von Angoulême.

König Ludwig. Mir sehr erwünscht.

(Oberzeremonienmeister ab. – Die Herzogin von Angoulême tritt ein.)

Herzogin von Angoulême. Mein König, ich kann nicht eher schlafen, als bis ich deine Hand geküßt.

König Ludwig. Mein Bruder hat heute viel Wildpret geschossen. Ich lade dich und die Prinzen zum Mahl.

Herzogin von Angoulême. Wo ist Monsieur?

König Ludwig. Wohl schon zu Bett. Er war ermüdet.

Herzogin von Angoulême. Darf ich mich mit meinem Gemahl über eine Kleinigkeit –

Herzog von Angoulême. Den Tauberich, Gemahlin, hat Houder erwischt!

Herzogin von Angoulême. – unterhalten?

König Ludwig. Weshalb nicht? – Doch erst noch eins: Bonaparte ist bei Toulon gelandet.

Herzogin von Angoulême. Schütze mich der Heiland! Die Ahnung der Choisy! Gelandet! – Großer Gott, wer litt das? Und ihr steht hier ruhig, König, Angoulême, Berry, Blacas, d'Ambray? Seid ihr Bildsäulen?

König Ludwig. Nun, nun!

Herzog von Angoulême. Gemahlin, nicht so heftig. Du bekommst wieder die Migräne.

Herzogin von Angoulême. Was Migräne – Er –!

Herzog von Berry. Was will er denn mit seinen wenigen Leuten?

Blacas d'Aulps. Königliche Hoheit, ruhig, – lassen Sie es mit der Personnage gut sein.

D'Ambray. Überlassen Sie ihn den Jurys.

Herzogin von Angoulême. Ihn den Jurys? – Menschen, wißt ihr, wer seine Jurys sind? – Die Heere Europas. und kein anderer – O Waffen, Waffen, Waffen! – Sturmglocken geläutet – Alles, alles aufgeboten, in der Kirche wie auf dem Schlachtfelde! – Gelandet – – Weh' mein Herz – – Nun macht Er seine Tigersprünge, wie einst von Ägypten nach Paris, von Eylau nach Madrid, von Madrid nach Wien, nach Moskau – Oh, ich fühle schon seine Krallen!

Herzog von Angoulême. Diener, Diener, sie wird ohnmächtig – kölnisches Wasser –

Blacas d'Aulps. Es wird schon geholt.

Herzogin von Angoulême. Kölnisches Wasser – Französisches Feuer schafft her für euch alle! – Ich bitte, bitte, schickt doch nach dem Telegraphen! – Ach, er wird schon mit Nachricht da sein! –

Der Oberzeremonienmeister (tritt ein). Der Oberdirektor des Telegraphen.

König Ludwig. Komme.

(Oberzeremonienmeister ab. – Der Oberdirektor des Telegraphen kommt.)

Oberdirektor des Telegraphen. Sire, Bonaparte steht seit etwa anderthalb Stunden mit einigen tausend Mann vor Lyon.

Herzog von Berry. Je tiefer im Lande er ist, so eher wird er gefangen.

(Oberdirektor des Telegraphen auf einen Wink des Königs ab.)

Herzogin von Angoulême. Schon vor Lyon! Seit anderthalb Stunden! – So ist er jetzt darin – vielleicht schon diesseits, uns ganz nahe! – Eure Kuriere und telegraphischen Depeschen waren stets langsamer als Er!

König Ludwig. Was raten Sie, meine Herren?

Blacas d'Aulps. Lassen Sie uns, Sire, einige hundert Verdächtige, welche ihn in Lyon und Paris unterstützen könnten, verbannen, und er erlischt von selbst, wie ein Licht ohne Brennstoff.

D'Ambray. Wahrlich, das Beste. Ich will eine Liste solcher Übelgesinnten aufsetzen, und sie zu dem Fuße des Throns legen.

König Ludwig. Tun Sie es – ich werde sie nachsehen und beurteilen. – Indes jetzt den Ney gerufen, Fürsten von – Ich weiß nicht, wie der Mann sonst heißt.

(Blacas d'Aulps geht in den Vorsaal, spricht mit dem Oberzeremonienmeister, und kommt zurück.)

Herzogin von Angoulême. Der Ney, der Ney – Der unsere Zuflucht? – Kleiner und häßlicher ist sie nicht zu finden!

König Ludwig. Er heißt der Brave der Braven, und alle alten Krieger lieben ihn.

Herzogin von Angoulême. Er ist einer der Frechsten unter den Schlechten, und wenn die alten Krieger ihn lieben, müssen wir ihn hassen.

Oberzeremonienmeister (tritt ein). Se. Durchlaucht der Fürst von der Moskwa.

König Ludwig. Er trete ein.

(Oberzeremonienmeister ab.)

Herzogin von Angoulême. O hättet ihr selbst Mut, ihr bedürftet des Elsasser Sergeanten nicht. Auch nicht mit einem Blick werd' ich ihn ansehn, (an das Fenster tretend) lieber dort die Straßen.

Marschall Ney (tritt ein). Sire –

König Ludwig. Mein Marschall –

Ney (für sich). Werden sie höflich? – vermutlich, weil sie etwas von mir wollen. Meine Gemahlin hat mir das stets prophezeit.

König Ludwig. – und mein Vetter –

Ney (für sich). Vetter, Vetter – Hörte das meine Gemahlin – sie jubelte! (Wieder laut, aber verlegen.) Monarch?

Blacas d'Aulps (zu d'Ambray). Wie wenig kennt das Vieh die Etikettensprache des Hofes.

D'Ambray. Wie konnte er in Bonapartes Feldlagern Vernunft lernen?

König Ludwig (zu Ney). Ja, Fürst, – jeder Marschall Frankreichs ist Vetter, und hoffentlich auch Freund des Königs.

Ney. Bis in den Tod, Sire!

Blacas d'Aulps (zu d'Ambray). Wie groß der König ist – mit dem einzigen Worte »Vetter« hat er ihn erobert.

Herzogin von Angoulême. (halb zu Blacas d'Aulps gewendet). Und wie klein der Sergeant ist, daß ihn so ein Wort besticht! Wie schwach wir, daß wir ihn bestechen!

Blacas d'Aulps. Königliche Hoheit, Sie hörten –?

Herzogin von Angoulême. Alles, was Sie und d'Ambray flüsterten. Mein Ohr ist aus Versailles. (Sie tritt wieder an das Fenster.)

König Ludwig. Vetter, der Bonaparte ist bei Toulon gelandet.

Ney (bestürzt). Wie – was? – Es ist eine Erdichtung!

König Ludwig. Nichts weniger. Er ist gelandet, und Sie sollen uns von ihm befreien.

Ney. Ich –? Von ihm? – Im Namen der – im Namen Gottes denn, wenn es sein – wenn es geht.

König Ludwig. Wie sollt' es nicht gehen, wenn der Brave der Braven, dem der Korse seine größten Siege verdankt, einmal gegen ihn ficht? Wir mindestens trauen es Ihnen zu.

Ney. Wirklich, Sire?

König Ludwig. Ich gebe Ihnen die Hand darauf.

Herzogin von Angoulême (für sich). Pfui!

Ney. Das ist zuviel, König, – das verdien' ich nicht. – Offen gesagt, (denn so großer Güte gegenüber kann ich nichts mehr verbergen): ich war nicht der beste Royalist, hatte zwar über den Kaiser mich hart zu beschweren, aber die Kaiserzeit nicht ganz zu vergessen – Sire, ich mach' es wieder gut – weg aus meiner Brust die letzte Erinnerung an Ihn und seine Heerzüge – himmeltief steht er unter Ihnen – – Ja, geben Sie mir Truppen, ich zieh' ihm entgegen, und bring' ihn Ihnen gefangen oder tot! – – Wie konnt' ich so verblendet sein – – Alles, alles an diesem Hofe ist edler, anmutsvoller, erhabener als am buntscheckigen Lager zu St-Cloud!

König Ludwig. So eilen Sie, Vetter, von Familie und Freunden Abschied zu nehmen, denn Ihre Bestallung und meine Befehle folgen Ihnen auf der Ferse.

(Ney entfernt sich.)

Herzogin von Angoulême. Da abermals ein Pröbchen von der Treue und der Kraft des neuen Adels!

Herzog von Berry. Unter dem Ney dien' ich in keinem Fall.

Herzog von Angoulême. Ich auch nicht.

König Ludwig. Ihr behaltet die Haustruppen ausschließlich.

Oberzeremonienmeister (tritt ein). Ein Kurier, Majestät –

König Ludwig. Er komme.

(Oberzeremonienmeister ab.)

Bald werd' ich aber für heute der Audienzen müde.

(Der Kurier tritt auf.)

Woher?

Kurier. Sire, von Wien.

König Ludwig. Ihre Botschaft?

Kurier. Sie ist mündlich und schriftlich.

König Ludwig. Die mündliche?

Kurier. Murat greift die Österreicher an –

Herzogin von Angoulême (wendet sich vom Fenster). Ha, klaffen bereits seine Hunde um Ihn?

Kurier. Bonaparte ist in die Acht erklärt –

König Ludwig. Recht von dem Kongresse. – Talleyrand?

Kurier. Ist heiter.

König Ludwig. Das ist ein gutes Zeichen. – Der Kongreß selbst?

Kurier. Ist bei der Nachricht von Bonapartes Landung auseinandergeflogen.

König Ludwig. Himmel, was?

Kurier. Ich selbst sah die Tausende der Adjutanten und Stallbedienten reiten, als Kaleschen hinter Kaleschen, der Kaiser von Rußland und der König von Preußen mit den Ihrigen unter ihnen, aus dem Tor fuhren.

Herzog von Berry. Die schwachen Menschen. Fliehen vor einem Abenteurer.

Herzogin von Angoulême. Kanntest du den Abenteurer bei Austerlitz und bei Jena?

Herzog von Berry. Nein.

Herzogin von Angoulême. Da lernten ihn die beiden Herrscher kennen.

Herzog von Berry. Ihn nicht, wohl aber sein Glück.

König Ludwig (zu dem Kurier). Ihre Schriften –

(Der Kurier übergibt sie ihm.)

Sie selbst sind bis auf weiteres entlassen.

(Kurier ab.)

Talleyrand schreibt, er sei besorgter, als er in seinen Mienen merken lassen dürfe. Die Landung von Elba würde zum Weltereignis, erdrückten wir es nicht im Keim.

Herzog von Berry. Bonaparte ist toll, Talleyrand ist toll! Das ist alles!

Herzogin von Angoulême. Talleyrand toll? Ich weiß nicht. Doch Bonaparte, der das wirklich tut, was Talleyrand oft heucheln soll, der kein Auge aufschlägt, keinen Schritt macht, ohne berechnet zu haben, wohin er blickt, wohin er tritt? – Schlecht ist er, ja oft klein pfiffig, – aber toll? So möcht' ich hören, was klug ist.

König Ludwig. Halt' ihn nicht für zu gefährlich.

Herzogin von Angoulême. Er ist gefährlich. Frage nach bei Jakobinern und Royalisten, frage nach an den plötzlich von ihm geraubten Küsten Ägyptens oder der Nordsee, frage nach an den Mauern von Danzig und Sarragossa – Wie die stilldunkle Wetternacht ist er – Erst wenn du getroffen bist, merkst du: es hat geblitzt. – Sieh, unterm Busen bricht mir die mit Lilien geschmückte Goldspange jach auseinander – Auch das kommt unerwartet, aus Angst vor Ihm – – Ist selbst diese Kleinigkeit nicht bedeutend?

Oberzeremonienmeister (tritt ein). Sire, das Nef ist aufgesetzt.

König Ludwig. So laßt uns speisen.

(Oberzeremonienmeister ab.)

Herzogin von Angoulême (für sich). Jetzt speisen! Welch unverwüstlicher Appetit! – (Laut.) Majestät, darf ich eines bitten?

König Ludwig. Fodre.

Herzogin von Angoulême. Laßt sofort meinen Gemahl nach der Gegend von Lyon eilen, Berry ihn mit einem Teil der Haustruppen begleiten. Vielleicht treibt der Anblick der königlichen Prinzen den Empörern die Schamröte, falls sie davon etwas haben, in das Gesicht. Ich selbst bitte um Urlaub nach meiner treuen Stadt Bordeaux. Diese Perle an der See soll er mir ohne Kampf nicht nehmen.

König Ludwig. Du verlangst viel. Doch halb und halb hab' ich Gewährung versprochen – – Wenn die Prinzen nichts erinnern?

Herzog von Angoulême. Ich bin konform mit meiner Gemahlin, Sire. (Für sich.) Unangenehme Reise. Das Wetter wird seit Mittag auch schlecht.

Herzog von Berry. Den Spazierritt nach Lyon mach' ich zur Abwechslung mit.

König Ludwig. Aber heute laßt uns erst von dem Wildpret Monsieurs kosten.

Herzogin von Angoulême. Sire, ich komme mir selbst wie ein gehetztes Wild vor und mag dergleichen nicht essen. Verschone mich mit dem Mahl – Laß mich noch diese Nacht nach Bordeaux.

König Ludwig. Wünschest du es, so muß ich es bewilligen, so lang auch der kurze Abschied meinem Herzen schmerzen wird.

Herzogin von Angoulême. Ich küsse deine Hand, Sire – – Ach, wo sehen wir uns wieder?

König Ludwig. In Paris.

Herzogin von Angoulême. Und wie?

König Ludwig. Du bist zu furchtsam.

Herzogin von Angoulême. Furchtsam? – Sire, Waffen, Waffen! Waffen!

(Ab. Der König, der Herzog von Angoulême, und der Herzog von Berry ebenfalls.)

Blacas d'Aulps (zu d'Ambray, indem er mit ihm folgt). Die Herzogin behandelt den Vorfall auf die überspannteste Art.

D'Ambray. Es ist eine Dame, Herr Graf, – da hilft nichts – die Damen lassen sich eher alles andere ausreden, als ihre Schwächen.

(Beide auch ab.)

Fünfte Szene

Paris. Grèveplatz, in der Gegend der Laterne.

Zwei Bürger kommen.

Erster Bürger. Das ist eine Nacht!

Zweiter Bürger. Hut in's Gesicht, Mantel enger um die Schultern! – Oben regnet's, unten marschiert Ney mit Truppen aus den Toren. Gott weiß, was das bedeutet!

Erster Bürger. Schade um den Ney. Er war ein anderer Kerl, als er noch unter Napoleon im Feuer stand, und nicht in den bourbonischen Vorhöfen kroch.

Zweiter Bürger. Still – Patrouillen –

Eine Linieninfanterie-Patrouille (kommt). Wer da?

Erster Bürger. Bürger von Paris.

Patrouille. Begeben Sie sich nach Haus, meine Herren, – im Namen des Königs! (Patrouille zieht vorbei.)

Erster Bürger. Freund, was ist das –? – Ha schon wieder eine Patrouille. –

Zweiter Bürger. Gensd'armes zu Pferde.

Ein Gensd'armes. Wer da? Zu Haus Leute, in eure Betten, zu euren Weibern – auf der Stelle –

Erster Bürger. Herr, ihr sprecht als wären wir Sklaven.

Der Gensd'armes. In den Betten ist es wärmer und besser als hier.

Zweiter Bürger. Der Mann hat Recht und Verstand. Komm, Freund. Es wird hier draußen mehr und mehr unheimlich.

Erster Bürger. Nun, wär' auch eine Empörung im Ausbruch, die Nationalgarde, wozu auch wir gehören –

Zweiter Bürger. – und die ihre Offiziere von den Vorstädtern an der Laterne da aufknöpfen läßt, weil sie stets an ihr Vermögen denkt, der Vorstädter an sein Nichts?

Erster Bürger. Wahr, wahr! Zu Haus, zu Haus!

Der Gensd'armes. Noch immer geschwatzt? Tod und Hölle, fort!

(Patrouille und die beiden Bürger ab. Fouché und Carnot begegnen sich von verschiedenen Seiten. Beide sind tief in Mäntel gehüllt.)

Fouché. Ha, du bist es! – Ich schickte zu dir – du warest nicht zu Haus. Hier dacht' ich dich zu finden.

Carnot. Als ich hörte, daß du geschickt hattest, sucht' ich dich auch hier, Otranto – oder, wie ich dich lieber nenne, Fouché.

Gensd'armerie-Patrouille zu Fuß (kommt). Wer hier?

Fouché (zu Carnot). Die Narren will ich anführen. Ich kenne ihre Losung. Sie sollen uns für zwei Mouchards erster Sorte halten. (Zu den Gensd'armes.) Wo ihr Offizier?

Offizier. Da bin ich. (Nachdem ihm Fouché etwas in das Ohr gesagt hat.) Wünsch' Ihnen Glück im Geschäft, meine Herren.

(Die Patrouille zieht weiter.)

Carnot. Hm, bediene dich nicht des Betruges.

Fouché. Muß man es jetzt nicht tun, wenn man unter den Schurken das Gute durchsetzen will?

Carnot. Ha, da –

Fouché. Wie wird dir?

Carnot. Ein unwillkürlicher Schauder ist verzeihlich: bedenke, wo wir stehen, hergerannt vom dunklen Triebe.

Fouché. Die berechtigte Laterne des Grèveplatzes faßt mit ihrem Mörderarm über uns in die Nacht und dort, in der Mitte rasselte die permanente Guillotine, als auch du im Wohlfahrtsausschuß saßest.

Carnot. Da stand sie – das blutige Ungeheuer –

Fouché. Du selbst unterzeichnetest die Todesurteile der Tausende und aber Tausende, welche unter ihr fielen, mit.

Carnot. Eben deshalb bin ich bewegter als du. – Fouché, welche Eichen verloren hier ihre Kronen! Dieser Platz ist der Opferaltar Frankreichs! – Hier sanken Danton, Hérault de Séchelles, Robespierre – auch der König fiel nicht weit von hier.

Fouché. Gereut es dich?

Carnot. Nimmer! Es ging nicht anders. – Was mit den Leuten zu machen, wenn ihre Zeit vorüber war, und ihre Anhänger doch trotzen und rückwirken wollten?

Fouché. Du hast in deinem Memoire gesprochen.

Carnot. Du in dem deinigen. – Wir sind eins, nur unser Ausdruck ist verschieden. Aber sprechen wir auch mit den Zungen aller zweiunddreißig Winde, es hilft nichts. Drum sag' an, was ist zu tun?

Fouché. Die Bourbons müssen fort mit ihrer alten Zeit, sie haben bewiesen, daß sie nichts Neues lernen können, und – erschrick nicht, Republikaner – Bonaparte muß zurück.

Carnot. Bonaparte? Weißt du, was du sagst? Der vertilgte die Freiheit mehr als alle Tyrannen von Valois und Bourbon. Ja, man schelte den Wohlfahrtsausschuß und sein Blutsystem, wie man wolle: seine Ideen waren größer als der Egoismus des Generals Bonaparte.

Fouché. Gewiß. Aber wir bedürfen irgendeines neuen Menschen an der Spitze, und können Napoleon nicht übergehn. Auch ist er nicht mehr der von 1811. Sein Ruhmesglanz war sein Diadem. Im Regen von Leipzig erblich es so ziemlich, und blieb nur so viel Schimmer übrig, als wir gebrauchen mögen, ohne zu fürchten, er blitze uns abermals damit zu Boden. Er werde wieder Kaiser, jedoch kräftig gebändigt mit einer Konstitution.

Carnot. Die zerbricht er auf bekannte Manier, sobald er zwei Schlachten gewonnen hat.

Fouché. Zwei – oder sicherer drei Schlachten soll er nicht auf der Reihe gewinnen.

Carnot. Mensch – ehemaliger Polizeiminister –

Fouché. Sprich den »Polizeiminister« nicht bitter aus. Frankreich besteht ohne solchen keine vier Wochen.

Carnot. Bonaparte kann nicht zurückkommen. Ausgestoßen von aller Welt ist er auf Elba.

Fouché. War!

Carnot. Wie?

Fouché. Was schreiben wir heute?

Carnot. Den siebenzehnten März.

Fouché. Gut, so ist er schon in Auxerre.

Carnot. Raserei!

Fouché. Nein, – lies mein Tagebuch, hier bei dem roten Schein der furchtbaren Laterne, – am dreizehnten reiste er von Lyon ab.

Carnot. Unmöglich!

Fouché. Das Wort kennt Er nicht, oder will es nicht kennen, was auch etwas sagt. – – Siehst du, wie der Telegraph mit Feuerlichtern auch bei Nacht geht? Und weißt du, welche Nachricht er eben empfängt und sie nach allen Ecken an Frankreichs Präfekten und Gouverneure weiterverbreitet?

Carnot. Nein.

Fouché. Wart' einen Augenblick –Da hab' ich den Schlüssel der Chiffre, – er verbreitet: Bonaparte ist diesseits Lyon gefangen, seine Leute sind zersprengt und er ist vor die Assisen gestellt.

Carnot. Das klingt anders als deine Behauptungen.

Fouché. O du unschuldiges, kindliches Genie! – Wär' ich wie du, und kennte bloß die Wissenschaft und die Tugend, nicht aber die Menschen! – – Wisse: in einer Stunde ist halb Frankreich getäuscht, – denn die Telegraphenlinie von Toulon lügt, und das äußerst grob, wie es für den Verstand von Blacas d'Aulps paßt. Wahrscheinlich hat Napoleon, um die Bourbons desto sicherer zu machen, dabei selbst die Hand im Spiel. Wie wäre er über Lyon herausgekommen, hätt' er nicht schon eine Armee um sich, wären nicht Grenoble, nicht alle Truppen zu ihm übergegangen? Noch wenige Tage und er ist in Paris.

Carnot. So mag er regieren. Aber jeder Blutstropfen empört sich bei dem Gedanken, daß er den asiatischen Despoten erneut.

Fouché. Ich wiederhole, das soll er nicht, und wären auch wir beide nur einig. – Folge mir, – ich kenne eine Wirtschaft in St-Martin, wo wir uns unbeachteter sprechen können als auf diesem Platz oder in unsren Hotels.

Carnot. Alleswissender, was machen jetzt die Bourbons?

Fouché. Sehen nach dem Telegraphen und glauben, bis sie fühlen, daß sie irrten. Vielleicht ist auch zu dem letzteren ihr Fell noch zu hart. Möglich, daß sie bald flüchten müssen, und doch wähnen, es sei etwa nichts mehr als eine Promenade. Teufel, wer schnarcht da auf der Treppe? – Heda! wer seid ihr?

Chassecoeur (Mit Vitry aufspringend). Zwei Kaisergardisten, ohne Brot und Obdach!

Fouché. Ah, die tun uns nichts! – Habt ihr etwas gehört, so sagt es nicht wieder! (Mit Carnot ab.)

Vitry. Hast du etwas gehört?

Chassecoeur. Nichts Rechtes. Ich schlief schon ganz erträglich.

Vitry. Ich auch. – Wir wollen uns wieder hinlegen. (Sie tun es.)


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