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Von da an ward unser Verkehr traulicher, und er kam nicht bloß vors Lädeli, sondern auch zuweilen in die Stube, indem er nach den Blumen fragte und sie zu sehen begehrte. Mein Vater hatte viel auf dem Vikar, nicht bloß wegen der Ehre, daß er unser Kunde war, sogar bei uns einsprach, sondern daß er ihm geduldig zuhörte, wenn er eine seiner Geschichten zum besten gab, und sogar darüber lachte, was dem Vater selten mehr begegnete, da er selten auf jemand stieß, dem er sie noch nicht erzählt hatte; er sagte oft: solche seien rar im Lande; wenn viele derer wären, gings auch besser im Lande.
Der Rosenstock machte unsern Verkehr lebhafter, der Herr Vikari fragte immer nach demselben und fragte auch wohl, ob er nicht etwa ein Röschen davon haben könnte, er täte gerne etwas einstellen, und im Pfarrhause hätten sie gar nichts Grünes. War das nicht deutlich genug gesprochen, ich sollte ihm für etwas Grünes sorgen? Und ich tat es so gerne, dachte die ganze Woche dran, und hätte ich es nicht getan, hätte der Vater mich gemahnt. Er war so bescheiden und klagte gar nicht über des Pfarrers im Blackenboden, wenn wir ihm auch Anlaß dazu gaben, indem wir, gestützt auf das, was die Blackenbödeler über des Pfarrers zu sagen pflegten, ihn zuweilen bemitleideten. Er könne nicht klagen, sagte er dann, sie meinten es nicht bös, aber verstanden es nicht besser. Er sei nicht meisterlosig und nie hungrig zu Bette gegangen, nur sei es ihm nicht angenehm, wenn die Frau Pfarrerin immer sage, was das Stückli Fleisch auf dem Tische gekostet, und wie teuer abermal das Brot sei und ein Pfarrer, wenn er einen Vikar habe, z'arme Tage geraten müsse notwendig. Das stelle ihm zuweilen den Appetit, daß er nicht recht esse; wenn er daher hungrig bleibe, sei es seine Schuld, denn genug wäre dagewesen. Das rührte mich immer; das gäbte einmal ein gut Mannli, mußte ich denken, ich mochte wollen oder nicht. Ja, lacht nur, ihr Frauen, ihr habt recht, aber daß er mein Mannli werden könnte, daran dachte ich doch wahrhaftig nicht, nein, das fiel mir nicht von weitem ein.
Die Frau Pfarrerin war besonders berühmt wegem schlechten Kaffee, wo Kaffee hieß und zumeist auch nicht eine Bohne darein sein sollte. Als ich ihn einmal darüber fragte und er entschuldigend sagte, das wiß er nicht, etwa viel Tugend habe er nicht, aber doch kein Abkust, er sei zu trinken, besonders wenn man durstig sei, sagte mein Vater: ›Mach dem Herrn Vikari ein Kaffee; er kann dann unterscheiden, was eigentlich Kaffee sei oder nicht. Er tut uns wohl die Ehre an und trinkt eins mit uns und schämt sich unserer nicht, wenn wir schon geringe Leute sind.‹ Der Vikar war sichtlich erfreut über die Einladung und gab ein Kapitel gegen den Hochmut los und erklärte, wenn er schon Burger von Bern sei, so wüßte er nicht, warum er eigentlich stolz darauf sein sollte, von wegen er sei nicht schuld daran, daß er es sei; so habe es ihm Gott geordnet, er hätte ebensogut in einem Städtchen, ja sogar in einem Dorfe geboren werden können, wenn es Gottes Wille gewesen wäre.
Ich zitterte vor Freude und Angst, dem Herrn Vikari aufwarten zu dürfen, obschon ich fast nicht wußte, wie ich das machen sollte. Es war die erste Visite, die ich servieren sollte, und noch dazu ein Vikar, wenn auch ein kleiner, man stelle sich das recht vor! Ich machte alle Augenblicke etwas Verkehrtes, was meinen Vater bitterlich ärgerte, und das er allemal rügte, um zu zeigen, daß man es denn doch eigentlich besser wüßte. ›Aber, Setti, wie dumm! Setti, was denkst? Setti, bisch zhinterfür im Kopf?‹ kam alle Augenblicke, ich hätte klaftertief in den Boden sinken mögen. ›Es ist mir recht leid, Herr Vikari, ich hätte Euch nicht einladen dürfen, wenn ich gedacht, wie dumm Setti zur Sache tun würde. Es ist sonst gewiß nicht so dumm, man kann es recht ordentlich brauchen. Wenn es Gottes Wille ist, daß es einmal einen Mann bekömmt, so wird der sich verwundern, was es alles kann. Pflanzen kann es recht ordentlich, und mit Kochen kann es auch mehr als eine Mehlsuppe machen. Es wäre ihm ein recht guter einmal zu wünschen.‹ ›Aber Vater, was schwatzt Ihr auch!‹ rief ich endlich, auf dem Punkte fortzulaufen, ›schweigt doch um Gottes willen, sonst laufe ich fort, ich will gar keinen Mann.‹ ›He‹, sagte der Vater, ›welle oder nit welle, man kann nicht wissen; und wenn du immer so dumm tust, so bekömmst du keinen, wie gerne du auch einen möchtest. Gället, Herr Vikari?‹ Was der Vikari antwortete, hörte ich nicht, ich hatte mich ins Kucheli hinausgemacht, so böse über meinen Vater, ich schäme mich dessen noch jetzt, ich glaube, ich hätte ihm in die Haare fahren können. Indessen es verrauchte, als der Vikari mir den Kaffee rühmte und mir zlieb, wie er sagte, drei Kacheli voll trank und endlich sagte, er habe seit langem nie so wohlgelebt.
So machte sich der Verkehr immer heimeliger, aber auch von weitem kam uns nichts anderes in Sinn. Auch als mich die Leute mit einem Liebeshandel unter dem Tore aufzuziehen begannen, weckte es keine Gedanken, ich betrachtete es als üblichen Spaß und lachte dazu. Es war mir bloß angst, der Vikari vernehme etwas davon, werde böse darüber und nehme den Tabak an einem andern Orte; das wäre mir leid gewesen, nicht wegem Profit bloß, sondern wegem Vater, der so gerne mit ihm schwatzte und selten fehlte zur üblichen Zeit.‹
Da lachten wir, und die Frau Pfarrerin fuhr fort: ›So kam es mir wenigstens vor, und böse machten mich die Leute, daß sie sich über so was aufhielten, ging es sie doch nichts an, redeten sie nicht auch, mit wem sie wollten, und wir ließen sie machen!‹
›Aber, Frau Pfarrerin‹, sagte lächelnd die Frau Landvögtin, ›und wegen Euch wäre es Euch nicht auch leid gewesen, wenn der Vikari nicht mehr gekommen wäre?‹ ›Hintendrein vielleicht wohl, Frau Landvögtin‹, sagte die Frau Pfarrerin, ›aber gwüß dachte ich damals gar nicht an mich. Ich dachte wohl daran, in welche Herrlichkeit eine Frau Pfarrerin komme, wie sie in Haus und Garten walten könne und unter den Weibern sei fast, was eine Königin, bsunderbar wenn sie einen so guten, gelehrten Herrn zum Manne hätte, wie der Vikari einer war. Aber, daß ich zu einem solchen Glück kommen könnte, das fiel mir wirklich nicht ein. Er gab mir aber auch keine Ursache, an so was zu denken. Er war nicht wie andere junge Herrleni, die jedem Fürtuch Komplimente machen und tschänzeln mit jedem Zaunstecken. Von dem war bei ihm keine Spur, er war so freundlich, aber doch ernsthaft, nannte mich immer Jungfer Lisette, und nicht einmal die Hand gab er mir, und doch e Vikari – denket! Er redete auch nicht vom Etablieren und zukünftigen Aussichten, er machte den Mund auf keine Weise süß. Er rühmte auch seine Predigten nicht; wenn er je darüber sprach, so klagte er, wie schwer es ihm gehe.‹ ›Das sind gerade die Schlimmsten, Frau Pfarrerin‹, sagte ich, ›sie demütigen sich nur scheinbar, damit man sie desto mehr erhebe und rühme.‹ ›Nein, wahrhaftig nicht, das tat er nicht, der war viel zu aufrichtig, er war gar nicht, wie jetzt die Leute sind. Und es hätte ihm nichts genützt, ich rühmte ihn nicht, ich hätte ihm doch nicht sagen können, was ich von den Leuten hörte: er werde wohl bald fortwollen, er sei schon lange da, keiner noch so lange. He nun, man werde sich drein schicken müssen, aber reuen tue er sie, wenn er schon so ein Kleiner sei.
Einmal an einem Montag kam er nicht, und alles Warten und alles Luegen half nichts, er kam nicht, und die ganze Woche durch kam keine einzige Seele aus dem Blackenboden, die man hätte fragen können, ob der Vikari fort sei oder krank. Er war auch schon an einem Montag ausgeblieben, aber er hatte es allemal vorher gesagt und zwei Päckli Tabak zusammen genommen. Er möge hinkommen, wohin er wolle, sagte er, so fänden die Leute, er rieche sehr gut.
Das war eine lange Woche, und was da einem in Sinn kam, was begegnet sein könnte, und wäger dem Vater so gut als mir! Er sagte oft, wenn das Laufen ihm nicht so zwider, er wollte nicht so lange im Gwunder sein. Am nächsten Montag machte es gar so schlecht Wetter; da werde er per se nicht kommen, dachten wir: Indessen auf die Vorsorge machte ich etwas früher zu Mittag wie gewöhnlich, damit alles abweg sei und ich noch Zeit hätte, mich ein wenig zwegzumachen, wenn er kommen sollte, nicht zu putzen, bewahre, da hätte mir der Vater ein schön Kapitel gelesen; aber bei der Arbeit, welche mir oblag und am Morgen nach fünf Uhr anfing, war man des Mittags nicht mehr wie aus einem Druckli. Allweg schadete es nicht, wenn man ein wenig Strähl und Wasser brauchte und anfällig das Halstuch, welches bereits den Sonntag mitgemacht, aufpflanzte.
Während wir am besten beim Essen waren, klopfte es an der Türe, was bei dem Verkehr, den wir hatten, wo gar oft jemand etwas zum Hüten gab, oft geschah; der Vater rief: ›Ume yne!‹ Und herein kam – der Herr Vikari, ganz schwarz angezogen, in vollem Staat, mit dem Dreieck auf dem Kopf, wie es damals bei Feierlichkeiten noch üblich war. Mein Gott, wie erschrak ich! Ich meinte, ich müsse unter den Tisch, es war mir gar nicht mehr zu helfen, nit zweggmacht und der armselig Tisch, an dem wir saßen! Mein Gott, es wird mir jetzt fast schwarz vor den Augen und katzangst, wenn ich daran denke. Er machte Entschuldigungen, daß er störe, aber er habe in einer wichtigen Angelegenheit mit uns zu reden und daher einen Augenblick gewählt, wo er uns beisammen finde und ungestört sein Anliegen vorbringen könne. Wir würden gehört haben, daß er Pfarrer geworden sei ins Bohnengschüch. Nun, das sei viel gemacht vom Herrn Vikari, daß er die Mühe nehme, uns dieses selbsten zu annoncieren. Aber nun kam es noch ganz anders, daß Vater und ich ganz verschmeyet wurden. Er begehrte mich zur Frau und tat so schön dar, wie er eine Waise sei, verlassen auf der Welt, und er eine Frau haben müsse, welche ihm Vater und Mutter sei und alles in allem, daß ich noch heute weinen muß, wenn ich daran denke. Nun erzählte er, wie er in mir alles in allem gefunden, daß der Vater laut aufweinte wie ein Kind, daß ich nicht wußte, werde es ihm übel oder nicht, und, als er aufhörte, keins von uns ihm antworten konnte. Also ich, das arm Torwärtermeitschi, sollte Frau Pfarrerin und Burgerin von Bern werden! Das war zu groß für meinen Kopf, es wollte gar nicht als Wahrheit hinein, es kam mir vor als geträumt.
Der Vater konnte zuerst antworten und redete von der Ehre und unserer Armut; nur ich in meiner Angst jammerte, ich könnte den Vater nicht verlassen, wer das Lädeli hüten sollte, wenn ich fortginge! Da kam das Beste noch nach. Wenn es nur das sei, was die Jungfer Lisette hätte, so habe er daran auch gedacht, und das sei leicht beseitigt. Er möchte den Vorschlag machen, daß mein Vater mit uns käme, es wäre ihm ein großer Dienst, wenn er sich dazu verstehen könnte. Es sei etwas Land zur Pfarrei, mit dem wüßte er nichts anzufangen, überhaupt verstehe er nichts vom Landleben und sehe erst jetzt ein, wie wichtig es sei für den Pfarrer, wenn er wüßte, was üblich und bräuchlich sei; mein Vater verstehe das aus dem Fundament, wie er sehe, da könnte er ihm äußerst behilflich sein; denn, daß er etwa als Knecht oder Tagelöhner einstehen solle, daran denke er nicht von ferne, davon solle er überzeugt sein. Das war wirklich eine Leiter zum dritten Himmel; was wir darauf antworteten, weiß ich wirklich nicht mehr. Ich weiß bloß nach, daß wir uns endlich setzten, das Lädeli vergaßen. Der Vater sagte: ›Lisette, räum doch ab und reych Wy, e Maß, ghörst!‹
Daß wir Wein holten, geschah hier und da, bald tat es der Vater, bald ich und ganz ungeniert, denn wenn man keinen im Keller hat und welchen haben sollte, muß man ihn holen. Diesmal dachte der Vater nicht daran zu gehen, wie unendlich gerne ich es auch gehabt.‹ ›Ja gället, Frau Pfarrere‹, sagte die Frau Landvögtin, ›Ihr wäret gerne beim Herrn Vikari daheim geblieben; ich hörte noch nichts vom Verlobungskuß, es ist sonst überall der Brauch, daß man sich da um den Hals fällt und Müntschi gibt.‹ ›O bhütis, Frau Landvögti, das ist gar nüt gsi, dara her niemer denkt. Wenn der Vater gegangen wäre, so wären wir erst in Verlegenheit gewesen und hätten nicht gewußt, was sagen, und aus Verlegenheit wäre ich wohl ins Lädeli gelaufen. Nein, ich schämte mich zu gehen, weil ich dachte, sie täten es mir ansehen, was vorgegangen, wüßten, daß der Wein für den Vikari wäre, täten mich tapfer aufziehen, und dachte noch niemand daran.