Jeremias Gotthelf
Die Frau Pfarrerin
Jeremias Gotthelf

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Die gute Frau Pfarrerin fühlte gar wohl, daß dieses Weigern als eine kindische Meisterlosigkeit vorkommen mußte, sie kam in sichtbare Angst. Da sagte die Frau Landvögtin: ›Nein, meine liebe Pfarrerin, seid nur ruhig, es ist dann nicht, daß dieses absolut sein muß. Ich begreife gar wohl, daß man lieber alleine krank ist als unter einem Dutzend, wo, wenn einer schlafen möchte, ein anderer hustet. Ich hätte es ganz auch so. Eine gute Abwart wird sich wohl finden.‹ ›O ja‹, sagte Lisette, ›fürs Geld sind immer Leute zu haben, die gerne etwas verdienen möchten.‹ ›Lisette‹, sagte die Frau Landvögtin, ›geht doch hinauf und seht, ob die Köchin vom Markt zurück ist; und ist sie noch nicht heim, so bschließt das Vestibül, der Herr ist auch ausgegangen. Es ist ein Strolchenvolk in der Stadt, man ist nirgends mehr sicher.‹ ›Ihr werdet doch denken‹, sagte die Frau Pfarrere, ›für eine arme alte Frau tue ich dumm; es ist so, ich will gerne meine Schwachheit bekennen. Auf dem Erdboden habe ich nichts Lebendiges mehr, das mich liebt, als mein Vögelein und, ich möchte fast auch sagen, meine Blumenstöckli. Was sollte aus dem armen Vögeli werden, wenn ich in Spital müßte? Es würde wohl jemand ihm zu fressen geben, aber lieb hätte es niemand, und niemanden könnte es seine Liebe erzeigen. Es würde vor Längizyti nicht fressen, und ich könnte nicht schlafen. Herr Doktor, wenn es z'mache ist, ich halte an, was anzuhalten ist, so laßt mich hier! Ganz ohne Geld bin ich nicht, ich habe auch ein Sparhäfeli, nicht ein großes, aber doch dachte ich auch an die bösen Tage.‹

Der Arzt war nicht einer von denen, die nicht eintreten können, nicht fühlen, was andere fühlen, böse werden, wenn man sich ihnen nicht ohne Widerrede unterwirft, aber spotten tat er gerne und sehr oft, um seine Weichheit dahinter zu verbergen. ›Ja, wenn es so ist, Frau Pfarrerin, so sage ich kein Wort mehr. Ein solcher Grüsel bin ich denn doch nicht, daß ich eine solche Liebe stören möchte. Wenn nur Frau X. da wäre!‹ – er meinte mich -, ›die hat ihre Nase an allen Orten und kennt alle Leute, die wüßte uns sicher eine Abwarte, die paßte.‹

›Danke für das Zutrauen, Herr Doktor!‹ sagte ich, da ich längst eingetreten war, aber eben nicht nötig fand, mich kundzugeben; ›aber Ihr habt recht, ich weiß zwei für eine, es frägt sich nur, welche eben zu haben ist.‹ Die Frau Landvögtin ward verlegen, aber der Doktor nicht. ›Da weiß ich jetzt my Seel nicht, welches Sprüchwort ich anwenden soll, ob das vom Horcher oder das vom Wolf. Aber sei es das eine oder das andere, so ists gut, daß Ihr Rat wißt.‹ Es sei ihr so leid, daß sie uns so Mühe mache, sagte die Frau Pfarrerin, wir seien viel zu gut; aber wenn der Herr Doktor meine, sie müsse im Bette bleiben, so sei sie dankbar, wenn man für eine sorgen wolle. Ihr Ruhbett sei ein Kastenruhbett, so daß sie kommen könne, wann sie könne, Gscheer gebe es nicht.

So ward die Sache abgeredet. Ich machte mich nach der Abwärterin auf, welche beim Arzt die näheren Instruktionen zu holen hatte. Die Frau Landvögtin übernahm die einstweilige Überwachung.

So hatte ein sogenannter Zufall Personen zusammengewürfelt und in Verbindung gebracht, die sonst nie in Berührung gekommen wären; um freundliche Erinnerungen wäre mein Leben ärmer geblieben, um Vorurteile reicher. Wie vieles in der Nähe ganz anders sich macht als in der Ferne, man glaubt es gar nicht. Es gibt Verhältnisse, Lebenslagen, sie schimmern weithin, dort wohne, sollte man glauben, das leibhaftige Glück, nach dem Mitgenusse seufzen lüsterne Seelen. Und wären sie dort, säßen sie mittendrin, sie würden erschreckt die Augen aufreißen, würden meinen, sie seien verirrt, ans unrechte Ort geraten, würden nicht rasten, nicht ruhen, bis sie wieder heraus wären aus der Pein, die ihnen von ferne wie ein Vorhof der Seligkeit vorgekommen.

Und wie es mit den Verhältnissen so oft der Fall ist, geht es auch mit Menschen. Menschen, von ferne die liebenswürdigsten, werden nicht selten in der Nähe die widerwärtigsten. ›Als wir noch nicht verheiratet waren, dünkte mich immer, ich müsse meine Braut fressen, und jetzt bin ich so reuig, tat ich es damals nicht‹, seufzte ein beschwerter Ehemann. Umgekehrt geht es aber ebensooft. Lagen, von denen man sich versicherte, man möchte nicht gemalt darin sein, können sehr angenehm und heimelig werden. Menschen, von denen man sagte, sie hätten rechte Längizytigsichter, bei denen hielte man es nicht aus, ›gut Lüt, gut Lüt, i Gotts Name, aber längwylig vom Tüfel!‹ und gerade diese Leute können uns recht lieb werden, ja sich eigentlich einnisten in unser Leben, daß, wenn sie uns genommen werden, eine rechte Lücke entsteht in unserem Dasein, die lange sich nicht füllen will. Sie haben halt das meiste und Beste nicht auf dem Gesicht, sondern tiefer innen.

Eine ähnliche Erfahrung sollte ich jetzt machen. Wer mir gesagt hätte, es würde mir zwischen einer alten Pfarrfrau und einer eleganten und vornehmen Frau Landvögtin recht wohl und heimelig, ja absonderlich wohl und heimelig werden, den hätte ich sehr ausgelacht, und doch ging es mir jetzt so. Freilich wäre es nicht allen so gegangen, ja vielen nicht und gerade den Tonangebern, Ausschließlichen, der Creme der Gesellschaft nicht. Es gibt Leute, welche über alles, was nicht nach ihrem Salon oder ihrem Kaffeehaus riecht, die Nase rümpfen, für nichts Intresse haben und unendlich langweilig finden, was nicht in diesen Kreisen besprochen wird. Diese Leute halten sich für sehr fein gebildet und sind es eben nicht, sondern äußerst borniert, grusam beschränkt, denn nur in einem ganz kleinen Gebiete des Menschenlebens sind sie einigermaßen bekannt. Und so einer kann unter sinnigem Grännen und schrecklichem Aufblick gen Himmel sagen, die dummen Leute, die könne er gar nicht leiden. Wen heißt er dumm, und können nicht mit dem gleichen Rechte andere ihn den Allerdümmsten beizählen? Das ›dumm‹ ist ein gar seltsam Wort, es gleicht gar oft dem Stein, der den Schleuderer selbst ins Gesicht schlägt.

Die Folgen des Unfalls waren ganz andere, als die gute Frau sie sich anfangs gedacht. Es ist mit dem menschlichen Körper fast wie mit Wein, den man in Flaschen gezogen, jahrelang unberührt liegengelassen, so daß er sich auf das feinste abgeklärt, goldgelb herrlich leuchtet. Werft die Flasche unbedacht hin und her, so mischt sich die Unreinigkeit, die sich abgesondert hat, mit dem Reinen wieder und trübt es dergestalt, daß man den Wein lange nicht wieder hell kriegt, daß es fast ein anderer Wein geworden zu sein scheint. Ähnlich ist es mit dem menschlichen Körper. Laßt einen ältlichen Menschen, der jahrelang ein einförmig, stilles Leben geführt, von einem Unfall betroffen werden, durch einen Beinbruch zum Beispiel oder ja auch durch einen wenn auch indirekten Mupf von einem eidgenössischen Postwagen, so daß der Körper erschüttert wird, die Lebensweise geändert werden muß, so trittet so gerne eine Hinfälligkeit hervor, die man gar nicht geahndet; der Schaden wird zur Nebensach, die Kränklichkeit nimmt eine ganz andere Gestalt an, geht nicht selten endlich in Tod über. Die gute Frau Pfarrerin hatte gehofft, wenn nicht noch in selber Woche, so doch in der nächsten Woche aufstehen, Steg und Weg wieder brauchen zu können; aber sie täuschte sich schwer, täuschte sich von Woche zu Woche, und wenn auch mit Seufzen, nahm sie doch die Täuschungen ergeben hin. Die Schäden wollten nicht recht heilen, die verstrauchten Glieder sich nicht kräftigen, und allmählich schlich eine allgemeine Schwäche sich ein. Der Arzt tat sein möglichstes, nahm aber nach und nach ein fatales Kopfschütteln an. Die Abwart war gut, ich hatte es glücklich getroffen; sie erfüllte nicht bloß ihre Pflichten treu, sondern sie liebte die Kranke, die so geduldig litt, nie befahl, sondern so freundlich um das Nötige bat und wenn möglich jedes Schläfchen schonte.

Indessen konnte die Abwart nicht ihre ganze Zeit der Frau Pfarrerin widmen, sie hatte noch andere Verbindlichkeiten, welche sie nicht lösen durfte. Sie mußte Sorge tragen zu ihren Leuten trotz allem Kredit, in welchem sie jetzt stund, von wegen man kann nie wissen, was es geben kann. Das ist eine Vorsicht, gut für alle, und manchem käme es wohl, er hätte sie beobachtet, und zwar manchem nicht nur in den obersten, sondern auch in den untersten Ständen. Ja, Ratsherren per Exempel brauchen noch oft Vorsicht, aber so manches Stüdi, das einmal zu einem Platz gekommen, wo man zweimal in der Woche frisch kocht, und nun meint, von da aus liefen die Wege zu allen Herrlichkeiten der Welt unfehlbar, und unbekümmert um Gott und Menschen könne es Schüsseln und Kacheln himmeldonnern an den Wänden herum, das mache alles nichts, ihm fehlten die besten Plätze nicht, wenn es einmal einen Mocken abdämpfen und saure Leber anbrühen könne, läßt sich nicht träumen, daß es im nächsten Jahr sechs Monate ohne Sohle an den Schuhen werde Meister suchen müssen, keinen Tag wissend, wo es am Abend sein Haupt zur Ruhe werde legen können,

Eine Wochenmagd oder auch Abwart hat gar ein zufälliges Einkommen, weil keine bleibende Anstellung; Empfehlungen machen da die Hauptsache, und um die kommt man so leicht. Man braucht nur an einem Orte uneben zu trappen, so ist die Gnade verwirket. ›Das ist e Madame!‹ heißt es, ›wohl, da läßt sich luegen, daß man die Majestät nicht verletzt; die möchte ich um keinen Preis mehr und rekommandieren keinem Menschen.‹ Unsere Abwart hatte sich also einige Zeit vorbehalten, mußte zudem auch für die Frau Pfarrerin Verrichtungen machen, so daß sie alleine war in diesen Zwischenräumen. Wir ordneten die Zeit so, daß diese Zwischenräume des Alleinseins ganz klein wurden oder ganz verschwanden. Ich muß sagen, die Frau Landvögtin tat da das Beste und nicht bloß durch Lisette oder eine andere Stellvertreterin, sondern wenn möglich in eigener Person. Ja, wenn sie auch wußte, ich war da, so kam sie doch noch zuweilen mit der Arbeit und half die Zeit vertreiben. Und wenn jemand sagte: ›Die Frau Landvögtin ist aber fleißig, man sollte meinen, wie nötig sie es hätte, man muß sich schämen‹, antwortete sie: ›Bin es gewohnt von Jugend auf; meiner Mutter hätte jemand müßig sein sollen! Die sagte, jede anständige Bernerfrau arbeite, nume Güschigut und junge Gäxnäseni täten nichts.‹

Was uns am meisten auffiel, war eine Verlassenheit oder Vereinzelung, wie sie wohl selten vorkommen wird. Sie fragte, schickte nach niemanden, niemand fragte nach ihr. Nur ihr Vögelein zwitscherte, bis es zu ihr konnte, und nur die Blättchen schienen ihm recht zu schmecken, die es von ihr bekam, oder die sie zwischen die Stäbe steckte. Auch des Marktes muß ich gedenken, wo ihr Ausbleiben natürlich den Marktweibern auffiel. Großes Bedauern erweckten die Folgen des Unfalles; hier eine Frau, dort eine ließ sie grüßen, ihr sagen, sie solle doch ja machen, daß sie bald wieder komme, man habe recht Langeweile nach ihr. Hier eine, dort eine gab mir eine Blume, einen Apfel für sie mit dem Bedeuten, man habe den expreß für sie mitgebracht, weil man sich erinnere von früher her, wie sie Wohlgefallen daran gehabt. Ein Weib gab dem andern das Beispiel, daß, wenn ich alles hätte annehmen wollen, ich eine eigene Magd hätte mitnehmen müssen, freilich kaum für lange, so was ist selten anhaltend bei den Weibern. Aber ich bat, es nicht zu gut zu machen auf einmal, wie wollte sie das alles brauchen, da sie alleine sei; aber jeweilen ein Zeichen werde sie sehr freuen, die arme Frau, welche es kaum lange mehr machen werde. Nun trug ich denn allemal etwas heim, und ward es mir zuviel, so schob ich es zurück aufs nächste Mal. Mein Trägerlohn aber war ein reicher. Ach, was die gute Frau Pfarrerin sich freute über die Gaben und über die Weiber, daß sie ihrer gedächten, und daß die Äpfel so schön geraten, sie ward jedesmal glücklich bis zu Tränen. Solch ein kindlich Gemüt kam mir in meinem Leben nie vor. Aber was solch ein Gemüt für ein Schatz ist, begreift die Welt nicht, es ist auch ein Gut, das über allen Verstand geht, so gut als der Friede Gottes. Das sogenannte Glück, nach dem alle jagen, ist außerhalb den Grenzen der beiden nicht möglich, ist nichts als ein trügerisches Wesen oder ein garstig Gespenst.

Daß wir nach Verwandten, Bekannten fragten, denen man vielleicht etwas wissen lassen könnte, wird jedermann begreiflich finden. Doch durften wir es nur leise, unbemerkt tun, sie hätte sonst geglaubt, es sei nur, um ihnen unsere Last zuzuschieben. Aber sie antwortete immer, sie hätte niemand als den Waisenvogt ihrer Zunft, den sie kenne, und den sie einstweilen ruhig lassen wolle, solange es möglich sei. Er meine es nicht bös, aber er sei ein grober Polteri, trete in nichts ein, und wenn man nicht alles mache exakt, wie er befehle, so behandle er einen ärger als eine Magd oder gar, als ob eigentlich Leben und Sterben nur von seiner Gnade abhingen. Sie schlotterte ordentlich, die gute Frau, wenn sie von ihm sprach. Wie schlotterte sie aber erst, als sie vernahm, daß derselbe mein Vetter sei! Ich hatte die größte Mühe, sie zu beruhigen und ihr begreiflich zu machen, daß ich durchaus nicht beleidigt sei. Der Vetter sei mir zwar lieb, aber ich kenne ihn zu gut, um es übelnehmen zu können, wenn jemand über seine Schwächen lache oder sich beschwere. Es war ein Mann, wie man zu sagen pflegt, von altem Schrot und Korn, ehrlich und tüchtig bis ins innerste Mark hinein und dazu in Privatgeschäften mild und angenehm, doch ganz anders, sobald er auf den amtlichen Boden kam: da kam er wie auf den Wolken der Majestät, Majestätsverbrechen waren ihm Widerspruch und Einrede, da ward er rücksichtslos und streng, schien hart und hochmütig. So mußte ihn die arme Frau erfahren haben, es nahm mich wunder, wie.


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