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Es war ein schöner Herbsttag; der rote Apfel im grünen Laube, die langen Reihen auf großen Äckern, wahre Schatzgräber, die aus dem Boden schlugen die rauhen Kartoffeln, wichtiger der Menschheit als Silber und Gold, der Sämann, der mit ernstem Gesichte und langen, gemessenen Schritten den Samen strömen läßt aus kundiger Hand, bezeugen es, daß man in die dritte Zeit des Jahres gekommen. Wer mit rechtem Auge einen Sämann schreiten sieht über den dunkeln Acker, dem rieselt Ehrfurcht in die Seele, mahnt sie ans Beten, weil nahe sei das unsichtbare Wesen, zu dem man in allen Zungen betet und mit keinem Auge es sieht. Der Sämann mahnt nicht bloß an das Evangelium und den Sämann, der das ewige Wort aussät, das in gutem Grunde hundertfältig Frucht trägt, Frucht, die zum ewigen Leben die Seelen speiset, der Sämann ist ein Gehülfe Gottes, und neben ihm wandelt Gott. Der Handwerksmann kauft sich den Stoff zu einem Geräte, schafft daran, bis er fertig ist, oft mit selbstgemachtem Werkzeuge, und was seine Hand gemacht, verkauft er wieder oder liefert dem Besteller es ab zur bestimmten Zeit, das heißt, je nachdem er sein Wort gab oder nicht. Der Schuhmacher nimmt vom Gerber das Leder, setzt sich in seine Werkstatt, unabhängig von Wind und Wetter; scheint ihm die Sonne nicht, zündet er die Lampe an, und das Paar Schuhe, welches er am Morgen angefangen, ist, wenn ers kann, am Abend fertig. Er ist gewissermaßen Herr seiner Arbeit von Anfang an bis ans Ende. So nicht der Sämann, er ist nur Gottes Ackerknecht und tut am großen Werke das Geringste. Den Samen hat Gott geschaffen, fruchtbaren Boden hat Gott gemacht, den Samen sammelt der Mensch, bereitet den Acker zum Empfang des Samens und bringt ihn in den Boden. Jetzt aber ist der Sämann einstweilen fertig, jetzt nimmt ihn Gott in seine Hand und tut das Wichtigste, was kein Sämann, rechne er nach einfacher oder doppelter Buchhaltung, säe er mit der Hand oder der Maschine, vermag: er weckt den Lebenskeim im Samenkorn, läßt ihn sprengen den Grabesdeckel, durchbrechen der Erde harte Kruste und in hoffnungsreichem Grün die Felder schmücken. Er behütet die grüne Saat, hüllt sie in die warme, weiße Decke, hebt diese wieder zu seiner Zeit, gießt Regen nieder und läßt die Sonne brennen, bis endlich weiß zur Ernte die Felder werden, und dem Knecht, der am fleißigsten den Acker ihm bestellte, am sorgfältigsten säte und eggte, während er neben ihm wandelte, der beste Gehülfe ihm war, lohnt er mit dem besten Segen. Darum ist auch der gute Landmann so fromm, er hat das sicherste Maß für das, was er tut, und was Gott tut; das Gefühl seiner Ohnmacht ohne Gottes Hülfe wird ihm alle Tage neu, aber auch die Freudigkeit im Bewußtsein: Mit mir ist Gott, und wenn er mit mir ist, was vermag, wer wider mich ist?
Auf einem Hügel, umkränzt von weiten Äckern, auf denen viele Sämänner gingen, stand ein Schloß, kein modernes oder verschnörkeltes, sondern ein einfaches, ehrenfestes, in das man mit getrostem Mute trat, man wußte, weshalb. Aus dem Tore kamen zwei gaukelnde Hühnerhunde, hintendrein Kinder, nach ihnen Damen, von einem schlanken Mannsbild begleitet, den Zug schlossen zwei stattliche Herren. Der eine war der Stellvertreter der gnädigen Obrigkeit in einem gewissen Bezirk, ehedem Landvogt, dann Oberamtmann, jetzt Regierungsstatthalter geheißen. Das gehört auch unter die Landplagen unserer Zeit und zum entschiedenen Fortschritt, daß fast mit jedem Mondwechsel Moden, Gesetze und Titel ändern, was die Leute fort und fort stürmer und dümmer macht, Autorität und Zucht immer mehr zersetzt, den Leuten das Geld wegbeißt wie Heuschrecken das Gras. Der andere Herr war des ersten Bruder, und Vater des jungen bei den Damen, der in fremdem Dienst und im Urlaub war. Es war eine echt patrizische Familie, noble Leute, gerecht, praktisch, kühn, nicht ohne Grund voll Selbstbewußtsein, daher keinem Adel nachstehend. Fürst Windischgrätz soll in jüngern Jahren einmal diesen Adel bloßen Bauernadel genannt und deswegen mit einem bernerischen Rittmeister, der diesem Adel angehörte und mit Windischgrätz diente, ein Duell gehabt haben.
Sie zogen aus, einen Amtsrichter, der ein reicher Bauer war, zu besuchen, es war nicht zum erstenmal. Der Herr Landvogt oder Oberamtmann war Vorsitzer des Amtsgerichts, lud nach abgetanen Geschäften in der Regel die Amtsrichter zum Essen ein, was ein trauliches, aber durchaus kein abhängiges Verhältnis erhielt. Die Amtsrichter, gewöhnlich die angesehensten Bauern im Bezirk, luden dagegen auch den Herrn Oberamtmann ein samt Familie, was für diese gewöhnlich ein Fest war und mit Recht, denn es ging stattlich zu, und die ländlichen Weisen behagten ihnen besser als die köstlichste Aufwartung. Amtsrichter, welche nicht rechte Bäuerinnen daheim hatten, taten mit den Einladungen nicht nötlich, und wenn sie übergangen wurden, nahmen sie es nicht übel. Zu einem rechten Bauernhof gehört eine rechte Bäuerin; fehlt diese, haben Bauer und Hof den Glanz verloren. Eine Bäuerin kann weder durch eine Köchin noch eine Haushälterin und am allerwenigsten durch ein Gesellschaftsfräulein, welches anständig den Tee serviert, ersetzt werden; es muß halt eine Bäuerin sein, es tuts nicht anders. Der Besuch galt dem reichen Amtsrichter Grün auf der Säublume. Die Säublume war weit und breit der schönste Hof und so geheißen wegen des fetten Grases, der sonnigen Lage, daher dort immer die ersten gelben Säublumen zu sehen waren.
Der Oberamtmann und der Amtsrichter hatten sich eben nicht am liebsten, aber sie achteten einander und trugen Sorge zueinander wegen des allgemeinen Besten. Es waren zwei stolze Männer, beide ihres Einflusses und ihres guten Willens sich bewußt, daher keiner geneigt, dem andern weiter nachzustehen, als es gerade das Amt erforderte. Der Oberamtmann war nicht unkundig auf dem Lande. Seine Familie hatte ihre schönen Bauergüter nicht verhandelt, um höhere Einkünfte zu gewinnen, brachte auf denselben ihre meiste Zeit zu, daher der Oberamtmann im Landleben heimisch war. Aber die Gesetze kannte der Amtsrichter besser, das trieb dem Oberamtmann oft das Blut zu Haupt. Damals hatte man eine ehrenfeste Gerichtssatzung, die änderte nicht alle Tage, war Vater und Sohn bekannt von Jugend auf, jeder wußte, was Trumpf war, konnte sich mehr oder weniger selbst helfen, wußte, was mutwillig Trölen war, konnte einen verlorenen Handel von einem sichern unterscheiden. Darum waren damals auch weniger Prozesse, und wo jetzt zehn Fürsprecher reichlich schneiden, fand damals kaum einer sein mäßig Brot. Der Landmann behielt sein Geld im Sack, und Friede war im Lande und unter den Nachbarn. Der Oberamtmann hatte einen gerechten Sinn, aber heißes Blut, da geschah denn zuweilen, daß er sich verfing, daß er, wenn es zuweilen über die Schnur ging, den Amtsrichter als Widersacher fand und zwar als einen, der recht hatte. Himmel, wie ginge es einem Oberamtmann jetzt, wo hinter einem jeden Regierungsstatthalter her wenigstens zwei Fürsprecher und ein Agent sind, der eine Fürsprecher eine Beschwerdeschrift macht, wenn er links sieht, der andere eine administrative Klage ausspielt, wenn er rechts sieht, während der Agent auf der Lauer steht und jeden aufhetzt, der zum Schloßtor aus- und eingeht, wenn der Regierungsstatthalter nicht reine Sache hat! Es sind grundarme Bursche, die nämlich, welche regieren sollen, sie dürfen nicht, wenn sie schon möchten, man findet daher selten einen rechten Mann am Brett.
Es wurde ehedem viel besser regiert, wohlfeiler, das Volk war zufriedener. Ein christlich Regiment wird durch nichts mehr verhunzt als durch zu viel sogenannte Justiz. Der Amtsrichter hatte auch seine Schwächen, er war unbestechlich, aber über Sympathie und Antipathie soll er sich bei aller Gesetzeskunde nicht immer erhoben haben. Dann klopfte ihm der Oberamtmann mit großem Behagen auf die Finger. Beide wirkten wohltätig in der Gegend, beide waren so ehrenfeste Männer, daß die Menge Glauben hatte an sie; das ist eine seltene Sache und viel wert. Die Menge hat sonst in der Regel mehr Glauben zu schlechten Ratgebern als zu den ehrenfesten, dieweil jene nach Gunst reden, diese nach ihrem Besten. Sie lebten in anständigem Verhältnis, schnitten sich nicht hinterrücks die Ehre ab; aber Freunde, wie man sie dafür hielt, waren sie nicht. Ja, es war in der letzten Zeit eine Wolke zwischen ihnen gewesen, welche der Oberamtmann vertreiben wollte. Er hatte wegen einer blutigen Schlägerei, bei welcher Verwandte des Amtsrichters beteiligt waren, sehr harte Bußen veranlaßt, was dem Amtsrichter ins Fleisch ging, die er aber diesmal nicht wenden konnte, denn der Oberamtmann stand auf gesetzlichem Boden.
Solche Besuche machte der Oberamtmann gern, wenn Verwandte oder Bekannte bei ihm waren. Er verschaffte mit solchen Partien seinen Gästen Vergnügen, denn der Weg zur Säublume war schön und die Aufwartung mit echter Landeskraft ausgezeichnet. Er zeigte aber auch gern und mit Stolz den Reichtum der Bauern, und wenn er sie auch in einzelnen Fällen untertäniger wünschte, so hatte er doch im allgemeinen auch Freude an ihrem Stolz. Denn, wo reiche und stolze Bauern sind, da muß die Regierung, auch wenn sie eine aristokratische ist, doch nicht ganz schlecht, selbstsüchtig und despotisch sein, sondern sich ums Wohl des Landes wirklich kümmern. Und was hat eine Regierung in einem stolzen und reichen Lande für Kräfte gegenüber einer Regierung in einem armen und gebeugten Lande!
Der Bruder des Oberamtmanns, Oberst in fremden Diensten, wollte dies durchaus nicht begreifen; der meinte, man müsse die Bauern unter der Schere halten, sonst wüchsen die Bauern unversehens dem Herrn über den Kopf aus. Dagegen erzählte der Oberst mit glänzenden Augen von seinen herrlichen Burschen im Regiment, wie sie dem Teufel Zahn um Zahn aus dem Maul brechen würden, wenn sie ihn einmal hätten, und wie er mit seinem Regimente stehen bleiben wolle, und, wenn die ganze Armee davon liefe, kein Kopf sollte sich rückwärts wenden, geschweige ein Fuß. Mit sichtbarem Behagen erzählte er Exempel von den mannhaftesten Burschen, die niemanden fürchteten, selbst die Offiziere nicht, wenn sie im Recht waren, doch alles in den vorgeschriebenen Schranken der Subordination. Der gute Oberst begriff nicht, daß nur in einem Lande, wie der Oberamtmann regieren half, Bursche wachsen konnten, wie er zu kommandieren das Glück hatte. Es ging ihm halt so wie noch höher Gestellten, wie mancher Regierung, er begriff den Zusammenhang zwischen hinten und vornen nicht.
Der Herren lebhafter werdendes Gespräch unterbrach die Frau Oberamtmännin mit der Frage: »Du hast es doch dem Amtsrichter sagen lassen?« »Habe nicht Kummer, ich ließ es ihm durch einen Landjäger, der dort vorbeiging, melden«, antwortete ihr Herr. Die Frau Oberamtmännin hatte die Frage eigentlich nur getan, um die Brüder zu unterbrechen. Sie kannte die Hitzköpfe, und, wie der Jäger die verschiedenen Töne in den Stimmen seiner Hunde kennt, so wußte die Frau Oberamtmännin ganz genau aus der Stimme ihres Eheherrn, ob er einem harten Zanken entgegenging oder nicht. Die beiden Brüder zankten oft gewaltig, daß weithin ihre Stimmen schollen; ihrer Einigkeit tat es aber keinen Eintrag, ließ nicht einmal Bitterkeit zurück, sie trotzten niemals, sie waren es von Jugend auf gewohnt, aber da in freier Luft hätte es die Frau Oberamtmännin doch ungern gehabt. Die Brüder hätten dann freilich französisch geredet, aber Brüllen ist Brüllen, sei es französisch oder deutsch, und französisches Gebrüll oder deutsches verstanden die Bauern aufs Haar gleich gut.
»Du wirst ihm ein Billet geschrieben haben?« frug die Dame weiter. »Warum nicht gar!« antwortete der Oberamtmann heftig. »Er versteht besser mündlich als schriftlich!« »Es gibt noch mehr Leute, die es so haben«, lachte der Oberst, »kein Wunder, daß ihr euch so gut zueinander schickt.« Allerdings nahm der Oberamtmann fast ebenso ungern eine Feder als eine Nadel zur Hand. Er war früher auch Militär gewesen; auf dem Lande erwachsen, sollte er von Präzeptoren geschult werden, hielt sie zum besten, ärgerte sie, bis sie fortliefen, und strich Eichhörnchen und anderm Hochwild nach. »Da hörst meine Frau«, sagte der Oberamtmann, »die meint es erst gut mit den Bauern, und wenn du sie mit dem Amtsrichter zusammen siehst, so wirst du finden, daß ich Ursache hätte, eifersüchtig zu sein.«