Jeremias Gotthelf
Hans Joggeli der Erbvetter
Jeremias Gotthelf

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Der alte Kirchmeier hatte lange, bis er seinen Zorn verarbeitet hatte. Zorn über die dumme Schlange von Base, welche den Verdruß ihm angezettelt, Zorn über die kindische Leichtgläubigkeit, welche so unendlich viel Böses anrichtet, welche die Handhabe ist, an welcher die Verführer, kommen sie in Gestalt, in welcher sie wollen, die Menschen fassen. Er tröstete sich endlich damit, daß, wenn Gott eine solche liederliche Leichtgläubigkeit sich müsse gefallen lassen, ein Mensch dieselbe wohl auch werde ertragen müssen. Solange er zornig war, so lange wässerte er, sintemalen er sich vor den Menschen ebensowenig gerne zornig zeigte als ungewaschen.

Später als die andern kam er zum Abendessen. Breiweich und mit verweinten Augen bediente ihn Bäbeli und wäre für sein Leben gerne auf die Geschichte zurückgekommen. Wie bekanntlich, sieht das weibliche Geschlecht jede Geschichte für eine Mulde voll Teig an, welchen eine geschickte Kneterin so lange zu bearbeiten hat, bis das kleinste Knöllchen verarbeitet ist, also keine Geschichte für abgetan, ehe sie siebenmal von vornen nach hinten und wiederum siebenmal von hinten nach vornen durch und durch gesprochen ist.

Aber gerade nicht so hatte es der Kirchmeier. Derselbe machte Unannehmlichkeiten, soviel es sich tun ließ, bei sich selbsten aus, und was er so bei sich abgemacht hatte, wärmte er andern nicht auf. Er redete freundlich mit Bäbeli, besprach mit ihm die Arbeit der kommenden Woche; bloß mit größerem Fleiße und innigerer Freundlichkeit konnte es seine Reue zeigen, wie es übrigens auch am besten ist.

Wie jeder Tag auf Erden zu Ende geht, so auch jedes Leben auf Erden. Der alte Kirchmeier begann zu kränkeln, und zwar gerade an der schlimmsten aller Krankheiten. Es fehlte ihm nicht hier, nicht dort, er hatte nicht Fieber, nicht Verstopfungen, aber er fiel aus den Kleidern, verminderte sein Essen, kürzte seine Gänge und unterließ sie endlich ganz. Er täuschte sich nicht über seinen Zustand, er wußte, er war unheilbar; er wußte, er litt am Alter, welches trotz aller Menschen Macht und Beten jeden Tag um einen Tag zunimmt, bis die zugezählten Tage zu Ende sind. Begreiflich fiel dieses Abnehmen alsbald auf, und die Kunde davon lief rasch wie Feuerlärm durchs Land. Die ganze Basenschaft hatte es mit dem reichen Vetter, wie die ehrsame Bauersame bei trocknem Wetter es mit dem Himmel hat. Wie die Bauern, wenn eben sonst nicht himmelssüchtig, in trocknen Zeiten unverwandt ihre Augen gen Himmel richten, das Wetter zu erkunden, ob nicht Wolken sichtbar würden, ob es nicht regnen wolle, die geringste Veränderung wahrnehmen, als ein günstig Regenzeichen sie deuten, so hatte es eben die gierige Basenschaft mit dem alten Kirchmeier. Sie hatte lange gespäht in seinem Gesichte nach einem Zeichen des nahenden Todes und umsonst, und jetzt, als die Runzeln sich mehrten im Gesichte, die Beine die Schritte kürzten, so lang und weit am Rücken die Kutte hing, da gingen die Hallelujas an, doch begreiflich nur im stillen und im Herzen; äußerlich trat eine schreckliche Teilnahme zutage, und ein jämmerlich Wehklagen begann. Im Nidleboden ward es lebendig, noch ganz anders als sonst: wie geschneit kamen sie gelaufen und gefahren, und alle mit Gesichtern traurig angestrichen, mit Mäulern voll Teilnahme und Schrecken und glänzenden Augen, welche emsig die Runzeln zählten und maßen, um zu wissen, wie sie gewachsen, wie sie sich gemehret. Alle hatten sie, wie sie dem Kirchmeier es selbsten sagten, vernommen, er schlechte sehr, nehme alle Tage ab, würde nicht mehr lange herumlaufen; es werde dem lieben Vetter gehen, wie es im Sprichwort heiße: Was der März nicht will, das nimmt der April! Er könne nicht glauben, wie das sie gemüht und gedauert, sie und die ganze Familie hätten geweint, es hätte sie dünkt, sie sollten ganz zu Wasser werden, und da hätten sie gedacht, sie müßten doch selbst kommen und sehen, wie es dem Vetter gehe.

Hier schieden sich die Besuchenden nach dem Grade ihrer Bildung in zwei große Hauptklassen. Die erste, die gebildetere Klasse, drückte sich ungefähr so aus: das gehe nicht halb so übel, als sie gedacht, sie hätten sich den lieben Vetter viel kränker vorgestellt, er sehe recht ordentlich aus; wenn der Frühling komme und die Sonne, so werde das schon besser werden, sie hätten die Hoffnung, er lebe noch viele, viele Jahre.

Die andere Klasse dagegen schlug die Hände mehr oder weniger hoch über dem Kopfe zusammen und jammerte ungefähr also, wozu auch mehr oder weniger Wasser in die Augen gepumpt wurde: »Du gütiger Gott, Vetter, wie seht Ihr aus, nein, so hätte ich mir die Sache doch nicht vorgestellt, akkurat, als wenn Ihr schon in der Erde gewesen wäret. Schon manchen habe ich gesehen, der nicht ein halb so bös Aussehen hatte, und nicht eine Woche gings, so war er tot. Du mein Gott, wie doch ein Mensch sich ändern kann in so kurzer Zeit! Wann wars, als ich Euch zum letztenmal sah? Am Herbstlangnaumarkt wird es gewesen sein. Damals sahet Ihr noch so rüstig aus, mancher Funfziger nicht besser. Und jetzt, du mein Gott! Da sieht man, was der Mensch ist! ›Heute rot, morgen tot‹, heißts im Sprichwort. Ach ja, so ist der Mensch, über Nacht wird die Seele von ihm gefordert, und wes wird dann sein, was er bereitet hat? Ach ja, so wird es sein! Wer weise ist, denket daran, und ehe er da ist, der letzte Tag, wo man ihm die Seele aus dem Leibe nimmt! Ja, ja, es ist schon mancher reuig gewesen, daß er nicht daran gedacht zur rechten Zeit. Wo er nicht mehr hat reden können, da mußten endlich die Schreiber kommen, aber, wie er sich gemüht hat, kein Wort konnte er machen. Es habe deren gegeben, welche ihre Zunge einen halben Fuß lang zum Munde ausstreckten, aber keinen Gux konnten sie machen. Ja, Vetter, das muß ein schrecklicher Anblick sein. Ja man sagt, aber man spricht nicht gerne davon, daß solche, welche nicht von dem Herzen getan, was darauf lag, nicht alles an den rechten Ort getan, wo es von Rechtes wegen hingehört, und alles zurechtgelegt, wie es liegen soll, keine Ruhe hatten im Grabe, sondern wiederkommen mußten mit Seufzen und Stöhnen und die Leute plagen, bis endlich alles an den rechten Ort gekommen; das gehe manchmal lang, länger als die Ewigkeit. »Eigentlich glaube ich an solche Reden nicht«, ward beigefügt; »dem sagt man Aberglauben, und wenn es wäre, dem Vetter wird es nicht so gehen, er ist weiser als so, hat allen Menschen zu raten wissen und wird sich selbst wohl auch raten können, obschon man sagt, daß es gerade diesen an Rat für sich oft am meisten fehle. Aber man spricht von solchen Dingen einmal, selb wird wohl erlaubt sein, allweg schadet es nicht, es wird heutzutage manch Schlechteres geredet, nicht wahr, Vetter? Und wenn man noch mehr von solchen Dingen hörte, es ginge minder ungerecht zu in der Welt, und manche Seele weniger führe dem Teufel zu. Gott verzeih mir meine Sünd!«

Solche Gespräche umrauschten den armen Vetter täglich, und dazu brachte man ihm Kram von allen Sorten: Wein, Braten, Lebkuchen, weißes Brot, Züpfen, Pasteten, kurz, was man auftreiben konnte, oder was Verstand und Unverstand jedem eingab. Von jedem sollte der liebe Vetter essen, und von jedem behauptete der Geber, es werde ihm sonderbar wohl bekommen.

Nun kam zumeist ein Punkt, in welchem der Unterschied zwischen beiden Klassen nicht merklich war. Man fragte nach seiner Krankheit, dem Gang derselben, nach dem Arzte, welchen er brauche, schüttelte schließlich bedenklich den Kopf und sagte ungefähr: »Vor zwanzig Jahren habe ich akkurat die gleiche Krankheit gehabt, kein Mensch hat geglaubt, daß ich davonkomme, und doch lebe ich noch, und es dünkte mich, nie wohler. Aber was habe ich gemacht? Da ward mir gut geraten!« Nun führte der oder die eine alte Frau an, welche zu einem merkwürdigen Mittel geraten, oder einen entfernten Arzt, gewöhnlich einen Quacksalber, welcher geholfen; oder wenn man alleine war oder sonst recht offenherzig sich geschwatzt hatte, so redete man wohl von sympathetischen Mitteln oder von den Kapuzinern, welche gerade zu Heilung dieser Krankheit besonders berühmt seien. Wäre der liebe Vetter von Anfang recht behandelt worden, er wäre sicher längst gesund, aber auf seinem Arzte hätten wenige Leute viel, und hauptsächlich für diese Krankheit könne er nichts; wen er nur ansehe, müsse sterben, sei es nicht gleich, so sei es doch später. Wenn aber der liebe Vetter es begehre, so wolle man von Herzen gerne Zeit anwenden und für ihn laufen zu der alten Frau, dem Quacksalber, den Kapuzinern und von dem Zeug ihm holen; sie wollten wetten, sobald er davon nehme, bessere es ihm. Vetter Kirchmeier sagte auch allemal ernsthaft: er glaubs, aber einstweilen wolle er ihnen nicht Mühe machen, wenn es schlimmer würde, wolle er sehen. Er redete aber nicht ohne Wahrheit so, denn wenn eines Tages drei Vettern und drei Basen jedes besonderen Zeug und einen besondern Doktor ihm zugeschickt hätten, so mußte es ihm bessern, die Krankheit weichen, sich wandeln in süße Todesruhe.

Dann machten ihn die Vettern fast wirbelsinnig mit Anerbieten von Dienstleistungen aller Art, wobei es der Gewandtheit des Kirchmeiers bedurfte, um denselben zu entrinnen. Ein Vetter wollte alles liegenlassen, zu ihm ziehen, um auf dem Lande zu befehlen und zu sagen, was und wie es gehen müsse. Ein anderer wollte ihm Pferde verkaufen und andere kaufen, wenn er das jetzt nicht mache, so gingen ihm viele Louisdors dahin. Ein dritter, ein Notar, bot sich an zum Verwalter seines Zinsbuches und setzte ganz besonders an; denn das sei von Wichtigkeit, sagte er, daß man immer dazu sehe, damit keine Termine versäumt würden. Wie leicht sei ein Kapital verloren, er könnte darüber Beispiele von Exempeln erzählen, sagte er mit einem sehr wichtigen Notariatsgesicht. Der gute Notar dachte nicht daran, daß der alte Kirchmeier dieses Ding verstand, ehe der Notar aus den Windeln gekrochen war, und daß man auch Beispiele von Exempeln hat, wie unter den selbsteigenen Händen eines Notars nicht bloß Kapitale, sondern ganze Vermögen verschwunden sind.

Mehr aber noch plagten ihn die Basen, diese machten ihn fast selig vor der Zeit, kamen ihm fast vor wie Wanzen, welche immer wieder da sind, wie gute Mittel gegen sie man gebraucht zu haben glaubt.

Eine tadelte, daß er nicht die nötige Abwartung hätte, sein Bett sei gemacht, man streue einem Schweine sorgfältiger, und zu trinken biete ihm ja kein Mensch was an oder frage sonst, was er begehre. Wo sie dabei sei, da gehe es anders. Vor allem aus bette sie, daß es die Kranken dünke, sie möchten nicht mehr aufstehen; alle halbe Stunde müßten sie ihr trinken, und zwischenein wehre sie die Fliegen, daß keine einzige absitzen könne. Es wisse kein Mensch, wie viele unter ihren Händen gestorben seien, aber alle hätten ihr gedankt und gesagt, es dünke sie, dsHalb leichter sei das Sterben, wenn sie dabei sei.

Eine zweite jammerte, wie schlecht er zu essen habe, seine Magd koche, der gröbste Metzgerhund müßte Bauchweh kriegen, geschweige so ein alter, schwacher Mensch. Herrenköchin sei sie zwar keine, aber sie habe schon in vornehmen Häusern gekocht, und man habe sagen müssen, so gut habe man nie gegessen. Dann wisse sie aber auch, was man so für einen Kranken machen müsse, von wegen es sei nicht alles gut für einen kranken Mensch; es gebe Speisen, mit denen man einen auf der Stelle töten könne, es sei kommod, wenn man das wisse. Daß sie das kenne, wisse man, und wenn rings um sie ein kranker Mensch sei, so müsse sie herbei. Da mache sie dann, je nachdem was bei der Hand sei, Pfannkuchen, Schafvoressen, gebackene Leber oder gebackene Kalbsfüße. Das bekomme Kranken sonderbar wohl. Sie wisse schon, daß Leute wie tot dagelegen seien, kein Glied gerührt hätten, daß sie gleichsam wieder lebendig geworden, wenn sie die Kalbsfüße gebracht, sobald der Geruch davon ihnen in die Nase gekommen sei.

Eine dritte sprach mit gepreßtem Herzen von Beispielen, wie es in Häusern gehe, wenn der Hausherr sterbe und niemand da sei, zu wachen und die Aufsicht zu führen; sie würden von den Dienstboten, und wer sonst dazukommen könne, geplündert wie Bienenstöcke von den Mäusen, daß, wenn man dazukomme und zum Schaden sehe, man nichts finde als einige alte Strümpfe und stumpfe Besen. Wie schade das doch wäre, wenn es hier auch so ginge mit den vielen und schönen Sachen; das ginge doch viel zu übel, wenn die in unrechte Hände kämen und nicht dahin, wo der Vetter es begehre. Nit, daß sie dem Vetter nicht das Leben gönne von ganzem Herzen, aber, wenn sie es ihm schon gönne, man wisse ja, daß es Gottes Wille sei, daß der Mensch sterbe. Und wenn er es begehre, so wolle sie zu Hause alles im Stich lassen und dableiben; der Vetter könne ihr unbesorgt die Schlüssel anvertrauen, kein Stäubchen solle ihm wegkommen ohne seinen Willen, sie würde sich doch schämen!

Dieser Kummer, es möchte hier gehen wie in einem Bienenstock, schien übrigens auf der ganzen Verwandtschaft zu lasten. Mit neugierigen Augen schlichen sie durchs Haus, musterten alles wohl, öffneten wie im Vorbeigehen alle Behälter, welche nicht verschlossen waren, sahen sich darin wohl um, und ward eins geöffnet, welches sonst verschlossen war, so zog die anwesende Verwandtschaft, einem Kometenschweife ähnlich, hintendrein, hielt Inspektion und äußerte an entlegenen Orten, wo man des Vetters Ohren nicht zu fürchten hatte, ganz unverhohlen Verdacht gegen des Hauses Bewohner. Bäbeli bekam da Dinge zu hören, welche ihm das Wasser in die Augen trieben, welche es aus dem Hause getrieben hätten, wenn es nicht daran gedacht hätte, daß es auf den Paten zu sehen und zu hören hätte und auf niemand anders. Auch sagte es ihm nichts von all dem Gerede; es wollte den Ärger und die Not des armen Vetters nicht vermehren, welchen derselbe mit der lieben Verwandtschaft hatte. Denn war er endlich der willfährigen Mütter mit guten Worten losgeworden, so rückten diese mit den Töchtern ins Feld, mit welchen der Vetter noch viel besser versorgt wäre. Die eine hatte ein Kätheli, die andere ein Stüdeli, die dritte ein Mädeli, und alle waren Ausbünde nicht bloß, sondern halbe Engel, nur noch ohne Flügel. Sie wüßten es eigentlich nicht, wie machen, wenn sie fort seien, indessen wenn jemand einmal fort sei, so gehe es endlich auch. Eben das sei das Kommodste, daß unser Herrgott die Welt nicht an einen Menschen gehängt und keiner sei, ohne den man es am Ende nicht machen könnte. Bei solchen Anlässen verfehlten einige Mütter nicht, noch etwas weiterzugehen und dem mütterlichen Herzen Luft zu machen. Sie rühmten einen Vetter sehr, strichen heraus, wie er einer sei, Käthi oder Stüdi und er hingen von Jugend auf aneinander wie zwei Kletten, aber bis dahin habe es leider nichts daraus geben können. Von beiden Seiten vermochte man einstweilen nicht viel zu entbehren, aber wenn die einen Anfang hätten, wie leicht, das würde zwei geben, denen man ihresgleichen nicht fände auf Erden. »Ja, an diesen zweien wäre ein Gotteslohn zu verdienen; wer es doch sinnen könnte!« seufzte die Mutter und wischte sich die Augen aus.


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