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So verliefen die Jahre Mareili fast unbewußt, von ihm kaum gezählt. Es litt nichts Besonderes, es erwartete nichts Besonderes, es zählte jeden Tag mit Weisheit, füllte ihn mit Treue, genoß mit Dank, was Gott ihm gab, und war er vorüber, so empfahl es ihn Gott, daß er denselben ihm zu gut legen möge in Huld und Gnade, und nahm einen neuen Tag aus seiner Hand mit der Bitte, daß er ihns bewahren möge vor Versuchung und erlösen von allem Bösen, und ging mit Liebe dran, ihn zu verbrauchen in allen Treuen. So gehen die Jahre rasch vorüber, und sichtbarer wird das Nahen der göttlichen Ewigkeit, wo die Jahre Augenblicke sind, je göttlichern Sinnes man wird.
Und im Maße die Jahre das Fräulein der Ewigkeit näher trugen, verglomm in demselben das Weh eingeklemmter Gefühle, die Stürme legten sich, verklärten in Frieden sich; gereizte Nerven störten ihn nicht mehr, und Stück um Stück, wie vermodertes Zeug, das frische Luft nicht mehr verträgt, fiel der Schnürleib ab, und eine erleuchtete Persönlichkeit trat hervor, der wahre Engel, dem das Reich Gottes gehört.
Am schönsten trat derselbe hervor in der unverblümten Liebe zu Mareili. Das Fräulein hatte unwillkürlich empfinden gelernt den großen Unterschied zwischen Dankbarkeit für erhaltene Wohltaten und der eigentlichen Liebe zu der Person des Wohltäters. Beides ist etwas ganz anders und wird nicht oft bloß verwechselt, sondern das letztere gar nicht bemerkt oder, bemerkt, gering geachtet. Das Fräulein fühlte dadurch sich beschämt und gehoben, es stieg höher auf der Leiter christlicher Vollendung, es begann nicht bloß die Wohltätigkeit zu lieben, es begann auch arme Personen zu lieben, es begann sich vor allem aus der Liebe zu Mareili bewußt zu werden, welche eigentlich schon lange in ihm war, die es aber, solange der Schnürleib seine Gefühle in alter Gemessenheit erhielt, nicht bemerkt, an die Möglichkeit ihrer Existenz gar nicht gedacht hatte. Mareili wurde des Fräuleins Freundin und eine immer innigere, je schwächer des Fräuleins Verband mit der Welt wurde, Kränklichkeit dasselbe zu einem einsamen Leben zwang.
Die äußern Dienstleistungen blieben sich gleich. Mareili verdoppelte sie, sobald irgendwie es nötig wurde, aber es blieb ihr Verkehr eben nicht auf diese äußern Dienstleistungen beschränkt, sondern das innere Leben schlossen sie sich auf, und als Pilgrime, welche keine bleibende Stätte haben, sondern eine zukünftige suchen, wanderten sie Hand in Hand dem gleichen Ziele zu. Wie Mareili über die Stürme erstaunte, welche im innern Leben seines Fräuleins gewaltet, über die Klippen erblaßte, die so drohend in dasselbe hineinragten, so erstaunte das Fräulein über das sinnige, liebliche Gelände, welches Mareili eröffnete, wo es wohl Regenschauer gab, aber keine Orkane, Steinchen im Grase, aber keine Klippen.
Wenn es die beiden Leben zusammenstellte, so war das eine ein peinlich Ringen gegen das Ersticken, ein Wandeln an Abgründen, ein Schmachten in dürren Landen, das andere ein Weilen in kleinem Wiesengrund unter schattichten Bäumen, das erstere bei vollem Überflusse von allem, was die Erde bietet, ohne mühsamen Erwerb, das letztere in stetiger Arbeit für dürftige Notdurft. Das Fräulein hätte oft weinen mögen in solchen Betrachtungen und schmollen mit Gott, daß er den Pfad ihm so schwer gemacht, wenn es nicht zu tief erkannt, wie alles von Gott kömmt, und wie er jedem seine Bürde ordnet nach den zugeteilten Kräften, und wie im stillen Grunde bei einförmiger Arbeit sein reger Geist und weites Herz nicht die Befriedigung gefunden wie Mareili, sondern vielleicht wiederum nur die engen Fesseln, welche es sein Lebtag getragen, nur anders geflochten und aus anderem Stoffe. Wenn sie zusammensaßen in vielen einsamen Abendstunden, so waren sie ähnlich zwei Nonnen, welche die Welt hinter sich gelassen und über der Welt zu Schwestern geworden waren. In der Welt blieb Mareili die Dienerin, mißkannte nie seine Stellung, wie oft es auch dazu veranlaßt wurde. Sein Verhältnis zum Fräulein war wohlbekannt. Die einen wollten es mißbrauchen in selbstsüchtigen Absichten, die edlern Verwandten begegneten ihm mit einer Achtung, die bei minder demütigem Sinn sein Wesen hätte vergiften können, allein es blieb das gleiche, es erhob sich nicht, mißbrauchte seinen Einfluß nicht.
So lebten sie, bis Gott einen andern Engel sandte, der das Fräulein abrief. Nun war Mareili wieder alleine, da ward ihm zu weit in der Welt, obgleich es schön hätte leben können darin, denn das Fräulein hatte es reich bedacht. Aber es konnte wirklich sagen, sein Engel sei am Throne Gottes und sein Wandel im Himmel. Alles, was es geliebt in der Welt, war dort. Es kaufte die Hütte im Tschaggeneigraben, in welcher es mit seiner Mutter gewohnt, und ließ dort sich nieder. In den ersten Jahren, die es beim Fräulein war, kam es zur Erdbeerizeit wieder, sammelte Erdbeeren und brachte großen Jubel ins Schloß, wenn es mit seinen Körbchen voll der prächtigsten Früchte wiederkehrte. Später blieb es aus, jahrelang war es nicht in der alten Heimat gewesen, als eine Art von Heimweh es wieder dahin zog.
Es richtete freundlich sich ein und freute sich auf das alte Leben, denn wenn es auch nicht mehr Gewinn und Gewerb zum Lebensunterhalt für sich treiben wollte, so wollte es doch seine Freude an seinen lieben Erdbeeren wieder haben. Es hatte noch alle Wege und Stege im Kopf, alle Birken und Haselstauden, es hoffte, noch den alten Stock zu finden, wo immer das erste Stüdeli blühte. Aber wie ward Mareili getäuscht, als es den Schaden nun sah! Es fand die Weiden nicht mehr, wo früher die ersten Erdbeeren reiften, es war in einer andern Welt, man mußte sie weggetragen haben. Kein Busch war mehr da, keine Birke, keine Reckholderstaude, nichts als Erdäpfel für die Menschen und Gras fürs Vieh. Es weinte über die alte Wildnis, welche die Kultur ihm verschlungen. Es fand endlich wieder Erdbeeren, fast hinten an der Welt. Aber da war es nicht mehr das Erdbeeri Mareili, da fand es andere Kinder, welche erdbeereten und damit sein altes Gewerbe trieben. Es liefen ihm die Augen über, und im Herzen tats ihm weh, als es sah, wie roh sie mit den Beeren umgingen, halbreif sie abrissen, achtlos die Stüdeli zertraten, zerrissen, die halbe Ernte verdarben, mit feindseligen Blicken es ansahen und endlich in Schimpfen ausbrachen gegen das fremde Weib, als ob dasselbe unberechtigt in ihr Eigentum käme, und war Mareili doch die erste Herrin dieses Gebietes gewesen, hatte den Leuten den Verstand zu diesem Erwerb gemacht, und jetzt ward ihm das Recht bestritten, sein altes Reich zu betreten.
Das hatte Mareili sehr wehgetan, und bald wäre es wieder fortgezogen aus dem Graben. Aber es bezwang die ersten Regungen, es bedachte, daß es, weil die Welt in ewigem Wechsel kreist, es denn doch nicht das Recht hätte, von Gott und Menschen zu fordern, daß sie ihm den Tschaggeneigraben, der dazu nicht einmal sein Eigentum war, unverändert lassen sollten. Nicht umsonst werde Gott ihm die alte Liebe dazu erweckt und ihns dahin zurückgeführt haben. Etwas werde er wohl für ihns zu tun haben; wenn es die Augen nur recht auftue, werde es dasselbe schon finden. Und Mareili tat die Augen auf und sah bald, was Gott von ihm wollte, und welch Tagewerk er ihm bestimmt hatte. Es zwang sich und ging wieder Erdbeeri gwinnen, und mit den Erdbeeren suchte es die Kinder zu gewinnen, sich ihnen lieb zu machen und Zucht und Ordnung in ihr Treiben zu bringen. Mareili gelang es nach und nach, aber mit Mühe. Sie wollten sich nicht von ihm befehlen lassen, aber sie taten am Ende freiwillig, was es angab, sie fanden ihren Nutzen darin, und wirklich ging nach und nach in einem und dem andern Liebe auf; denn Mareili war einnehmend und freundlich, wußte gar vieles zu erzählen, hatte ein offenes Herz und eine offene Hand.
Wohl stellte sich zuweilen ein ungezogener Junge ungebärdig ein, aber Mareili überwand ihn allgemach mit Sanftmut und Liebe, und wenn es eines Tages ausblieb, mißten es die Kinder und hatten Langeweile. ›DsErdbeeri Mareili ist da!‹ oder ›DsErdbeeri Mareili ist nit da!‹ ward das Feldgeschrei der Kinder. Dieser Verband hörte im Winter nicht auf. Mareili fühlte bald, daß es nicht alleine sein konnte, nahm daher das Kind, das ihm am liebsten geworden, zu sich, und andere Kinder kamen zu diesem, und alle, die kamen, lernten von Mareili Gutes fürs Herz und Nützliches für die Finger, denn in allen weiblichen Arbeiten war es eine Meisterin. Es kostete kein Lehrgeld, und so ganz trocken ohne Essen und Trinken kamen die Kinder selten fort, Mareili hatte es und gönnte es. Damit trieb es die Kinder nicht fort, man kann es sich denken. Mareili und sein Geld gefiel noch anderen wohl, nicht bloß Kindern, aber Mareili machte allen Gelüsten ein schnelles Ende, es wußte zu klar, wo seine Liebe war.
Im Anfang hatte sein Wiedererscheinen Aufsehen gemacht, aber es lebte so still und anspruchlos, es zeigte sich so wenig außerhalb dem Graben, daß man es nach und nach vergaß und nur um ihns wußte, wer mit ihm in tägliche Berührung kam, und die Kinder, denen es als eine Mutter sich erzeugte. Das Mädchen, welches Ihr dort getroffen, Gerichtsäß, ist das dritte, welches Mareili erzogen hat. Mareili war nicht selbstsüchtig, meinte nicht, wenn es Kinder erziehe, erziehe es sie für sich, sondern es erzog sie für sie. Es fand es nicht passend, ein erwachsenes Mädchen in dieser Einsamkeit an sich zu bannen durch allerlei Hoffnungen. Sobald es an der Zeit war, sandte es sie hinaus in die Welt, wohl ausgerüstet mit Geschicklichkeit und Gottseligkeit. Es wußte, wo sie gut aufgehoben waren, dahin gab es sie, und eine solche Gabe wurde fast angesehen wie eine Gnade. Die Mädchen hielten sich brav, wurden glücklich, haben Mareili viel Freude gemacht. Aber sein selig Fräulein blieb seine rechte Liebe, und nur in seinen besten Stunden, wo seinen Kindern sein Herz so recht aufging, erzählte es ihnen von seinem Engel. Aber die Tore zu diesem Andenken, seinem Allerheiligsten, öffnete es selten, nur wenn es ihm gar feierlich war im Gemüte. Dann erschien aber auch das Fräulein in einem Glanze, daß man nicht wußte war es ein wirklicher Mensch oder ein überirdisches Wesen, und die Kinder schauerten und bebten so süß, als säßen sie mitten in der wunderbaren, noch unsichtbaren Welt.
Es war mir lieb, das Erdbeeri Mareili, das so still und so schön wirkte für das Reich Gottes und ein fleißiger, aber unbemerkter Arbeiter war in dem großen Erntefeld. Sein Tod tut mir weh, aber ich mag ihn ihm gönnen, denn nun ist es wieder bei seinem Engel und ist selbst ein Engel. Ich muß es aber noch einmal sehen und mit dem Kinde reden, welches es bei sich hatte, das wird Trost und Rat bedürfen, wenn sonst auch für ihns gesorgt sein wird. Aber und jetzt, Gerichtsäß, was meint Ihr, hatte ich recht, als ich sagte, das Erdbeeri Mareili sei besser gewesen als Ihr und ich?«
»Ja, ja«, sagte Gerichtsäß Hasebohne, »so für ein Weibervölchli mags angehen, und daß es sich mit dem Mannevolch nicht angelassen, wie es scheint, daneben kann man es nicht wissen, gefällt mir bsunderbar wohl. Es sollten es alle so machen, dann täte es weniger arme Kinder geben. Aber, ob es dann imstande gewesen, Pfarrer zu sein oder gar Grichtsäß, selb müßte ich doch zwyfle, drzu bruchts Verstang, wo me hinger emene Wybervölchli nit fingt. Unser Herrgott wird nicht umsonst zweier Gattig Menschen erschaffen haben, Weibervolk und Mannevolk, wo eigetlich nit zsämmezzelle sy u z'vrglyche, wie drHerr Pfarrer wohl weiß, vo wege Mannevolk ist doch geng Mannevolk, u Wybervolk blybt i Gotts Name geng Wybervolk. Nüt für ungut, Frau Pfarreri, aber es isch emel so und wird nit angers, solang dWelt steit. Aber jetzt muß ich heim. Meine wird luege, wo ich herkomme, die gibt mir eine Kappe, es ist e Handligi! Lebit wohl u Dank heigit u chömmets cho yzieh, es wurd is freue!«
»Kanns geben«, sagte der Pfarrer, bot dem Grichtsäß Hasebohne die Hand, und auch die Frau Pfarrerin tat also, und derselbe ging nach Hause.
»Jetzt weißt du«, sagte der Pfarrer, »was Grichtsäß Hasebohne auf dem Weibervolk hält, und wie er es schätzt.« »Das wundert mich nicht«, sagte die Frau Pfarrerin, »von einem Gerichtsäß; soll ja ein Kirchenkonzilium, wie du mir selbst erzählt, noch viel dümmer gewesen sein. Nun, es kömmt uns wohl, sind solche nicht der liebe Gott, und wird ihr Urteil nicht viel zu bedeuten haben vor ihm. Aber jetzt komm, wenn du die Suppe nicht kalt willst, es ist die höchste Zeit, und Rösi stellt, wie du weißt, nichts an die Wärme. Es gäb dLüt am beste zuche, we men es kalt gäb, was sie nit heige möge, wos warm gsi syg, behauptet es.« Eine gute Regel für manche Haushaltung.