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Schon längst sind die Koryphäen der russischen Litteratur dem deutschen Lesepublikum keine Fremden mehr. Welcher Gebildete kennt heutzutage nicht wenigstens die Hauptwerke Puschkins oder Gogols, Lermontoffs, Turgenjeffs oder Dostojewskis! Und mit welcher Spannung lauscht nicht die gesamte Kulturwelt den ernsten, mahnenden, tiefgreifenden und doch auch wieder so herzgewinnenden Worten des großen Einsiedlers von »Jaßnaja Poljana!«
Doch auch jüngere Repräsentanten der russischen Litteratur haben es verstanden, durch bedeutungsvolle und anregende Werke ihrer Feder die Aufmerksamkeit der gebildeten Lesewelt auch außerhalb der Grenzen ihrer Heimat auf sich zu lenken.
Unter den letzteren ist es Marim Gor'kij, der unstreitig an erster Stelle genannt zu werden verdient. Durchaus originell und feinsinnig in der Art seiner Darstellung verbindet er tief psychologische Beobachtungsgabe mit einem Reichtum äußerst wertvoller und nach den verschiedensten Richtungen hin anregender Ideen und Stimmungen, die ein allgemeines und dauerndes Interesse beanspruchen dürfen.
Ueber Gor'kijs Weltanschauung, über seine Ziele sich hier zu verbreiten, würde natürlich viel zu weit führen. Er selbst hat dieselben wohl schon am klarsten ausgesprochen, wenn er sagt: »Der Sinn des Lebens liegt im Schönen und in der Macht nach Zielen zu streben. Man muß immer und immer dafür sorgen, daß jeder Augenblick des Daseins sein hohes Ziel habe. – Wohl wäre das möglich … nicht aber in den alten Rahmen des Lebens, in welchen allen so eng ist und wo es dem menschlichen Geiste an Freiheit mangelt.« Aus einer Erzählung, die der vorliegenden demnächst folgen wird.
Die Werke unseres Autors haben im Fluge die Herzen der russischen Jugend erobert. Aber auch im Auslande, namentlich in Deutschland, wurden bereits vereinzelte, in Uebersetzungen dem Publikum zugeführte Schriften desselben, mit großem Beifall ausgenommen.
Dieses rege Interesse für Gor'kij dürfte denn auch das mit vorliegendem Buche beginnende Unternehmen, der deutschen Lesewelt eine Auswahl der gediegensten und ideenreichsten Gor'kijschen Erzählungen in sorgfältiger Uebersetzung zugänglich zu machen, durchaus angebracht erscheinen lassen.
Hierbei wurde nun vor allem darauf Bedacht genommen, der Uebersetzung soweit als angängig das specifische Kolorit des Originals zu wahren. Ist ein solches Verfahren bei allen Uebersetzungen besserer Werke, wie jeder Denkende leicht einsehen wird, schon vom Standpunkte völkerpsychologischer wie ästhetischer Forschung zu wünschen, so wird dies um so mehr bei Gor'kij am Platze sein, dessen Eigenart sich besonders noch in der außerordentlichen Lebendigkeit seiner Sprache kundgiebt. Daß nun bei dem Streben, die Uebersetzung dem eigenartigen Satzbau, den plötzlichen Wendungen und der vieldeutigen Interpunktion dieses Schriftstellers anzupassen, im Deutschen manche Härten nicht zu vermeiden waren, das läßt sich wohl begreifen und auch – entschuldigen.
Zum Schluß noch ein kurzes Wort in Bezug aus den Titel vorliegender Erzählung.
Auch hierin soll dem Leser entgegengekommen werden: Im Russischen nämlich lautet die Ueberschrift: »Prochodimetz«, was rein wörtlich der »Ge- oder Bewanderte« bedeutet und im Sinne von: Schnorrer, Hochstapler, Landstreicher, Schlaufuchs und dergleichen gebraucht wird, gelegentlich auch, wenn auch nicht ganz zutreffend, im Sinne von: Pilger und Wanderer. Alle diese Typen, und namentlich jene »zerlumpten Männer und Frauen, die mit ihren Bündeln von Ort zu Ort irren und sich durch Christi Namen ernähren«, wie sie auch Tolstoi so oft kennzeichnet, bilden thatsächlich eine nicht genug zu geißelnde Landplage Rußlands. Indessen kann es kaum, wie jeder verständige Leser sich bald selbst überzeugen wird, die Absicht des Autors gewesen sein, in dieser Erzählung nur jene unerfreuliche soziale Erscheinung des russischen Lebens künstlerisch darzustellen. Vielmehr ist ihm sein »Prochodimetz« in erster Linie eine bequeme Figur, um durch den Mund derselben gewisse Ideen und Kritiken auszusprechen, die im Lande der strengen Zensur ohne solche Umschweife wohl kaum geäußert werden dürften. Da bei uns ja eine solche Veranlassung nicht vorliegt, und der Zweck eines Titels hauptsächlich doch nur der sein soll, den Ideengehalt eines Werkes so adäquat als möglich anzugeben, so schien die hier gewählte Ueberschrift dazu am geeignetsten.
Leipzig, im April 1901.