Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII

»Wo steckst Du eigentlich, lieber Boris Pawlowitsch?«

schrieb Ajanow.

»In welchen Winkel des heiligen Reußenlandes hast Du Dich vor unserem zwar feuchten, doch dabei ewig jungen Petersburg geflüchtet? Seit zwei Monaten habe ich nicht eine Zeile von Dir bekommen. Hast Du Dich vielleicht gar da unten mit irgendeinem Sterlet verheiratet? Anfangs hast Du mich mit Deinen Sendschreiben geradezu überschüttet, und plötzlich schwiegst Du Dich total aus, so daß ich nicht einmal weiß, ob Du nicht gar aus Deinem stillen Malinowka nach irgendeinem noch stilleren Smorodinowka Malinowka – Himbeerdorf; Smorodinowka – Johannisbeerdorf übergesiedelt bist, und ob dieser Brief überhaupt in Deine Hände gelangen wird.

Ich habe Dir viel Neues zu erzählen, hör also zu. Zunächst kannst Du mir Glück wünschen; meine Hämorrhoiden haben sich geöffnet! Wir waren beide – ich sowohl wie mein Arzt – so glücklich darüber, daß wir uns gerührt in die Arme stürzten und beinahe geweint hätten. Weißt Du die Tragweite dieses Ereignisses auch gehörig zu würdigen? Ich brauche nicht ins Bad zu fahren! Die Kreuzschmerzen haben sich gelegt und auf den Leib mach ich kalte Umschläge; Du weißt doch, ich leide an Plethora abdominalis.«

›Mit solchen törichten Neuigkeiten glaubt er mich nun zu amüsieren‹, dachte Raiskij und las dann weiter.

»Meine Olinka wird alle Tage hübscher, braver und artiger, sie macht in den Wissenschaften gute Fortschritte, ist den Pensionsdamen gegenüber folgsam und zu ihrem Papa sehr nett und liebenswürdig. Jeden Donnerstag fragt sie mich, wann denn ihr lieber Freund Raiskij wiederkommen würde, der ihre Zeichnungen verbessert, ihr immer heimlich Konfekt mitgebracht und sie auch sonst auf jede Weise verzogen hat.«

»Ist das ein Kamel! Nur von sich selbst weiß er zu erzählen!« flüsterte Raiskij, überschlug ein paar Zeilen und las weiter:

»Koko hat endlich seine Eudoxie geheiratet, um die er fast sieben Jahre lang gefreit hat, wie Jakob um Rahel. Er ist jetzt auf sein Landgut in der Gegend von Tmutarakan abgereist. Den Buckligen haben sie zusammen mit seiner Hexe ins Ausland abgeschoben, und nun ist es gleich viel lustiger im Hause. Alle Fenster wurden sofort aufgerissen, daß die frische Luft Zutritt erhielt; und auch die Menschen haben jetzt Zutritt, nur um die Magenfrage ist es noch schlecht bestellt.«

»Was geht mich das alles an?« brummte Raiskij ungeduldig und überflog rasch die weiteren Seiten des Briefes. »Von der Kusine schreibt er nicht ein Wort, und das ist doch das einzige, was mich interessiert!«

»Statt seiner«,

fuhr Raiskij halblaut in der Lektüre des Briefes fort,

»soll Fürst I. W. Minister werden, während I. B. zu seinem Gehilfen ernannt werden soll. Die Weiber werden zetermordio schreien. P. B. hat siebzigtausend Rubel im Spiel verloren. Familie Ch. ist ins Ausland abgereist. Doch ich sehe schon, Du runzelst die Stirn, denn das alles langweilt Dich, Du möchtest nur von Sofja Nikolajewna etwas hören«,

las Raiskij und wurde plötzlich lebhaft.

»Sofort, sofort – ich habe meine Nachrichten über sie als besonders schmackhaften Bissen fürs Ende aufgespart.«

»Endlich kommt er auf das Thema zu sprechen!« sagte Raiskij. »Nun, was ist also mit ihr los?«

»Ich war bemüht, auch in Deiner Abwesenheit Deiner Sache treu und ehrlich zu dienen, das heißt, ich habe zweimal wöchentlich mit den liebenswürdigen alten Damen Karten gespielt, so daß ihr Bruder Nikolai Wassiljewitsch sich schon den Spaß machte, mich zum Bräutigam seiner Schwester Anna Wassiljewna zu proklamieren, und das Thema unserer Hochzeit so ausgiebig und launig behandelte, daß die beiden Schwestern ihn mit kräftigen Püffen aus dem Zimmer jagen mußten, ohne daß er die Subsidiengelder erhielt, deretwegen er gekommen war. Dafür setzte er mich dann mit dreihundert Rubel an, die ich Dir in Rechnung stellen werde, da ich leider keine Aussicht habe, sie meiner anverlobten Braut jemals wieder abzunehmen. Vernimm nun, erbleiche und zittere!

Ich sagte bereits, daß ich, indem ich mit den Tanten weiterspielte, lediglich Deiner Sache zu dienen bestrebt war. Ich verstehe darunter die Erweckung der Leidenschaft in dem Marmorherzen Deiner Kusine; in Deiner Abwesenheit ist dies jedoch in einem weit schnelleren Tempo vor sich gegangen als vorher. Graf Milari nämlich, der Italiener, betreibt denselben löblichen Sport wie Du – ich meine die Anfachung der Leidenschaft in den Weibern –, und es scheint mir fast, daß er damit größere Erfolge hat als Du. Auch er hatte sich daran gewöhnt, an denselben Tagen und zu derselben Zeit, da wir unsere Partie hatten, seine Besuche im Hause zu machen, und Nikolai Wassiljewitsch war außer sich vor Freude, als er sein Familienglück so lieblich erblühen sah.

Die jungen Leutchen befreiten den Herrn Papa alsbald von der Verpflichtung, immer den dritten Mann zu machen; sie befaßten sich eifrigst mit Musik, sie spielten und sangen und waren gar nicht böse, wenn er nicht dabei war. Auch die Spazierfahrten brauchte er nicht mitzumachen, und ich kann es Dir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen – wie überhaupt ganz Petersburg von der Sache nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit spricht –, daß, wenn die Equipage Deiner Kusine auf den Inselpromenaden erschien, unbedingt auch Milari daselbst hoch zu Roß oder im Wagen auftauchte und sich ganz dicht neben ihrer Equipage hielt. Sofja Nikolajewna war zuerst noch hübscher geworden, als sie ohnedies schon gewesen, dann aber wurde sie auf einmal so nachdenklich, ging aus ihrer olympischen Ruhe ein wenig heraus und magerte sogar ab. Denk Dir nämlich – aber nimm Dein Fläschchen zur Hand! –, sie hat einen Fauxpas begangen! Ich suchte natürlich zu erfahren, worin ihre Schuld bestände, erhielt aber überall, selbst von ihrer Kusine Catherine, nur ganz nichtssagende Antworten, aus denen ich mir gar kein Bild zurechtmachen konnte; lauter Zweien und Sechsen, keinen König, keine Dame, kein As, nicht einmal eine Zehn ... lauter plundrige Karten!

Ich begann schon, mir ihren Roman selbst zusammenzudichten. Ich dachte mir, man habe sie irgendwo auf einem einsamen Spazierweg getroffen oder einen Brief aufgefangen, in dem es hieß: ›Ich liebe Dich‹ – oder es sei vielleicht zwischen Rossini und Bellini zu einem verbotenen Kuß gekommen. Doch nein, sie spielten und sangen ununterbrochen und störten uns bei unserer Partie, die, nebenbei gesagt, auch sonst mancherlei Störungen ausgesetzt war. Überhaupt bin ich kein Freund des Sommers, weil es in dieser Jahreszeit meistenteils schlechte Karten gibt. Jedenfalls betrieben die jungen Leutchen die musikalischen Übungen so eifrig, daß Nadjeshda Wassiljewna sich sogar die Ohren zustopfen mußte. In der Stadt aber lief das Gerücht weiter und weiter. Die Mesenskijs, die Chatkows, die Myschinskijs und all die andern, ganz besonders aber Kusine Catherine, flüsterten leise, mit verhaltener Freude: ›Sophie a poussé la chose trop loin, sans se rendre compte des suites ...‹ Sophie hat die Angelegenheit zu weit kommen lassen, ohne sich die Folgen zu überlegen ... und so weiter. Ich fragte, bald laut, bald leise, was für eine ›chose‹ das denn eigentlich wäre, forschte diesen und jenen aus, und als mir niemand eine bestimmte Antwort gab, begann auch ich, sobald die Rede auf sie kam, zu flüstern und zu raunen: ›Oui, elle a poussé la chose trop loin, sans se rendre compte ... elle a fait un faux-pas. sie hat einen Fauxpas begangen ...‹ Und ich zuckte, sobald man mich fragte, was für ein ›pas‹ das eigentlich sei, bedeutsam die Achseln.

So zog allmählich ein Wölkchen am Horizont auf und schwebte alsbald über dem Haupte Deiner Kusine. Ich aber diente, meiner Freundespflicht eingedenk, nach wie vor Deiner Sache und fuhr zur Partie zu den Tanten. Ich machte mich mit Milari näher bekannt und verabredete mit ihm, genauso wie vorher mit Dir, daß wir beide, um ungenierter zu sein, immer zur selben Stunde kommen wollten.«

›Dieser Esel!‹ dachte Raiskij ärgerlich und warf den Brief auf den Tisch. ›Wie konnte er nur annehmen, daß er mir damit einen Dienst leistete?‹

»Für alle meine Dienste und meine Freundschaft«,

las Raiskij dann weiter,

»mußt Du mir zum Winter ein Fäßchen vom besten Kaviar und einen wenigstens vier Ellen langen Sterlet schicken, falls Du es nicht vorziehst, beides selbst mitzubringen – die Hälfte davon möchte ich meinem sehr verehrten Wohltäter und Spielpartner, dem Herrn Minister, verehren.«

Weiter unten las Raiskij:

»Wir waren also mit Kind und Kegel in die Sommerresidenz auf Kamennyj Ostrow übergesiedelt, das heißt, sie mieteten die ganze Villa W., während ich zwei Zimmer in der Nähe bezog. Nikolai Wassiljewitsch bekam einen besonderen Pavillon angewiesen ...

Alles ging seinen gewohnten Gang, bis eines Tages vor Beginn unserer Abendpartie – Sofja Nikolajewna war gerade mit ihrem Vater irgendwohin gefahren, während die beiden Fräulein sich eben zu einem Spaziergang anschickten – die Ankunft der Fürstin Olympiada Ismailowna gemeldet wurde. Die Tanten waren ärgerlich, daß unsere Partie sich nun verzögern würde, und schickten mich für ein Stündchen fort, um erst einmal die Fürstin zu empfangen.

Das Unglück brach herein; keins von uns, weder eine Deiner Tanten noch ich, ahnte damals, daß wir nie wieder zusammen Karten spielen würden. Die Fürstin begegnete mir auf der Treppe, und ihr Gesicht hatte einen so feierlichen, triumphierenden Ausdruck, daß ich nicht einmal wagte, mich nach ihren Nerven zu erkundigen.

Eine Stunde später fand ich mich, wie verabredet, wieder ein, wurde jedoch nicht empfangen. Ich kam am nächsten Tage wieder – auch da empfing man mich nicht. Am dritten, am vierten Tage geschah ganz dasselbe. Beide Tanten, hieß es, seien krank, könnten nicht ausfahren und empfingen niemanden – das war der Bescheid, der mir gegeben wurde.

Ich ging in den Pavillon, um vielleicht Nikolai Wassiljewitsch zu treffen – auch er war nicht zu Hause. Nirgends ließ er sich sehen, weder auf der ›Pointe‹ noch bei Isler, wohin er, wie er sich ausdrückte, ›incognito‹ zu gehen pflegte. Ich suchte ihn in der Stadt, im Klub, bei Pjotr Iwanowitsch. Der blinzelte mir schon von weitem über seine Zeitung hinweg spöttisch zu und sagte lächelnd: ›Ich weiß, ich weiß – die Tür ist verschlossen, der Brotkorb ist höher gehängt.‹

Von ihm erfuhr ich nun, was geschehen war. Zunächst bestätigte auch er mir, daß Deine Kusine ›a poussé la chose trop loin‹ ... daß sie ›a fait un faux-pas‹. Und dann schilderte er mir lebhaft die Folgen, die der Besuch der Fürstin Olympiada Ismailowna, dieser gestrengen Verfolgerin weiblicher Laster und Verteidigerin weiblicher Tugend, gezeitigt hatte. Die Tanten hatten sich beide zugleich ins Bett gelegt, und die Vorhänge waren an allen Fenstern ganz dicht verschlossen worden, und Sofja Nikolajewna hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und ließ sich nicht mehr sehen. Alle speisen auf ihren Zimmern, oder sie speisen vielmehr nicht, sondern man trägt ihnen nur die Mahlzeiten aufs Zimmer und holt sie unberührt wieder heraus. Der einzige, der noch etwas zu sich nimmt, sei Nikolai Wassiljewitsch, doch auch ihm sei es strengstens verboten, das Haus zu verlassen, damit er nicht ausplaudere, daß Graf Milari nicht mehr ins Haus kommt, sondern daß jetzt der alte Doktor Petrow kommt, der die beiden Fräulein in ihren jungen Jahren behandelt hatte – und, nebenbei gesagt, nach den Überlieferungen einer alten, vergessenen Chronik, beider Liebhaber gewesen sei. Jetzt hat er das Praktizieren längst aufgegeben und kam nur eben ›so‹, wenn man seiner benötigte. Endlich wußte Pjotr Iwanowitsch auch noch zu erzählen, daß die ganze Familie bis auf Nikolai Wassiljewitsch sich insgeheim für eine Auslandsreise, zunächst nach irgendeinem ganz ausgefallenen Badeort, vorbereite, daß aber die Reise auf volle drei Jahre berechnet sei.

Schließlich bekam ich aber Nikolai Wassiljewitsch doch noch zu sehen. Ich schrieb ihm ein paar Zeilen und erhielt von ihm eine Einladung zu einem gemeinsamen Abendessen unter vier Augen. Vor allem bat er mich um strengste Diskretion betreffs des gemeinsamen Soupers. Im Hause werde jetzt streng gefastet; ›on est en pénitence alles tut Buße‹, es gebe nur Bouillon und junge Hühnchen – ›et ma pauvre Sophie n'ose pas descendre me tenir compagnie und meine arme Sophie wagt nicht herunterzukommen, um mir Gesellschaft zu leisten‹ –, klagte er bitterlich und kaute an seinen Lippen, ›et nous sommes enfermés tous les deux und wir sind beide eingesperrt.‹ – ›Ich habe für Sie besonders ein Mittagessen bestellt, aber Sie dürfen mich nicht verraten!‹ fügte er, die aufgetischten Wachteln gierig hinunterschlingend, hinzu und war nahe daran, um seine arme Sofja Tränen zu vergießen.

Endlich erfuhr ich, daß zu dem früheren Wölkchen, diesem unbekannten X, das ich suchte und das darauf hinauslief, ›que Sophie a poussé la chose trop loin‹, doch noch eine Tatsache hinzugetreten sei, und daß sie – o Schrecken! – ›a fait un faux-pas‹, indem sie auf einen Brief Milaris antwortete! Pachotin zeigte mir diesen Brief und schlug zornig mit der Faust auf den Tisch: ›Mais dites donc, dites – qu'est ce qu'il y a là à propos de quoi? Aber sagen Sie doch, sagen Sie doch, was ist denn dabei? Weswegen?‹ – alle diese Ach- und Oh-Rufe, diese Riechfläschchen, diese Abreise, die schmale Kost? Da sieht man doch gleich, daß man es mit alten Jungfern zu tun hat!‹

Er stampfte mit den Füßen, lief im Zimmer umher und suchte seine Wut zu besänftigen, indem er in Champagner getauchte Biskuits zu sich nahm und irgendwelche Verdauungspillen darauf folgen ließ. ›Und das traurigste ist‹, sagte er, ›daß meine arme Sofja sich nun selbst Vorwürfe macht. Ja, ich habe gefehlt, sagt sie, ich habe mich kompromittiert; eine Frau, die sich selbst achtet, darf sich nicht vergessen, darf niemals pousser la chose trop loin! – Aber was hast du denn groß verbrochen, mein Kind? fragte ich sie. – J'ai fait un faux-pas, antwortet sie mir, ich habe die Tanten kompromittiert, und auch Sie, Papa! – Aber nicht im geringsten, mein Kind, versichere ich, doch alles ist umsonst, sie weint und weint in einem fort, die arme Kleine! Ce billet ... da, lesen Sie es!‹

Das Briefchen lautete wie folgt: ›Kommen Sie, Graf, ich erwarte Sie zwischen acht und neun, niemand wird da sein, und vergessen Sie vor allem Ihre Noten nicht. Ich bin usw. S. B.‹ – Nikolai Wassiljewitsch ist nun vor allem in seinem väterlichen Gefühl verletzt. ›Die Wolke wuchs, dank diesem Billett, weil, unter uns gesagt ...‹ – er flüsterte mir das Folgende ganz leise ins Ohr – ›Sofja gegenüber den Aufmerksamkeiten des Grafen nicht ganz gleichgültig schien, aber der Graf ist doch ein Ehrenmann, und sie ist viel zu gut erzogen, pour pousser les choses ... bis zu einem faux-pas ...‹

Das ist alles, was ich Dir zu berichten hätte, lieber Boris Pawlytsch. Es tut mir leid, daß es nicht mehr ist, und daß ich Dir nichts Lustigeres mitteilen kann – zum Beispiel, daß Deine Kusine eines schönen Tages ihre dunkle Mantille um die Schultern hängte und heimlich das Haus verließ, daß an der Straßenecke eine Mietkutsche auf sie wartete und mit ihr im Galopp davonfuhr, daß man sie dann mit Milari zusammen zurückkehren sah – sie ganz bleich, und er triumphierend, daß sie irgendwo an einer Straßenkreuzung sich verabschiedeten usw. Nichts Derartiges ist leider zu berichten.

Hier aber klammert man sich an jeden Strohhalm, sucht jedes feinste Fünkchen zur Flamme anzublasen, macht aus dem unschuldigen kleinen Billett einen Elefanten, lügt allerhand Sätze hinein, die nicht darin stehen, munkelt sogar von einem ›Du‹, das darin gestanden habe, aber alles das ergibt doch noch immer nichts Ganzes, und es bleibt schließlich bei der ursprünglichen Lesart, ›que Sophie a poussé la chose trop loin, qu'elle a fait un faux-pas‹. Ich fördere die Sache, so gut ich kann, schweige und lächle pfiffig, klage nicht an, verrate aber auch nicht, was in dem Briefchen gestanden hat. Alle sind hinter mir her, seit sie wissen, daß ich in die Sache ein klein wenig eingeweiht bin. K. R. und Frau Gemahlin haben mich bereits zweimal zum Diner eingeladen, und M. läßt im Klub eine Bouteille nach der andern anfahren, in der Hoffnung, ich würde schließlich doch noch aus der Schule plaudern. Das alles macht mir Spaß, aber ich halte reinen Mund.

In vierzehn Tagen reisen sie ab. Das ist das Ende des Romans Deiner schönen Kusine. Doch halt – die Hauptsache hätte ich bald vergessen. Nikolai Wassiljewitsch wurde von seinen lieben Schwestern mit dem delikaten Auftrag beehrt, den Grafen Milari aufzusuchen und die Herausgabe des verhängnisvollen Billetts von ihm zu erbitten. Er führte sein Podagra, seine Nerven, seinen Tic, seinen Rheumatismus ins Treffen – doch es half alles nichts, er mußte heran. Der Graf hörte die Bitte des Vaters mit feinem, sarkastischem Lächeln an und sagte, er würde seinen Wunsch erfüllen. In der Tat schickte er am Tage darauf das Billett an die Belowodowa selbst mit einem ehrerbietigen Schreiben zurück. Nikolai Wassiljewitsch hat mir seinen Besuch bei dem Grafen geschildert: ›Wie er gelacht hat, dieser Graf, so diabolisch fein, als ich ihm das törichte Ansinnen meiner lieben Schwestern vortrug! Diese alten Biester!‹ rief er wütend und zerschlug in seinem Ärger eine Porzellanfigur, die auf dem Kamin stand.

Da hättest Du, lieber Boris Pawlowitsch, ein kleines Drama, das Du vielleicht in Deinen Roman einfügen kannst. Wie steht es denn damit? Schreibst Du ihn wirklich? Wenn es der Fall ist, dann lasse ich hier noch den Schlüssel zu dem Drama, zu beliebiger Benutzung für Dich, folgen. Ich glaube, Deine Kusine hat sich in der Tat auf ihre Weise, ohne den Salon zu verlassen, verliebt – Graf Milari aber wünschte die Sache auf die Straße hinauszutragen, und es sollen, wie der Herr Papa nachträglich ausplauderte, zwischen ihnen ziemlich lebhafte Dispute stattgefunden haben, wobei der Graf ihre Hand ergriff und sie ihm diese Hand nicht entzog, und wobei sogar Tränen ihre Augen verdunkelt haben sollen. Mit den Spazierritten und den Besuchen im Hause der Tanten nicht zufrieden, soll er mehr Freiheit im Verkehr mit ihr verlangt haben, sie zu einsamen Spaziergängen im Park aufgefordert, sie, wenn die Tanten schliefen oder in der Kirche waren, besucht und, wenn sie ihn abwies, sich wochenlang nicht gezeigt haben. Sie regte sich nun über alles das auf und nahm die Dinge sehr seriös – der Graf dagegen soll durchaus keine ernsthaften Absichten gehabt haben, und schließlich soll sich zum größten Entsetzen der Beteiligten herausgestellt haben, daß er einer von den neugebackenen Grafen sei, daß er bei dem alten Regime übel angeschrieben und aus seinem Vaterlande nach Paris, wo er sich sonst ständig aufhalte, emigriert sei, vor allem aber, daß er dort, unter dem blauen Himmel Italiens, in Florenz oder Mailand, schon eine richtige, ihm anverlobte Braut besitze. – Alles dies hatte die Fürstin Olympiada Ismailowna vom Fürsten P. B. als ganz sicher in Erfahrung gebracht. Und Deine Sofja hat jetzt an einem zweifachen Schmerz zu tragen. Erstens ist ihr Stolz – der Stolz auf ihre Schönheit und ihre Abstammung – aufs tiefste verletzt worden, und zweitens leidet sie darunter, daß sie einen ›faux-pas‹ begangen hat ... und vielleicht bereitet auch jenes Gefühl, das Du in ihr mit so viel Eifer anzufachen suchtest und das ich dann aus Freundschaft für Dich weiter angeblasen habe, ihr ein klein wenig Schmerzen.

Was nun weiter mit ihr wird, weiß ich nicht – aber Du wirst der Sache schon so oder so in Deinem Roman einen Schluß anhängen. Du hast ja Zeit genug dazu, während ich es sehr eilig habe; ich bin nämlich von W. I. zum Abendessen eingeladen. Dort erwartet mich eine solide Dauerpartie mit sehr ernsten Mitspielern.

Leb wohl – es ist der erste und letzte Brief, den ich Dir schreibe, und den Du, wenn Du willst, als ein besonderes Kapitel Deinem zukünftigen Roman einverleiben kannst. Wenn seine übrigen Kapitel ebenso gut werden, kann ich Dir nur gratulieren. Grüße Deine Großtante und Deine Kusinen unbekannterweise und sag ihnen, daß in der und der Stadt ein Freund von Dir wohnt, der Dir wie ihnen stets zu dienen bereit ist. – Dein I. Ajanow.«


 << zurück weiter >>