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Vor dem Kriegsgericht

Mata Hari im 35. Lebensjahr. Quelle: projekt.gutenberg.de

Im 35. Lebensjahr

Fast zehn Jahre sind schon verflossen seit dem Herbstmorgen, wo Mata Hari höhnisch lächelnd und stolz ihre Schritte zum Festungsgraben des Schlosses zu Vincennes lenkte ... Und doch, weit entfernt unterzugehen in der Reihe der im Kriege verurteilten Spioninnen, die heute nicht mehr sind, als ein Zug schwanker Schatten, nimmt ihre Gestalt mit jedem Tag immer deutlichere Umrisse an. Man veröffentlicht Romane über ihr Leben; man schreibt Dramen auf ihren Tod; man erörtert leidenschaftlich die Phasen ihres Prozesses; man erfindet Legenden, um ihre Geschichte noch verwickelter zu machen. Geschieht das alles nur, weil es sich um eine schöne Frau und Künstlerin handelt? ... Aber die Tichelly, Otilia Moss, Margarethe Schmidt und andere, die ihr auf dem Weg ins Gefängnis vorausgingen oder folgten, waren auch schöne Frauen. Oder geschieht es, weil sie mit selten frohem Mut in den Tod ging? Aber die Francillard war nicht weniger mutig ... Oder weil ihr Liebesleben und ihre gesellschaftlichen Intrigen höchst romanhaft waren? Doch darin übertraf sie ihre leidenschaftlichere Freundin Maroussia Destrelles um ein gut Teil. Dennoch, wer erinnert sich noch der vielen unglücklichen Hauptpersonen in der langen, langen gerichtlichen Tragödie? Für Mata Hari dagegen interessiert sich die ganze Welt. Mata Hari wird nach und nach ein Symbol; Mata Hari ist der Gegenstand eines Kultus. Warum? Wahrscheinlich weil auf ihrem Leben und auf ihrem Tode ein undurchdringliches Geheimnis ruht.

Alles ist dunkel, alles ist verworren, alles ist rätselhaft in ihrem Tun. Aber diesmal spiele ich nicht darauf an, was Romanschriftsteller und Theaterdichter uns über ihre Abenteuer erzählen, sondern auf die Enthüllungen des offiziellen Berichts nach dem Verhör vor dem Kriegsgericht. Denn ein solcher Bericht existiert. Er ist jüngst in gedrängter Form abgefaßt worden von Massard, der 1917 die Funktionen eines Stadtkommandanten von Paris ausübte. Das Dokument beginnt so:

»Empfängt man den Befehl, an einem Mann oder einer Frau das Todesurteil vollstrecken zu lassen, so verursacht das stets ein unangenehmes Gefühl. Der auf Mata Hari lautende Befehl erregt mich aber nicht übermäßig. Ich hatte zwei geheimen Verhören vor dem Kriegsgericht beigewohnt und wußte wie und warum die berühmte Tänzerin verurteilt worden war. Den Vorsitz des dritten Kriegsgerichts führte der vornehme Oberst Semprou, der ehemalige Chef der republikanischen Garde. Dieses Kriegsgericht hatte seinen Sitz im großen Schwurgerichtssaal im Palais de Justice. Und zwar bei strengstem Ausschluß der Öffentlichkeit. Niemand, absolut niemand konnte in den Saal dringen, ich war der einzige Offizier mit einer Ermächtigung, den Verhandlungen beizuwohnen. Die Schildwachen sperrten die Türen bis auf eine Entfernung von zehn Metern ab, und kein Geräusch von außen, auch keine Beeinflussung war imstande, die Ruhe und Würde dieser militärischen Gerichtsbarkeit zu stören, so furchtbar dem Aussehen nach, so zurückhaltend und unparteiisch im Grunde. Bevor wir beginnen, möchten wir ausdrücklich bemerken, daß, wenn wir Einzelheiten, und zwar ganz genaue, über den Gegenstand, Komödie und Tragödie, worin Mata Hari in vorderster Reihe mitgespielt hat, angeben, es uns doch unmöglich sein wird, alles zu sagen, weil es da noch Dinge gibt, die nicht in die Öffentlichkeit gehören, und weil es nicht angeht, die Namen aller zu verraten, die in das Leben der Tänzerin verwickelt gewesen sind. Aber wie ich bereits zu Anfang dieser Schrift gesagt habe, die Wahrheit wird darum nicht minder enthüllt und ganz nackt vorgeführt werden, wie ja auch die Tänzerin selbst sich gern so zeigte.«

Die von Massard vorgeführte Wahrheit, nackt? – Sagen wir lieber: verstümmelt. Als echter Soldat scheint er nur plumpe Tatsachen zu wägen, die psychologischen Nuancen, die, wenn es sich um das Belauschen und Ergründen tragisch veranlagter Seelengebilde handelt, vom Moralisten mit allergrößtem Interesse beobachtet werden müssen, schiebt er als zu flüchtig, zu dünn verächtlich beiseite. So sind für ihn das Künstlerleben der Angeklagten, ihre Liebesabenteuer, ihre Herkunft, ihre geistige Veranlagung keine Vorpunkte, die einer langen Prüfung wert wären. Die eigentlichen Triebfedern, die die Verbrechen veranlaßt haben können, fesseln kaum seine Aufmerksamkeit. »In Anbetracht dessen, daß diese Frau von den Deutschen Geld empfangen hatte«, wiederholt er unaufhörlich, »ist es unangebracht, die Motive ihrer Vergehen anderswo zu suchen.« Wir sollen sie, das ist sein größter Wunsch, auf der Anklagebank nur mit seinen Augen sehen. In Wahrheit ist es ihm, trotz seinem rühmlichen Wunsche, sich durch keine Leidenschaft hinreißen zu lassen, unmöglich, seine Verachtung und seinen Widerwillen zu verbergen. Für ihn ist die Angeklagte nur eine hassenswerte Spionin, bar jeder anständigen Regung. Und doch findet man in seinem eigenen Bericht Beweise dafür, daß alle, die der berüchtigten Tänzerin zarte und selbstlose Gefühle zuschreiben, uns nicht täuschen. »Man hatte bei Mata Hari«, sagt Massard, »viele Briefe von Offizieren, Fliegern und hervorragenden Pariser Persönlichkeiten gefunden. Einen hatte ein Kriegsminister geschrieben ... Der Brief, der zu den Akten gehörte, sprach von Tagesneuigkeiten und sehr intimen Dingen. Der Präsident hatte stehend begonnen, ihn zu lesen ... Plötzlich erhob sich Mata und sagte: Lesen Sie nicht diesen Brief, Herr Oberst.

– Ich muß das tun.

– Dann unterdrücken Sie die Unterschrift.

– Warum?

– Weil, versetzte Mata, der Unterzeichnete verheiratet ist und ich nicht die Ursache eines Dramas in einer anständigen Familie sein möchte.« Massard gibt zu, Oberst Semprou habe vor dieser aufrichtigen Bitte eine Minute lang ergriffen gestutzt. Er freilich begnügt sich damit, ironisch zu lächeln und knüpft den Faden seines Berichts sofort wieder an.

Eine grausige Kälte strömt aus diesem Bericht:

– Am Tage der Kriegserklärung, sagt der Präsident zur Angeklagten, haben Sie mit dem Polizeipräsidenten von Berlin gefrühstückt und ihn dann in seinem Wagen begleitet, umgeben von der tobenden Menge.

– Das ist wahr, antwortet Mata Hari. Ich hatte den Polizeipräsidenten in einem Varieté, wo ich tanzte, kennen gelernt. In Deutschland hat die Polizei das Recht, die Kostüme der Künstlerinnen zu prüfen. Man hatte in den Zeitungen geschrieben, ich erschiene fast völlig nackt und der Präsident wollte infolgedessen meine Aufmachung selbst sehen. So traten wir in Beziehungen zueinander.

– Sehr richtig. Kurz darauf beauftragte Sie der Chef der deutschen Spionage mit einer vertraulichen Mission und schickte Ihnen dreißigtausend Mark.

– Das ist wahr, was die Person und die Summe betrifft. Dieser hohe Beamte schickte mir genau dreißigtausend Mark, aber nicht als Bezahlung für Dienste der von Ihnen genannten Art, sondern als Lohn für meine Hingabe. Der Chef der deutschen Spionage war mein Geliebter.

– Das war uns nicht unbekannt, aber diese Summe erscheint uns als ein übliches Geschenk für empfangene Liebe, offen gesagt, maßlos hoch.

– Mir nicht. Niemals gab mir jemand weniger.

– Um so besser ... Von Berlin kamen Sie nach Paris, und zwar auf dem Wege über Belgien, Holland und England. Was für ein Zweck führte Sie nach Paris?

– Ich wollte vor allem meinen Umzug aus der Villa in Neuilly überwachen.

– Unmittelbar darauf weilten Sie, unter dem Vorwand in einem Feldlazarett helfen zu wollen, sieben Monate lang in der Kampfzone.

– Jawohl, in Vittel, wo ich aber nicht Krankenschwester im Lazarett war. Ich wollte dort einen russischen Soldaten pflegen, den Rittmeister Marow, der im Kriege erblindete. Ich suchte am Schmerzenslager eines Unglücklichen, den ich liebte, Sühne für mein sündhaftes Leben.

An dieser Stelle seines Berichts muß Massard sich vor der Tatsache beugen und anerkennen, daß die Polizeiberichte melden, die perverse Bajadere, die herzlose Kurtisane, die Frau, die eingestandenermaßen ihre bisherigen Gunstbezeugungen einen Luxusartikel für vernarrte Millionäre genannt hat, habe in ihren Beziehungen zu dem vom Schicksal geschlagenen moskowitischen Krieger eine mustergültige Zärtlichkeit an den Tag gelegt. »Sie pflegte ihn hingebend«, sagte er, »und versah ihn sogar mit Geldmitteln.« Eine flüchtige Laune? O nein. Nachdem sie lange bei ihm geweilt, hörte sie nicht auf, ihm zu schreiben, weder im Gefängnis, noch selbst am Rande ihres Grabes. Später werden wir sehen, wie sie tatsächlich beim Verlassen ihrer Zelle in Saint-Lazare, in ihrer letzten Stunde, wo in den Festungsgräben des Schlosses von Vincennes die Gewehre des Exekutions-Pelotons sie erwarten, nur ein Einziges sie beschäftigt, und das ist die Erlaubnis, ein letztes Abschiedswort dem geliebten Wesen schreiben zu dürfen.

Ein in Paris sehr bekannter russischer Diplomat, Graf Ignatief, gedenkt, sagt man, später intime Aufzeichnungen des Rittmeisters Marow zu veröffentlichen, um zu zeigen, daß dieser Mann, heute in einem Spital oder Kloster der Welt entrückt, nie aufgehört hat, an die Unschuld derjenigen zu glauben, die für ihn ein Engel war. Das weiß Massard wohl sehr genau, denn er spricht in seinem Buch von jenen, die betört oder verblendet hartnäckig die Schuld Mata Haris bezweifeln. »Solche Zweifel«, versichert er, »sind gänzlich unbegründet; wir werden das im weiteren Verlauf sehen.«

Einer der moralischen Beweise, auf die sich die Ankläger Mata Haris berufen, ist ihr stets lebhaft geäußerter Wunsch, in engste Verbindung mit Vertretern des Soldatenstandes zu gelangen. Sie selbst bekennt sich zu diesem Wunsch, als sie im Verlauf der Verhandlungen dem Vorsitzenden des Kriegsgerichts antwortet:

– Männer, die nicht der Armee angehörten, haben mich nie interessiert. Mein Gatte war Hauptmann. Der Offizier ist in meinen Augen ein höheres Wesen, ein Mann, der beständig ein Heldenleben führt, immer gerüstet gegen alle Abenteuer, gegen alle Gefahren. Verliebte ich mich, – dann immer in tapfere und zuvorkommende Männer des Heeres, ohne mich darum zu kümmern, welchem Lande sie angehörten, denn für mich bilden die Krieger nun einmal eine besondere Art hoch über allen anderen Menschen.

Als der Präsident des Kriegsgerichts, der in den Verhandlungen als einfacher und rechtschaffener Soldat auftritt, unfähig eines vorgefaßten Hasses, Widerwillens, Vorurteils, diese Worte hört, murmelt er:

– Tatsache ist, daß man Sie seit Ihrer Ankunft in Paris nur in Gesellschaft von Militärs sah. Besonders die Flieger schienen es Ihnen in hohem Maße angetan zu haben. Auch diese suchten Sie, schmeichelten, machten Ihnen den Hof. Wie gelang es Ihnen, den Fliegern, ohne daß diese sich über ihr Verhalten Rechenschaft ablegten, die Geheimnisse, die sie zu wahren hatten, zu entreißen? Das könnten uns wohl nur die Wände Ihres Schlafzimmers verraten ... Aber es ist ja erwiesen, daß Sie dem Feinde die Punkte bezeichnet haben, wo unsere Flugzeuge die Beobachtungsposten aufstellten zur Überwachung der Front beim Vorrücken. Auf diese Weise haben Sie eine große Zahl unserer Soldaten in den Tod geschickt.

– Ich leugne es nicht, antwortet sie, als ich im Feldlazarett war, mit dem Chef der deutschen Spionage, damals in Holland, fortgesetzt korrespondiert zu haben. Ich kann doch nichts dafür, daß er diese Funktion ausübte. Aber niemals habe ich mit ihm vom Kriege gesprochen, ihm auch nichts darauf Bezügliches berichtet. Mata Hari gerät bis jetzt nicht aus der Fassung, trotz der Schwere der Anschuldigungen, die man ihr aufbürdet. Ihre Ruhe wirkt auf die Anwesenden verwirrend. Nicht das geringste Zittern in ihrer Stimme, nicht die leiseste Blässe auf ihrem Gesicht. Kerzengerade, sogar ein wenig schroff, steht sie da und scheint bisweilen sich gedemütigt zu fühlen durch den Ton des Anklägers, wenn er indiskrete Fragen an sie richtet. Der hartnäckige Zweifel ihrer Richter, sobald es sich um Summen handelt, die sie nicht als Spionengehalt, sondern als Preis für ihre Hingabe empfangen haben will, versetzt sie in Erregung. Dann werden ihre Blicke für Sekunden hart, haßerfüllt, verachtend. Ihre Gesten nehmen eine theatralische Grobheit an. »Alles ist studiert, erklügelt!« haben die gemurmelt, die sie in solch tragischen Augenblicken sahen. Prüft man aber die Szene aufmerksam, so ergibt sich, daß ihr Verhalten durchaus natürlich ist. So ist sie. Hat sie auch nur eine Ahnung von dem, was ihrer harrt, was ihrer harren könnte, von der Gefahr, in der sie steht? Zu Beginn wenigstens muß man unbedingt glauben: nein. Dieses geringschätzige Lächeln, womit sie mehrere Punkte der Anklagerede anhört, dieser Hochmut, womit sie den Ankläger unterbricht, diese Koketterie, womit sie die Falten ihres Rockes fallen läßt, wenn sie sich auf die Anklagebank setzt, dieser ganze Apparat, der den Kommandanten Massard außer Rand und Band geraten läßt und die Mitglieder des Kriegsgerichts vielleicht gegen sie verstimmt, ist die in dieser Situation unwiderstehlich hervorbrechende Offenbarung einer zweiten Natur, geboren in der Glut gesellschaftlicher Huldigungen. Standes-Berufsgewohnheiten, oder wie man's sonst nennt, werden schließlich krankhaft bei allen, die durch Lobhudelei und wachsenden Beifall eines Tages glauben, sie wären Gott weiß was für ein höheres Wesen.

Jedenfalls gibt auch Massard zu, Mata Haris Haltung vor ihren Richtern zeigte vollendete Eleganz und natürliche Anmut.

– »Sehr groß« sagt er, »schlank, das Gesicht ein wenig lang und schmal, hatte sie zeitweise eine herbe und unangenehme Miene trotz ihren schönen stahlblauen Augen und regelmäßigen Zügen. In ihrem dunkelblauen Kleide mit spitzem, sehr tiefem Ausschnitt, ihrem dreigespitzten, kokett militärisch sitzenden Hut entbehrte sie nicht der Eleganz, aber sie war völlig bar jeder Grazie, was bei einer Tänzerin einigermaßen überraschen muß. Sie war so deutsch von Gestalt und Herz ... Was Eindruck machte, war ihr entschlossener Gesichtsausdruck und ihre starke Intelligenz, wovon sie in jedem Augenblick Proben gab.«

Diese energische und zugleich feine Intelligenz zeigte sich tatsächlich in allen ihren Antworten. Wenn im Verlauf des Verhörs Oberst Semprou ihr sagt: »Nehmen wir an, Sie ahnten nichts von der Bedeutung dessen, was Sie schrieben; aber Sie wußten doch ganz genau, an wen Sie Ihre Briefe richteten«, begreift sie, daß sie eingestehen muß, was nicht von der Hand zu weisen ist, damit sie die schlimmen Konsequenzen daraus in Abrede stellen kann. Dann vergleicht sie sich in zynischem Ton mit Messalina und verkündet, ihre Liebschaften vor ihrer Begegnung mit Rittmeister Marow wären durch die Bank Geschäfte gewesen, nichts als Geschäfte, und zwar mit einer sehr hohen Taxe. Und als man ihr zu bedenken gibt, bei solchen Grundsätzen müsse ihr beständiger Wunsch, Offiziere und Politiker zu umgarnen, doch einigermaßen überraschen, und daran die Frage knüpft, warum sie statt dessen nicht lieber Jagd auf Bankiers und Millionäre gemacht habe, versichert sie lächelnd und schlagfertig, die reichsten wären nicht immer die freigebigsten. Und fügt auch hier wieder hinzu:

– Wie man die Dinge auch betrachtet, die Offiziere stehen nun einmal über allen anderen Menschen ...

Das ist ihr ewiger Refrain. Wollte sie damit etwa auf eine galante Art eine Erklärung geben für ihr Verhalten in den verschiedenen Ländern, wo man sie immer in Gesellschaft von Offizieren gesehen hatte? Oder müssen wir darin die naive Absicht erblicken, den Mitgliedern des Kriegsgerichts zu schmeicheln? Doch darauf kommt es hier nicht an. Beschränkte Verdächtigungen auf Grund dieses Enthusiasmus für die Uniform bilden keine Schuldbeweise. Mehr noch: eine Frau kann tatsächlich einen Verbrecher lieben, ohne daß sie selbst aufhört unschuldig zu bleiben. Oberst Semprou zeigte sich auch weder ironisch noch hart, als er die Erklärungen der Angeklagten anhörte. Schließlich kommt aber ein Moment, wo sie ausbricht:

– Kurtisane, jawohl, das gebe ich zu ... Spionin niemals!

Darauf sagt der Präsident ganz ruhig, ohne die Stimme zu erheben:

– Hier in Paris, und zwar in einer bestimmten Lage, als Sie sich überwacht, vielleicht schon verloren fühlten, verfielen Sie darauf, Ihre Dienste dem Chef der französischen Spionage anzubieten.

Diesmal wird die Tänzerin bleich und schweigt. In den Augen des Gerichtshofs ist das Anerbieten, Frankreich zu dienen, natürlich kein Vergehen. Eine andere minder kluge Frau hätte sich beeilt, zuzupacken, um mit Hilfe dieses Zweiges einen Rettungsversuch zu unternehmen. Sie dagegen weiß genau, daß ihr ganzes Verteidigungssystem von den Antworten abhängt, die sie zu machen hat. Wie besäße sie eine Erklärung für den Dünkel ihrer beleidigten Künstler- und Kurtisanennatur, wenn es ihr unmöglich bliebe zu verneinen, daß sie ein niederträchtiges Gewerbe treiben könne. Ja, eine Französin hätte die Zuflucht gehabt, einen Unterschied aufstellen zu können zwischen dem Dienst, und möge er noch so unwürdig sein, zugunsten des Vaterlandes und dem doppelt ehrlosen zugunsten des Feindes. Aber die Angeklagte ist keine Französin; sie ist nicht einmal eine jener Fremden, die ständig in Paris wohnen und sich schließlich ganz französisch fühlen, wie so viele, die in den Feldlazaretten Dienste taten und denen Frankreich eine zweite Heimat und oft sogar die wahre Heimat ihres Herzens geworden ist. Nein. Mata Hari ist ganz und gar Kosmopolitin; sie empfindet für dieses oder jenes Land weder Haß noch Vorliebe. Sie fühlt sich in Madrid ebenso wohl wie in Berlin, in Rom wie in London. Sie hat sich schon selbst dazu bekannt, als sie von ihrer neutralen Seele sprach und von ihrer Schwäche für die Soldatenuniform ohne Unterschied der Nationalität.

– Ist das wahr? fragt der Präsident.

– Jawohl, das ist wahr; aber man muß berücksichtigen, daß ich zu jener Zeit ohne Geld war. Das ist der einzige Grund, der mich trieb, Ihrem Lande meine Dienste anzubieten.

Von allen Beweisen für die Schuld der Bajadere, die für Massard unwiderlegbar sind, erscheint mir ein einziger wirklich bedeutend, und das ist, ich gestehe es, dieser. Für alle übrigen, schwerwiegenden, heiklen Fragen findet Mata Hari eine Erklärung. Ihre Beziehungen zum Chef der deutschen Spionage? Liebeleien, nichts als Liebeleien. Das von einer Botschaft erhaltene Geld? Eine Bezahlung für sie als Geliebte. Die Richter können das albern finden. Darauf kommt es wenig an. So lange ein Zweifel besteht, muß das der Angeklagten nur nützen. Aber diesmal, diesmal allein, ist kein Zweifel mehr möglich: Mata Hari gesteht, daß sie eine Spionin war. Ob auf Rechnung Frankreichs oder auf Rechnung Deutschlands, dieser Unterschied ist für eine Holländerin, moralisch genommen, gleich Null. Von dieser schrecklichen Minute an wird uns Massard weniger grausam, weniger parteiisch erscheinen.

Sehr höflich, gleichsam im Tone der Entschuldigung, daß er an eine Dame so fatal zudringliche Fragen zu richten habe, setzt Oberst Semprou das Verhör fort:

– Auf welche Weise gedachten Sie sich Frankreich nützlich zu machen?

– Durch Ausnützung meiner Beziehungen zugunsten dieses Landes, antwortet Mata Hari. So habe ich bereits bald nach Beginn der Feindseligkeiten dem Leiter der zweiten Abteilung im Generalstab die genauen Punkte an der marokkanischen Küste genannt, wo die deutschen Unterseeboote Waffen ausluden; das schien mir wichtig.

– Sehr interessant, tatsächlich, murmelt der Oberst Mornay, dem es bisher nicht immer gelang, seine Ungeduld und seine schlechte Laune zu zügeln. Dann fährt er mit erhobener Stimme fort:

– Die Punkte, die Sie nannten, konnten Sie nicht kennen, ohne mit den Deutschen in Verbindung zu sein.

Verwirrt versucht die Tänzerin das Unerklärliche damit zu erklären, daß sie versichert, die Kenntnis der besagten Punkte hätte sie vom Hörensagen auf einem Diplomatenbankett bei einem großen Fest, sie erinnere sich nicht mehr wo.

– Schließlich, sagt sie, bin ich nicht Französin, ich habe keine Gewissenspflicht gegen dieses Land ... Meine Dienste waren nützliche Dienste; das ist alles, was ich zu erklären habe ... Ich bin nur ein armes Weib, gehetzt von wenig artigen Offizieren, die mich gern durch ein Geständnis nie begangener Vergehen aus meinem Munde verderben möchten.

Und mit schneidender Stimme, verzerrten Lippen schreit sie und deutet auf Mornay.

– Dieser Mensch ist ein Schuft!

– Mäßigen Sie sich, sagt der Präsident, und erlauben Sie mir, wieder davon zu sprechen, was sich zu jener Zeit begab, wo Sie plötzlich freiwillig Ihre Dienste der französischen Spionage anboten. Als Hauptmann Ledoux Sie fragte, was Sie tun könnten, erboten Sie sich als Holländerin nach Belgien zu gehen, um unseren Agenten dort Instruktionen zu überbringen. Der Hauptmann gab Ihnen einen verschlossenen Brief für einen unserer Agenten, und Sie schifften sich angeblich nach England ein. Von dort sollten Sie zunächst nach Holland und von dort so schnell als möglich nach Belgien reisen. Aber Sie gingen weder nach Holland noch nach Belgien, sondern schnurstracks nach Spanien. Das hinderte Sie jedoch nicht, von dem Brief, den man Ihnen anvertraut hatte, Gebrauch zu machen. Erinnern Sie sich auf welche Weise?

Die Angeklagte schweigt.

– Wissen Sie nicht mehr, was Sie mit dem Brief gemacht haben?

– Nein, antwortete die Angeklagte tonlos.

– Also, drei Wochen nach Ihrer Abreise von Paris wurde dieser Agent, dessen Namen Sie ausgeplaudert hatten, von den Deutschen in Brüssel füsiliert.

An diesem Punkt des Prozesses angekommen, zeigt uns Massard mit den Folgerungen einer starren Logik, daß wir uns vor einem greifbaren Beweis für die Schuld der Bajadere befänden. Tatsächlich unterstreichen ihr Stammeln, ihr Schweigen, ihr plötzliches Auffahren und ihre eigenen Zugeständnisse ihre Vergehen.

Und doch gibt es auch hier etwas, das uns noch im Zweifel und in völligem Geheimnis läßt. Diese Frau, bedenken wir das wohl, leugnet nicht, ihre Dienste der französischen Spionage angeboten zu haben. Was mehr ist: sie steigt bis zu verbrecherischer Bestechlichkeit herab und beruft sich nur auf Geldsorgen als einzige Entschuldigung dafür. Aber das Wahrscheinlichere ist, daß sie sich weder aus Bedrängnis noch aus Habgier, sondern aus Furcht dem Hauptmann Ledoux angeboten hat. Oberst Semprou selbst sagt ausdrücklich, daß sich die Tänzerin, beunruhigt durch den Verdacht der Pariser Polizei in den Generalstab als das einzige für ihre Rettung geeignete Asyl geflüchtet habe. Einmal angeworben, erbittet sie nichts anderes als eine Mission, die ihr erlaubt, Frankreich zu verlassen. Man gibt sie ihr; und nachdem sie ein paar Wochen in London verbracht, reist sie nach Madrid. Was macht sie dort? Momay antwortet: »Spionage!« Gut; lassen wir diese Ansicht der Anklage gelten. Wie aber soll man es sich erklären, daß die Unglückselige nach kurzem Aufenthalt in Madrid daran denkt, nach Paris zurückzukehren? Ja, wenn es sich um jemand handelte, der nicht wüßte, was er tut, der unfähig wäre zu denken, der keinen Verstand besäße, dann könnte man allenfalls annehmen, sie hätte, von einem hinterlistigen französischen Polizeiagenten etwa ins Garn gelockt, sich entschlossen, die Grenze zu überschreiten, im Glauben, sie würde über die Hinrichtung in Brüssel schon leicht eine Ausrede finden. Aber, im Gegenteil, es ist erwiesen, daß sie trotz den Warnungen von aller Welt nach Paris zurückkehrt, ganz allein, mit ihrem richtigen Paß.

Ich zitiere jetzt einen Brief, der sich mit diesen Dingen beschäftigt. Herr de With, der holländische Konsul in Nizza, während der letzten Kriegsjahre in einem wichtigen Amt bei der Gesandtschaft seines Landes in Madrid tätig, hat ihn soeben an mich gerichtet:

Lieber Herr Gomez Carrillo!

Ich danke Ihnen tausendmal für Ihre freundlichen Zeilen. – Über Mata Hari kann ich Ihnen leider keine aufsehenerregenden Neuigkeiten mitteilen. Zum erstenmal sah ich sie 1915 in Amsterdam, wohin ich zum Heeresdienst einberufen worden war. Wir wohnten im selben Hotel (Hotel Victoria); man konnte sie dort oft in Gesellschaft von Deutschen sehen. Erst Ende 1916 oder Anfang 1917, als ich wieder auf meinem Posten in Madrid war, lernte ich sie persönlich kennen. Ich erzähle Ihnen wie: sie schrieb mir, sie möchte mich sehen, sie hätte eine Bitte an mich zu richten. Ich besuchte sie also im Ritzhotel. Es handelte sich einfach um Gelder, die sie sich von einer Pariser Bank, wo sie, nach ihren Angaben, deponiert wären, nach Madrid schicken lassen wollte. Ich riet ihr, zunächst dorthin zu schreiben und fügte hinzu, ich würde für den Fall, daß sie Schwierigkeiten haben sollte, gern die Intervention meines Chefs, des Gesandten der Niederlande, für sie erbitten. In der Folge sprach sie nicht mehr über diese Angelegenheit, bat auch nicht um die Intervention der Gesandtschaft. Wie viele Frauen, die um eine Gefälligkeit bitten, geriet auch sie bei dieser Gelegenheit ins Plaudern und erzählte mir ihre ganze Lebensgeschichte. Sie wäre angeblich rein holländischer Abstammung, Tochter eines Bürgermeisters von Franeker, namens Zelle; mit sechzehn Jahren, also sehr jung, hätte sie Herrn Mac Leod, schottischen Ursprungs, Offizier in der Kolonialarmee von Niederländisch-Indien, geheiratet. Sie ging mit ihm nach Java, wo sie unglücklich wurde, denn ihr Gatte behandelte sie sehr schlecht. Bei einer Reise durch Europa verließ sie ihren Gatten und ging nach Paris; da sie kein Geld hatte, wollte sie ihr Leben mit Modellstehen fristen. Sie war aber sehr nervös und konnte niemals ruhig bleiben. Und so sagte auch eines schönen Tages ein Maler zu ihr, das ginge so nicht weiter, sie tanze ja geradezu auf ihrem Sessel. Da erinnerte sie sich der Tänze, die sie von den Eingeborenen auf Sumatra gesehen, und ahmte sie so vortrefflich nach, daß der Maler ihr riet, sich ein Engagement in einem Varieté zu suchen. Die großen Pariser Etablissements hätten ihr dann auch sehr bald märchenhafte Bedingungen angeboten. Sie wählte den Namen Mata Hari, weil diese Worte so viel bedeuten wie: Sonne Auroras. Zu jener Zeit war sie eine Schönheit.

Etwas anderes wird Sie vielleicht mehr interessieren als das Voraufgegangene. Nach Madrid kam sie erst nach einem kürzeren oder längeren Aufenthalt in Barcelona, wo man sie, wie mir ein Katalonier sagte, den »Geschäftsführer« nannte. Weshalb, weiß ich nicht; aber dieser Spitzname gab mir um so mehr zu denken, als sie in Spanien keine vertragliche Verpflichtung als Tänzerin zu erfüllen hatte ... Vor ihrer Rückkehr nach Paris bald darauf bat sie mich um einen Passierschein oder eine Empfehlung an die französischen Grenzbehörden. Sie bekundete eine lebhafte Unruhe bei dem Gedanken, daß sie die Pyrenäen zu überschreiten habe. Ich erwiderte ihr, sie müßte diese Empfehlung von meinem Chef erbitten, denn ich wäre zur Ausfertigung solcher Dokumente nicht berechtigt und fügte hinzu, jemand mit einem ruhigen Gewissen hätte nichts zu fürchten; außerdem könnte sie bei etwaigen Schwierigkeiten an die Gesandtschaft telegraphieren. Und zum Schluß betonte ich nachdrücklichst: für jemand, der nicht ein ganz, ganz ruhiges Gewissen hätte, wäre es in diesem Augenblick besser, sich nicht über die Grenze zu wagen, auch nicht unter dem Schutz einer Empfehlung. Sie machte ein böses Gesicht und zeigte sich über diese Warnung sehr ungnädig, was meinen Zweifel an ihrer Unschuld nur noch bestärkte. Aber sie reiste ab.

Ein paar Monate später war ich keineswegs überrascht, trotzdem sie immer von den »sales Boches« gesprochen und sich sehr frankophil (natürlich ohne verdächtige Übertreibungen) gezeigt hatte, als ich hörte, sie wäre nach strengster Überwachung durch die Pariser Polizei in einem großen Hotel zur Teestunde verhaftet worden. Der Militärattaché bei der französischen Botschaft in Spanien sagte mir eines Tages in San Sebastian, Mata Hari hätte der französischen Armee mehr als eine Division gekostet.

Auf der niederländischen Gesandtschaft in Paris übrigens sagte man mir, im Verlauf ihres Prozesses wäre von ihrer Seite nie ein Wunsch nach Protektion hervorragender Persönlichkeiten ihres Landes laut geworden.

Stets Ihr ergebenster

G. de With.

Dieses Dokument, auf den ersten Blick ein heller Strahl in das düstere Geheimnis von Mata Haris Schuld, kann im Gegenteil nur dazu beitragen, es noch mehr zu verdunkeln. Kann man annehmen, daß eine intelligente Frau, jedenfalls eine Frau, die nicht verrückt ist, mit Gewalt in die Mausefalle rennt, wenn alle ihre Bekannten, einschließlich die offiziellen Vertreter ihres Landes, sie von dem Verdacht, der auf ihr lastet, rechtzeitig benachrichtigen? Sie hat, könnte man vielleicht sagen, den Worten des holländischen Diplomaten nur eine ganz nebensächliche Bedeutung beigelegt und sie als einen Rat genommen, der allen um einen Paß Bemühten mit auf den Weg gegeben wird. Gut. Aber man beachte, daß ein Madrider Journalist, Ezequiel Endriz, bereits im Liberal unter dem Titel: Die Dame im Hermelin, eine ganze Artikelreihe veröffentlicht hatte, worin er die Beziehungen zwischen dem Chef der deutschen Spione in Madrid und der im Ritzhotel abgestiegenen Tänzerin streift. Es könnte ja nun noch möglich sein, diese Artikel wären ihr gar nicht zu Gesicht gekommen, so weit will ich gehen, aber ...

Seltsam jedenfalls, daß weder Mata Hari noch ihr Verteidiger diese Rückkehr nach Paris als einen Indizienbeweis für ihre Unschuld vorbringen. An Clunets Stelle in diesem erschütternden Fall hätte höchstwahrscheinlich mein Gewissen mich gezwungen, den Mitgliedern des Kriegsgerichts folgendes zu sagen: »Beachten Sie wohl, meine Herren, daß diese Frau im Augenblick, wo sie nach Frankreich zurückkehrt, nicht in Unkenntnis ist über den Verdacht, der auf ihr lastet; wenn dieser Verdacht nicht grundlos gewesen wäre, wenn sie nicht ein ruhiges Gewissen gehabt, nicht geglaubt hätte, genügend Beweise ihrer Freundschaft für unser Land gegeben, brennend unseren Sieg gewünscht zu haben, den Sieg der Armee, worin der einzige Mann, den sie geliebt und für den sie sich aufgeopfert hat, kämpfte, was wäre ihr leichter gefallen, als auf die weisen Ratschläge zu hören? Meine Herren, erinnern Sie sich bitte daran, was Victor Hugo gesagt hat: »Wollte man mich anklagen, die Türme von Notre-Dame gestohlen zu haben, ohne geneigt zu sein, mir das klipp und klar zu beweisen, würde ich vor der Polizei schleunigst Reißaus nehmen.« Mata Hari, eines ähnlich phantastischen Verbrechens angeklagt, glaubte am besten zu handeln, wenn sie, anstatt das Weite zu suchen, an den Ort der Gefahr eilte, um so ihre Unschuld zu beweisen.« Aber der berühmte Advokat, der die schrecklich ernste Ehre dieser Verteidigung auf sich lud, zieht es vor, sein ganzes Vertrauen in die Wichtigkeit der Zeugenaussagen zu setzen, die für die Bajadere günstig ausfallen mußten. Minister und Gesandte ziehen in langer Reihe an der Schranke vorüber, um die Unschuld dieser Frau zu beglaubigen; überdies ist es für niemand ein Geheimnis, daß dieser große Jurist, strenger Schiedsrichter in Streitfällen zwischen den Nationen und unbestrittener Meister des Advokatenstandes wie so viele andere diesem ungewöhnlichen Weibe ins magische Netz ging, dieser Circe, deren Reizen kein Sterblicher den Widerstand eines Odysseus entgegengesetzt zu haben scheint, und er glaubt sicher, mit seinen Fähigkeiten sie retten zu können ... Unglaublich groß ist die Zahl der Geliebten von Namen und Rang, die Mornay der Tänzerin vorwirft! Ich meine nicht die jungen törichten Flieger, auch nicht die Hitzköpfe unter den niederen und höheren Offizieren, die, sagt man, nicht zu beneidende Spielzeuge einer Nacht in ihren unersättlichen Armen wurden. »Bevor sie intime Beziehungen mit einem französischen Kriegsminister unterhielt, hatte die Spionin nicht minder intime zu einem kaiserlichen Prinzen, den sie zu den großen Manövern in Schlesien begleitete; dann mit einem der höchsten Beamten des Quai d'Orsay; dann mit dem Präsidenten des holländischen Ministerrats, dann ...« Auf diesem Punkt angekommen, schweigt der Berichterstatter diskret, er will nur Namen nennen, die im Prozeß erscheinen und die die Zeitungen veröffentlicht haben. Maltre Qunets Name ist mit dabei. Die einen sagen: »Er hat sie angebetet, und obgleich ihm im Augenblick ihrer Verhaftung nur noch die Erinnerung an ihre Reize geblieben war, denn sie hatte auch ihn schmählich betrogen, wollte er doch aus Ritterlichkeit ihr die Hilfe seines Prestiges und seiner Beredsamkeit leihen.« Andere glauben, daß der Verteidiger damals noch einer ihrer Geliebten gewesen sei. Genügt diese, ganz gleich ob noch lebendige oder bereits tote Liebe, seinen Glauben an die Unschuld Mata Haris zu erklären? Denn Massard selbst sieht sich zu der Anerkennung gezwungen, daß der hervorragende Rechtsgelehrte, dessen Seele die reinsten Bürgertugenden widerspiegelt, stets, bis zum Augenblick der Urteilsvollstreckung, seinen unerschütterlichen Glauben hochgehalten hat. Freilich darf nicht verschwiegen werden, was der ehemalige Chef des Pariser Hauptquartiers hinzufügt: »Die Lauterkeit dieses Menschen ist rührend, und sein Eifer wäre einer besseren Sache würdig.«

Ich wundere mich nun zwar nicht über die Lauterkeit, wohl aber über die Schwäche des Advokaten. Denn er scheint nur eingreifen zu wollen mit Bitten an die Richter, sie möchten die Ausbrüche seiner Klientin entschuldigen. In schweren Momenten, wenn es darauf ankommt, stachelige Erklärungen heranzuschaffen, läßt er sie in der lähmenden Wiederholung abgedroschener Phrasen, die nichts besagen, herumwaten und sich verwirren.

– Der Präsident des Kriegsgerichts hält der Tänzerin vor: In Madrid, im Ritzhotel, bewohnten Sie ein Zimmer neben dem des deutschen Spionagechefs in Spanien.

– Sie antwortet: »Das ist wahr.«

– Dieser Berliner Agent besuchte Sie häufig.

– Auch wahr.

– Haben Sie Geschenke von diesem Mann bekommen?

– Aber gewiß ... Er war mein Geliebter!

– Sehr gut ... Dieser Geliebte telegraphierte seinem Kollegen in Amsterdam das Ersuchen, Ihnen fünfzehntausend Mark zu schicken. Die Gesandtschaft eines neutralen Landes sollte die Sendung an Sie, Sie waren damals bereits wieder in Paris, vermitteln.

– Wozu leugnen? ... Der genannte deutsche Beamte beliebte meine Gunst mit dem Gelde seiner Regierung zu bezahlen.

– Das Kriegsgericht wird diese Erklärung nach ihrem richtigen Wert einschätzen. Sie bekennen also, daß das Geld vom Chef der deutschen Spionage in Amsterdam kam? –

Vollkommen ... Von meinem Freund in Holland, der, ohne es zu wissen, die Schulden meines Freundes in Spanien bezahlte.

– Also, wir hören immer dasselbe, die Angeklagte vermag nichts anderes vorzubringen, sagt Massard. Plötzlich schwankt sie, erbleicht, ihre Augen werden verstört und aus dem verzerrten Mund fallen abgehackte Sätze

– Ich sage Ihnen ... aber so glauben Sie mir doch ... es ist tatsächlich so ... es war nur ... nur ... nur um meine Liebesnächte zu bezahlen ... So glauben Sie das doch ... bitte, zeigen Sie sich als französische Kavaliere, meine Herren Offiziere ...

Daß ihre Richter in diesen Worten nur ein überflüssiges, letztes schamloses Mittel zur Erreichung eines Vorteils erblickten, hätte die Angeklagte nicht in Erstaunen setzen dürfen. Trotzdem begehrt sie auf, als sie sieht, daß ein spöttisches Lächeln über Mornays Lippen irrt. Sie empfindet das als geschmacklos und als schweren Verstoß gegen den Anstand.

Wechselt sie im Verlauf des Prozesses ihr Verhalten, geschieht das stets auf eine jähe Weise. Nachdem sie sich energisch erhoben und ihren Richtern herausfordernde Blicke zugeschleudert hat, klappt sie plötzlich ohne ersichtlichen Grund zusammen und ist einer Ohnmacht nahe. Wenn ihr Verteidiger sie mit den Augen eines treuen, aber ohnmächtigen Freundes ansieht, als wolle er sie bitten, seinen Mangel an Einfluß zu verzeihen, antwortet sie ihm mit Achselzucken und bitterböser Schmollmiene. An die Gendarmen, die sie überwachen, dagegen verschwendet sie liebenswürdige Worte und verführende Blicke. »Alles an ihr«, sagt ein Zeuge des Prozesses, »ist ein Geheimnis«. Tatsächlich bleibt alles, oder fast alles, unerklärlich in ihrem Charakter, ihrem Leben, ihren Affekten, ihren Gesten, ihren Gefühlen und selbst in ihren Worten. Ihre Intimen versichern, daß sie geläufig fünf oder sechs Sprachen gesprochen habe. Nichtsdestoweniger gelang es ihr in keiner jemals sich ganz deutlich auszudrücken. Ihre Reden sind wie ihre Tänze, gewunden und schlangenartig. Der Maler Frantz Namur, der sie viele Jahre lang besuchte, versichert, sie wäre die schwermütigste Frau, die er je gesehen. »Wer dürfte sich schmeicheln, daß es ihm gelungen sei, aus ihr klug zu werden?« sagt er. »Ich malte zwei Porträts von ihr, eins in Straßentoilette – ich weiß nicht, was daraus geworden ist –, das andere als Tänzerin mit einem indischen Diadem und einem Smaragden- und Topasenhalsband. Sie kam tatsächlich oft ... Was auffiel und in Erstaunen setzte bei dieser vom Glück verhätschelten Frau, der das Schicksal alles gegeben hatte: Reize, Talent, Berühmtheit, das war eine tief innerliche und bleierne Schwermut. Gern setzte sie sich in einen Sessel und grübelte dort in abgespannter Haltung eine Stunde lang über geheime Dinge. Ich könnte mich nicht darauf besinnen, daß Mata Hari jemals gelächelt hätte ... Sie war abergläubisch wie eine Hindu. Eines Tages, als sie sich entkleidete, glitt ein Jadearmband von ihrer Hand: ›– Oh!‹ schrie sie ganz bleich, ›das wird mir Unglück bringen ... Sie werden sehen, das bedeutet ein Unglück für mich ... Behalten Sie diesen Reif, ich will ihn nicht mehr sehen ...‹ Andere haben eine minder schwermütige, minder düstere, mehr mondäne Erinnerung an sie. Wieder andere, die sie nur bei ihren nächtlichen Festen sahen, malen sie uns mit den Farben eines überspannten Enthusiasmus. Worüber jedoch alle einig sind, das ist ihr geheimnisvoller, plötzlicher und wechselnder Charakter.«

Und die Zeugen? Schon bei den ersten Verhören kündigte der Verteidiger sie an. Er habe Personen vorladen lassen, deren Aussagen im Stande sein würden, das ganze Dunkel des Prozesses zu erhellen. Als die Tänzerin erfährt, daß von ihren Freunden die berühmtesten als Zeugen erscheinen werden, kann sie ihre Freude kaum bändigen. Kokett und katzenartig legt sie mit Wonne die leuchtende Pracht des Karminstifts sich auf die Lippen. Eine Blume, Sendung eines anonymen Bewunderers, mildert die Strenge ihres blauen Kostüms. Jetzt weist sie auch nicht mehr wie früher die Bonbons zurück, die der Verteidiger ihr anbietet, im Gegenteil, sie zerknabbert sie mit kindlichem Behagen. Jetzt richtet sie ihr Lächeln nicht mehr nur auf die Gendarmen; sie läßt es auch auf die Richter hinübergleiten; selbst in Mornay, den sie bisher für einen Torquemada gehalten, scheint sie plötzlich einen neuen Freund zu sehen.

Und Massard zischelt:

– Komödianterei!

Komödianterei? Warum? Warum sollte es an dieser Frau nicht etwas Aufrichtiges, etwas Ursprüngliches geben? Ich wenigstens auf der unablässigen Suche nach einem Lichtreflex in der Seele der Schuldigen, und wäre er noch so schwach, ich frage mich noch einmal, ob wir nicht doch irgendeinem Vorgang beiwohnen könnten, der uns ihre Unschuld enthüllt.

– Lassen Sie den ersten Entlastungszeugen eintreten, befiehlt der Oberst.

Ein Herr von distinguiertem Äußeren nähert sich der Schranke.

– Warum haben Sie diesen Zeugen vorladen lassen? fragt der Ankläger.

Sie, sanft, lächelnd, ruhig, antwortet:

– Der Zeuge bekleidet, wie Sie alle wissen, bei der französischen Regierung eine sehr hohe Stellung. Er ist auf dem Laufenden über das, was im Ministerrat verhandelt und auf dem Schlachtfeld vorbereitet wird. Also! Ich traf ihn nach meiner Rückkehr aus Madrid hier, ohne ihn zu suchen. Er war mein erster Geliebter nach meiner Scheidung gewesen, und es war sehr natürlich, daß ich ihn mit Vergnügen wiedersah. Wir verbrachten miteinander drei Tage. Er möge Ihnen sagen, ob ich in der unbedingtesten Intimität, bei unseren langen Unterhaltungen, ihm eine einzige, den Krieg berührende Frage vorgelegt habe.

Der Zeuge, damals noch französischer Botschafter am königlichen Hofe eines verbündeten Landes, oder gar erst jüngst dazu ernannt, antwortet ergriffen:

– Niemals, aber auch niemals! –

– Es ist sehr unwahrscheinlich, unterbricht ihn der Ankläger, daß zwei Menschen drei Tage zusammen verbringen konnten, ohne davon zu sprechen, was uns wie ein Alp bedrückt.

– Es ist vielleicht unwahrscheinlich, aber es ist wahr, antwortet der Zeuge. Und da niemand das bezweifeln kann, fügt er hinzu:

– Wir sprachen über Kunst, über orientalische Kunst.

– Da sehen Sie es! ruft der Verteidiger zum erstenmal mit hocherhobener Stimme, da sehen Sie es, diese Frau verbringt drei Tage mit einem unserer führenden Staatsmänner und spricht mit ihm nicht ein Wort darüber, was unsere Feinde am meisten interessieren kann.

Kaltblütig und unversöhnlich erwidert Mornay:

– Die Angeklagte ist intelligent genug, zu wissen, daß man einem erfahrenen Diplomaten nicht ebenso leicht Geheimnisse entlockt, wie liebestrunkenen jungen Offizieren, die unfähig sind, einer berühmten Künstlerin zu mißtrauen. Trotzdem verfehlt sie nicht den Einfluß des hochgestellten Mannes, der zarte Beziehungen zu ihr unterhält, auszunützen. Man hat gesagt, vielleicht trifft es zu, daß einige der von Mata Hari an ihre Freunde in Madrid und Amsterdam geschickten Berichte auf Briefbogen mit amtlichem Kopf, wie sie das Ministerium des Äußeren verwendet, geschrieben waren. Dadurch versuchte sie vor allem denen, die sie bezahlten, beizubringen, sie verfüge über Beziehungen, die es ihr leicht machten, in die Staatsgeheimnisse einzudringen. Durch ihr für andere Spione sichtbares Erscheinen in Gesellschaft des berühmten Botschafters, der hier vor uns steht, schmückte sie sich mit einem Nimbus, der ihr erlaubte, höchst sicher und anspruchsvoll aufzutreten.

Bei diesen Worten wird der Zeuge fahl und schweigt. Des Regierungsbevollmächtigten Hypothesen erscheinen ihm zweifellos annehmbar. Aber als man ihn fragt, ob er nichts hinzuzufügen hätte, wiederholt er als echter Gentleman:

– Die gute Meinung, die ich von dieser Dame hatte, ist durch das Gesagte keineswegs beeinträchtigt worden.

Er verneigt sich vor der Tänzerin und zieht sich zurück, ebenso ernst wie er eingetreten war.

Unter den geladenen Zeugen befand sich auch ein ehemaliger Kriegsminister; aber da die Front ihn brauchte, konnte er dem Ruf derjenigen, die nach seinen Briefen die tiefste Liebe seines Lebens war, nicht entsprechen. Der Präsident nimmt zur Kenntnis, daß dieser Zeuge dem mit seiner Vernehmung beauftragten Beamten erklärt habe, die Angeklagte hätte nie mit ihm über den Krieg gesprochen, auch keine Fragen an ihn gestellt, die ihm hätten verdächtig erscheinen können.

– Wer aber, fragt der Ankläger, hielt Sie damals auf dem Laufenden über die Vorbereitungen zur Offensive von 1916?

– Niemand.

– Wie? Sie leugnen, diese Vorbereitungen gekannt zu haben?

– Ich gestehe, daß ich, während ich in der Kampfzone weilte, um Hauptmann Marow zu pflegen, die Vorbereitungen einer großen Offensive witterte. Verschiedene befreundete Offiziere deuteten mir das an; aber bedenken Sie doch, wenn ich solche Nachrichten den Deutschen hätte zukommen lassen wollen, das wäre mir ganz unmöglich gewesen.

– Dennoch ist es erwiesen, daß Sie fortgesetzt mit Amsterdam korrespondierten. Ihre Briefe nahm die Gesandtschaft eines neutralen Landes in Empfang; diese leitete sie weiter im Glauben, sie wären für Ihre Tochter bestimmt gewesen.

– Ich schrieb, das ist wahr, aber ich schickte keine Mitteilungen über den Krieg.

– Jedenfalls schrieben Sie damals auch dem gefürchteten Leiter der deutschen Spionage in Holland. Wir wissen das ganz genau und wir wissen auch, daß Ihre Briefe mit H. 21 unterzeichnet waren.

– Nein, das ist nicht wahr.

– Verzeihung, das ist wahr; und den Beweis dafür liefert das Telegramm des Madrider Agenten an seinen Kollegen in Amsterdam; er erbittet darin für Sie fünfzehntausend Goldmark und sagt, diese Summe wäre zu befördern an H.21.

Wie immer, wenn Fragen sie verwirren, schweigt Mata Hari und gerät in Wallung. Ihre zu Anfang dieses letzten Verhörs gute Laune ist hin. Es ist den Zeugen nicht gelungen, Mornay zahm zu machen und Semprou zu überzeugen. Nun ist die Reihe am Verteidiger, nun muß er versuchen, die Angeklagte zu retten. Er bittet, man möge die Verhandlungen als abgeschlossen betrachten und ihm das Wort erteilen. Und nun spricht er stundenlang mit Glaubwürdigkeit, mit Wärme, mit Überzeugung. Seine Rede hat die Bedeutung, die ihm seit zwanzig Jahren nachgerühmt wird. Seine vornehme Miene macht Eindruck auf die militärischen Richter, die lautlos, respektvoll ihn anhören. Selbst der Ankläger wagt nicht zu lächeln über das, was ein Journalist von Ruf die Herzensreine eines verliebten Greises genannt hat.

Und was sagt der berühmte Rechtsgelehrte? Sein Plädoyer ist niemals veröffentlicht, aber eifrig diskutiert worden. Wenn ich diesen Äußerungen glaube, dann ist es eine höchst scharfe und peinlich genaue Studie gewesen über die komplizierte, verantwortungslose, rätselhafte Seele dieser Frau, die zugibt, eine käufliche Kurtisane zu sein, aber die Anklage der Spionage gegen Frankreich zurückweist. »Alle diese stürmischen Impulse zeugen von einem chaotischen Seelenleben. Es ist unmöglich, einer so veränderlichen, zappelnden, unruhigen, immer zu extremen Entschlüssen bereiten Natur unbedingtes Vertrauen zu schenken. Der Zaum des Geistes genügt nicht, dieses Temperament zu zügeln, das durchgeht, Hindernisse gar nicht abschätzt, sich blind der Laune des Schicksals überläßt. Nichts kann sie hindern, dem Lauf ihrer Leidenschaften zu folgen. Und inmitten eines so hemmungslosen Lebens erscheint sie immer als Herrin ihrer selbst. Ihre Intelligenz steht außer Zweifel. Sie hat nichts Plebejisches, nur Sinn für das Feine, Harmonische. Sie hat Schönheitsgefühl, Verständnis für die Kunst und geistige Dinge. Und sie ist verführerisch aus Instinkt, aus Bedürfnis, aus Trieb. Sie ist unvergleichlich kompliziert. Ganz offen gefällt sie sich darin, ihre Freunde zu belügen. Ihre Lebensenergie ist erstaunlich und ihr Ungestüm derart, daß sie selbst davor erschrickt« – Louis Dumur: Nach Paris.. Durch eine derartige Psychoanalyse will der Verteidiger natürlich nichts anderes, als den Mitgliedern des Kriegsgerichts eindringlich zu Gemüte führen, eine so veranlagte Frau könne nicht wie ein Soldat abgeurteilt werden. Was bei einem normalen Menschen das deutliche Zeichen eines Vergehens wäre, ist bei ihr nur der Reflex ihrer Grillen in einer durch den Weltorkan überhitzten Atmosphäre. Vieles, was sie selbst erzählt von ihrem Leben, ihren Lastern, ihrer Käuflichkeit, ihren Intrigen, ihrer magnetischen Kraft erscheint unwahrscheinlich. Jedoch alles kann wahr sein. Aus krankhafter Eitelkeit, ungesunder Neugierde, unergründlichen Gefühlsregungen hat sie sich die deutschen Spionageleiter erobert. Dann hat sie die französischen Offiziere, die in ihren Bannkreis kamen, verführt. Dieses Spiel der Haßgewalten, die in ihrem Bett sich kreuzen und auf ihren Lippen sich mischen, verschafft ihr eine gleichzeitig diabolische und kindliche Freude.

Ob wohl Clunet sich so bemüht hat, Mata Hari zu retten? Jedenfalls vermag seine lange Rede bei aller Feinheit und überströmenden Kraft die Richter nicht zu überzeugen. Die Angeklagte selbst muß das offenbar fühlen, denn nach Beendigung des Plädoyers erhebt sie sich zu einer letzten Erklärung, worin sie noch einmal feierlich ihre Unschuld bekennt:

– Beachten Sie wohl, sagt sie, daß ich nicht Französin bin und für mich das Recht in Anspruch nehme, meine Beziehungen zu pflegen, gleichviel wo und wie es mir beliebt. Der Krieg ist kein genügender Grund, daß ich aufhöre, mich als Kosmopolitin zu fühlen. Ich bin neutral und meine Sympathien neigen zu Frankreich. Wenn Ihnen das nicht genügt, machen Sie, was Sie wollen.

Das Verhör wird aufgehoben. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Nach zehn Minuten ist das Urteil einmütig gefällt. Meinungsverschiedenheiten über den Kern der Sache, die Einzelheiten, die Anwendung des Gesetzes bestanden nicht. Der Präsident hat jedes Mitglied des Tribunals gefragt; er begann damit bei dem im militärischen Range niedrigsten:

– Ich frage Sie auf Pflicht und Gewissen, sind Sie überzeugt, daß diese Frau schuldig ist, dem Feinde Nachrichten und Dokumente vermittelt und so den Tod vieler unserer Soldaten verursacht zu haben?

Ohne zu zögern, sehr ruhig, haben alle Offiziere geantwortet:

– Ja.

Einer der Richter, ein Major, spricht nach Unterzeichnung des Urteils sehr laut folgende Worte:

– Es ist schrecklich ein so junges, bezauberndes Geschöpf mit einer so großen Intelligenz zum Tode verurteilen zu müssen ... Aber die Ränke dieser Frau haben so furchtbares Unheil angerichtet, daß, wäre es möglich, ich sie lieber zweimal statt einmal füsilieren ließe.

Semprou, ein wenig bleich, befiehlt dem Regimentsschreiber, der Angeklagten das Urteil vorzulesen. Die Wache präsentiert das Gewehr und die ernste Schlußszene beginnt:

– Im Namen des französischen Volkes ...

Bricht Mata Hari zusammen? Rafft sie sich zu einem Protest auf? Will sie noch einmal ihre Unschuld hinausschreien? ... Nein. Über die eingefallenen Wangen ihres Verteidigers rollen zwei große Tränen. Sie dagegen lächelt, ganz still, ruhig, heiter, fast gleichgültig, als handle es sich um etwas Unbedeutendes, das auch nicht ein einziges Wort der Erklärung verdiene.

Der Gendarm in der dunklen Ecke murmelt:

– Die kann sterben.


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