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Stella. Ein Bedienter.
Stella.
Geh hinüber, geschwind hinüber! Sag ihr, ich erwarte sie.
Bedienter.
Sie versprach, gleich zu kommen.
Stella.
Du siehst ja, sie kommt nicht. Ich hab das Mädchen recht lieb. Geh! – Und ihre Mutter soll ja mitkommen!
Bedienter ab.
Stella.
Ich kann sie kaum erwarten. Was das für ein Wünschen, ein Hoffen ist, bis so ein neues Kleid ankommt! Stella! du bist ein Kind. Und warum soll ich nicht lieben? – Ich brauche viel, viel, um dies Herz auszufüllen! – Viel? Arme Stella? Viel? – Sonst, da er dich noch liebte, noch in deinem Schoße lag, füllte sein Blick deine ganze Seele; und – o Gott im Himmel! dein Ratschluß ist unerforschlich. Wenn ich von seinen Küssen meine Augen zu dir hinauf wendete, mein Herz an dem seinen glühte, und ich mit bebenden Lippen seine große Seele in mich trank, und ich dann mit Wonnetränen zu dir hinaufsah, und aus vollem Herzen zu dir sprach: Laß uns glücklich, Vater! du hast uns so glücklich gemacht! – Es war dein Wille nicht –
Sie fällt einen Augenblick in Nachdenken, fahrt dann schnell auf und drückt ihre Hände ans Herz.
Nein, Fernando, nein, das war kein Vorwurf!
Madame Sommer, Lucie kommen.
Stella.
Ich habe sie! Liebes Mädchen, du bist nun die Meine. – Madame, ich danke Ihnen für das Zutrauen, mit dem Sie mir den Schatz in die Hände liefern. Das kleine Trotzköpfchen, die gute freie Seele. O, ich hab dir's schon abgelernt, Lucie.
Madame Sommer.
Sie fühlen, was ich Ihnen bringe und lasse.
Stella nach einer Pause, in der sie Madame Sommer angesehen hat.
Verzeihen Sie! Man hat mir Ihre Geschichte berichtet, ich weiß, daß ich Personen von guter Familie vor mir habe; aber Ihre Gegenwart überrascht mich. Ich fühle im ersten Anblick Vertrauen und Ehrfurcht gegen Sie.
Madame Sommer.
Gnädige Frau –
Stella.
Nichts davon. Was mein Herz gesteht, bekennt mein Mund gern. Ich höre, Sie sind nicht wohl; wie ist's Ihnen? Setzen Sie sich!
Madame Sommer.
Doch, gnädige Frau! Diese Reise in den Frühlingstagen, die abwechselnden Gegenstände und diese reine, segensvolle Luft, die sich schon so oft für mich mit neuer Erquickung gefüllt hat, das wirkte alles auf mich so gut, so freundlich, daß selbst die Erinnerung abgeschiedener Freuden mir ein angenehmes Gefühl wurde, ich einen Widerschein der goldenen Zeiten der Jugend und Liebe in meiner Seele aufdämmern sah.
Stella.
Ja die Tage! die ersten Tage der Liebe! – Nein, du bist nicht zum Himmel zurückgekehrt, goldne Zeit! du umgibst noch jedes Herz in den Momenten, da sich die Blüte der Liebe erschließt.
Madame Sommer, ihre Hände fassend.
Wie groß! Wie lieb!
Stella.
Ihr Angesicht glänzt wie das Angesicht eines Engels, Ihre Wangen färben sich!
Madame Sommer.
Ach und mein Herz! Wie geht es auf! wie schwillt's vor Ihnen!
Stella.
Sie haben geliebt! O Gott sei Dank! Ein Geschöpf, das mich versteht! das Mitleiden mit mir haben kann! das nicht kalt zu meinen Schmerzen dreinblickt! – Wir können ja doch einmal nichts dafür, daß wir so sind! – Was hab ich nicht alles getan! Was nicht alles versucht! – Ja, was half's? – Es wollte das – just das – und keine Welt, und sonst nichts in der Welt – Ach! der Geliebte ist überall, und alles ist für den Geliebten.
Madame Sommer.
Sie tragen den Himmel im Herzen.
Stella.
Eh ich mich's verseh, wieder sein Bild! – So richtete er sich auf, in der und jener Gesellschaft, und sah sich nach mir um – So kam er dort übers Feld her gesprengt, und warf sich an der Gartentür in meinen Arm. – Dahinaus sah ich ihn fahren, dahinaus – ach, und er war wiedergekommen – war seiner Wartenden wiedergekommen – – Kehr ich mit meinen Gedanken in das Geräusch der Welt – er ist da! Wenn ich so in der Loge saß und gewiß war, wo er auch steckte, ich mochte ihn sehen oder nicht, daß er jede meiner Bewegungen bemerkte und liebte, mein Aufstehen, mein Niedersitzen! Ich fühlte, daß das Schütteln meines Federbusches ihn mehr anzog als all die blinkenden Augen ringsum, daß alle Musik nur Melodie zu dem ewigen Liede seines Herzens war: – »Stella! Stella! Wie lieb du mir bist!«
Lucie.
Kann man denn einander so lieb haben?
Stella.
Du fragst, Kleine? Da kann ich dir nicht antworten – Aber mit was unterhalt ich euch! – – Kleinigkeiten! wichtige Kleinigkeiten – Wahrlich, man ist doch ein großes Kind, und es ist einem so wohl dabei – Eben wie die Kinder sich hinter ihr Schürzchen verstecken und rufen Piep! daß man sie suchen soll! – – Wie ganz füllt das unser Herz, wenn wir, beleidigt, den Gegenstand unsrer Liebe zu verlassen bei uns sehr eifrig festsetzen; mit welchen Verzerrungen von Seelenstärke treten wir wieder in seine Gegenwart! wie übt sich das in unserm Busen auf und ab! und wie platzt es zuletzt wieder, auf Einen Blick, Einen Händedruck, zusammen.
Madame Sommer.
Wie glücklich! Sie leben doch noch ganz in dem Gefühl der jüngsten, reinsten Menschheit.
Stella.
Ein Jahrtausend von Tränen und Schmerzen vermöchten die Seligkeit nicht aufzuwiegen der ersten Blicke, des Zitterns, Stammelns, des Nahens, Weichens – des Vergessens sein selbst – den ersten flüchtigen, feurigen Kuß, und die erste, ruhigatmende Umarmung – Madame! Sie versinken, meine Teure! Wo sind Sie?
Madame Sommer.
Männer! Männer!
Stella.
Sie machen uns glücklich und elend! Mit welchen Ahndungen von Seligkeit erfüllen sie unser Herz! Welche neue, unbekannte Gefühle und Hoffnungen schwellen unsere Seele, wenn ihre stürmende Leidenschaft sich jeder unserer Nerven mitteilt. Wie oft hat alles an mir gezittert und geklungen, wenn er in unbändigen Tränen die Leiden einer Welt an meinem Busen hinströmte! Ich bat ihn um Gottes willen, sich zu schonen! – mich! – Vergebens – Bis ins innerste Mark fachte er mir die Flammen, die ihn durchwühlten. Und so ward das Mädchen vom Kopf bis zu den Sohlen ganz Herz, ganz Gefühl. Und wo ist denn nun der Himmelsstrich für dies Geschöpf, um drin zu atmen, um Nahrung drunter zu finden?
Madame Sommer.
Wir glauben den Männern! In den Augenblicken der Leidenschaft betrügen sie sich selbst – warum sollten wir nicht betrogen werden?
Stella.
Madame! Da fährt mir ein Gedanke durch den Kopf – Wir wollen einander das sein, was sie uns hätten werden sollen! Wir wollen zusammen bleiben! – Ihre Hand! – Von diesem Augenblick an laß ich Sie nicht!
Lucie.
Das wird nicht angehn!
Stella.
Warum, Lucie?
Madame Sommer.
Meine Tochter fühlt –
Stella.
Doch keine Wohltat in diesem Vorschlag! Fühlen Sie, welche Wohltat Sie mir tun, wenn Sie bleiben! O ich darf nicht allein sein! Liebe, ich hab alles getan, ich hab mir Federvieh und Reh und Hunde angeschafft; ich lehre kleine Mädchen stricken und knüpfen, nur um nicht allein zu sein, nur um was außer mir zu sehen, das lebt und zunimmt. Und dann doch, wenn mir's glückt, wenn eine gute Gottheit mir an einem heitern Frühlingsmorgen den Schmerz von der Seele weggehoben zu haben scheint; wenn ich ruhig erwache, und die liebe Sonne auf meinen blühenden Bäumen leuchtet, und ich mich tätig, munter fühle zu den Geschäften des Tages: dann ist mir's wohl, dann treib ich eine Zeitlang herum, verrichte und ordne, und führe meine Leute an, und in der Freiheit meines Herzens dank ich laut auf zum Himmel für die glücklichen Stunden.
Madame Sommer.
Ach ja, gnädige Frau, ich fühl's! Geschäftigkeit und Wohltätigkeit sind eine Gabe des Himmels, ein Ersatz für unglücklichliebende Herzen.
Stella.
Ersatz? Entschädigung wohl, nicht Ersatz – Etwas anstatt des Verlornen, nicht das Verlorne selbst mehr – Verlorne Liebe! wo ist da Ersatz für? – O wenn ich manchmal von Gedanken in Gedanken sinke, freundliche Träume der Vergangenheit vor meine Seele bringe, hoffnungsvolle Zukunft ahnde, und so in des Mondes Dämmerung meinen Garten auf und ab walle, dann mich's auf einmal ergreift! ergreift, daß ich allein bin, vergebens nach allen vier Winden meine Arme ausstrecke, den Zauber der Liebe vergebens mit einem Drang, einer Fülle ausspreche, daß ich meine, ich müßte den Mond herunterziehen – und ich allein bin, keine Stimme mir aus dem Gebüsch antwortet, und die Sterne kalt und freundlich über meine Qual herabblinken! Und dann, auf einmal das Grab meines Kindes zu meinen Füßen. –
Madame Sommer.
Sie hatten ein Kind?
Stella.
Ja, meine Beste! O Gott, du hattest mir diese Seligkeit auch nur zu kosten gegeben, um mir einen bittern Kelch auf mein ganzes Leben zu bereiten. – Wenn so ein Bauerkind auf dem Spaziergange barfuß mir entgegenläuft, und mit den großen unschuldigen Augen mir eine Kußhand reicht, es durchdringt mir Mark und Gebeine! So groß, denk ich, wär meine Mina! Ich heb es ängstlich liebend in die Höhe, küß es hundertmal; mein Herz ist zerrissen, die Tränen stürzen aus meinen Augen, und ich fliehe!
Lucie.
Sie haben doch auch viel Beschwerlichkeit weniger.
Stella lächelt und klopft ihr die Achseln.
Wie ich nur noch empfinden kann! wie die schrecklichen Augenblicke mich nicht getötet haben! – Es lag vor mir! abgepflückt die Knospe! und ich stand – versteinert im innersten Busen – ohne Schmerz – ohne Bewußtsein – – ich stand! – Da nahm die Wärterin das Kind auf, drückte es an ihr Herz, und rief auf einmal: Es lebt! – Ich fiel auf sie, ihr um den Hals, mit tausend Tränen auf das Kind – ihr zu Füßen – – Ach, und sie hatte sich betrogen! Tot lag es da, und ich neben ihm in wütender, gräßlicher Verzweiflung.
Sie wirft sich in einen Sessel.
Madame Sommer.
Wenden Sie Ihre Gedanken von den traurigen Szenen.
Stella.
Nein! Wohl, sehr wohl ist mir's, daß mein Herz sich wieder öffnen, daß ich das alles losschwätzen kann, was mich so drängt! – Ja, wenn ich euch einmal anfange, von ihm zu erzählen, der mir alles war! – der – Ihr sollt sein Porträt sehn! – sein Porträt – O, mich dünkt immer, die Gestalt des Menschen ist der beste Text zu allem, was sich über ihn empfinden und sagen läßt.
Lucie.
Ich bin neugierig.
Stella eröffnet ihr Kabinett und führt sie hinein.
Hier, meine Lieben, hier!
Madame Sommer.
Gott!
Stella.
So! – So! – Und doch nicht den tausendsten Teil, wie er war. Diese Stirn, diese schwarze Augen, diese braune Locken, dieser Ernst – Aber ach, er hat nicht ausdrücken können die Liebe, die Freundlichkeit, wenn seine Seele sich ergoß! O mein Herz, das fühlst du allein!
Lucie.
Madame, ich erstaune!
Stella.
Es ist ein Mann!
Lucie.
Ich muß Ihnen sagen, heut aß ich drüben mit einem Offizier im Posthause, der diesem Herrn gleicht – O er ist es selbst! ich will mein Leben wetten.
Stella.
Heute? Du betrügst dich! Du betrügst mich!
Lucie.
Heute! Nur war jener älter, brauner verbrannt von der Sonne. Er ist's! Er ist's!
Stella zieht die Schelle.
Lucie, mein Herz zerspringt! Ich will hinüber!
Lucie.
Es wird sich nicht schicken.
Stella.
Schicken? O mein Herz! –
Bedienter kommt.
Stella.
Wilhelm, hinüber ins Posthaus! hinüber! Ein Offizier ist drüben, der soll – der ist – Lucie, sag's ihm – Er soll herüberkommen.
Lucie.
Kannte Er den gnädigen Herrn?
Bedienter.
Wie mich selbst.
Lucie.
So geh Er ins Posthaus; es ist ein Offizier drüben, der ihm außerordentlich gleicht. Seh Er, ob ich mich betrüge. Ich schwöre, er ist's.
Stella.
Sag ihm, er soll kommen, kommen! geschwind! geschwind! – Wär das überstanden! – Hätt ich ihn in diesen, in – Du betrügst dich! Es ist unmöglich. – Laßt mich, ihr Lieben, laßt mich allein! –
Sie schließt das Kabinett hinter sich.
Lucie.
Was fehlt Ihnen, meine Mutter? Wie blaß!
Madame Sommer.
Das ist der letzte Tag meines Lebens! Das trägt mein Herz nicht! Alles, alles auf einmal.
Lucie.
Großer Gott!
Madame Sommer.
Der Gemahl – Das Bild – Der Erwartete – Geliebte! – – Das ist mein Gemahl! – Es ist dein Vater!
Lucie.
Mutter! beste Mutter!
Madame Sommer.
Und der ist hier! – wird in ihre Arme sinken, in wenig Minuten! – Und wir? – Lucie, wir müssen fort!
Lucie.
Wohin Sie wollen.
Madame Sommer.
Gleich!
Lucie.
Kommen Sie in den Garten. Ich will ins Posthaus. Wenn nur der Wagen noch nicht fort ist, so können wir ohne Abschied in der Stille – inzwischen sie, berauscht von Glück –
Madame Sommer.
In aller Wonne des Wiedersehens ihn umfassend – Ihn! Und ich in dem Augenblick, da ich ihn wieder finde – auf ewig! auf ewig!
Fernando, Bedienter kommen.
Bedienter.
Hierher! Kennen Sie ihr Kabinett nicht mehr? Sie ist außer sich! Ach! daß Sie wieder da sind!
Fernando vorbei, über sie hinsehend.
Madame Sommer.
Er ist's! Er ist's! – Ich bin verloren!