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Bild: Karl Mahr

Engerrand de Ribart. Siebzehnter Abt. 11. Juli 1159.

Herrn Guy de Vernon.

Auf den Befehl des sehr ehrwürd'gen Abts, des frommen
Herrn Enguerrand Ribart euch Guy von Vernon dies:
Glaubt ihr, die Kirche sei deshalb zur Welt gekommen,
daß sie sich so schlechtweg von euch beleid'gen ließ?
Ich hier, im grauen Bart, die Kutte auf dem Rücken,
weiß besser noch als ihr in Ritterschaft Bescheid,
und wenn ein Andrer mir mit Taten oder Tücken
ein Unrecht antun will, der findet mich bereit. –
In meinem Jagdgeheg hatt' einer Eurer Knappen
die Frechheit, neulich mir ein Damwild wegzuschnappen.
Und Ihr, Ihr selber habt – es ist mir wohlbekannt –
noch letzte Woche war's, mich »Heuchler« laut genannt.
Ihr Lüstling, ohne Scham und Glauben, wißt Ihr nicht,
in uns'rer heil'gen Schrift, was wir von David lesen,
welch großer Heiliger er zu seiner Zeit gewesen,
und wie er doch dabei nach seiner Ritterpflicht
in gute Fehde zog und mit gewalt'ger Hand
in der Philister Land den Stärksten überwand.
Das war der Goliath, ein äußerst heft'ger Ritter,
der sich gar groß getan mit seinem schweren Zeug;
als David diesen traf, das schmeckt ihm weidlich bitter, –
und gradeso wird's Euch ergehn, das schwör ich Euch,
wenn Ihr zum Streit mit mir nicht Euren Mut verliert,
und Ihr um Gnade nicht noch heut petitioniert. –

Dem Bruder Mathurin hab ich den Brief diktiert.

Antwort des Guy de Vernon.

Dem würd'gen Abte Heil! Ich bin darob erstaunt,
was Ihr mir da geschrieben, so scharf und schlecht gelaunt.
Ich kann nicht alles wissen. Man hat mir nicht gesagt,
daß man ein Damwild hat in Eurem Forst gejagt,
und wenn von meinen Leuten sich einer so vergangen,
wird den verdienten Lohn er schon von mir empfangen. –
Ich gab mir nicht die Müh' – auch nicht in letzten Wochen –
daß ich von Euch, Herr Abt, als Heuchler je gesprochen.
Da seid Ihr falsch berichtet, man hat Euch halt belogen. –
Der heil'ge Goliath, der geht mich garnichts an;
schlug er sich schlecht, das tut recht leid mir für den Mann.
Zum Lesen im Brevier hat man mich nicht erzogen. –
Ließ't Ihr in Frieden mich, das wäre wohlgetan.

Geschrieben diesen Brief hat Guillaume der Kaplan. –

Erwiderung des Abtes von St. Avit.

An dich, Guy von Vernon! Macht man so große Worte,
muß man bei Zeiten auch der bösen Folgen denken.
Morgen, bei Tagesgrau'n bin ich bereit am Orte,
an unsrer Brücke hier, mit Lanze, Schwert und Beil.
Für die Vermessenheit, das heil'ge Buch zu kränken,
wird, wenn ich Sieger bin, dir Gnade nicht zuteil. –

*

Ich, Bruder Mathurin, von Trauer tief beglückt, –
sah den Gerechten fallen, der Böse ward beglückt. –
Mit froh erhob'nem Mut war aus der Brüder Mitte
unser ehrwürd'ger Vater beizeit ins Feld gerückt.
Er hatte, wie bei ihm in solchen Fällen Sitte,
mit bestem Appetit gespeist, sah glänzend aus,
in edler Sicherheit verließ er unser Haus,
und jeder prophezeit' ihm Glück auf seinem Ritte. –
Der Herr von Vernon hätte dem Kampfe gern entsagt,
er sprach, daß man zu unrecht ihn bei dem Herrn verklagt;
doch der Herr Abt, zu kühn, wie er nun einmal war,
und weil er sich gewachsen fühlt jeglicher Gefahr,
geht vor, als wie vier Teufel – da tritt – o Mißgeschick –
sein Pferd in einen Graben – im selben Augenblick
wirft sich der Feind auf ihn, mit einem Kolbenstreich
zerschlägt er sein Visier, so daß in Stücke gleich
der Schädel ihm zerspringt – für immer sinkt er hin. –
Er war ein großer Held von kriegerischem Sinn,
an hundert Kämpfe wohl bestand der kühne Mann,
oft rief der König selber schon seine Hilfe an!
Er war sehr fromm; und wie bei uns die Rede geht,
niemals sein Lebelang versäumt er sein Gebet. –


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