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Aus Herrn Rentier Buffey's TagebucheHerr Rentier Buffey sammelt Alles: eigene und fremde Gedanken, Erlesenes, Erlebtes, Erhörtes und Unerhörtes. Bei dieser Mittheilung habe ich den charakteristischen Ausdruck und den wunderbaren Styl des seltnen Mannes überall beibehalten, wo die Uebersetzung in's Hochdeutsche Wahrheit und Interesse hätte beeinträchtigen können. Auch der Künstler, dessen Werk die beigegebenen Bilder sind, hat die höchst eigenthümlichen Zeichnungen Buffey's nur dort für die herkömmliche Anschauung und Auffassung verändert, wo das der Originalität entwöhnte deutsche Publikum die Andeutungen des großen Bürgers und Politikers nicht verstanden haben würde. — D. V.
Anno Eens für die Völker! Ludwig Philipp is fortjejagt, in Frankreich is de Republik erklärt, heller Dag jeworden: nu wird et in Deutschland tagen, nu der Hahn jekräht hat. Unsre Nachtwächter werden noch mal ochsig tuten un »Bewahret det Feuer un det Licht!« singen, aber et wird ihnen nischt mehr helfen, denn die Sonne is ufjejangen un – des stört! Ju'n Nacht, Despotie, schlafen Se wohl! Ju'n Morjen, Freiheit! Wenn wir man erst »Jesejente Mahlzeit, Armuth!« werden sagen können.
Ich habe mir uf den ersten Freudenschreck über Paris eine Flasche Champagner vor zwei Dhaler jeben lassen, um so recht den französsischen Jeist, esprit, nennt man Des, ufzufassen. Seitdem is mir so revolutionär zu Muthe, deß ich mir in meine vier Pfähle zurückjezogen, in meine Stube injespunnt habe, un immer wild uf un abjehe un mit'n Stock in de Hand rumdeklamire. Mir is, als ob jar keen Fürst mehr existiren dürfte; als ob se Alle zum Deibel jejagt werden müßten, die von Jottes Jnaden. Aber nu ich jeschrieben habe, nanu bin ich schon wieder einigermaßen beruhigt.
Mein Sohn Willem is en halber König. Er lernt Nischt, aber verjessen dhut er Allens.
Meine Tochter Hulda hat einen Sohn jekriegt. Wenn nu dieser Sohn eine Tochter wird jekriegt haben, denn werde ich jestorben sein, un so jeht es immerzu. Im Jrunde is doch die janze Weltjeschichte eine bloße Jeburts- un Dodtenliste un nich der Rede un des Handelns werth. Als ich diesen Jedanken, der von mir is, meinen Eidam Dr. Ernst Heiter mittheilte, antwortete er: »Aber die Menschheit überlebt den Menschen.« Des mag sehr gescheidt sein, aber ich verstehe es nich, un ich halte Nischt vor jescheidt, was ich nich verstehe. Des is mein Recht als Indiwiedumm.
Ne, wie Des in Deutschland herjeht, diese Ufrejung, diese Dreistigkeit, diese Forderungen, diese Revolutionen: Des kann man sich jar nich mehr Allens notiren! Des is mir zu viel, Des geniert mir. Man wird ganz verrückt! Janz so verrückt wie... die Zustände. Worüber man lacht, wie über'n Witz, is morjen jeschehen; was ich jestern dachte, lese ich heute jedruckt; übermorjen früh is eener berühmt, der jestern Nacht noch keene Ahnung davon hatte; jestern Nacht war 'ne alte Welt, wo heute 'ne neue is; die Berje, die heute stehen, sind Nachmittag Thäler; was ich jestern erlebte, is morjen nich wahr, un was ich morjen erlebe, is heute schon dodt! Wie jesagt, man wird janz verrückt, un wenn ich keenen Spiegel hätte, denn jloobt' ich, ich wäre en Anderer.
In meine Restauration, der Jubel, wenn de Zeitung vorjelesen wird, der is unbeschreiblich! Den Kurfürsten von Hessen haben se also doch endlich den Zepter beschnitten. Jötter, ich danke Dir! sagt Beckmann. Ich lebe zwar als Rentier von meine Zinsen, aber ich bin nich jrade reich, aber einen Ducaten an de Armen habe ich heute jejeben, wie ich hörte, deß sie des Kurfürschteken ooch uf halbe Despotie, uf Warte-Knute jesetzt haben. Besonders haben ihm die edlen Hanauer sehr zugered't. Die haben einen sehr klaren un aufmunternden Stiel, so daß man ihren Wünschen jar nich widerstehen kann. Ich jloobe, sie würden damit selbst im Pallast der Czäären ihren Willen erlangt haben.
Jetzt begreif' ich, was uns des deutsche Sprichwort alle Dage zujerufen hat: »Des is nich gehauen un nich gestochen!«
Wenn das Schimpfen nich erlaubt ist, denn kann ich den Namen »Metternich« nich aussprechen.
Is es möglich? Des von Metternichen schreibe ich jestern un – vorjestern ist er schon wegjejagt! Oestreich, sage Oestreich, ne, sage es noch mal: Oestreich is frei!!! Ich habe jeweent wie en Kind, wie ich Des jelesen habe. Ne, is es denn möglich? Dreht sich denn die janze alte Welt, diese Sechsdage-Arbeet von Jott oder Moses, um un dum? Es soll mir wahrhaftig jar nich wundern, wenn ich morjen früh ufwache, un einen preußischen Dhaler anstatt de Sonne an'n Himmel sehe, oder aus de Hausdhüre trete un uf keenen Jeheimerath stoße. –
Die Weltgeschichte hatte königlich geruht, plötzlich ist sie ein unruhiger Arbeiter geworden.
Am 19ten März 1848. Ich stürze athemlos in's Zimmer, ich vergesse alle die Angst un die Wuth von die letzten zwee Dage; ich falle meinen Sohn Willem, den dummen Jungen, um'n Hals, der beinah hinter 'ne Barrikade gekommen wäre, wenn ich ihn nich rufgeholt hätte, un schreibe weiter Nischt als drei Worte, die aber eben so viel sagen wie: Vater, Sohn un heiliger Jeist, wie Sonne, Mond un Sterne, wie Jeburt, Leben un Tod:
Wir sind frei!
Ich habe mir an meinen Hut eine schwarzrothjoldne Kokarde, des einije Deutschland, annähen lassen; ich drage als Orden ein langes verknüppertes schwarzrothjoldnes Band in't Knopploch; ich lasse aus mein Haus drei Stück schwarzrothjoldne Fahnen rausflattern, so jroß hat se Keiner in meine janze Nachbarschaft!
Von Dr. Ernst Heiter. »Wie soll ich beschreiben, was unbeschreiblich ist: den Siegesjubel der errungenen Freiheit in Berlin, die Flittertage nach der Hochzeit des 19ten März 1848? An dem Orte, wo ich lebte, blieb am Sonntag, den 19ten, die Berliner Post aus. Die ganze Stadt war auf den Beinen und in ängstlicher Spannung, obschon die letzten Nachrichten aus der Residenz beruhigender Art waren. Endlich, Abends gegen 10 Uhr, eben als die Mondfinsterniß eintrat, kam durch eine Extrapost die schreckliche Nachricht, daß Berlin in voller Revolution sei, daß es an allen Ecken brenne, daß förmlich Krieg gegen das Volk hinter den Barrikaden geführt würde, daß die Leichen haufenweise in den Straßen lägen. Das Entsetzen, der Schmerz, die Wuth war allgemein. Dennoch hegte man noch Zweifel, denn die erste Nachricht war unzuverlässig; als aber der Mond da oben die Farbe geronnenen Blutes annahm, schien Jedem die furchtbare Wahrheit besiegelt, denn in solchen großen, erschütternden Momenten glaubt auch der Ungläubigste an Zeichen und Wunder. Da tönte das Posthorn wieder: eine zweite, eine dritte Extrapost mit Flüchtlingen, welche nicht nur die Angaben der Erstern bestätigten, sondern noch neue und grauenhaftere Thatsachen hinzufügten! Mein Inneres war ein Chaos, ich vermag die Gedanken und Gefühle, welche sich kreuzten, nicht wiederzugeben. Durch den tiefsten Schmerz rief meine Seele jubelnd Freiheit! Freiheit! denn ob die Despotie für den Augenblick Siegerin war oder nicht: ihr Tod war mir gewiß. Seit 15 Jahren hatte ich für mein Volk gekämpft und nun... Aber diese blutige Schlacht! Und meine arme Mutter! Und meine Brüder! Hatten sie schon ihr Leben ruhmvoll ausgehaucht oder kämpften sie noch hinter den Barrikaden? Daß sie nicht zurückgeblieben waren, wo es gegen die Tyrannei zu thun gab, das war mein Stolz, ehe ich sie noch rühmen hörte. Also hinüber nach Berlin, so schnell wie möglich.
Welche Gerüchte unterweges! Das Volk hatte gesiegt, das schien sicher, aber keiner der Reisenden traute den Frieden, wie man ihm in Berlin selbst nicht traute. Die Fama blies offenbare Fabeln, aber seit dem Februar gab es in Europa keine Unmöglichkeiten und Wunder mehr. Im Gasthofe zu Oranienburg, durch welchen eben die Ex-Minister Eichhorn und Savigny geschlüpft waren, beschwor der Wirth mich und die Freunde, welche mit mir reisten, von unserm Vorhaben abzustehen. Es läge in den Dörfern und im Wald, durch den wir müßten, noch Militair. – Berlin brenne noch an allen Ecken und Enden, die Proletarier plünderten und mordeten, vor dem Oranienburger Thore wären sie zu Tausenden und wütheten und wir kämen nicht lebendig durch.
Nichts von alle dem. Das lange Artilleriegebäude brannte allerdings noch, aber das Proletariat fiel uns nicht an, ging vielmehr selbst mit Piken und Schwertern bewaffnet umher, um die Ordnung aufrecht zu erhalten und – für alle möglichen Fälle schlagfertig zu sein. Es herrschte noch das größte Mißtrauen gegen die Regierung, obschon das Berliner Volk sein einziger Regent, sein eigenes Ministerium, sein eigener Rath war. Mindestens sechs Mal hielt man in der Vorstadt unsern Wagen an, guckte hinein, sagte guten Abend, prüfte unsere Kleider und Gesichter und gab dann dem Schwager einen Wink, weiter zu fahren. Gegen halb Eilf Uhr fuhren wir durch das Oranienburgerthor in Berlin hinein. Sogleich war dieser Wagen von Vierzig, Fünfzig Personen umringt: Handwerker, Studenten, Kaufleute, Beamte, Arbeiter, Künstler, Einige mit Federbüschen auf den Hüten, Alle in Waffen. Man fragte uns eifrig, wild durcheinander, woher wir kämen, ob wir kein Militair bemerkt, ob wir nicht gehört hätten, daß Berlin Gefahr drohe? Ich nahm meine Mütze ab und antwortete: Wir haben nichts Gefahrdrohendes gesehen, Nichts gehört als die Größe Berlins preisen. »Mein Bruder!« rief es plötzlich. Einer meiner Brüder war unter den Wachthabenden. Nun riefen sie meinen Namen, reichten mir kreuz und quer Alle die Hände nach dem geöffneten Wagenfenster und begrüßten mich auf die liebevollste Weise. Ich wurde aus dem Wagen geholt und in die naheliegende Artilleriekaserne geführt. »Zu unsern Brüdern, zu den hochherzigen Studenten!« rief man. »Zwei Jahre sind Sie von Ihrer Vaterstadt verbannt gewesen; wir haben die Freiheit erkämpft; ein Glas Wein zum Wiedersehen!« Man rief in die Artilleriekaserne hinein, daß ein Freund der Freiheit da sei; man drückte mir auch hier herzig die Hand; Alle waren wie innig verbundene Kameraden, wie Brüder untereinander; es herrschte kein Rang, kein Stand, kein Stolz auf Wohlhabenheit oder Bildung, keine conventionelle Scheu, kein Fremdthun; Berlin war hier und in den nächstfolgenden Tagen in der schönsten menschlichen Gleichheit. Die Anarchie Berlins war seine größte Zeit.
Plötzlich ertönte es aus den Seitenstraßen: »Auf, auf! Zu den Waffen, Brüder! Sturm läuten! Der Prinz von Preußen kommt mit Militair!« Man lief, man rannte und schrie, die Aufregung wuchs sichtlich von Sekunde zu Sekunde, und trotzdem die Meisten das Ganze sogleich richtig als blinden Lärm erkannten, wurde doch ins Horn gestoßen und die Trommel gerührt. Ich vergesse diese Scenen, diese Entschlossenheit in allen Mienen, die errungene Freiheit nur mit dem Leben zu opfern, diese erschütternde, unruhige Einheit, dieses starke Bündniß tieferregter Menschen in einer ihnen neuen Welt, dieses plötzliche Mährchen in unsrer Polizeiwelt, diese wunderbare Nacht in meinem ganzen Leben nicht.
Was auch geschehen sollte, ich mußte zuvor meine alte Mutter, meine Brüder sehen. Die Freunde waren bereits nach dem Hôtel de Russie abgefahren, wo wir uns später treffen wollten. Bruder Theodor rief eine Droschke an. »Wollen Sie noch fahren, Bürger?« Der Kutscher sah uns prüfend an. »Aber ooch Bürjer?« fragte er. »Keene verkleedte Soldaten oder Polezisten, oder Rejierung oder sonst so'n Zeug?« Mein Bruder lachte, schlug an seinen Säbel und antwortete: »Barrikadenbürger! Keiner von den – Andern; fahr' uns nur dreist, Bruder Droschke!« – »Man rin!« war die Antwort. »Et is zwar halb Zwölwe, aber Ihnen, Bürjer, fahr' ick, un so lange un so weit wie Sie wollen.«
Eine Stunde später saß ich im Speisezimmer des Hôtel de Russie mit meinen Brüdern und Reisegefährten, mit deutschen Gästen, mit Engländern, Polen und Franzosen zusammen. Die Nachricht, daß der Prinz von Preußen mit Militair heranrücke, hatten wir auch in der Nähe des Halleschen Thores rufen hören; draußen wurde noch immer von Zeit zu Zeit Generalmarsch geschlagen oder Feuer geblasen u. s. w., aber es war alles nur die taube Furcht der allgemeinen Aufregung und Besorgniß. Wir ließen uns bald nicht mehr stören und schwelgten – von einigen Bowlen Punsch unterstützt – in den Berichten vom weltgeschichtlichen Kampfe, von der Uneigennützigkeit, dem Edelmuthe und der Tapferkeit des untersten Volkes, in den Hundert Perspectiven der neuen Freiheit. Jeder hielt Reden. Die Polen, deren Brüder heut jubelnd aus dem Gefängnisse geholt waren, die deutschen Reisenden, welche sich als frühere Berlin- und Preußen-Feinde bekannten, priesen die Revolution als einen wahrhaften Heldenkampf; die beiden Franzosen gestanden mit freudeflammenden Augen, daß der letzte Pariser Umsturz Spielerei gegen diese Schlacht gewesen sei, und selbst die Engländer waren voll Enthusiasmus. Meine Brüder, die einzigen Barrikadisten an diesem Tische, hatten es daher vorzugsweise gut, und sie waren auch die Ersten, welche Alles, auch unsere neue Freiheit, doppelt sahen. Bald umarmten und küßten wir uns Alle: Deutsche, Franzosen, Engländer und Polen. Europa war verbrüdert und... ging gegen Morgen zu Bette. Heut, am 20sten, am letzten großen Sieg des deutschen Volkes gegen seine Tyrannen, am ersten Tage des neuen, freien Deutschlands, war... Frühlings-Anfang. Der Himmel ist mit uns.
Was ich am nächsten und in den folgenden Tagen erlebte, kann ich mir nicht mehr lebendig vergegenwärtigen. Das größte Talent vermögte es nicht, sich in solche Stimmung zurück zu versetzen, wie sie die Auffassung jener wunderbaren Begebenheiten bedingt, geschweige mein geringes. Ich theile daher die beiden Briefe mit, welche ich in diesen Tagen von Berlin aus an meine Frau schrieb.
Berlin, am 21sten März 1848.
Warum weintest Du, Geliebte, als ich hierher eilte? Du hättest jubeln sollen, daß ich das erlebte. Kaum vermag ich die Feder zu halten; meine Aufregung ist furchtbar. Das Blut tobt mir im Kopfe, die Nerven zittern, als sollte ich keine zwei Stunden mehr leben. Ist denn das Alles aber auch zu ertragen, zu erfassen? Nein, nein, es ist unüberdenkbar. Alles, Alles jubelt im Morgenroth der Freiheit, alle Fremden sind voll Enthusiasmus über die Berliner. Die Barrikaden wuchsen aus der Erde; nicht nur die Männer, auch die Frauen riefen zu den Waffen, schrieen Rache; feine Damen trugen in ihren Kleidern Steine von der Straße aufs Dach und eiferten an, wo es irgend nöthig schien. Neben den Handwerkern, Studenten, Künstlern, Beamten etc. schanzten und fochten die Proletarier, die Straßenjungen – mit heiligem Ernste! Das Ereigniß ist groß, seine Detail vielleicht noch größer. Versäume ja nicht, die Schilderung derselben in den Zeitungen zu lesen und... Dich vor dem Volke zu beugen. Könntest Du hinausschauen in dies Berlin, in dies tiefaufgeregte wogende Meer, in welchem jedes Haus ein Schiff mit schwarz-roth-goldenen Fahnen ist. An meinem verwilderten Styl wirst Du merken, wie schwindlich mir von der ersten Fahrt geworden. Kaum kann man durch die tobenden Straßen; die ganze Bevölkerung wogt durcheinander. An die Arbeit, an das Geschäft denkt keine Seele. Wie man auch jauchzen möchte, Niemand weiß noch, was daraus werden soll; die Stimmung, die Gesichter sind ernst. Der Besitz fürchtet sich, macht aber gute Miene zum bösen Spiel. Vor jedem öffentlichen Gebäude Bürger und Studenten im Gewehr. Die Straßen sind noch voll offner Wunden, so schnell man auch Pflaster darauf legte; viele Häuser, besonders Eckhäuser, zeigen ihre Schußnarben und wundern sich über die schnelle Versöhnung. – Hier und dort liest man »National-Eigenthum«, am Palais des Prinzen von Preußen außerdem die Worte; »Hier wirken Männer aus dem Volke für das Volk.« An einem zerstörten Gewölbe unter den Linden, dessen Besitzer vor dem 18ten zwei heftig gegen die Despotie raisonnirende Polen angezeigt hatte, steht: »So werden Verräther bestraft«, und über einer Kartätsche in einem Brunnen in der Breiten Straße: »An meine lieben Berliner.« So lautete die Ansprache des königlichen Erlasses nach der Revolution. Das ist kein bloßer Witz mehr; dieser Witz blutet von Humor. –
Morgen früh schreibe ich Dir mehr. Das feierliche Begräbniß der Gefallenen findet erst Nachmittag statt. Alles sieht diesen entscheidenden Stunden mit Angst oder doch mit größter Spannung entgegen. Was diese todten Helden morgen noch thun werden... wer kann es wissen! Die Todten sind oft unversöhnlicher als die Lebenden. Es möchte heut wohl Niemand mit seinem Kopfe ein ferneres Königreich Preußen garantiren. Schon wird die Reaction laut. Der Magistrat und einige andere gute Männer haben heut dem Volke durch Anschläge zugerufen: wir sind großherzig, wir vergessen Alles; wir wollen die Leichen der Soldaten vereint mit denen der gefallenen Helden nach dem Friedrichshain tragen. – Die, die mit einem Fluche auf die Despotie starben, neben deren besoldeten Schlächtern! Das wollen nun die Demokraten nicht zugeben. Viele Führer derselben werden sich heut Abend hier unten im Hôtel versammeln und eine Deputation wählen, welche den Ministern die Zurücknahme jenes Anschlages... auf die Revolution und die Freiheit... befehlen soll. Werden sie es in dieser einen Nacht – durchsetzen? Es handelt sich um eine zweite Revolution. So steht man hier mitten in der lebendigste Geschichte; man sieht sie wachsen.
Ist's bei Euch ruhig? Ich hoffe, der Großherzog hat Alles bewilligt. Alles ist jetzt das Wenigste, was ein Fürst geben kann. – Leb' wohl!
Berlin, am 22sten März 1848.
Mittags 12 Uhr.
Ich habe Dir gestern nur flüchtige Züge von der Physiognomie Berlins entworfen und will heut noch Flüchtiges hinzufügen. Der König, der constitutonelle, ritt gestern mit den neuen verantwortlichen Ministern, von Bürgern geführt, mit der dreifarbigen deutschen Fahne durch die Straßen. Er sprach zu dem ihm umgebenden Volke und sagte: er stelle sich an die Spitze der deutschen Bewegung, denn die deutsche Einheit sei bedroht und er sei der mächtigste Fürst Deutschlands, Nicht mächtig durch die Waffen seines tapfern Heeres, nicht stark durch seinen gefüllten (?) Schatz, sondern nur durch die Herzen und die Treue seines Volkes. Preußen müsse fortan in Deutschland aufgehen. Den Studenten vor der Universität versicherte der König: er sei stolz darauf, daß Deutschland solche Söhne besitze, und in einer Proclamation: »An mein Volk und an die deutsche Nation« sagt der noch vor drei Tagen absolute preußische Herrscher: Ich habe mich und mein Volk unter das ehrwürdige Banner des deutschen Reichs gestellt. – Preußen geht fortan in Deutschland auf. – Vor Allem Noth thut die Aufstellung eines allgemeinen deutschen, volksthümlichen Heeres. – Der auf den 2ten April bereits einberufene Landtag sei eine deutsche Ständeversammlung, welche die Wiedergeburt und Gründung eines neuen Deutschlands, eines einigen und freien, berathen soll. – – – Eine stolze, begeisternde Melodie, durch welche aber immer die Pariser Dissonanz »Trop tard!« und das ferne Geheule der Reaction durchklingt.
Auch späterhin waren die Linden, der Schloßplatz, die Königs- und alle Straßen des Mittelpunktes der Stadt mit Menschen übersäet. Ueberall wird Hunderten, die ihre Köpfe zusammenstecken, vorgelesen, was die jauchzende freie Presse alle Fünf Minuten Neues bietet. Jungen und Weiber verkaufen Kokarden, Gedichte, Freiheitscigarren u. s. w. Durch ganz Berlin kein Gebäude, kein Stockwerk, kein Laden ohne die schwarz-roth-goldene Fahne. In den Kirchen – auch in einem Zimmer des Schlosses – liegen die mit Blumen und Lorbeer geschmückten Leichen des Völkersieges, daneben stehen weinende Mütter, Väter, Brüder, umgeben von Hundert und aber Hundert Neugierigen. Trotz der fluthenden Menschenmasse kein Soldat, kein Gensd'arme, kein Polizist: der gute Wille ist allein Gesetz, die Ehre des Volkes seine Wache. Alle zwanzig Schritt stehen auf den Straßen weißbedeckte Stühle mit Tellern darüber die Bitte: »Für die Hinterbliebenen der gefallenen Brüder.« Da werfen die Vorübergehenden Dreier, Sechser, Groschen, Thaler, Louisd'ore, ja Fünfzig- und Hundert-Thalerscheine hinein. Wer Geld wechseln will, wechselt: es ist sichere Ueberzeugung, daß diese geheiligten Spenden Niemand, auch nicht der Aermste, der sich vielleicht nach einem Bissen Brot umsieht, anzugreifen wagt. Ist das nicht groß? Das Berliner Volk ist mir einen kleinen Dank schuldig; nicht allein, daß ich der Erste war, der es sprechen ließ, als es noch schweigen mußte: ich war auch der einzige von allen Schriftstellern, die sich über Berlin aussprachen, der die sittliche Kraft und die tiefere Bedeutung dieses Volkes erkannte und gegen alle Angriffe vertheidigte. Nun, allerdings, coquettiren Tausende mit ihm; jetzt, nach diesem letzten Kugelregen wachsen die Volksfreunde wie die Pilze.
Ich stehe auf dem Schloßplatze im Kreise mehrerer Freunde, älterer und – augenblicklicher. Da kommt von den Linden her ein gallopirender Fiaker, an dem eine große dreifarbige Fahne flattert, in ihm drei Studenten. Sie werfen Gedichte in hunderttausend Exemplaren herab: alle Hände von unten und aus den Fenstern greifen darnach. Die Gedichte flattern bis über die Dächer, in alle Seitenstraßen. Wir lesen. Es ist das stark veränderte, frei übersetzte »Heil Dir im Siegerkranz.« Wir treten auf die Kurfürstenbrücke und sehen die Gedichte auch durch die Königsstraße, durch deren Menschenmenge der Fiaker kaum hindurch kann, flattern. Sie flattern lustig, sie jubiliren, die Lerchen der freien Presse. Nach einigen Minuten drehen wir uns um: da stehen mindestens 4000 Menschen vor den Fenstern des Schlosses, wo der König wohnt, und singen ihm unisono das neue Lied vor. Welch ein Eindruck! Das Herz drohte mir immer aus der Brust zu springen; ein Freund mußte mich unterstützen, ich hatte kaum noch die Kraft, meinen Weg durch die Königsstraße fortzusetzen. Hier neues Leben, neue Bilder! Da fahren Wagen, hochbepackt mit Särgen für die Gefallenen; da jauchzen Weiber einem der kecksten Barrikadenkämpfer entgegen: da tragen finster und wild ausschauende Gesellen einen gelben Sarg, vor und hinter ihnen ihre Kameraden mit der deutschen Fahne; da steht das zerstörte Haus des Major Preuß – da kommt Prinz Albrecht. Er hatte mehrere Arbeiter an den Barrikaden mit Wein etc. bewirthet; er hatte nach dem Siege des Volkes illuminirt: das gute Herz der Berliner fand eine Entschädigung für den tiefen Haß gegen den Prinzen von Preußen darin, diesem seinen Bruder Wohlwollen zu zeigen. Er kommt zu Fuß. Das, was man früher Plebs nannte, umgiebt ihn, die zerrissensten Straßenjungen tanzen jubelnd, fahnenschwingend vor ihm her: das Schauspiel erinnert an den Zug des Masaniello in der Stummen von Portici. Nur zwei Bürger begleiten ihn. Alle drei Minuten stehen die Buben still und bringen ihm ein Hoch und Hurrah; alle Damen aus den Fenstern winken mit ihren weißen Tüchern. Der Prinz nimmt den Hut ab, schwenkt ihn und läßt die Constitution leben, die Freiheit, das einige Deutschland. Kannst Du Dich in diese große Scene Berlin in seinen Tausend erschütternden einzelnen Scenen, in diese Herzlichkeit, Gleichheit, in dieses neue, wilde Brausen des souverain gewordenen Volkes, in diesen tiefernsten Jubel hineindenken, und dazu mich, der die Krönung seiner Wünsche und seines Strebens feiert, und mein weiches Herz ermessen, so brauche ich mich nicht zu scheuen, Dir zu sagen, daß ich die Thränen nicht mehr halten konnte, daß ich auf offener Straße wie ein Kind weinte. Und warum scheuen? Wer weiß, was diese Thränen bedeuten werden! – – –
Bei alle dem glaubt Niemand, daß die Revolution schon zu Ende. Das Staatsschiff schwankt auf hoher See und – es ist schlimmer Südwest. Die Arbeit wird am meisten Arbeit machen. Vorläufig fürchtet man vor der heutigen Beerdigungsfeierlichkeit. Gilt es, geht es noch wieder los, so kämpfe ich mit dem Volke, zu dem ich gehöre. Ich, der immer nur die Stahlfeder zog, werde zwar kein besonderer Held sein, was mir aber an Kraft gebricht, wird mein unwandelbarer, gestählter Zorn gegen die Tyrannei jeder Gattung ersetzen. Die edlen Opfer werden übrigens ohne die Soldatenleichen bestattet: die Demokraten des Hôtel de Russie haben es gestern Nacht durchgesetzt. Aus dieser Versammlung wird sich ein »Politischer Clubb« bilden, der sich der unausbleiblichen Contrerevolution gegenüberstellen und die Rechte des Volkes, den Volkswillen als höchstes Gesetz aufrecht halten will. Wie tobt es auf den Straßen! Schon jetzt ordnen sich die einzelnen Trauerzüge. Ich folge auch, unser Corps versammelt sich hinter der katholischen Kirche.
Abends 8 Uhr.
Es ist vorüber, ruhig vorüber. Die Beschreibung wirst Du in der Zeitung finden; ich bedaure Jeden, der dergleichen von heut zu morgen beschreiben muß. Je größer die Fertigkeit in solchen Referaten, je kleiner gewiß der Geist; ein Dichter kann's gar nicht, es ist noch mehr Poesie in der Tagelöhnerei, als Tagelöhnerei in der Poesie. Die Feierlichkeit hat wohl ihres Gleichen nie gehabt. Gegen 300,000 Menschen waren betheiligt, betheiligt mit Herz, Auge und Ohr. Und Alles in musterhafter Ordnung und Schönheit, Alles vom Volke selbst geordnet und ausgeführt. Es ist reif für die Freiheit. Der Eindruck war ein erhabener. Ich konnte vor überwältigenden Gefühlen nicht zu mir selbst kommen und – ich hatte Furcht vor dieser Begegnung mit mir. »Welch' ein Leichenzug!« rief mein Nebenmann. »Ja,« antwortete ich, »aber so Viel wie heut ist auch noch niemals begraben worden.« Das Gefühl meiner Schwäche, meiner Unbedeutendheit erdrückte mich. Kann man noch mitreden, wenn die Welt so spricht; kann man sich noch als Individuum hervorthun wollen, wenn die Zustände, die Völker so groß sind? Nein, mit jenen Leichen der Berliner Helden sind auch wir begraben: ich fühlte, daß ich mir selbst folgte. Dennoch habe ich noch ein Leben im Volke und mit diesem will ich leben.
Wenn nichts Unerwartetes vorfällt, so ist dies, Geliebte, mein letzter Revolutionsbrief. Am Freitag bringt mich die Post selbst, und ich hoffe, daß ich Dir der liebste Brief – ein endlich frankirter – sein werde.
Die alten Minister haben wir ausgemerzt, aber mit den neuen sind wir in'n April geschickt.
Mein Sohn Willem hat heute von mir eine orndliche Dracht Schläge gekriegt, weil er nich zur gehörigen Zeit, wie es sich schickt, zum Abenbrot gekommen is. Wie ich ihm fragte, wo er so lange gestochen habe, sagte er: er hätte unten uf de Straße Freiheit jespielt. Nanu werde ich doch den Bengel etwas knapper halten müssen, sonst wird er mir in meinen eijenen Hause souverain, ich weeß nich wie.
Ein New-Yorker Blatt sagt über die Vorstellung von Shakespeare's »Macbeth« Folgendes: »Ich habe der Vorstellung vom Anfange bis zu Ende beigewohnt, aber ich kann nicht anders sagen, als daß ich ihn, den Macbeth, keinesweges für einen guten moralischen Charakter halte. Was seine Gemahlin, die Lady betrifft, so scheint sie mir ein sehr herrschsüchtiges Temperament zu besitzen und sehr falsche Vorstellungen von Gastfreundschaft zu haben, was dieselbe – in Verbindung mit der unangenehmen Angewohnheit, laut mit sich selbst zu sprechen und Nachts im Hemd umherzugehen, zu einer sehr lästigen Lebensgefährtin gemacht haben muß.«
Wie sich die Störche jewundert haben werden, wie die in diesem Frühjahr nach Deutschland jekommen sind! – – – Aber ob se sich noch mehr wundern werden, wenn sie im Herbst wieder abziehen?
In der Berliner Singakademie wird jetzt nur einer von den berühmten Componisten gehört: Händel. Von einem Messias aber noch kein Ton.
In Paris, in der Nationalversammlung, hat ein Herr Barete verlangt, daß sich jeder Mann mit mehrere Frauen verheirathen dürfte. Ich weeß nich, ob dieser Petitionarr sich jemals in die Ehe befunden hat, aber ich fand es bei diesem scandalösen Antrag sehr jeistreich, daß die Deputirten sich schämten un – zur Tages-Ordnung überjingen.
Damals, bei de Wahlen nach Frankfurt am Main, saß neben mir ein Urwähler in eine Jacke, die an de Ellenbogen noch nich janz zujenäht war. Sie hatte mehrere bunte Abtheilungen, un überhaupt war sein janzer Anzug sehr patriotisch, indem er einen ziemlich deutlichen Bejriff von Deutschland jab. Außerdem roochte er eine Cijarre – – – die jewiß sehr preiswürdig war. Ich habe ihn nich gefragt, was der halbe Haufen davon kost't, aber – ich behielt meine Besinnung. Dieser Mann schrieb uf seinen Zettel bei de erste Wahl »Lehmann« un bei alle engere Wahlen immer wieder »Lehmann«, obschon ich, der ich mir doch schon drum bekümmert hatte, als Staatsbürjer, weder einen Lehmann hatte sprechen, noch einen Lehmann als Candidaten hatte vorschlagen hören. Endlich frage ich den Mann mit die Jacke, die an de Ellenbogen noch nich zujenäht war: »Sie entschuld'jen,« sagte ich, »mein Herr, der Lehmann, den Sie immer ufschreiben, des is woll ein sehr bedeutender Mensch?« – »»Des bin ich selber««, antwort't mir der Mann. »Wie so?« sage ich, »wünschen Sie nach Frankfurt am Main zu kommen?« – »»Ja««, antwort't der Mann mit einen sehr ernsten aber jutmüthijen Jesicht, »»weil ick da Bescheed weeß. Ich kenne da Allens, weil ick schon früher 'mal als Jeselle in Frankfurt jearbeet habe.««
Da haben sich mehre junge Aerzte einen Spaß jemacht, un in meinen Wahlbezirk ihren Stiebelputzer, der ein Mensch is mit einen großen Bart un einen noch jrößern Splehn, eine Rede halten lassen, wie se noch nich dagewesen is. Et wurde jelacht un geschimpft, aber er hielt se ruhig aus. So weit ich die Rede behalten habe, will ich sie mir hier notiren, denn das Janze is ein Unsinn, des kann jedes Kind merken. –
»Meine Herren!« sagte der Stiebelputzer. »Meine Herren, ich bin Republikaner un will die absolute Monarchie. Wenn einmal repräsentirt werden muß, immer drauf los! Das höchste Gesetz ist der Volkswille, insofern die Polizei damit einverstanden und Ruhe die erste, zweite und dritte Bürgerpflicht ist. Meine Herren: der 19. März war ein glorreicher Tag; die Despotie wurde gestürzt, mit ihr die Minister, mit ihnen das Vormundschaftsgericht! Blutroth ging die Sonne der Tyrannei unter, golden die der Freiheit auf. Man kann dies noch anders ausdrücken, aber es hört sich auch in dieser Form ziemlich gut an. Meine Herren; das Volk soll souverain sein, und eben darum muß uns Seine Majestät der König sagen, was wir zu thun und zu lassen haben! Nach Innen Zwiespalt, nach Außen keine Eroberungen, aber brüderliche, todesmuthige Unterstützung und Hülfe allen deutschen Brüdern, die in Italien und Polen im Kampfe um Freiheit und Nationalität sind. Um die freie Presse zu verlangen, können wir uns versammeln, so oft es uns gestattet wird. Aber, meine Herren, ohne Ordnung keine Anarchie, ohne Freiheit keine Interpellation! Ich werde keinem Deputirten meine Stimme geben, der nicht für die monarchische Form und für die direkte Wahl der Bürgerwehroffiziere ist, denn nur dadurch und durch das feste Auftreten des Gesetzes ist es möglich, die Paßbelästigung aufzuheben und den Kirchenstaat zu trennen. Meine Herren: das heiligste Recht des Volkes ist die Kenntniß des Staatsschutzes und die sichere Ueberzeugung, daß unsere Abgaben in demselben gewesen waren. Der Steuern muß gesteuert, die nothwendigsten Lebensbedürfnisse durch Einkommen gesichert werden. Meine Herren: die Schule muß Sonntags, Mittwochs und Sonnabends Nachmittag unabhängig sein und die deutsche Flotte ist kein Hirngespinnst, sobald die Beiträge zusammenkommen. Meine Herren: was Frankfurt am Main betrifft, so muß Deutschland zum Theil in Preußen, Preußen zum Theil in Deutschland aufgehen, so lange die Gefängnisse die Centralgewalt bilden. Aber, meine Herren, die sociale Frage ist und bleibt die Hauptsache! An die Arbeit muß gedacht werden, wenn das ganze Gebäude des Fortschritts nicht zusammenstürzen soll. Die Arbeit, die Arbeit ist der Polarstern, um welchen sich der Himmel unsrer Freiheit und Eventualitäten dreht, und eben weil die Arbeit dieser Stern ist, will ich hier nicht länger stehen bleiben, sondern mich nützlich zu beschäftigen suchen. Und dasselbe rathe ich Ihnen!«