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Überaus besorgt wartete ich in der ersten Januarhälfte in New York auf Whit Dodges Rückkehr von seiner gefährlichen Mission hinter den feindlichen Linien an der Maine-Küste. Hatte Margot Denison meine Nachricht mit dem Datum der Zusammenkunft erhalten?
War es dem amerikanischen U-Boot möglich gewesen, unbemerkt in die Einfahrt zu gelangen? Hatte Whit an Land gehen können, und wenn alles dies gelungen sein sollte, war der Junge imstande gewesen, zu seinem Schiff zurückzukehren und wieder auf das Meer zu entrinnen?
Um mich von diesen Sorgen abzulenken, stürzte ich mich in ein Studium der Situation im Hinterland. Wie war die Nation auf die Frühjahrsoffensiven vorbereitet, die Karakhan zweifellos an allen drei Fronten eröffnen würde – in Neuengland, im pazifischen Nordwesten und in Mexiko? Da zwei feindliche Heere, die zusammen nahezu sechs Millionen zählten, auf unserem Boden standen, brachte die amerikanische Öffentlichkeit der Entwicklung der Dinge bei unseren Nachbarvölkern in Südamerika nur sehr wenig Aufmerksamkeit entgegen.
Seit dem Beginn des Krieges in Amerika hatte Karakhan sich nacheinander in den Besitz der wichtigeren südamerikanischen Häfen gesetzt. Zur Verfügung standen ihm Rio de Janeiro, Buenos Aires, Valparaiso und der kleine Hafen von Arica.
Vereinzelte Einheiten der chilenischen, argentinischen und brasilianischen Flotten hatten tapfer mit überlegenen roten Seestreitkräften gekämpft und waren geschlagen worden. Zwei chilenische, ein argentinisches und ein brasilianisches Schlachtschiff waren dem Schicksal ihrer Schwesterschiffe entronnen, hatten durch geschickte Manöver ihre Verfolger abgeschüttelt und sich mit der Flotte der Staaten im Golf von Mexiko vereinigt.
Die Beherrschung dieser Häfen garantierte Karakhan die Lieferung notwendiger Rohmaterialien für seine Industrie in Europa und Asien, vor allem des bolivianischen Zinns, dessen Verlust für die Vereinigten Staaten sehr unangenehm war.
Die südamerikanischen Nationen, deren Industrie für ihre Bedürfnisse nicht ausreichte, waren jetzt, da sie nichts mehr aus den Staaten importieren konnten, gezwungen, sich in die Besetzung ihrer Häfen durch die Roten zu fügen. Ein Widerstand war sinnlos, weil Karakhan ohnedies die Meere beherrschte.
Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada waren nach anfänglichen Scherereien wegen territorialer Integrität ausgezeichnet geworden; es war mehr als ein gegenseitiges Bündnis zwischen den beiden Völkern, deren wirtschaftliche Interessen seit jeher trotz ihrer verschiedenen politischen Zugehörigkeit parallel zueinander verlaufen waren. Mit der Verlegung der kanadischen Regierung von Ottawa hatte der geflüchtete britische König Eduard VIII., der frühere beliebte Prinz von Wales, der nach dem Tode Georgs V. den Thron bestiegen hatte, seinen Hofstaat nach Washington verlegt, wo auch alle anderen aus Europa geflüchteten königlichen Häupter sich aufhielten. Diese Könige, Königinnen und Fürsten waren überaus wichtig für die Propaganda unter ihren zahlreichen Untertanen, die jetzt in Amerika Zuflucht gefunden hatten.
Englische, französische, italienische, deutsche, schwedische und norwegische Fremdenlegionen wurden unter der Führung amerikanischer Offiziere aufgestellt und leisteten ausgezeichnete Dienste an den Fronten.
Der Beliebtheit König Eduards in der Washingtoner Gesellschaft wurde ein rasches Ende gemacht, als die feindlichen Sendestationen Geheimdokumente der alten britischen Regierung veröffentlichten, die in die Hände des Feindes gefallen waren. Die offizielle Rote Verlautbarung hatte folgenden Wortlaut:
»Die im amerikanischen Radio gehaltenen Ansprachen des ehemaligen britischen Königs und des ehemaligen japanischen Kaisers, welche die Amerikaner zu größerem Eifer im Krieg gegen die Rote Union aufforderten, bekommen eine besonders pikante Note, wenn man sie mit Dokumenten vergleicht, die vor kurzem in den Archiven der beiden Kriegsministerien gefunden wurden.
Es handelt sich um Duplikate eines Kriegsbündnisses zwischen Großbritannien und Japan, das in Kraft treten sollte, sobald sich ein Konflikt zwischen einem der beiden Staaten und Amerika erhebt. Dieses Übereinkommen plante gemeinsame Aktionen der königlich-britischen und der kaiserlich-japanischen Flotte gegen die Marine der Vereinigten Staaten. Das geheime britisch-japanische Kriegsbündnis sah einen Einmarsch britischer Truppen in Amerika über Montreal und den Champlainsee vor und zwei japanische Offensiven an der pazifischen Küste. Der Einmarsch sollte durch Britisch-Columbien in den Staat Washington erfolgen, die Flottenaktion mit einem Luftangriff auf den Panamakanal verbunden werden.
Das Kriegsamt der Roten Union fand die Pläne für die Vernichtung der amerikanischen Flotte und den Einmarsch in die Vereinigten Staaten bereits fix und fertig vor, und mit Ausnahme einiger überaus wichtiger Verbesserungen, die von Karakhan getroffen wurden, erfolgten die siegreichen Aktionen der Roten Union in Nordamerika auf Grund eben dieser Pläne der ehemaligen Regierungen, deren Monarchen sich heute der amerikanischen Gastfreundschaft erfreuen.«
Von meinen Sorgen um Margot und Whit Dodge wurde ich am 15. Januar erlöst, als der junge U-Bootoffizier lächelnd in mein Zimmer in New York trat.
»Alles hat tadellos geklappt«, erzählte er. »Kein Licht und keine Menschenseele war zu sehen als wir ins Gray's Cove auftauchten. Ich paddelte in einem Faltboot an die Küste und fand Margot an der verabredeten Stelle. Wir waren eine Stunde zusammen. Sie ist ein ganz großartiges Mädel.
Karakhan hat Lin und Margot in einem alten Landhaus am Sebagosee untergebracht. Sie haben volle Bewegungsfreiheit und machen Automobilfahrten im ganzen Land. Zum Rendezvous ist sie in einem kleinen Wagen ohne Lichter gekommen.
Lin hat ihre Eltern in Salem in Massachusetts ausfindig gemacht, und in dieser Woche übersiedelt Margot mit ihr dorthin. Ich habe mit ihr eine neue Stelle an der Küste zwischen Salem und Gloucester vereinbart, am sogenannten Hummernfelsen. Dort habe ich als Junge immer gefischt.«
»Hat Karakhan Margot schon gesehen?« fragte ich. Ich war selbst besorgt, und außerdem wollte ich es für Speed Binney wissen.
»Nein, Gott sei Dank«, antwortete Dodge. »Der gelbe Teufel hat weder Lin noch sie gesehen. Es scheint ihm Freude zu machen, wenn er seine Frau quälen kann. Sie wissen ja, bevor er ihr erlaubte nach Amerika zu kommen, mußte sie ihm versprechen, ihn nicht im Hauptquartier aufzusuchen. Hoffentlich bekommt er Margot nie zu Gesicht.«
»Aber wer ist denn bei ihnen? Sie können doch nicht allein dort leben.«
»Kein anderer als Ihr gesprächiger Freund, Oberst Boyar. Er schwört noch sicherer als früher auf Karakhans Sieg. Wenn er ins Hauptquartier kommt, reitet er mit dem General aus, und er kann nicht genug von der roten Frühjahrsoffensive erzählen. Margot hat sich alles gemerkt, und ich bringe dem Generalstab noch heute abend die Informationen.
New York, Philadelphia, Baltimore und Washington werden in diesem Jahr fürchterliche Luftangriffe auszustehen haben. Karakhans Hauptstoß wird westlich vom Hudson erfolgen. Sie meint, daß er den Versuch machen wird, die amerikanischen Linien, die sich an den Erie-Kanal anlehnen, zu durchstoßen.
Sein Ziel sind die Kohlenbergwerke und Eisenhütten Pennsylvaniens. Das Datum der Eröffnung der Offensive steht noch nicht fest, weil es von der Eisschmelze im St. Lawrence abhängt.«
Wie um die Genauigkeit der Informationen Margots zu bestätigen, wurde noch in derselben Nacht Philadelphia von einem furchtbaren Luftangriff heimgesucht.
In der folgenden Nacht war ich in Washington, als die feindlichen Geschwader drei Stunden lang Bomben abwarfen, die verhältnismäßig wenige Menschen töteten, aber viele öffentliche Gebäude und einen großen Teil der Verkehrsmittel der Stadt zerstörten. Das Resultat dieses ersten Angriffs auf die Landeshauptstadt, seitdem die Engländer sie im Jahre 1814 verbrannt hatten, war das augenblickliche Erlassen von Verfügungen zur Evakuierung der Stadt und Verlegung der Regierung nach St. Louis in Missouri.
Als ich drei Jahre nach Kriegsende wieder nach Washington kam, lebten in der Stadt, die einst eine Bevölkerung von 540 000 Köpfen gehabt hatte, nicht ganz 10 000 Menschen. Da sie weder als Industrie- noch als Handelsstadt Bedeutung hatte, sank sie zu einem Dorf herab, sobald die Regierung mit ihren Hunderttausenden von Beamten nicht mehr in ihr amtierte.
Der 21. April war der Tag, den Karakhan für den Beginn der Frühjahrsoffensive 1935 bestimmt hatte. Im Morgengrauen dieses Tages eröffnete die massierte Artillerie des Roten Napoleons von Kap Cod bis zum Ontariosee ein mörderisches Feuer, dem ein furchtbares Luftbombardement zur Seite ging.
Pünktlich um dieselbe Minute setzten im pazifischen Nordwesten neue Angriffe der gelben Heere auf die amerikanischen Truppen in Oregon ein, und ebenfalls um dieselbe Minute erneuerten unten in Mexiko die asiatischen Horden unter Kamku ihre Anstrengungen, durch die amerikanischen Linien auf dem Isthmus von Tehuantepec durchzubrechen und die Küste des Golfs von Mexiko zu erreichen.
Diese Generaloffensive an den Fronten aller drei Kriegsschauplätze sollte das amerikanische Oberkommando verwirren und verschleiern, an welchem Abschnitt der Rote Napoleon seinen Hauptschlag vor hatte.
Dieses Ziel wäre auch erreicht worden, hätte nicht Margot Denison schon vorher seine Absichten verraten. Ihre Informationen bestätigten, was der amerikanische Generalstab vermutet hatte, und so wurden die amerikanischen Verteidigungslinien am Erie-Kanal verstärkt und ausgebaut.
In den Monaten Januar, Februar und März hatten die amerikanischen Truppen sich in diesem Abschnitt befestigt, der die letzte Barriere zwischen den Eindringlingen und dem Industrieherzen des Landes in Pennsylvanien bildete.
Viele Hunderte von Quadratkilometern an Stacheldrahtanlagen gingen von Saratoga Springs aus, folgten dem nördlichen Zug des Mohawktales, gingen über die Vorberge der Adirondacks und griffen bis nach Watertown und den Tausend Inseln hinauf.
Unterirdische Betonbauten und lange Laufgräben verbanden die vier Frontlinien mit den Unterstützungs- und Reservestellungen, die so angeordnet waren, daß sie für den Fall einer erzwungenen Rückwärtsbewegung hintereinander als Aufnahmelinien benutzt werden konnten.
Diese in die Tiefe gestaffelten Widerstandszonen und -gebiete waren parallele Riegel, die sich in ostwestlicher Richtung quer durch den Staat bis zur Pennsylvanienlinie im Süden hinzogen. Alle verfügbare Munition und alle Artillerie, die an den anderen Frontabschnitten entbehrt werden konnte, wurde in diesen Verteidigungszonen konzentriert.
Obgleich die amerikanischen Luftstreitkräfte reorganisiert waren, hatte Karakhan noch immer seine ungeheure Überlegenheit, und unsere Unternehmungen zur Luft waren auf gefährliche Erkundungsflüge beschränkt, in deren Verlauf jeder Zusammenstoß mit feindlichen Flugzeugen vermieden werden mußte.
Der Chicago Tribune war es gelungen, mir wieder ein Meldeflugzeug zu verschaffen, und dank meinen Beziehungen zum Generalstab konnte ich meinen alten Piloten Leutnant Speed Binney bekommen, der allerdings wütend darüber war, daß er auf diese Weise von der Kampftruppe fortkam.
Unser Flugzeug durfte selbstverständlich nicht bewaffnet werden. Es trug den großen roten Buchstaben C in kreisrundem grünem Feld auf beiden Seiten der Tragflächen und auf den Wänden des Rumpfes. Wir waren nicht so töricht, zu hoffen, daß diese Bezeichnung uns Angriffe von feindlichen Flugzeugen ersparen würde, aber sie befolgte die Kriegsvorschriften mit buchstäblicher Genauigkeit.
Die Eröffnung der Frühjahrsoffensive brachte mir neue Pflichten. Ich war jetzt nicht nur Kriegskorrespondent, sondern wurde auch Funktelephonist. Unser Flugzeug war mit einem Radiosender ausgerüstet, der beständige Verbindung mit der von der National-Broadcasting Company in Binghampton in New York eingerichteten Empfangsstation unterhielt; in Binghampton lag übrigens auch das Hauptquartier des Generalleutnants Francis X. Mullins, des Befehlshabers der neuenglischen Armee.
Meine Beobachtungen, die ich über der Kampffront in das Mikrophon meines Flugzeuges sprach, wurden in Binghampton aufgenommen, verstärkt und über das ganze Netz der einzelnen Stationen im Lande verbreitet.
Peggy Stanley, eine Stenographin im Büro von Speed Binneys Vater in St. Louis, transkribierte meine gesprochenen Berichte, wie sie sie durch den Lautsprecher hörte, und schickte mir dann eine Niederschrift dieser Meldungen.
Da es sich um die ersten durch das Radio gesprochenen Kriegsberichte handelt, rücke ich hier einen Teil davon ein, für dessen fragmentarischen Charakter ich allerdings um Entschuldigung bitten muß:
»Floyd Gibbons am Mikrophon im Beobachtungsflugzeug der Chicago Tribune und der National Broadcasting Company an der New Yorker Westfront. Wir fliegen mit westlichem Kurs von Schenectady in einer Höhe von dreitausend Metern über das Mohawktal. Es ist kalt hier oben und neblig, in den Mulden der Adirondacks hinter den feindlichen Linien im Norden kann ich noch Schnee sehen.
Das Artillerieduell, das jetzt seit zwei Tagen tobt, geht unten in unverminderter Stärke weiter. Granaten von den massierten amerikanischen Geschützen decken die feindlichen Stellungen in Ballston Spa zu. Eine furchtbare Rauchwolke erhebt sich über einer kleinen Ortschaft rechts – Augenblick, ich suche es auf der Karte – es ist Malta. Die Roten halten die Ortschaft. In Mechanicsville im Süden davon brennt es.
Cohoes steht unter einem fürchterlichen Hagel feindlicher Granaten. Die Roten scheinen ihre Angriffe auf diesen Teil der Linie zu konzentrieren – H-r-rr-r. Haben Sie das gehört? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geklungen hat, mir ist es jedenfalls nicht angenehm. Es war eine Granate aus einem amerikanischen Steilfeuergeschütz, die vorübergekommen ist. Speed Binney, der das Flugzeug führt, sagt, ihm hätte es geklungen wie ein Straßenbahnwagen.
Speed läßt jetzt den Apparat um dreihundert Meter sinken, um aus dem Bereich der Flugbahn der amerikanischen Geschosse zu kommen. Wenn die Sendung plötzlich unterbrochen wird, so kann das einen unangenehmen Zusammenstoß mit einem dieser Geschosse bedeuten.
Links unter mir zieht sich die Linie am Erie-Kanal in westlicher Richtung hin, punktiert von den Essen und verräucherten Dächern der Fabriksiedlungen. Wir überfliegen eben Rotterdam Junction. Binney hält sorgfältige Ausschau nach feindlichen Flugzeugen. Unsere Maschine ist unbewaffnet. Wir haben nördlichen Kurs.
Von einer amerikanischen Riegelstellung knapp nördlich von Gloversville steigen ganze Geyser von Erde und Trümmern auf. Breite Streifen rostbraunen Stacheldrahts umgeben die Ortschaft. Einen Moment – jetzt kann ich es durch das Glas sehen.
Es ist eine feindliche Vorrückung. Tausende von Roten suchen sich einen Weg durch die Hindernisse zu bahnen. Rings um sie explodieren ununterbrochen Geschosse. Manchmal verzieht sich der Rauch. Jetzt mehr Granaten – noch mehr Geyser und Springbrunnen von Rauch, Erde und Trümmern springen auf.
Wir gehen zurück. Binney hat eben gedreht – wir haben südlichen Kurs – volle Motorkraft. Einen Augenblick – er hat eben – ja, es sind rote Flugzeuge – sie kommen von rechts heran. Wir sind davon.
Schade, daß ich das kleine Gefecht bei Gloversville nicht weiter beobachten kann. Es sieht scheußlich brenzlig aus. Ich kann gerade noch die Drahtverhaue sehen. Sie hängen voller Leichen – Rote – unsere Jungens halten die Linie. Aber der Angriff wird wiederholt werden. Ich weiß es – ich war mit Karakhan in Europa im Feld. Ich habe gesehen, wie er Tausende von Menschen dem Tod in den Rachen wirft, um eine Stellung zu bekommen, die er haben will.
Wir sind direkt über St. Johnsville – ich glaube, es ist es. Von hier sieht es ganz zerstört aus. Richmond und Little Falls sind direkt vor uns. Hoffentlich können Sie mir auf der Karte folgen. In der Luft ist es schwer, genau festzustellen, wo man gerade ist. Ich muß immer zum Erie-Kanal sehen, um mich zu orientieren. Wir haben jetzt westlichen Kurs.
Eine große Ortschaft vor uns brennt. Ich glaube, es ist Middleville – ja. Ich kann das Aufblitzen der roten Kanonen sehen, die im Wald nördlich von der Ortschaft versteckt sind. Das hier ist Herkimer, links von uns, im Süden. Von hier sieht es unversehrt aus.
In Middleville scheint der Teufel los zu sein. Rauchwolken und Flammensäulen steigen auf, und – einen Moment. Binney hat die Maschine eben gewendet. Alles dreht sich. Warten Sie, bis ich weiß, welchen Kurs wir haben – es geht wieder nach Süden zurück – nein – Südosten. Jetzt sehe ich rechts hinter uns Riesenflammen. Hören Sie das Brüllen der Motoren? Der Tachometer vor mir zeigt achtzehnhundert Touren in der Minute. Binney läßt den Apparat hinuntersausen, um Geschwindigkeit zu gewinnen. Hören Sie, wie der Wind durch die Verstrebungen pfeift?
Am Rand eines Waldes direkt vor uns ist ein großer Wall von Erdbefestigungen. Ich kann das Aufblitzen von Geschützen sehen – es ist amerikanische Artillerie. Wir sind jetzt hinter unserer Linie. Die Batterien im Wald geben Schnellfeuer. Ich weiß nicht, wo es ist, und wenn ich es wüßte, dürfte ich es nicht sagen.
Wir fliegen wieder in östlicher Richtung – Augenblick – glauben Sie, daß es geht, Speed? Er hat mit dem Kopf genickt. Wir wollen noch einmal zur Front. Jetzt fliegen wir über den Kanal – weit hinten in den Bergen hinter den feindlichen Linien kann ich eine große Wasserfläche aufleuchten sehen. Lassen Sie mich auf der Karte nachsehen – jetzt hab' ich es – es ist das Hinckley-Reservoir. Mir fällt eben ein, wenn die Zuhörer am Radio sich über eine Karte beugen und die Orte so ansehen, wie ich sie zeige – Sie sind fast in der selben Stellung wie ich – Ihre Augen wenigstens – wie ich von oben hinuntersehe, und jetzt habe ich direkt unter meinen Augen eine kleine, von Stacheldrahtverhauen umgebene Ortschaft – ein Sturm über das Gelände – die Roten – es ist der Feind – warten Sie – ein Durchbruch durch die Linien – jetzt sehe ich –«
So brach das Stenogramm meines Radioberichtes jäh ab. Die Ursache dafür war die plötzliche Unterbrechung unserer Übertragung durch den heftigen Ruck, den unsere Maschine machte, um dem Angriff eines roten Flugzeuges zu entgehen, das unsere Schwanzfläche mit Maschinengewehrkugeln durchlöcherte.
Durch eine Serie von Drehungen und Sturzflügen gelang es Binney, den roten Flieger abzuschütteln, und wir entrannen in südlicher Richtung.
Aus den Briefen, die mich in Binhampton erreichten, ersah ich mit Befriedigung, daß meine späteren Radioberichte weniger aufgeregt und zusammenhanglos waren als mein erster.
Zwei- oder dreimal in der Woche unternahmen wir vorsichtige Flüge über verschiedene Teile der Front, und ich schilderte aus der Luft die Kämpfe. Aber die Tatsache, daß unser auffallend markierter Plan nicht mehr angegriffen wurde, ließ mich argwöhnen, daß auch feindliche Ohren meine Schilderungen hören wollten, und daß die Roten aus diesem Grund Befehl hatten, sich um mein Flugzeug nicht zu kümmern. Ich war vorsichtig genug, von keiner Beobachtung zu sprechen, die von militärischem Wert für den Feind hätte sein können.
Wir stellten unser Glück aber auch nicht auf die Probe. Wir wichen jedem roten Flugzeug, das wir erblickten, in weitem Bogen aus und hielten uns überhaupt meistens hinter unseren Linien.
In den furchtbaren Monaten Mai und Juni donnerten die Geschütze Tag und Nacht ununterbrochen. Das Gewicht und die Masse heißen Metalls und die Gasmengen, die von den gegnerischen Truppen aufeinander geschleudert wurden, überstiegen alle Ziffern der bisherigen modernen Kriegführung.
Die stets erneuten Störungen lebenswichtiger Kommunikationswege für den Nachschub an die amerikanische Front wurden immer wieder durch die Arbeit Tausender von Pionieren behoben, die an allen Eisenbahnstrecken und Automobilstraßen in Unterständen untergebracht waren. Noch bevor der Staub der Fliegerbomben sich gesetzt hatte, waren diese eifrigen Arbeiter bereits dabei, den Schaden auszubessern. Der Verkehr zur Front erlitt jetzt keine nennenswerten Unterbrechungen mehr. Und das hatte die Front auch bitter nötig.
Die gelben Massen hatten an einzelnen Stellen Lokalerfolge zu verzeichnen – so überquerten sie die Chenango-Straße im Süden von Watertown. Ein Keil schob sich bedrohlich nahe an den Erie-Kanal zwischen Utica und Rome heran, aber die Flanken hielten stand, und die Eindringlinge wurden unter einem Kreuzfeuer von den beiden Seiten und dem Zentrum zurückgetrieben. Troy fiel als Trümmerhaufen in die Hände der Roten, aber Coloe hielt sich.
Die amerikanischen Verluste waren schwer, aber nicht so groß wie die feindlichen, die nach Hunderttausenden zählten. Karakhans berühmte Flüssigkeit des Angriffs konnte nicht in die Tiefe der amerikanischen Widerstandszonen vorstoßen. Tag um Tag hob sich die Stimmung in Amerika, als die Linie im westlichen New York nicht nachgab.
Die amerikanische Front hielt stand.
Die unwiderstehliche Kraft war auf das Unbewegliche gestoßen. Später haben Strategiker erklärt, daß am Versagen der Offensive Karakhans Ehrgeiz und sein zu großes Selbstvertrauen schuld gewesen seien. Es wurde darauf hingewiesen, daß er nur im Hudsontal und im oberen St. Lawrencetal Erfolge gehabt hätte. Obgleich die Adirondacks, die unmittelbar hinter seinem Zentrum lagen, kreuz und quer von Automobilstraßen durchzogen waren, genügten ihm diese Kommunikationswege nicht zur Heranschaffung der kolossalen Materialmengen, die seine Hämmertaktik erforderte.
Bei der Feier des 4. Juli wagte sich wieder Optimismus hervor. Ich verbrachte Binneys Urlaub mit ihm bei seinen Eltern in St. Louis, das jetzt Landeshauptstadt war.
»Der gute Al Smith«, rief Vater Binney begeistert, »hat mehr unter seinem braunen Hut als bloß Haare. Daß er den früheren Präsidenten Hoover zum Leiter des Kriegsindustrieausschusses ernannt hat, ist ein ausgezeichneter innenpolitischer Schachzug, und außerdem ist Hoover wirklich der einzige Mann, der unsere Wirtschaftskräfte reorganisieren und steigern kann.
Er hat ja auch schon allerhand geschafft. Die Wasserwege im Binnenland funktionieren wieder, und der Himmel weiß, wie sehr wir die brauchen, wo die Eisenbahnen Tag und Nacht bombardiert werden.
Und seine Entscheidungen über Materialpriorität – das hat jetzt gar nichts mehr mit Politik zu tun. Die lebenswichtige Industrie, die Material braucht, bekommt es, und die für den Krieg überflüssigen Industrien bekommen nichts. Seine Typennormalisierung hat eine Menge überflüssiger Arbeit erspart und den Ablauf der ganzen Industriearbeit beschleunigt. Was er in der Erzeugung synthetischer Ersatzmittel für Gummi, Zinn, Nickel und Mangan geleistet hat, ist tatsächlich wunderbar.
Was wäre uns in diesem Sommer passiert, wenn er nicht sein Programm zur Dezentralisierung der Industrie, das Programm der Verlegung der großen Werke von den Städten auf die Farmen, durchgeführt hätte, wenn er nicht die gesamte elektrische Energie des Landes genommen und nach seinem Kraftsystem verteilt hätte? Als die beiden letzten Luftangriffe die Wasserkraftwerke am Niagara und die Commonwealth Edison in Chicago zerstörten, brauchten wir nur umzuschalten und uns unsere Elektrizität aus einer anderen Quelle zu holen. Es ist bis jetzt so gut wie zu keinem einzigen Stillstand der Industriearbeit gekommen. Wißt Ihr, daß wir jetzt schon wieder ziemlich viele Flugzeuge haben?«
»So?« unterbrach ihn sein Sohn. »An der Front habe ich noch nichts davon gemerkt.«
»Halt den Schnabel«, antwortete ihm sein Vater. »Du glaubst natürlich, daß du den ganzen Krieg beurteilen kannst. Das habe ich mir seinerzeit in Frankreich auch eingebildet. Wartet nur ab, noch bevor der Sommer um ist, werden alle Drehmaschinen in allen Scheunen, auf allen Farmen, Teile für Waffen, Munition, Flugzeuge und alle Kriegsbedürfnisse erzeugen.
Karakhans Bombengeschwader können Pittsburgh und Cincinnati zerstören, sie können die Produktion in Dayton und überall, wo so viel konzentriert ist, daß es getroffen werden kann, zum Stillstand bringen. Hoovers Industriedezentralisierung durch Versorgung aller Farmen mit elektrischem Strom ist die einzige Lösung für uns.
Wir stellen die Einzelteile auf den Farmen her, versammeln in der Nacht die Motore und Tragflächen in den Landzentren und fliegen sie am Morgen ab.
Karakhan kann nicht in einer Nacht auf jede Farm im ganzen Land eine Bombe abwerfen. Wenn seine Luftangriffe die Produktion an einem Ort unterbrechen, springt eine andere Stelle dafür ein. Er setzt uns jetzt genug mit seinen Luftbombardements zu. Aber wenn Hoovers Programm sein Produktionsmaximum erreicht, wird dieses gelbe Aas merken, daß wir noch lange nicht geschlagen sind.«
»Vater, du hast ganz recht«, meldete sich jetzt Mrs. Binney. »Und jetzt sollt ihr hören, was wir Frauen tun. Jetzt werden nicht mehr Socken gestrickt und Hemden genäht wie früher. Ich bin Aufseherin einer Schicht von vierhundert Mädchen, die in jeder Nacht dreihundert Waggons und zweiundzwanzig Kähne mit Kohlen beladen. Jetzt könnt ihr lachen, ihr Männer, aber wenn der Friede kommt, dürft ihr nicht vergessen, daß wir Frauen auch an seiner Erlangung mitgearbeitet haben.«
Der amerikanische Optimismus war verfrüht. Die Intensität des Geschützfeuers an der New Yorker Front westlich vom Hudson ließ allmählich nach, und am 20. Juli ging es am östlichen Teil der Front zwischen dem Hudson und der Cape Cod Bay los.
Karakhan warf große Massen seiner Feldartillerie vom Westabschnitt an die Linien im Osten des Hudson.
Die amerikanischen Stellungen hatten gute, von Stacheldrahtverhauen gesicherte Gräben mit Betonbauten und Laufgräben, aber es war nicht genug Artillerie da – fast alles, was eigentlich an diese Front gehörte, war an den westlichen Abschnitt gezogen worden, um dem Hauptdruck des Feindes Widerstand zu leisten.
Karakhans plötzliches Überspringen auf den östlichen Abschnitt gab ihm die Übermacht über die geschwächte amerikanische Linie. Er stieß in zwei Korridoren nach dem Süden vor: erstens zwischen dem Hudson und den Berkshire-Bergen, und zweitens im Tal des Connecticutflusses. Alle Kräfte in diesen beiden großen Straßen konzentrierend, begann er seinen alles über den Haufen rennenden Vormarsch auf New York City.
Seine Luftstreitkräfte, die auf keinen Widerstand stießen, zerstörten die wenigen Brücken, die zwischen Albany und New York City über den Hudson führten, und behinderten so den Nachschub vom Erie-Kanalabschnitt an die Front im Osten vom Hudson. Alle diese Transporte mußten über New York City geleitet werden.
In fünftägigen furchtbaren Kämpfen gelang es Karakhan, die Verteidigungszonen im Tal des Connecticutflusses und an der Ostseite des Hudson zu durchbrechen, wobei seine Truppen jedoch ununterbrochen dem Feuer der am hohen Westufer des Flusses aufgefahrenen amerikanischen Artillerie ausgesetzt waren.
Seine Streitkräfte besetzten den wichtigen Eisenbahnknotenpunkt Chatham in der Provinz Columbia, rückten dann längs der Strecke der Boston and Albany Railroad vor und eroberten die Stadt Hudson am gleichnamigen Fluß und die Ortschaft Pine Plaines in der Provinz Dutchess.
Im Connecticuttal fielen zunächst die Ruinenhaufen von Northampton und dann die Stadt Springfield in die Hände der Sieger, und nach einer Woche nutzlosen Widerstandes mußten die amerikanischen Verteidiger von Hartford in Connecticut weiter nach Süden zurückgehen. Die amerikanische Stellung zwischen dem Connecticutfluß und dem Atlantik wurde unhaltbar. Karakhans rechter Flügel war am Ostufer des Hudson verhältnismäßig sicher, und alles sprach dafür, daß sein Vormarsch den Long Island Sund erreichen würde. Als dies klar wurde, erwies es sich als notwendig, sich aus dem östlichen Massachusetts und dem südlichen Teil von Rhode Island zurückzuziehen. Der Rückzug wurde längs der Küsteneisenbahnen über Kingston in Rhode Island und über New London und New Haven in Connecticut bewerkstelligt. Karakhans Vormarsch war ein Meisterstreich, der mit überwältigender Kraft, Plötzlichkeit und Überraschung ausgeführt wurde.
Die amerikanischen Linien im Osten vom Hudson rollten sich vor dem Vormarsch auf. Speed Binney und ich machten den größten Teil der entsetzlichen Flucht mit; wir hörten die jammervollen Erzählungen der Flüchtlinge – amerikanischer Flüchtlinge diesmal, amerikanischer Frauen, Kinder und alter Männer. Die Straßen waren verstopft von den Menschen, die im Staub des heißen Spätjuli fast erstickten; Eisenbahnzüge und Brücken wurden bombardiert; Telephon- und Lichtleitungsdrähte hingen von den Masten herab. Es war ein Debacle.
Tausende amerikanischer Zivilisten und Soldaten und einige tausend Geschütze fielen dem Feind außer Eisenbahn- und Automobilmaterial in die Hände.
Zerstörungskommanden arbeiteten während des Rückzuges Tag und Nacht, sprengten Fabriken, vernichteten Kraftanlagen, zerstörten Eisenbahnzüge, Brücken, Munitionslager und Proviantdepots. Aber die gelben Scharen strebten so rasch vorwärts, daß vieles ungetan bleiben mußte – trotzdem gingen Millionenwerte in Flammen auf.
Die Roten waren im Block Island Sund unter die Kanonen von Fisher Island gekommen, aber auch diese schweren Geschütze konnten sie nicht aufhalten. Putnam, Norwich und New London an der Strecke der New Haven and Hartford Railroad wurden nacheinander besetzt. Middletown fiel in die Hände der Sieger, Waterbury stand in Flammen, und seine Zivilbevölkerung sah sich, als sie nach dem Süden flüchten wollte, durch den roten Vormarsch auf Bridgeport abgeschnitten.
Zwischen dem Catskill und dem Hudson rückte der Feind im selben Tempo vor wie im Osten. Poughkeepsie wurde besetzt, und bald war das Vassar College von amerikanischen Geschützen, die auf den Höhen am anderen Flußufer standen, in Trümmer geschossen. Die Linie rückte weiter vor durch Beacon und Peekskill, ohne sich um das schwere Artilleriefeuer von West Point am anderen Ufer zu kümmern.
Die Wasserversorgung New Yorks wurde abgeschnitten, und die große Stadt, deren Tagesbedarf sich auf viele Millionen Hektoliter belief, war wasserlos.
Wegen des unaufhaltsamen Vormarsches der Roten hatte unter dem Befehl des Generalmajors Aron Rosenthal, der nach dem Selbstmord des Generalmajors Arnos B. Grundy den Befehl über den Stadtabschnitt übernommen hatte, die Evakuierung der Zivilbevölkerung begonnen.
Alle Bemühungen der verstärkten Luftabwehrbatterien, die von beiden Seiten des Flusses feuerten, konnten nicht verhindern, daß rote Bombenflugzeuge drei Fährboote mitten im Fluß versenkten, wobei viele Tausende ums Leben kamen.
Eine Zweitausendpfund-Bombe, die vor dem Astor Hotel niederging, tötete Hunderte in den ungeheueren Massen, welche die elektrische Kriegskarte am New York Times Building beobachteten.
Dann kam der Bombenregen. Der ganze Straßenverkehr und die Untergrundbahn waren lahmgelegt.
Der Central Park war ein überfülltes Flüchtlingslager. Über die langen Avenuen strömten von wahnsinniger Panik ergriffene Massen herein.
Wieder brach die Verteidigungslinie zusammen und zog sich auf vorbereitete Stellungen zurück, die von Yonkers am Hudson nach Pelham liefen, und von da nach New Rochelle am Sund. Die Verstärkungen, die zur Front abgingen, mußten sich ihren Weg durch flüchtende Frauen, Männer und Kinder bahnen.
Große Teile der Straßen und fast alle Kreuzungen waren von zerschossenen Automobilen versperrt. Militärpolizei suchte mit Hilfe freiwilliger Zivilisten die Mengen dieser verlassenen Fahrzeuge zu entfernen, die den Verkehr sperrten.
Die ganze Zeit schossen die Geschütze der Forts, die den Long Island Sund verteidigten, auf Fernziele hinter den feindlichen Linien. Die Einundzwanzigzentimeter-Kanonen von Fort Totten und Fort Schuyler richteten furchtbare Zerstörungen unter der feindlichen Artillerie an. Die Verteidigungsanlagen der unteren Bai schleuderten Tonnen von Geschossen nach den Flugzeugen über der Stadt.
Die schweren Geschütze dieser Fortifikationen waren zur Verteidigung New Yorks gegen einen Angriff vom Meer aus eingerichtet und konnten gegen eine Landattacke nur wenig ausrichten.
Die Rote Luftflotte verlor viele Flugzeuge durch die Abwehrgeschütze, aber das feindliche Programm, die Befestigungen ununterbrochen mit Gasgeschossen, Granaten und Sprengstoffen zu überschütten, wurde nicht gestört.
Die Geschütze von Fisher Island wurden nach sechswöchiger ununterbrochener Beschießung von der Luft her unbrauchbar, und ein gleiches Schicksal erlitt Fort Terry auf Plum Island.
Sowie die Fortifikationen am Eingang des Sundes außer Gefecht gesetzt waren, machten rote Minensucher eine Wasserstraße von New London Harbour nach Gardiner's Bay und Green Port frei, wo der Feind endlich den Boden der Insel betreten konnte.
Nur das völlige Fehlen jeglichen amerikanischen Luftschutzes machte es Karakhan möglich, den Widerstand der Verteidiger so zu brechen, daß seine Landungstruppen Fuß fassen konnten. Sobald die Roten Peconic Bay und Riverhead in ihren Händen hatten, rückten sie in westlicher Richtung auf der Insel vor.
Der amerikanische Widerstand beschränkte sich nahezu ausschließlich auf Rückzugsgefechte, die den Zweck hatten, den Feind so lange aufzuhalten, daß die letzte Verteidigungslinie verstärkt werden konnte. Nacheinander fielen Port Jefferson, Smithtown, Sayville, Islip, Babylon und Huntington in die Hände der gelben Truppen, die erst bei einer Linie haltmachten, die von Long Beach an der Atlantischen Küste durch Rockville Center, Hempstead und Mincola nach Roslyn am Sund verlief.
Auf dem Festland gingen die Eroberer im Osten durch den Pelham Bay-Park, im Westen durch den Courtland-Park vor. Im Bronx wurde erbittert um jedes einzelne Haus gekämpft, aber das Vorwärtsfluten der Feinde konnte nicht zurückgedämmt werden.
Die amerikanischen Verteidiger mußten Block um Block aufgeben. Die Kämpfe um die einzelnen Häuser mit Bajonetten, Handgranaten und Gasbomben setzten sich Tage und Nächte lang fort. Sobald die Roten das Eckgebäude eines Blocks hatten, erkämpften sie sich durch den Block einen Weg nach dem Süden, indem sie die Mauern zwischen den Häusern durchbrachen.
In den Wohnhäusern wurde gekämpft; ein Haus voll Roter, das andere voll Amerikaner – die Trennungsmauer zwischen den Häusern war die Schlachtlinie, und die Roten wurden Meister in der Kunst, Breschen in die Mauern zu schlagen und das Nachbarhaus im Sturm zu nehmen.
In solchen erbitterten Handgemengen rückte die rote Linie an das Nordufer des Harlemflusses vor. Dieser Wasserlauf war der letzte Graben für die Verteidiger New Yorks. Die größte Wolkenkratzerstadt der Welt lag unter dem Feuer feindlicher Feldgeschütze.
Fort Schuyler hielt sich vier Wochen lang und beschoß die Nachhut des Feindes, mußte sich jedoch schließlich ergeben – aber erst nachdem es seinen letzten Schuß abgegeben und seine Geschütze zerstört hatte.
Ganze Bände sind bereits über das Artillerie- und Gasduell geschrieben worden, das in den Wintermonaten 1935/36 Tag und Nacht pausenlos vor sich ging. Alle Brücken über den East- und den Harlemfluß waren zerstört worden. Die amerikanischen Truppen, die an den Rändern der Provinzen Nassau, Queens und Kings standen, wurden durch die drei Untergrundbahntunnels versorgt, die südlich von der Brooklyn Bridge unter dem East River hindurchführen, und bei Nacht außerdem durch kleine Fahrzeuge, die von Staten Island nach Bay Ridge hinüberfuhren.
Die Verteidigung in New York bekam Wasser, Proviant und Munition vom Jersey-Ufer durch den Holland-Straßentunnel und durch die Eisenbahntunnels unter dem Hudson und Manhattan. Die wiederholten Versuche des Feindes, diese lebenswichtigen Verkehrswege durch Abwerfen von Bomben mit Zeitzündern zu zerstören, führten zu keinem Erfolg.
Die drei Monate ununterbrochener Beschießung machten die Stadt zu dem sonderbar aussehenden Trümmerhaufen mit Bergen und Tälern, dessen Photographien heute jedes Schulkind kennt.
Bei den seltenen Gelegenheiten, die es gestatteten, stiegen Binney und ich von den Flugfeldern auf der Jersey-Seite auf, um von oben die Ruinen der Metropole zu betrachten. Manhattan Island war von der Battery bis zum Harlemfluß ein Haufen von Trümmern, Ruinen und Bruchstücken.
Die engen Canyons, die früher die Straßen der Stadt markiert hatten, waren nicht mehr zu sehen. Diese Schluchten waren allmählich mit den Trümmern der zerschossenen Gebäude ausgefüllt worden, die sich einst wie hohe Felsen über die Straßen erhoben hatten.
Aber die Oberfläche dieses Trümmerhaufens lag nicht auf dem Straßenniveau. Je höher die Gebäude gewesen waren, desto höher lag die Trümmerschicht. Da und dort standen noch Türme mit schwarzen Fensterhöhlen, die wie tote Augen aussahen, und erhoben ihre Häupter, um über die Stätte der Zerstörung hinzublicken. An manchen Stellen stiegen die Trümmerhaufen bis zu einer Höhe von zwanzig Stockwerken über dem ehemaligen Straßenniveau.
Das alles einebnende Geschützfeuer wurde Tag und Nacht fortgesetzt. Immer wieder spritzten Säulen weißen Mörtelstaubs in die Luft. Schwere Zeitzündergranaten schlugen ein und schleuderten Trümmer zu den Wolken empor.
Von allen Bildern, die mir in Kriegen vor die Augen gekommen waren, konnte ich mit diesem Anblick nur die Ruinen Yperns vergleichen, wie ich sie gesehen hatte, nachdem die deutschen Geschütze vier Jahre lang ihr Werk getan hatten.
Die Oberfläche des einstigen New York war ein Ypern in größerem Maßstab. Straßen, Avenuen und alle Erkennungszeichen waren verschwunden. Der Unterschied aber war folgender:
Auf der kleinen Manhattan-Insel hatten sich so viele Wolkenkratzer zusammengedrängt, daß sie auch durch die heftigste Beschießung nicht dem Erdboden gleich gemacht werden konnten. Es war nicht genug Platz um die einzelnen Gebäude. Es fielen also nicht die Gebäude auf die Straßen, sondern das Straßenniveau stieg allmählich an.
In Brooklyn sah es nicht sehr anders aus. Der Harlemfluß lief zwischen weißen Trümmerbergen hindurch. Von den Höhen der Palisaden am Westufer des Hudson beschoß konzentrierte amerikanische Artillerie ununterbrochen die Nachhut des Feindes und hielt seine Kommunikationswege unter pausenlosem Sperrfeuer.
Von New York bis Albany hielt die amerikanische Linie am Westufer des Hudson stand und vereitelte alle Versuche des Feindes, über den Fluß zu setzen. General Rosenthal, dem die Verteidigung Manhattan Islands unterstand, hatte sein Kommando in den unteren Stockwerken des Equitable Trust Building in der Wall Street untergebracht.
Durch die Trümmer, welche die Straßen füllten, waren Tunnels gegraben worden. Die Gebäude wurden mit elektrischem Strom, der von Jersey kam, beleuchtet; ihre Entlüftung geschah durch die Fahrstuhlschächte, die etwa bis zum zwanzigsten Stockwerk hinaufreichten. Die Untergrundbahntunnels, die jetzt tief unter der Oberfläche lagen, waren wieder in Stand gesetzt worden und ermöglichten den Verkehr von Militärzügen.
New York war eine unterirdische Stadt geworden – ein amerikanisches Verdun.
Am Weihnachtstag flog ich mit Speed Binney über die Ruinen New Yorks und versuchte durch das Mikrophon die unterirdische Stadt zu schildern und gleichzeitig die feindlichen Stellungen im Norden des Harlemflusses zu beschreiben. Zu diesem Zweck mußten wir hinter die roten Linien fliegen.
Knapp östlich von Yonkers im Staate New York machte die Maschine einen heftigen Ruck nach links, ich warf rasch einen Blick auf Speed und sah, daß er in seinem Sitz zusammengesunken war. Ein feindliches Flugzeug über uns hatte uns angegriffen und wir sausten mit furchtbarer Geschwindigkeit hinunter.
Ich packte das zweite Steuerrad, und es gelang mir gerade noch, den Apparat zusammenzureißen und aufzurichten. Ich sah den Boden zu mir emporspringen.