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ERDBEBEN 21. JULI A.D. 376
Im zweiten Jahre der Regierung von Valens und Valentinian, am Morgen des einundzwanzigsten Juli, wurde ein großer Teil der römischen Welt von einem gewaltigen, verheerenden Erdbeben heimgesucht. Es griff sogar auf das Wasser über; die Küsten des Mittelmeeres fielen trocken, da sich das Wasser unvermittelt zurückgezogen hatte; riesige Fischmengen konnten mit der bloßen Hand gefangen werden; große Schiffe lagen im Schlamm fest; und ein neugieriger Beobachter Ammianus (26,10) zeigt hier wenig[, so dass die Trennung von Tatsachen und Metaphern schwierig wird. Immerhin versichert er uns, dass er die verrotteten Spanten eines Schiffes gesehen habe, ad secundum lapidem [beim zweiten Meilenstein] am Strand bei Methone (oder Modon) auf der Peloponnes. oder vielmehr seine Phantasie konnte sich in das unterschiedliche Aussehen der Berge und Täler vertiefen, die seit Erschaffung der Welt noch nie das Sonnenlicht geschaut hatten. Aber schon bald kehrten die Fluten zurück als eine gewaltige und unwiderstehliche Flutwelle, welche an der Küste Siziliens, Dalmatiens, Griechenlands und Ägyptens besonders verheerend wirkte; große Boote wurden davongespült und auf Hausdächern abgesetzt oder fanden sich zwei Meilen landeinwärts wieder; Menschen wurden mitsamt ihren Behausungen fortgespült; und die Stadt Alexandria gedachte jährlich dieses Schicksalstages, an dem fünftausend Menschen in den Fluten ertranken.
Diese Katastrophe, deren Umfang sich beim Weitererzählen naturgemäß in jeder Provinz vergrößerte, setzte die Bewohner Roms in Staunen und Schrecken; und ihre aufgeschreckte Phantasie vermehrte ebenfalls das Ausmaß des tatsächlichen Übels. Frühere Erdbeben kamen ihnen in den Sinn, als Städte in Palästina und Bithynien untergegangen waren; für sie waren diese Alarmsignale nur die Einleitung von viel schlimmeren Katastrophen, und angstvoll sahen sie hier die Hinweise für den Untergang des Reiches und der Welt. Die Erdbeben und die Flutwellen werden von Libanios (Oratio de ulciscendie Iuliani nece 10, in Fabricius, Bibliotheca graeca, Band 7, p.158 nebst Olearius' gelehrten Anmerkungen), Zosimos (4,18), Sozomenos (6,2), Kedrenos (p. 310 und 314) und Hieronymos (Chronicum, p.186; vita Hilarioni, Opera, Band 1, p. 250) ganz unterschiedlich beschrieben. Epidauros wäre ganz gewiss untergegangen, wenn nicht die klugbedachten Einwohner den St. Hilarion, einen ägyptischen Mönch, am Strand abgesetzt hätten. Er schlug das Zeichen des Kreuzes; die Wasserberge wurden angehalten, verbeugten und entfernten sich. Es war zu jener Zeit üblich, jedes außergewöhnliche Vorkommnis dem ausdrücklichen Willen der Gottheit zuzuschreiben; durch ein unsichtbares Band wurden die Launen der Natur mit den moralischen und metaphysischen Auffassungen der Menschen in Verbindung gebracht, und die scharfsinnigsten Gottesgelahrten konnten je nach Farbgebung ihrer jeweiligen Vorurteile erkennen, dass die Ausbreitung der Ketzerei naturnotwendig ein Erdbeben nach sich ziehen müsse, während etwa eine Überschwemmung die naturnotwendige Folge von Sünde und Glaubensirrtum sei.
Ohne auf das Wagnis einer Diskussion dieser freischwebenden Spekulationen einzugehen, kann der Historiker sich mit der Feststellung begnügen, die übrigens von aller Erfahrung bekräftigt wird, dass der Mensch erheblich mehr von den Nachstellungen seiner Mitmenschen zu gewärtigen hat als von den Aufwallungen der Elemente. Der Peripatetiker Dikaiarchos hat eine Abhandlung (»De interitu hominum«) geschrieben, in welcher diese offenkundige Wahrheit einleuchtend erörtert wird; nicht eben zum Vorteil der Menschen. Cicero, de officiis 2,5. Die schlimmen Folgen eines Erdbebens oder einer Überschwemmung, eines Orkans oder eines Vulkanausbruches sind vernachlässigbar gegenüber den Kalamitäten von Kriegen, die mittlerweile durch die Menschlichkeit oder Klugheit der Herrscher Europas gezügelt sind, wenn sie durch praktische Kriegskunst ihre Mußestunden verkürzen und den Mut ihrer Untertanen heben wollen. Aber die Gesetze und der Brauch in den Staaten der Gegenwart schützen das Leben und die Freiheit des unterlegenen Soldaten; und der friedliebende Bürger hat selten Grund zu der Klage, dass sein Leben, oder gar sein Vermögen den Zufälligkeiten des Krieges ausgesetzt ist. In der fürchterlichen Ära des Unterganges des Römischen Reiches, die man mit einigem Recht von der Zeit des Valens an datieren kann, waren Glück und Sicherheit jedes Einzelnen in Gefahr; und Kunst und Kultur ganzer Epochen wurden durch die rohe Hand der Barbaren aus Skythien und Germanien zerstört.
EINFALL DER HUNNEN UND GOTEN A.D. 376
Der Einfall der Hunnen drängte die Goten jäh in die Provinzen des Westens, welche in weniger als vierzig Tagen von der Donau an den Atlantik flohen und durch den Sieg ihrer Waffen den Weg für viele feindliche Stämme freimachten, die noch wilder waren als sie selbst. Der Ausgangspunkt der Wanderung liegt irgendwo in der abgelegenen Ödnis des Nordens verloren; und die genauere Betrachtung des Hirtenlebens der Skythen Die eigentlichen Skythen des Herodot (4,47-57 und 99-101) lebten zwischen Donau und Maeotischen Sümpfen auf einem Quadrat von 4000 Stadien (400 römische Meilen). Siehe D'Anville in den Mémoires de l'Académie des Inschriptions, Band 35 (1772), p. 573-591. Diodorus Siculus (2,43ff) hat die allmähliche Entstehung des Namens und des Volkes geschildert. oder Tartaren Die Tataren oder Tartaren waren ein primitiver Volksstamm, die Feinde und schließlich die Untertanen der Mongolen. In der siegreichen Armee des Dschingis Khan und seiner Nachfolger bildeten sie die Vorhut; und dieser Name, der den Fremden als erster zu Ohren kam, wurde auf das ganze Volk übertragen (Fréret in den Histoires de l'Academie, Band 18, p. 60, 1753). Wenn ich von der Gesamtheit oder auch nur irgendeinem der nördlichen Hirtenvölker rede, werde ich unterschiedslos die Bezeichnung ›Skythen‹ oder ›Tartaren‹ verwenden. soll uns nun die verborgenen Ursachen dieser verheerenden Wanderungen vor Augen führen.
ALLGEMEINE BEMERKUNG
Die jeweiligen Kennzeichen, die die Kulturnationen dieser Erde unterscheiden, kann man dem Gebrauch oder dem Missbrauch der Vernunft zuschreiben, welche etwa das Verhalten und die Auffassungen eines Europäers oder eines Chinesen so unterschiedlich ausformt. Aber die Wirkung der Instinkte ist zuverlässiger und einfacher als die der Vernunft: sehr viel einfacher ist es doch, das Verhalten eines Vierfüßers zu bestimmen als die Spekulationen eines Philosophen; und die wilden Stämme der Menschheit, deren Verhältnisse sich bisweilen denen der Tiere annähern, sind eben deshalb untereinander viel ähnlicher. Ihre allenthalben gleichbleibenden Sitten sind die naturgegebene Folge ihrer begrenzten Möglichkeiten: Da sie sich in gleichartig beengenden Verhältnissen befinden, sind auch ihre Bedürfnisse, ihre Sehnsüchte, ihre Vergnügen einander sehr ähnlich; und der Effekt von Ernährung und Klima, der in höher entwickelten Gesellschaftsformen durch mancherlei moralische Einflüsse geregelt oder ganz unterdrückt ist, übt auf die nationalen Charaktere der Barbaren den mächtigsten Einfluss auf.
DAS NOMADENLEBEN DER SKYTHEN UND TARTAREN
Zu allen Zeiten haben auf den unermesslichen Ebenen Skythiens nichtsesshafte Jäger- oder Hirtenvölker gelebt, die sich weigerten, den Boden unter den Pflug zu nehmen und deren unruhige Wesensart die Einschränkungen eines sesshaften Lebens nicht ertragen konnte. Zu allen Zeiten waren die Skythen oder Tartaren gefürchtet für ihren unwiderstehlichen Mut und ihre raschen Eroberungszüge. Zu wiederholten Malen haben die Hirten des Nordens die Throne Asiens gestürzt; und auch über die fruchtbarsten und kriegstüchtigsten Landstriche Europas haben ihre Waffen Furcht und Schrecken verbreitet. Imperium Asiae ›ter‹ quaesivere: ipsi perpetuo ab alieno imperio, aut intacti, aut invicti, mansere. [Die Herrschaft über Asien haben sie dreimal angestrebt: sie selbst blieben dauerhaft von Fremdherrschaft verschont, von niemandem behelligt oder besiegt]. Seit den Zeiten des Iustinus (2,3) haben sie diese Zahl vervielfacht. Voltaire (Histoire générale; Oevres, Band 10, p.64) hat die Eroberungszüge der Tartaren kurz zusammengefasst: ›Von ferne her hat Skythien über die bebenden Völker ruhelose Kriegswolken getrieben.‹ Bei dieser und bei vielen anderen Gelegenheiten wird der nüchterne Historiker aus einer freundlichen Illusion geweckt; er muss bekennen, wenn auch nicht ohne Widerstreben, dass das Brauchtum des Hirtenstandes, welches stets mit den Attributen von Unschuld und Frieden konnotiert war, weitaus besser zu den wilden und grausamen Gepflogenheiten eines kriegerischen Daseins passen. Um diese Feststellungen zu illustrieren, will ich nunmehr eine Nation von Viehzüchtern und Kriegern in drei wichtigen Punkten miteinander vergleichen, nämlich I. Ihrer Ernährung; II. Ihren Behausungen III. Ihren körperlichen Übungen. Die Erzählungen der Alten werden durch die Erfahrungen der Gegenwart bestätigt. Das IV Buch von Herodot liefert uns ein eindringliches, wenn auch unvollständiges Bild der Skythen. Unter den modernen Autoren, die diese Szenerie beschreiben, gibt der Khan von Khowaresme, Abulghazi Bahadur, seine heimatlichen Gefühle zu erkennen; und seine ›Genealogical History of the Tatars‹ wurde von den englischen und französischen Herausgebern üppig erläutert. Carpin, Ascelin und Rubruquis (in der »Histoire des voyages«, Band 7) schildert die Mongolen des vierzehnten Jahrhunderts. Ich habe außerdem noch Gerbillon und die anderen Jesuiten (Description de la Chine, par Du Halde, Band 4) hinzugezogen, welcher die chinesischen Tartaren genau beschreibt; und endlich noch den ehrbaren und aufmerksamen Reisenden Bell von Antermony. Und die Ufer der Borysthenes (Dnjepr), der Wolga oder der Selinga werden uns unterschiedslos den gleichen Anblick ähnlicher und archaischer Gebräuche bieten. Die Usbeken sind von ihren archaischen Gebräuchen mittlerweile am weitesten entfernt durch 1. ihr Bekenntnis zur Religion Mohammeds und 2. durch den Besitz von Städten und bebautem Land in der Bucharei (Turkistan).
I ERNÄHRUNG
I. Getreide oder sogar Reis, welches die übliche und bekömmliche Nahrung eines zivilisierten Volkes darstellt, kann nur durch den geduldigen Fleiß des Landmannes erzeugt werden. Einige glückliche Wilde, die zwischen den Wendekreisen leben, werden durch die Freigebigkeit der Natur im Überfluss mit Nahrung versorgt; aber in nördlichen Breiten ist ein Hirtenvolk auf ihre Rinder- und Schafherden angewiesen. Praktische Ärzte mit viel Erfahrung können angeben (wenn dies denn nicht außerhalb ihrer Kunst liegt), wie weit das Gemüt eines Menschen durch pflanzliche oder tierischen Nahrung geformt wird; und ob nicht die übliche Gleichsetzung von ›fleischessend‹ mit ›grausam‹ in einem anderen Licht gesehen werden muss als in dem eines unschuldigen und vielleicht sogar heilsamen menschlichen Vorurteils. ›II est certain que les grands mangeurs de viande sont en general cruels et feroces plus que les autres hommes. Cette observation est de tous les lieux, et de tous les tems: la barbarie Angloise est connue, etc.‹ [Es ist gewiss, dass die großen Fleischesser im Allgemeinen wilder und grausamer sind als die übrige Menschheit. Diese Beobachtung gilt für alle Länder und Zeiten: die Barbarei der Engländer ist ja hinreichend bekannt etc]. Rousseau, Èmile, Band 1, p. 274. Wie immer wir diese allgemeine Einschätzung beurteilen mögen, so werden wir (die Engländer) die Wahrheit seines Beispiels nicht so bald zugestehen. Plutarchs gutherzige Klagen und Ovids pathetisches Jammern bemächtigen sich unserer Vernunft auf dem Umwege über unsere Empfindsamkeit.
Wenn es nämlich wahr ist, dass das Gefühl des Mitleids unmerklich erstirbt durch den Anblick von Grausamkeit im häuslichen Umfeld, dann wollen wir hier anmerken, dass die Gegenstände des Entsetzens, vor denen europäische Feinfühligkeit die Augen verschließt, in den Zelten der Tartaren-Hirten in ihrer nackten und brutalsten Form ausgeübt werden: Die Ochsen und Schafe werden von eben der Hand geschlachtet, die sie vorher lange Zeit gefüttert hat; und die blutigen Gliedmaßen werden ohne große Vorbereitung auf dem Tische ihrer gefühlsrohen Mörder serviert. Im militärischen Zusammenhang und besonders bei der Führung einer großen Armee bietet die ausschließliche Versorgung mit tierischen Nahrungsmitteln einige ganz handfeste Vorteile. Getreide ist ein schwergewichtiges und verderbliches Erzeugnis; und die großen Magazine, unverzichtbar für die Verpflegung unserer Truppen, müssen mühsam genug durch die Anstrengung von Menschen oder Pferden bewegt werden. Aber Rinder- und Schafherden, welche die Züge der Tartaren begleiten, stellen einen zuverlässigen und wachsenden Unterhalt von Fleisch und Milch sicher. Auf dem weitaus größten Teil der unbewohnten Steppe wächst Gras rasch und im Überfluss; und nur ganz wenige Plätze sind so unfruchtbar, dass sie dem zähen Vieh des Nordens nicht doch leidliche Weide böten.
Der allesverschlingende Appetit und die geduldige Abstinenz der Tartaren können diesen Vorrat sogar noch strecken und vervielfachen. Sie essen das Fleisch, gleichgültig, ob die Tiere zu diesem Zwecke geschlachtet wurden oder an einer Krankheit verendet sind. Pferdefleisch, deren Genuss zu allen Zeiten und in allen Ländern Europas und Asiens streng tabuisiert war, essen sie mit besonderer Hingabe; und diese einmalige Vorliebe kommt ihnen bei ihren militärischen Unternehmungen sehr zustatten. Die Reiterei der Skythen ist auch bei ihren weitläufigsten und raschesten Vorstößen immer von einer gleichen Anzahl von Ersatzpferden begleitet, welche dazu verwendet werden, entweder die Geschwindigkeit der Barbaren zu verdoppeln oder ihren Hunger zu stillen. Mut und Armut speisen sich bei ihnen aus vielen Quellen. Geht das Futter in der Umgebung ihres Lagers zur Neige, schlachten sie den größten Teil ihres Viehs und konservieren das Fleisch entweder durch Räuchern oder durch Trocknen in der Sonne. Für plötzliche Notfälle auf einem Eilmarsch verproviantieren sie sich mit einer ausreichenden Menge an Käsebällen oder hartem Quark, den sie dann im gegebenen Moment in Wasser auflösen; und diese gehaltlose Nahrung kann dann für viele Tage Leib und Seele dieser zähen Krieger zusammenhalten.
Aber auf diese außergewöhnliche Abstinenz, auf die ein Stoiker mit Beifall und ein Eremit mit Neid blicken würden, folgen gemeinhin die üppigsten Zugeständnisse an den Appetit. Wein aus lieblichen Breiten ist das schönste Geschenk oder der wertvollste Handelsartikel, den man den Tartaren andienen kann; und das einzige Beispiel für ein Gewerbe scheint die Kunst zu sein, aus der Milch von Stuten eine fermentierte Flüssigkeit zu isolieren, welche in sehr kurzer Zeit betrunken macht. Beinahe so wie die Tiere des Waldes durchleben die Wilden der Alten und der Neuen Welt die Wechselfälle von Hunger und Überfluss; und ihr Magen ist geübt, ohne große Probleme die beiden Extreme von Hunger und Völlerei auszuhalten.
II. BEHAUSUNGEN SIND KLEINE ZELTE
II. Im Zeitalter einer rustikalen und kriegerischen Einfalt besiedelt ein Volk zerstreut ein weitläufiges Stück Erde, und viel Zeit muss vergehen, bevor etwa Griechenlands oder Italiens kampfesfrohe Jugend sich unter einer Fahne versammeln konnte, ihr eigenes Gebiet zu verteidigen oder das ihrer Nachbarn zu bedrängen. Die Fortschritte von Handwerk und Handel führen unmerklich große Volksmengen in befestigten Städten zusammen; aber dann sind die Bürger nicht länger Krieger; und die Besonderheiten, die ein geordnetes bürgerliches Zusammenleben auszeichnen, sind mit militärischen Erfordernissen unverträglich.
Das Hirtenleben der Skythen jedoch schien die verschiedenen Vorzüge von Genügsamkeit und Raffinesse in sich zu vereinigen. So sind die Mitglieder des einen Stammes beständig beieinander, aber sie sind in einem Lager beieinander; und so wird die angeborene Gemütsverfassung dieser verwegenen Hirten durch gegenseitiges Helfen und Nacheifern lebendig gehalten. Die Behausungen der Tartaren sind nichts als kleine Zelte, oval geschnitten, welche der Jugend beiderlei Geschlechtes eine zwanglose, wenngleich kalte und schmutzige Unterkunft bieten. Die Paläste der Reichen bestehen aus Holz und sind so gebaut, dass sie bequem auf einem Zugwagen aufgebaut und mit einem Gespann von zwanzig bis dreißig Ochsen bewegt werden können.
Die Schaf- und Rinderherden, welche die umliegenden Weidegründe tagsüber abgegrast haben, ziehen sich bei Einbruch der Dunkelheit in den Schutz des Lagers zurück. Die Notwendigkeit, wenigsten dem schlimmsten Durcheinander vorzubeugen, das bei diesem beständigen Zusammenleben von Mensch und Vieh entsteht, muss im Laufe der Zeit dazu führen, dass bei der Verteilung, Ordnung und Bewachung des Lagergrundes sich ansatzweise militärische Gepflogenheiten entwickeln.
Sobald das Weideland eines bestimmten Gebietes abgegrast ist, setzt sich der Stamm oder besser: die Armee der Hirten zu neuen Triften in Marsch; und erwirbt sich so in Ausübung ganz gewöhnlicher Hirtenarbeit praktische Kenntnisse der wichtigsten und schwierigsten militärischen Aufgaben. Die Wahl des Standortes hängt von den Gegebenheiten der Jahreszeit ab: im Sommer ziehen die Tartaren nach Norden und schlagen ihre Zelte an Flussufern oder doch wenigstens in der Nähe eines fließenden Gewässers auf. Im Winter hingegen kehren sie in den Süden zurück und suchen mit ihrem Lager hinter einer Erhebung Schutz gegen die Winde, welche auf ihrem Wege über die öden und eisigen Flächen Sibiriens bitter kalt geworden sind.
Diese Praxis trägt auf bemerkenswerte Weise dazu bei, den Gedanken an Wanderung und Eroberung unter den ziehenden Völkern groß werden zu lassen. Das Band zwischen diesen Menschen und ihrem Territorium ist derart mürbe, dass es bereits beim leichtesten Vorfall zerreißt. Das Lager und nicht der Boden ist des Tartaren angeborene Heimat. In der Einfriedung seines Lagers befinden sich auch immer seine Gefährten, seine Familie, sein Eigentum; und noch auf den weitesten Zügen ist er umgeben von allem, was ihm lieb und teuer und vertraut ist. Raubgier, Angst vor Unbill, drohende Knechtschaft haben zu allen Zeiten die Stämme der Skythen vermocht, beherzt in unbekannte Länder vorzudringen, wo sie auf bessere Weide oder weniger schreckliche Feinde hoffen mochten. Die Umwälzungen im Norden haben oft genug das Schicksal des Südens bestimmt; und im Konflikt zwischen feindlichen Nationen sind Sieger und Besiegte von Chinas Grenzen bis nach Germanien vertrieben worden oder haben umgekehrt diese Vertreibung vorgenommen. Diese Auswanderungswellen der Tartaren hat Herr de Guignes entdeckt (Histoire des Huns, Band 1 und 2), ein kenntnisreicher und fleißiger Übersetzer der chinesischen Sprache; welcher uns neue und wichtige Schauplätze der Menschheitsgeschichte zugänglich gemacht hat.
Diese großen Wanderungen, die oft unglaublich mühsam vonstatten gingen, wurden zuweilen durch die Besonderheiten des Klimas erleichtert. Es ist wohlbekannt, dass die Kälte im Lande der Tartaren sehr viel strenger ist, als man es inmitten der gemäßigten Breiten mit Fug erwarten darf: diese ungewohnte Rauheit schreibt man eher den Hochebenen zu, welche sich zumal im Osten bis zu einer halben Meile über den Meeresspiegel erheben; und den Unmengen von Salpeter, mit denen der Boden durchtränkt ist. Eine Ebene in der chinesischen Tartarei, nur 80 Meilen von der großen Mauer entfernt, lag nach den Befunden der Missionare dreitausend geometrische Schritte über dem Meeresspiegel. Montesquieu, der die Berichte der Reisenden ge- und auch missbraucht hat, führt die Umwälzungen Asiens auf den wichtigen Umstand zurück, dass Hitze und Kälte, Schwäche und Stärke einander unmittelbar benachbart sind. Esprit de lois 17,3. Im Winter sind die gewaltigen Ströme, die in das Schwarze Meer, das Kaspische Meer oder das Eismeer münden, vollkommen zugefroren; die Felder sind mit Schnee überdeckt; und der flüchtige oder siegreiche Stamm kann mitsamt seiner Familien, Karren und Herden sicher über die glatte und feste Oberfläche der unendlichen Ebenen ziehen.
III. JAGD ALS DAS VORSPIEL ZUM KRIEG
III. Das Hirtendasein ist, verglichen mit den Mühseligkeiten des Ackerbürgers oder Handwerkers, unbestritten ein Leben im Nichtstun; und da die höher stehenden Tartarenhirten ihren Gefangenen die Sorge für ihr Vieh übertragen, wird ihre eigene Muße nur selten durch niedere oder regelmäßige Arbeit unterbrochen. Aber anstelle dass sie diese Muße nun mildem Tun voll Liebe und Harmonie widmen, ist sie für gewöhnlich dem groben und blutigen Geschäft der Jagd aufgespart. Die Ebenen der Tartaren sind bevölkert mit einer kräftigen und arbeitswilligen Pferderasse, die sich für Jagd- und Kriegszwecke leicht abrichten lassen.
Die Skythen jeden Alters hat man als vorzügliche und kühne Reiter gerühmt; und beständige Übung hat sie mit ihren Pferden gleichsam zusammenwachsen lassen, dass Fremde vermuteten, dass sie die täglichen Notwendigkeiten des Lebens wie Essen, Trinken und selbst noch Schlafen verrichten würden, ohne von ihrem Ross abzusteigen. Die Lanze führen sie mit besonderem Geschick; den langen Bogen führen die Tartaren mit nervichtem Arm; und der gewichtige Pfeil fliegt mit Genauigkeit und großer Wucht auf sein Ziel. Die Pfeile zielen oftmals gegen die unschuldigen Wüstenbewohner, die sich in der Abwesenheit ihres schlimmsten Feindes kräftig vermehrt haben: der Hase, die Ziege, der Rehbock, das Damwild, der Hirsch, der Sambur und die Antilope. Ausdauer und Durchhaltevermögen von Mensch und Pferd werden durch die Mühen der Jagd beständig geübt; und die Unmenge an Jagdwild trägt im Lager der Tartaren wesentlich zur Ernährung und sogar zu Luxus bei.
Aber die Unternehmungen der skythischen Jäger beschränken sich nicht auf das Erlegen furchtsamer oder harmloser Tiere; kühn nehmen sie den wilden Eber an, wenn er sich gegen seine Verfolger wendet, provozieren den schwerfälligen Mut des Bären und reizen sogar den Zorn des Tigers auf, der im Dickicht schlummert. Wo Gefahr ist, ist wohl auch Ruhm; und die Jagdmethode, welche dem Mut die schönste Gelegenheit gibt, sich zu bewähren, kann man wohl zu Recht auch als das Abbild und die Schule des Krieges ansehen. Der Stolz und die Freude der Tartarenfürsten, ihre großen Jagdgesellschaften, stellen für ihre zahlreiche Kavallerie eine nützliche Übung dar. Es wird eine Kreis von vielen Meilen Umfang geschlagen, um das Wild eines größeren Bezirkes einzukreisen; die Reiter dieses Kreises bewegen sich nun auf den gemeinsamen Mittelpunkt zu; hier nun fallen die von allen Seiten eingekreisten Tiere den Pfeilen der Jäger zum Opfer. Auf diesem Marsch, der oft mehrere Tage dauert, muss die Kavallerie steile Hügel erklimmen, Flüsse durchqueren, sich durch enge Schluchten schlängeln, ohne dabei von der vorgegebenen Marschroute abzuweichen. Sie haben dabei die Gewohnheit angenommen, ihren Blick und ihre Schritte auf ein weit entferntes Objekt zu richten; den Abstand zueinander unverändert zu lassen; und ihr Tempo je nach den Gruppen links oder rechts zu verhalten oder zu beschleunigen; und die Signale ihrer Anführer zu beachten und zu beantworten. Diese wiederum lernen in dieser praktischen Schule die wichtigste Lektion des Militärwesens: die rasche und richtige Einschätzung des Geländes, der Entfernungen und der Zeit. Die einzige Abweichung, die ihnen in einem richtigen Krieg abverlangt wird, besteht darin, alle diese erlernten Fähigkeiten gegen einen menschlichen Feind zu bewähren; und so dient denn die fröhliche Jagd als Vorbereitung für die Eroberung eines Weltreiches. Petit de la Croix (Histoire du Gengizcan, Buch 3, c.7) schildert uns den ganzen Aufwand und Umfang einer solchen Jagd der Mongolen. Die Jesuiten Gerbillon und Verbiest folgten dem Kaiser K'ang-hsi bei einer Jagd in der Tartarei (du Halde, Description de la Chine, Band 4, p. 81 und 290ff.). Sein Enkel Ch'ien Lung, der die Disziplin der Tartaren mit der Gelehrsamkeit der Chinesen in sich vereinte, beschreibt das Vergnügen, das er als Sportsmann bei solcher Gelegenheit oftmals empfunden hatte. Éloge de Moukden, p. 273-285.
REGIERUNGSFORM
Die Gesellschaftsform der alten Germanen sieht für uns aus wie ein freiwilliger Zusammenschluss unabhängiger Krieger. Die Stämme der Skythen, die die moderne Bezeichnung Horde erhalten hat, erinnern eher an eine vielköpfige und emporblühende Familie; welche nach Ablauf von vielen Generationen von demselben Stamm abstammt. Noch der geringste und unwissendste Tartar hütet als unschätzbares Kleinod seine Geschlechterfolge; und welche Standesunterschiede die ungleiche Verteilung von Viehbesitz auch immer bewirkt haben mag: sie respektieren sich gegenseitig als die Abkömmlinge des Begründers ihres Stammes. Der heute noch geübte Brauch, die tapfersten und treuesten ihrer Gefangenen an Kindes Statt anzunehmen, leistet dem naheliegenden Verdacht Vorschub, dass diese weitläufige Blutsverwandtschaft im großen Umfang nur schöner Schein ist.
Aber jedes nützliche Vorurteil, welches durch Zeit und Zustimmung geheiligt ist, wirkt irgendwann wie lautere Wahrheit; die stolzen Barbaren gehorsamen dem Oberhaupt ihrer Blutsverwandschaft in fröhlicher Freiwilligkeit; und ihr Häuptling oder mursa übt, da er an der Stelle ihres großen Vaters steht, im Frieden das Amt des Richters und im Krieg das eines Anführers. In der ursprünglichen Verfassung der Hirtenstämme war jeder mursa (wenn wir diese moderne Bezeichnung weiterhin verwenden dürfen) das unabhängige Oberhaupt einer großen und selbständigen Familie; ihre jeweiligen Gebietsgrenzen bildeten sich allmählich infolge höherer Gewalt oder gegenseitiger Übereinkunft aus. Da aber beständig die unterschiedlichsten Angelegenheiten behandelt werden mussten, kam es allmählich zum Zusammenschluss der wandernden Horden zu einer Nation, die dann unter dem Kommando eines Oberhauptes stand. Die Schwachen verlangten nach Unterstützung und die Starken nach Herrschaft; die Macht, die aus so einer Vereinigung entsteht, bedrängte und vereinigte schließlich die zersplitterten Kräfte der Nachbarstämme; und da den Besiegten die Teilhabe an den Genüssen des Sieges gestattet ward, sputeten sich noch die kühnsten Häuptlinge, sich mit ihrem Anhang unter der drohenden Fahne dieser geeinten Nation einzufinden. Der erfolgreichste Tartarenherrscher erhielt den militärischen Oberbefehl, zu dem ihm Verdienst oder Macht verhalfen. Er wurde auf den Thron erhoben durch die Zustimmung der mit ihm Gleichgestellten; und in dem Titel Khan ist in der Sprache des nördlichen Asiens der ganze Umfang königlicher Würde einbegriffen.
Das Recht auf die erbliche Thronfolge blieb lange Zeit auf die Blutsverwandtschaft des Begründers der Monarchie beschränkt; und heutzutage sind alle Khans, die von der Krim bis zur Chinesischen Mauer herrschen, die direkten Nachkommen des berühmten Dschingis. Vergleiche hierzu den 2. Band der Genealogical History of the Tartars und die Liste der Khans am Ende des Lebens von Gengis oder Dschingis. Unter der Herrschaft des Timus oder Tamerlan führte einer seiner Untertanen, ein Nachfahre des Dschingis, immer noch den Khan-Titel; und der Eroberer Asiens begnügte sich mit dem Titel eines Emirs oder Sultans. Abulghazi, Teil 5, c. 4; D'Herbelot, Bibliothèque Orientale, p. 878. Da es aber nun einmal die unerlässliche Pflicht eines Tartarenherrschers ist, seine kriegslüsternen Mannen anzuführen, werden die Rechtsansprüche eines Kindes auf den Thron oft übersehen; und mancher Gefolgsmann eines Königs, ausgezeichnet durch Mut und Alter, wird mit dem Schwert und Szepter seines Vorgängers ausgestattet. Zwei unterschiedliche und reguläre Steuern sind den Stämmen auferlegt, mit denen sie zu der Würde des Königs und der ihres jeweiligen Stammeshäuptlings beitragen sollen; und diese Beisteuer beläuft sich jeweils auf den Zehnten ihres Eigentums und ihrer Beute. So verfügt also ein Tartarenherrscher über den zehnten Teil des Reichtums seines Volkes; und da sich sein persönlicher Besitzstand von Schaf- und Rinderherden verhältnismäßig schnell vergrößert, ist er imstande, den rustikalen Glanz seines Hofes zu unterhalten, die Anhänger zu belohnen, die verdienstvoll oder ihm die liebsten sind und mit sanft wirkender Bestechung den Gehorsam zu erhalten, der sich strengem Machtanspruch sonst wohl verweigern würde.
Die Sitten seiner Untertanen, die wie er an Mord und Raub gewohnt sind, mag in ihren Augen solche Willkürmaßnahmen entschuldigen, die zivilisierten Völkern ein Schrecknis sein dürften; aber eigentliche Despotenwillkür ist in den Wüsten Skythiens niemals anerkannt worden. Die Rechtsprechung eines Khans erstreckt sich nur auf seinen eigenen Stamm: und die Ausübung seiner königlichen Prärogative wird durch die althergebrachte Einrichtung eines nationalen Rates reguliert. Der Coroultai Siehe die Beschreibung der Reichstage der antiken Hunnen bei de Guignes, (Histoire des Huns, Band 2, p. 26) sowie einen lesenswerten Bericht über die von Dschingis (Pétis, Histoire du Gengizcan,Band 1, c.6, und Buch 4, c.11). Diese Art Versammlungen werden oft in der ›Persischen Geschichte‹ von Timur erwähnt, auch wenn sie nur dazu diente, die Beschlüsse des Meisters abzunicken. oder Landtag der Tartaren wurde regelmäßig im Frühjahr und Herbst abgehalten, inmitten einer Ebene; woselbst sich die Prinzen der herrschenden Familie und die mursas der Stämme mitsamt ihrem zahlenstarken und kriegstüchtigen Anhang bequem zu Pferde einfinden konnten; und der ehrgeizige Monarch, der die Macht eines bewaffneten Volkes wiederbelebt hatte, muss nunmehr ihre Zuneigung befragen. Man wird wohl in der Verfassung der skythischen Nation Reste von Feudalismus aufspüren; aber die ständigen Konflikte dieser unruhigen Nation hat die Entstehung eines mächtigen und despotischen Reiches verhindert. Der Sieger, durch die Abgaben und die Gefolgschaft abhängiger Könige groß geworden, hat seine Eroberungen über Europa und Asien ausgedehnt; und die erfolgreichen Hirten aus dem Norden haben sich unter das Joch von Kunst, Gesetz und Städten begeben; erst die Einführung von Luxus hat die Freiheit des Volkes zerstört und dann das Fundament des Throns untergraben. Montesquieu bemüht sich, den nicht existierenden Unterschied herauszuarbeiten, welcher zwischen der Freiheit der Araber und der dauerhaften Sklaverei der Tartaren bestand. Esprit de lois, 7,5 und 18,19 ff.
DAS LAND DER SKYTHEN
Auf häufigen und ausgedehnten Wanderzügen kann sich bei einem Volk illiterater Barbaren die Erinnerung an Vergangenes nicht lange halten. Die modernen Tartaren wissen von den Eroberungen ihrer Vorfahren nichts; Abulghazi Khan hat in den ersten beiden Teilen seiner ›Genealogical History‹ die armseligen Fabeln und Überlieferungen der usbekischen Tartaren erzählt, die sich auf die Zeit vor der Herrschaft des Dschingis Khan beziehen. und unsere Kenntnis von der Geschichte der Skythen verdanken wir lediglich ihrem Zusammentreffen mit den gebildeten und kultivierten Völkern des Südens, den Griechen, Persern und Chinesen. Die Griechen, die das Schwarze Meer befuhren und entlang der Küste ihre Kolonien gründeten, entdeckten nach und nach und nur unvollkommen das Land der Skythen, angefangen an der Donau und der Grenze zu Thrakien bis hin zum Maeotissee, der Heimat des ewigen Winters, und dem Kaukasus, der in der Sprache der Dichtung die äußerste Grenze der Erde genannt wurde. Mit schlichter Leichtgläubigkeit besangen sie die Vorzüge des Hirtenlebens. Im dreizehnten Buch der Ilias wendet Jupiter seine Augen von dem blutigen Schlachtfeld Trojas zu den Ebenen Thrakiens und Skythiens. Dieser Wechsel der Aussicht hätte ihm allerdings keinen friedlicheren oder unschuldigeren Anblick geboten. Sie unterhielten eine rational begründete Sorge vor der Stärke und Zahl der kriegslüsternen Barbaren, Thukydides 2,97. welche sogar für die unermesslichen Heerscharen von Dareius, des Sohnes von Hystaspes, nur Spott erübrigten. Siehe Herodot, 4. Buch. Als Dareios in die moldavische Wüste zwischen Donau und Dnjestr vordrang, schickte der Skythenkönig eine Maus, einen Frosch, einen Vogel und fünf Pfeile; eine schreckliche Allegorie!
Die persischen Großkönige waren auf ihren siegreichen Eroberungszügen bis an die Donau und die Grenzen der europäischen Skythen vorgedrungen. Die Ostprovinzen ihres Reiches stießen an die Grenzen der asiatischen Skythen, der unzivilisierten Bewohner der Ebenen jenseits des Oxys und Jaxartes, zweier mächtiger Ströme, die zum Kaspischen Meer fließen. Der lange und erinnerungswürdige Konflikt zwischen Iran und Turan ist noch heute Gegenstand von Geschichtsschreibung und romanhafter Verklärung; die vielgerühmte, vermutlich aber auch fabulöse Heldenkraft der persischen Heroen Rustan und Asfendiar tat sich bei der Verteidigung ihres Landes gegen die Afrasiaben des Nordens Diese Krieger und Helden finden sich unter dem jeweils zugehörigen Stichwort in d'Herbelots Bibliothèque Orientale. Firdusi, der persische Homer, hat sie in einem Epos von sechzigtausend Verspaaren gefeiert. Siehe »Life of Nader Shah«, p.145 und 165. Es ist bedauerlich, dass Herr Jones seine orientalischen Literaturstudien unterbrochen hat. hervor; und die unbesiegbare Tapferkeit derselben Barbaren widerstand auf demselben Boden den siegreichen Armeen des Kyros und Alexander. Das Kaspische Meer, seine Flüsse und die anwohnenden Stämme werden ausführlich dargestellt im Examen Critique des Historiens d'Alexandre, in welchem die tatsächlichen geographischen Gegebenheiten mit den Irrtümern verglichen werden, für welche die Phantasie oder die Unkenntnis der Griechen verantwortlich ist.
Die Griechen und Perser vermeinten, dass das Land der Skythen im Osten durch das Imaus-Gebirge oder Caf begrenzt werde; aber ihre Vorstellungen von den äußersten und unzugänglichen Teilen Asiens waren vom Irrtum umdunkelt und durch Fabeln fehlgeleitet. In Wirklichkeit waren jene unzugänglichen Gebiete der alte Sitz einer mächtigen und kultivierten Nation, Das ursprüngliche Siedlungsgebiet dieser Nation scheint im nordwestlichen China in den Provinzen Chensi und Chansi gelegen zu haben. Während der ersten beiden Dynastien war die Hauptstadt nur ein Zeltlager; die Dörfer lagen weit verstreut ringsum; und es gab mehr Weide- als Ackerland; die Jagd wurde ausgeübt, um das Land von gefährlichen Tieren zu säubern; Petcheli (wo heute Peking liegt) war eine Wüste, und die Provinzen des Südens waren mit indischen Wilden bevölkert. Die Han-Dynastie (206 v.Chr.) gab dem Reich seine heutige Form und Größe. welche nach glaubwürdiger Überlieferung vierzig Jahrhunderte zurückreicht; Der Beginn der chinesischen Monarchie wurde verschiedentlich bestimmt, von 2952 bis 2132 v.Chr. Das Jahr 2637 wurde von dem gegenwärtigen Herrscher gesetzlich dekretiert. Die Unterschiede kommen daher, dass die Dauer der ersten beiden Dynastien unbestimmbar ist. Sematsien datiert seine Chronologie vom Jahr 841 an: die sechsunddreißig Sonnenfinsternisse des Konfuzius (von denen einunddreißig bestätigt werden konnten) wurden zwischen 722 und 480 v.Chr. beobachtet. Die eigentliche geschichtliche Zeit Chinas reicht nicht weiter zurück als die griechischen Olympiaden. und welche in der Lage ist, nahezu zweitausend Jahre mit Hilfe ununterbrochener Aufzeichnungen präziser zeitgenössischer Historiker zu belegen. Nach langen Epochen aus Anarchie und Despotie wurde die Han-Dynastie (206 v.Chr.) zum Zeitalter der wiederbelebten Bildung. Die Fragmente der antiken Literatur wurden wiederhergestellt; die Buchstaben wurden verbessert und verbindlich, und solche nützlichen Erfindungen wie Tinte, Papier und Druck gewährleisteten den Erhalt von Büchern. 79 v.Chr. veröffentlichte Sematsien seine erste Geschichte Chinas. Seine Arbeit wurde fortgeführt von einhundertundachtzig Historikern. In der Hauptsache sind ihre Werke erhalten, und die besten Manuskripte befinden sich gegenwärtig im Besitz der königlichen französischen Bibliothek. Die Annalen von China Die Beschreibung Chinas haben wir den Bemühungen der Franzosen zu danken, den Missionaren in Peking und den Herren Frerot und de Guignes in Paris. Inhaltlich stützen sich die vorangegangenen Aussagen auf: ›Chou-king‹, mit Vorrede und Anmerkungen von de Guignes, Paris, 1770; dem Tong-Kien-Kang-Mou, übersetzt von Pater de Mailla unter den Titel »Histoire Generale de la Chine«, Band 1, p. XLIX – CC; den Memoires sur la Chine, Paris, 1776, etc., Band 1, p. 1-323, Band 2, p. 5-364; den Histoire des Huns, Band 1, p. 1-131, Band 5, p. 345-362; und den Memoires de l'Academie des Inscriptions, Band 10, p. 377-402, Band 15, p. 495-564, Band 18, p. 178-295, Band 36, p. 164-238. schildern die Lage und die Umwälzungen der Hirtenvölker, die wir immer noch unter die ungenauen Namen Tartaren oder Skythen fassen können; die Gefolgsleute, die Feinde und bisweilen die Eroberer eines großen Reiches, dessen Politik unverändert gegen die blindwütige Macht der Barbaren aus dem Norden gerichtet war. Von der Donaumündung bis zum Japanischen Meer beträgt sie gesamte Ausdehnung Skythiens einhundertzehn Längengrade, was in jenen Breitenparallelen einer Strecke von mehr als fünftausend Meilen entspricht. Die Breitenausdehnung dieser riesigen Wüstengebiete lässt sich nicht mit gleicher Genauigkeit bestimmen; aber vom vierzigsten Breitengrad, auf der geographischen Breite der Chinesischen Mauer, können wir getrost eintausend Meilen in nördlicher Richtung gehen, bis die unmäßige Kälte Sibiriens unsere weitere Wanderung aufhält. In diesen grausamen Landstrichen verrät der Rauch, welcher der Erde oder genauer: dem Schnee entsteigt, von den unterirdischen Behausungen der Tongusen und Samojeden: dem Mangel an Pferden und Ochsen wird nur unvollkommen abgeholfen durch die Verwendung des Ren und großer Hunde; und die Eroberer der Welt verkommen allmählich zu einer Rasse von kümmerlichen Wilden, welche beim Klang der Waffen vor Furcht beben. Siehe die Histoire générale des voyages, Band 18, und die Genealogical history, Band 2, p. 620-664.
HEIMAT DER HUNNEN NAHE CHINA · KRIEG MIT CHINA · 201 V. CHR
Die Hunnen, die während der Herrschaft des Valens das Römische Imperium erschütterten, waren in viel früheren Zeiten dem chinesischen Reiche furchtbar. Herr de Guignes hat uns (Histoire des Huns, Band 2, p. 1-124) die ursprüngliche Geschichte der Hiong-nou oder Hunnen gegeben. Die chinesische Gographie ihres Landes (Band 1, Teil 2, p. 55.63) scheint auch einen Teil ihrer Eroberungen einzuschließen. Ihr alter, vielleicht ihr eigentlicher Wohnsitz war ein riesiger, wenngleich trockener und abgeschlossener Landstrich unmittelbar an der Nordseite der Großen Mauer. Gegenwärtig wohnen hier die neunundvierzig Horden oder Banner der Mongolen, eines Hirtenvolkes, das aus etwa zweihunderttausend Familien besteht Siehe bei du Halde (Band 4, p. 18-65) eine sehr detaillierte Beschreibung und eine Karte des Mongolenlandes.
Aber die Macht der Hunnen ist über die engen Grenzen ihrer Heimat hinausgewachsen; und ihre rustikalen Stammeshäuptlinge wurden allmählich zu den Eroberern und Alleinherrschern eines gewaltigen Reiches. Nach Osten hin wurden ihre siegreichen Waffen lediglich durch den Ozean aufgehalten; und die Stämme, welche zwischen Amur und der Halbinsel Korea dünn verstreut siedeln, schlossen sich zähneknirschend der Fahne der Hunnen an. Nach Westen hin, nahe der Irtischmündung und den Tälern des Imaus, fanden sie mehr Siedlungsraum und auch mehr Feinde. Einer der Generäle des Tanju unterwarf auf einem einzigen Feldzug sechsundzwanzig Völker; die Iguren. Bei den Iguren oder Viguren finden wir drei Berufsgruppen: Jäger, Schäfer und Landwirte; die letztgenannte Klasse war den ersten beiden verächtlich. Siehe Abulghazi, Genealogical History, Teil 2, c. 7. die sich unter den Tartaren durch den Gebrauch der Schrift auszeichnen, zählten zu ihren Vasallen; und wie nun einmal die Schicksale der Menschen auf merkwürdige Weise miteinander verknüpft sind, hat die Flucht einer dieser Wanderstämme die siegreichen Parther von ihrer Eroberung Syriens zurückgerufen. Mémoires de l'Academie des Inscriptions, Band 25, p. 7-33. Herrn de Guignes weit reichender Blick hat diese entfernten Ereignisse miteinander verglichen. Als nördliche Grenze der Hunnenmacht wurde der Ozean bezeichnet. Da kein Feind ihrem Vormarsch sich in den Weg stellte und keine Zeugen ihrer Prahlsucht widersprechen konnten, mochten sie wohl eine wirkliche oder auch nur eingebildete Eroberung Sibiriens für sich reklamieren. Das Nordmeer wurde als die äußerste Grenze ihres Reiches angegeben. Aber diese Bezeichnung für einen See, an dessen Ufern der Patriot Sovou das Leben eines Hirten und Exilanten führte, Der Ruhm des Sovou oder So-ou, seine Verdienste und seine einzigartigen Abenteuer sind im heutigen China immer noch Gegenstand der Bewunderung. Siehe die Éloge de Moukden und die Anmerkungen p. 241-247 sowie die Mémoires sur la Chine, Band 3, p. 317-360. kann mit besseren Gründen für den Baikalsee beansprucht werden, ein großes Becken, etwa dreihundert Meilen lang, für den die bescheidene Bezeichnung Binnensee Vergleiche hierzu Isbrand Ives in Haris' Collection, Band 2p. 931, Bell's Reisebeschreibungen, Band 1, p. 247-254 und Gmelin, in der Histoire général des voyages, Band 18, p. 283-329. Sie alle zitieren die alberne Auffassung, dass das Heilige Meer zornig und stürmisch wird, wenn jemand es einen Binnensee zu nennen sich unterfängt. Diese linguistische Delikatesse ruft oftmals eine Diskussion zwischen dem absurden Aberglauben der Seeleute und der absurden Unbelehrbarkeit der Reisenden hervor. lächerlich klingt und der in der Tat Verbindungen zum Nordmeer aufweist durch Angara, Tonguska und Jenessei, die mächtigen Ströme.
Die Unterwerfung so vieler abgelegener Völker mag ja dem Stolz des Tanjou schmeicheln; aber die Stärke der Hunnen fand ihre Belohnung erst im Genuss der Reichtums und des Luxus' der südlichen Länder. Schon im dritten Jahrhundert vor der christlichen Ära wurde eine Mauer von fünfzehnhundert Meilen Länge aufgeführt, mit dem die Grenzen Chinas gegen die Einfälle der Hunnen verteidigt werden sollten; Der Bau der Chinesischen Mauer wird von du Halde (Description de la Chine, Band 2, p. 45) und de Guignes (Histoire des Huns, Band 2, p. 59) erwähnt. aber dieses stupende Bauwerk, welches auf der Weltkarte eine Ausnahmestellung einnimmt, hat nichts zu der Sicherheit dieses kriegsuntüchtigen Volkes beigesteuert. Die Kavallerie des Tanjou bestand zuweilen aus mehr als zwei- oder dreihunderttausend Mann und war allein durch ihre Geschicklichkeit mit dem Bogen und ihren Pferden fürchterlich; durch ihr abgehärtetes Erdulden jeder Art von Wetter; und endlich durch ihre unglaubliche Marschgeschwindigkeit, die nur selten durch Ströme oder Stromschnellen aufgehalten wurde geschweige denn durch tiefe Flüsse oder hohe Berge.
IHRE KRIEGE GEGEN CHINA 201 V. CHR
In einem Nu hatten sie das Land überschwemmt; und mit ihren blitzartigen Angriffswellen überrumpelten, verwirrten und besiegten sie die schwerfälligen taktischen Manöver der chinesischen Armee. Der Kaiser Kaoti, Siehe hierzu die Biographie des Liu Pang oder Han Kaotsu in der ›Histoire Générale de la Chine‹ (Paris 1777f), Band 1, p. 442-522. Dieses umfassende Werk ist die Übersetzung (von Pater de Mailla) des ›Tong-kein Kang-mu‹, der berühmten Kurzfassung von Suma Kuangs großem Geschichtswerk (A.D. 1084) und seiner Fortsetzer. ein rechter Glücksritter, der durch persönliches Verdienst auf den Thron gelangt war, zog gegen die Hunnen mit seinen Veteranentruppen ins Feld, die sich in den vorangegangenen chinesischen Bürgerkriegen bestens bewährt hatten. Aber schon bald hatten ihn die Barbaren umzingelt; und nach siebentägiger Belagerung musste der Monarch, an Hilfe verzweifelnd, seinen Anzug durch eine schmachbeladene Kapitulation erkaufen. Die Nachfolger Kaotis, deren Leben eher den Segnungen des Friedens und dem Luxus des Palastes gewidmet war, unterwarfen sich noch schmachvoller. Allzu bereitwillig hatten sie sich die Wirkungslosigkeit der Truppen und Festungsanlagen eingestanden. Allzu leicht hatten sie sich einreden lassen, während von allen Seiten die Alarmtrompeten das Nahen der Hunnen verkündeten, Siehe die freimütige, ausführliche Denkschrift, die dem Kaiser Wen-ti (180-157 v. Chr.) von einem Mandarin vorgelegt wurde, bei du Halde (Description de la Chine, Band 2, p. 412-426) in einer Sammlung von Staatsdokumenten, von K'ang-hsi selbst mit rotem Pinsel markiert (p. 384-612). Eine andere Denkschrift des Kriegsministers (Kang-mu, Band 2, p.555) bietet einige bemerkenswerte Einzelheiten über Sitten und Bräuche der Hunnen. dass die chinesischen Truppen, die sogar mit dem Helm auf dem Kopf und dem Panzer am Leibe schliefen, durch unablässige und sinnlose Gewaltmärsche geschwächt seien.
So wurde also eine regelmäßige Geld- und Seidenabgabe als Bedingung für einen vorläufigen und widerruflichen Frieden ausgehandelt; und dabei bedienten sich die Kaiser Chinas – wie übrigens auch die von Rom – des erbärmlichen Kniffes, einen echten Tribut mit den schicklichen Euphemismus eines Hilfsgeldes oder Geschenkes zu belegen. Es blieb aber eine noch viel schlimmere Tributpflicht zu tun, welche alle Gefühle der Humanität und der Natur beleidigte. Die Härten des Lebens in der Wildnis, welche schwächelnden und anfälligen Kleinkindern das Leben kostete, führten zu einer unübersehbaren Ungleichverteilung der beiden Geschlechter. Die Tartaren sind hässlich, um nicht zu sagen missgestaltet; und während sie ihre eigenen Weiber lediglich als die Arbeitstiere für häusliche Fron ansehen, steht ihre Sehnsucht oder wohl eher ihr Gelüste nach eleganterer Schönheit.
So wird nun jedes Jahr eine ausgewählte Schar der anmutigsten chinesischen Jungfrauen den wüsten Umarmungen der Hunnen ausgeliefert; Eine Lieferung von Frauen als landesübliche Vertragsbedingung und Tributleistung erwähnt in der »Histoire de la Conquete de la Chine par les Tartares Mantcheoux,« Band 1, p. 186f, mit einer Anmerkung des Herausgebers. und die Freundschaft des hochmütigen Tanjou wurde sichergestellt durch die Heirat mit den leiblichen oder angenommenen Töchtern der kaiserlichen Familie, welche sich vergeblich dieser gotteslästerlichen Besudelung zu entziehen trachteten. Die Lage dieser unglücklichen Opfer wird in den Versen einer chinesischen Prinzessin beschrieben, welche bitter beweint, dass ihre Eltern sie zu einem fernen Exil mit einem barbarischen Gatten verurteilt hätten; welche sich beklagt, dass saure Milch ihr einziges Getränk, rohes Fleisch ihre einzige Nahrung und ein Zelt ihr einziger Palast seien; und welche in einer Anwandlung rührender Schlichtheit sich nur wünscht, sie wäre ein Vogel und könne in ihre Heimat zurückfliegen, dem Objekt ihrer zärtlichen und immerwährenden Sehnsucht. De Guignes, Histoire des Huns, Band 2, p. 62.
NIEDERGANG DER HUNNEN · IHRE AUSWANDERUNG A.D. 100
Zweimal vollendeten die Hirtenvölker des Nordens Chinas Eroberung: die Hunnen standen den Mongolen oder den Völkern der Mandschurei nicht nach; und ihr Ehrgeiz hat sie denn auch zu den lebhaftesten Hoffnungen verleitet. Aber ihr Stolz wurde gedemütigt und ihr Vorwärtsstürmen gehemmt durch die Waffen und die Politik des Vouti, Siehe die Regierungszeit von Kaiser Wu-ti im Kang-mu. Band 3, p. 1-98. Sein wetterwendischer, unbeständiger Charakter scheint ganz objektiv gezeichnet zu sein. des fünften Kaisers der machtvollen Han-Dynastie. In seiner langen, vierundfünfzigjährigen Regierungszeit unterwarfen sich die Barbaren der südlichen Provinzen den Gesetzen und Gebräuchen Chinas; und die alten Grenzen der Monarchie vergrößerten sich vom großen Fluss Kiang bis zum Hafen von Kanton. Seine Generäle begnügten sich keineswegs mit den verhaltenen Manövern eines Verteidigungskrieges, sondern drangen viele hundert Meilen in das Hunnenland ein. In diesen grenzenlosen Wüsten, wo die Anlage von Magazinhäusern unmöglich und der Nachschub äußerst schwierig ist, waren Voutis Armeen wiederholt unerträglichen Härten ausgesetzt: von hundertvierzigtausend Soldaten, die einst gegen die Barbaren auszogen, kehrten nur dreißigtausend sicher zu ihres Herren Füßen zurück.
Gleichwohl wurden diese Verluste durch glanzvolle Erfolge wieder wettgemacht. Die chinesischen Generäle bestätigten die Überlegenheit, die ihnen die Kampfesstärke ihrer Truppen, ihrer Streitwagen und ihrer tartarischen Hilfsvölker verlieh. Das Lager Tanjous wurde überrumpelt, als es betrunken schlief; und obwohl sich der König der Hunnen mit Macht seinen Weg durch die Reihen der Feinde freikämpfte, verlor er doch fünfzehntausend Mann auf dem Schlachtfeld. Doch eigentlich trug dieser große Sieg, dem viele vorausgingen und viele folgten, sehr viel weniger zur Schwächung der Hunnenmacht bei als die wohlkalkulierte Politik, mit welcher man die ihnen tributpflichtigen Völker aus ihrer Abhängigkeit herauslöste.
70 V. CHR
Ermutigte durch die Waffemacht und verlockt durch die Versprechungen Voutis und seiner Nachfolger, sagten sich die mächtigsten Völkerschaften des Ostens und Westens von der Oberherrschaft des Tanjou los. Einige wurden freiwillig die Verbündeten oder Vasallen des Reiches, alle wurde sie unversöhnliche Feinde der Hunnen: und sobald sich dieses stolze Volk auf seine eigene, naturgegebene Stärke zurückgeworfen sah, hätte es in den Mauern einer der großen, bevölkerungsreichen Stadt Platz gefunden. Dieser Ausdruck findet sich in der Denkschrift an den Kaiser Wen-ti (du Halde, Description de la Chine, Band 2, p. 417). Ohne auf die Übertreibungen eines Marco Polo oder Isaak Vossius zurückzugreifen, dürfen wir für Peking bedenkenlos zwei Millionen Einwohner annahmen. Die Städte des Südens, in denen Chinas Manufakturen stehen, sind noch volkreicher. Die schnöde Flucht seiner Untertanen, die Wirren der Bürgerkriege bestimmten schließlich den Tanjou selbst, die Würde eines unabhängigen Königs und die Freiheit einer kriegerischen und tapferen Nation dahin zu geben.
51 V.CHR
In Sigan, der Hauptstadt des Reiches, wurde der Hunnenfürst empfangen, von den Truppen, von den Mandarinen und dem Kaiser höchstselbst und mit allen Ehren, die den Triumph der chinesischen Eitelkeit vergrößern und zugleich verbergen konnten. Siehe Kang-mu, Band 3, p. 150 und die nachfolgenden Ereignisse unter den jeweiligen Jahreszahlen. Dieses denkwürdige Fest wird im Éloge de Moukden gerühmt und in einer Anmerkung von Pater Gaubil p. 89f erklärt. Ein prunkbeladener Palast stand zu seinem Empfang bereit; sein protokollarischer Rang war höher als der aller Prinzen der kaiserlichen Familie; und die Geduld des Barbarenkönigs wurde erprobt durch die Zeremonien eines Bankettes, welches aus acht Gängen mit Fleisch und neun Auftritten mit ernsthafter Musik bestand. Und doch übte er auf seinen Knien die Pflicht einer respektvollen Ehrbezeigung an den Kaiser von China; sprach in seinem und aller seiner Nachfolger Namen einen heiligen und immergültigen Treue-Eid; und nahm dankbar das Siegel entgegen, das Abzeichen seiner königlichen Abhängigkeit. Nach dieser trübseligen Veranstaltung stahlen sich die Tanjous gelegentlich aus ihrer Untertanenpflicht und widmeten sich den Genüssen von Raub und Krieg; aber die Monarchie der Hunnen verkam und zerfiel schließlich in der Folge eines Bürgerkrieges in zwei feindliche und unabhängige Königreiche.
A.D. 48
Einen der beiden Herrscher dieses Volkes bestimmten Furcht und Ehrgeiz, sich mit acht Horden in den Süden zurück zu ziehen, was etwa vierzig- bis fünfzigtausend Familien gleichkam. Er erhielt zusammen mit dem Titel des Tanjou noch ein geeignetes Territorium an der Grenze der chinesischen Provinzen; und seine treue Ergebenheit im kaiserlichen Dienst wurde durch Schwäche und Racheverlangen sichergestellt. Seit jenem fatalen Schisma siechten die Hunnen des Nordens fünfzig Jahre dahin. bis sie schließlich von allen Seiten durch äußere und innere Feinde unterworfen waren. Eine stolze Inschrift Die Inschrift wurde von Pan Ku, dem Präsidenten des historischen Gerichtshofes, an Ort und Stelle verfasst (siehe Kang-Mu, Band 3, p. 392); ähnliche Dokumente fanden sich an vielen Stellen in der Tartarei (de Guignes, Histoire des Huns, Band 2, p. 122). auf einer Säule, errichtet auf hohem Berge, lässt die Nachwelt wissen, dass eine chinesische Armee siebenhundert Meilen ins Feindesland vorgedrungen war. Die Sienpi, Herr de Guignes, (Histoire des Huns, Band 1, p. 189) hat eine kurze Notiz über Sein-pi eingefügt. ein Stamm von Ost-Tartaren, vergalt das Unrecht, das sie einst erlitten hatten; und die Macht des Tanjou, die immerhin dreizehnhundert Jahre Bestand gehabt hatte, war vor dem Ende des ersten christlichen Jahrhunderts ohne irgendeine nennenswerte Bedeutung. Die Ära der Hunnen reicht nach chinesischer Darstellung zurück bis ins Jahr 1210 v.Chr. Aber ihre Königsliste beginnt erst im Jahre 230 (de Guignes, Histoire des Huns, Band 2, p. 21 und 123).
DIE HUNNEN IN DER SOGDIANA UND AN DER WOLGA · IHRE WANDERUNG A.D. 100
Das Schicksal der besiegten Hunnen gestaltete sich unterschiedlich, je nach der Ungleichheit ihres Charakters oder ihrer Lage. Die verschiedenen Vorkommnisse, der Machtverlust und die Flucht der Hunnen werden in der Kang-Mou erzählt (Band 3, p. 88,91, 95, 139 u.a.). Die geringe Größe jeder Horde mag ihren Verlusten und den Spaltungen zuzuschreiben sein. Etwa einhunderttausend Menschen, die ärmsten und ganz gewiss die verzagtesten, begnügten sich damit, in ihrer Heimat zurück zu bleiben, ihren Namen und ihre Herkunft zu vergessen und sich mit der siegreichen Nation der Sienpi zu vermischen. Achtundfünfzig Horden, etwa zweihunderttausend Mann, die nach ehrenvollerem Dienst verlangten, zogen sich in den Süden zurück; erbaten den Schutz der chinesischen Kaiser; und durften die äußersten Gebiete der Provinz Chansi und der Ortous-Territorien besiedeln und somit auch beschützen.
Aber die Hunnenstämme, die von allen die mächtigsten und kriegerischsten waren, hatten sich selbst in solch misslicher Situation etwas von dem unerschrockenen Geist ihrer Vorfahren bewahrt. Die westliche Welt stand ihnen offen; und so beschlossen sie, unter der Führung ihrer Erbkönige einige entlegene Gebiete zu erkunden und zu erobern, welche außerhalb der Reichweite der Waffen der Sienpi und der chinesischen Gesetze lagen. de Guignes ist den Spuren der Hunnen durch die endlosen Steppen der Tartarei nachgeganden (Histoire des Huns, Band 2, p. 123, 277ff. und 325ff). Ihre Züge führten sie schon bald über das Imäus-Gebirge und damit außer Reichweite der chinesischen Geographie, aber wir wenigstens sind imstande, die beiden Wege dieser gewaltigen Auswanderungswelle zu verfolgen, welche zum Oxus und zur Wolga führten.
DIE WEISSEN HUNNEN VON SOGDIANA
Die Ersten schlugen ihre Zelte in der großen, fruchtbaren Ebene von Sogdania östlich des Kaspischen Meeres auf: wo sie den Namen Hunnen beibehielten, allerdings mit dem Epitheton Euthalites oder Nepthalites. Ihr Auftreten war nicht mehr so ungehobelt infolge des milden Klimas und ihres langen Aufenthaltes in dieser gesegneten Provinz, Mohammed II, der Sultan von Karizme, regierte in Sogdania, als es 1218 von Dschingis Khan und seinen Mongolen erobert wurde. Unsere Historiker des Orients (du Herbelot, Petit de la Croix, etc.) rühmen die einwohnerreichen Städte, die er vernichtete und das fruchtbare Land, das er verwüstete. Im folgenden Jahrhundert werden dieselben Provinzen von Chorasmia und Mawaralnahr von Abulfeda beschrieben (Hudson, Geographiae scriptores minores, Baand 3). Ihre tatsächliche Notlage kann man aus der Genealogical history of the Tartars, p. 423-469 ablesen. in der sogar noch ein milder Nachklang der griechischen Kultur zu spüren sein mochte. Iustinus (41,6) hat eine kurze Übersicht über die griechischen Könige von Baktrien hinterlassen. Ihrem Bemühen möchte ich den außergewöhnlichen Handel zuschreiben, welcher Güter von Indien nach Europa führte, über den Oxus, das Kaspische Meer, den Cyrus, den Phasis und das Schwarze Meer. Die anderen Handelsrouten, die über Land und Meer führten, waren in der Hand der Seleukiden und Ptolemäer. Siehe Montesquieu, Esprit des lois 21. Die weißen Hunnen, welcher Namen sich von der Änderung ihrer Gesichtsfarbe herleitet, gaben alsbald das skythische Hirtenleben auf. Gorgo, das unter dem Namen Carizme zu kurzfristiger Blüte gedieh, war Residenz des Königs, welcher über sein gehorsames Volk seine legale Macht ausübte. Die Sogdianer hatten dafür zu sorgen, dass es ihnen an Nichts mangelte; und die einzigen Hinweise auf ihre barbarische Vergangenheit war der Brauch, der alle Gefährten – etwa zwanzig an der Zahl –, die an der Freigebigkeit eines wohlhabenden Herren teilgehabt hatten, auch dazu verpflichtete, sich lebendig mit ihm begraben zu lassen. Prokopios, De bello Persico 1,3. Die Nähe der Hunnen zu den persischen Provinzen verwickelte sie des Öfteren in blutige Gefechte mit der bewaffneten Macht dieser Monarchie. Aber in Friedenszeiten beobachteten sie durchaus Vertragstreue, im Kriege die Gebote der Humanität; und in ihrem erinnerungswürdigen Sieg über Peroses oder Firuz ließen die Barbaren Mäßigung und Stärke zugleich erkennen.
DIE HUNNEN AN DER WOLGA
Die zweite Abteilung der Hunnen, die allmählich nach Nordwesten vorrückte, wurde durch die Widrigkeiten des kälteren Klimas und den mühseligeren Marsch geformt. Die Not zwang sie, Chinas Seide mit Sibiriens Pelzen zu vertauschen; die ersten Ansätze von Zivilisation ließ man dahinfahren; und die angeborene Wildheit der Hunnen wurde noch zusätzlich durch die Begegnungen mit den wilden Stämmen gesteigert, die man nicht ohne einige Berechtigung mit den Raubtieren der Wüste verglich. Ihr Sinn für Unabhängigkeit lehnte schon bald die erbliche Thronfolge der Tanjous ab; und während jede Horde durch ihren eigenen Mursa geleitet wurde, wurden die Angelegenheiten des ganzen Stammes in tumultuösen Volksversammlungen verhandelt.
Bis in das dreizehnte Jahrhundert wurde ihre vorübergehende Vorherrschaft am Ostufer der Wolga durch den Namen Groß-Ungarn Im XIII Jahrhundert bemerkte der Mönch Rubruquis (welcher die unermesslichen Ebenen von Kipzak auf seiner Reise zum Großen Khan durchquerte) den bemerkenswerten Namen »Ungarn«, nebst den Spuren einer gemeinsamen Sprache und Abstammung. Histoire générale des voyages, Band 8, p. 269. bezeugt. Im Winter zogen sie mit ihren Rinder- und Schafherden zur Mündung dieses gewaltigen Stromes; und ihre sommerlichen Wanderungen führten sie bis nach Saratof oder bis zum Zusammenfluss der Kama. Dies wenigstens waren die letzten Siedlungsräume der Schwarzen Kalmücken, Bell (Travels, Band 1, p. 29-34) und die Herausgeber der Genealpogical History (p. 539) haben die Wolgakalmücken zu Beginn unseres Jahrhunderts beschrieben. welche etwa ein Jahrhundert unter russischer Verwaltung lebten; und die danach wieder zurückgekehrt sind zu ihren angestammten Wohnsitzen an der chinesischen Grenze. Die Rückkehr dieser wandernden Tartaren, deren Lager aus fünzigtausend Zelten oder Familien besteht, weist gewisse Ähnlichkeiten mit den Wanderzügen der antiken Hunnen auf. Diese große Rückwanderung von 300.000 Kalmücken oder Torguten geschah im Jahre 1771. Die Originalerzählung von Ch'en Long, dem regierenden Kaiser von China, war für eine Säuleninschrift vorgesehen und wurde von Missionaren (Memoires sur la Chine, Band 1, p. 401-418) in Peking übersetzt. Der Kaiser wählte die geschmeidige und gefällige Sprache des Sohnes des Himmels und Vaters des Volkes.
SIEG DER HUNNEN ÜBER DIE ALANEN
Es ist unmöglich, den dunklen Zeitraum zu füllen, welcher verging, seit die Wolga-Hunnen aus dem Blickfeld der Chinesen verschwunden und in das der Römer vorgedrungen waren. Es darf jedoch mit gutem Grunde vermutet werden, dass dieselben Kräfte, welche sie aus ihrer ursprünglichen Heimat vertrieben hatte, auch ihre Wanderung vor die Grenzen Europas veranlassten. Die mächtigen Sienpi, ihre unversöhnlichen Feinde, die immerhin dreitausend Meilen in Ost-West-Richtung Der Kang-Mu (Band 3, p.448) gibt ihre Eroberungen mit 14.000 Lis an. 200 Lis (genauer: 193) entsprechen hierbei einem Breitengrad; mithin entspricht eine englische Meile drei chinesischen. Aber es gibt starke Gründe zu der Vermutung, dass das alte Li etwa einem halben modernen (Li) entspricht. Vergleiche hierzu die gründlichen Forschungen von Herrn d'Anville, einem Geographen, welcher in allen Zeiten und Weltgegenden bestens zu Hause ist. (Memoires de l'Acadadémie Band 2, p. 125-502 und d'Anville, Mesures Itinéraires, p. 154-167). beherrschten, müssen sie durch das Übergewicht und den Schrecken ihrer fürchterlichen Nachbarschaft gleichsam zerpresst haben; und die Flucht der skythischen Völker hat unfehlbar die Stärke der Hunnen gemehrt oder ihren Siedlungsraum verengt. Die misstönenden und fremdartigen Namen jener Stämme würden nur das Ohr des Lesers kränken, ohne Wesentliches zu seinem Verständnis beizutragen; aber ich kann den ganz naheliegenden Argwohn nicht unterdrücken, dass für die Hunnen des Nordens der Untergang ihrer südlichen Stammesgenossen eine wesentliche Verstärkung bedeutete, als diese sich im Laufe des dritten Jahrhunderts der chinesischen Oberherrschaft ergaben; dass sich die tapfersten Krieger zu ihren freiheitsliebenden und abenteuerlustigen Landsleuten begaben; und dass so, wie sie sich im Wohlstand entzweit hatten, sie leicht durch die gemeinsam erduldeten Härten ihres widrigen Schicksals geeint wurden. Siehe de Guignes, Histoire des Huns, Band 2, p.125 – 144. Die Geschichte der folgenden drei oder vier Hunnen-Dynastien erweist eindeutig, dass ihr kriegerischer Geist durch ihren langen Aufenthalt in China nicht gemindert ward. Die Hunnen wurden mit ihren Rinder- und Schafherden, mit Weib und Kind, mit Abhängigen und Verbündeten in das Gebiet westlich der Wolga gedrängt, und von hier aus stießen sie kühn in das Gebiet der Alanen vor, einem Hirtenvolk, welches einen beachtlichen Teil der skythischen Steppen besetzt hielt oder besser: verwüstete.
IHR SIEG ÜBER DIE ALANEN
Die Ebenen zwischen Wolga und Thanais (Don) waren von den Zelten der Alanen übersät, aber ihr Name und ihre Art waren über das ganze von ihnen eroberte Gebiet verbreitet; so zählte man die bemalten Stämme der Agathyrsi und Geloni zu ihren Vasallen. Nach Norden drangen sie bis in die Frostregionen Sibiriens vor, zu den Wilden, welche im Hunger oder Zorn Menschenfleisch nicht verabscheuten; und nach Süden waren sie bis nach Persien und Indien gelangt.
Die Vermischung mit Germanen- und Sarmatenblut hat die Alanen schöner gestaltet, ihre dunkle Gesichtsfarbe aufgehellt und ihrem Haar eine gelbliche Tönung verliehen, was man bei Tartaren sonst nur selten findet. Ihre Körper waren nicht so verbaut und ihre Sitten nicht so roh wie die der Hunnen; allerdings stand auch ihr Sinn nach Krieg und Unabhängigkeit dem jener grässlichen Barbaren in nichts nach; nicht ihre Liebe zur Freiheit, die sich sogar häusliche Sklaven versagte; und auch nicht ihre Liebe zum Waffenhandwerk, die Raub und Krieg als alleinige Freude und Ruhm der Menschheit ästimierte. Ein nackter Krummsäbel, in den Boden gestochen, war das einzige Objekt der Anbetung; die Skalps ihrer Feinde waren der kostbare Sattelschmuck ihrer Pferde; und mit Verachtung und Mitleiden blickten sie auf solche kleinmütigen Krieger, die mit Ergebenheit die Beschwernisse des Alters erwarteten und die Foltern auszehrender Erkrankungen. Utque hominibus quietis et placidis otium est voluptabile, ita illos pericula iuvant et bella. Iudicatur ibi beatus qui in proelio profuderit animam: senescentes etiam et fortuitis mortibus mundo digressos, ut degeneres et ignavos, conviciis atrocibus insectantur [So, wie friedlichen und sanften Menschen die Muße wünschenswert erscheint, so schätzen jene Krieg und Gefahren. Glücklich ist der, welcher im Kampfe seine Seele aushaucht: die, welche wegen ihres Alters oder aus zufälligen Gründen aus der Welt scheiden, belegen sie mit heftigen Schmähworten und nennen sie entartet und feige], Ammianus 31,2. Von den Siegern über solche Menschen muss man sich sehr hohe Begriffe machen..
Am Ufer des Don trafen die Armeen der Hunnen und Alanen mit gleicher Stärke, aber ungleichem Kampfglück aufeinander. Die Hunnen obsiegten in dem blutigen Treffen: der König der Alanen fiel, und die Reste des besiegten Volkes unterwarfen sich oder suchten ihr Heil in der Flucht. Über die Alani, siehe Ammianus (31,2), Jornandes (de Rebus Geticis, 24), Herr de Guignes (Histoire des Huns, Band 2, p. 279) und die Genealogical History of the Tartars, Band 2, p. 617. Ein Teil der Flüchtlinge fand in den Bergen des Kaukasus zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer sichere Zuflucht, wo sie noch heute in Unabhängigkeit ihren Namen führen. Ein anderer Zug, etwas beherzter, gelangte bis an die Ostseeküste; vermischte sich dort mit den Nordgermanen; und teilte sich später in die Beute der römischen Kolonien Spanien und Gallien. Der größte Teil der Alanen jedoch nahm das Angebot zu einem ehrenhaften und vorteilhaften Bündnis an; und die Hunnen, die die Stärke ihrer weniger glücklichen Feinde durchaus zu schätzen wussten, eilten, mit gehobenem Mut und vermehrter Kraft die Grenzen des Gotenreiches zu überschreiten.
SIEG DER HUNNEN ÜBER DIE GOTEN · A.D. 375
Der große Ermanarich, dessen Reich sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer dehnte, genoss in der Reife des Alters und auf dem Höhepunkt seines Ansehens die Früchte seiner Siege, als ihn die Nachricht vom Nahen einer Riesenmasse unbekannter Feinde Da wir über die authentische Geschichte der Hunnen verfügen, steht es uns jetzt nicht zu, die hübschen Geschichten zu wiederholen oder zurück zu weisen, welchen ihre Herkunft und ihre Wanderung falsch darstellen oder ihren Zug durch den Schlamm und das Wasser des Mäotis, bei dem sie einem Ochsen oder Hirschen gefolgt waren, »les Indes qu'ils avoient decouvertes, etc« [die von ihnen entdeckten indischen Länder]. (Zosimus 4,20; Sozomenos, 6,37; Procopios, Historia Miscella 12; Jornandes, Getica 24; Montesquieu, Grandeur et Décadence des Romains, 17.) aufschreckte, denen seine barbarischen Untertanen nicht zu Unrecht das Epitheton der Barbaren beigelegt haben mochten. Die fassungslosen Goten erlebten die Riesenzahl, die Stärke, die schnellen Manöver und die gnadenlose Grausamkeit der Hunnen als die Ersten, fürchteten und bauschten sie noch auf; und mussten zusehen, wie ihre Äcker und Dörfer von den Flammen verzehrt und mit Strömen von Blut überschwemmt wurden.
Zu diesen handgreiflichen Schrecknissen kamen noch die Furcht und das Erstaunen über die schrillen Stimmen, die ungeschlachte Gestik und die körperliche Missgestalt der Hunnen. Diese skythischen Wilden wurden verglichen (und eine gewisse Ähnlichkeit ist unbestreitbar) mit solchen Tieren, die auf merkwürdige Weise auf zwei Beinen laufen; und mit den rohbehauenen Figuren, den Termini, welche man im Altertum sehr oft am Ende einer Brücke aufstellte. Sie unterschieden sich vom Rest der Menschheit durch ihre breiten Schultern, flachen Nasen und die kleinen, sehr tiefliegenden schwarzen Augen; und da sie fast keinen Bartwuchs hatten, ging ihnen jeder männlich-jugendliche Charme und jedes Anzeichen eines ehrwürdigen Alters ab. ›Prodigiosae formae, et pandi; ut bipedes existimes bestias; vel quales in commarginandis pontibus, effigiati stipites dolantur incompti.‹ [Merkwürdig fehlgebildet, krummgliedrig; du könntest sie für zweibeinige Tiere halten oder für Gesteinbrocken, die man zur Begrenzung von Brücken roh bearbeitet aufstellt]. Ammianus 31,2. Jornandes (24) zeichnet ein kräftiges Zerrbild von der Physiognomie der Kalmücken: ›Species pavenda nigredine ... quaedam deformis offa, non facies; habensque magis puncta quam lumina.‹ [Eine finster-fürchterliche Art,... ein formloser Kloß, kein Gesicht, mit kleinen Löcher statt mit Augen]. Siehe Buffon, Histoire Naturelle, Band 3, p.380. Ihrem Aussehen und ihrem Auftreten glaubte man einen besonderen Ursprung schuldig zu sein; dass etwa die Hexen Skythiens, wegen ihrer üblen und mörderischen Praktiken von der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen, sich in der Wüste mit den Mächten der Finsternis begattet hätten; und dass die Hunnen die Frucht dieser fluchwürdigen Beiwohnung gewesen seien. Dieser schaurige Herkunft, die Jordanes (24) mit gotischem Hass beschreibt, geht auf eine griechische Fabel zurück.
Obwohl dieses Schreckensmärchen vollkommen abwegig war, sog der Hass der Goten es bereitwillig auf und glaubte es, da er es glauben wollte; aber es bediente nicht nur ihren Hass, sondern gab auch ihrer Furcht Nahrung; denn die Nachkommenschaft von Dämonen und Hexen mochte durchaus etwas von den übernatürlichen Kräften ihrer Eltern geerbt haben, wie auch von ihrer bösartigen Gesinnung. Einem solchen Feinde nun also mit den vereinten Streitkräften der Goten zu begegnen schickte sich Ermanarich an; aber schon bald entdeckte er, dass die gefolgschaftspflichtigen Stämme, aufgebracht durch die langdauernde Unterdrückung, viel größere Neigung zeigten, die Invasion der Hunnen wohlwollend zu begleiten, als sich ihr entgegen zu stemmen. Einer der Häuptlinge der Roxolani Die Roxolani sind möglicherweise die Väter der ›Ros‹, der Russen (d'Anville, Empire de Russie, p.1-10), deren Wohnsitz (A.D. 862) bei Nowgorod Veliki nicht weit von denen entfernt liegen kann, welche der Geograph von Ravenna (1,12; 4,4 und 46; 5,28 und 5,30) den Roxolani (A.D. 886) zuschreibt. hatte schon früher die Fahne des Ermanerich verlassen, und der grausame Tyrann hatte veranlasst, dass das unschuldige Weib des Verräters von wilden Pferden zerstampft werde. Die Bruder dieser unglücklichen Frau ließen die Gelegenheit zur Rache nicht ungenutzt: Eine Zeitlang laborierte der betagte Gotenkönig noch an den gefährlichen Wunden, welche ihm ihre Dolche zugefügt hatten; aber sein Zustand verschleppte den Fortgang des Krieges, und in den Volksversammlungen der Goten dominierte der Geist der Missgunst und der Zwietracht. Nach seinem Tode – es ging die Rede, er habe sich selbst aufgegeben – ging die Herrschaft in die Hände von Withimer über, welcher mit dem zweifelhaften Beistand einiger skythischer Miettruppen den ungleichen Kampf gegen die Hunnen- und Alanenkrieger aufnahm, bis er schließlich in der entscheidenden Schlacht besiegt und getötet wurde.
Die Ostgoten unterwarfen sich ihrem Schicksal; und der königliche Stamm der Alanen sollte sich von nun an unter den Untertanen des stolzen Attila finden. Aber Witherich, das königliche Kleinkind, wurde durch Alatheus' und Saphrax' Aufmerksamkeit gerettet, zweier Krieger von bewährter Kraft und Treue; welche auf vorsichtigen Umwegen die unabhängigen Trümmer des Ostgotenvolkes zum Danastus oder Dnjester führten, einem unverächtlichen Strom, der in heutiger Zeit das türkische Gebiet vom russischen Zarenreich trennt. Am Ufer des Dnjester hatte der vorsorgende Athanarich, mehr auf seine eigene als die gemeine Sicherheit bedacht, mit den Westgoten ein Lager bezogen, fest entschlossen, sich den siegreichen Barbaren entgegen zu stellen, die direkt herauszufordern er für weniger ratsam erachtete.
Die übliche Marschgeschwindigkeit der Hunnen wurde durch die Unmenge an Gepäck und die Versorgung der Gefangenen verlangsamt; aber ihre militärische Überlegenheit überraschte die Armee des Athanarich und vernichtete sie anschließend beinahe. Während der iudex der Westgoten die Dnjesterufer verteidigte, wurde er von einer starken Abteilung Kavallerie eingekreist und angegriffen, nachdem sie im Mondlicht den Fluss an geeigneter Stelle durchwatet hatten; und es geschah nicht ohne den äußersten Aufwand von Mut und Geschicklichkeit, dass ihm schließlich der Rückzug auf hügeliges Gelände glückte.
Schon hatte der unerschütterliche General einen neuen Plan für einen Verteidigungskrieg entworfen; und die starken Abwehrlinien, die er zwischen den Bergen, dem Pruth und der Donau anlegen wollte, hätten zweifellos jene weitläufigen und fruchtbaren Landschaften vor den Hunneneinfällen geschützt, welche heute den Namen der Walachei führen. Der Text des Ammianus scheint hier unvollständig oder verderbt; aber die Geländebeschaffenheit zeichnet, ja schreibt den Wall der Goten nachgerade vor. Aber die Hoffnungen und Maßregeln des iudex der Westgoten wurden alsbald enttäuscht durch die bebende Unruhe seiner Landsleute; welche in ihrer Furcht vermeinten, dass die Donau die einzige Barriere sei, welche sie noch vor der raschen Verfolgung und unbesiegbaren Stärke der skythischen Horden retten könne. Unter der Führung von Fritigern und Alavivus Herr de Buat (Histoire des Peuples de l'Europe, Band 6, p. 407) hatte die eigenartige Idee, das Alavivus mit Ulfila, dem Bischof der Goten, identisch sei; und dass Ulfila, Enkel eines kappadokischen Kriegsgefangenen, zeitweilig König der Goten war. eilte die Masse des Volkes zum großen Strom und erflehte den Schutz des oströmischen Kaisers. Athanarich selbst, der immer noch die Folgen eines Meineides zu vermeiden trachtete, zog sich mit einer Handvoll Getreuer in das Gebirgsland des Kaukasus zurück, welches von den undurchdringlichen Wäldern Transsilvaniens geschützt und fast schon versteckt wurde. Die Unterwerfung der Goten durch die Hunnen wird von Ammianus (31,3) und Jordanes (Getica 24) beschrieben.
DIE GOTEN ERBITTEN VALENS' HILFE · A.D. 376
Nachdem Valens den Gotenkrieg mit leidlichem Erfolg beendet hatte, bereiste er die asiatischen Provinzen seines Reiches und nahm schließlich in der Hauptstadt Syriens Residenz. Die fünf Jahre in Antiochia Die Chronologie des Ammianus ist in dieser Stelle unklar und lückenhaft. Tillemont hat viel Mühe darauf verwandt, die Annalen des Valens aufzuklären und zu bereinigen. verbrachte er wesentlich damit, die feindlichen Zurüstungen des persischen Monarchen aus sicherer Entfernung zu beargwöhnen; die Raubzüge der Sarazenen und Isaurier Zosimos 4,20; Sozomenos 6,38. Die Isaurier machten in jedem Winter die Straßen von Kleinasien bis in die Nähe von Konstantinopel unsicher. Basileios, Epistulae 250, bei Tillemont, Histoire des empereurs, Band 5, p. 106. abzuwehren; durch Argumente, die höher sind als Menschenwitz oder Eloquenz, den Glauben an die arianische Theologie zu befördern; und sein immerwährendes Missvertrauen durch unterschiedslose Hinrichtung Schuldiger wie Unschuldiger ruhig zu stellen. Die meiste Aufmerksamkeit schenkte der Herrscher jedoch den ernsten Nachrichten, die er von den zivilen und militärischen Beauftragten erhielt, denen der Schutz der Donau oblag.
So hörte er denn, dass der Norden von einem grausamen Sturm heimgesucht werde; dass der Einfall der Hunnen, einer unbekannten und grässlichen Rasse von Wilden, die Macht der Goten gestürzt habe; und dass die hilfeflehenden Massen dieses kriegsgewohnten Volkes, dessen Stolz nunmehr im Staube liege, meilenweit am Ufer des Flusse lagerten. Mit ausgestreckten Armen und Mitleid heischenden Klagereden beweinten sie ihre vergangene Katastrophe und ihre gegenwärtige Gefahr; gaben bereitwillig zu, dass ihre einzige Hoffnung auf Sicherheit die Milde der römischen Regierung sei; und beteuerten mit Nachdruck, dass, sollte ihnen die große Güte des Herrschers das verödete Thrakien zur Bebauung überlassen, sie ihrerseits sich für alle Zeiten durch ein ewiges Gefühl der Dankbarkeit und Pflicht gebunden fühlen würden, den Gesetzen der Republik zu gehorchen und ihre Grenzen zu schützen. Diese Zusicherungen wurden von den Gesandten der Goten bekräftigt, welche mit ängstlicher Erwartung auf eine Antwort aus dem Munde des Valens warteten, die über das Schicksal ihrer unglücklichen Landsleute entscheiden musste.
17. NOVEMBER 375
Der Kaiser des Ostens stand nun nicht länger im Schatten der überlegenen Weisheit seines Bruders, der am Ende des vorigen Jahres gestorben war: und da die Notlage eine umgehende und eindeutige Antwort erheischte, standen ihm auch nicht mehr die ängstlichen und schwachen Ratgeber zu Gebote, welche sonst immer hinhaltende und ausweichende Maßnahmen für den Gipfelpunkt der Staatsklugheit erachteten. Solange die Menschheit von vergleichbaren Leidenschaften und Interessen geleitet wird, werden die Fragen nach Krieg oder Frieden, nach Recht und Politik, die in den Ratsversammlungen der Alten erörtert wurden, sich auch in den politischen Gremien der Gegenwart finden. Aber selbst der erfahrenste Staatsmann des modernen Europa war noch niemals vor die Aufgabe gestellt, die Risiken und Vorteile abzuwägen, die die Aufnahme oder Zurückweisung einer unmessbar große Menge von Barbaren mit sich bringen könnte, nachdem Hunger und Verzweiflung sie dazu gebracht hatten, auf dem Staatsgebiet einer zivilisierten Nation Siedlungsland zu erbitten.
Als dieses wichtige Anliegen, das so untrennbar mit der öffentlichen Sicherheit verbunden war, den Ministern des Valens vorgelegt wurde, waren diese verwirrt und uneins; aber schon bald verständigte man sich auf eine den Herzensbedürfnissen ihres Herrschers – Eitelkeit, Trägheit und Habgier – entgegenkommende Empfehlung. Die Sklaven, die sich mit dem Titel eines Präfekten oder Generals schmückten, verkleinerten oder leugneten die Gefahr, die von dieser Völker-Wanderung ausging, die so ganz verschieden sei von denen, die man gelegentlich an den äußersten Grenzen des Reiches antreffen könne. Zugleich dankten sie einem gütigen Schicksal, welches ihnen aus den fernsten Ländern des Erdkreises eine mächtige und unbezwingliche Armee zugeführt habe, den Thron des Valens zu schützen; die ferner der königlichen Schatzkammer unbemessene Mengen Goldes beisteuern mochte, die die Provinzen nun als Ersatz für ihr jährliches Soll an Rekruten liefern würden.
Die Bitten der Goten wurden also erhört, und der Hof nahm sich ihrer Dienste an: und unverzüglich gingen Gebote an die militärischen und zivilen Dienststellen der Diözese Thrakien aus, die notwendigen Vorbereitung zu treffen, um ein großes Volk passieren zu lassen und so lange zu versorgen, bis ihnen ein geeignetes Gebiet zu künftiger Heimstatt zugewiesen werden könne. Seiner Großherzigkeit stellte der Kaiser jedoch zwei strenge und harte Bedingungen zur Seite, welche die Römer mit dem Gebot der Staatsklugheit rechtfertigen mochten, die man den empörten Goten aber nur infolge ihrer Notlage abpressen konnte. Vor dem Überschreiten der Donau sollten sie nämlich ihre Waffen abliefern; und man bestand darauf, dass ihnen ihre Kinder fortgenommen und auf die asiatischen Provinzen verteilt werden sollten, wo sie eine kultivierte Erziehung erhalten und zugleich als Geiseln das Wohlverhalten ihrer Eltern sicherstellen sollten.
DIE GOTEN BEHALTEN IHRE WAFFEN UND WERDEN INS RÖMISCHE REICH GEHOLT
Während dieses Aufenthaltes, den die fernen und unsicheren Verhandlungen mit sich brachten, machten die Goten einige unbedachte Versuche, die Donau zu überqueren, ohne dazu die Erlaubnis der Regierung zu haben, deren Schutz sie erfleht hatten. Ihre Bewegungen wurden genauestens von den Wachabteilungen verfolgt, welche entlang des Flusses Posten bezogen hatten, und ihre Vortrupps wurden blutig zurückgeschlagen; aber so erbärmlich führten sich Valens' Ratgeber auf, dass die braven Offiziere, welche ihre Pflicht getan und ihr Land verteidigt hatten, durch Entlassung aus dem Dienst bestraft wurden und nur mit knapper Not der Hinrichtung entgingen. Endlich kam die kaiserliche Weisung, dass das ganze Volk der Goten die Donau passieren solle; Die Donaupassage wird geschildert bei Ammianus 31, 3 und 4; Zosimos 4,20; Eunapios in Excerpta Legationum, p.19f, und Jornandes, 25f. Ammianus (5) erklärt, dass er nur ›ipsas rerum digerere summitates‹ [die ›wichtigsten‹ Begebenheiten weitergeben]. Oft aber legt er falsche Maßstäbe für deren ›Wichtigkeit‹ an, und seine sprudelnde Weitschweifigkeit steht in einem betrüblichen Missverhältnis zu seiner gelegentlich unangebrachten Kürze. aber die Ausführung dieses Mandates erwies sich als ein heikles und schwieriges Unternehmen.
Die Donau, die in jenen Gegenden etwa eine Meile breit ist, Der wissbegierige Forschungsreisende Chishull hat auf die Breite der Donau hingewiesen, die er südlich von Bukarest in der Nähe des Arges-Zuflusses überquerte (Travels in Turkey, p. 77). Auch bestaunt er Schönheit und natürlichen Reichtum von Mösien oder Bulgarien. war durch unaufhörlichen Regen stark angeschwollen; und so wurden bei dieser chaotischen Flussüberfahrt so mancher fortgerissen und musste ertrinken. Eine große Flotte von Schiffen, Booten und Kanus war bereitgestellt; Tag und Nacht fuhren sie unablässig hin und wider; und ganz besonders scharf achteten die Offiziere des Valens darauf, dass nicht ein einziger von den Barbaren, die einst Rom stürzen sollten, auf dem anderen Ufer zurückbleibe. Man hielt es für angebracht, ihre Zahl mit Genauigkeit zu erfassen; aber die Personen, die dazu abgeteilt waren, traten schon bald mit Erstaunen und Schrecken von diesem unendlichen und undurchführbaren Unternehmen zurück; ›Quem qui scire velit, Libyci velit aequoris idem Discere quam multae Zephyro turbentur arenae.‹ [Wer sie wissen will, der will auch wissen, wie viel Sand der Zephyr in der Libyschen Wüste aufwirbelt]. Ammianus hat in seine Prosa diese Vergilverse (Georgica 2, 105f) eingefügt, die der Dichter ursprünglich dazu vorgesehen hatte, die Unmöglichkeit zu schildern, die verschiedenen Weinsorten zu zählen. Plinius, Naturalis Historia 14. und der wichtigste Historiker jener Zeit versichert uns mit Nachdruck, dass die Nachrichten von den gigantischen Armeen eines Darius oder Xerxes, die man so lange für müßige Märchen einer leichtgläubigen Antike gehalten hatte, nunmehr vor aller Welt bestätigt waren, allein durch den unmittelbaren Augenschein. Ein glaubwürdiges Zeugnis nennt eine Zahl von zweihunderttausend gotischen Kriegern; und wenn wir es riskieren können, noch die entsprechende Anzahl von Weibern, Kindern und Sklaven hinzuzufügen, dann beläuft sich die Gesamtmasse dieser bedrohlichen Auswanderung auf fast eine Millionen Menschen jeden Alters und beiderlei Geschlechtes.
Die Kinder der Goten, zumindest die von höherem Rang, wurden von der Masse abgesondert. Sie wurden ohne Verzug zu den abgelegenen Regionen verbracht, die man ihnen zur Erziehung und Wohnung ausgesucht hatte; und als nun dieser immense Zug von Gefangenen oder Geiseln durch die Städte zog, überraschte ihr eindrucksvoller Aufzug und ihr robust-kriegerisches Auftreten die Provinzbewohner und erfüllte sie mit Abgunst.
Aber die Vereinbarung, die für die Römer so bedeutungsvoll und für die Goten so bedrückend war, wurde schimpflich umgangen. Die Barbaren, für die Waffen ein Zeichen ihrer Ehre und eine Gewähr für ihre Sicherheit bedeuteten, zeigten Neigung, einen Preis zu entrichten, den zu akzeptieren die Habgier und Lüsternheit der kaiserlichen Mandatsträger sich rasch bereit fanden. Um ihre Waffen zu behalten, erklärten sich die stolzen Krieger nach einigem Widerstreben damit einverstanden, ihre Weiber und Töchter der Unzucht preiszugeben; die Anmut einer hübschen Jungfrau oder eines anmutigen Knaben gewährleistete das Einverständnis der gestrengen Inspektoren; die auch schon mal ein Auge der Habgier auf einen schönen Fransenteppich oder die linnenen Gewänder der neuen Verbündeten warfen; Eunapius und Zosimos führen diese Artikel des gotischen Luxuslebens mit Genauigkeit auf. Doch es steht zu vermuten, dass es sich um Erzeugnisse der Provinz handelte, die die Barbaren als Kriegsbeute geraubt oder als Geschenke oder Handelsware zu Friedenszeiten erhalten hatten. oder die ihre Pflicht vergaßen gegen die Gefälligkeit, ihrem Hof neues Vieh und neue Sklaven zuzuführen.
Also ließ man die Goten bewaffnet die Boote besteigen; und als sie ihre Macht am anderen Ufer versammelten, bot das unermessliche Lager, welche sich über die Ebenen und Hügel Mösiens ausbreitete, einen erschreckenden oder sogar feindseligen Aspekt. Bald darauf erschienen auch die Anführer der Ostgoten, Alatheus und Saphrax, die Beschützer des unmündigen Königs, am Nordufer der Donau; und auch sie schickten unverzüglich ihre Botschafter an den Hof nach Antiochia, um mit der gleichen Zusicherung von Gefolgschaft und Dankbarkeit die gleichen Begünstigungen zu erbitten, die vorher den Westgoten eingeräumt worden waren. Die vollständige Weigerung des Valens hielt ihren Vormarsch auf und offenbarte zugleich die Reue, das Misstrauen und die Ängste der kaiserlichen Ratgeber.
IHRE NOTLAGE UND UNZUFRIEDENHEIT · REBELLION
Ein ungeordnetes und heimatloses Volk von Barbaren verlangte nach fester und gewissenhafter Führung. Die tägliche Versorgung von fast einer Millionen von zusätzlichen Untertanen konnte nur durch eine zuverlässige und sorgfältige Logistik sichergestellt und durch Zufälle oder Fehler jederzeit unterbrochen werden. Die Anmaßung oder der Unwille der Goten, – es hing davon ab, ob sie sich als Gegenstand der Furcht oder der Verachtung betrachteten – mochte sie zu den äußersten Verzweiflungstaten treiben; und das Wohlergehen des Staates schien allein von der Zuverlässigkeit und der Umsicht der kaiserlichen Generäle abzuhängen. Zu diesem kritischen Zeitpunkt lag das Miltärkommando von Thrakien in den Händen von Lupicinus und Maximus, in deren elenden Seelen die allerkleinste Aussicht auf privaten Vorteil jede Rücksicht auf die Belange des Staates hintanstellte; und deren Schuld allenfalls dadurch gemildert wurde, dass sie zu dumm waren, die gefährlichen Auswirkungen ihrer unbedachten und kriminellen Maßnahmen einzuschätzen. Anstelle die Anordnung ihres Souveräns auszuführen und die Bedürfnisse der Goten mit leidlichem Anstand zu befriedigen, belegten sie die Wünsche der hungrigen Goten mit einer schamlosen Willkürsteuer. Noch das minderwertigste Essen wurde zu Wucherpreisen verkauft; und anstelle von gesunder und nahrhafter Kost gab es auf den Märkten allenfalls Fleisch von Hunden oder unreinen Tieren, welche an einer Krankheit verendet waren. Um den Gegenwert für ein Pfund Brot zu erhalten, mussten die Goten einen wertvollen, dienstfähigen Sklaven verkaufen; und eine geringe Menge Fleisch kaufte man für zehn Pfund eines wertvollen, jetzt aber nutzlosen Metalles. Decem libras; das Wort Silber muss richtig verstanden werden. Jordanes verrät hier die Denkweise und Vorurteile eines Goten. Die kleindenkenden Griechen Eunapios und Zosimos leugnen die Erpressung der Römer und verfluchen die Perfidie der Goten. Ammianus, der patriotische Historiker, nähert sich nur auf Umwegen und nicht gerne dem fatalen Gegenstand. Hieronymos, der fast die beste Darstellung gibt, ist objektiv, aber kurz angebunden: ›Per avaritiam Maximi ducis ad rebellionem fame coacti sunt.‹ [Infolge der Gier des Dux Maximus hat sie der Hunger zur Rebellion getrieben]. Als dann ihre Besitztümer aufgezehrt waren, treiben sie diesen Handel durch Verkauf ihrer Söhne und Töchter; und ungeachtet ihrer Freiheitsliebe, die noch jedes Goten Brust erhob, anerkannten sie die bittere Regel, dass es für ihre Kinder besser sei, als Sklaven zu überleben als in hilfloser und quälender Unabhängigkeit zu verderben.
Die lebhafteste Rachsucht wurde geweckt durch die Willkür dieser so genannten Wohltäter, welche mit Nachdruck eine Dankesschuld einfordern, die sie durch ihr Unrecht längst verwirkt hatten: Es erhob sich im Lager der Goten unmerklich der Geist der Unzufriedenheit, nachdem sie vergeblich die Gegenleistung für ihr pflichttreues Wohlverhalten gefordert und lauthals über die feindselige Behandlung durch ihre neuen Verbündeten Klage geführt hatten. Um sich herum sahen sie die Fülle und den Überfluss einer blühenden Provinz, in deren Mitte sie die unerträglichen Härten eines künstlich erzeugten Hungers zu erdulden hatten. Indessen verfügten sie über die Mittel, für Abhilfe zu sorgen oder Rache zu üben; denn die Raffgier ihrer Bedrücker hatte ihnen, dem bedrängten Volke, den Besitz und den Gebrauch ihrer Waffen gelassen. Die Empörungsschreie der Menge, die im Verhehlen ihrer wahren Gefühle wenig geübt war, ließen erste Symptome für Widerstand erkennen und beunruhigten die feigen und schuldbeladenen Seelen des Lupicinus und Maximus.
Diese beiden verschlagenen Minister, welche an Stelle von wohlberatener und heilsamer allgemeiner Politik sich nur auf kurzfristig-trickreiches Herauswinden verstanden, schickten sich an, die Goten von ihrer gefährlichen Stellung an der Reichsgrenze abzuziehen und sie auf verstreute Gebiete im Inneren der Provinz zu verteilen. Da ihnen aber bewusst war, wie übel sie den Respekt oder gar das Vertrauen der Barbaren gelohnt hatten, zogen sie von allen Seiten Truppen zusammen, die den zögerlichen und widerstrebenden Zug dieses Volkes beschleunigen sollten, das weder auf die Rechtstitel noch die Pflichten von Römischen Bürgern verzichtet hatte. Aber während die Generäle des Valens ihre ganze Aufmerksamkeit den murrenden Westgoten widmeten, entwaffneten sie unklugerweise die Schiffe und Festungsanlagen, welche die Verteidigung der Donau bildeten. Diese verhängnisvolle Dummheit bemerkten Alatheus und Saphrax, welche gespannt den günstigsten Moment abwarteten, den nachsetzenden Hunnen zu entkommen. Mit Hilfe von Flößen und Booten, soviel man sie eben in der Eile bereitstellen konnte, überquerten die Ostgoten mit König und Heer den Fluss, ohne Widerstand zu erfahren; und schlugen kühn ein feindliches und eigenständiges Lager auf dem Boden des Römischen Reiches auf. Ammianus 31,4 und 5.
REVOLTE DER GOTEN · IHRE ERSTEN SIEGE · FRITIGERN
Unter dem Status eines iudex hatten Alavivus und Fritigern die Westgoten in Kriegs- und Friedenszeiten angeführt; und die Autorität, auf die sie von Geburts wegen Ansruch erhoben, wurde durch die bereitwillige Zustimmung des Volkes gefestigt. In Zeiten der Ruhe waren ihre Macht und ihre Stellung annähernd gleich; als aber ihre Landsleute durch Hunger und Willkür zur Verzweiflung getrieben waren, beanspruchten Fritigerns überlegene Fähigkeiten das militärische Oberkommando, das er zum allgemeinen Besten auszuüben imstande war. Er widerstand der Ungeduld der Goten solange, bis das Unrecht und die Verbrechen der Unterdrücker ihren Widerstand in den Augen der Menschheit achtbar machten; er war allerdings nicht gemeint, irgendeinen handgreiflichen Vorteil hinzugeben, nur um sich für seine Mäßigung und Gerechtigkeit loben zu lassen. Er wusste genau, welchen Nutzen er aus der Vereinigung der gotischen Armeen unter eine Fahne ziehen würde und knüpfte unter der Hand freundschaftliche Bande mit den Ostgoten; und während er nach außen unbedingten Gehorsam gegenüber den Weisungen der römischen Generäle beobachtete, rückte er langsam nach Marcianopolis vor, der Hauptstadt von Moesia inferior, etwa siebzig Meilen südlich der Donau gelegen. An diesem fatalen Ort nun entzündeten sich die Flammen der Zwietracht und der gegenseitigen Abneigung zu einem furchtbaren Brand.
Lupicinus hatte die gotischen Häuptlinge zu einer Festveranstaltung eingeladen; und ihr kriegerisches Gefolge verblieb in voller Rüstung am Palasteingang. Die Tore der Stadt indessen waren streng bewacht; und den Barbaren blieb es unnachsichtig untersagt, auf dem reichhaltigen Markt einzukaufen, worauf sie wie alle Untertanen und Verbündeten Anspruch erhoben. Ihre demütig-freundlichen Bitten wurden mit unverschämtem Hohn abgewiesen; da sich nun ihre Geduld mittlerweile erschöpft hatte, kam es zwischen den Bürgern, den Soldaten und den Goten zu erregtem Wortwechsel und zu derben Beschuldigungen. Irgendjemand blies törichterweise die Kriegstrompete; schon war ein Schwert gezogen; und das erste Blut, das bei diesem Zufallstreffen floss, wurde das Eröffnungssignal eines langen und mörderischen Krieges. Lupicinus erhielt durch geheimen Boten während eines grölenden, ordinären Gelages die üble Zeitung, dass viele seiner Soldaten tot oder entwaffnet seien; und da der Wein ihn erhitzt und die Müdigkeit sein Denken noch mehr eingetrübt hatte als sonst, gab er Weisung, ihren Tod durch das Abschlachten der Leibwache von Atavivus und Fritigern zu rächen. Der Kampflärm und das Stöhnen der Sterbenden belehrten Fritigern über die Gefahr, in der er sich befand; da er aber das ruhige und furchtlose Gemüt eines Helden besaß, erkannte er, das er verloren sei, wenn er dem Mann, der ihm so großes Unrecht getan hatte, auch nur einen Moment zum Nachdenken gewährte.
»Es hat sich ein läppischer Zwischenfall«, so der gotische Feldherr mit ruhiger Bestimmtheit »zwischen unseren beiden Völkern ereignet; er kann aber unabsehbare Folgen haben, wenn der Tumult nicht augenblicklich durch unsere Anwesenheit und eine Sicherheitsgarantie für uns behoben wird.« Dann zogen Fritigern und seine Gefährten ihre Schwerter, bahnten sich durch die widerstandslose Menge ihren Weg durch den Palast, die Straßen und die Tore von Markianopolis, bestiegen in Eile ihre Pferde und galoppierten den verdutzten Römern davon. Wilder und fröhlicher Jubel empfing die beiden gotischen Generäle; man beschloss den Krieg, und der Beschluss wurde ohne Verzug ausgeführt; die Banner der Nation wurden nach dem Brauche der Väter entrollt; und die Luft erdröhnte von dem herben und misstönigen Schall gotischer Kriegsposaunen. »Vexillis de ›more‹ sublatis, auditisque ›triste sonantibus classicis‹.« [Sie erhoben dem Brauch gemäß ihre Feldzeichen und ließen die schaurigen Klänge der Kriegstrompeten hören...]. Ammianus 31,5. Dies sind Claudians ›rauca cornua‹ (In Rufinum 2,57), die gewaltigen Hörner des Ur oder Auerochsen, wie sie in den Kantonen Unterwalden und Uri in neuerer Zeit benutzt wurden. (Simler, De re publica Helvetiorum, 2, p. 201). Ihre Kriegsdrommete ist ansprechend, wenn wohl auch eher zufällig, in eine Beschreibung der Schlacht von Nancy (A.D. 1477) eingefügt. »Attendant le combat le dit cor fut corne par trois fois, tant que le vent du souffleur pouvoit durer: ce qui esbahit fort Monsieur de Bourgoigne; ›car deja a Morat l'avoit ouy‹.« [Dreimal wurde in Erwartung der Schlacht dieses Horn geblasen, solange der Bläser noch Atem hatte: dies entsetzte den Herzog von Burgund höchlich, denn derlei hatte er schon bei Murten gehört]. Siehe die Pièces Justificatives in der Quartausgabe von Philippe de Comines, Band 3, p. 493.
Der elende, schuldbeladene Lupicinus, der diesen fürchterlichen Feind zu provozieren gewagt und ihn zu vernichten unterlassen hatte und der ihn immer noch nicht ernst zu nehmen vorgab, marschierte den Goten an der Spitze einer Abteilung entgegen, wie er sie eben in dieser Notlage hatte zusammenraffen können. Neun Meilen vor Markianopolis warteten die Barbaren auf seine Ankunft; und bei dieser Gelegenheit entwickelten die Talente des Generals mehr Wirkung als die Waffen und die Disziplin der Truppen. Die gotischen Krieger wurden von Fritigern so geschickt eingesetzt, dass sie mit einer einzigen kraftvollen Attacke die Reihen der römischen Legionen auflösten. Lupicinus desertierte und überließ seine Tribunen und tapfersten Soldaten sich selbst; aber ihr nutzloser Mut diente nur dazu, die schäbige Flucht ihres Feldherrn zu decken.
»Jener siegreiche Tag setzte der römischen Sicherheit und der Not der Goten ein Ende: Von nun an gaben sich die Goten nicht mehr mit dem unsicheren Status der Fremden und Exilanten zufrieden, sie nahmen die Identität von Bürgern und Herren an, beanspruchten uneingeschränkte Verfügung über Siedlungsland und hielten die nördlichen Provinzen des Reiches, die an die Donau grenzen, in ihrem Besitz.« Soweit die Worte eines gotischen Historikers, Jordanes, Getica 26. Diese ›splendidi panni‹ (glänzende Fetzen) – was sie vergleichsweise wirklich sind – sind ohne Zweifel aus den größeren Gechichtswerken des Priscus, Ablabius oder Cassiodor entlehnt. der den Ruhm seiner Landsleute in ungehobelter Rede feiert. Aber die Barbaren übten ihre Herrschaft nur zum Zweck des Raubes und der Plünderung aus.
GOTEN DRINGEN IN THRAKIEN EIN
Da die Bediensteten des Kaisers die Goten der allgemeinen Segnungen der Natur beraubt und vom Verkehr mit der übrigen Menschheit abgeschnitten hatten, ließen sie die Reichsuntertanen dieses Unrecht büßen; und so musste der friedliche Ackerbürger Thrakiens für die Verbrechen des Lupicinus büßen, indem die Goten ihm seine Dörfer verbrannten und seine unschuldigen Familien ermordeten oder entführten. Rasch verbreitete sich die Nachricht vom Sieg der Goten über die umliegenden Landstriche; und obwohl dies die Römer mit Furcht und Unruhe erfüllte, trugen sie durch ihre unklugen und überhasteten Maßregeln dazu bei, Fritigers Macht und die Notlage der Provinz zu vergrößern.
Kurze Zeit nämlich vor der großen Wanderungswelle hatte das Reich einem starken Kontingent von Goten unter der Führung von Suerid und Colias Schutz und Aufnahme gegen entsprechende Dienste gewährt. › Cum populis suis longe ante suscepti.‹ [...mit ihren Völkern schon lange vorher aufgenommen]. Das genaue Datum und die näheren Umstände ihres Übertrittes sind uns unbekannt. Sie lagerten nun vor den Mauern von Adrianopolis: aber die Minister des Valens waren ängstlich darauf bedacht, sie auf die entgegengesetzte Seite des Hellespontes zu bringen, weit weg von der gefährlichen Versuchung, der sie aufgrund der Siege ihrer Landsleute und der Nähe zu ihnen leicht hätten erliegen können. Der freundliche Gehorsam, mit dem sie dem Marschbefehl nachkamen, hätte als Beweis für ihre Zuverlässigkeit eigentlich ausreichen müssen; und auch ihre Bitte um ausreichenden Proviant und zweitägigen Aufschub wurde mit gehörigem Respekt vorgetragen.
Aber der erste Magistrat von Adrianopolis, der sich wegen ein paar kleiner Vorfälle an seinem Landhaus über sie geärgert hatte, schlug selbst diese Kleinigkeiten aus; und indem er die Bürger und Handwerker dieser volkreichen Stadt zu den Waffen rief, drängte er mit feindlichem Fuchteln zu raschem Abmarsch. Die Barbaren standen schweigend und verdutzt, bis schließlich die kränkenden Zurufe und die Wurfgeschosse der Bevölkerung sie aufbrachten: als aber ihre Geduld und ihre Verachtung sich verbraucht hatten, griffen sie die ungeordnete Menge an, fügten vielen ihrer fliehenden Gegner schmachvolle Wunden auf dem Rücken zu und beraubten sie ihres wertvollsten Teiles ihrer Rüstung, In Adrianopolis gab es eine kaiserliche Schild-Fabrik; deren Waffenschmiede (Fabricenses) führten nun das Volk an. Valesius zu Ammianus 31,6. die zu tragen sie überhaupt nicht würdig waren.
Die Erinnerung an das vorige Leid und die Siege führte schon bald diese siegreichen Detachements mit den Westgoten zusammen; die Truppen des Colias und Suerid erwarteten die Ankunft des großen Fritiger, gliederten sich selbst unter seine Fahne und erwiesen sich bei der Belagerung von Adrianopolis als vorbildlich. Aber der Widerstand der Garnison belehrte die Barbaren schon bald dahingehend, dass die Anstrengungen eines nicht durch die Kriegskunst unterstützten Mutes nur selten Wirkung erzielen. Ihr General gestand seinen Irrtum ein, hob die Belagerung auf, erklärte, dass ›er mit steinernen Mauern Frieden halte.‹ Pacem sibi esse cum parietibus memorans. Ammianus 31,6. und ließ das benachbarte Land seine Enttäuschung vergelten.
Mit Freuden jedoch begrüßte er die Verstärkung durch die kräftigen Arbeiter, welche in den Goldminen Thrakiens Diese Minen lagen im Lande Bessi in den Bergen zwischen Philippi und Philopopolis; beides makedonische Städte, die ihren Namen vom Vater Alexanders d. Gr. erhielten. Aus den thrakischen Minen erhielt er jährlich den Gegenwert, nicht das Gewicht, von 1000 Talenten (200.000 Pfund); mit welcher Einkunft die Phalanx bezahlt und die griechischen Redner gekauft werden konnten. Siehe Diodoros Siculus, Band 2, p. 88; Gothofred, Kommentar zum Codex Theodosianus, Band 3, p. 496; Cellarius, Geographia Antiqua, Band 1, p. 676, 857; d'Anville, Géographie Ancienne, Band 1, p. 336. für einen gefühlsrohen Herren unter der Knute fronen mussten; Da diese Unglücklichen oft fortliefen, erließ Valens strenge Gesetze, um sie aus ihren Verstecken hervorzuziehen. Codex Theodosianus 10,19,5 und 7. und diese neuen Verbündeten führten die Barbaren auf Schleichwegen zu verborgenen Stellen, die man zum Schutze der Einwohner, des Viehs und der Getreidevorräte angelegt hatte. Mit solch kundigen Führern konnte nichts unerreichbar oder undurchdringlich bleiben; Widerstand wurde verhängnisvoll; und stille Unterwerfung hilfloser Unschuld fand nur selten Gnade vor den barbarischen Eroberern. Im Verlaufe dieser Plünderungen konnte viele betrübte Eltern ihre in die Sklaverei verkauften Kinder wieder in die Arme schließen; aber diese zärtlichen Szenen des Wiedersehens, welche in ihnen das Gefühl für Humanität hätten erwecken sollen, dienten lediglich dazu, ihre angeborene Wildheit durch Rachegelüste noch zu steigern. Mit begieriger Aufmerksamkeit hörten sie sich die Klagen ihrer Kinder an, welche von ihren hartherzigen oder perversen Herren Übles erduldet hatten; und so wurden die gleichen Grausamkeiten und die gleichen Entwürdigungen den Söhnen und Töchtern der Römer zuteil. Ammianus 31,5f. Der Historiker des Gotenkrieges vergeudet viel Zeit und Platz durch die überflüssige Wiederholung früherer Barbareneinfälle.
VERLAUF DES GOTHISCHEN KRIEGES A.D. 377
Die Unfähogkeit des Valens und seiner Minister hatten mitten in das Römische Reich ein feindliches Volk gepflanzt; aber die Westgoten hätten auch jetzt noch durch das offene Bekenntnis früherer Irrtümer sowie durch ehrliche Einlösung vormals eingegangener Verpflichtungen versöhnt werden können. Diese heilsamen und befriedenden Maßnamen schienen auch mit der furchtsamen Veranlagung des Ost-Kaisers zusammen zu passen; aber ausgerechnet bei dieser einen Gelegenheit lechzte Valens nach praktiziertem Heldentum. Und diese üble Anwandlung von Mut wurde für ihn und seine Untertanen verhängnisvoll. Er erklärte seine Absicht, von Antiochia nach Konstantinopel zu marschieren, um diese gefährliche Rebellion zu dämpfen; und da er sich der Gefahr des Unternehmens durchaus bewusst war, erbat er auch die Hilfe seines Neffen, des Kaisers Gratian, der sämtliche Truppen des Westens befehligte. Die Veteranenarmeen wurden eilends von der Verteidigung Armeniens zurück beordert; diese wichtige Grenze stand nun Sapors Willkür offen; die unverzügliche Weiterführung des Gotenkrieges wurde in Valens' Abwesenheit Trajan und Profuturus übertragen, welche beiden Generäle über ihre eigenen Fähigkeiten eine falsche und entschieden zu günstige Meinung hegten.
Bei ihrer Ankunft in Thrakien schloss sich ihnen Ricomer an, der comes der Hausbediensteten; und die Hilfstruppen des Westens, die unter seiner Fahne marschierten, wurden aus gallischen Legionen gebildet, die allerdings wegen der allgemeinen Neigung zur Desertion nur noch aus Zahl und Masse bestanden. In einem Kriegsrat, bei dem mehr pompöses Auftreten als Sachverstand den Vorsitz führten, beschloss man, die Barbaren zu suchen und anzugreifen, welche auf geräumiger und grasreicher Wiese am südlichsten der sechs Mündungsarme der Donau ihr Feldlager bezogen hatten. Itinerarium des Antoninus (Wesseling, Itinera p. 226f.). Dieser Platz lag sechzig Meilen nördlich von Tomi, dem Exilort von Ovid: und der Name salices (Weiden) gibt hinlänglich Auskunft über die Beschaffenheit des Bodens. Dieses Biwak war in üblicher Weise von Wagen umgeben; Diese Wagenburg, die carrago, war die übliche Verteidigung der Barbaren (Vegetius, Epitoma rei militaris 3,10; Valesius zu Ammianus 31,7). Auch ihre Nachfahren behielten Namen und Übung bis etwa ins fünfzehnte Jahrhundert bei. Der Charroy, der den Ost umrundet hat, ist den Lesern von Froissard oder Comines geläufig. und die Barbaren, geborgen in diesem gewaltigen Schutzrund, freuten sich der Früchte ihrer Stärke und ihrer Raubzüge in der Provinz.
Inmitten der allgemeinen lärmenden Ausgelassenheit beobachtete nur der wachsame Fritigern die Bewegungen der Römer und erriet ihre Pläne. Er bemerkte, wie die Anzahl der Feinde ständig wuchs; und da er erkannte, dass sie seinen Nachtrab angreifen wollten, sobald Futtermangel sie zur Aufgabe des Lagers nötigen würde, ließ er die Abteilungen, die in der Umgebung auf Beutezug waren, wieder zurückbeordern. Sobald sie das Signalfeuer Statim ut accensi malleoli. Ich habe den Ausdruck wörtlich im Sinne von Brandpfeile oder Signalfeuer verwendet: aber mich beschleicht der Verdacht, dass es sich hier um eine dieser aufgeblasenen Metaphern und falschen Schmuck-Wörter handelt, welche den Stil des Ammianus zwischendurch so ungenießbar machen. erblickten, gehorchten sie mit unfassbarer Schnelligkeit den Anweisungen ihres Anführers; schon füllte sich das Lager mit kriegerischen Barbarenhorden; mit Ungeduld verlangten sie nach Kampf, und ihre geräuschvolle Begeisterung wurde vom Feuer ihres Häuptlings noch zusätzlich erhitzt; und die beiden Armeen rüsteten sich zur Schlacht, die allerdings bis auf den nächsten Tag verschoben wurde. Während die Signalhörner zum Kampfe riefen, versicherten sich die Goten noch einmal durch einen feierlichen Eid ihres unbeugsamen Mutes; als sie dann auf den Feind losmarschierten, mischten sich unter die rauen Gesänge, die den Ruhm ihrer Väter kündeten, noch ihre wilden und misstönigen Kampfesschreie und bildeten so eine Art Kontrast zu der künstlichen Harmonie des römischen Feldgeschreies.
Fritigern entwickelte einiges militärische Geschick, um den Angriff der Feinde aufzuhalten; aber der blutige Kampf, der von Sonnenaufgang bis -untergang dauerte, wurde auf beiden Seiten mit individueller Stärke, Mut und Gewandtheit geführt. Die Legionen von Armenien wurden dem Ruhm ihrer Waffen gerecht; aber der unwiderstehliche Druck der feindlichen Massen drängte sie doch zurück; der linke Flügel der Römer geriet in Auflösung, und auf dem Felde lagen ihre Körper verstreut. Die teilweise Niederlage wurde jedoch durch teilweisen Erfolg wettgemacht; und als die beiden Armeen am späten Abend in ihre jeweiligen Lager zurückkehrten, konnte keine Seite die Ehre oder die Folgen eines entscheidenden Sieges für sich beanspruchen. Die eigentlichen Verluste wurden von den Römer wegen ihrer geringeren Truppenstärke schmerzlicher gefühlt; aber die Goten waren durch die tapfere und wohl auch unerwartete Gegenwehr so tief bestürzt und niedergeschlagen, dass sie sieben Tage in ihrer Wagenburg verblieben. Einigen Offizieren von Rang begrub man auf pietätvoll-anständige Weise, wie Zeit und Umstände es eben zuließen; aber die Masse der einfachen Soldaten blieb unbestattet auf dem Felde liegen. Raubvögel, die zu jenen Zeiten oft und reichliche Gelegenheit zu üppigem Mahle erhielten, verschlangen gierig ihr Fleisch; und noch viele Jahre später boten die bleichen und nackten Skelette den Augen des Ammianus ein entsetzliches Denkmal der Schlacht von Salices. ›Indicant nunc usque albentes ossibus campi.‹ [Bis heute weisen die von Knochen weißen Gefilde auf das Schlachtfeld hin]. Ammianus 31,7. Der Historiker kann die Ebene entweder als Soldat oder als Reisender gesehen haben. Aber seine Bescheidenheit hat alle Nachrichten seines eigenen Lebens nach den Perserkriegen des Constantius und Julian verschwiegen. Wir wissen nicht, wann er den Dienst quittierte und nach Rom zurückkehrte, wo er dann die Geschichte seiner Zeit geschrieben zu haben scheint.
GOTEN UND HUNNEN SCHLIESSEN SICH ZUSAMMEN
Der Zug der Goten wurde durch den unentschiedenen Ausgang dieses blutigen Tages aufgehalten; und die kaiserlichen Generäle, deren Armee bei einem zweiten Gefecht dieser Art wohl völlig aufgerieben worden wäre, fassten den wohlerwogenen Plan, die Barbaren an ihren Bedürfnisse und ihrer eigenen Größe zugrunde gehen zu lassen. Sie schickten sich an, die Westgoten auf dem engen Dreieck zwischen Donau, skythischer Wüste und dem Haemusgebirge festzuhalten, bis durch die unausweichliche Wirkung des Hungers ihre Kräfte und ihr Mut erschöpft wären. Man verfolgte den Plan mit Nachdruck und einigem Erfolg; fast hatten die Barbaren ihre eigenen Magazine und die Ernte des Landes aufgezehrt; und schon war der Heermeister Saturninus in weiser Umsicht damit befasst, die römischen Festungsanlagen zu verstärken und ihren Umfang zu verringern.
Jedoch wurden diese Vorbereitungen durch die alarmierende Nachricht unterbrochen, dass ein neuer Schwarm Barbaren die unbewachte Donau überschritten habe und sich anschickte, Fritigerns Sache beizutreten oder wenigstens seinem Beispiel nachzueifern. Die begründete Sorge, er selbst möchte nunmehr von unbekannten und feindlichen Völkern umzingelt und überwältigt werden, vermochten Saturninus, die Umzingelung des gotischen Lagers aufzugeben: und die aufgebrachten Westgoten brachen aus ihrer Beengung hervor und befriedigten ihr Ess- und Rachegelüste, indem sie den fruchtbaren Landstrich, der sich über dreihundert Meilen zwischen Donau und Hellespont dehnt, Ammianus 31,8. wiederholt verwüsteten. Scharfsichtig und erfolgreich hatte sich Fritigern der Herzensneigungen und der vitalen Interessen seiner barbarischen Verbündeten bedient: ihre Raublust und ihr Hass auf Rom sekundierten der Redegewandtheit seiner Abgesandten, kamen ihr vermutlich sogar zuvor. Und so begründete er eine unbedingte und nutzbringende Allianz mit der großen Masse seiner Stammverwandten, die dem Alatheus und Saphrax, den Vormündern ihres unmündigen Königs, im Gehorsam folgten; angesichts der gemeinsamen Interessen verstummten die alten Animositäten zwischen den verfeindeten Stämmen; die Freien beider Völker scharten sich unter einem Banner; und es scheint, dass die Häuptlinge der Ostgoten den überlegenen Geist des westgotischen Feldherren anerkannten.
Er erhielt zusätzlich noch die fürchterliche Hilfe der Taifalae, deren Ruhm als Kämpfer durch ihr allgemein bekanntes Brauchtum verdunkelt wurde. Jeder Jugendliche wurde bei seinem Eintritt in die Welt durch die ehrenhafte Freundschaft und die abnorme Liebe zu einem Stammeskrieger mit Beschlag belegt; Erlösung aus dieser widernatürlichen Verbindung konnte er erst dann erhoffen, wenn er seine Mannbarkeit durch eigenhändiges Erlegen eines großen Bären oder Wildebers im Walde nachgewiesen hatte. › Hanc Taifalorum gentem turpem, et obscenae vitae flagitiis ita accipimus mersam, ut apud eos nefandi concubitus foedere copulentur maribus puberes, aetatis viriditatem in eorum pollutis usibus consumpturi. Porro, si qui iam adultus aprum exceperit solus, vel interemerit ursum immanem, colluvione liberatur incesti.‹ [Wir hören, dass dieses schandbare Taifalenvolk so tief in sittenlosem Leben versunken ist, dass bei ihnen heranwachsende Knaben sich mit Männern zu ruchloser Beiwohnung vereinen und ihre Jugendblüte durch solchen lasterhaften Verkehr dahingeben. Wenn aber ein solcher Jungmann alleine einen Eber oder einen großen Bären erlegt, dann ist er von dem Unrat dieser Zuchtlosigkeit befreit]. Ammianus 31,9. Auch unter den Griechen und insbesondere den Kretern wurden heilige Freundschaftsbande durch widernatürliche Liebe gefestigt und besudelt. Aber die stärkste Unterstützung erhielten die Goten ausgerechnet aus dem Lager jenes Volkes, das sie aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Die lockere Abhängigkeit und das umfangreiche Herrschaftsgebiet der Hunnen und Alanen hemmten den siegreichen Vormarsch und erschwerten die gemeinsame Beschlussfassung dieses Volkes. Fritigerns großzügige Versprechen verlockten zahlreiche Horden; und die schnelle Reiterei der Skythen verlieh der kühnen Angriffswucht der gotischen Infanterie zusätzlichen Nachdruck. Die Sarmaten, welche die Niederlage durch Valentinian immer noch nicht vergessen hatten, freuten sich der allgemeinen Konfusion und mehrten sie noch; und sehr gelegen kam auch die Invasion der Alamannen nach Gallien, da sie zusätzlich die Aufmerksamkeit des Kaisers des Westens in Anspruch nahm und seine Kräfte zersplitterte. Ammianus 31,8 und 9. Hieronymus (Opera, Band 1, p. 26) nennt alle Völker und spricht von einer zwanzigjährigen Zeit der Not. Dieser Brief an Heliodor stammt aus dem Jahre 397. Tillemont, Memoires ecclésiastiques, Band 12, p. 645.
SIEG ÜBER DIE ALAMANNEN BEI COLMAR · MAI 378
Eine der gefährlichsten Konsequenzen, die sich aus der Übernahme von Barbaren in den Heeres- oder Palastdienst ergab, war der Kontakt, den sie zu ihren feindlichen Landsleuten aufrecht erhielten und denen sie unkluger- oder bösartigerweise die Schwächen des Römischen Reiches entdeckten. Ein Soldat aus der Leibwache des Gratian stammte aus dem Volk der Alamannen und dem Stamme der Lentienser, welcher in der Nähe des Bodensees siedelte. Wegen einiger privater Angelegenheiten hatte er Urlaub genommen. Während seines kurzen Besuches bei Freunden und Familie war er ihren neugierigen Fragen ausgesetzt; und die arglose Geschwätzigkeit dieses Landsknechtes bewirkte, dass er in seiner Eitelkeit die intimen Kenntnisse der Staatsgeheimnisse und der Pläne seines Herren preisgab. Die Kunde, dass Gratian sich anschickte, die Legionen Galliens und des Westens seinem Onkel Valens zur Hilfe zu schicken, gab den umtriebigen Alamannen wertvolle Fingerzeige für den richtigen Zeitpunkt und für die richtige Vorgehensweise zu einer erfolgreichen Invasion. Die Streifzüge einiger kleinerer Detachements, die im Februar den zugefrorenen Rhein überquerten, waren nur das Präludium zu einem ernsterem Krieg. Die kühnsten Erwartungen von Raub und sogar Eroberung drängten vernünftelnde Bedenken oder nationale Rücksichten zurück. Jeder Weiler und jede Siedlung stellte eine Gruppe hartgesottener Abenteurer; und so schätzte die Furcht der Bevölkerung die große Armee der Alamannen auf vierzigtausend Mann, woraus später die haltlose und leichtgläubige Schmeichelei des Kaiserhofes siebzigtausend machte.
Die Legionen, die Marschbefehl nach Pannonien erhalten hatten, wurden unverzüglich zurückbeordert oder gestoppt, um Gallien zu schützen; in den Oberbefehl teilten sich Nanienus und Mellobaudes; der jugendliche Kaiser ehrte und achtete zwar die lange Erfahrung und abgeklärte Weisheit des Erstgenannten, neigte aber dennoch dazu, den kriegerischen Eifer seines Kollegen zu bevorzugen, welcher die unvereinbaren Ämter eines comes domesticorum und Königs der Franken in sich vereinte. Sein Gegner Priarius, der König der Alamannen, war von ähnlich hitziger Gemütsart, die sein Handeln anleitete oder besser: vorantrieb; und da nun auch die Heerscharen von gleichem Feuer beseelt waren wie ihre Anführer, suchten sie sich, trafen sich und kämpften gegeneinander bei Argentaria oder Colmar Das Schlachtfeld Argentaria oder Argentovaria wird von Herrn d'Anville (Notice de l'ancienne Gaule, p. 96-99) genau lokalisiert: dreiundzwanzig gallische Leugen oder vierunddreißig und eine halbe römische Meilen südlich von Straßburg. Auf seinen Ruinen ist die benachbarte Stadt Colmar erwachsen. in den Ebenen des Elsass. Den Tag entschieden unbestritten die Wurfgeschosse und die wohlgeübten Manöver des römischen Heeres; die Alamannen, die lange Widerstand geleistet hatten, wurden schließlich gnadenlos niedergemacht; ganze fünftausend Barbaren entkamen in umliegende Berge und Wälder; und nur der ruhmreiche Schlachtentod ihres Königs bewahrte ihn vor den Vorwürfen derjenigen, die stets bei der Hand sind, nach einem verlorenen Krieg die Politik des Verlierers als verfehlt zu bekritteln.
Nach diesem entscheidenden Siege, der den Frieden in Gallien und die Vormacht der römischen Waffen sicherstellte, schickte sich Gratian an, ohne Verzug seinen Feldzug in den Osten fortzusetzen; als er aber an die Grenzen der Alamannen gelangte, bog er unvermittelt nach Links, überraschte sie mit einer Rheinüberquerung und drang kühn ins Herz ihres Landes vor. Diesem Vormarsch stellten die Barbaren die Hindernisse entgegen, die die Landesnatur und ihr Mut ihnen bereitstellten; und solange zogen sie sich von Hügel zu Hügel zurück, bis sie sich nach zahlreichen Versuchen schließlich von der Stärke und Hartnäckigkeit ihrer Feinde überzeugt hatten. Ihre Unterwerfung wurde angenommen, selbstverständlich nicht als Zeichen der aufrichtigen Reue, sondern nur der augenblicklichen Erschöpfung; und eine erlesene Schar der besten und stärksten Jugend dieser ungetreuen Nation wurde abgenötigt als das zuverlässigste Unterpfand künftigen Wohlverhaltens.
Die Reichsuntertanen, die die abgesicherte Erfahrung gemacht hatten, dass die Alamannen sich weder durch Waffengewalt dämpfen noch durch Verträge binden ließen, haben sich auch wohl keine fundierte und langdauernde Ruhe erwartet: aber zumindest in den Tugenden ihres jugendlichen Herrschers entdeckten sie Hinweise auf eine lange und glückliche Regierung. Als die Legionen die Berge stürmten und die Befestigungen der Barbaren schleiften, war Gratian stets an vorderster Front zu sehen; und die vergoldeten und buntscheckigen Rüstungen seiner Leibwache waren durchstochen und zerwirkt von den Hieben, die sie infolge ihrer beständigen Nähe zu der Person ihres Herren regelmäßig empfingen. Im Alter von neunzehn Jahren ließ der Sohn des Valentinian die Begabung zum Krieg und zum Frieden erkennen; und seinen persönlichen Erfolg gegen die Alamannen deutete man als gutes Omen für seinen anstehenden Triumph über die Goten. Ammianus' vollständiger und objektiver Bericht (31,10) wird noch zusätzlich erhellt durch Victors Epitome, die Chronik des Hieronymos und Orosius' Historiae (7,33).
VALENS MARSCHIERT GEGEN DIE GOTEN · 30. MAI - 11. JUNI 378
Während Gratian sich noch in dem verdienten Beifall seiner Untertanen sonnte, hatte Kaiser Valens – endlich – seinen Hof und seine Armee aus Antiochia abgezogen und war von der Bevölkerung Konstantinopels als der Verursacher der staatlichen Notlage empfangen worden. Bevor er sich für zehn Tage in der Hauptstadt niedergelassen konnte, der Ruhe zu pflegen, forderte ihn der ordinäre Lärm der Pferderennbahn auf, gegen die Barbaren loszuziehen, die er schließlich ins Land geladen hatte: und mit festen Zutrauen erklärten die Bürger, die wie üblich mit zunehmender Entfernung von der eigentlichen Gefahr sich umso tapferer aufführten, dass sie, wenn sie nur Waffen hätten, aus eigener Kraft die Provinz von dem Wüten dieses dreisten Feindes befreien wollten › Moratus paucissimos dies, seditione popularium levium pulsus.‹ [Er verweilte nur sehr wenige Tage und dämpfte eine leichte Empörung des Volkes]. Ammianus 31,11. Sokrates, (4,38) bietet Daten und weitere Begleitumstände. Diese leeren Anwürfe einer ahnungslosen Menge beschleunigten den Untergang des Römischen Reiches: sie provozierten Valens zu überstürztem Handeln, da es ihm an Selbstbewusstsein und Gemütsfestigkeit mangelte, diese öffentliche Geringschätzung mit Gelassenheit zu ertragen. Die erfolgreichen Unternehmungen seiner Generäle bewirkten, dass er die Goten, die sich in der Nähe von Adrianopolis unter Fritigerns Kommando zusammenschlossen, nicht mehr recht ernst nahm. Der wachsame Frigerid hatte den Vormarsch der Taifalen erfolgreich aufgehalten; ihr König war in der Schlacht gefallen; und die Gefangenen, die um Gnade gebeten hatten, wurden nach Italien geschickt, um die verödeten Landstriche um Modena und Parma unter den Pflug zu nehmen. ›Vivosque omnes circa Mutinam, Regiumque, et Parmam, Italica oppida, rura culturos exterminavit.‹ [Alle Überlebenden siedelte er in der Umgebung der italienischen Städte Mutina, Regium und Parma als Bauern an]. Ammianus, 31,9. Diese Städte und Distrikte befanden sich zehn Jahre nach ihrer Besiedlung mit den Taifalen in einem vollständig verwilderten Zustand. Siehe Muratori, Dissertazioni sopra le Antichita Italiane, Band 1, Dissertatio 21, p. 354.
Die Vorstöße des Sebastian, Ammianus 31, 33; Zosimos (4,23) lässt sich weitschweifig über Sebastians Unternehmungen aus, fertigt aber die entscheidende Schlacht von Adrianopolis nur in ein paar Zeilen ab. Folgt man den kirchlichen Wissenschaftlern, welche Sebastian hassen, dann bedeutet das Lob des Zosimos eine Beleidigung (Tillemont, Histoire des empereurs, Band 5, p.121). Seine Vorurteile und Unkenntnis qualifizieren ihn zweifellos nicht dazu, Verdienste zu beurteilen. der erst kürzlich in den Dienst des Valens getreten war und im Rang eines Heermeisters der Infanterie stand, waren für ihn selbst höchst ehrenvoll und für den Staat nützlich. Er hatte die Erlaubnis erhalten, sich aus jeder Legion dreihundert Mann auswählen zu dürfen; und diese Sonderabteilung hatte schon bald eine Manneszucht und Kampfkraft erreicht, wie man sie unter Valens so bald nicht finden mochte. Unter Sebastians kühner Führung wurde ein großes Kontingent von Goten im Lager überrumpelt: Und die unermessliche Beute füllte alsbald die Stadt Adrianopolis und die umliegenden Ebenen. Die Zeitung des Sieges, die der General daraufhin verbreiten ließ, schreckte den kaiserlichen Hof auf wie immer, wenn überlegenes Verdienst erkennbar wird; und obwohl er behutsam die Schwierigkeiten des gotischen Krieges hervorhob, hörte man nicht auf seinen Rat, wenn man auch sein Loblied sang; und Valens, der den Einflüsterungen der Palasteunuchen mit Hingabe lauschte, verlangte nun selbst heftig darnach, den Ruhm für einen leichten und unzweifelhaften Sieg einzustreichen.
Die Armee wurde durch bedeutende Abteilungen erprobter Krieger verstärkt; und den Marsch von Konstantinopel nach Adrianopolis leitete er mit soviel Umsicht, dass er sogar das Vorhaben der Barbaren vereiteln konnte, welche einen Angriff auf die mittlere Marschkolonne planten und dabei entweder die Truppen selbst vernichten oder doch wenigstens ihre Vorräte erbeuten wollten. Das Lager des Valens, das er vor den Toren von Adrianopolis anlegen ließ, wurde nach römischem Brauch mit Graben und Palisaden befestigt; und ein hochwichtiger Kriegsrat wurde einberufen, der über das Schicksal von Kaiser und Reich entscheiden sollte. Viktor vertrat mit Nachdruck die Stimme der Vernunft und des Hinhaltens; er hatte sich aus eigener Wissenschaft ein zutreffendes Bild von der angeborenen Wildheit der Sarmaten machen können. Sebastian hingegen, dem die elastische und servile Beredsamkeit eines Höflings zu Gebote stand, wusste alle Vorsichtsmaßnahmen und alles Zweifeln an dem bevorstehenden Sieg als unvereinbar mit dem Mute und der Größe Ihrer unbesiegbaren Majestät darzustellen. Der Untergang des Valens wurde noch beschleunigt von Fritigerns listenreichen Kunstgriffen und durch die Vorschläge an die Adresse des Kaisers des Westens.
Dass Verhandlungen mitten im Kriege Vorteile mit sich bringen, hatte der General der Barbaren mit Genauigkeit erkannt; und so wurde ein Vertreter der christlichen Kirche entsandt, ein heiliger Friedensbote, die Pläne des Feindes zu ergründen und zu hintertreiben. Der Botschafter der gotischen Nation malte ein eindringliches und zutreffendes Bild von ihrer Notlage und Kränkung; stellte im Namen von Fritigern dar, dass dieser immer noch geneigt sei, die Waffen niederzulegen und sie nur zur Verteidigung des Reiches aufzuheben, wenn er für seine wandernden Landsleute Siedlungsland in den Weiten Thrakiens und ausreichend Getreide und Vieh erhielte. Dann allerdings gab er mit vertraulich gedämpfter Stimme den freundschaftlichen Wink, dass die aufgebrachten Barbaren diesen Vernunftgründen mittlerweile nicht mehr recht zugänglich seien; und dass es zweifelhaft sei, ob Fritigern wirklich den erwünschten Friedensschluss werde zu Stande bringen können, wenn ihm nicht die Gegenwart einer kaiserliche Armee als Drohwerkzeug zur Seite stehe.
Etwa zu dieser Zeit kam auch der comes Rikomer aus dem Westen, seinen Sieg über die Alamannen zu verkünden; Valens mitzuteilen, dass sein Neffe in großen Tagesmärschen an der Spitze der siegreichen gallischen Veteranenarmee herannahe; und im Namen von Gratian darum zu ersuchen, von jedem gefährlichen und entscheidenden Schritt abzustehen, bis die Vereinigung der beiden Kaiser mit ihren Heeren die Entscheidung im Gotenkrieg sicherstellen werde. Aber der erbärmliche Herrscher des Ostens ließ sich ausschließlich von den verhängnisvollen Wahnbildern seiner Eitelkeit und seiner Eifersucht leiten. So verwarf er den ungelegenen Rat; wies das demütigende Hilfsangebot zurück; verglich heimlich die schmachvolle oder doch wenigstens ruhmlose eigene Regierungszeit mit dem Prestige des bartlosen Knaben: und Valens stürmte ins Feld, seinen Ruhm zu begründen, bevor die Bestrebungen seines Mitregenten ihm irgendeinen Anteil am Sieg dieses Tages stehlen konnten.
DIE SCHLACHT VON ADRIANOPOLIS · 9.AUGUST A.D. 378
Am neunten August, einem Tag, der einer der schwärzesten Tage des römischen Kalenders Ammianus (31,12 und 13) beschreibt als einziger die Beratschlagungen und die Maßnahmen, die der verhängnisvollen Schlacht von Adrianopolis vorangegangen waren. Wir mögen seine stilistischen Sünden tadeln und seine ungeordnete Erzählweise; doch nun müssen wir uns von diesem überparteilichen Historiker verabschieden, und unser Bedauern über diesen unersetzlichen Verlust bringt jedwede Kritik zum Schweigen. genannt zu werden verdient, ließ Kaiser Valens unter strenger Bewachung Gepäck und Kriegskasse zurück und brach von Adrianapolis auf, um die Goten anzugreifen, welche zwölf Meilen von der Stadt entfernt ihr Lager bezogen hatten. Der Unterschied zwischen den acht Meilen des Ammianus und den zwölf des Idatius können nur solche Gelehrte verwirren (Valesius ad locum), welche vermuten, dass eine große Armee so etwas wie ein mathematischer Punkt sei, ohne Größe und Ausdehnung. Ob nun einige Befehle falsch verstanden wurden, oder das Gelände nicht hinreihend bekannt war; der rechte Flügel der Kavallerie hatte den Feind bereits in Sicht, während der linke noch in beträchtlicher Entfernung zurück lag; die Infanterie war daher trotz der schwülen Sommerhitze genötigt, ihren Marsch noch mehr zu beschleunigen; aber sie Schlachtordnung wurde nur unter großer Konfusion und mit unverzeihlicher Verzögerung hergestellt.
Die gotische Kavallerie hatte sich auf die umgebenden Landstriche zum Fouragieren verteilt; und Fritigern übte sich neuerlich in seinen vertrauten Künsten. Friedensboten wurden ausgesandt, Vorschläge unterbreitet, Geiseln verlangt und überhaupt die Zeit hingebracht, bis die Römer, schutzlos den glühenden Sonnenstrahlen ausgesetzt, vor Durst, Hunger und völliger Erschöpfung fast vergingen. Der Kaiser ließ sich bereden, einen Boten in das Lager der Goten abzufertigen; Ricomers Bereitschaft, sich als einziger dieser heiklen Mission zu unterziehen, wurde mit Beifall aufgenommen: angetan mit den Insignien seiner hohen Würde, war des comes domesticorum bereits ein kleines Stück Weges zum Lager des Feinde vorangekommen, als ihn plötzlicher Schlachtenlärm zurückrief. Die vorschnelle und unkluge Attacke hatte der Iberer Bacurius zu verantworten, welcher ein Kontingent von Bogenschützen und Leichtbewaffneten befehligte; und so, wie sie in Eile vorwärts stürmten, zogen sie sich schimpflich und mit Verlusten zurück. In diesem Augenblick stürmten die fliegenden Schwadrone von Alatheus und Saphrax, auf deren Ankunft der General der Goten mit ängstlicher Ungeduld gewartet hatte, wie ein Wirbelwind hügelabwärts und durch die Ebene und verliehen der ungeordneten, aber eben auch unwiderstehlichen Angriffswelle der Barbaren fürchterlichen Nachdruck.
VOLLSTÄNDIGE NIEDERLAGE DER RÖMER
Der Verlauf der Schlacht von Adrianopolis, die für den Kaiser und das Reich so verhängnisvoll endete, kann in ein paar Zeilen zusammengefasst werden: die römische Kavallerie in panischer Flucht; die Infanterie auf sich gestellt, umzingelt und niedergehauen; die geschicktesten Manöver und der stärkste Mut reichen kaum hin, eine Infanterieabteilung herauszuhauen, wenn sie auf offenem Felde von einer überlegenen Anzahl von Reiterei umzingelt ist. Die Truppen des Valens, vom Feinde und ihrer eigenen Furcht bedrängt, standen auf engstem Raume, wo es ihnen unmöglich wurde, sich in Schlachtordnung zu postieren oder wenigsten ihre Schwerter oder Wurfspieße mit leidlicher Wirkung einzusetzen.
Mitten im Gewühle, Gemetzel und der allgemeinen Not suchte der Kaiser, von seiner Garde verlassen und, wie vermutet wird, von einem Pfeil verwundet, Schutz bei den Lanzenträgern und Mattiarii (Soldaten mit kurzschäftigen Wurfgeschossen), die noch in einiger Ordnung und erkennbarem Widerstand an ihrem Platz aushielten. Seine treuen Generäle, Trajan und Victor, die seine Gefahr erkannten, riefen lauthals, dass nichts verloren sei, solange die Person der Kaisers noch zu retten sei. Einige Abteilungen, die ihre Zurufe aufgeschreckt hatten, eilten ihm zu Hilfe: sie fanden nur noch blutigen Grund, bedeckt mit einem Berg von zerhauenen Gliedern und verstümmelten Körpern; unmöglich konnten sie hier ihren unglücklichen Herrscher ausfindig machen, weder unter den Lebenden noch unter den Toten. Ihre Suche konnte auch nicht erfolgreich sein, wenn einige von den zeitgenössischen Historikern erzählte Einzelheiten zum Tode des Kaisers denn wahr sind. Dank der Fürsorge seiner Adjutanten wurde Valens vom Schlachtfeld in eine nahe gelegene Hütte gebracht, wo man seine Wunde versorgen und Vorkehrungen für seine künftige Sicherheit treffen wollte.
TOD DES VALENS
Aber in einem Nu hatten die Feinde dieses schlichte Refugium umzingelt; sie versuchten die Tür zu sprengen; als sie vom Dach durch Pfeile unter Beschuss genommen wurden, wurden sie aufgebracht; und schließlich, verärgert über die Verzögerung, steckten sie einen Haufen Reisig in Brand und verzehrten so die Hütte nebst dem Kaiser und seinem Anhang. Valens verdarb in den Flammen; ein Jugendlicher, der sich durch das Fenster gerettet hatte, entkam als einziger, dass er die traurige Geschichte anzusage und die Goten darüber aufzukläre, welche unschätzbare Trophäe sie durch ihre eigene Dummheit verloren hatten. Zahlreiche tapfere und bewährte Offiziere kamen in der Schlacht von Adrianopolis ums Leben, welche der Katastrophe, die die Römer einst bei Cannae › Nec ulla, annalibus, praeter Cannensem pugnam, ita ad internecionem res legitur gesta.‹ [Außer der Schlacht von Cannae ist in den Annalen keine derartig verlustreiche Niederlage verzeichnet]. Ammianus 31,13. Der ernste Polybios lässt der Walstatt von Cannae nicht mehr als 370 Reiter und 3000 Infanteriesoldaten entkommen: 10.000 Gefangene wurden gemacht. Die Zahl der Gefallenen wird mit 5630 Reitern und 70.000 Fußsoldaten angegeben. Livius (22,49) ist da etwas weniger blutig: er tötet nur 2700 Reiter und 40.000 Mann Infanterie. Die römische Armee hatte insgesamt 87.200 Mann Kampftruppe (22,36). erlitten, hinsichtlich der Verluste gleichkommt und hinsichtlich der politischen Folgen bedeutend übertrifft. Zwei Heermeister der Infanterie und der Kavallerie, zwei hochrangige Palastoffiziere und fünfunddreißig Tribunen fand man unter den Toten; und der Tod Sebastians mochte die Welt dahin zufrieden stellen, dass er, der Urheber dieses Notstandes, nun auch sein Opfer geworden war. Mehr als zwei Drittel der römischen Armee waren untergegangen; und so wurde die hereinbrechende Nacht geradezu begrüßt, da die Dunkelheit die Flucht der überlebenden Massen gnädig verhüllte und den halbwegs geordneten Rückzig von Victor und Ricomer deckte, welche in der allgemeinen Auflösung als einzige kalten Mut und die vorgeschriebene Disziplin beobachteten. Etwas schwaches Licht erhalten wir von Hieronymos (Opera Band 1, 26 und Chronicum p. 188), Victor (Epitome 47), Orosius (7,33), Jornanes (27), Zosimos (4,24, Sokrates (4,38), Sozomenos (6,40), Hydatius (Chronica). Aber ihr gemeinsames Zeugnis ist, gewogen gegen den einen Ammianus Marcellinus, unergiebig und von geringem Gewicht.
TOTENREDE DES LIBANIOS AUF VALENS UND SEINE ARMEE
Während Trauer und Schrecken noch die vorherrschenden Gemütszustände waren, schrieb der berühmteste Redner der Zeit eine Grabesrede auf die untergegangene Armee und den unpopulären Kaiser, dessen Thron bereits ein Fremder innehatte. ›Es werden jetzt die nicht ausbleiben,‹ so beginnt der berühmte Libanios, ›die die Umsicht des Kaisers tadeln werden oder die dieses öffentliche Unglück dem mangelnden Mut und der lockeren Disziplin der Armee zuschreiben wollen. Ich für meinen Teil verbeuge mich vor dem Gedächtnis ihrer Taten: ich verneige mich vor ihrem glorreichen Tod, den sie aufrecht und tapfer empfingen: ich verneige mich vor dem Schlachtfeld, welches von ihrem und ihrer Feinde Blut getränkt ist; diese Ehrenmarken hat der Regen wohl schon fort geschwemmt; aber das Mahnmal, das ihre Körper, die Körper von Generälen, Zenturionen und ungenannten Kriegern gesetzt haben, beanspruchen längere Dauer.‹
›Der Kaiser selbst focht und fiel in vorderster Front. Seine Begleiter hatten für ihn das beste Pferd der kaiserlichen Stallungen bereitgestellt, und leicht hätte es die nachsetzenden Feinde abgeschüttelt. Vergebens drängten sie ihn, sein kostbares Leben für den künftigen Dienst an der Republik aufzusparen. Er erklärte nur, dass er nicht würdig sei, so viele brave und getreue Untertanen zu überleben; und so ward der Monarch angemessen unter einem Berg von Leichen begraben. So lasse sich niemand einfallen, den Sieg der Barbaren der Furcht, der Schwäche oder der Torheit der römischen Armee zuzuschreiben. Der Mut ihrer Vorfahren beseelte den Herrscher und seine Mannen, denen sie an Kriegstüchtigkeit und Disziplin gleichkamen. Ihre Nacheiferung erhielt zusätzliche Nahrung durch ihre Liebe zum Ruhm, so dass sie imstande waren, es zu gleicher Zeit mit Hitze und Durst, Feuer und Schwert aufzunehmen; und freudig einen ehrenhaften Tod der Schmach und der Flucht vorzuziehen. Einzig der Unwille der Götter hat uns den Sieg über unsere Feinde gekostet.‹
Einige Teile dieser Prunkrede werden durch die historische Wahrheit bestritten, da sie mit dem Charakter des Valens oder den näheren Umständen der Schlacht nicht eben punktgenau zusammenpassen; aber der Eloquenz und dem Seelenadel des Sophisten aus Antiochia gebührt dennoch Lob. Libanios, De nece Juliani ulciscenda 3, in Fabricius, Bibliotheca graeca, Band 7, p. 146ff.
DIE GOTEN BELAGERN ADRIANOPOLIS
Das Selbstvertrauen der Goten wurde durch diesen großen Sieg mächtig emporgetragen; aber ihre Habsucht erhielt einen Dämpfer durch die betrübliche Entdeckung, dass der wertvollste Teil der kaiserlichen Beute sich noch innerhalb der Stadtmauern von Adrianopolis befand. Sie eilten, die Belohnung ihres Sieges einzufordern; aber der Rest der geschlagenen Armee begegnete ihnen mit furchtloser Entschlossenheit, welche ihrer Verzweiflung zuzuschreiben war und ihre einzige verbliebene Hoffnung auf Überleben bildete. Die Stadtmauern und die Wälle des benachbarten Lagers waren mit Kriegsmaschinerie bestückt, welche Steine von unglaublichem Gewicht schleudern konnten; und die unwissenden Barbaren durch das Fluggeräusch und ihre Geschwindigkeit mehr als durch den angerichteten Schaden in Erstaunen versetzten. Soldaten, Bürger, Provinziale und Palastbedienstete waren durch gemeinschaftliche Gefahr und Not geeint; die heimlichen Ränke und Trickereien der Goten verfingen nicht mehr; ihr wütender Angriff wurde abgewehrt; und nach mehrstündigem harten Gefecht zogen sie sich in ihr Gezelte zurück; nunmehr hielten sie sich, durch Erfahrung gewitzigt, überzeugt, dass es besser sei, sich an die Verträge zu halten, die ihr Häuptling klugbedacht mit starken, befestigten Städten in aller Stille ausgehandelt hatte. Nach der vorschnellen und törichten Hinrichtung von dreihundert Deserteuren, welcher Rechtsakt sich allerdings für die Disziplin der römischen Armee als außerordentlich heilsam erwies, hoben die Goten beleidigt die Belagerung von Adrianopolis auf.
Sofort wurde aus dem Schauplatz von Krieg und Gemetzel ein Ort der stillen Einsamkeit; die Volksmassen verzogen sich; über die Wald- und Bergpfade strömten angstvoll die Flüchtlinge, um in den abgelegenen Städten von Illyrien und Makedonien Unterschlupf zu finden. Und die getreuen Minister des Haushaltes und Staatsschatzes suchten weiterhin ihren Kaiser, von dessen Tod sie immer noch nichts gehört hatten.
Die Masse der Goten jedoch flutete von den Mauern Adrianopolis' in die Vororte von Konstantinopel. Die Barbaren zeigten sich höchlich überrascht von dem reizvollen Aussehen der Hauptstadt des Ostens, von den hohen Mauern und ihren gigantischen Ausmaßen, von den Myriaden von aufgeschreckten Bürgern, die die Wälle bevölkerten, und von den verschiedenen Aussichten auf Land und Meer. Während sie mit schwindendem Verlangen auf die unerreichbaren Schönheiten Konstantinopels starrten, machte plötzlich ein Trupp von Sarazenen Valens hatte die Freundschaft der Sarazenen gewonnen, oder besser: gekauft, deren kriegerische Überfälle die phönikische, palästinensische und ägyptische Grenze zu spüren bekamen. Der christliche Glauben ist erst später zu diesem Volk gelangt, welches in künftigen Zeiten eine andere Religion verbreiten sollte. Tillemont, Histoire des empereurs, Band 5, p. 104 und 106, Mémoires ecclésiastiques, Band 7, p. 539. – glücklicherweise hatte Valens sie in seinen Dienst genommen – aus einem der Tore einen Ausfall. Die Kavallerie der Skythen musste tatsächlich vor der staunenswerten Schnelligkeit und der Tapferkeit der arabischen Reiterei weichen; ihre Reiter waren in der Taktik des Kleinkrieges äußerst geschickt; und die Barbaren aus dem Norden waren verblüfft und entmutigt vor der geradezu unmenschlichen Grausamkeit der Barbaren des Südens. Ein gotischer Krieger wurde vom Dolch eines arabischen Kriegers getötet; und der langhaarige, nackte Wilde führte seine Lippen an die Wunde und ließ entsetzlichen Genuss erkenne, während er das Blut seines getöteten Feindes einschlürfte. › Crinitus quidam, nudus omnia praeter pubem, subraucum et lugubre strepens.‹ [Ein Mann, behaart, vollständig nackt bis an die Scham, heiser und unheimlich von Stimme]. Ammianus 31,16, und Valesius ad locum. Die Araber kämpften oft nackt, was man ihrem heißen Klima und ihrer prahlerischen Tapferkeit zuschreiben mag. Die Beschreibung jenes unbekannten Wilden ist das lebendige Gemälde eines Derar, dessen Name den syrischen Christen so furchtbar war. Siehe Ockley, History of the Saracens, Band 1, p. 72, 84, 87.
Die gotische Armee, schwer beladen mit der Beute aus den reichen Vorstädten und den umliegenden Landstrichen, zogen allmählich vom Bosporus zu den Bergen, welche die Westgrenze von Thrakien bilden. Der wichtige Pass von Suci kam durch Verrat oder einen Fehler des Maurus in ihre Hand; und da die Barbaren von den besiegten und zerstreuten Truppen des Ostens keinen weiteren Widerstand zu befürchten hatten, verstreuten auch sie sich über das ganze fruchtbare und kultivierte Land bis hin zu Grenzen Italiens und der Adria. Die Serie der Ereignisse wird wohl auf den verlorenen Blättern des Ammianus (31,15 und 16) gestanden haben. Zosimos (4,22 und 24), auf den wir von nun an angewiesen sind, verlegt den Ausfall der Araber irrtümlicherweise vor Valens Tod. Eunapios rühmt die Fruchtbarkeit von Thrakien, Makedonien &c.
PLÜNDERUNG DER RÖMISCHEN PROVINZEN DURCH DIE GOTEN · A.D. 378/379
Die Römer, welche so leidenschaftslos und bündig von den Akten der Gerechtigkeit ihrer Legionen zu erzählen wissen, Man beachte doch nur, wie ungerührt Caesar in seinen Kommentaren zum Gallischen Krieg erzählt (3,16): dass er den ganzen Senat der Veneter zum Tode verurteilte, die sich seiner Gnade ausgeliefert hatten; dass er das ganze Volk der Eburonen auszurotten sich bemühte (6,34); dass vierzigtausend Menschen zu Bourges von seinen Legionen aus gerechten Rachemotiven massakriert wurden, die dabei weder Alter noch Geschlecht berücksichtigten (7,28) &c. widmen ihre ganze Beredsamkeit und ihr Herzensblut der Darstellung ihrer eigenen Leiden, wenn etwa ihre Provinzen von siegreichen Barbaren überschwemmt und geplündert wurden. Die schlichte Erzählung vom Untergang einer einzigen Stadt (wenn es denn eine solche Erzählung gäbe), vom Unglück einer einzigen Familie So etwa die Berichte von der Plünderung Magdeburgs, welche Mr. Harte übersetzt hat (History of Gustavus Adolphus, Band 1, p. 313-320), nicht ohne Sorge, er möchte die Würde der Geschichtsschreibung verletzen. könnte durchaus ein interessantes und belehrendes Bild von menschlicher Gesittung entwerfen; aber die zähflüssige Wiederholung allgemeiner Klagen muss ja die Aufmerksamkeit auch des geduldigsten Lesers ermüden. Derselbe Tadel, wenn auch nicht in diesem Ausmaß, trifft die Profan- und Kirchenschriftsteller jener Unglückszeiten: Dass sie mit parteipolitischen und religiösen Vorurteilen beladen waren; und dass das wahre Ausmaß und die Bedeutung eines jeden von ihnen behandelten Gegenstandes durch die Übertreibungen ihrer käuflichen Beredsamkeit verfälscht ist.
Der heftige Hieronymus mag mit gutem Recht die Not beweinen, die die Goten und ihre kriegerischen Verbündeten seiner Heimat Pannonien und den großen Provinzen zwischen Konstantinopel und dem Fuß der Julischen Alpen angetan hatten; das Morden, Brennen, Rauben; und, als Krönung des Ganzen, die Entweihung von Kirchen, aus denen man Ställe gemacht und das höhnische Spiel, das man mit den Reliquien der heiligen Märtyrer getrieben hatte. Aber der heilige Mann überschreitet ganz gewiss die Grenzen der Natur und der historischen Wahrheit, wenn er schreibt, ›dass es in jenen verödeten Ländern nichts mehr gab als Himmel und Erde; dass das Land nach der Zerstörung der Städte und der Ausrottung ihrer Menschen von dichtem Wald und Gestrüpp überwuchert war; und dass die allgemeine Entvölkerung, die schon der Prophet Zephaniah angekündigt hatte, sich auch darin zeigte, dass es keine Tiere, keine Vögel, ja sogar keine Fische mehr gab.‹ Et vastatis urbibus, hominibusque interfectis, solitudinem et ›raritatem bestiarum‹ quoque fieri, ›et volatilium, pisciumque‹: testis Illyricum est; testis Thracia, testis in quo ortus sum solum (Pannonia); ubi praeter coelum et terram, et crescentes vepres, et condensa silvarum ›cuncta perierunt‹. In Sophoniam, Opera, Band 7, p. 250 und Epistulae 60, Band 1, p.26.
Diese Klagelieder stimmte er zwanzig Jahre nach dem Tode von Valens an; und dennoch liefern die illyrischen Provinzen, die beständig dem Einfall und Durchmarsch feindlicher Barbaren ausgesetzt waren, immer noch, nach Ablauf von zehn schrecklichen Jahrhunderten, genug Anlass für Raub und Zerstörung. Selbst wenn man sich vorstellt, dass ein so großes Land ohne Ackerbau und Einwohner war, so dürfte dies für seine freilebende Fauna keine so dramatischen Folgen gehabt haben. Die zahmen Haus- und Nutztiere, die von der Hand des Menschen ernährt werden, mögen wohl bei fehlendem Schutz leiden und verderben; aber die wilden Tiere der Wälder, seine Feinde oder Opfer müssen sich doch bei freier und ungestörter Nutzung ihres Habitats stark vermehren. Und jene Geschöpfe, welche die Lüfte oder das Wasser bewohnen, hängen noch viel weniger vom Schicksal des Menschen ab; und es ist hoch wahrscheinlich, dass die Fische der Donau mehr von der Spitze einer Harpune zu befürchten hatten als von einem feindlichen Einfall der gotischen Armee.
MASSAKER DER GOTISCHEN JUGENDLICHEN A.D. 378
Wie groß nun auch immer der tatsächliche Schaden für Europa gewesen sein mag, es gab Gründe zu der Besorgnis, dass sich die allgemeine Not bald auch auf einige der friedliebenden Länder Asiens verbreiten würde. Man hatte die Söhne der Goten weislich auf die Städte des Ostens verteilt; und die Künste der Erziehung wurden angestrengt, ihre angeborene Wildheit zu glätten und zu dämpfen. Innerhalb von zwölf Jahren waren es ihrer ständig mehr geworden; und die Kinder der ersten Auswanderungswelle waren mittlerweile zu Männern gereift. Eunapius (in Excerpte legationum. p. 20) vermutet törichterweise übernatürlich rasches Wachstum um die Gelegenheit zu erhalten, die Krieger des Cadmus zu bemühen, die aus Drachenzähnen wuchsen. Aber das war zu jener Zeit Stand der griechischen Beredsamkeit. Es war natürlich unmöglich, ihnen die Ereignisse des Gotenkrieges zu verheimlichen; und da jene kühnen Jugendlichen in der Kunst der Verstellung ungeschickt waren, ließen sie ihren Wunsch, ihr Verlangen, vielleicht sogar schon ihren Plan erkennen, dem ruhmreichen Vorbild ihrer Väter nachzueifern. Die Not der Zeit schien den Verdacht der Provinzbewohner zu bestätigen; und dieser Verdacht galt dann als Beweis dafür, dass die Goten Asiens sich heimlich und gefahrenschwanger gegen die öffentliche Sicherheit verschworen hätten.
Der Tod des Valens hatte den Osten des Reiches ohne Herrscher zurückgelassen; und Julius, der den wichtigen Posten des Heeresmeisters innehatte und mit viel Umsicht und Könnerschaft ausübte, hielt es für seine Pflicht, den Senat von Konstantinopel in dieser Sache zu konsultieren, da er ihn, solange der Thron verwaist war, für den maßgeblichen repräsentativen Rat des Reiches hielt. Sobald er Vollmacht erhalten hatte, das zu tun, was ihn des Landes Bestes dünkte, ließ er die führenden Amtsinhaber zusammenkommen; und in aller Stille stimmte er wirkungsvolle Vorbereitungen für seinen Blutplan ab.
Es erging unverzüglich Befehl, dass zu einem festgesetzten Tage die gotischen Jungmannen sich in den Hauptstädten ihrer jeweiligen Provinzen versammeln sollten; und da zugleich das Gerücht gestreut wurde, dass sie sich einfinden sollten, um großzügige Geld- und Landzuweisungen zu erhalten, mochten diese freudigen Erwartungen ihre Entschlossenheit dämpfen und der Verschwörung den Wind aus den Segeln nehmen. Am verabredeten Tage wurde die unbewaffnete gotische Jugend sorgsam auf den Hauptplätzen oder Foren versammelt; Straßen und Alleen wurden von römischen Soldaten besetzt gehalten; auf den Dächern der Häuser wimmelte es von Bogenschützen und Schleuderern. Und zur selben Stunde wurde in allen Städten des Ostens das Signal zur unterschiedlosen Metzelei gegeben; so wurden die Provinzen Asiens mit Hilfe von Julius' grausamer Klugheit auf einen Schlag von einem inneren Feinde befreit, der in ein paar Monaten Mord und Brand vom Hellespont bis zum Euphrat Ammianus ist mit diesem Mordbefehl sichtlich einverstanden, ›efficacia velox et salutaris‹, [eine rasche und wirksame Vorgehensweise]) womit sein Werk abschließt (31,16). Zosimos (4,26), lesenswert und wortreich, irrt bezüglich der Datierung und hat nun Mühe herauszufinden, weshalb Julius nicht den Kaiser Theododius konsultiert hatte, der damals jedoch noch nicht den Thron des Ostreiches bestiegen hatte. hätte verbreiten können. Der absolute Vorrang für die öffentliche Sicherheit mag ja unstreitig die Vollmacht zur Verletzung jeden positiven Rechtes erteilen. Wie weit jedoch diese oder irgendeine andere Erwägung dazu dienen darf, von jeder naturgesetzten Verpflichtungen zur Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu entbinden, gehört zu einer Lehre, in der ich immer unwissend bleiben will.
GRATIAN ÜBERLÄSST THEODOSIUS DEN OSTEN · 19. JANUAR 379
Der Kaiser Gratian hatte auf seinem Marsch nach Adrianopolis bereits eine weite Strecke zurückgelegt, als er zunächst durch die wirre Stimme des Gerüchtes und danach durch die genaueren Berichte von Victor und Ricomer davon erfahren musste, dass sein ungeduldiger Kollege in der Schlacht sein Leben verloren hatte und zwei Drittel des römischen Heeres durch das Schwert der siegreichen Goten umgekommen waren. Welche Vorwürfe die vorschnelle und eifersüchtige Überheblichkeit seines Onkels auch immer verdient hatte, in einem hochherzigen Gemüt weichen Vorwürfe leicht vor den sanfteren Gefühlsregungen wie Kummer und Mitleid zurück: Und selbst das Mitleid musste über ein Kleines bei Erwägung des ernsten und angeschlagenen Zustandes des Staates verstummen. Um seinem glücklosen Kollegen zu helfen, war Gratian zu spät gekommen, ihn zu rächen, war er zu schwach: und um gar der untergehenden Welt Hilfe zu geben, fühlte sich der bescheidene Jüngling überfordert. Ein fürchterlicher Sturm barbarischer Germanen schickte sich an, Gallien heimzusuchen; und mit der Verwaltung der westlichen Reichshälfte hatte er bereits übergenug zu tun.
In dieser Notlage verlangte die Führung des Ostens und des Gotenkrieges die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Helden und Staatsmannes. Ein Untertan mit so weitreichenden Vollmachten hätte seinem fernen Wohltäter schon bald die Treue aufgekündigt; so fasste denn der kaiserliche Rat den klugen und mannhaften Beschluss, lieber Verpflichtungen aufzuerlegen als dreisten Forderungen nachzugeben. Es war Gratians Wunsch, den Purpur als Belohnung für bewährte Tugend zu erteilen; aber für einen neunzehnjährigen Herrscher, der in höchster Stellung aufgewachsen war, ist es kein Kleines, den wahren Charakter seiner Minister und Generäle zu ergründen. Durchaus war er bemüht, mit unbestechlicher Hand ihre unterschiedlichen Verdienste und Fehler zu wägen; und so, wie er sich dem fressenden Ehrgeiz entgegenstellte, so war er auch der kleinherzigen Bedenkenträgerei abhold, die an der Lage des Staates verzweifelte. Da jedes Zaudern dem Einfluss und der Macht des künftigen Ostkaisers abträglich gewesen wäre, verbot sich eine zähflüssige Debatte von selbst.
Die Wahl Gratians fiel schon bald auf einen Exilanten, dessen Vater allerdings vor nur drei Jahren auf Grund seiner Anordnung zu Unrecht und in Schanden zu Tode gekommen war. Der große Theodosius, welcher Name in der Geschichte berühmt und der katholischen Kirche kostbar ist, Im vergangenen Jahrhundert erschien eine Biographie des Theodosius, bestimmt, des Dauphins Seele mit katholischem Glaubenseifer zu durchsetzen. Der Verfasser Fléchier, später Bischof von Nimes, war ein gefeierter Prediger; und so ist seine Geschichte mit Kanzelberedsamkeit geschmückt oder vielmehr emulgiert; aber immerhin bezieht er seine Gelehrsamkeit von Baronius und seine Grundsätze von St. Ambrosius und St. Augustinus. wurde vor den kaiserlichen Hof zitiert, welcher sich allgemach von der thrakischen Grenze ins ruhigere Sirmium zurückgezogen hatte. Fünf Monate nach dem Tode des Valens stellte Kaiser Gratian vor der versammelten Truppe seinen Kollegen als ihren Befehlshaber vor; welcher sich nach schicklichem, vielleicht sogar aufrichtigem Zieren inmitten des lärmenden Zuspruches genötigt fand, das Diadem, den Purpur und den gleichberechtigten Augustustitel anzunehmen. Über Herkunft, Charakter und Inthronisation des Theodosius berichten: Pacatus (in Panegyrici 12,10 – 12); Themistios (Orationes 14); Zosimos (4,24), Augustinus (De civitate Dei 5,26); Orosius (7,34); Sozomenos (7,2); Socrates (5,2); Theodoretos (5,5); Philostorgios (9,17, mit Gothofredus, p. 393); Victor, Epitome (48) und Chroniken von Prosper, Hydatius und Marcellinus im Thesaurus Temporum von Scaliger. Die Provinzen Thrakien, Asien und Ägypten, ursprünglich der Geschäftsbereich des Valens, wurden der Verwaltung des neuen Kaisers übertragen; da ihm aber insbesondere der Krieg gegen die Goten auferlegt war, wurde die Präfektur Illyriens abgetrennt und die großen Diözesen Dakien und Makedonien dem Ostreich zugeschlagen. Tillemont, Histoire des Empereurs, Band 5, p. 716.
HERKUNFT UND CHARAKTER DES THEODOSIUS
Dieselbe Provinz und vermutlich sogar dieselbe Stadt, Italica, welches Scipio Africanus für seine invaliden Veteranen gegründet hatte. Die Ruinen sind noch heute etwa eine Meile von Sevilla entfernt auf dem anderen Flussufer zu sehen. Siehe Hispania illustrata von Nonnius, eine kurze und wertvolle Darstellung, 17, p.64-67. welche dem Thron einen Trajan und einen Hadrian geschenkt hatten, war auch die Heimat einer anderen spanischen Familie, welche in einem weniger gesegneten Zeitalter fast achtzig Jahre lang über das untergehende römische Reich regierte. Ich bin wie Tillemont (Histoire des empereurs, Band 5, p. 762) skeptisch gegen den königlichen Stammbaum, welcher bis zu der Thronerhebung des Theodosius ein Geheimnis geblieben sein muss. Selbst nach jenem Ereignis hat das Schweigen des Pacatus mehr Gewicht als die billigen Beweise des Themistius, Victor und Claudian, welche zwischen der Familie des Theodosius und der des Hadrian und Trajan eine verwandtschaftliche Beziehung herstellen wollen. Durch die tätige Energie des älteren Theodosius stiegen sie aus der Anonymität kleinstädtischer Ehrenstellen empor; dieser, ein glänzender General, schrieb mit seinen Erfolgen die ruhmreichsten Kapitel in den Annalen des Valentinian. Der Sohn dieses Generals, der gleichfalls den Namen Theodosius trug, wurde in seine Jugend von tüchtigen Lehrern in den freien Künsten erzogen; in den Kriegskünsten jedoch erzog ihn die zärtliche Sorge und strenge Disziplin seines Vaters. Pacatus vergleicht – und gibt ihr folgerichtig den Vorzug – Theodosius' Jugend mit der militärischen Erziehung des Alexander, Hannibal und des jüngeren [Scipio] Africanus, welche wie er unter dem eigenen Vater gedient hatten. Unter der Führung eines solchen Lehrmeisters strebte der jüngere Theodosius auf den unterschiedlichsten Feldern nach Ruhm; härtete sich in den verschiedenen Jahreszeiten und Klimazonen ab; zeichnete sich zu Wasser und zu Lande aus; und nahm an den verschiedenen Feldzügen gegen die Scoten, Sachsen und Mauren teil. Seine eigene Tüchtigkeit und die Fürsprache des Eroberers von Afrika brachte ihm schon bald ein selbständiges Kommando ein; und in der Stellung des dux von Mösien obsiegte er über eine sarmatische Armee; rette die Provinz; besaß die Zuneigung der Soldaten; und erwarb sich den Neid des Hofes. Ammianus (29,6) erwähnt diesen Sieg von ›Theodosius iunior Dux Mösiae, prima etiam tum lanugine juvenis, princeps postea perspectissimus.‹ [Theodosius der Jüngere, Befehlshaber Mösiens, damals noch ein junger Mann mit erstem Bartwuchs, danach ruhmreichster Kaiser]. Themistios und Zosimos bestätigen das Faktum; nur Theodoretos (5,5) verlegt sie unter Hinzufügung einiger drolliger Nebenumstände in die Zeit des Interregnums.
Sein aufgehender Stern wurde jedoch schon bald durch den Sturz und die Hinrichtung seines berühmten Vaters gehemmt; Theodosius erhielt die gnädige Erlaubnis, sich in seiner Heimat in Spanien ins Privatleben zurückziehen zu dürfen. Die Gelassenheit, mit der er sich in seine neue Lage dareinfand, verriet einen festen und gemäßigten Charakter. Seine Zeit war zu fast gleichen Teilen dem Stadt- und Landleben gewidmet: der Eifer, mit dem er sich den öffentlichen Angelegenheiten gewidmet hatte, zeigte er bei der engagierten und tätigen Ausführung jeder Art von gesellschaftlichen Pflichten; und der tatkräftige Sinn des Soldaten bewährte sich jetzt bei der Pflege und Mehrung seines umfangreichen Landgutes, Pacatus (Panegyrici 12,9) gibt dem Landleben des Theodosius den Vorzug gegenüber dem von Cincinnatus; das eine geschah aus freien Stücken, das andere war ein Gebot der Armut. das zwischen Valladolid und Segovia lag inmitten eines fruchtbaren Distriktes, der noch heute für seine vorzügliche Schafzucht gerühmt wird. Herr d'Anville (Géographie ancienne, Band 1, p.25) hat die Lage von Caucha oder Coca in der alten Provinz von Gallicia bestimmt, wohin Zosimos und Idatius den Geburtsort und den Landsitz des Theodosius verlegt haben.
Von den unschuldigen, wenngleich sehr erdnahen Arbeiten auf seinem Landgut gelangte Theodosius in weniger als vier Monaten auf den Thron des Ostreiches; und in der ganzen Weltgeschichte wird man kein ähnliches Beispiel für eine Erhebung finden, die gleichzeitig so reinlich und ehrenhaft vollzogen ward. Die Herrscher, die das Szepter friedlich aus der Hand ihres Vaters empfangen, beanspruchen und üben ein gesetzliches Recht und zwar umso nachdrücklicher, da dies ohne jeden Bezug zu ihren Verdiensten oder persönlichen Eigenschaften geschieht. Die Untertanen, die sich in einer Monarchie oder Republik die oberste Regierungsgewalt aneignen, mögen sich durch überlegene Fähigkeiten über die Köpfe von Gleichen erhoben haben; aber ihre Tugend ist selten frei von Ehrgeiz; und die Sache des erfolgreichen Kandidaten ist oft genug mit der Schuld einer Verschwörung oder des Bürgerkrieges besudelt. Selbst in solchen Staatsformen, welche dem regierenden Monarchen die Ernennung eines Kollegen oder Nachfolgers gestatten, kann seine persönliche und oft von den blindesten Leidenschaften eingegebene Wahl auf einen völlig Unwürdigen fallen.
Aber noch der bösartigste Argwohn kann Theodosius in seiner Einsamkeit von Caucha nicht die Ränke, das Verlangen, ja nicht einmal die Hoffnungen eines ehrgeizigen Staatsmannes andichten; und der Name des Exilanten wäre schon längst vergessen, wenn seine angeborenen und ausgezeichneten Tugenden keinen so tiefen Eindruck auf den kaiserlichen Hof gemacht hätten. Während es dem Staate wohl erging, übersah man ihn; in Zeiten der gemeinen Not wurden seine überlegenen Fähigkeiten wahrgenommen und anerkannt. Welches Vertrauen muss man doch in seine Redlichkeit gesetzt haben, wenn Gratian darauf rechnen durfte, dass ein frommer Sohn um des Staates willen dem Mörder seines Vaters vergeben würde! Welche Erwartungen müssen seine Fähigkeiten hervorgerufen haben, dass man einem einzigen Manne die Rettung und die Wiederherstellung des östlichen Reichsteiles zutraute! Theodosius wurde in seinem dreiunddreißigsten Jahre mit dem Purpur investiert. Das Volk begaffte mit Bewunderung die männliche Schönheit seines Gesichtes und die anmutsvoll Majestät seiner Person, die sie erfreut mit den Medaillen-Bildern des Kaisers Trajan verglichen; während intelligentere Beobachter in seinem Herzensadel und seinen Verstandeskräften Ähnlichkeiten zu den besten und größten Herrscherpersönlichkeiten Roms entdeckten.
BEMERKUNG ZU AMMIANUS · ERFOLGE IM GOTENKRIEG
Es geschieht nicht ohne aufrichtiges Bedauern, wenn ich mich jetzt von einem zuverlässigen und treuen Führer verabschieden muss, welcher die Geschichte seiner Zeit verfasst hatte, ohne sich dabei den Vorurteilen und Leidenschaften hinzugeben, welche normalerweise die Gemüter seiner Zeitgenossen eintrübten. Ammianus Marcellinus beschließt sein nutzbringendes Werk mit Niederlage und Tod des Valens und empfiehlt den ruhmreichen Erzähl-Stoff der nachfolgenden Regierung dem jugendlichen Schaffensdrang und der Darstellungskunst späterer Generationen. Wir wollen Ammianus selbst dazu anhören: »Haec, ut miles quondam at Graecus, a principatu Caesaris Nervae exorsus, adusque Valentis interitum, pro virium explicavi mensura: opus veritatem professum nunquam, ut arbitror, sciens, silentio ausus corrumpere vel mendacio. Scribant reliqua potiores aetate, doctrinisque florentes. Quos id, si libuerit, aggressuros, procudere linguas ad majores moneo stilos.« [Dies habe ich als ehemaliger Soldat und Grieche, vom Principat Nervas bis zum Tode von Valens gemäß meinen Möglichkeiten dargelegt: niemals habe ich mich erdreistet, wie ich meine, es vorsätzlich durch Verschweigen oder Verfälschen zuschanden zu machen. Mögen das Kommende tüchtigere Männer beschreiben, ausgezeichnet an Alter und Gelehrsamkeit. Und möchten sie doch, wenn sie es denn angehen, ihre Sprache zu höherem Stil emporheben!] Ammianus 31,16. Die ersten 13 Bücher sind ein verzichtbarer Abriss der letzten 250 Jahre und verloren. Die letzten 18 jedoch, die lediglich 25 Jahre zum Gegenstand haben, bergen immer noch die reichhaltige und authentische Geschichte seiner Zeit. Die späteren Generationen zeigten indessen keine Neigung, seinen Rat anzunehmen oder seinem Vorbild nachzueifern; Ammianus war der letzte römische Bürger, der eine Profangeschichte in lateinischer Sprache abfasste. In den nächsten Jahrhunderten brachte der Osten noch ein paar schönrednerische Historiker hervor, etwa Zosimos, Olympiodorus, Malchus, Candidus &c. Siehe Vossius, De Historicis graecis, Buch 2, c. 10ff. und wenn wir die Regierung des Theodosius studieren, dann sind wir genötigt, die parteiische Darstellung des Zosimos zu interpretieren mit der Hilfe von ein paar obskuren Hinweisen aus Fragmenten und Chroniken, mit dem schwülstigen Stil von Dichtung und Schmuckrede oder mit der fragwürdigen Unterstützung von Kirchenschriftstellern, welche in der Hitze religiöser Aufwallungen dazu neigen, die weltlichen Tugenden der Mäßigung und der Aufrichtigkeit gering zu schätzen. Im Bewusstsein dieser Mängel, welche den Untergang des Römischen Reiches auf weiten Strecken begleiten werden, will ich, wenn auch nur mit unsicheren und ängstlichen Schritten, in meiner Erzählung fortfahren.
Doch ich will jetzt schon ankündigen, dass die Katastrophe von Adrianopolis durch keinen bedeutenden und entscheidenden Sieg des Theodosius über die Barbaren gerächt wurde; und das beredte Schweigen der Miet-Redner findet seine Bestätigung, wenn man sich die allgemeinen Zeitumstände näher betrachtet. Das Gebäude eines mächtigen Staates, welches die Mühe von Generationen aufgeführt hat, kann nicht durch das Unglück eines einzigen Tages einstürzen, wenn nicht eine haltlose Phantasie das wahre Ausmaß der Katastrophe vergrößert. Der Verlust von vierzigtausend Römern, die auf der Ebene von Adrianopolis fielen, wäre schon bald aus den volkreichen Provinzen des Ostens zu ersetzen gewesen, in welchen viele Millionen Einwohner lebten. Der Mut eines Kriegers ist, wie man weiß, die wohlfeilste und allgemeinste menschliche Eigenschaft; und ausreichende Gewandtheit, einem undisziplinierten Feinde erfolgreich zu begegnen, wäre durch die überlebenden Zenturionen im Nu vermittelt worden. Wenn die Barbaren Pferde und Waffen ihrer besiegten Feinde erbeutet hatten, dann standen in Kappadokien und Spanien ausreichend Gestüte zur Verfügung, neue Schwadrone bereitzustellen; die vierunddreißig Arsenale des Reiches hielten genug Angriffs- und Verteidigungswaffen bereit; und für die Bestreitung der Kriegskosten mochte der Reichtum Asiens immer noch genügend Mittel bereitstellen.
Aber die Folgen, die die Schlacht von Adrianopolis in den Gemütern der Barbaren und Römer hervorrief, gingen weit über die Grenzen eines einzigen Tages hinaus. Ein Gotenhäuptling ließ sich mit unüblicher Bescheidenheit vernehmen, dass er für seinen Teil des Mordens müde sei; dass er aber erstaunt darüber sei, wie ein Volk, welches vor ihn davongelaufen sei wie eine Herde Schafe, ihm allen Ernstes den Besitz seiner Provinzen streitig machen wolle. Johannes Chrysostomos, Opera Band 1, p. 344. Ich habe diese Stelle untersucht und fand sie bestätigt, aber ohne den Beistand von Herrn Tillemont (Histoire des empereurs, Band 5, p. 152) hätte ich nie eine historische Anekdote in ihrem sonderbaren Gemisch aus moralischen und mystischen Mahnungen aufgespürt, die der Priester von Antiochia an eine jungen Witwe gerichtet hat. So wie die Hunnen unter den gotischen Völkern Schrecken verbreitet hätten, so sei der Name der Goten den Untertanen und Soldaten Roms in gleicher Weise entsetzlich geworden. Eunapios, in den Excerpta legationum, p. 21. Hätte Theodosius in Eile seine zerstreuten Truppen gesammelt und ins Feld geführt, dem siegreichen Feinde zu begegnen, dann wäre seine Armee von ihren eigenen Ängsten besiegt worden; und seine Voreiligkeit hätte nicht mit der sich bietenden Siegeschance entschuldigt werden können.
Aber der große Theodosius, der sich in diesem historischen Augenblick dieses Epitheton durchaus verdiente, bewährte sich als standhafter und zuverlässiger Wächter der Republik. Er schlug in der Hauptstadt der makedonischen Diözese, Thessaloniki, Siehe Gothofred, Chronologia legum. Codex Theodosianus, Band 1, Prolegomena, p. 99-109. sein Hauptquartier auf, von wo aus er die ungeordneten Bewegungen der Barbaren verfolgen und die Gegenmaßnahmen seiner Generäle von den Toren Konstantinopels bis zur Adriaküste koordinieren konnte. Befestigungen und Garnisonen der Städte wurden verstärkt; und unter den Soldaten, bei denen sich wieder Disziplin und Ordnung einstellte, breitete sich allmählich Zuversicht aus. Von ihren befestigten Standorten aus wagten sie häufige Ausfälle gegen die Barbaren, die das umliegende Land heimsuchten; und da sie ihre Angriffe fast nie durchführten, ohne die Vorteile des Geländes oder der Zahl für sich zu haben, waren ihren Unternehmungen fast immer erfolgreich; und so hielten sie sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrung schon bald davon überzeugt, dass es möglich sein müsse, den unbesiegbaren Feind zu überwinden.
Die Detachements dieser verschiedenen Garnisonen wuchsen allmählich zu kleinen Armeen zusammen; und auch hier ließ man entsprechend dem allgemeinen und wohlabgestimmten Feldzugsplan die gleiche Vorsicht walten; und die Ereignisse jedes einzelnen Tages hoben und stärkten die römischen Waffen; und die fintenreiche Umsicht des Herrschers, der nur die günstigsten Kriegsnachrichten streuen ließ, tat ein Übriges, den Stolz der Barbaren zu dämpfen und den Mut seiner eigenen Untertanen zu beleben.
Wenn wir anstelle dieser nur andeutenden, unvollständigen Skizze die Feldzugspläne und Operationen des Theodosius von vier aufeinander folgenden Kampagnen in allen Einzelheiten darstellen könnten, dann haben wir guten Grund zu der Annahme, dass seine vollendete Fertigkeit den Beifall jedes Lesers verdient hätte, der mit dem Militärwesen vertraut ist. Die Republik wurde in früheren Zeiten durch die Hinhaltetaktik des Fabius gerettet: und während der große Sieg Scipios bei Zama das Augenmerk der Nachwelt auf sich zieht, beanspruchen die Ausweichmärsche des Diktators in den Hügeln Campaniens einen größeren Anteil von der Sorte von bleibendem Ruhm, den ein General nicht dem Zufall danken oder mit seinen Soldaten teilen muss. Von dieser Art war auch das Verdienst des Theododius; und seine körperlichen Unzulänglichkeiten – er litt oftmals und zur Unzeit unter hartnäckigen und gefährlichen Erkrankungen – konnten ihm weder seine Zuversicht rauben noch seine Aufmerksamkeit vom Dienst an der Republik ablenken. Die meisten Autoren bestehen darauf, dass Theodosius' Krankheit und die lange Rekonvaleszenz sich in Thessaloniki ereignet hätten: Zosimos, um seinen Ruhm zu mindern; Jordanes, um die Goten günstiger darzustellen; und die Kirchengeschichtsschreiber, um einen Grund für seine Taufe vorweisen zu können.
NIEDERLAGE UND UNTERWERFUNG DER GOTEN · A.D. 379-382
Die Befreiung der römischen Provinzen Vergleiche Themistios (Orationes 14) mit Zosimos (4,25), Jornanes (27), und den ausufernden Kommentar des Herrn de Buat (Histoire des Peuples, Band 6, p. 477-552). Die Chroniken des Hydatius und Marcellinus spielen in ungefähren Wendungen auf »magna certamina, magna multaque proelia« an [große Kämpfe, zahlreiche große Gefechte]. Beide Epitheta sind nur schwer miteinander in Einklang zu bringen. und der anschließende Frieden war mehr das Werk der Klugheit als der äußeren Gewaltanwendung: der Klugheit des Theododius stand das Glück zur Seite; und der Kaiser verfehlte denn auch nicht, alle günstigen Gelegenheiten beim Schopfe zu packen und für sich auszubeuten. Solange Fritigerns überlegener Geist die Einheit der Barbaren sicherstellte und ihr Handeln abstimmte, hätten sie mit ihrer Stärke allerdings ein großes Reich erobern können. Der Tod dieses Helden, des Vorgängers und Lehrmeisters des großen Alarich, befreite die ungeduldige Masse der Goten zunächst einmal von dem unerträglichen Joch der Kriegsdisziplin und des Abwägens. Die Barbaren, denen seine Autorität die Zügel angelegt hatte, überließen sich unverzüglich ihren Leidenschaften; und ihre Leidenschaften waren nur selten von gleicher Art, geschweige denn miteinander vereinbar.
Eine siegreiche Invasionsarmee zersplitterte in zahlreiche Haufen, die auf Raub aus waren; und ihr blinder und unmethodischer Aktionismus war für sie nicht weniger gefährlicher als für ihre Feinde. Ihre Veranlagung zum Mutwillen zeigte sich darin, dass sie alles zerstörten, was fortzuschaffen ihnen die Kraft oder zu genießen ihnen der Geschmack fehlte; und mit zornigem Unbedacht zerstörten sie oft genug die Heuernte oder die Kornspeicher, die sie wenig später für ihre eigenen Bedürfnisse gut hätten gebrauchen können. Der Geist der Zwietracht breitete sich unter diesen unabhängigen Stämmen und Nationen aus, die bis dahin nur durch eine freiwillige und sehr lose Allianz zusammengehalten worden waren. Die Truppen der Hunnen und Alanen tadelten naturgemäß diesen Ausbruch der Goten, die nicht gemeint waren, ihre gegenwärtigen Glücksumstände in Maßen zu genießen; die uralte Feindschaft zwischen Ost- und Westgoten ließ sich auch nicht länger verleugnen; und die hochfahrenden Stammehäuptlinge hatten immer noch nicht das Unrecht und die Kränkungen vergessen, die sie voneinander zu erdulden hatten, als ihre Völker noch jenseits der Donau siedelten.
Mit der Zunahme solcher internen Reibereien ging das stärker verbreitete Gefühl für die nationalen Anliegen zurück; und die Generäle des Theodosius erhielten Weisung, mit großzügigen Geschenken und Versprechungen die Dienste der unterlegenen Partei zu erhandeln oder ihren Rückzug zu betreiben. So erwies sich Modar, ein Prinz aus dem Königsgeschlecht der Amaler nach seinem Übertritt als kühner und getreuer Anhänger der Sache Roms. Der berühmte Überläufer erhielt schon bald den Rang eines Heermeisters und dazu ein wichtiges Kommando; überraschte ein Heer seiner Landsleute, welche in Wein und Schlaf versunken lagen; und kehrte, nachdem er sie überrumpeln und grausam hatte schlachten lassen, mit unermesslicher Beute und viertausend Wagen in das kaiserliche Lager zurück. Zosimos (4,25) macht aus ihm einen Skythen, ein Name, welchen auch die modernen Griechen für die Goten verwenden. In der Hand eines tüchtigen Politikers können die unterschiedlichsten Mittel erfolgreich zu demselben Ende eingesetzt werden: und so wurde der Frieden im Reich, den man durch die Zersplitterung der Goten zu erreichen hoffte, vollendet durch die neuerliche Vereinigung eben dieser Nation.
Athanarich hatte sich alle diese außerordentlichen Ereignisse geduldig von außen angesehen und war endlich infolge der kriegerischen Wechselfälle aus seiner dunklen Abgeschiedenheit in den Wäldern von Caucaland wieder zurückgekehrt. Er zögerte auch nicht länger, die Donau zu überqueren; und ein großer Teil der Untertanen Fritigerns, die die Folgen ihrer Anarchie allmählich schmerzlich empfanden, waren leicht gewonnen, als König einen gotischen judex anzunehmen, dessen hohe Geburt sie anerkannten und mit dessen Fähigkeiten sie mehrfach gute Erfahrungen gemacht hatten. Aber das Alter hatte Athanarichs stürmisches Gemüt abgekühlt; und anstelle sein Volk zu Schlacht und Sieg zu führen, ließ er sich lieber Vorschläge zu einem ehrenhaften Friedensschluss vorlegen. Theodosius, der mit den Verdiensten und der Bedeutung seines neuen Alliierten durchaus vertraut war, ließ sich dazu herbei, mit ihm ein Treffen wenige Meilen außerhalb von Konstantinopel zu verabreden; und nahm ihn gastlich in der Kaiserstadt auf, mit dem Vertrauen eines Freundes und dem Prunk-Aufwand eines Königs.
»Der Barbarenhäuptling betrachtete mit neugieriger Aufmerksamkeit die Vielzahl von Objekten, und brach schließlich in aufrichtige und begeisterte Ausrufe der Bewunderung aus. Nun sehe ich (so sagte er), was ich niemals geglaubt hätte, die Prunkstücke dieser herrlichen Hauptstadt!« Und als er weiter um sich schaute, erkannte und bewunderte er die beherrschende Lage der Stadt, die Stärke der Mauern und die Schönheit der staatlichen Gebäude, den geräumigen Hafen, in welchem ungezählte Schiffe lagen, das Gedränge der verschiedenen entlegensten Nationen und die zahlreichen wohldisziplinierten Truppen. »In der Tat,« (so Athanarich weiter), »der Kaiser der Römer ist ein Gott auf Erden; und der Verwegene, der seine Hand gegen ihn erhebt, trägt die Schuld an seinem eigenen Untergang«. Es wird den Leser sicherlich nicht verstimmen, wenn er jetzt das Originalzitat des Jordanes oder des von ihm übersetzten Verfassers lesen kann: Regiam urbem ingressus est, miransque, En, inquit, cerno quod saepe incredulus audiebam, faman videlicet tantae urbis. Et huc illuc oculos volvens, nunc situm urbis commeatumque navium, nunc moenia clara prospectans, miratur; populosque diversarum gentium, quasi fonte in uno e diversi partibus scaturriuente unda, sic quoque militem ordinatum aspiciens. Deus, inquit, est sine dubio terrenus imperator, et quisquis adversus eum manum moverit, ipse sui sanguinis reus existit. Jordanes (Getica 28) fährt dann damit fort, von seinem Tod und seinem Begräbnis zu erzählen.
TOD UND BEGRÄBNIS DES ATHANERICH 25. JANUAR 381
Lange konnte der König der Goten sich dieser glanzvollen und ehrenhaften Aufnahme nicht erfreuen; und da Mäßigung nicht zu den auffälligen Eigenarten der Goten gehörte, kann zu Recht vermutet werden, dass ihn seine tödliche Krankheit mitten bei den Freuden eines königlichen Bankettes anfiel. Aber Theodosius verstand es, aus dem Tode seines Alliierten mehr Nutzen zu ziehen als er jemals von dem Lebenden hätte erhoffen können. Athanarich wurde in allen Ehren in der Hauptstadt des Ostens beerdigt; ein pompöses Denkmal ward zu seinem Gedächtnis errichtet; und seine komplette Armee, die die gewinnende Art und der unaufdringliche Kummer des Theodosius für sich gewonnen hatten, trat unter die Fahne des Römischen Reiches. Jordanes, Getica 28. Selbst Zosimos (4,34) muss die Freigebigkeit des Theodosius anerkennen, die für ihn selbst so ehrenhaft und für die Öffentlichkeit so segensreich war. Diese Unterwerfung der Westgoten brachte die heilsamsten Folgen mit sich; und die Kombination von Gewaltandrohung, Vernunfterwägungen und Bestechung ward täglich wirkmächtiger und umfänglicher. Jeder unabhängige Stammeshäuptling eilte, einen unabhängigen Friedensvertrag für sich zu abzuschließen, besorgt, dass zu langes Zögern ausgerechnet ihn, vereinsamt und schutzlos, der Rache oder der Justiz des Siegers aussetzen werde. Die allgemeine oder besser: abschließende Kapitulation der Goten kann man vier Jahre, einen Monat und fünfundzwanzig Tage nach der Niederlage und Tod des Valens ansetzen. Die kurzen, aber echten Andeutungen in den Fasti des Hydatius (Chronik, bei Scaliger, p. 52) sind von zeitgenössischer Parteinahme umdunkelt. Die 14. Rede des Themistios ist eine Danksagung an den Frieden und den Konsul Saturninus. (A.D. 383).
NIEDERLAGE DER OSTGOTEN · A.D. 386
Die Donauprovinzen waren infolge des freiwilligen Rückzuges von Alatheus und Saphrax bereits der Bedrückung durch die Ostgoten ledig; beide fühlten sich berufen, sich neue Felder für Raub und Ruhm zu eröffnen. Ihr Sinnen war gen Westen gerichtet; aber wir müssen uns darein finden, von ihren Abenteuern nur sehr oberflächliche Kenntnisse zu besitzen. Einige germanische Stämme in Gallien brachten die Ostgoten in Bedrängnis; schlossen mit dem Herrscher Gratian einen Vertrag, um ihn alsgleich wieder zu brechen; gelangten in die unbekannten Gefilde des Nordens; und kehrten nach mehr als vier Jahren gestärkt an den Unterlauf der Donau zurück. Ihre Truppen rekrutierten sich aus den wildesten Kriegern Germaniens und Skythiens; die Soldaten oder zumindest die Historiker des Reichs unterschieden Namen und Aussehen ihrer früheren Feinde nicht mehr. [Ü.a.d.Griech.: Das Volk der Skythen, allen unbekannt]. Zosimos 4,38.
Der General, der das Landheer und die Flotte an der thrakischen Grenze befehligte, gelangte rasch zu der Erkenntnis, dass seine Überlegenheit dem gemeinen Besten nachteilig werden könnte; und dass die Barbaren, von seiner machtvollen Truppenpräsenz beeindruckt, die Flussüberquerung auf den nahenden Winter verschieben könnten. Die Geschicklichkeit seiner Späher und Agenten, die er in das gotische Lager entsandt hatte, lockte die Barbaren in eine tödliche Falle. Sie ließen sich überzeugen, dass sie mit einem kühnen Angriff bei Nacht die schlafende Armee der Römer würden überrumpeln können; und rasch wurde die gesamte Heeresmacht in eine Armada von dreitausend Kanus eingeschifft. Die Natur des Sache und ein vergleichbares Beispiel berechtigen mich, diesen indianischen Namen auf die Einbäume der Barbaren anzuwenden, jene Baumstämme, die zum Boot ausgehölt waren; [Ü.a.d.Griech.: in einer Masse von Einbäumen trafen sie ein]. Zosimos 4,38. An der Spitze waren die tapfersten der Ostgoten; die Hauptmasse bildeten die restlichen Untertanen und die Soldaten; Frauen und Kinder folgten in sicherem Abstand.
Für die Ausführung ihres Planes hatten sie sich eine mondlose Nacht ausgesucht; und fast schon hatten sie das Südufer der Donau erreicht in der zuversichtlichen Erwartung, dass sie günstige Gelegenheit zur Landung und ein unbewachtes römisches Lager vorfinden würden. Aber plötzlich wurde der Vormarsch der Barbaren durch ein unerwartetes Hindernis aufgehalten: eine dreifache Linie von Schiffen, alle miteinander verkettet, bildeten eine zweieinhalb Meilen lange, unüberwindbare Barriere entlang des Flussufers. Während sie sich noch damit abmühten, in diesem ungleichen Kampf ihren Weg zu bahnen, wurde ihre rechte Seite durch den Angriff einer ganzen Flotte von Geleeren überrannt, deren Angriffswucht durch den vereinten Vortrieb von Rudern und Strömung unwiderstehlich geworden war. Das schiere Gewicht und die Geschwindigkeit dieser Kriegsschiffe zerschlug, versenkte und zerstreute die plumpen und hilflosen Boote der Barbaren; ihr Mut blieb wirkungslos; und Alatheus, der König und Heerführer der Ostgoten, verdarb zusammen mit seinen besten Männern durch das Schwert der Römer oder ertrank in den Fluten. Die letzte Abteilung dieser Unglücksflotte mochte zum rettenden Ufer zurückgekehrt sein; aber Not und Chaos machten es den Goten in gleicher Weise unmöglich, irgendetwas zur Rettung zu tun oder zu raten; und so flehten sie schon bald um die Milde des siegreichen Feindes.
Es ist an dieser Stelle, wie an vielen anderen auch, schlechterdings unmöglich, die Vorurteile und die Emotionen der Schreiber aus der Zeit von Theodosius miteinander in Einklang zu bringen. Der parteiische und übelmeinende Historiker, der jede Maßnahme seiner Regierung verfälscht, versichert uns, dass der Kaiser sich nicht auf dem Schlachtfeld blicken ließ, bevor nicht die Barbaren durch seinen Feldherren Promotus niedergerungen waren. Zosimos 4,38. Er verrät seine Unfähigkeit zur Objektivität, indem er noch die ernsthaftesten Darstellungen mit der Erzählung der albernsten Nebenumstände entwertet. Der schönflötende Dichterling, der am Hofe des Honorius vom Ruhm des Vaters und des Sohnes kündet, schreibt den Sieg der persönlichen Tüchtigkeit des Theodosius zu; und macht uns fast noch weis, dass der König der Ostgoten von des Kaisers eigener Hand gefallen sei. ...«Odothaei Regis opima retulit«...[die Waffen des Königs Odothaeus trug er davon]. Claudian, de IV consulatu Honorii 632. Die opima sind Beutestücke, die ein römischer General nur einem feindlichen König oder General abgewinnen konnte, den er mit eigener Hand getötet hatte; und nicht mehr als drei Beispiele davon sind aus Roms großen Tagen überliefert. Die historische Wahrheit dürfte irgendwo zwischen diesen beiden Behauptungen liegen.
GOTEN SIEDELN IN THRAKIEN UND ASIEN · A.D. 385-395
Der ursprüngliche Friedensvertrag, welcher den Goten Siedlungsland zuwies und ihre Rechte und ihre Pflichten festschrieb, wäre eine Bereicherung der Geschichte des Theodosius und seiner Nachfolger. Geist und Inhalt dieses einmaligen Vertrages sind in der Masse der übrigen Geschichte untergegangen. Siehe Themistios, Orationes 16. Claudian (in Eutropium 2,152) erwähnt die phrygische Kolonie: »...Ostrogothis colitur mistisque Gruthungis Phryx ager...« [Mischlinge von Ostgoten und Greutungen bebauen phrygisches Land]. Dann nennt er noch die Flüsse Lydiens, den Paktolos und Hermos. Das Wüten des Krieges und der Tyrannen hatte viel fruchtbares, wenngleich unbearbeitetes Land für den Gebrauch durch solche Barbaren bereitgestellt, welche sich nicht zu fein waren, sich mit der Landwirtschaft abzugeben. Eine starke Kolonie von Westgoten ließ sich in Thrakien nieder; die Reste der Ostgoten wurden in Phrygien und Lydien angesiedelt; ihrer unmittelbaren Not steuerte man durch reiche Verteilung von Getreide und Vieh; und ihr zu erwartender Eifer wurde bereits im Voraus durch einen mehrjährigen Steuernachlass beflügelt.
Die Barbaren würden es verdient haben, die grausame und ungetreue Politik des kaiserlichen Hofes zu erdulden, wenn sie, auf sich gestellt, sich über die Provinzen hätten verteilen lassen. Sie verlangten, und es wurde ihnen auch zugestanden, den alleinigen Besitz der Dörfer und Gebiete, die für sie als Wohnsitz bestimmt worden waren; sie pflegten nach wie vor ihre eigenen Bräuche und ihre Sprache; stellten im Herzen des Despotismus ihre innere politische Selbständigkeit sicher; anerkannten die Herrschaft des Kaisers, ohne sich zugleich der nachgeordneten Rechtsprechung und Roms Magistraten zu unterwerfen. Die erblichen Stammeshäuptlinge und Familien durften noch immer ihre Gefolgschaft und Familien in Frieden- und Kriegszeiten anführen; aber die Königswürde blieb abgeschafft; und die gotischen Generäle wurden nach dem Belieben des Kaisers eingesetzt oder abberufen.
Eine Armee von vierzigtausend Mann stand dem Ostreich dauerhaft zur Verfügung; und die stolzen Truppen, die den Titel foederati oder Alliierte trugen, unterschieden sich von den Anderen durch das Tragen von Goldringen, großzügige Besoldung und ebensolche Vorrechte. Ihr angeborener Mut wurde durch den Gebrauch römischer Waffen und die Einübung militärischer Disziplin zusätzlich erhöht; und während also die Republik durch das zweischneidige Schwert der Barbaren bewacht oder auch bedroht wurde, erloschen im Gemüt der Römer die letzten Funken militärischer Begeisterung. Vergleiche Jordanes (20,27), der den Zustand und die Anzahl der gotischen foederati bemerkt, mit Zosimos (4,40), der ihre goldenen Halsketten erwähnt, und Pacatus (Panegyrici 12,37), der der mit erheuchelter oder einfältiger Freude ihre Tapferkeit und Disziplin hervorhebt. Theodosius war geschickt genug, seine Alliierten davon zu überzeugen, dass die Friedensbedingungen, die er ihnen durch List und Zwang abgetrotzt hatte, der spontane Ausdruck seiner aufrichtigen Freundschaft zu den Goten sei. »Amator pacis generisque Gothorum« [Freund des Friedens und der Goten] lautet das Lob (29) des gotischen Historikers, welcher sein Volk als unschuldig, langmütig und friedfertige schildert. Folgt man Livius, dann eroberten die Römer die Welt immer nur aus Notwehr.
Gegenüber Den Klagen des eigenen Volkes, welches diese gefährlichen und schandbaren Zugeständnisse laut tadelte, verwendete er eine andere Art der Verteidigung und Gegenrede. Außer den parteiischen Anzüglichkeiten des Zosimos (immer unzufrieden mit christlichen Herrschern) sehe man auch die ernstlichen Vorhaltungen des Synesios an die Adresse des Kaiser Arcadius (De regno, p. 25f). Der philosophische veranlagte Bischof von Kyrene war nahe genug am Geschehen, um ein Urteil fällen zu können und zugleich weit genug entfernt von den Versuchungen der Furcht oder Schmeichelei entfernt. Die Gefahren eines Krieges wurden in den lebhaftesten Farben gemalt; und die ersten Anzeichen für wiedererstandenen Frieden, Ordnung, Überfluss, Sicherheit wurden propagandistisch überhöht dargestellt. Die Fürsprecher des Theodosius konnten mit einigem Anspruch auf Wahrheit darauf hinweisen, dass man unmöglich so viele kriegerische Stämme austilgen könne, die der Verlust ihrer Heimat zu Verzweiflungstaten getrieben habe; und dass die erschöpften Provinzen durch frische Zufuhr von Soldaten und Bauern zu neuem Leben erwachen würden. Zwar, die Barbaren böten nach wie vor einen bedrohlichen und kriegerischen Aspekt; aber ihre Aufführungen würden sich im Laufe der Zeit glätten, und Erziehung und der Einfluss des Christentums täten da ein Übriges; auch würden sie unmerklich Eins werden mit dem großen römischen Volkskörper. Themistios schreibt eine ausgefeilte und vernünftige Apologie, die indessen nicht ganz frei ist von den Kindereien der Griechen-Rhetorik. Orpheus konnte lediglich die wilden Tiere Thrakiens besänftigen; aber Theodosius verzauberte die Männer und Frauen, deren Vorfahren aus demselben Lande Orpheus in Stücke gerissen hatten, &c.
SIE SETZEN DEN BÜRGERN STRAFLOS ZU
Ungeachtet dieser gewichtigen Argumente und dieser optimistischen Erwartungen konnte jeder, der es sehen wollte, feststellen, dass die Goten noch lange Zeit die Feinde und über ein kurzes wohl auch die Eroberer des Römischen Reichen sein würden. Ihr ungehobeltes und rüpelhaftes Benehmen drückte nur ihre Verachtung der Bürger und Provinzialen aus, die sie straflos beleidigen konnten. Konstantinopel war für einen halben Tag von der öffentlichen Brotversorgung ausgeschlossen, um für die Ermordung eines gotischen Kriegers zu büßen. [Ü.a.d.Griech.: das Skytische bewegen] ?war des Volkes Verfehlung gewesen. Libanios, Orationes 12. Andererseits hatte Theodosius manchen Erfolg dem Eifer und dem Mut der Barbaren zu danken; aber ihre Hilfe war unzuverlässig; und eine verräterische und unbeständige Veranlagung brachte sie bisweilen dazu, ihn genau dann im Stich zu lassen, wenn ihre Hilfe am meisten vonnöten war. Während des Bürgerkrieges gegen Maximus zog sich eine große Anzahl der Goten in die Sumpfgebiete von Makedonien zurück, verwüstete die umliegenden Provinzen und nötigte den furchtlosen Monarchen, sich selbst in Gefahr zu bringen und seine Kräfte aufzuwenden, um die emporschlagenden Flammen der Rebellion zu ersticken. Zosimos 4,48f erzählt eine lange und läppische Geschichte von dem abenteuernden Herrscher, welcher das Land mit nur fünf Reitern durchstreifte, von einem Spähbuben, den sie entdeckten, auspeitschten und in der Hütte einer alten Frau töteten, &c.
Die öffentliche Besorgnis wurde noch vergrößert durch den starken Verdacht, dass diese Tumulte nicht die Folge einer vorübergehenden Gefühlsaufwallung waren, sondern die Frucht einer wohlgeplanten Verschwörung. Allgemein herrschte die Meinung vor, dass die Goten den Friedensvertrag mit einer feindlichen und hinterlistigen Gesinnung unterschrieben hätten; und dass ihre Häuptlinge sich feierlich und insgeheim verschworen hätten, den Römern niemals treu ergeben zu sein sowie den Anschein unbedingter Ergebenheit und Freundschaft zu bewahren und dabei den geeigneten Moment für Raub, Rache und Sieg abzupassen.
Da aber auch über die Gemüter der Barbaren die Dankbarkeit Macht ausübt, übten einige Gotenhäuptlinge zuverlässig ihren Dienst gegenüber dem Reich oder zumindest dem Kaiser; die ganze Nation war unmerklich in zwei entgegengesetzte Faktionen geteilt, und viel Scharfsinn wurde in Gesprächen und Debatten aufgewendet, um die Obliegenheiten miteinander zu vergleichen, welche sich aus ihrer ersten und zweiten Verpflichtung ergäben. Diejenigen unter den Goten, welche sich selbst als Friedens- und Romfreunde ansahen, folgten Fravitta, einem ehrlichen und kühnen jungen Mann, der sich vor seinen übrigen Landsleuten durch sein geschliffenes Benehmen auszeichnete, durch seine edle Denkungsart und durch eine hohe soziale Kompetenz. Die Mehrheit indessen folgte dem ungebärdigen und ungetreuen Priulf, der die Leidenschaften seines kriegerischen Anhanges zu erregen verstand und ihren Sinn nach Unabhängigkeit bediente. Als die Häuptlinge beider Parteien wegen eines hohen Festes an der kaiserlichen Tafel saßen, erhitzten sie sich allmählich mit Wein, vergaßen darüber ihre sonst geübte Zurückhaltung und verrieten im Beisein von Theodosius das fatale Geheimnis ihrer internen Zwistigkeiten. Der Kaiser, der unfreiwillig Zeuge dieser außergewöhnlichen Kontroverse wurde, verbarg seinen Schrecken und seinen Zorn und löste kurz danach die Festversammlung auf.
Fravitta, aufgeschreckt und aufgebracht durch seines Gegners unzeitgemäße Torheit, folgte ihm beherzt, da er meinte, dass sein Ausbruch aus dem Palast zum Signal für einen allgemeinen Bürgerkrieg hätte werden können, zog sein Schwert, und Priulf lag tot zu seinen Füßen. Seine Gefährten eilten zu den Waffen; und Roms getreuer Freund wäre ihrer Überzahl erlegen, wenn ihn nicht das rechtzeitige Eingreifen der kaiserlichen Palastwache gerettet hätte. Vergleiche hierzu Eunapius (Excerpta legationum p. 21f) und Zosimos (4,56). Trotz der verschiedenen Einzelheiten und Namen handelt es sich um die gleiche Geschichte. Fravitta oder Travitta wurde bald darauf (A.D. 401) Konsul und war auch ein treuer Diener von Theodosius ältestem Sohn. Tillemont, Histoire des Empereurs Band 5, p. 467. Solche Szenen von Barbarenzorn spielten sich also im Palast und an der Tafel des Römischen Kaisers ab; und da nur die Standhaftigkeit des Theodosius die aufsässigen Goten im Zaume halten konnte, schien die öffentliche Sicherheit vom Leben und von den Fähigkeiten eines einzigen Mannes abzuhängen »Les Goths ravagerent tout depuis le Danube jusqu'au Bosphore; exterminerent Valens et son armee; et ne repasserent le Danube que pour abandonner l'affreuse solitude qu'ils avoient faite« [Die Goten vernichteten alles Land zwischen Donau und Bosporus, besiegten Valens und sein Heer und gingen nur über die Donau zurück, um die von ihnen verursachte Einöde zu verlassen] (Oeuvres de Montesquieu, Band 3, p. 479; Considerations sur les Causes de la Grandeur et de la Decadence des Romains, c. 17.) Dem Herrn Präsidenten scheint es unbekannt zu sein, dass die Goten nach der Niederlage des Valens niemals wieder römisches Gebiet verlassen haben. Jetzt sind es dreißig Jahre, sagt Claudian, De bello Gothico 168ff, A.D. 402: »Ex quo iam patrios gens haec oblita Triones, Atque Istrum transvecta semel, vestigia fixit Threicio funesta solo.« [seit dieses Volk seine väterlichen Gestirne vergessen und die Donau dreimal überschritten und seine verderblichen Spuren fest in thrakischem Boden eingedrückt hat]. Der Fehler ist unentschuldbar, zumal er die wichtigste und unmittelbarste Ursache für den Untergang des römischen Westreiches verhehlt.