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DIE HERRSCHER DECIUS, GALLUS, AEMILIANUS, VALERIAN UND GALLIENUS · ALLGEMEINER BARBARENEINFALL · DIE DREISSIG TYRANNEN IHRE WIRKLICHE ZAHL

 

Zwischen den großen Säkularspielen des Philippus Arabs und dem Tod des Kaisers Gallienus lagen zwanzig Jahre der Schande und des Unglücks. Während dieser Zeit des Jammers gab es zu allen Augenblicken und in jeder Reichsprovinz Erschütterungen infolge von Barbareneinfällen und Militärdiktaturen, und das verheerte Imperium schien sich in den letzten Stunden seiner Agonie zu befinden. Die unsicheren Zeiten und die Kargheit der authentischen Quellen stellen den Historiker vor große Problemen, wenn er den Faden seiner Erzählung ungestört weiterspinnen möchte. Angewiesen auf unzureichende Fragmente, die stets kurzgefasst, oftmals unverständlich und bisweilen widersprüchlich sind, ist er aufs Sammeln angewiesen, auf den Vergleich und aufs – Raten; und obwohl er seine Konjekturen niemals mit gesicherten Tatsachen gleichsetzen sollte, kann dennoch seine Kenntnis der Menschennatur und ihrer Leidenschaften für die Mängel des Quellematerials aufkommen – zuweilen jedenfalls.

 

PHILIPP UND DECIUS (249)

So lässt es sich zum Beispiel ohne weiteres begreifen, dass die unaufhörliche Ermordung so vieler Kaiser das Band der Treue zwischen Herrscher und Volk gelockert hatte; dass die vielen von Philipp eingesetzten Generäle geneigt waren, ihrem Herren nachzueifern; und dass die Launen der Armee, die ja regelmäßig in blutige Erhebungen einmündeten, jeden Tag noch den armseligsten ihrer Waffenbrüder auf den Thron heben konnten. Die Geschichte kann dazu lediglich konstatieren, dass unter den mösischen Legionen im Sommer A.D. 249 eine Rebellion gegen Philipp ausbrach und ein Subalternoffizier mit Namen Marinus Dieser von Zosimos (1,20) und Zonaras (12,19) benutzte Ausdruck kann anzeigen, dass Marinus eine Centurie, Cohorte oder Legion befehligte. das Objekt ihrer unbotmäßigen Abstimmung war. Philipp ward alarmiert. Er besorgte, dass der Verrat der mösischen Armee sich als der erste Funken einer allgemeinen Erhebung erweisen könne. Von dem Bewusstsein seiner Schuld und der Gefahr umgetrieben, setzte er den Senat in Kenntnis. Zunächst herrschte düsteres Schweigen, sei es aus Furcht, sei es aus Abneigung, bis schließlich einer aus der Versammlung, Decius – und hierbei bewies er eine seiner noblen Herkunft gemäße Charakterstärke – mehr Furchtlosigkeit zu zeigen wagte, als der Kaiser zu besitzen schien. Er stellte die Angelegenheit verächtlich als einen überhasteten und blödsinnigen Rummel dar, der nach ein paar Tagen infolge derselben Zufälligkeiten versanden würde, die ihn jetzt empor gespült hätten. Da sich diese Vorhersage prompt erfüllte, fasste Philipp berechtigtes Zutrauen zu so einem befähigten Ratgeber, und Decius erschien ihm der einzige geeignete Mann, die Ruhe und Ordnung in jener Armee zu erneuern, deren aufsässige Gesinnung sich auch nicht beruhigen wollte, als man Marinus ermordet hatte. Decius Seine Geburt in Bubalia, einem Dorf in Pannonien (Eutropius 9,4; Aurelius Victor Caesares 29 und Epitome 29), scheint – wenn sie denn nicht schierer Zufall war – seiner vermuteten Abstammung von den Decii zu widersprechen. 600 Jahre haben das Geschlecht der Decii geadelt. Aber zu Beginn dieser Epoche waren sie lediglich verdiente Plebejer und gehörten zu den ersten, welche mit den hochfahrenden Patriziern ein Konsulat teilten. Plebeiae Deciorum animae, &c, Juvenal, Satiren 8, 245. Siehe auch die geistvolle Rede des Decius in Livius 10, 7 und 8. hatte sich seiner Ernennung lange widersetzt hatte, denn er scheint sich der Gefahr bewusst gewesen zu sein, wenn man einen Militär von Verdienst den aufgebrachten und zugleich misstrauischen Gemütern der Soldaten vorsetzte; und wieder bestätigten die Ereignisse seine Vorhersage. Die mösischen Legionen zwangen ihren Richter, ihr Komplize zu werden. Sie ließen ihm nur die Alternative zwischen Tod oder Purpur. Vor diese Wahl gestellt, hatte er keine Wahl mehr. Er führte seine Armee – besser: er folgte ihr – an die italienischen Grenzen, wohin auch Philipp geeilt war, um mit allen verfügbaren Kräften den Konkurrenten, den er selbst aufgezogen hatte, zurückzuschlagen. Die kaiserlichen Truppen waren an Zahl überlegen; aber die Rebellen hatten kampferprobte Krieger in ihren Reihen und einen umsichtigen und bewährten Anführer. Philipp wurde entweder in der Schlacht getötet oder wenige Tage später in Verona. Seinen Sohn und Mitregenten ermordeten die Prätorianer in Rom; und der siegreiche Decius, der mehr entschuldigende Begleitumstände für sich geltend machen konnte als nur den üblichen Ehrgeiz jener Tage, wurde von Senat und Provinzen einhellig anerkannt. Es wird überliefert, dass er Philipp unmittelbar nach der ihm aufgezwungenen Übernahme des Augustustitels in einer privaten Botschaft seiner Unschuld und seiner Treue versichert und zugleich feierlich beteuert hatte, dass er bei seiner Ankunft in Italien die kaiserlichen Insignien ablegen und in seine Dienste als ein gehorsamer Untertan zurückkehren werde. Seine Beteuerungen mögen wohl aufrichtig gewesen sein; aber in der Stellung, in welche ihn das Schicksal versetzt hatte, war beides ausgeschlossen, Vergebung zu gewähren, Vergebung zu erhoffen. Zosimos 1,22 und Zonaras 12, 19.

 

DIE GOTEN ZUM ERSTEN MALE IM RÖMISCHEN REICH A.D. 250

Kaiser Decius hatte sich erst wenige Monate den Werken des Friedens und der Justizverwaltung gewidmet, als ihn die Invasion der Goten an die Donau abberief. Es ist dieses das erste Mal, dass die Geschichte Notiz nimmt von diesem großen Volke, welches später Roms Macht zerschlagen, das Capitol plündern und in Gallien, Spanien und Italien Reiche begründen sollte. So groß war ihre Rolle beim Umsturz der westlichen Reichshälfte, dass wir den Name ›Goten‹ oft, wenn auch zu Unrecht, als allgemeine Bezeichnung für ›brutale und kriegslüsterne Barbaren‹ nennen hören.

Später, zu Beginn des VI Jahrhunderts und nach der Eroberung Italiens, widmeten sich die Goten im Bewusstsein ihrer augenblicklichen Macht ganz natürlich auch der Betrachtung ihrer Vergangenheit und ihrer künftigen Größe. Sie wollten das Andenken an ihre Vorfahren bewahren und zugleich späteren Generationen ihren eigenen Ruhm künden. Der oberste Minister am Hofe zu Ravenna, der gelehrte Cassiodor, erfüllte die Wünsche der Eroberer mit einer Geschichte der Goten in zwölf Büchern, welche aber nur in den unvollständigen Auszügen des Jordanes Siehe hierzu die Vorreden von Cassiodor und Jordanes, Gotica. Es überrascht schon, dass der Letztere aus der vorzüglichen Edition Gotischer Autoren von Grotius ausgeschlossen bleiben konnte. vorliegen. Diese Autoren verstanden es, mit höchster Eleganz die Unglücksfälle dieses Volkes auszusparen, ihre Tugenden hervorzuheben und es mit Triumphen zu schmücken, die viel eher dem Skythenvolke zugehörten. Soll man den alten Dichtungen Glauben schenken – es sind die einzigen, aber unzuverlässigen Nachrichten der Barbaren – so entstammen die Goten der riesigen skandinavischen Insel oder Halbinsel. Gestützt auf Ablavius' Autorität zitiert Jordanes (Getica 4) einige alte gotische Chroniken in Versen.

Dieses Land im hohen Norden war den Bezwingern Italiens nicht unbekannt; das Band einer alten Blutsverwandtschaft wurde durch Freundschaftsdienste jüngeren Datums gefestigt. Und ein skandinavischer König hatte sich mit Freuden seiner rohen Größe entschlagen, um den Rest seiner Tage in dem friedlichen und feinen Ambiente des Hofes von Ravenna Jordanes, Getica 3. zu verbringen. Zahlreiche Hinweise, die man nicht nur volkstümlicher Lust am Fabulieren zuschreiben darf, weisen darauf hin, dass die Goten in alten Zeiten ihren Sitz jenseits der Ostsee hatten. Seit der Zeit des Geographen Ptolemäus scheint der minder unternehmungsfreudige Teil des Volkes Südschweden in dauerhaftem Besitz gehabt zu haben, und selbst heute noch sind ansehnliche Gebiete dieses Landes in ein westliches und östliches Gotland geteilt. Als sich während des Mittelalters das Christentum langsam in den Norden ausbreitete (vom IX bis zum XII Jahrhundert), waren Goten und Schweden zwei verschiedene und zuweilen sogar feindliche Bevölkerungsgruppen unter derselben Krone. Die Vorrede des Grotius enthält einige längere Auszüge des Adam von Bremen und Saxo Grammaticus. Ersterer schrieb im Jahr 1077, Letzterer um 1200. Der zweite Name ist der allgemein übliche, hat aber den ersten niemals vollständig abgelöst. Die Schweden, die sich mit ihrem eigenen Waffenruhm hätten zufrieden geben können, haben sich zu allen Zeiten auch das Renommee der Goten zugeeignet. Als Karl XII von Schweden einmal Anlass hatte, sich an dem römischen Hofe zu ärgern, deutete er an, dass seine siegreichen Truppen keineswegs schwächer seien als ihre tapferen Vorfahren, die schon einmal die Herrscherin der Welt in die Knie gezwungen hätten. Voltaire, Histoire de Charles XII, Buch 3. Als Österreich die Hilfe Roms gegen Gustav Adolf erbat, galt dieser Eroberer ihnen als ein direkter Nachfahr Alarichs. Harte, History of Gustavus Adolphus, Bd. 2, S. 123.

 

RELIGIÖSE VORSTELLUNGEN DER GOTEN

Bis zum Ende des XI. Jahrhunderts stand in Uppsala, der angesehensten Stadt der Schweden und Goten, ein hochberühmter Tempel. Er war ausgeschmückt mit dem Gold, welches sich die Skandinavier auf ihren Piratenzügen zusammengeraubt hatten und welches geheiligt war durch die klobigen Bildsäulen ihrer drei Hauptgottheiten, des Kriegsgottes, der Fruchtbarkeitsgöttin und des Donnergottes. Während des großen allgemeinen Festes, welches alle neun Jahre stattfand, wurden neun Tiere von jeder Art – den Menschen nicht ausgenommen – geopfert, und ihre blutenden Leiber hingen im heiligen Hain, dem Tempel benachbart. Siehe Adam von Bremen in der Einleitung von Grotius, Historica Gothorum, S. 105. Den Tempel in Uppsala ließ der Schwedenkönig Ingo zerstören, der seine Regierung im Jahre 1075 antrat; etwa achtzig Jahre später wurde über den Ruinen des Tempels eine christliche Kathedrale errichtet. Siehe Dalin, Geschichte des Schwedischen Reiches. Die einzige Spur dieses barbarischen Irrsinns findet sich in der Edda, einer Art systematischer Mythologie, die in Island während des XIII. Jahrhunderts zusammengetragen wurde und nun von gelehrten Dänen und Schweden untersucht wird, da sie die kostbarste Quelle für ihre frühe Vergangenheit ist.

Des Sagendunkels der Edda ungeachtet können wir gleichwohl zwei Personen mit dem gleichen Namen Odin unterscheiden, dem Gott des Krieges und dem großen Gesetzgeber Skandinaviens. Der letztgenannte, der Mohamed des Nordens, stiftete eine auf das Klima und die Bevölkerung abgestimmte Religion. Zahlreiche Völker auf beiden Seiten der Ostsee unterwarfen sich Odins Macht, seiner überzeugenden Rednergabe und seinem Ruf als vielerfahrener Zauberer. Den Glauben, den er in seinem langen und ereignisreichen Leben verbreitet hatte, festigte er noch durch seinen freiwilligen Tod. Als er merkte, dass ihm ein trübseliges Schwächeln und Altern bevorstand, entschloss er sich zu einem Kriegertod. In einer feierlichen Versammlung von Schweden und Goten brachte er sich an neun Stellen tödliche Wunden bei, entfernte sich in Eile, um, wie er mit ersterbender Stimme versicherte, das Heldenmahl in des Kriegsgottes Palast vorzubereiten. Mallet, Introduction à l'histoire du Dannemarc.

 

SKANDINAVISCHE HERKUNFT DER GOTEN

Das Heimatland und der eigentliche Wohnort Odins kann man an der Bezeichnung Asgard ablesen. Der gefällige Gleichklang dieses Namens mit As-burg oder As-ow, Mallet, Introduction, c.4, S.55, hat bei Strabo, Plinius, Ptolemäus und Stephanos von Byzanz die Spuren einer solchen Stadt und eines solchen Volkes gesammelt. Wörtern von ähnlicher Bedeutung, haben den Anlass zu einem historischen Gebäude von so lieblicher Komposition gegeben, dass wir beinahe wünschen möchten, es sei wahr. Es wird erzählt, dass Odin der Häuptling eines an den Ufern des Maeotis-Sees blühenden Barbarenstammes gewesen sei, bis dann der Untergang des Mithradates und die Waffen des Pompeius den Norden knechteten; dass Odin, in ohnmächtigem Zorne zurückweichend vor einer Macht, der zu widerstehen er außerstande war, seinen Stamm von den Grenzen des asiatischen Sarmatia nach Schweden geführt habe mit dem weitausgreifenden Plan, auf jener unerreichbaren Insel der Freiheit eine Religion und ein Volk zu begründen, welche einst, in späteren Zeiten, das Werkzeug seines unauslöschlichen Racheverlangens sein würden; dann nämlich, wenn seine unbesiegbaren Goten, von kriegerischem Fanatismus durchglüht, in großen Schwärmen von ihrer Heimat am Polarkreis aufbrechen würden, um die Unterdrückerin der Welt zu züchtigen. Dieser wundersame Zug Odins, von dem die Feindschaft zwischen Römern und Goten ihren Anfang genommen hat und der die Vorlage für ein Epos bieten könnte, kann wohl nicht als gesichert und authentisch gelten. Folgt man dem offenkundigen Sinn der Edda und der Auslegung ihrer kundigsten Interpreten, dann bezeichnet As-gard nicht eine reale Stadt im asiatischen Samartien, sondern ist die fiktive Benennung der mystischen Götterwohnung, des skandinavischen Olymps: von hier soll der Prophet hernieder gestiegen sein, als er sich anschickte, dem Volk der Goten seine neue Religion zu künden, als diese bereits im südlichen Schweden siedelten.

Wenn so viele aufeinanderfolgende Generationen von Goten eine wenn auch nur blasse Erinnerung an ihren skandinavischen Ursprung zu bewahren imstande waren, dürfen wir von diesen schreibunkundigen Barbaren gleichwohl keine genaueren Angaben über Zeit und nähere Umstände ihrer Auswanderung erhoffen. Das Überqueren der Ostsee war ein einfacher und naturgegebener Vorgang. Die Einwohner Schwedens geboten über eine ausreichende Anzahl von großen geruderten Schiffen, Tacitus, Germania, 44. und die Entfernung zwischen Karlskrona und den nächstgelegenen Häfen Preußens und Pommerns beträgt etwa hundert Meilen. Hier nun endlich landen wir auf gesichertem historischen Grund. Frühestens in der christlichen Ära, Tacitus, Annales 2,62. Könnten wir die Seereisen des Pytheas von Marseille als zuverlässig verbürgt ansehen, dann hätten die Goten bereits 300 Jahre vor Chr. die Ostsee überquert. spätestens aber im Zeitalter der Antonine Ptolemaios, Geographica 2. hatten sich die Goten an der Weichselmündung festgesetzt, und zwar in jenem fruchtbaren Landstrich, in welchem lange Zeit später die Handelsstädte Thorn, Elbing, Königsberg und Danzig gegründet wurden. Und zwar durch Kolonisten, die dem bewaffneten Deutschritterorden folgten. Eroberung und Bekehrung der Preußen durch diese Abenteurer wurden bereits im dreizehnten Jahrhundert vollendet. Westlich von den Goten breiteten sich beidseits der Oder und längs der Seeküste von Mecklenburg und Pommern die zahlreichen Stämme der Vandalen aus. Unübersehbare Ähnlichkeiten in Gebräuchen, Charakter, Religion und Sprache scheinen darauf hinzudeuten, dass Vandalen und Goten einmal ein einziges großes Volk gewesen waren. In diesem Punkte stimmen Plinius (Naturalis Historia 4,14) und Prokopios (De bello Vandalico) überein. Diese Autoren lebten zu verschiedenen Zeiten und hatten unterschiedliche Hilfsmittel zu ihrer Wahrheitssuche. Die letzteren haben sich dann offensichtlich in Ostgoten, Westgoten und Gepiden aufgeteilt Ostro und visi-goten, die Ost- und Westgoten, erhielten ihre Bezeichnung von ihren ursprünglichen Wohnorten in Skandinavien. Bei allen ihren späteren Zügen und Ansiedlungen behielten sie neben ihren Namen auch immer ihre relative Lage zueinander bei. Bei ihrer ersten Ausfahrt aus Schweden genügten für die Kolonisten drei Schiffe. Das dritte, ein schweres Segelschiff, blieb zurück, und die Mannschaft, die später zu einer eigenen Nation aufblühte, erhielt deshalb den Namen Gepidae, das ist Nachzügler oder Bummler. Jordanes, Getica 17. Die verschiedenen Stämme unter den Vandalen wurde durch die jeweils eigenständigen Bezeichnungen der Heruler, Burgunder, Lombarden sowie eine Anzahl kleinerer Staaten betont, welche sich in späteren Zeiten zu mächtigen Monarchien weiterentwickelten.

 

VON PREUSSEN ZUR UKRAINE

Im Zeitalter der Antonine siedelten die Goten noch im späteren Preußen. Bis etwa zu der Regierungszeit des Alexander Severus hatte die römische Provinz Dacien ihre Nachbarschaft in Form zahlreicher verheerender Einfälle zu spüren bekommen. Siehe ein Fragment von Petros Patrikios (Excerpta legationum) und hinsichtlich der Entstehungszeit Tillemont, Histoire des Empereurs, Bd. 3, p. 346. In diese siebzig Jahre müssen wir deshalb die zweite Wanderung der Goten von der Ostsee zum Schwarzen Meer legen; die Ursachen hierfür liegen zwischen den mannigfachen Motiven verborgen, welche auch sonst die Wanderungswellen heimatloser Barbaren auslösen. Pestilenz oder Hungersnot, ein Sieg oder eine Niederlage, ein göttliches Orakel oder die Redekunst eines charismatischen Anführers: dies reichte hin, den gotischen Waffen den Weg zu den milderen Zonen des Südens zu weisen. Unabhängig von solchen religiösen Einflüssen waren die Goten nach Zahl und Entschlossenheit den stärksten Gegnern gewachsen. Durch den Gebrauch des Kurzschwertes und des runden Buckelschildes waren sie im Handgemenge fürchterlich; ›Omnium harum gentium insigne, rotunda scuta, breves gladii, et erga reges obsequium‹ [Alle diese Völkerschaften sind an ihren Rundschilden und Kurzschwertern kenntlich sowie ihrem Gehorsam gegenüber Königen]. Tacitus, Germania 43. Das Eisen erwarben die Goten vermutlich durch Bernsteinhandel. ihr männlicher Gehorsam gegenüber ihren Erbkönigen gab ihren Beratungen eine ungewöhnliche Einigkeit und Bestimmtheit. Und der hochberühmte Amala, Held jenes Zeitalters und in zehnter Generation Vorfahr von Theoderich, des Königs von Italien, erhöhte durch persönliches Verdienst sein Geburtsvorrecht, welches er von den Ansen oder Halbgöttern der gotischen Nation herleitete. Jordanes, Getica 13 und 14.

 

ANWACHSEN DES GOTENZUGES

Die Nachricht von einem Unternehmen großen Stils erregte die Gemüter der tapfersten Krieger aller germanischen Vandalenstämme, von denen wir viele einige Jahre später unter einer gemeinsamen gotischen Fahne kämpfen sehen. Besonders erwähnt werden die Heruler und die Uregunder oder Burgunder; der Markomannenkrieg wurde hauptsächlich ausgelöst durch den Druck von Barbarenstämmen, die ihrerseits vor den Waffen der nördlicheren Stämme flohen. Zunächst gelangten die Massen an die Ufer des Prypjet, welcher Fluss bei den Alten allgemein für einen Südarm des Borysthenes (Dnjepr) angesehen wurde. D'Anville, Géographie ancienne und Teil 3 seines unvergleichlichen Kartenwerkes von Europa. Der windungsreiche Verlauf dieses großen Stromes durch Polen und Russland gab ihnen die Marschrichtung vor sowie verlässlichen Wasservorrat und Weideland für ihre starken Pferde- und Rinderherden. Sie folgten dem unbekannten Flusslauf, vertrauten im Übrigen auf ihre Stärke und besorgten sich nicht um irgendwelche Mächte, die sich ihrem Zug entgegenstellen mochten. Die Bastarnae und Wenden waren die ersten, die sich ihnen zeigten; und sie vergrößerten mit der Blüte ihrer Jugend das Gotenheer, sei es nun freiwillig oder genötigt. Die Bastarnae siedelten an der Nordseite der Karpaten, während die ungeheure Landfläche, die die Bastarnae von Finnlands Wildnis trennte, von den Wenden besetzt, oder genauer: verheert wurde; Tacitus, Germania 46. wir haben Grund zu der Vermutung, dass die erstgenannte dieser Nationen, welche sich auch im Makedonischen Krieg ausgezeichnet hatte Cluver, Germania antiqua, 3, c. 43. und die sich danach in die kriegerischen Stämme der Peucini, Carpi &c teilte, von den Germanen abstammt. Samartische Herkunft kann man mit besseren Gründen dem Stamm der Wenden Die Wenden, die Slaven und die Antes waren die drei größten Stämme desselben Volkes. Jordanes, Getica 43. zusprechen, welche sich im Mittelalter so rühmlich hervorgetan haben. Indessen hat dieses Durcheinander von Völkern und Bräuchen an jener unsicheren Grenze auch die sorgfältigsten Beobachter verwirrt. Tacitus verdient zweifellos diesen Titel, und selbst sein bedächtiges In-der-Schwebe-Lassen ist ein Beweis für sorgfältige Nachforschungen. Bei ihrem Vormarsch zum Schwarzen Meer trafen die Goten auf die Jazygen, Alani und Roxolani, die mit mehr Recht den Sarmaten zuzurechnen sind; und vermutlich waren sie auch die ersten Germanen, welche die Mündungsgebiete von Borysthenes und Tanais erblickten. Fragen wir nach kennzeichnenden Unterschieden zwischen Germanen und Samarten, so finden wir, dass sich diese beiden riesigen Bevölkerungsgruppen beispielsweise durch feste Hütten und transportierbare Zelte unterschieden, durch enge Kleidung und lose, mantelartige Umhänge, durch die Verheiratung mit einer Frau oder mehreren, durch eine Armee, die hauptsächlich aus Fußvolk bzw. Reiterei bestand, und schließlich, als wichtigstem Punkt, in ihrer Sprache, der Germanischen und der Slavischen, welch letztere sich infolge späterer Eroberungen von Italien bis in die Nähe Japans ausbreitete.

 

DIE UKRAINE

Die Goten waren nunmehr im Besitz der Ukraine, einem Land von beträchtlicher Größe und außergewöhnlicher Fruchtbarkeit, von schiffbaren Flüssen durchzogen, die sich beidseitig in den Borysthenes ergießen, und von großen, mächtigen Eichenwäldern durchsprenkelt. Die Masse von jagdbarem Wild und Fisch, von ungezähltem Bienenvölkern in alten Baum- und Felshöhlen, was selbst in jenen kulturlosen Tagen einen beachtlichen Handel ermöglichte, das kräftige Vieh, die milden Temperaturen, die Eignung des Bodens für jede Art von Getreideanbau, die üppige Vegetation allerorten: dieses alles wies auf eine freigebige Natur hin, und lieferte dem Gewerbefleiß des Menschen manchen Anreiz. Genealogical History of the Tartars, p. 593.Mr. Bell durchquerte die Ukraine auf seiner Reise von Petersburg nach Konstantinopel. Die gegenwärtige Beschaffenheit des Landes ist ein getreues Abbild der antiken, da es, in der Hand von Kosaken, sich nach wie vor im Naturzustand befindet. Aber die Goten widerstanden derlei Versuchung und hingen auch fürder einer Lebensart an, deren Inhalt Müßiggang, Armut und Raub waren.

 

DER GOTENKRIEG A.D. 250

Die skytischen Horden, die östlich der neuen Siedlungsgebiete der Goten lebten, bedeuteten deren Waffen nichts außer der fragwürdigen Aussicht auf einen nutzlosen Sieg. Der Anblick der römischen Provinzen war da schon bedeutend einladender; die Felder von Dacien waren mit üppiger Ernte bestanden, ausgesät von einem fleißigen Volk und jetzt preisgegeben, nur um von einem kriegerischen Volke geerntet zu werden. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Eroberungen Trajans, die seine Nachfolger weniger wegen eines realen Vorteils als vielmehr imaginierter Würde halber in Besitz behielten, zur Schwächung des Imperiums in jenen Regionen beigetragen haben. Die neue und noch unbesiedelte Provinz Dacien war, um den räuberischen Neigungen der Barbaren zu widerstehen, nicht schlagkräftig genug, und nicht wohlhabend genug, um sie zu saturieren. Solange die entfernten Ufer des Dnjestr als die eigentlichen Grenzen der römischen Macht angesehen wurden, wurden die Festungsanlagen an der unteren Donau recht nachlässig gewartet, und die Einwohner Mösiens lebten in Sorglosigkeit dahin, dünkten sie sich doch weitab von allen nur denkbaren barbarischen Eindringlingen. Der Goteneinfall unter Philipp machte sie in schmerzlicher Weise auf ihren Irrtum aufmerksam. Der König – oder Anführer – dieser rüden Nation marschierte verachtungsvoll durch Dacien, querte Dnjestr und Donau und traf nirgendwo auf Widerstand, der geeignet gewesen wäre, seine Eilmärsche auch nur zu verzögern. Die verkommene Disziplin der römischen Truppen überließ den Feinden die wichtigsten Vorposten, und die Furcht vor der verdienten Strafe brachte viele von ihnen sogar dazu, sich den gotischen Fahnen anzuschließen. Der buntscheckige Barbarenhaufen erschien schließlich vor den Toren von Marcianopolis, welche Stadt Trajan zu Ehren seiner Schwester gegründet hatte In Jordanes, c.16, können wir ohne Bedenken statt secundo Moesiam secundum setzen, das zweite (inferior) Mösien, dessen Hauptstadt ohne Zweifel Marcianopolis war. (Hierocles de Provinciis uns Wesseling, Itineraria p.636.) Es ist verwunderlich, wie dieser offenkundige Schreibfehler der scharsinnigen Korrektur des Grotius entgehen konnte. und die damals die Hauptstadt des östlichen Mösien war. Die Einwohner kamen überein, sich durch Zahlung einer hohen Summe Geldes auszulösen, und die Eindringlinge zogen sich in ihre Wüsteneien zurück, durch ihren ersten leichten Waffenerfolg gegen ein fettes und feiges Land eher auf den Geschmack gebracht als wirklich zufriedengestellt. Kaiser Decius erhielt alsbald Kunde davon, dass Kniva, der Gotenkönig, die Donau ein zweites Mal und mit größerer Truppenmacht überquert habe; dass zahlreiche Kleinverbände die Provinz Mösien verheerten und dass die Hauptstreitmacht von etwa siebzigtausend Germanen und Sarmaten, eine zu allem entschlossene Heerschar, die Anwesenheit des Kaisers, insonders aber die Aufbietung aller militärischen Kräfte dringlichst erfordere.

 

EREIGNISSE DES GOTISCHEN KRIEGES A.D. 250

Decius fand die Goten vor Nikopolis am Jatrus, einem der zahlreichen Siegesmale Trajans. Der Platz heißt heute noch Nikop. Der kleine Fluss, an dessen Ufern die Stadt lag, mündet in die Donau. D'Anville, Geographie ancienne Bd. 1, p. 307. Bei seinem Nahen gaben sie die Belagerung auf, aber nur, um sich einem wichtigeren Unternehmen zuzuwenden, nämlich der Belagerung von Philippopolis, einer thrakischen, vom Vater Alexanders gegründeten Stadt am Fuße des Mons Haemus. Stephanos von Byzanz, de urbibus, p. 740. Wesseling, Itineraria, p. 136. Zonaras schreibt auf Grund eines rätselhaften Irrtums die Gründung von Philippopolis dem unmittelbaren Vorgänger des Decius zu. Decius folgte ihnen in Eilmärschen und durch schwieriges Gelände; als er sich jedoch noch in einigem Abstand von des Gegners Nachhut wähnte, griff Kniva in jäher Zornesaufwallung seine Verfolger an. Das Römerlager war im Handstreich genommen und geplündert, und zum ersten Male entfloh ein Kaiser ungeordnet vor einem Haufen halbbewaffneter Barbaren. Nach langem Widerstand wurde dann Philippopolis, das an Entsatz verzweifeln musste, mit Sturm genommen. Einhunderttausend Menschen sollen bei der Plünderung dieser großen Stadt Ammianus Marcellinus, 31,5. ums Leben gekommen sein. Den materiellen Wert der Beute erhöhten noch viele Gefangene von Rang; und Priscus, ein Bruder des verstorbenen Kaisers Philipp, errötete nicht, aus der Hand von Roms barbarischen Feinden den Purpur zu empfangen. Aurelius Victor, Caesares 29. Die Zeit jedoch, die während der langwierigen Belagerung verging, ermöglichte es Decius, seinen Truppen den Mut zu heben, die Disziplin wieder herzustellen und neue Truppen anzuwerben. Er fing mehrere marodierende Schwärme der Karpi und anderer Germanen ab, die herzugeeilt waren, am Siege ihrer Landsleute teilzuhaben, Die Inschrift ›Victoriae carpicae‹ auf einigen Gedenkmünzen des Decius weist auf diese Vorteile hin. ließ die Bergpässe durch Offiziere von bewährter Treue Claudius, welcher später so ruhmreich regierte, wurde am Thermopylenpass mit 200 Dardanern, 100 schweren und 160 leichten Reitern, 60 kretischen Bogenschützen und 1000 gutausgerüsteten Rekruten eingesetzt. Siehe ein persönliches Schreiben des Kaisers an seine Generäle, Historia Augusta Claudius 16. besetzen, die Festungsanlagen an der Donau ausbessern und verstärken und bot alle Wachsamkeit auf, jedem weiteren Vor- oder Rückmarsch der Goten zu begegnen. Ermutigt durch die Rückkehr des Kriegsglückes wartete er ungeduldig auf eine Gelegenheit, durch einen großen und entscheidenden Schlag seinen eigenen Ruhm und den der römischen Waffen wiederherzustellen. Jordanes, Getica 16-18; Zosimos, 1,23. Bei der allgemeinen Betrachtung dieses Krieges ist es leicht, die jeweilige Voreingenommenheit von Jordanes, dem gotischen, und Zosimos, dem griechischen Autor festzustellen. Ähnlich sind sie sich nur in ihrer Sorglosigkeit beim Umgang mit den Fakten..

 

WIEDERHERSTELLUNG DES ZENSORENAMTES VALERIANUS

Zur selben Zeit, in welcher Decius mit dem Mute des Löwen kämpfte, dachte er auch, kalt und ruhig inmitten des Kriegsgetöses, über die allgemeinen Gründe nach, die seit den Antoninen den Abstieg Roms so sichtlich beschleunigt hatten. Schon bald wurde er inne, dass es unmöglich sei, dieser Größe Festigkeit und Dauer zu verleihen, bevor nicht öffentliche Tugenden, althergebrachte Grundsätze und Bräuche sowie die darnieder liegende Majestät des Rechts wiederhergestellt seien. Um dieses edle, wenngleich dornenreiche Unternehmen voranzutreiben, beschloss er, zunächst das untergegangene Amt des Zensors erneut ins Leben zu rufen; ein Amt, das, solange es in seiner ursprünglichen Würde bestand, so viel zur Dauer Roms beigetragen hatte, Montesquieu, Considération sur les causes de la grandeur des Romains, c.8. bis es endlich die Cäsaren übernahmen und allmählich verkommen ließen. Vespasian und Titus waren die letzten Zensoren. (Plinius, Nat. His 7,49; Censorinus, de die natali.) Trajans Bescheidenheit ließ ihn dieses Amt ausschlagen, das er eigentlich verdient hätte, und sein Beispiel wurde für die Antonine Gesetz. In der Gewissheit, dass die Fürsprache des Herrschers zwar Macht übertragen kann, aber nur die Wertschätzung des Volkes eigentliche Autorität verleiht, übertrug er die Zensor–Wahl der Unparteilichkeit des Senates. Durch einstimmigen Beschluss, oder besser noch: durch Akklamation, erwählte man Valerianus, der später Kaiser wurde und sich damals unter Decius im Heeresdienst auszeichnete, für dieses hohe Amt.

 

27. OKTOBER A.D. 251

Sobald der Kaiser von dem Senatsbeschluss Kenntnis hatte, berief er im Lager eine große Heeresversammlung ein und belehrte den designierten Zensor vor seiner Amtseinführung über die Widrigkeiten und die Bedeutung seiner Aufgabe: ›Glücklicher Valerianus!‹ so der Kaiser zu dem Erwählten, ›glücklich infolge der allgemeinen Billigung von Senat und römischem Volk. Nimm die Wahl zum Zensor über die Menschheit an und sei Richter über unsere Sitten! Du wirst diejenigen erwählen, welche auch künftig Senatsmitglied zu bleiben verdienen; du wirst dem Ritterstand seinen alten Glanz zurückgeben. Du wirst die Einkünfte des Staates mehren, und gleichzeitig die Bürde für die Öffentlichkeit mindern. Du wirst die unterschiedlichen und ungezählten Massen der Städter wieder in geziemende Klassen einteilen und gründliche Musterung halten über die militärische Stärke, den Schatz, die Sitten und die Hilfsquellen Roms. Deine Entscheidungen sollen Gesetzeskraft haben. Die Armee, der Palast, die Jurisdiktion und alle hohen Staatsbeamten haben sich vor deinem Richterstuhl zu verantworten. Niemand ist hiervon ausgenommen bis auf die amtierenden Konsuln, Trotz dieser Ausnahmestellung musste Pompeius während seines Konsulates vor diesem Gerichtshof erscheinen. Die Ursache war ebenso ausgefallen wie honorig. Plutarch, Pompeius 22. den Stadtpräfekten, die Opferpriester und (solange sie denn ihre Keuschheit bewahren) die ältesten der Vestalischen Jungfrauen. Auch diese wenigen werden um die Wertschätzung des Römischen Zensors bemüht sein, wenn sie denn schon nicht seine Strenge fürchten müssen.‹ Siehe den Originaltext in der Historia Augusta, Valeriane 6.

 

EIN WIRKUNGSLOSER PLAN

Ein mit derartigen Machtbefugnissen ausgestatteter Beamter hätte sich eher wie der Kollege als der Diener seines Kaisers fühlen dürfen. Diese Verhandlung hat Zonaras (12,20) wohl zudem Irrtum verleitet, Valerian sei tatsächlich zum Mitregenten des Decius erklärt worden. Valerian fürchtete zu Recht Neid und Argwohn im Gefolge seiner Erhebung. So redete er in bescheidener Weise von dem übergroßen Vertrauensvorschuss, seiner eigenen Unzulänglichkeit und der unheilbaren Verderbnis der Zeitläufte. Das Amt des Zensors, so wusste er klüglich zu verbreiten, war mit der imperialen Würde untrennbar verbunden, seien doch die schwachen Kräfte eines Untertanen der ungeheuren Belastung durch so viel Macht und so viele Aufgaben kaum gewachsen. Historia, Augusta, Valeriane 6; die kaiserliche Antwort fehlt.

Der bevorstehende Kriegsausbruch setzte diesen hochfliegenden, aber unausführbaren Plänen ein vorläufiges Ende und ersparte so dem Valerian die Gefahren und dem Herrscher die fast unvermeidliche Enttäuschung, seine guten Absichten scheitern zu sehen. Die Moral eines Staatswesens kann ein Zensor allenfalls aufrechterhalten, aber gewiss nicht wiederherstellen. Der Träger eines solchen Amtes kann unmöglich seine Befugnisse segensreich oder sogar mit Erfolg ausüben, solange er nicht Unterstützung erhält durch ein lebendiges Bewusstsein für Ehre und Tugend in der Bevölkerung, durch den Respekt der öffentlichen Meinung und durch ein Hilfscorps von nützlichen Vorurteilen, das für die nationale Sache mitkämpft. In Zeiten, in denen diese Grundsätze für nichts gelten, verkommt die Rechtsprechung des Zensors entweder zu einem hohlen Schaustück oder zu einem brutalen Unterdrückungsinstrument. Wie etwa die Bemühungen des Augustus zu einer Sittenreform. Tacitus, Annales 3,24. Es schien wesentlich einfacher, die Goten zu vernichten als die öffentlichen Laster; und selbst bei dem erstgenannten dieser Unternehmungen verlor Decius seine Armee und sein Leben.

 

TOD DES DECIUS UND SEINES SOHNES A.D. 251

Die Goten sahen sich nunmehr von allen Seiten durch die römische Armee eingekreist und angegriffen. Die Blüte ihres Heeres war bei der langwierigen Belagerung von Philippopolis umgekommen, und das erschöpfte Land hielt für die noch lebende Masse verschwenderischer Barbaren keine Mittel mehr bereit. In dieser äußerst prekären Lage hätten sich die Goten von Herzen gern ihren ungehinderten Abzug im Tausche gegen alle ihre Beute und ihre Gefangenen erkauft. Indessen war sich der Kaiser seines Sieges sicher, und da er zugleich gesonnen war, durch einen Sieg über die Eindringlinge den Völkern des Nordens einen heilsamen Schrecken einzujagen, zeigte er sich abgeneigt gegen jede Art von Waffenstillstandsverhandlung. Die hochgesinnten Barbaren ihrerseits zogen den Tod der Sklaverei vor. Eine unbedeutende Kleinstadt in Mösien, Forum Terebronii, Tillemont, Histoire des empereurs, Band 3, p.598. Da Zosimos und einige seiner Nachfolger die Donau mit der Tanais (Don) verwechseln, verlegen sie das Schlachtfeld in die skythische Ebene. war Schauplatz des Entscheidungskampfes. Die gotische Armee war in drei Linien aufgestellt, und vor der dritten Linie befand sich, sei es infolge kluger Taktik oder durch Zufall, morastiges Gelände. Gleich zu Beginn des Gefechtes wurde der Sohn des Decius, ein Jugendlicher, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte und der bereits zum Mitkaiser eingesetzt worden war, vor den Augen seines entsetzten Vaters von einem Pfeil tödlich verwundet; dieser nahm jedoch alle Kraft zusammen und rief den entmutigten Truppen zu, dass der Tod eines einzigen Soldaten für die Republik von geringer Bedeutung sei. Aurelius Victor lässt die zwei Decii in zwei unterschiedlichen Gefechten sterben; ich habe mich indessen für Jordanes' Darstellung entschieden. Das Gemetzel war fürchterlich; es war der Kampf der Verzweiflung gegen Gier und Raub. Die erste Linie der Goten wankte und floh dann in Panik; die zweite, die der ersten zu Hilfe geeilt war, teilte dies Schicksal. Und erst die dritte stand unerschüttert, bereit, den Kampf am Morast zu wagen, worauf sich der Feind auch allzu zuversichtlich einließ. ›Hier nun wendete sich das Tagesglück, und alles lief gegen die Römer: das Gelände, grundlos von Schlamm, gab nach unter den Stehenden und war schlüpfrig für die Angreifer; die Waffen schwer, die Wasser tief; auch konnten sie in dieser heiklen Lage ihre schweren Wurfspieße nicht einsetzen. Die Barbaren ihrerseits waren an Kämpfe im Morast gewöhnt; mit großen Körpern und langen Spießen trafen sie auch in der Entfernung.‹ Ich habe gewagt, aus Tacitus (Annalen 1,64) die Schilderung eines ähnlichen Gefechtes zwischen der römischen Armee und einem Germanenstamm nachzuschreiben. In diesem Morast war die römische Armee nach aussichtslosem Kampfe hoffnungslos verloren; auch der Körper des toten Kaisers wurde niemals gefunden. Jordanes, Getica 18; Zosimos 1,23; Zonaras 12, 20; Aurelius Victor, Caesares 29,5 und Epitome 29. Dies war das Ende des Decius in seinem fünfzigsten Lebensjahr; ein befähigter Herrscher, unternehmend im Kriege, leutselig im Frieden, Die Decier kamen noch vor Ende des Jahres 251 um, da die neuen Herrscher das Konsulat an den nachfolgenden Kalenden des Januar antraten. der es verdient, dass sein Leben und Sterben zusammen mit dem seines Sohnes unter den glänzendsten Beispielen antiker Tugenden Auch die Historia Augusta (Aurelian 42) räumt ihnen einen Ehrenplatz ein unter den sehr wenigen verdienstvollen Kaisern, die zwischen Augustus und Diokletian regierten. genannt wird.

 

WAHL DES GALLUS 251 A.D.

Die fatale Niederlage dämpfte, wenn auch nur für kurze Zeit, die Arroganz der Truppe. Es scheint, dass sie das Senatsdekret, welches die Thronfolge regelte, in Demut abwartete und submissest befolgten. Der Kaisertitel wurde Hostilian, dem einzigen noch lebenden Sohne des Decius, übertragen, was nicht mehr als eine schickliche Verneigung vor dem Toten war; aber denselben Titel, verbunden mit einem Mehr an wirklicher Macht, verlieh man auch an Gallus, dessen Erfahrung und Geschick man zutraute, die gleichschwierigen Wächterämter über den jungen Prinzen und das angeschlagene Reich auszuüben. Haec ubi patres comperere...decernunt Aurelius Victor, Caesares 30. [Sobald die Senatoren davon erfuhren,...entschieden sie sich].

 

ABZUG DER GOTEN A.D. 252

Die erste Aufgabe des neuen Kaisers bestand darin, die illyrischen Provinzen von der unerträglichen Belastung durch die siegreichen Gotenhorden zu befreien. Er überließ ihnen die unermessliche Beute ihrer Invasion und, was noch bitterer war, eine beträchtliche Anzahl von Gefangenen, Personen allesamt von Verdienst und Bedeutung. Er versah ihr Lager mit allem Komfort, welcher geeignet schien, ihre aufgebrachten Gemüter zu befrieden oder ihren heißersehnten Abmarsch zu beschleunigen. Er versprach ihnen sogar eine beträchtliche jährliche Summe Goldes gegen die Zusicherung, dass sie künftighin nimmermehr über die römischen Lande herfallen würden. Zonaras, 12,21.

Als im Zeitalter der Scipionen die mächtigsten Könige der Welt um die Gunst des Reiches buhlten, empfingen sie Geschenke, die so geringfügig waren, dass sie ihren eigentlichen Wert nur vermöge der schenkenden Persönlichkeit erhielten: ein Elfenbeinstuhl, ein Purpurmantel, eine kleine Goldschale oder eine Handvoll Kupfermünzen. Eine Sella (Sessel) eine Toga (Obergewand) und eine goldene Patera (Opferschale ) von fünf Pfund Gewicht erhielten Ägyptens reiche Könige, und er war froh und dankbar (Livius 27,4). Quina millia Aeris, Kupfer im Wert von achtzehn Pfund Sterling war das übliche Geschenk für ausländische Gesandtschaften. (Livius 31,9.) Nachdem der Reichtum der Nationen in Rom zusammengeflossen war, zeigten sich die Größe und sogar die Politik der Kaiser durch eine maßvoll, aber regelmäßig ausgeübte Freigebigkeit gegenüber den Verbündeten. Sie milderten so die Armut der Barbaren, belohnte ihre Verdienste und erneuerten zugleich ihre Loyalität. Diese freiwilligen Gesten der Großmut begriff man als einen Ausdruck nicht der römischen Furcht, sondern des Altruismus und des Edelmutes; und während Geschenke und Unterstützung unter Freunden und Bittstellern selbstlos verteilt wurden, wurden sie denen, die sie als eine Art Schuldigkeit abverlangten, mit Bestimmtheit verweigert Siehe die Standhaftigkeit eines römischen Feldherren noch zur Zeit des Alexander Severus, Excerpta Legationum, p. 25.. Aber diese Verpflichtung zu einer jährlichen Zahlung an einen siegreichen Feind war nichts anders als ein schmachvoller Tribut; das römische Gemüt war mit solcherart Diktat von Barbarenstämmen durchaus noch unvertraut; und der Kaiser, der mit seiner Kompromissbereitschaft vermutlich das Römische Reich gerettet hatte, wurde Zielscheibe der allgemeinen Verachtung und Abgunst. Der Tod des Hostilianus, ob er sich auch mitten in einer Pestepidemie ereignete, wurde als persönliche Meucheltat des Gallus ausgedeutet Zur Pest vgl. Jordanes, Getica 19 und Aurelius Victor, Caesares 30,2.; und selbst die Niederlage des toten Decius schrieb die Stimme des Argwohns den ungetreuen Ratschlägen seines verhassten Nachfolgers zu Diese unglaubwürdigen Anklagen bringt Zosimos (1,24) vor.. Die Ruhe, derer sich das Reich während des ersten Jahres seiner Regierung erfreute Jordanes, Getica 19. Der gotische Autor verweist immerhin auf den Frieden, den seine siegreichen Landsleute dem Gallus geschworen hatten., diente eher dazu, das öffentliche Missfallen aufzustacheln als es zu beschwichtigen; und sobald sich erst einmal die Kriegssorgen verflüchtigt hatten, wurde der Schandfrieden nur umso deutlicher und schmerzlicher empfunden.

 

SIEG DES AEMILIANUS A.D. 253 VALERIANUS KAISER

Die Römer sollten sich indessen noch mehr erregen, als sie nämlich entdeckten, dass der Frieden längst nicht wiederhergestellt war, auch wenn sie ihn zum Preis ihrer Ehre erhandelt hatten. Die gefährlichen Geheimnisse von Roms Reichtum und seiner Schwäche waren der übrigen Welt ruchbar geworden. Neue Barbarenhorden, die sich durch den Erfolg ihrer Brüder ermutigt und durch deren Verträge zu nichts verpflichtet fühlten, verbreiteten Verheerung in den illyrischen Provinzen und Entsetzen bis vor die Tore Roms. Aemilianus, Provinzstatthalter von Pannonien und Moesien, übernahm die Verteidigung der Monarchie, welche das bängliche Gemüt des Herrschers bereits abgeschrieben hatte; er sammelte die zerstreuten Truppen und belebte ihren schwindenden Mut. Die Barbaren wurden überraschend angegriffen, aufgerieben, verfolgt und bis über die Donau gehetzt. Der siegreiche Feldherr verteilte das Geld, das eigentlich für die Tributzahlung bereitgestellt war, als Geschenk an die Soldaten, und per Akklamation ernannten die Soldaten noch auf dem Schlachtfeld Aemilianus zum Kaiser. Zosimos 1,28.

Der eigentliche Kaiser Gallus, der unbekümmert um das gemeine Wohl sich den Freuden Italiens widmete, erfuhr praktisch zeitgleich von Sieg, Revolte und raschem Herannahen seines strebsamen Generals. Er brach auf, ihn möglichst noch in der Ebene von Spoleto abzufangen. Als die beiden Heere Sichtkontakt hatten, verglichen die Truppen des Gallus die schmachvollen Gebarungen ihres Anführers mit dem Nimbus und Ruhm seines Rivalen. Sie bewunderten die Leistung des Aemilianus; auch seine Großzügigkeit nahm sie für ihn ein, hatte er doch allen Überläufern beträchtliche Solderhöhungen zugesichert. Aurelius Victor, Caesares 31,2. Die Ermordung des Gallus und seines Sohnes Volusianus beendete den Bürgerkrieg noch vor seinem Ausbruch; und der Senat legalisierte im Nachhinein das Recht des Stärkeren. Die Briefe des Aemilianus an jene Versammlung sind eine Melange an Zurückhaltung und Prahlsucht. Er sicherte ihnen zu, die zivilen Belange ausschließlich ihrer Weisheit anzuvertrauen und sich selbst mit der Rolle ihres Generals zufriedenzugeben, der über ein Kleines das Ansehen Roms wiederherstellen und das Reich von der Barbaren des Nordens und Ostens befreien Zonaras, 12,22. werde. Der Senat kitzelte sein Selbstwertgefühl durch vielen Beifall, und es sind Medaillen auf uns gekommen, die ihn mit Namen und Attributen des Siegreichen Herkules und des Rächenden Mars darstellen. Banduri, Numismata, p. 94.

 

VALERIAN RÄCHT GALLUS UND WIRD KAISER

Falls der neue Monarch derlei Fähigkeiten besessen hätte, so fehlte ihm doch die Zeit, diese hellen Verheißungen einzulösen. Noch nicht vier Monate vergingen zwischen seinem Sieg und seinem Untergang. Eutropius 9,6 schreibt ›tertio mense‹ (im dritten Monat). Bei Eusebios fehlt dieser Kaiser. Gallus hatte er bezwungen: er sank in den Staub vor einem Rivalen, der fürchterlicher war als Gallus. Dieser glücklose Herrscher hatte Valerian – er bekleidete bereits das ehrenvolle Amt eines Zensors – beauftragt, die Legionen Galliens und Germaniens Zosimos 1,29. Eutropius und Aurelius Victor verlegen Valerians Heer nach Rhätien. zu seiner Hilfe heranzuführen. Valerian entledigte sich dieses Auftrags mit Eifer und Pünktlichkeit; als er indessen zu spät kam, seinem Kaiser zu helfen, beschloss er, ihn wenigstens zu rächen. Den Truppen des Aemilianus, die noch in der Ebene vor Spoleto in ihrem Lager standen, flößte die Lauterkeit seines Charakters Respekt ein, noch viel mehr indessen die zahlenmäßige Überlegenheit seiner Armee; und da sie sich zur persönlichen Treue sowenig verstanden wie zur Loyalität gegenüber den Verfassungsprinzipien, bedeutete es ihnen auch nichts, ihre Hände in das Blut eines Herrschers zu tauchen, dessen eifrige Parteigänger sie noch vor kurzer Zeit gewesen waren. Ihrer war die Schuld, Valerian indessen hatte den Gewinn; er kam auf den Thron infolge eines Bürgerkrieges, aber seine persönliche Schuld war klein, was in jenen blutigen Zeiten durchaus selten war: dem von ihm gestürzten Vorgänger schuldete er weder Dank noch Treue.

 

CHARAKTERISTIK VALERIANS

Valerian war etwa sechzig Jahre um Zeitpunkt seiner Thronbesteigung oder – wahrscheinlicher – seines Todes war er etwa siebzig Jahre alt. Historia Augusta, Valeriane 1. Tillemont, Histoire des empereurs, Bd. 3, p. 893, Anm. 1. alt, als er den Purpur empfing, was aber nicht aufgrund einer Volkslaune geschah oder weil die Armee mal wieder Lärm schlug, sondern infolge einmütiger Berufung durch die Römischen Welt. Während seines Aufstiegs durch die einzelnen Staatsämter hatte er sich die Gunst verschiedener Herrscher erworben und sich selbst als Feind jeder Tyrannis zu erkennen gegeben. Inimicus tyrannorum. Historia Augusta, Valeriane 1. In den ruhmreichen Kämpfen des Senates gegen Maximinian spielt Valerian eine äußerst maßgebliche Rolle, Historia Augusta, Gordiane 9. Seine hohe Geburt, sein leutseliges und makelloses Auftreten, seine Bildung, Klugheit und seine Erfahrung wurden von Senat und Volk gleichermaßen hochgeschätzt; und wenn denn die Menschheit die Freiheit gehabt hätte (wie ein antiker Autor anmerkt), sich einen Herren zu wählen, dann wäre ihre Wahl sicherlich auf Valerian gefallen. Er hat, folgt man den Angaben Victors, den Imperatortitel von der Armee und den des Augustus vom Senat erhalten. Denkbar, dass die Verdienste dieses Herrschers seinem Ruf nicht ganz entsprachen; denkbar auch, dass seine Fähigkeiten oder doch wenigstens sein Geist durch die Müdigkeit und Kälte des Alters geschwächt wurden. Im dem Bewusstsein seiner sich neigenden Jahre setzte er einen zweiten Throninhaber ein, jünger an Jahren und unternehmender als er selbst; Tillemont (Bd. 3, p.710) hat aus Victor und den erhaltenen Medaillen richtig gefolgert, dass im August des Jahres 253 Gallienus als Mitherrscher eingesetzt wurde. die Nöte der Zeit verlangten einen General so gut wie einen Herrscher; und seine Erfahrung als römischer Zensor dürfte ihn veranlasst haben, den Purpur als Belohnung für militärisches Verdienst zu vergeben. Anstatt nun aber eine gewissenhafte Prüfung und Wahl durchzuführen, die seine Herrschaft gefestigt und sein Andenken erhöht hätten, folgte Valerian lediglich den Eingebungen der Sympathie oder Eitelkeit und setzte seinen Sohn Gallienus zum Mitkaiser ein, ein Jüngelchen, dessen verweichlichte Verkommenheit nur infolge seiner bis dahin privaten Stellung noch nicht ruchbar geworden war.

 

ALLGEMEINE NOTLAGE UNTER VALERIAN UND GALLIENUS A.D. 253 – 268

Die gemeinsame Regierung von Vater und Sohn dauerte sieben, die alleinige des Sohnes acht Jahre. Aber der ganze Zeitabschnitt war eine ununterbrochene Kette von Erschütterungen und Kalamitäten. Da das Römische Imperium zur gleichen Zeit und von allen Seiten blindwütigen ausländischen Eindringlingen und im Inneren ehrgeizigen Thronräubern ausgesetzt war, sollten wir Übersicht zu gewinnen trachten, und zwar nicht durch die anfechtbare Reihung von Daten als vielmehr durch die naturgegebene Anordnung des Stoffes. Die gefährlichsten Feinde Roms während der Herrschaft des Valerian und Gallienus waren: 1. Die Franken; 2. Die Alamannen; 3. Die Goten; 4. Die Perser. Mit diesen übergreifenden Namen wollen wir auch solche abenteuernde Stämme von geringerer Bedeutung bezeichnen, deren unbekannte und rautönige Namen nur das Gedächtnis des Lesers belasten und seine Aufmerksamkeit zerstreuen würden.

 

DIE FRANKEN DIE FRANKENKONFÖDERATION

I Da die Nachfahren der Franken gegenwärtig eine der mächtigsten und aufgeklärtesten Nationen Europas bilden, ist an die Erforschung ihrer rohen Vorfahren viel gelehrter Scharfsinn aufgeboten worden. Zunächst gab es kritiklos übernommene Fabeln, dann ein Gespinst von Phantasieprodukten. Jede Spur wurde verfolgt, jeder Fleck durchsiebt, ob sie denn nicht irgendwelche noch so schwachen Hinweise auf ihren Ursprung offenbarten. Als die Wiege jenes berühmten Kriegerstammes waren im Gespräch: Pannonien, Es wurden verschiedene Methoden ersonnen, eine schwierige Passage bei Gregor von Tours (2,9) zu deuten. Gallien und Teile von Nordgermanien. Der Umstand, dass der Geograph von Ravenna (1, c.11) Mauringanien an der dänischen Grenze zum alten Wohnsitz der Franken macht, hat Leibniz zu einem ingeniösen System veranlasst. Schließlich haben die kompetentesten Forscher die angebliche Auswanderung von angeblichen Eroberern fallengelassen und sich auf eine Theorie geeinigt, die so unkompliziert ist, dass sie vermutlich wahr ist: Cluver, Germania antiqua, Buch 3, c.20. Fréret in den Mémoires de l'Academie des Inscriptions, Bd. 18. Die Annahme geht dahin, dass etwa im Jahre 240 Höchst wahrscheinlich unter der Regentschaft von Gordian, wie ein zufälliger Umstand nahe legt, den Tillemont 3, p.710 bis ins Einzelne ausgemalt hat. unter dem Namen der Franken eine Konföderation der alteingesessenen Bewohner von Niederrhein und Weser begründet wurde. Der heutige Bezirk Westphalen, die Landgrafschaft von Hessen sowie die Herzogtümer von Braunschweig und Lüneburg waren die Heimat der Chauken im Altertum, welche, geschützt durch unpassierbares Sumpfgebiet, sich den Waffen Roms widersetzten; Plinius, Naturalis Historia 16,1. Die Panegyriker spielen oftmals auf die Sümpfe im Gebiet der Franken an. der Cherusker, die das Andenken an Arminius mit Stolz erfüllte; der Chatten, die durch ihre standhafte und mutige Infanterie furchtbar waren; sowie anderer Stämme, die weniger mächtig oder bekannt waren. Tacitus, Germania, 30 und 37. Die eigentliche Leidenschaft der Germanen war ihre Liebe zur Freiheit; deren Genuss ihr wertvollstes Vermächtnis; und das Wort, welches diesen Genuss ausdrückte, besaß für ihre Ohren den lieblichsten Klang. Den Ehrentitel der Franken (oder ›Freien‹) hatten sie sich verdient, angenommen und beibehalten; wodurch die Namen der anderen Mitglieder der Konföderation zwar nicht ausgelöscht wurden, wohl aber in Vergessenheit gerieten. Später sollen die wichtigsten dieser alten Namen beigebracht werden. Spuren bei Cluver, Germania antiqua, Bd.3. Stillschweigende Übereinkunft sowie der Vorteil für alle Seiten diktierten die ersten Gesetze der Konföderation; Gewohnheit und vorteilhafte Erfahrung festigten sie allgemach. Die Liga der Franken gestattet uns einige Vergleiche mit der Schweizer Eidgenossenschaft. Jedweder Kanton berät sich – unter Beobachtung seiner souveränen Rechte – mit seinen Brüdern bei gemeinsamen Angelegenheiten, ohne dabei die Autorität irgendeiner obersten Führung Simler, De re public Helvetiorum, cum notis Fuselin. oder einer repräsentativen Versammlung anzuerkennen. Aber die Grundideen der beiden Konföderationen waren vollkommen verschieden: Die umsichtige und ehrsame Politik der Schweiz wurde mit einer zweihundertjährigen Friedenszeit belohnt. Hingegen werfen Unzuverlässigkeit, Raublust und Missachtung selbst der feierlichsten Verträge ein trübes Licht auf den Charakter der Franken.

 

DIE FRANKEN IN GALLIEN SPANIEN AFRIKA

Die Römer hatten schon früher den unternehmenden Mut der Völker Niedergermaniens erfahren müssen. Die Bündelung ihrer Kräfte erschütterte Gallien jetzt mit einer noch schlimmeren Invasion und machte die Anwesenheit des Gallienus erforderlich, des Teilhabers und Erben des Thrones. Zosimos, 1,30. Während nun dieser Herrscher und sein unmündiger Sohn Salonius sich zu Trier in höfischer Prachtentfaltung bewährten, wurden die Legionen durch ihren tüchtigen General Posthumus ins Feld geführt, der stets die Interessen der Monarchie vertreten hatte, selbst wenn er die Familie des Valerian später verriet. Der pompöse Sprachduktus von Ruhmesreden und einige Medailleninschriften lassen auf eine lange Reihe von Siegen schließen. Trophäen und Titel bestätigen (wenn denn solches Schmuckwerk irgendetwas bestätigen kann) den Ruhm des Posthumus, der wiederholt zum Eroberer Germaniens und Retter Galliens stilisiert wird. De Brequigny hat uns eine schätzenswerte Lebensbeschreibung des Postumus geschenkt (Mémoires de l'Académie des Inscriptions, Bd. 30). Eine fortlaufende Kaisergeschichte auf der Basis von Medaillen wurde mehr als nur einmal geplant, fehlt aber noch immer.

Aber eine einzige Tatsache, eigentlich die einzige, von der wir wirklich genaue Kunde haben, lässt diese Truggebäude aus Eitelkeit und Fuchsschwänzerei in großem Umfang einstürzen. Der Rhein, der doch den ehrenden Titel ›Wächter der Provinzen‹ trug, bedeutete für den Wagemut, der die Franken zu ihrer Unternehmung aufstachelte, kein wirkliches Hindernis. Ihr verheerender Siegeslauf führte sie von hier bis zum Fuß der Pyrenäen, aber auch dieses Gebirge hielt sie nicht auf.

Spanien, das nie etwas zu fürchten gehabt hatte, konnte dem Einfall der Germanen nichts entgegensetzten. Zwölf Jahre lang – dies war beinahe die gesamten Regierungszeit des Gallienus – war dieses reiche Land Schaubühne ungleicher und mörderischer Feindseligkeiten. Tarragona, die blühende Hauptstadt jener friedlichen Provinz, wurde geplündert und fast vollständig zerstört; Aurelius Victor 33. Anstelle von paene direpto verlangen der Sinn und der Ausdruck deleto; ob es auch gleichermaßen heikel ist, wenn auch aus gegenteiligen Gründen, den Text der besten und der schlechtesten Autoren zu verbessern.; und noch bis in die Tage des Orosius, der im V. Jhdt. schrieb, legten armselige Hütten inmitten der Ruinen großer Städte Zeugnis ab vom Furor der Barbaren. In Ausonius' Zeiten (Ende des IV. Jh.) befand sich Ilerda oder Lerida in einem desolaten Zustand, vermutlich auch dies eine Folge jener Invasion. (Ausonius, Epistulae ad symmachum 25,58). Und als das ausgeplünderte Land den marodierenden Horden nicht mehr länger dienlich war, bemächtigten die Franken sich in den spanischen Häfen einiger Fahrzeuge Valesius irrt mithin, wenn er die Franken vom Meer her in Spanien einfallen lässt. und setzten nach Mauretanien über. Das ferne Land wurde von dem Wüten der Barbaren völlig überrascht, schienen sie doch aus einer anderen Welt zu kommen, denn ihr Name, ihr Verhalten, ihr Aussehen waren an den Küsten Afrikas gleichermaßen unbekannt. Aurelius Victor, Caesares 33; Eutropius 9,6..

 

DIE SUEBEN DIE ALAMANNEN

II. In dem Teil Sachsens jenseits der Elbe, welcher heute die Markgrafschaft Lausitz genannt wird, gab es vordem einen heiligen Wald, altehrbarer Mittelpunkt des Aberglaubens der Sueben. Niemand war befugt, den heiligen Bezirk zu betreten, der nicht durch Anlegen von Fesseln und flehende Haltung die unmittelbare Gegenwart der Gottheit bekannte. Tacitus, Germania 39. Patriotismus hat zusammen mit der Verehrungspraxis dazu beigetragen, den Sonnenwald oder Wald der Semnonen zu heiligen. Cluver, Germania antiqua 3, p.25. Es war allgemeine Glaubensüberzeugung, dass die Nation an diesem Heiligen Fleck ihren Ausgang genommen habe. In festgesetzten Zeitabständen kamen Sendboten der Stämme, die sich ihres suebischen Blutes berühmten, hier zusammen, um die Erinnerung an ihre gemeinsame Herkunft durch barbarische Riten und Menschenopfer aufrecht zu erhalten. Der wilde und weitberühmte Name der Sueben erfüllte das innere Germanien vollständig vom Oderbruch bis an die Donauufer. Von den übrigen Germanen unterschieden sie sich im wesentlichen durch die Art, ihr langes Haar zu tragen, indem sie es auf dem Kopf zu einem kunstlosen Knoten zusammenbanden; und helle Freude hatten sie an diesem Aufputz, der sie ihren Feinden noch höher und schrecklicher erscheinen ließ. ›Sic Suevi a ceteris Germanis, sic Suevorum ingenui a servis separantur.‹ [So unterscheiden sich die Sueben von den anderen Germanen und so die freigeborenen Sueben von den Sklaven]. Tacitus, Germania 38 Eine stolze Abgrenzung! Obwohl die Germanen sich gegenseitig ihr militärisches Prestige neiden, anerkennen sie einhellig die überlegene Kraft der Sueben; und die Stämme der Usipeter und Tencterer, die es doch sogar mit Caesar aufgenommen hatten, achteten es nicht für Schande, vor einem Volk geflohen zu sein, dessen Waffen selbst die unsterblichen Götter nicht gewachsen seien. Caesar, Bellum Gallicum 4,7.

 

SUEBEN NENNEN SICH ALAMANNEN

In der Regierungszeit des Caracalla erschien ein unüberschaubarer Schwarm Sueben am Mainufer und an den römischen Provinzgrenzen auf der Suche nach Nahrung, Beute oder Ruhm. Aurelius Victor, Caracalla; Cassius Dio 77, p. 1350. Diese Freiwilligenarmee wuchs allmählich zu einem großen und stabilen Volk zusammen und nahm, da sie aus so vielen verschiedenen Stämmen gefügt war, den Namen Alamanni oder ›Allmänner‹ an, um zugleich ihre uneinheitliche Herkunft wie ihre allgemeine Tapferkeit anzuzeigen. Diese Etymologie (wesentlich anders als die, mit der sich die Phantasie unserer Gelehrten so verlustiert) wird von dem originellen Geschichtsschreiber Asinius Quadratus überliefert und von Agathias Scholastikos (Historien 1,5) zitiert. Letztere lernten die Römer bei zahlreichen Überfällen kennen. Die Alamannen fochten hauptsächlich zu Pferde; aber die Kavallerie wurde noch wirkungsvoller durch eingestreute leichte Infanterie, die man aus den schnellsten und kräftigsten ihrer Jugend ausgewählt hatte und die häufiges Üben in die Lage setzte, die Reiter auf den längsten Märschen zu begleiten, beim forcierten Angriff ebenso wie beim raschen Rückzug. Die Sueben griffen Cäsar auf diese Weise an, und das Manöver ward von dem Eroberer mit Beifall bedacht. Caesar, Bellum Gallicum 1,48.

 

DIE ALAMANNEN IN ITALIEN GALLIENUS' BÜNDNIS

Dieses kriegsfreudige Germanenvolk wurde nun durch die ungemessenen Zurüstungen des Alexander Severus beunruhigt; die Legionen seines Nachfolgers, eines Barbaren, ebenso mutig und rabiat wie sie selber, setzte ihnen ebenfalls zu. Doch solange sie an den Grenzen des Reiches herumzogen, vermehrten sie lediglich das allgemeine Chaos, das nach dem Tode des Decius ausgebrochen war. Auch Galliens reichen Provinzen richteten sie gewaltige Schäden an; und sie sollten die ersten sein, den Schleier fort zu reißen, der Italiens bebende Majestät verhüllte. Ein zahlenstarker Zug von Alamannen drang über die Donau, querte die Rätischen Alpen, gelangte auf die lombardischen Ebenen, kam bis Ravenna und pflanzte seine siegreichen Banner fast vor den Toren Roms auf. Historia Augusta, Aurelian 18 und 21; Dexippos, Excerpta Legationum p.8; Hieronymos, Chronik; Orosius 7,22. Diese Schmach und Gefahr waren immerhin geeignet, im Senat einigen längstvergessenen Tugenden neues Leben einzuhauchen. Beide Kaiser waren zwar in ferne Kriege verwickelt, Valerianus im Osten, Gallienus am Rhein, so dass alle Hoffnungen und Mittel der Römer bei ihnen selbst lagen. In dieser Notlage organisierten die Senatoren die Verteidigung der Republik, holte die Prätorianer aus ihren Kasernen, wo man sie zum Schutz der Stadt zurückgelassen hatte und vergrößerte ihre Mannschaftsstärke durch Rekrutierung der kräftigsten und willigsten Plebejer. Die Alamannen wurden durch das plötzliche Erscheinen einer Armee, die der ihren an Zahl deutlich überlegen war, in Erstaunen versetzt und zogen nach Germanien ab, beuteschwer; und bereits dieser Rückzug kam den kriegsentwöhnten Römern wie ein Sieg vor. Zosimos 1,37.

Als Gallienus Nachricht erhielt, dass Rom von den Barbaren befreit sei, erfreute ihn der Mut des Senats deutlich weniger als dass er ihn ängstigte, denn diese Courage könnte sie veranlassen, die Republik eines Tages in gleicher Weise gegen einen einheimischen Tyrannen zu schützen wie jetzt gegen ausländische Eindringlinge. Seine feige Undankbarkeit offenbarte er seinen Untertanen mit Hilfe eines Ediktes, in welchem er den Senatoren gebot, sich von militärischen Unternehmungen im Allgemeinen sowie den Legionslagern im Besonderen fernzuhalten. Indessen, seine Sorge war unbegründet. Der reiche und verwöhnte Adel fand alsbald zu seiner eigentlichen Bestimmung zurück, empfand die beleidigende Zurückstellung von den militärischen Pflichten als Auszeichnung und überließ, solange er nur seiner Bäder, Theater und Landhäuser genießen durfte, die gefahrenvollere Sorge um des Reiches Wohlergehen mit Freuden dem rauen Krieger- und Bauernvolk. Aurelius Victor, Gallienus und Probus. Seine Klagen atmen einen unüblichen Geist der Freiheit.

 

BÜNDNIS DES GALLIENUS MIT DEN ALAMANNEN

Ein Schreiber aus dem späten Reich gedenkt noch einer weiteren Alamannen-Invasion, womöglich furchtbarer anzuschauen, aber im Ergebnis ruhmreicher. Dreihunderttausend kriegserprobte Mannen wären demnach in einer Schlacht bei Mailand von nur zehntausend Römern unter des Gallienus persönlicher Führung niedergemacht worden. Zonaras, 12, p.631. Wir sollten allerdings, und alle Wahrscheinlichkeit spräche dafür, diesen unglaublichen Sieg entweder der Arglosigkeit dieses Historikers zuschreiben oder als irgendeine schamlos übertriebene Heldentat eines nachgeordneten Feldherren ansehen. Es waren nämlich Waffen ganz anderer Art, mit denen Gallienus Italien vor dem Germanensturm zu schützen suchte. Er verlobte sich mit Pipa, der Tochter eines Markomannenkönigs; Der eine Victor nennt ihn König der Marcomannen, der andere König der Germanen. es ist dies ein suebischer Stamm, der oftmals während seiner Kriege und Eroberungen mit den Alemannen verwechselt wurde. Dem Vater stellte er als Gegengabe für diese Verbindung umfangreiches Siedlungsland in Pannonien zur Verfügung. Der angeborene Zauber der naturbelassenen Schönen hat, so will es scheinen, ihr die Zuneigung des kapriziösen Kaisers eingebracht, und die Bande der Politik wurden durch die der Liebe noch fester geknüpft. Aber Roms blasierte Vorurteile weigerten sich, die banale Verbindung eines Stadtbürgers und einer Fremden als Hochzeit anzuerkennen und bedachten die germanische Prinzessin mit dem Spottnamen einer Beischläferin des Gallienus. Tillemont, Histoire des Empereurs Bd. 3, p.398.

 

GOTEN EROBERN DIE KRIM ERSTES UNTERNEHMEN ZUR SEE

III. Wir haben oben die Wanderung der Goten aus Skandinavien, danach aus Preußen, bis in das Mündungsgebiet des Borysthenes verfolgt und sind dann ihren siegreichen Waffen bis an die Donauufer nachgefolgt. Unter der Herrschaft von Valerianus und Gallienus stand die Grenze entlang des letztgenannten Flusses beständig unter dem Druck der Germanen und Samarten; aber die Römer verteidigten sie mit mehr Tapferkeit und Glück als sonst. Die Provinzen, in denen der Krieg hauptsächlich stattfand, stellten der römischen Armee einen schier unerschöpflichen Nachschub an handfesten Soldaten. Und mehr als nur einer dieser illyrischen Bauern übernahm das Kommando und entfaltete dabei die Talente eines Generals. Obgleich vereinzelte Trupps der Barbaren beständig bis an das Donauufer und bisweilen sogar bis an die Grenzen Italiens und Makedoniens vorstießen, wurde ihr Eindringen für gewöhnlich durch kaiserliche Untergeneräle verhindert oder ihr Rückzug abgeschnitten. Vgl. in der Historia die Viten von Claudius, Aurelian und Probus. Indessen, die große Flut der Goten wälzte sich in eine ganz andere Richtung. Sie wurden, ausgehend von ihren neuen Siedlungsgebieten in der Ukraine, bald zu den Herren der Regionen nördlich des Schwarzen Meeres; südlich dieses Binnenmeeres lagen die sanften und wohlhabenden Provinzen Kleinasiens, in denen es alles gab, was die Barbaren hätte anlocken, aber nichts, was sie hätte zurückschlagen können.

 

GOTEN EROBERN BOSPORUS UND WERDEN ZUR SEEMACHT

Die Ufer des Borysthenes sind nur sechzig Meilen entfernt von der engen Landbrücke Sie ist noch nicht eine halbe Meile breit. Genealogical History of the Tartars, p.598. zur Krim, die bei den Alten den Namen Chersones Taurica trug. de Peyssonel, der französischer Konsul in Kaffa gewesen war, in seinen Observations sur les peuples barbares, qui ont habité les bords du Danube. Euripides hat, als er mit höchster Kunst alten Sagenstoff in eine neue Form goss, den Schauplatz einer seiner ergreifendsten Tragödien Euripides, Iphigenie bei den Taurern. an diese ungastliche Küste verlegt. Das blutige Opfer der Diana, die Ankunft des Orestes und des Pylades, der endliche Triumph von Tugend und Religion über brutale Wildheit enthalten insofern einen Kern von historischer Wahrheit, als dass die Taurer, die Ureinwohner jener Halbinsel, durch ihren Verkehr mit den griechischen Pflanzstädten an jener Küste im gewissen Umfang von ihren rohen Sitten abgebracht worden sind.

Das kleine Königreich Bosporus, dessen Hauptstadt an der Wasserstraße zwischen Maeotis und Schwarzem Meer liegt, war von degenerierten Griechen und halbzivilisierten Barbaren bewohnt. Es existierte seit dem Peloponnesischen Krieg als unabhängiger Staat, Strabon, 7, p.309. Die ersten Könige von Bosporus waren Verbündete Athens. wurde dann eine Beute von Mithradates' Ehrgeiz Appian, Mithradates 67. und unterlag schließlich, wie auch sein übriges Herrschaftsgebiet, der römischen Übermacht. Seit Beginn der Herrschaft des Augustus Es wurde durch Agrippas Macht unterworfen. Orosius 6,21; Eutropius 7,9. Einmal rückten die Römer bis auf eine Entfernung von drei Tagemärschen an den Tanais (Don) vor. Tacitus 12, 17. waren die Könige von Bosporus abhängige, aber durchaus nützliche Verbündete des römischen Reiches. Durch Geschenke, Waffen und schrittweise Befestigung der Landenge verhinderten sie recht wirkungsvoll das Eindringen der streifenden samartischen Plünderer in ein Land, welches aufgrund seiner besonderen Lage und seiner leicht zugänglichen Häfen das Schwarze Meer und Kleinasien beherrschte. Hierzu die Toxaris des Lucian, wenn wir denn der Aufrichtigkeit und der Rechtschaffenheit des Skythen Glauben schenken wollen, welcher von einem großen Krieg seines Volkes gegen die Könige von Bosporus erzählt. Solange die Thronfolge geregelt war, entledigten sich die Erbkönige ihrer wichtigen Aufgabe mit Eifer und Erfolg. Interne Streitigkeiten und die Angst oder die fragwürdigen Interessen von Thronräubern ebneten den Goten den Weg an den Bosporus. Zusammen mit dem fruchtbaren Land bemächtigten sich die Eroberer auch einer Flotte, ausreichend genug, ihre Armeen nach Kleinasien hinüber zu schiffen. Zosimos, 1,31. Die auf dem Schwarzen Meer gebräuchlichen Schiffe waren von einzigartigem Zuschnitt. Es waren leichte Boote mit flachem Boden, die ausschließlich aus Holz, ohne den geringsten Anteil von Eisen gebaut waren, und die bei Herannahen eines Sturmes mit einem Schutzdach abgesichert wurden. Strabo, 11, S.495; Tacitus, Historie 3,47; Mann nannte sie camarae. In diesen schwimmenden Hütten vertrauten sich die Goten in aller Sorglosigkeit den Launen eines unbekannten Meeres an, angeführt von Seeleuten, die sie zum Dienst gepresst hatten und deren Können und Zuverlässigkeit gleichermaßen zweifelhaft waren. Aber die Aussicht auf Plünderung hatte jeden Gedanken an Gefahr verscheucht, und ihr angeborener Wagemut trat an die Stelle jenes rational begründeten Vertrauens, welches die Frucht von Kenntnis und Erfahrung ist. Krieger von solchem Ungestüm dürften des öfteren wider die Feigheit ihrer Führer gemurrt haben, die nach den zuverlässigsten Anzeichen für ruhiges Wetter verlangten, bevor sie die Einschiffung wagten und die sich kaum einmal versucht fanden, außerhalb der Sichtweite des Landes zu segeln. Dies ist zumindest die Praxis in der heutigen Türkei, Ein sehr lebensnahes Bild von der Seefahrt auf dem Schwarzen Meer bietet der sechzehnte Brief des Tournefort, Voyage du levant. und in der Seefahrtskunst standen die Türken den früheren Bewohnern des Bosporus sicherlich nicht nach.

 

ERSTE UNTERNEHMUNG ZUR SEE

Nachdem die Flotte der Goten, die Küste von Circassia linkerhand, abgesegelt war, gelangte sie zunächst nach Pityus, Arrian verlegt die Grenzgarnison nach Dioskurias oder Sewastopol, 44 Meilen östlich von Pityus. Die Garnison von Phasis war zu seiner Zeit lediglich vierhundert Mann Infanterie groß. der äußersten Grenze der römischen Provinzen. Pytius besaß einen annehmbaren Hafen und war mit einer starken Mauer befestigt. Hier trafen sie auf Widerstand, der hartnäckiger war, als man ihn von der untätigen Mannschaft einer abgelegenen Festung füglich erwarten durfte: sie wurden zurückgeschlagen. Und ihre Schlappe nahm dem Namen der Goten einiges von seinem Schrecken. Solange Succesianus, ein Offizier von hohem Rang und ebensolchen Verdiensten die Grenze verteidigte, waren alle ihre Bemühungen fruchtlos; sobald er aber von Valerian zu einem ehrenhafteren, aber unwichtigeren Posten abkommandiert worden war, nahmen die Goten ihre Angriffe gegen Pityus wieder auf; und tilgten durch die Verwüstung der Stadt die Erinnerung an ihre vorangegangenen Niederlagen. Zosimos, 1,30.

 

BELAGERUNG UND EROBERUNG VON TRAPEZUNT

Segelt man den ganzen Bogen der östlichen Schwarzmeerküste entlang, so beträgt die Entfernung von Pityus nach Trapezunt etwa dreihundert Meilen. Arrian, Periplus 27 gibt als Entfernung 2610 Stadien an. Die Goten passierten auf ihrer Fahrt Kolchis, welches die Expedition der Argonauten berühmt gemacht hatte; sie versuchten sogar, wenngleich ohne Erfolg, einen überreich ausgestatteten Tempel an der Mündung des Phasis zu plündern. Trapezunt, welche griechische Kolonie seit dem Rückmarsch der Zehntausend einen bekannten Namen hat Xenophon, Anabasis 4,8, dankt seinen Wohlstand der Großzügigkeit Hadrians, welcher einen künstlichen Hafen an einer Küste hatte bauen lassen, der es von Natur aus daran fehlte. Arrian, Periplus, 26. Die allgemeine Anmerkung stammt von Turnefort. Die Stadt war groß und bevölkerungsreich; die doppelte Wallanlage schien gegen den Gotenzorn ausreichend, auch war die Stammbesatzung der Garnison durch zehntausend Mann verstärkt worden. Für fehlende Disziplin und Wachsamkeit gab es indessen keinen Ausgleich. Die zahlenstarke Garnison von Trapezunt war mit Ausschweifung und Luxus befasst und durchaus nicht gemeint, ihre uneinnehmbare Festung zu bewachen. Den Goten blieb diese Gleichgültigkeit der Belagerten nicht lange verborgen; sie fuhren in großen Mengen Faschinen auf, überstiegen in der Stille der Nacht die Wallanlagen und betraten, das Schwert in der Hand, die wehrlose Stadt. Sie richteten unter der Bevölkerung ein entsetzliches Massaker an, während die Soldaten sich aufgescheucht durch die Stadttore davonmachten. Die heiligsten Tempel und prächtigsten Gebäude blieben nicht verschont; die Beute der Goten war unermesslich, denn auch die umliegenden Landstriche hatten ihre Schätze in dem angeblich sicheren Trapezunt hinterlegt. Unglaublich war auch Masse der Gefangenen, denn die Goten durchzogen, ohne Widerstand zu finden, die ganze große Provinz von Pontus. S. eine Epistel des Gregorios Thaumaturgos, Bischofs zu Neo-Kaisarea, zitiert von Mascov, Ancient Germans 5,37. Ihr üppiger Raub füllte eine ganze Flotte von Schiffen, die sie im Hafen vorfanden. Die robuste Jugend der Küste wurde an die Ruderbänke gekettet, und die Goten, mit dem Ergebnis ihres ersten Seeunternehmens durchaus zufrieden, zogen sich im Triumph in ihre neue Heimat auf der Krim zurück. Zosimos 1,35.

 

DIE ZWEITE GOTENEXPEDITION

Die zweite Expedition unternahmen die Goten mit noch größerer Bemannung und noch mehr Schiffen; diesmal aber steuerten sie einen anderen Kurs und folgten – an dem ausgeplünderten Pontus lag ihnen nichts – dem westlichen Küstenverlauf des Schwarzen Meeres, kreuzten vor den gewaltigen Mündungsgebieten von Dnjepr, Dnjestr und Donau, verstärkten ihre Flotte noch durch den Raub zahlreicher Fischerboote und näherten sich endlich der engen Meeresstraße, durch welche sich das Schwarze Meer in das Mittelmeer ergießt und die Europa und Asien voneinander trennt. Die Garnison von Chalkedon lag in der Nähe des Tempels von Jupiter Urius auf einem Vorgebirge, welches die Zufahrt zu der Meeresstraße beherrscht; aus Furcht vor der Invasion der Barbaren hatte man dieses Korps so verstärkt, dass es die Armee der Goten zahlenmäßig weit übertraf. Allerdings übertraf er sie wirklich nur zahlenmäßig. In Eile gab die Besatzung ihre vorteilhafte Stellung auf und überließ auch das reiche Chalkedon sich selbst und den Eroberern. Während die Goten noch unschlüssig waren, ob sie das Land oder die See, Europa oder Asien zum Schauplatz fernerer Plünderungen erkiesen sollten, lenkte ein Deserteur von heimtückischer Wesensart ihre Aufmerksamkeit auf Nikomedien, das – früher die Hauptstadt des Königreiches Bithynien – ebenso leichte wie üppige Beute verhieß. Er zeigte ihnen den Weg, der, vom Lager bei Chalkedon an gerechnet, nur sechzig Meilen betrug Wesseling, Itinerarium Hierosolymitanum, p. 572., führte ihre Angriffe, denen nirgendwo Gegenwehr geleistet wurde, und erhielt seinen Teil an der Beute; denn soviel Staatskunst hatten die Goten mittlerweile gelernt, den Verräter, den sie von Herzen verachteten, gleichwohl auszuzahlen. Nikaia, Prusa, Apamäa, Cius: diese Städte, bisweilen Nachahmer, wenn schon nicht Konkurrenten von Nikomedias Glanz, erging es ähnlich übel, und innerhalb weniger Wochen lag die gesamte Provinz Bithynien verwüstet. Drei Jahrhunderte Frieden, dessen sich Asiens sanftmütige Bewohner erfreuen durften, hatten zugleich den Gebrauch der Waffen und das Bewusstsein für Gefahren eingeschläfert. Man hatte es geschehen lassen, dass die alten Stadtmauern allmählich zerfielen, und die Einkünfte der Städte blieben wesentlich der Errichtung von Bädern, Tempeln und Theatern aufgespart. Zosimos 1,35.

 

RÜCKZUG DER GOTEN

Als die Stadt Kyzikos einst erfolgreich den äußersten Anstrengungen des Mithradates widerstand, Er belagerte den Ort mit 400 Galeeren, 150 000 Mann Infanterie und zahlreicher Kavallerie. Siehe Plutarch, Lucullus 9; Appian, Mithridates 72; Cicero, pro lege Manilia 8. verfügte sie über eine vorausschauend-weise Gesetzgebung, eine Seestreitkraft von zweihundert Galeeren sowie drei Arsenale für Waffen, Kriegsmaschinen und Getreide. Strabon, 12, p. 573. Nach wie vor war die Stadt wohlhabend und luxusträchtig; aber an seine frühere Stärke erinnerte nichts als seine Lage auf einer kleinen Insel in der Propontis, mit dem asiatischen Festland nur durch zwei Brücken verbunden. Nach ihren jüngsten Heldentaten vor Prusa näherten sich die Goten bis auf achtzehn Meilen Pococke, Descriptions of the east, Bd.2, c. 23 und 24. der Stadt, über die sie bereits das Todesurteil verhängt hatten. Aber der Untergang von Kyzikos wurde durch einen glücklichen Umstand noch einmal aufgeschoben. Die Jahreszeit war regnerisch, und der Apolloniates-See, aus dem alle Quellen des Mons Olympus entspringen, stieg ungewöhnlich hoch an. Der kleine Fluss Rhyndakos, der diesem See entspringt, schwoll zu einem breiten und mächtigen Strom und hemmte der Goten weiteres Vorankommen. Ihr Rückzug nach Heraclea, wo aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Flotte lag, geschah in Begleitung eines langen Zuges von Karren mit dem bythinischen Raub und wurde markiert durch die Flammen von Nikaia und Nikomedia, Zosimos, 1, 35. die sie böswillig angezündet hatten. Es ist, wenn auch nur in unklaren Andeutungen, von einem Rückzugsgefecht zweifelhaften Ausgangs die Rede, mit dem sie ihren Abmarsch deckten. Syncellus erzählt eine wirre Geschichte von König Odaenathus, der die Goten besiegte und von König Odaenathus getötet ward. Aber selbst ein vollständiger Sieg wäre ohne Bedeutung gewesen, da die nahenden Herbstäquinoktien sie zu rascher Abfahrt drängten. Vor dem Monat Mai oder nach dem September das Schwarze Meer zu befahren gilt noch den heutigen Türken als zuverlässiges Kennzeichen von Leichtsinn und Dummheit. Chardin, Voyages en Perse, Bd.1, p.45. Er fuhr mit den Türken von Konstantinopel nach Kaffa.

 

DIE GOTEN IN GRIECHENLAND 257/258 A.D.

Wenn wir jetzt hören, dass die Goten auf der Krim nunmehr eine dritte Flotte mit insgesamt fünfhundert Segelschiffen ausrüsteten, Syncellus (1, p.382) meint allerdings, die Heruler hätten diese Raubfahrt unternommen. stellen wir uns sogleich eine entsetzliche Streitmacht vor; nun fassten aber, wie uns der sehr gewissenhafte Strabo versichert, Strabon, 9, p. 495. die von den Barbaren des Pontus und Skythiens benutzten Piratenschiffe höchstens fünfundzwanzig bis dreißig Mann, so dass wir zuversichtlich folgern können, dass zu dieser großen Expedition allerhöchstens fünfzehntausend Krieger eingeschifft wurden. Da ihnen das Schwarze Meer mittlerweile zu eng vorkam, steuerten sie ihren verderbenbringenden Kurs nunmehr vom kimmerischen zum thrakischen Bosporus. Als sie fast in der Mitte der Meeresstraße angelangt waren, wurden sie plötzlich wieder zur Einfahrt zurückgeworfen; denn am nächsten Tag schlug der Wind in glückverheißender Weise um und blies sie in wenigen Stunden in die friedliche Propontis zurück. Ihre Landung auf der kleinen Insel von Kyzikos bedeutete nunmehr den Untergang dieser altehrwürdigen Stadt.

Von da aus steuerten sie wieder die enge Durchfahrt des Hellesponts an und segelten auf windungsreichem Kurs durch die ungezählten Inseln der Ägäis hindurch. Es müssen ihnen an der griechischen Küste – so wie vorher an der asiatischen – die Dienste von Gefangenen und Überläufern sehr zustatten gekommen sein, welche ihre Schiffe lotsten und ihre verschiedenen Überfälle anführten. Endlich machten sie im Piräus fest, nur fünf Meilen von Athen Plinius, Naturalis Historia 3,7. entfernt, das sich tatsächlich zu Vorbereitungen für eine ernsthafte Verteidigung geschickt hatte. Kleodamos, ein Ingenieur, der auf kaiserlichen Befehl die Hafenstädten gegen die Goten befestigte, hatte bereits mit der Ausbesserung des uralten Stadtgemäuers begonnen, welches man seit Sullas Zeiten sich selbst überlassen hatte. Seine Anstrengungen waren indessen vergebens, und die Barbaren wurden Herren der Geburtsstätte der Musen und der Künste. Während sich aber die Eroberer den Freuden der Plünderns und des Trunkes hingaben, wurde ihre Flotte, die nur lässig bewacht im Piräus lag, von dem braven Dexippus angegriffen, welcher zusammen mit dem Ingenieur Kleodamos aus Athen entflohen war, rasch ein paar Freiwillige zusammengestellt hatte – es waren Soldaten und Bauern – und so in gewissem Umfang das Leiden seines Landes rächen konnte. Historia Augusta, Galliene 13; Aurelius Victor, Caesares 33; Orosius 7,42; Zosimos 1,39; Zonaras 12,6; Synkellos 1, p. 382. Es geschieht nicht ohne einige Mühe, wenn wir ihre unvollständigen Andeutungen in Übereinstimmung bringen wollen. Und wir können immer noch Spuren von Parteilichkeit bei Deuxippos aufstöbern, wenn er von seinen und seiner Landsleute Heldentaten berichtet.

 

GOTEN VERHEEREN GRIECHENLAND

So hübsch nun dieser Erfolg der sich neigenden Jahre Athens anzuschauen war, so war er doch ungeeignet, den rauen Mut der Eindringlinge aus dem Norden zu dämpfen. Er wurde vielmehr zusätzlich angefacht, und alle Distrikte Griechenlands gingen zu gleicher Zeit in Flammen auf. Theben und Argos, Korinth und Sparta, die in den guten, alten Zeiten unsterbliche Kriege gegeneinander geführt hatten, waren nunmehr sogar außerstande, eine Armee ins Feld zu schicken oder doch wenigstens ihre heruntergekommenen Festungen zu verteidigen. Von Kap Sunion im Osten bis zum westlichsten Punkt des Epirus tobte der Krieg. Die Goten hatten bereits Sichtkontakt mit Italien aufgenommen, als die unmittelbar drohende Gefahr den phlegmatischen Gallienus endlich aus seinen süßen Träumen emporscheuchte. Der Kaiser, gewappnet, erschien höchstselbst auf dem Plan; und tatsächlich scheint seine Gegenwart den Enthusiasmus des Feindes gedämpft und seine Stärke halbiert zu haben.

 

SPALTUNG UND RÜCKZUG DER GOTEN

Jedenfalls nahm Naubatus, der Häuptling der Heruler, eine ehrenhafte Kapitulation an, trat mit vielen seiner Stammesgenossen in römische Dienste und wurde sogar bestückt mit konsularischen Insignien, welche vorher noch nie durch Barbarenhand profanisiert worden waren. Dieser Truppenteil der Heruler galt für lange Zeit als zuverlässig und ergeben. Zahlreich waren aber auch die Goten, welche, der Fährnisse und Härten ihrer unendlichen Reise müde, in Mösien einbrachen und sich nun anschickten, die Donau zu überqueren und in ihre Heimat in der Ukraine zurückzukehren. Dieses planlose Vorgehen hätte zweifellos ihren Untergang bedeutet, wenn nicht Zerwürfnisse zwischen den römischen Feldherren Claudius, Kommandeur an der Donau, bevorzugte gründliches Denken und beherztes Handeln. Sein Kollege neidete ihm seinen Ruhm. Historia Augusta, Galliene 14. den Barbaren noch ein Schlupfloch offengelassen hätten. Der kleine Rest dieses Räuberhaufens schiffte sich erneut ein, nahm Kurs auf Hellespont und Posporus und plünderte im Vorbeisegeln die Küsten Trojas, dessen Ruhm, von Homer unsterblich gemacht, vermutlich auch das Gedächtnis an die gotischen Eroberungen überdauern wird. Sobald sie sich im Schwarzen Meer wieder in Sicherheit befanden, gingen sie zu Anchialus in Thrakien am Fuße des Berges Hämus an Land und gönnten sich nach all' den Strapazen die Heilkraft der warmen Bäder. Den Abschluss des ganzen Unternehmens bildete nur noch eine kurze und erholsame Seereise. Jordanes, Getica 20.

Unter derart wechselnden Sternen stand also diese dritte und bedeutendste ihrer drei Flottenunternehmen. Es ist schwer zu begreifen, wie die ursprüngliche Truppenmacht von fünfzehntausend Kriegern die Verluste und Abspaltungen hatte verkraften können; aber in gleicher Weise, wie sie infolge von Kampf, Schiffbruch und dem Einfluss des milden Klimas immer weniger wurden, frischten sich ihre Truppen doch auch immer wieder durch Banditen und Deserteure auf, die sich unter der Fahne der Plünderung scharten, sowie durch Massen von flüchtigen Sklaven – oftmals germanischer oder sarmatischer Herkunft – welche sich diese ruhmvolle Gelegenheit zu Freiheit und Rache unmöglich entgehen lassen konnten. Die gotische Nation reklamierte für diese Unternehmungen den größeren Anteil von Ehre und Gefahr für sich; zwar werden die Stämme unter dem gotischen Banner von den unzuverlässigen Historikern jener Tage sorgsam auseinandergehalten, zuweilen aber auch mit jenen verwechselt; und als die Barbarenflotte aus der Tanaismündung abgesegelt war, wurde die buntscheckige Horde mit dem zwar vertrauten, aber leider ungenauen Namen der Skythen belegt. Zosimos und die Griechen (etwa der Autor der Philopatris) bezeichnen diejenigen als Skythen, welche von Jordanes und den lateinischen Autoren durchweg Goten genannt werden.

 

ZERSTÖRUNG DES TEMPELS VON EPHESOS

Im Meere des Leidens der Menschheit ist der Tod eines Einzelnen, und sei er noch so maßgebend, oder die Zerstörung eines Gebäudes, und sei es noch so berühmt, nur ein unbeachtlicher Tropfen. Dennoch können wir unmöglich vergessen, wie der Dianatempel zu Ephesos, nach sieben Unglücksfällen in Reihe wiedererrichtet zu höherem Glanze, Historia Augusta, Galliene 6; Jordanes, Getica 20. von den Goten auf ihrer dritten Plünderungsreise endgültig zerstört wurde. Griechische Kunst und asiatischer Reichtum hatten sich zusammengetan, um jenes monumental-heilige Gebäude aufzuführen. Einhundertundsiebenundzwanzig Marmorsäulen ionischen Stils trugen es; es waren dies Geschenke frommer Monarchen, jede sechzig Fuß hoch. Den Altar schmückten die Meisterskulpturen eines Praxiteles, der vermutlich aus dem populären Sagenstoff der Region geschöpft und die Geburt der göttlichen Kinder der Latona dargestellt hatte, die Zuflucht des Apollo nach dem Kyklopenmassaker oder Bacchus' Milde an den besiegten Amazonen. Strabon 14, p. 640; Vitruv 1,1 und 7, Vorwort; Tacitus, Annales 3,61; Plinius, Naturalis Historia 36, 14. Allerdings war der Tempel zu Ephesos lediglich vierhundertundfünfundzwanzig Fuß lang und hatte damit nur zwei Drittel der Größe von St. Peter zu Rom. Die Länge von St. Peter in Rom beträgt 840 römische palmi [Handbreite], wobei ein palmus nicht ganz neun englischen Zoll entspricht. Siehe Greaves, Miscellaneous Works, Bd.1, p. 233 über den römischen Fuß. In den anderen Abmessungen war er sogar noch kleiner als jene weihevolle Hervorbringung moderner Architektur. Die abgespreizten Arme des christlichen Kreuzes erfordern eine größere Breite als die langgezogenen Tempel des Heidentums; und auch die kühnsten Architekten des Altertums wären vor dem Vorschlag zurückgeschaudert, einen Dom von den Abmessungen und dem Erscheinungsbild des Pantheon aufzuführen. Der Dianatempel jedoch galt als eines der Weltwunder. Das persische, makedonische und das römische Reich hatten nacheinander seine Heiligkeit verehrt und seinen Glanz erhöht. Die römische Politik hatte jedoch dazu geführt, dass der Umfang des Asylums, welchen man durch besonderes Privileg schrittweise auf zwei Stadien um den Tempel herum erweitert hatte, wieder zurückgenommen wurde. Strabon, 14, p.641; Tacitus, Annales 3, 60.ff. Aber den ungehobelten Rüpeln von der Ostsee ging jeder Sinn für die schöne Künste ab, und für die eher symbolischen Drohungen, die der fremdländische Aberglauben gegen sie ausstieß, empfanden sie nur matte Geringschätzung So opferten sie etwa den griechischen Gottheiten nicht. Siehe hierzu die Episteln des Gregorios Thaumaturgos..

 

DIE GOTEN IN ATHEN

Eine weitere Begebenheit wird im Zusammenhang mit dieser Invasion erzählt, und sie hätte unsere Aufmerksamkeit verdient, stände sie nicht in dem begründeten Verdacht, das wilde Phantasieprodukt eines neuzeitlichen Sophisten zu sein. Es wird erzählt, dass im Verlaufe der Plünderung Athens die Goten alle Bibliotheken zusammengetragen hätten und kurz davor standen, an diesen Scheiterhaufen der griechischen Bildung Feuer zu legen, hätte nicht einer ihrer Häuptlinge, der von etwas feinerer Weltkenntnis war als seine Gebrüder, sie von ihrem Vorhaben abgebracht mittels der tiefsinnigen Feststellung, dass die Griechen, solange sie dem Studium der Bücher oblägen, sich nimmermehr zu Waffenübungen bereit finden würden. Zonarias 12,26. Diese Anekdote war genau nach dem Geschmack von Montaigne. Er verarbeitet sie in seinem lesenswerten Essay über die Pedanterie (Essays, 1. Buch, Kap 24). Der scharfsinnige Ratgeber (gesetzt, die Geschichte ist wahr) argumentierte nicht eben kenntnisreich. In kultivierten und mächtigen Nationen hat sich Genie jeder Art fast immer zur gleichen Zeit entwickelt; und das Zeitalter der Wissenschaft war fast immer auch das Zeitalter militärischer Stärke und militärischer Erfolge.

 

PERSER EROBERN ARMENIEN

IV. Die neuen Herrscher Persiens, Artaxerxes und sein Sohn Sapor, hatten, wie wir schon sahen, über Arsaces' Haus obsiegt. Von den zahlreichen Prinzen jener alten Dynastie hatte alleine Chosroes, König von Armenien, sein Leben und seine Unabhängigkeit bewahrt. Er hatte viele Verbündete: die Natur seines Landes; indem er beständig Flüchtlinge und Feinde unterstützte; Bündnisse mit den Römern; und, dies vor allem, persönlichen Mut. Dreißig Jahre lang im Felde unbesiegt, wurde er schließlich durch geheime Abgesandte des Perserkönig Sapor ermordet. Die vaterländisch gesinnten Satrapen Armeniens, denen die Freiheit und das Ansehen der Krone am Herzen lag, ersuchten dringend um die Hilfe Roms zugunsten von Tiridates, dem gesetzmäßigen Erben. Aber Chosroes Sohn war noch ein Kind, die Verbündeten fern, und Persiens König näherte sich in Eilmärschen an der Spitze einer unwiderstehlichen Streitmacht den Grenzen. Den jungen Tiridates, die Zukunftshoffnung seines Landes, rettete die Treue eines Dieners, und Armenien wurde für etwa siebenundzwanzig Jahre lang eine renitente Kolonie des persischen Reiches. Moses Chorenensis 2, c. 71, 73, 74. Der authentische Bericht dieses armenischen Autors dient der Klarstellung der konfusen Schilderung des griechischen Verfassers – Letzterer redet von den ›Kindern des Tiridates,‹ der damals selbst noch ein Kind war. Durch seinen leichten Erfolg beflügelt und im Vertrauen auf Roms Schwäche und inneren Zwist zwang Sapor nur noch die starken Garnisonen von Karrhae und Nisibis zur Aufgabe und begnügte sich damit, an beiden Ufern des Euphrat Entsetzen zu verbreiten.

 

GEFANGENNAHME DES VALERIAN

Der Verlust einer wichtigen Grenze, der Untergang eines zuverlässigen und natürlichen Verbündeten und der rasche Erfolg von Sapors Ehrgeiz riefen in Rom tiefe Schuld- und Angstgefühle wach. Valerian mochte sich einbilden, dass die Wachsamkeit seiner Generäle die Sicherheit von Donau und Rhein gewährleisten werde; aber um die bedrohten Grenzen des Euphrat zu verteidigen, beschloss er, seines vorgerückten Alters ungeachtet, in eigener Person abzumarschieren. Während seines Zuges durch Kleinasien stellte die Goten ihre See-Unternehmungen kurzfristig ein, und die geschundenen Provinzen erfreuten sich eines vorübergehenden Scheinfriedens. Er überquerte den Euphrat, traf nahe Edessa auf den Perserkönig, wurde besiegt und von Sapor gefangengesetzt. Die Einzelheiten dieses Großereignisses liegen im Dunklen und sind nur unvollständig überliefert. Dennoch glauben wir in dem trüben Licht, das uns gegönnt ist, eine ganze Serie von Torheiten, Irrtümern und wohlverdientem Pech auf Seiten des römischen Kaisers zu erkennen. Er setzte auf den Prätorianerpräfekten Macrianus unbedingtes Vertrauen. Historia Augusta, Tyrannen 11. Denn da Macrianus den Christen feind war, ziehen sie ihn der Zauberei. Dieser nichtswürdige Minister macht seinen Herren einzig Roms Untertanen furchtbar und Roms Feinden verächtlich. Zosimos, 1,36. Durch seine dilettantischen oder verräterischen Ratschläge war die kaiserliche Armee in eine Lage geraten, in der soldatischer Mut oder Kriegskunst gleichermaßen nutzlos waren. Historia Augusta, Valeriane 32. Ein massiver Durchbruchversuch der Römer wurde unter schweren Verlusten zurückgeschlagen; Aurelius Victor, Caesares 32; Eutropius 9,7. und Sapor, der mit überlegenen Kräften das Lager einschloss, wartete geduldig, dass Hunger und Krankheiten ihm den Sieg schenken würden.

Eine unbemessene Goldsumme wurde angeboten als Gegenleistung für einen ehrenvollen Abzug. Aber der Perser wies im Bewusstsein seiner Überlegenheit verächtlich das Geld zurück; vielmehr setzte er die Unterhändler fest, rückte in Schlachtordnung gegen die römischen Schanzanlagen vor und bestand auf einer persönlichen Unterredung mit dem Kaiser. Valerian blieb daher nicht anderes übrig, als sein Leben und seine Würde seinem Feind auf Treu und Glauben auszuliefern. Die Unterredung endete, wie nicht anders zu erwarten war. Der Kaiser wurde gefangengenommen und seine überrumpelten Truppen legten ihre Waffen nieder. Zosimos 1,36; Zonaras, 12,56; Petros Patrikios, in den Excerpta legationum, p. 29. In diesem Augenblick des Triumphs nötigten Stolz und Taktik Saporn, den verwaisten Thron mit einer Kreatur von eigenen Gnaden zu besetzen. Kyriades, ein Überläufer aus Antiochia, in allen Verbrechen bewandert, wurde erwählt, den römischen Purpur zu besudeln; und der persische Monarch meinte es sich schuldig zu sein, durch Beifallsjauchzen der gefangenen Armee, wie matt auch immer es sich anhören mochte, sich seinen Willen bestätigen zu lassen. Historia Augusta, Tyrannen 1. Die Herrschaft des Cyriades erscheint in dieser Sammlung vor dem Tod Valerians; ich habe indessen eine wahrscheinliche Ereignisfolge der zweifelhaften Chronologie eines sehr ungenauen Autors vorgezogen.

 

SAPORS ANGRIFFE GEGEN DEN WESTEN A.D. 256

Der Kaiser-Sklave beeiferte sich, durch Hochverrat an seinem Heimatland sich auch der ferneren Gnade seines Gebieters zu versichern. Er führte Sapor über den Euphrat und durch Chalkis zur Metropole des Ostens. So schnell waren die Angriffe der persischen Reiterei, dass, sofern wir einem äußerst gewissenhaften Historiker Die Plünderung von Antiochia wird, obwohl sie einige Historiker vorwegnehmen, durch das Zeugnis des Ammianus Marcellinus (23,5) mit Bestimmtheit in die Herrschaftszeit des Gallienus verlegt. glauben dürfen, Antiochia überrumpelt wurde, während die dumpf-träge Menge den Genüssen einer Theatervorstellung frönte. Antiochias berühmte Bauwerke, private wie staatliche, wurden zerstört oder ausgeplündert; und die zahlreichen Einwohner überantwortete man dem Schwert oder führte sie in die Sklaverei. Zosimos 1,36. Diese Orgie der Gewalt wurde für einen Augenblick durch das entschlossene Auftreten des Priesters von Emesa unterbrochen. Angetan mit seinem Hohepriesterhabit erschien er an der Spitze einer Schar fanatisierter Bauern, die nur mit Schleudern bewaffnet waren, und verteidigte seinen Gott und sein Eigentum gegen die frevelnden Hände der Bekenner Zoroasters. Iannes Malalas, Chronographia, Bd. 1, p.391. Er verunstaltet dieses vermutlich wahre Ereignis durch einige märchenhafte Nebenumstände.

Aber der Untergang von Tarsus und vielen anderen Städten liefern den traurigen Nachweis, dass, abgesehen von diesem einzigen Fall, die Eroberung von Syrien und Kilikien den persischen Waffen nur wenig abverlangte. Rasch waren die engen Pässe des Taurus überwunden, in denen ein Eindringling, dessen Hauptstreitmacht die Kavallerie ist, in ein höchst ungleiches Gefecht hätte verwickelt werden können: aber Sapor ging an die Belagerung von Caesarea, der Hauptstadt Kappadokiens; obgleich diese Stadt nur zweiten Ranges war, wurde sie angeblich von vierhunderttausend Menschen bewohnt. Demosthenes war örtlicher Kommandant, nicht so sehr durch kaiserliches Gebot als vielmehr aus eigenem, freien Willen. Lange Zeit konnte er das Verhängnis hinauszögern; und als schließlich Cäsarea durch die Niedertracht eines Arztes verraten wurde, kämpfte er sich seinen Weg durch die Perser hindurch, die strenge Weisung hatten, seiner unter allen Umständen lebend habhaft zu werden. Dieser heldenmütige Kämpe entkam so einem Feind, welcher ihn für seinen hartnäckigen Widerstand geehrt oder auch gestraft hätte; aber tausende seiner Landleute kamen in dem allgemeinen Massaker ums Leben, und Sapor steht unter der Anklage der besonderen Willkür und Grausamkeit gegenüber seinen Gefangenen. Zonaras, 12,23. Ganze Täler waren mit den Leichen der Ermordeten angefüllt. Gefangene wurden in Massen wie Vieh ans Wasser getrieben, und viele von ihnen verhungerten. Vieles davon geht unbestritten auf Rechnung nationaler Animositäten, vieles ist Rache für gedemütigten Stolz; dennoch steht fest, dass derselbe Herrscher, welcher in Armenien die Maske des mildtätigen Gesetzgebers aufsetzte, sich gegenüber den Römern als wilder Eroberer gebärdete. Auf einen dauerhaften Ausgleich mit dem römischen Imperium konnte er nicht hoffen und war deshalb lediglich bestrebt, verbrannte Erde zurückzulassen, während er Menschen und Schätze der Provinzen nach Persien schleppte. Zosimos 1,28, versichert uns, dass Sapor, hätte er nur mehr Wert auf Eroberung als auf Plünderung gelegt, der Herrscher ganz Asiens hätte bleiben können.

 

ODAENATHUS BESIEGT SAPOR

Während der Osten noch vor Sapors Namen zitterte, erhielt er ein Geschenk, das der größten Könige würdig gewesen wäre – eine lange Karawane von Kamelen, mit den ausgefallensten und wertvollsten Waren beladen. Das üppige Geschenk war mit einem respektvollen, aber durchaus nicht servilem Begleitschreiben versehen; es stammte von Odaenathus, einem der angesehensten und reichsten Senatoren von Palmyra. ›Wer ist dieser Odaenathus‹ (sprach der hochfahrende Sieger, und ließ die Geschenke im Euphrat versenken), ›dass er so schamlos seinem Herrn zu schreiben sich erfrecht? Hegt er die Hoffnung, seine Strafe zu mildern, so eile er, vor unserem Thron in den Staub zu sinken, die Hände auf dem Rücken gebunden. Sollte er zögern, darnach zu handeln, so wird rasches Verderben auf sein Haupt herniederfahren, auf seine Familie, auf sein Land!‹ Petros Patricios, in Excerpta legationum, p.29. Die verzweifelte Lage, in der sich der Palmyrer nunmehr befand, rief in seiner Seele verborgenen Kräfte wach. Er traf sich mit Sapor; aber er traf ihn unter Waffen. Sein eigener Mut übertrug sich auf seine kleine Armee, die er aus den Dörfern Syriens ›Syrorum agrestium manu‹ [Durch einen Haufen syrisches Landvolk.] Sextus Rufus 23. Rufus, Aurelius Victor, die Historia Augusta, Tyrannen 13 und einige Inschriften erklären Odaenatus übereinstimmend zum Bürger von Palmyra. und den Zelten Er besaß unter den ziehenden Wüstenstämme so viele Sympathien, dass Prokopios (De Bello Persico 2,5) und Ioannes Malalas (Bd. 1, p.391) in zum ›Fürsten der Sarazenen‹ machen. der Wüste zusammengerufen hatte; sie umkreisten den persischen Feind, überfielen ihn immer wieder auf seinem Rückzug, ergatterten Teile ihrer Schätze und, was ihm saurer ward als jeder verlorene Schatz, mehrere Nebenfrauen des Großkönigs; dieser endlich musste darnach trachten, wenigstens den Euphratübergang zu gewinnen, was, wenn auch ersichtlich ungeordnet und fluchtartig, gelang. Petros Patrikios, in Excerpta legationum p.29. Durch diesen Erfolg begründete Odaenathus seinen späteren Ruhm und Erfolg. Roms Majestät, von einem Perser in Bedrängnis gebracht, ward so geschützt von einem Syrer oder Araber aus Palmyra.

 

DIE MISSHANDLUNG DES VALERIAN

Die Stimme der Geschichte, oft nicht viel mehr als das Werkzeug des Hasses oder der Schmeichelei, wirft Sapor den selbstherrlichen Missbrauch seiner Rechte als Eroberer vor. So erfahren wir, dass Valerian in Ketten, aber mit kaiserlichem Purpur angetan, der gaffenden Menge vorgeführt wurde, ein fortdauerndes Bild gefallener Größe; und dass der persische Großkönig, wann immer er sein Pferd bestieg, seinen Fuß auf den Nacken des römischen Kaiser setzte. Ungeachtet aller Vorhaltungen seiner Verbündeten, die ihm wiederholt rieten, der Unbeständigkeit des Glückes eingedenk zu sein, Roms wiedererstarkende Macht zu fürchten und seinem noblen Gefangenen zum Unterpfand für Friedensverhandlungen und nicht zum Objekt von Sadismus zu machen, blieb Sapor halsstarrig. Als Valerian endlich der Last aus Schande und Kummer erlag, wurde seine Haut, ausgestopft mit Stroh und in menschenähnliche Form gebracht, generationenlang in Persiens heiligstem Tempel aufbewahrt; ein realistischeres Triumphbild in der Tat als alle die Bronze- und Marmormonumente, welche römische Eitelkeit so oft errichtet hatte. Die heidnischen Schriftsteller beweinen Valerians Unglück, die christlichen höhnen. Die verschiedenen Zeugnisse sind bei Tillemont (3, p.739f) genau aufgeführt. So wenig ist von der Geschichte des Ostens vor Mohammed überliefert, dass moderne Perser von dem Sieg Sapors überhaupt noch nichts gehört haben, obwohl er doch für ihre Nation ein Ruhmesblatt bedeutet. Siehe die Bibliothéque Orientale. Die Episode selbst hat einen moralischen Kern und erregt unser Mitleid, aber ihr Wahrheitsgehalt kann mit gutem Gründen bezweifelt werden. Die Briefe, die die Könige des Ostens an Sapor schrieben, sind eindeutig erdichtet; Einer dieser Briefe stammt von Artavasdes, König von Armenien; da aber zu jener Zeit Armenien persische Provinz war, müssen der König, das Königreich und der Brief erfunden sein. auch klingt die Annahme unglaubwürdig, ein missgünstiger Monarch würde, selbst in der Person seines Feindes, in aller Öffentlichkeit die Majestät von Königen derartig malträtieren. Welche Behandlung auch immer dem glücklosen Valerian zuteil wurde, dies wenigstens steht fest, dass der einzige Kaiser Roms, der jemals in Feindeshand geraten war, bis an sein Lebensende in hoffnungsloser Gefangenschaft dahinschmachtete.

 

GALLIENUS ALLEINHERRSCHER

Kaiser Gallienus, welcher schon lange mit Ungeduld die Zensorenstrenge seines Vaters und gleichzeitigen Mitregenten aushalten musste, empfing die Botschaft von seinem Unglück mit heimlicher Freude und erheuchelter Gemütsruhe. ›Mir war bekannt, dass mein Vater sterblich ist,‹ sprach er, ›und nun er sich als Held bewährt hat, bin ich's zufrieden.‹ Während Rom das Schicksal seines Herrschers beweinte, wurde die Herzenskühle seines Sohnes von den Hofschranzen höchlich gelobt als die vollkommene Seelenstärke eines Helden und Stoikers. Siehe sein Lebensbild in der Historia Augusta. Es ist schwierig, den leichtsinnigen, den wetterwendischen, den unzuverlässigen Charakter des Gallienus darzustellen, den er ungeniert an den Tag legte, sobald er nur einmal die Herrschaft angetreten hatte. In jeder Kunst, in der er sich versuchte, verhalf ihm sein wacher Geist zum Erfolg; und da sein Geist der Urteilsfähigkeit ermangelte, versuchte er sich in allen Künsten außer den beiden wichtigsten, dem Kriegführen und dem Regieren. Er war in mehreren sonderbaren, aber nutzlosen Wissenschaften zu Hause, ein passabler Redner, ein Dichter von Geschmack, Es ist noch ein sehr hübsches Hochzeitslied überliefert, das Gallienus anlässlich der Vermählung seiner Neffen verfasst hat. Historia Augusta, Galliene 11: ›Ite, agite, o pueri, pariter sudate medullis/omnibus inter vos; non murmura vestra columbae,/Bracchia non hederae, non vincant oscula conchae.‹ [Kommt nun, ihr Kinder, tummelt euch in erhitzter Leidenschaft/ niemals sollen die Tauben euer Gurren übertreffen/ niemals der Efeu eure Arme und niemals die verschlungenen Schnecken eure Küsse]. ein geschickter Gärtner, ein vorzüglicher Koch und ein absolut unfähiger Herrscher. Als der Staat in großen Kalamitäten steckte und seine Anwesenheit dringend erforderlich gewesen wäre, pflog er Umgangs mit dem Philosophen Plotin, Er war im Begriffe, Plotin eine verlassene Stadt in Campanien zu schenken, damit er versuchen könne, Platos Idee vom Staat zu verwirklichen. Siehe die vita Plotins von Porphyrios, in der Bibliotheca graeca von Fabricius, Bd. 4. vertändelte seine Zeit mit allerlei Quisquilien und Zerstreuungen, bereitete sich auf seine Initiation in die griechischen Mysterien vor oder bewarb sich um einen Sitz im Areopag zu Athen. Seine überreiche Prachtentfaltung war ein Hohn auf die allgemeine Armut; die lächerliche Feierlichkeit seiner Triumphzüge wurde in noch stärkerem Maße als öffentliche Peinlichkeit empfunden. Eine Medaille mit dem Kopf des Gallienus hat mit ihrer Umschrift und ihrer Rückseite der Altertumswissenschaft Probleme bereitet: › Gallienae Augustae bzw. › Ubique pax‹ [Der Kaiserin Galliena bzw. Überall Frieden]. Spanheim argwöhnt, dass die Münze von Feinden des Gallienus geprägt worden und als handfeste Satire gegen den weibischen Herrscher gedacht war. Da aber Ironie sich mit der Seriosität des römischen Münzwesens nur übel verträgt, hat de Vallemont aus einer Textstelle bei Trebellius Pollio (Historia Augusta, Firmus 3) eine geistvolle und schlüssige Erklärung herausgelesen. Galliena war die erste Cousine des Kaisers. Da sie Afrika von dem Ursupator Celsus befreit hatte, hatte sie Anspruch auf den Titel Augusta. Auf einer Medaille aus der Sammlung des Französischen Königs lesen wir die vergleichbare Inschrift Faustina Augusta um den Kopf des Marc Aurel. Was nun das Ubique Pax betrifft: dies erklärt sich zwanglos mit der Eitelkeit des Gallienus, der sich die Gelegenheit einer augenblicklichen Ruhe zunutze machte. S. die Nouvelles de la République des Lettres, Januar 1700, p. 21 – 34.. Für die wiederholten Nachrichten von Einfällen, Niederlagen und Aufständen erübrigte er ein gedankenloses Lächeln; und indem er sich einige besondere Erzeugnisse der verlorenen Provinz hervorsuchte, fragte er, bemüht um den Anschein von Verachtung, ob es wirklich Roms Untergang sei, wenn ihm denn nun nicht mehr ägyptisches Leinen oder gallische Wandbehänge zur Verfügung ständen? – Es gab im Leben des Gallienus jedoch auch einige wenige Augenblicke, in denen er, aufgebracht durch irgendein vorangegangenes Unrecht, sich unvermittelt als unerschrockener Soldat oder grausamer Tyrann erwies; um anschließend, vom Blute satt oder vom Zwist ermüdet, wieder in die für ihn kennzeichnende Milde und Apathie zu verfallen. Diese einzigartigen Charakterzüge sind uns, so glaube ich jedenfalls, getreulich überliefert worden. Die Regierungszeit seines unmittelbaren Nachfolgers war kurz und ereignisreich, und die Historiker, welche vor der Dynastie der Konstantine geschrieben hatten, konnte auch nicht das allergeringste Interesse daran haben, den Charakter des Gallienus zu verdunkeln.

 

DIE DREISSIG, DIE NEUNZEHN WAREN

Liegen die Zügel der Regierung in so kraftlosen Händen, ist es nicht zu verwundern, wenn sich nun Usurpatoren in Menge in jeder Reichsprovinz gegen Valerians Sohn erhoben. In der Idee, die dreißig Tyrannen von Rom mit den ›Dreißig von Athen‹ zu vergleichen, lag eine gewisse Anziehungskraft, welche die Schreiber der Historia Augusta verführt haben mag, sich diese berühmte Zahl zu erwählen, welche dann später zur allgemeinen Benennung werden sollte. Pollio insbesondere gibt sich ordentlich Mühe, diese Zahl zu erreichen. Aber der Vergleich ist in jeder Hinsicht schief und unvollständig. Welche Ähnlichkeiten sollen denn bestehen zwischen einer Clique von dreißig Männern, deren Aufgabe darin bestand, eine Stadt zu tyrannisieren und einem zweifelhaften Verzeichnis von einzelnen Rivalen, welche in unregelmäßiger Folge auf der Oberfläche eines Riesenreiches auftauchten und wieder verschwanden? Und wenn wir nicht auch noch die Frauen und Kinder mitzählen, die mit dem Kaisertitel geschmückt wurden, werden wir die Dreißig niemals zusammenbringen. Die Herrschaft des Gallienus, zerfahren, wie sie nun einmal war, rief nur neunzehn Thronanwärter auf den Plan: Im Osten Cyriades, Macrianus, Balista, Odaenathus und Zenobia; in Gallien und den westlichen Provinzen Posthumus, Lollianus, Victorinus und dessen Mutter Victoria, Marius und Tetricus. In Illyrien und den Donauländern Ingenuus, Regillianus und Aureolus; im Pontus Sein Regierungssitz ist unbekannt; aber es gab im Pontus einen Tyrannen, und die Sitze aller anderen kennen wir. Saturninus; in Isaurien Trebellianus; in Thessalien Piso; in Achaia Valens; Ämilianus in Ägypten; und Celsus in Afrika. Es wäre ein mühsames Unterfangen, ebenso inhaltsleer wie langweilig, jetzt Leben und Sterben all' dieser ephemeren Figuren nachzuzeichnen. Wir wollen uns vielmehr damit zufrieden geben, einige allgemeine Wesenszüge zu untersuchen, welche für die damaligen Zeiten und das Verhalten dieser Männer besonders kennzeichnend sind, für ihre Absichten, ihre Motive, ihr Schicksal und die zerstörerischen Folgen ihrer Ursupationen. Tillemont (Histoire des empereurs 3, p.1163) schätzt dies etwas anders ein.

 

EXKURS ÜBER TYRANNEN

Es ist hinlänglich bekannt, dass der Ekelname Tyrann von den Alten meist nur benutzt wurde, um das Illegale einer Machtausübung zu kennzeichnen, ohne Bezug zu einem möglichen Missbrauch. Einige der Thronanwärter, die gegen Gallienus die Fahne der Rebellion emporzogen, waren Vorbilder an Tugend, und nahezu alle besaßen ein gerüttelt Maß an Tapferkeit und Fähigkeiten. Durch ihre Verdienste hatten sie sich Valerians Gunst empfohlen und sich allgemach zu den höchsten Kommandostellen des Reiches hinaufgearbeitet. Die Generäle, die den Augustustitel beanspruchten, genossen den Respekt ihrer Truppen, sei es aufgrund ihrer Feldherrentüchtigkeit und ihrer strengen Disziplin, wurden bewundert für ihr Draufgängertum und ihre Kriegserfolge, oder geschätzt für ihre Ehrlichkeit und Freigebigkeit. Oftmals war das Schlachtfeld auch der Ort ihrer Erhebung; und selbst Marius, der Waffenmeister, von allen Anwärtern auf den Purpur der ungeeignetste, zeichnete sich, immerhin denn doch, durch unerschütterlichen Mut, ausdauernde Kondition und unverstellte Ehrlichkeit aus. Siehe die Rede des Marius in Pollio, Historia Augusta, Tyrannen 7. Die zufällige Namensgleichheit war der einzige Umstand für Pollio, Sallust nachzuahmen. Sein etwas schlichtes Gewerbe allerdings umkränzt seine Erhebung mit der Aura des Lächerlichen; aber seine Herkunft war nicht unbedeutender als die seiner Rivalen, welche Bauernsöhne waren und von der Pike auf gedient hatten. In unruhigen Zeiten findet jedes Talent den ihm zukommenden Platz; in einem Militärstaat sind soldatische Verdienste die einzigen Pfade zu Ruhm und Größe. Von den neunzehn Tyrannen war allein Tetricus von senatorischem Rang; und von Adel war nur Piso. ›Vos o Pompilius sanguis‹ [Ihr, die ihr von (Numa) Pompilius' Blut seid]; so die Anrede des Horaz an die Pisonen. (De arte poetica 292 mit Daciers und Sanadons Anmerkungen). Das Blut eines Numa floss nach neunundzwanzig aufeinanderfolgenden Generationen in Calpurnius Pisos Adern; welcher außerdem durch die Familie seiner Frau das Recht beanspruchte, in seinem Hause die Bildnisse des Crassus und des großen Pompejus Tacitus Annalen 15,48 und Historien 1,15. In der erstgenannten Textstelle wollen wir es wagen, paterna durch materna zu ersetzen. In jeder Generation von Augustus bis zu Alexander Severus treten ein oder mehrere Pisonen als Konsuln auf. Einen Piso befand Augustus sogar des Thrones für würdig (Tacitus, Annalen 1,13), ein anderer stand an der Spitze einer furchtbaren Verschwörung und ein dritter wurde von Galba adoptiert und zum Caesar ernannt. aufstellen zu dürfen. Seine Vorfahren waren mehr als einmal mit allen Ehrenzeichen versehen worden, die die Republik zu vergeben hatte; und von allen altrömischen Familien hatte die calpurnianische allein die Tyrannei der Cäsaren überlebt. Pisos persönliche Vorzüge sind für die Geschichte seiner Familie ein zusätzliches Ruhmesblatt. Der spätere Thronräuber Valens, der ihn ermorden ließ, bekannte mit tiefer Reue, dass selbst ein Feind Pisos Unantastbarkeit hätte respektieren müssen; und obwohl er in Waffen gegen Gallienus starb, beschloss der Senat mit des Kaisers gütiger Permission, einem so tugendreichen Rebellen die Triumphabzeichen zuzusprechen. Historia Augusta, Tyrannen 20. Der Senat scheint in einem Augenblick der Begeisterung die Billigung des Gallienus vorweggenommen zu haben.

Valerians Offizierscorps war dem Vater, den es bewunderte, treu ergeben; seinen unwürdigen Sohn, der sich im Luxus langweilte, verachteten sie nur. Auf Loyalität jedenfalls konnte der römische Thron in keiner Weise rechnen; und Verrat gegen einen solchen Herrscher wäre leicht zu einer nachgerade patriotischen Tat geworden. Aber sehen wir uns die Aufführungen der einzelnen Thronaspiranten genauer an, so werden wir rasch finden, dass viel öfter die Angst als der Ehrgeiz sie zu ihrer Rebellion bestimmte. Sie fürchteten Gallienus' blutrünstiges Misstrauen; doch in gleicher Weise fürchteten sie die unberechenbare Gewaltbereitschaft ihrer Truppe. Wenn nun die höchst zweischneidige Gunst ihrer Armee sie des Thrones für würdig befunden hatte, dann bedeutete dies ihr Todesurteil; und auch Lebensklugheit mochte ihnen den Rat geben, für möglicherweise nur kurze Zeit der Herrscherfreuden zu genießen und dann das Kriegsglück zu versuchen, als auf den Henker zu warten. Wenn der Lärm der Soldaten die widerstrebenden Opfer mit den Herrscherinsignien versehen hatte, dann beweinten sie wohl selbst im Stillen ihr bevorstehendes Schicksal. ›Ihr habt,‹ sagte Saturninus am Tage seiner Erhebung, ›ihr habt einen für euch nützlichen Befehlshaber verloren und einen erbärmlichen Kaiser gewonnen.‹ Historia Augusta, Tyrannen 22.

 

GEWALTSAMER TOD DER TYRANNEN

Saturninus' Besorgnisse waren gerechtfertigt durch die wiederholten Erfahrungen mit Revolutionen. Von den neunzehn Tyrannen, welche unter Gallienus sich erhoben, war nicht einer, dem ein Leben in Frieden oder ein natürlicher Tod beschieden gewesen wäre. Sobald sie erst einmal mit dem blutigen Purpur angetan waren, erzeugten sie bei ihren Anhängern die gleiche Furcht oder den gleichen Ehrgeiz, der auch zu ihrer Rebellion geführt hatte. Von Palastverschwörungen, Meuterei und Bürgerkrieg ringsum bedrängt, standen sie schaudernd am Rande des Abgrundes, der sich ihnen auftat und in welchen sie nach mehr oder weniger kurzer Zeit des Bangens notwendig stürzen mussten. Ehrungen und Ergebenheitsadressen ihrer Truppen oder der Provinzen erhielten diese Monarchen auf Widerruf allerdings; aber ihr Anspruch, der nur auf Rebellion begründet war, hatte vor dem Recht und der Geschichte keinen Bestand. Italien, Rom, der Senat: sie alle standen zuverlässig hinter der Sache des Gallienus, und er allein wurde als der eigentliche Reichssouverän angesehen. Allerdings war dieser Herrscher wenigstens des Odaenathus siegreiche Waffentaten anzuerkennen gnädig genug, hatte dieser sich doch durch sein stets loyales Verhalten gegenüber Valerians Sohn eine Auszeichnung verdient. Unter allgemeiner Zustimmung der Römer und des Gallienus übertrug der Senat dem wackeren Palmyrer den Augustustitel; und die Herrschaft über den Osten, die er de facto schon ausübte, wurde ihm mit so vielen Vollmachten ausgestattet, dass er die Nachfolge wie ein Familienerbe seiner berühmten Witwe Zenobia übertragen konnte. Die Auszeichnung des tapferen Palmyrers war noch die volkstümlichste Maßnahme in Gallienus' gesamter Regierung. Historia Augusta, Tyrannen 22.

 

DIE SCHLIMMEN FOLGEN DES THRONRAUBES

Der rasche und ständig wiederholte Übergang von der Hütte zum Thron und vom Thron zum Grab könnte einem philosophischen Gemüt ein Gelächter entlocken, wenn es dem philosophischen Gemüt denn möglich wäre, gegenüber der allgemeinen Notlage der Menschen Gleichmut zu bewahren. Die Erhebung dieser Puppenkaiser, ihre Machtausübung und ihr Tod erwiesen sich indessen für ihre Anhänger und die Untertanen in gleicher Weise als verhängnisvoll. Der Preis für ihre fatale Thronerhebung musste in Form eines unermesslichen Donativs an die Truppe sofort erlegt werden, welchen sie dem ohnehin verarmten Volk abpressten. Wie tugendreich sie auch sein mochten, wie hehr ihre Absichten auch waren, so sahen sie sich doch über ein kleines genötigt, ihren Thronraub durch Plünderung und Gewalt abzusichern. Wenn sie fielen, rissen sie Armeen und Provinzen mit. Es ist eine unglaublich brutale Anweisung auf uns gekommen, die Gallienus einem seiner Beamten erteilt hatte, nachdem Ingenuus – er hatte den Purpur in Illyrien erhalten – niedergeschlagen worden war. ›Es genügt nicht,‹ so dieser weichliche und zugleich unmenschliche Herrscher, ›dass du die Waffenfähigen hinrichtest: das hätte für mich auch das Schlachtenglück besorgen können. Das männliche Geschlecht jeden Alters muss ausgerottet werden; wofern du nur durch die Hinrichtung von Kindern und Greisen den Weg findest, unsere Autorität zu retten. Jeder soll sterben, der einmal eine Bemerkung gegen mich hat fallen lassen oder einem Gedanken gegen mich Raum gegeben hat, gegen mich, den Sohn des Valerian und den Vater und Bruder so vieler Fürsten. Gallienus hatte den Cäsar- und Augustustitel seinem Sohn Salonius verliehen, der zu Köln durch den Usurpator Posthumus erschlagen ward. Ein zweiter Sohn des Gallienus folgte mit gleichem Rang und Titel auf seinen älteren Bruder. Valerianus, der Bruder des Gallienus, hatte ebenfalls an der Herrschaft teil. Weitere Brüder, Schwestern, Neffen und Nichten bildeten eine zahlenstarke kaiserliche Familie. Tillemont, Histoire des empereurs 3, und de Brequigny in den Mémoires de l'academie des Inscriptions, Bd. 32, p. 262. Bedenke, dass Ingenuus zum Kaiser ernannt wurde: reiße, töte, schlag in Stücke! Ich schreibe dir dies mit eigener Hand, und ich wollte dich gerne mit meinen eigenen Gefühlen ausstatten.‹ Historia Augusta, Tyrannen 8. Während so die Kräfte des Staates für Privatfehden verzettelt wurden, standen die Provinzen jedem Eindringling ungeschützt offen. Da ihre augenblickliche Situation höchst unbehaglich war, sahen sich auch die kühnsten Usurpatoren genötigt, mit dem gemeinsamen Feind Schandverträge einzugehen und mit massiven Tributzahlungen die Neutralität oder sogar die Dienste der Barbaren zu erkaufen sowie feindliche und unabhängige Nationen in das Zentrum der römischen Monarchie eindringen zu lassen. Regillianus hatte einige Kontingente der Roxolaner in seinen Diensten, Posthumus ein Corps Franken. Es lag vermutlich in der Natur dieser Hilfstruppen, dass sich die letztgenannten sich in Spanien einfanden.

Dies waren die Barbaren, und dies waren die Tyrannen, welche unter der Herrschaft des Valerian und Gallienus die Provinzen zersplitterten und dem Imperium seinen bisher schlimmsten Tiefstand bescherten; dass es sich jemals hiervon erholen würde, erschien allgemein als eine Unmöglichkeit. Soweit die Unergiebigkeit der Quellen es überhaupt erlaubt, haben wir versucht, die allgemeinen Ereignisse jener verhängnisvollen Epoche zu sichten und zu ordnen. Einige besondere Ereignisse ragen dennoch hervor: I. Die Unruhe in Sizilien; II. Der Aufstand in Alexandria; III. Die Rebellion der Isaurier, welche drei Vorkommnisse dazu dienen mögen, jenes Schauergemälde besser ins Licht zu setzen.

 

DIE EREIGNISSE IN SIZILIEN

I. Wenn zahlenmächtige Räuberbanden, die aufgrund ihres Erfolges und ihrer Straflosigkeit auch noch Zulauf haben, es wagen können, sich der Justiz ihres Landes zu widersetzen anstelle vor ihr zu fliehen, dürfen wir getrost folgern, dass die offenkundige Schwäche der Regierung auch von den untersten Volksschichten wahrgenommen und ausgenutzt wird. Siziliens geographische Lage schützte es vor den Barbaren; auch konnte – umgekehrt – die waffenfreie Provinz keine Usurpatoren unterstützen. Die Leiden der einst blühenden und immer noch fruchtbaren Provinz hatten andere, tiefer liegende Ursachen. Eine gesetzlose Meute von Sklaven und Bauern beherrschte eine Zeitlang das ausgeblutete Land und rief die Erinnerung an die Sklavenkriege früherer Zeiten wach Die Historia Augusta (Galliene 4) nennt es ›Bellum servile‹ [Sklavenkrieg]. Siziliens Landwirtschaft muss durch Plünderungen zugrundegegangen sein, deren Opfer – oder Komplize – das Landvolk war; und da nun die größten Ländereien Eigentum reicher römischer Senatoren waren, deren Güter den Umfang eines früheren Gemeinwesens hatten, ist es durchaus möglich, dass dieses privat erlittene Unrecht der Hauptstadt mehr Schaden zufügte als alle gotischen und persischen Eroberungen zusammengenommen.

 

ALEXANDRIA

II. Alexandrias Gründung ging auf einen hochfliegenden Plan zurück, den Philipps Sohn entwarf und zugleich ausführte. Die schöne und ebenmäßige Anlage dieser Metropole – größer war nur Rom – maß fünfzehn Meilen im Umfang. Plinius, Naturalis Historia, 5,10. Dreihunderttausend freie Bürger bewohnten sie und mindestens ebenso viele Sklaven. Diodoros 17,52. Der lukrative Arabien- und Indienhandel führte über Alexandrias Hafen in die Hauptstadt und die Provinzen des Reiches. Müßiggang war unbekannt. Viele arbeiteten als Glasbläser, andere als Leinenweber, wieder andere in den Papyrusmanufakturen. Menschen beiderlei Geschlechtes und jeden Alters waren in Gewerbebetrieben beschäftigt, und selbst der Lahme und Blinde fand eine seiner Behinderung angemessene Beschäftigung. Siehe den äußerst merkwürdigen Brief Hadrians in der Historia Augusta, Firmus 29,8. Indessen: das Volk Alexandrias, in dem sich viele Nationen mischten, vereinigte in sich Eitelkeit und Wankelmut des Griechen mit dem Aberglauben und dem Starrsinn des Ägypters. Die banalsten Anlässe, etwa ein vorübergehender Engpass von Fleisch oder Linsen, ein nachlässig ausgeführter Gruß, die Verletzung des Vortrittsrechtes in einem öffentlichen Bade, selbst ein religiöser Diskurs: Etwa wegen der frevlerischen Ermordung einer heiligen Katze, s. Diodoros 1. dies reichte jederzeit hin, Aufruhr zu stiften im Volke, dessen Zorn fürchterlich war und unstillbar. Diese lange und grässliche Unruhe wurde hervorgerufen durch den Streit zwischen einem Bürger und einem Soldaten über ein Paar Schuhe. Nachdem nun die Gefangennahme des Valerian und die Trägheit seines Sohnes die Autorität des Gesetzes ausgehöhlt hatten, gaben sich die Alexandriner ungehemmt ihrer Leidenschaft hin, und ihr unglückliches Land wurde zum Schauplatz eines Bürgerkrieges, welcher, von ein paar kurzen und trügerischen Waffenstillständen abgesehen, zwölf Jahre dauerte. Dionysios bei Eusebios, Historia ecclesiastica 7,21; Ammianus Marcellinus, 2,16. Jedweder Verkehr zwischen den Stadtvierteln war abgeschnitten, jede Straße mit Blut besudelt, jedes nur irgend haltbare Gebäude zur Festung geworden; der Tumult legte sich selbst dann nicht, als ein großer Teil Alexandrias unwiderruflich ruiniert war. Der großzügig angelegte, herrliche Distrikt von Bruchion mit seinen Palästen, dem Museion, der Residenz der Philosophen und Könige Ägyptens, befand sich zufolge einer Beschreibung, die hundert Jahre später verfasst wurde, in demselben Zustand der traurige Öde wie heute. Scaliger, Animadversio ad Eusebiai Chronicam, p. 258. Bonamy in den Mémoires de l'Academie des Inscriptions, Bd. 9.

 

REBELLION IN ISAURIEN

III. Die bedeutungslose Rebellion des Trebellianus, der den Purpur in Isaurien erhielt, einer unwichtigen Provinz Kleinasiens, hatte immerhin befremdliche und erinnerungswürdige Folgen. Das Kaiserspielen wurde durch einen General des Gallienus rasch abgestellt; aber seine Anhänger, die auf Gnade nicht rechnen konnten, kündigten ihre Treue nicht nur dem Kaiser, sondern sogar dem Reich auf und kehrten plötzlich wieder zu früheren, aber nie ganz aufgegebenen Sitten zurück. Ihre zerklüfteten Felsgebirge – Ausläufer des weitreichenden Taurus – gewährten ihnen zuverlässigsten Schutz. Das bestellte Land in einigen fruchtbaren Tälern Strabon 12, p. 269. versorgte sie mit den Notwendigkeiten des Lebens, und ermöglichte ferner das Brauchtum der Räuberei, verbunden mit dessen Annehmlichkeiten. So blieben inmitten des Römischen Reiches die Isaurier weiterhin eine eigene Nation ungezähmter Barbaren. Die nachfolgenden Herrscher, welche sie weder mit Waffengewalt noch mit Diplomatie in Gehorsam zu zwingen vermochten, anerkannten endlich ihre eigene Schwäche durch die Anlage eines starken Festungsringes, Historia Augusta, Tyrannen 25. welcher sich indes oft genug als unzulänglich erwies, den Verkehr dieser inneren Feinde zu unterbinden. Die Isaurier dehnten ihr Einflussgebiet allmählich sogar bis an die Küste aus, unterwarfen den westlichen, gebirgigen Teil von Kilikien, und dies war immerhin das Nest jener wagemutigen Piraten gewesen, gegen die vormals unter der Führung des großen Pompejus die Republik alle ihre Kräfte mobilisieren musste. Cellarius, Geographia antiqua, Bd.2, p. 137, über die Grenzen von Isaurien.

 

HUNGERSNOT UND PEST

Unsere Denkgewohnheiten stellen so ausgreifend-kühne Verbindungen zwischen dem Schicksal der Menschen und der Ordnung des Himmels her, dass man auch jene düstere Epoche ausgeschmückt hat mit Überschwemmungen, Erdbeben, ungewöhnlichen Himmelszeichen, übernatürlicher Dunkelheit und Omen sonder Zahl, ausgedachten wie übertriebenen. Historia Augusta, Galliene 5. Eine lang andauernde und umfassende Hungersnot aber ist ein ganz reales Übel. Sie ist die unvermeidliche Folge von Plünderung und Unterdrückung, welche die diesjährige Ernte und die Hoffnung auf die künftigen raubt. Auf Hunger folgen fast zwangsläufig Epidemien, verursacht durch knappe und schlechte Ernährung. Es muss aber noch andere Ursachen für die verheerende Seuche gegeben haben, welche von 250 bis 265 A.D. ununterbrochen jede Provinz, jede Stadt, ja beinahe jede Familie des Römischen Reiches heimsuchte. Bisweilen starben täglich bis zu fünftausend Menschen in Rom; und manche Stadt, die dem Würgegriff der Barbaren entkommen war, wurde auf diese Weise vollständig entvölkert. Historia Augusta, Galliene 5; Zosimos 1,26; Zonaras 12,21; Eusebios, Chronica; Aurelius Victor, Epitome und Caesares 33; Eutropius 9,5; Orosius 7,21.

Wir haben Kenntnis von einem sehr merkwürdigen Umstand, der uns bei dem trübseligen Geschäft, das Elend der Menschen zu berechnen, hilfreich sein kann. In Alexandria wurde ein genaues Register geführt mit allen Personen, welche an der öffentlichen Getreideverteilung teilhatten. Man hat nun ermittelt, dass die Zahl der Vierzig- bis Siebzigjährigen, die ursprünglich in der Liste standen, ebenso groß war wie die Gesamtzahl der Vierzehn- bis Achtzigjährigen, die nach der Regierungszeit des Gallienus noch am Leben waren. Eusebios, Historia ecclesiastica 7,21. Die Tatsache ist überliefert in den Briefen des Dionysios, der in jenen schlimmen Zeiten Bischof von Alexandria war. Nimmt man diese unwiderlegbare Tatsache als eine Art Sterblichkeitstabelle, so beweist sie, dass die Hälfte der Einwohner Alexandrias gestorben sein muss. Und wenn wir diese Hochrechnung auf die anderen Provinzen des Reiches ausweiten, so folgt, dass Kriege, Seuchen und Hungersnöte innerhalb weniger Jahre die Hälfte der Menschheit dahingerafft haben müssen. 11.000 Personen, die man in vielen Gemeinden fand, waren zwischen vierzehn und achtzig Jahren alt; 5.365 zwischen vierzig und siebzig. S. Buffon, Histoire naturelle 2, p.590.


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