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»Und ob sie geladen sind!« erwiderte der Siedler, emsig mit dem vor ihm liegenden Braten beschäftigt. »Ich will verdammt sein, wenn ich nicht guten Gebrauch davon zu machen gedenke. – Habt Ihr gar keine Waffen bei Euch?«
»Ich? Ei gewiß«, rief Bush. »Ich teile keineswegs die Ansicht der Herren, die sich den Strauchdieben gutwillig überlassen mögen. Manchmal ja mag man es mit einem gutmütigen Exemplar zu tun bekommen. Es bleibt aber stets ein fatales Gefühl, sich der Gnade oder Ungnade solcher Burschen zu überlassen. Solange ich mich noch meiner Haut wehren kann, seh ich nicht ein, weshalb ich den Versuch nicht wenigstens machen sollte.«
»Dann seid Ihr mein Mann!« rief der Siedler, ihn augenscheinlich beruhigt auf die Schulter klopfend. – »Und Ihr da drüben, Freund«, wandte er sich an den schweigsamen Passagier, der an dem unteren Ende der Tafel keinen Blick von seinem Teller wandte und keine Silbe gesprochen hatte, »wie steht es mit Euch?«
Der Angeredete sah, ohne den Kopf zu heben, einen Moment nur durch seine buschigen Augenbrauen zu dem Sprecher hinüber und schien erst keine Antwort auf die an ihn gerichtete Frage geben zu wollen.
»Wer – ich?« fragte er endlich, als der Siedler noch immer schwieg und seinen Blick nicht von ihm nahm.
»Ja, Ihr, Mate, seid Ihr bewaffnet?«
»Nein«, brummte der Mann, sich neuen Fleischvorrat auf seinen Teller häufend. »Wozu?«
»Wozu? Wollt Ihr Euch von den Buschläufern wehrlos mißhandeln lassen?«
Der Angeredete ließ seinen Blick von dem Sprecher langsam und fast wie höhnisch auf dessen Nachbar, Mr. Bush, gleiten und sagte dann plötzlich, indem er gleichgültig wieder seine Mahlzeit fortsetzte:
»Wollen's abwarten, Mate!«
»Auf unseren schweigsamen Freund da unten«, lachte Bush, »scheint es, werden wir nicht besonders rechnen dürfen. Dann haben wir nur noch den Kutscher als dritte Hilfe!«
»Hol die Kutscher der Böse«, brummte der Siedler, mit dem Erfolg seiner Anrede nichts weniger als zufrieden. »Wenn die es nicht geradezu offen mit den Buschkleppern halten, passieren sie doch die Straße viel zu oft, als daß sie sich Feinde machen würden. Die Kerle bleiben gewöhnlich ruhig auf ihrem Bock sitzen und sind froh, wenn ihnen nur die Pferde gelassen werden, um weiterfahren zu können. Alles übrige kümmert sie wenig genug.«
»Bah«, sagte Mr. Warrel, »die ganze Geschichte ist ja doch nur ein müßiges Geschwätz von Reisenden, die – an dem Ort ihrer Bestimmung glücklich und ungehindert angelangt – nicht umhinkönnen, mit irgendeiner überstandenen schrecklichen Gefahr zu prahlen. Hier im Land haben wir keine Tiger oder andere reißenden Bestien, und da müssen dann jahraus und jahrein die Buschranger den alleinigen wieder- und wiedergekäuten Stoff liefern. Ich wette hundert Pfund Sterling, daß wir auf der ganzen Fahrt keinen zu sehen bekommen.«
»Topp!« rief ihm Mr. Bush plötzlich entgegen, »ich nehme Eure Wette an, Sir, und kann dabei jedenfalls nur ein gutes Geschäft machen.«
»Auch wenn Ihr verliert?« rief Mr. Warrel.
»Dann erst gewiß«, sagte der junge Mann lachend. »Ich habe eine Herde von 15 000 Schafen verkauft, für die ich das Geld in Wechseln und Banknoten bei mir trage, und will gern hundert Pfund davon bezahlen, wenn ich das übrige sicher nach Adelaide bringe. Wird es mir aber abgenommen, so sind Eure hundert Pfund wieder ein ganz hübscher Anfang für einen neuen Beginn.«
»Hol's der Henker«, rief der Siedler, »wenn Ihr die Sache von der Seite betrachtet, möcht ich auch wetten, denn wenn mich die Schufte plünderten, machten sie ebenfalls kein schlechtes Geschäft. Wie wär's, Mr. Warrel, wenn wir eine gleiche Versicherung abschlössen.«
»Danke, Sir«, wehrte aber dieser lachend ab, »ich bekomme dafür nichts Gleichwertiges, denn das Vergnügen, einen wirklichen Buschranger zu sehen, ist doch kaum mehr als hundert Pfund wert, und wenn es wirklich der berüchtigte Gentleman John selbst wäre.«
»Dann nehmt wenigstens eine von meinen Pistolen«, sagte der Siedler. »Drei entschlossene und bewaffnete Männer können sich einen ganzen Schwarm der feigen, räuberischen Schufte vom Leibe halten.«
»Auch dafür muß ich danken«, sagte der vorsichtige Kaufmann. »Ich habe Frau und Kind und ein recht hübsches Besitztum zu Hause und keineswegs Lust, mein Leben oder meine gesunden Gliedmaßen unnötigerweise aufs Spiel zu setzen. Was ich bei mir trage, bin ich jeden Augenblick bereit, mit Vergnügen herzugeben – sollten die Herren uns wirklich ganz gegen Erwarten einen Besuch abstatten. Mehr können sie nicht verlangen und verlangen sie nicht. Wer mehr zu verlieren hat, mag zu anderen Mitteln seine Zuflucht nehmen.«
Der mit dieser Politik nicht besonders einverstandene Siedler murmelte einen leisen Fluch in den Bart, erwiderte aber weiter nichts, und der Kutscher, der indessen draußen in der Küche sein Mittagsmahl verzehrt hatte, erschien auch in diesem Augenblick in der Tür, den Passagieren anzuzeigen, daß ihre Ruhezeit verflossen und die »Royal Mail« gerade wieder im Begriff sei abzufahren.
Draußen an der Tür stand der Wirt, den Hut auf dem Kopfe, die Hände in den Taschen, und nickte den Passagieren zu, als sie an ihm vorübergingen.
»Glückliche Reise, Gentlemen; kommt gesund nach Adelaide. Und du, Bill, wirf die Herrschaften nicht etwa hier gleich unten im Sumpf in das Wasserloch, wie es James neulich gemacht hat. Es könnte nicht wieder so gut abgehen, daß sie mit ein paar Arm- und Beinbrüchen davonkämen. Einen Doktor haben wir jetzt überdies nicht mehr im Haus.«
»Habt keine Angst, Jones«, lachte der Angeredete. »Wenn wir nur glücklich durch den Billibong drüben kommen, im Sumpf selbst hat's keine Gefahr, und wenn wir umkippen, will ich uns schon eine weiche Stelle aussuchen.«
»Das sind vortreffliche Aussichten, Mr. Bush«, sagte der Melbourner Kaufmann, als er neben diesem dem Wagen zuschritt. »Dagegen wird Euch wohl keine Versicherung helfen, wie?«
»Die Kerle fahren wie der Teufel«, beruhigte ihn aber dieser, »und haben ihre Tiere sicher in der Hand. Solange der Karren hält, haben wir schwerlich etwas zu fürchten.«
»Desto besser dann«, sagte der Kaufmann, sich, so gut es gehen wollte, wieder auf seinem schmalen Sitz zurechtrückend. »Und nun, Kutscher, fahrt zu; Wetter noch einmal, ist das eine unbequeme Bank. Man hat wirklich alle Hände voll zu tun, sich nur festzuhalten. Sucht Ihr denn Eure Passagiere wieder zusammen, wenn Ihr einige davon einmal verliert?«
»Manchmal«, erwiderte der Mann trocken. – »He da – alle an Bord?«
»Alle – so gut es eben geht.«
»Gut denn – laß gehn da vorn, Tom – halt fest da hinten – komm Jerry, komm Bock – hu – pih!« Und mit kräftigem Peitschenschlag auf die sich bäumenden Tiere einhauend, trieb er diese zu raschem Ansprung, daß sie den unbeholfenen Karren mit einem Ruck nach vorn rissen.
»Um Gottes willen, mein Hut!« rief Mr. Warrel, der sich beinahe den Arm an der eisernen Lehne ausgerenkt hatte, während ihm der Hut vom Kopfe flog.
»Macht nichts, Bill!« rief aber Tom, der Hausknecht, an derartige kleine Folgen wahrscheinlich schon gewöhnt, indem er den Hut in der Luft fing und seinem Besitzer mit außerordentlicher Geschicklichkeit wieder zuschleuderte. »Alles in Ordnung – go on!«
Der Kutscher, der von dem Zuruf auch nicht die mindeste Notiz genommen hatte, bedurfte dieser Beruhigung gar nicht, denn ohne sich nach dem Passagier oder dessen Hut auch nur umzusehen, gab er seinen Tieren nur wiederholt die Peitsche, und der fest auf seinen Achsen ruhende Karren rasselte rücksichtslos und wild über die rauhe, holprige Straße hin, seine Bahn entlang.
An eine Unterhaltung zwischen den Passagieren war unter solchen Umständen gar nicht zu denken. Jeder hatte vollauf zu tun, sich auf seinem Sitz und, wie ein australisches Sprichwort ganz passend sagt, die Zunge im Munde festzuhalten, bis der Weg wieder ebner und weicher wurde und der Karren, von den Flüchen der mißhandelten Passagiere begleitet, wenigstens verhältnismäßig ruhig auf seiner Bahn dahinfuhr.
Der Weg zog sich hier, wo er schon das Murraytal berührte, durch einen Wald der mächtigsten Gumbäume hin, und die Bahn hindurch war dabei keineswegs in einer geraden Linie gehauen worden, sondern wich den stärksten Stämmen aus und wählte die lichtesten Stellen. Hier und da stand auch wohl noch ein tüchtiger Stumpf mitten im Weg, und es bedurfte der ganzen Geschicklichkeit des Kutschers, das allerdings mit seinen zwei Rädern leicht zu wendende Fuhrwerk zwischen all den Hindernissen mit solcher Schnelligkeit hinzuführen.
Dem Siedler, der neben dem Kutscher auf dem Bock saß und dabei Zeuge war, wie die Achsen oft nur um Haaresbreite an einem der alten Waldriesen vorübergerissen wurden, war gar nicht wohl bei der Fahrt, und er hatte seine ganze Kaltblütigkeit nötig, dem tollen Rennen so ruhig zuzusehen. Einmal aber, als der Wagen wieder an einem alten Gumbaum so dicht vorbeischnellte, daß er noch ein Stück von der dicken weichen Rinde mit abriß, und dann gleich darauf mit dem einen Rad über einen umgestürzten Klotz fuhr, wonach der Karren wohl fünfzehn Schritt weit auf dem anderen eben noch balancierte, konnte er es doch nicht mehr so ruhig mit ansehen und sagte, sich zu dem Kutscher wendend:
»Heda, Freund – von unseren Hälsen gar nicht zu reden, scheint Ihr auch mit Eurem eigenen verwünscht rücksichtslos umzugehen. Wenn wir hier umgeschlagen wären, hätten wir leicht die Härte unserer Schädel an jenen Gumbäumen versuchen können.«
»Könnt recht haben, Mate«, erwiderte ziemlich ungeniert Bill, der Rosselenker, »aber immer noch besser, als daß wir den gesegneten Buschkleppern in den Rachen laufen.«
»Und hätten wir hier wirklich etwas von ihnen zu fürchten?« fragte der Siedler rasch.
»Hier? – Habt Ihr den Kerl nicht gesehen, der etwa fünfhundert Schritt zurück links vom Weg in den Busch hineinsprang?«
»Den Kerl? – Habt Ihr jemanden gesehen?«
»Glaubt ihr, ich treibe meine Tiere hier umsonst zuschanden?« brummte der Mann mürrisch in den Bart. »Hol die Post auch ein solches Leben, und das soll die letzte Fahrt sein, die meiner Mutter Sohn auf dieser vermaledeiten Straße hin und wider fährt.«
Der Siedler erwiderte kein Wort weiter, griff aber nach seinen Pistolen, ob sie ihm der Hand bequem im Gürtel stäken, und sah nach den Hütchen auf seiner Doppelflinte.
Der Kutscher warf seitwärts einen halb neugierigen, halb unzufriedenen Blick auf die Waffen und sagte:
»Schießen die Dinger sicher?«
»Das wollt ich meinen«, erwiderte der Siedler.
»Und geh'n sie auch los?«
»Ich möchte Euch nicht auf fünfzig Schritt im Wege stehn«, lautete die beruhigende Antwort.
»Hm«, brummte aber der Mann, noch keineswegs damit zufriedengestellt, »ich weiß doch nicht, ob Ihr nicht besser tätet, die Dinger in den Kasten zu packen.«
»Damit uns die Schufte ungehindert plündern, wie?«
»Ist eben nur noch die Frage, ob Ihr sie damit hindern werdet«, lautete die mißtrauische Antwort. »Die Schufte wählen sich eben Ort und Zeit nach eigenem Gefallen, und wenig Gutes hab ich bis jetzt von solchen Schießdingern gesehen, die nie losgehen, wenn sie eigentlich sollen. Alle, die ich bis jetzt auf dem Karren gehabt, haben sich die Buschranger mitgenommen und noch nicht einmal ›Danke‹ dafür gesagt.«
»Und seid Ihr hier schon einmal von den Räubern überfallen worden?« mischte sich der kleine Zwischenpassagier in das Gespräch, der demselben bis dahin in fieberhafter Angst gelauscht hatte.
»Einmal?« sagte der Kutscher, indem er einen halb erstaunten, halb verächtlichen Blick zu dem an seine Seite geklemmten Passagier hinunterwarf, »viermal haben mich schon die ›Herren von der Straße‹, wie sie sich nach echt englischer Art zu nennen belieben, unter den Fäusten gehabt, und ich will froh sein, wenn ich die Bekanntschaft dieser verdammten Kanaillen nicht heute zum fünftenmal zu machen habe.«
»Hallo, Kamerad«, rief da Mr. Bush, der sich zu dem Kutscher umdrehte, »haben sie Dich so schlecht behandelt, daß Du ihnen solche Ehrentitel gibst?«
»Hol sie der Böse!« zischte Bill zwischen den Zähnen durch, »wenn sie mir auch noch nichts zuleide getan haben, ist es doch nur eine blutige Bande von Sträflingen und dem Galgen abgestohlenes Gelichter, und je weniger man mit den Schuften zusammenkommt, desto besser.«
»Das ist ein gefährliches Urteil für eine gemischte australische Gesellschaft«, sagte der junge Mann lachend, »aber Ihr seid wohl noch nicht lange im Lande und wohl gar einer der sogenannten freien Einwanderer?«
Bill warf einen zornigen Blick zu dem Sprecher zurück und sagte finster:
»Bin ich auch, Mate, wenn's Euch etwa kümmert, und für mein eigen Geld in die Kolonie gekommen, und das ist mehr, als mancher Gentleman von sich sagen kann.«
Mr. Bush lachte gutmütig vor sich hin und warf nur einen Seitenblick auf seinen Nachbar. Dieser schien aber weder den »Gentleman« noch die andere Anspielung auf sich zu beziehen und kaute ruhig an einem riesigen Priem weiter, den er fortwährend aus der linken in die rechte Backe und wieder zurück wechselte.