Friedrich Gerstäcker
Alle jagen John Mulligan
Friedrich Gerstäcker

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Tolmer hatte indessen von da, wo er lag, die beiden kommen sehen und ahnte leicht den Zusammenhang, war aber auch nicht imstande, irgend etwas anderes zu tun, als still und regungslos liegenzubleiben. Er wußte recht gut, daß der Buschranger augenblicklich einen Hinterhalt vermuten würde, sowie er das Geringste sich bewegen sah, und seine einzige Aussicht auf Erfolg war, ihn so nahe als irgend möglich herankommen zu lassen. War Mulligan erst nur einmal an den Außenposten vorbei, konnte er ihnen nicht mehr entgehen.

Der schlaue Buschranger ließ sich aber nicht so leicht überlisten, und dennoch schien der verzweifelte Angriff des Hutkeepers alle seine Vorsicht unnütz gemacht zu haben.

Als Jim Riddle nämlich um Hilfe rief, sprangen die versteckten Polizeisoldaten fast zugleich aus ihrem Hinterhalt hervor. Auch Tolmer lief, was er laufen konnte, zu der Stelle, wo der Hutkeeper den Buschranger festgeklammert hielt und ihn niederzuwerfen versuchte. Dem Sträfling lag vor allen Dingen daran, sein Gewehr freizubekommen, und in der ersten Überraschung des Angriffs hatte er nicht einmal die von allen Seiten auftauchenden Feinde bemerkt. Ein einziger Blick auf die herbeispringenden Gestalten genügte aber, ihm die ganze Gefahr seiner Lage zu verraten, und mit einem wilden Fluche den Hutkeeper mit der Faust gegen die Stirn schlagend, daß dieser halb betäubt den Griff lockerte, gelang es ihm wenigstens, sich von dem ihn umklammernden Arm für einen Augenblick frei zu machen – aber das Gewehr ließ Jim nicht los.

Wieder führte der Buschranger einen wilden Hieb nach den Schläfen des jungen Burschen, der diesem hätte verderblich werden können. Jim aber verstand genug von der edlen Kunst der Selbstverteidigung und parierte den Schlag, und rechts und links sprangen jetzt die Polizisten herbei, ihm den Weg nach beiden Seiten abzuschneiden. Er mußte fliehen, und während er die Muskete losließ und Jim, der mit aller Kraft daran zog, hintenüber stürzte, sprang der Buschranger zu den nächsten Bäumen, die er in wenigen Sätzen erreichte und nun zwischen sich und seinen Verfolgern behielt, um vor ihren Kugeln geschützt zu sein.

»Feuer!« schrie Tolmer, der für einen erfolgreichen Schrotschuß noch zu weit entfernt war, »Feuer!«

Die Polizeisoldaten hatten bis jetzt nicht schießen dürfen, da sie ebenso leicht den Buschranger wie den Hutkeeper hätten treffen können. Jetzt, da sie beide getrennt sahen, sprangen sie zur Seite, freies Ziel auf den Flüchtigen zu bekommen, und zwei oder drei Kugeln knallten hinter ihm drein. Einmal war es, als ob er getroffen wäre. Er »zeichnete«, wie die Jäger sagen, aber es war nur ein Moment; im nächsten Augenblick warf er sich in ein dickes Gebüsch, das ihn vollständig verbarg, und alles weitere Suchen nach ihm blieb erfolglos. Er war und blieb verschwunden.

Wohl hatte ihn Jim, da er ihm die Waffe entrissen, für den Augenblick unschädlich gemacht, aber wie leicht konnte sich der verwegene Mensch eine andere Flinte verschaffen; und daß er dann an dem armen Teufel von Hutkeeper Rache nehmen würde, war gewiß. Jim Riddle stand auch, wie er das Resultat erfuhr, ratlos und sich hinter dem Ohr kratzend neben dem erbeuteten Gewehr und meinte:

»Na ja, da haben wir die Geschichte, gerade wie ich's mir gedacht. Ich sollt euch die Kastanien aus dem Feuer holen, und nun verbrenne ich mir die Pfoten dabei; jetzt sitz ich da und kann mich freuen. Gehangen will ich aber werden, wenn ich eine einzige blutige Stunde in dem Nest hier noch allein sitzenbleibe, daß mich der Halunke eines Morgens an meinem eigenen Feuer über den Haufen schießt wie ein Opossum. Entweder laßt Ihr mir eine Wache hier, bis Ihr ihn fest habt, oder ich bin mit von der Partie und fahre nach Adelaide hinüber.«

Jim Riddle beharrte auf seinem Vorsatz, und da Tolmer einsah, daß es gut sein würde, die Hütte zu bewachen, weil Mulligan, wenn sie ihn wirklich nicht fänden, recht gut hierher zurückkommen könne, sich zu rächen, so beschloß er einen Mann hierzulassen. Sehr erwünscht kam ihm dabei das Anerbieten des Matrosen, bei dem Hutkeeper auszuhalten, bis sie ihn wieder abholen würden. Der Seemann hatte das Herumkriechen im Busch schon lange satt bekommen, und die Ruhe war ihm sehr erwünscht. Mit dem Gewehr des Buschrangers waren sie auch bewaffnet; Tolmer ließ ihnen Pulver und Blei dazu da und ging dann mit seinem kleinen Trupp daran, die Verfolgung des Flüchtlings mit allen Kräften aufzunehmen.

Eine Strecke weit konnten sie seinen Weg, wo er in die Domen hineingebrochen war, spüren, und an den grünen Stachelblättern fanden sie sogar an zwei Stellen ein paar Tropfen Blut, aber nichts weiter. Sowie er den mehr offenen Wald erreicht hatte, war auf dem harten Boden kein Eindruck mehr zu erkennen, und vergebens suchten sie den Busch bis zur völligen Dunkelheit nach allen Richtungen hin ab.

Todmüde lagerte die kleine Schar endlich an einem Wasserloch, das sie mitten in einem Dickicht fanden, und zehrte von dem mitgebrachten Proviant; am nächsten Morgen wollten sie die Jagd von neuem aufnehmen. Aber auch der nächste Tag brachte kein besseres Resultat, und Tolmer behielt jetzt nur die Hoffnung, daß sie den Buschranger vielleicht dem anderen Trupp unter Borris in die Hände trieben. Mulligan konnte natürlich nicht wissen, daß er zwei Parteien auf seinen Fersen hatte.

Die Leute bekamen den entsetzlichen Busch an diesem Tag herzlich satt und einer oder der andere versuchte schon die Andeutung, daß der Schoner wahrscheinlich jetzt von Adelaide zurück sein und auf sie warten würde. Tolmer aber blieb unerbittlich und wollte von dem Schoner und einem Aufgeben seines Planes nichts wissen.

Am dritten Tag morgens passierten sie, einem kleinen Buschpfad folgend, der zur Küste führte, wieder ein Wasserloch, und hier fanden sie die ersten Spuren des flüchtigen Sträflings wieder. Er hatte dort getrunken. Deutlich konnten sie am Rande der Pfütze die Eindrücke seiner Knie und Hände erkennen, und dicht daneben lag ein kleiner blutbenetzter baumwollener Lappen. Er war also, wenn auch nur leicht, von einer der ihm nachgesandten Kugeln verwundet worden, und wenn sie ihn jetzt ohne Gewehr antrafen, konnte er ihnen kaum mehr entgehen.

Sosehr sie das ermutigte, in ihren Nachforschungen nicht zu ermatten, sosehr fühlte sich Tolmer selbst bald gehindert, die Verfolgung mit dem alten Eifer fortzusetzen. Er hatte nämlich am Morgen in einen scharfen Dorn getreten, und wenn er es auch am Anfang nicht besonders beachtete, verschlimmerte sich die Wunde durch die Anstrengung und den Staub mit jeder Stunde dermaßen, daß er zuletzt kaum noch von der Stelle konnte.

Auf dem Pfad, den sie jetzt verfolgten, hatten sie noch mehrmals des Buschrangers Fußspur gefunden, und Tolmer hinkte, auf den Arm eines seiner Leute gestützt, mit, so gut er konnte, bis sie endlich zur Küste kamen und hier eine kleine, ordentlich von Stämmen hergerichtete Hütte, eine Art Blockhaus, fanden. Sie war allerdings nicht bewohnt; Tolmer konnte aber nicht mehr weiter, und als er von den Leuten, die er ausgeschickt hatte, hörte, daß Mulligans Spur hier und da im Sande zu erkennen sei, beschloß er, hier ein paar Stunden zu rasten und seine Leute allein nach ihm auszuschicken. Tolmer folgerte, Mulligan müsse sich zur Küste gewandt haben, um dem Dornendickicht im Innern der Insel aus dem Wege zu gehen und um gleichzeitig rascher in einen anderen Teil der Insel zu gelangen.

Hatten sie bis nachmittag um drei Uhr nichts weiter von ihm gefunden, so sollte einer von ihnen dem Strand folgen, um Borris und die übrigen zu treffen und herbeizuholen, und die anderen sollten zu ihm zurückkehren.

Die Leute wollten Tolmer mit dem verwundeten Fuß nicht allein lassen, er schickte sie aber fort. Wasser floß in der Nähe, und er konnte die Zeit dazu benutzen, seinen Fuß ordentlich auszuwaschen und zu verbinden. – Er hatte sich aber zuviel zugemutet. Als er in die Hütte trat und seine Decke auf ein leeres Bettgestell warf, überkam ihn eine ganz ungewohnte Schwäche; sein Kopf schwindelte ihm, und er behielt eben noch Zeit, seine Flinte an die Wand zu lehnen und sich auf der Decke auszustrecken – dann vergingen ihm die Sinne, und er fiel in einen bewußtlosen Zustand, der mehrere Stunden gedauert haben mußte.

Wie er wieder zu sich kam, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und er ging jetzt ernstlich daran, nach seinem Fuß zu sehen und ihn zu verbinden. Dann wollte er sich einen Becher Tee kochen, aber er fühlte sich noch zu matt, legte sich deshalb wieder auf das Lager und sah träumend zu dem Dach der Hütte hinauf, bis ihm die Augenlider zusanken und er in einen leichten, stärkenden Schlaf fiel. Bei seinem Erwachen stand ihm eine Überraschung bevor.

Es war ihm, als ob er seinen Namen aussprechen höre, und wie er, die Augen halb geöffnet, unwillkürlich und ohne den Kopf zu wenden, einen Blick nach der Tür warf, erkannte er dort die Gestalt eines Mannes, die den Eingang verdunkelte.

Das Herz hörte ihm auf zu schlagen, aber der nächste Augenblick rief ihn auch schon wieder zu voller Tätigkeit.

»Mr. Tolmer«, sagte die Stimme, und während er sich ganz langsam, keinen Schreck zu verraten, emporrichtete, sah er den Buschranger John Mulligan in der Tür stehen, seine eigene scharf geladene Doppelflinte in der Hand, die Hähne gespannt und die Läufe auf ihn gerichtet. Er hatte leichtsinnigerweise, als er sich wieder aufs Bett warf, die Waffe neben der Tür stehenlassen, und sein Leben war in diesem Augenblick in den Händen des Verbrechers und hing an dem Druck seines Zeigefingers.

»So, Mulligan«, sagte Tolmer, mit voller Geistesgegenwart die Gefahr überschauend, in der er sich befand, indem er die Beine von dem Bettgestell herunterließ, ohne jedoch aufzustehen. »Haben wir Euch endlich? Den langen Marsch im Busch hättet Ihr Euch und uns ersparen können, denn daß Ihr nicht fortkämt, sobald wir nur erst einmal auf Eurer warmen Fährte waren, mußtet Ihr wissen.«

»Ihr habt mich?« fragte der Flüchtling, indem ein hämisches Lächeln über seine bleichen Züge flog. »Wäre nicht übel. Ihr seid in meiner Gewalt, Tolmer, und was hindert mich, mit einem Fingerdruck Euch alles abzuzahlen, was Ihr mir schon in diesem Leben angetan habt?«

»Die Furcht vor dem Galgen, Mulligan«, sagte Tolmer, ohne eine Miene zu verziehen, »obgleich Ihr dem doch schwerlich entlaufen werdet. Aber habt Ihr mich wirklich für so blödsinnig gehalten, Euch ein geladenes Gewehr dort an die Tür zu stellen, und mich in eine andere Ecke aufs Bett zu legen? Die List war plump genug, aber sie ist doch geglückt.«

»Was meint Ihr damit?« rief der Buschranger, das Gewehr fester packend und einen scheuen Blick zurück über die Schulter werfend.

»Was ich damit meine?« sagte Tolmer ruhig, indem er ein Bein über das andere legte, »daß Ihr umstellt seid und ich hier nur auf dieser Pfeife einen einzigen Pfiff zu tun brauche, um meine neun Mann dazuhaben. Fort könnt Ihr nicht mehr. Herein haben sie Euch gelassen, hinaus kommt Ihr nicht, und ich hatte mich doch nicht geirrt, als ich mir dachte, Ihr würdet der Lockung nicht widerstehen können, ein Gewehr auf einen schlafenden Menschen anzulegen.«


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