Friedrich Gerstäcker
Californien
Friedrich Gerstäcker

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6. San Francisco im Frühjahr von 1850.

Noch war die Regenzeit nicht einmal ganz vorüber, und die Sonne schien erst allmählig die Ueberhand zu gewinnen über die kalten Nebelschauer, die sich kaum noch dann und wann einmal auf einen Tag zusammenballen, und ihr feuchtes Regiment ausüben konnten, bis sie ihre warmen Strahlen dazwischenschleuderte und die Ruhestörer auseinander scheuchte. Auch auf den Bergen grünte und blühte es; vom Süden herauf kamen hie und da schon die Zugvögel an, die ganze Natur machte sich mit Gewalt von der Tyrannei des Winters frei, und reichte dem nahenden Frühling jauchzend die Hand.

Wie das aber in der Natur keimte und sproßte, quoll und trieb, so im Menschen, und in die Tausende, die in der Regenzeit durch das entsetzliche Wetter in den Schutz der Städte getrieben worden, schien ebenfalls urplötzlich ein ganz anderer wanderlustiger Geist gefahren zu seyn. Drei Tage Sonnenlicht, und Leute die noch vor wenigen Tagen selbst um den geringsten Lohn Arbeit suchten, verschmähen plötzlich glänzende Anerbietungen, verlaufen oder verschleudern vielmehr was sie verkaufbares bei sich führen oder noch überbehalten haben, und rüsten sich mit Macht zum Abmarsch in die Minen. Zelte die sie vor zwei Monaten oben in den Bergen für zehn Dollars verkauften um sie nur los zu werden, kaufen sie jetzt wieder für 50 und 60, Wasch- und Bratpfannen, wollene Decken und Lebensmittel steigen im Preis, und Maulthiere werden in Sacramento City und Stockton mit schwerem Gelde aufgewogen.

Und nach welchen Minen geht der Zug vorzugsweise? Denn an allen Orten und Enden sind jetzt solche entdeckt, oder sollen entdeckt seyn, und man sollte denken daß die reichhaltigsten auch die meisten anlocken müßten. Darüber ist aber gar nichts bestimmtes zu erfahren; heute kommt eine Nachricht daß am Yuba ein Klumpen von so und so viel Pfund gefunden sey und die Arbeiter dort ausgezeichnete Geschäfte machen, morgen füllt ein noch weit übertriebenerer Bericht die Zeitungen, der die ganze Sympathie der Goldsuchenden dem Stanislaus oder einem andern südlichen Tributar des Joaquin zuwendet. So hieß es vor einigen Tagen: es sey ein massiver Klumpen Gold von 93 Pfund entdeckt worden, und ein anderer Mann habe in sechs Wochen 70,000 Dollars Goldwerth ausgegraben. Wie das der Einbildungskraft der ebendahin Aufbrechenden schmeichelt, kann man sich denken, und die Zurüstungen werden jetzt nur mit noch größerem Eifer – wenn das überhaupt möglich war – betrieben.

Die nach Sacramento City und Stockton abgehenden Dampfschiffe und Schooner sind zum Uebermaß beladen, und die einzige Sorge ist jetzt nur – obgleich die Lebensmittel gerade gegenwärtig einen ziemlich niedern Preis haben – daß den Sommer über genug Provisionen eintreffen um die Arbeiter in den Minen nicht Mangel leiden zu lassen, oder die Preise dort zu sehr in die Höhe zu treiben.

Ueber die Preise selbst läßt sich gar nichts bestimmtes sagen; sie wechseln zu rasch. So galt noch vor drei Tagen der Centner Mehl 9 Dollars, und stand vorgestern schon wieder auf 14 und 16. Gerste wurde vor sehr kurzer Zeit mit 16 und später mit 9 und 10 Dollars bezahlt, und wird jetzt in San Francisco zu 3 ½ und 4 Dollars verkauft. Ein paar mit Vorräthen eintreffende Schiffe werfen ganze Preiscourante über den Haufen.

Die wirklichen Berichte aus den Minen – denn solche müssen davon wohl unterschieden werden die dabei interessirte Handelsleute verbreiten, um den Zug der Goldwäscher nach einer Gegend hinzulenken in der sie gerade so freundlich waren irgend einen Kram- und Provisionsladen anzulegen – lauten gerade nicht schlecht, aber auch nicht besonders gut; wie es sich in der nassen Jahreszeit nicht anders erwarten läßt. Den übertriebenen Schilderungen von in Massen gefundenem Gold gegenüber spricht die Thatsache daß noch nie solch ein Mangel an Geld in San Francisco war wie gerade in diesem Augenblick, und man glaubt daß diese Krisis wohl noch einige Wochen anhalten werde. Die Ursache davon liegt auch ziemlich klar zu Tage: im Herbst und December sind bedeutende Quantitäten von Gold außer Landes gesandt, wenig ist dagegen aus den Bergen – des schlechten Wetters wie der fast gänzlich unterbrochenen Kommunikation wegen – an Goldstaub hieher gekommen, und der Einfluß den dieß auf den Handel ausübte, mußte bald deutlich werden. Rasch wird sich das aber wieder ändern, sobald mit der wärmeren Witterung die dann fahr- und passirbar gewordenen Straßen den Verkehr zwischen den Minen und Städten ungestört gestatten, und die Kaufleute in San Francisco hoffen auf einen sehr guten Sommer.

Diese Unschlüssigkeit der Minenlustigen übrigens noch zu erhöhen, ja Manche förmlich zur Verzweiflung zu bringen, wohin sie sich nun eigentlich wenden sollen, tauchen dabei noch andere Gerüchte von ganz ferngelegenen Plätzen mit Berichten rein fabelhaften Goldreichthums auf.

»Neue Goldminen sind in der Trinidad-Bai, etwas weiter nördlich an der Küste hinauf, entdeckt« so steht auf einmal in den Zeitungen, »und einzelne haben in wenigen Wochen hunderttausende gefunden« – »Halloh gen Trinidad« heißt der allgemeine Schrei, und das sonderbare Faktum tritt ins Leben, daß die Goldsucher aus dem »goldenen Thor« (wie der Eingang der Bai auf den amerikanischen Karten genannt wird) direkt hinausfahren, um Gold zu finden.

Trinidad-Bai existirt wirklich, und schon sind mehre Schooner dorthin mit Waaren und Passagieren abgegangen, während täglich neue angezeigt und in Stand gesetzt werden. Ein Theil will dabei eine bedeutende Stadt in der dortigen Bai anlegen die San Francisco erdrücken soll, während ein anderer behauptet, der Eingang in die Bai sey fast gar nicht zu finden, und wenn gefunden, der Klippen wegen kaum zu passiren. Auch hört man über den Goldreichthum jener Gegend verschiedene Berichte; jedenfalls beschäftigt es aber gegenwärtig ganz Kalifornien, und es wird eine große Anzahl von Goldwäschern sowohl, wie von Kaufleuten dorthin auswandern.

Das kann aber auch in der That nichts schaden, denn die Menschenmasse die täglich hier eintrifft und allen Berichten nach in kurzer Zeit noch eintreffen muß, ist wirklich enorm. Auch über die Berge erwartet man wieder einen Riesenzug, und die Vereinigten Staaten haben allein in den Monaten September, Oktober und November 150 Fahrzeuge abgeschickt, die also sämmtlich jetzt eintreffen müssen. Im Lande selbst sieht es dabei an manchen Orten wild und bunt genug aus, und besonders fallen zwischen Amerikanern und Ausländern häufige Streitigkeiten vor. Allerdings können Ausländer gesetzlich nicht aus den Minen vertrieben werden, in den Bergen aber, wo kein Gesetz, und wenn ja ein Alkalde, doch keineswegs mit wirklicher Gewalt existirt (da er von den Arbeitern gewählt, auch von diesen eben so schnell wieder abgesetzt werden kann) darf von einer zusammenhaltenden Schaar auch fast jeder Unfug ungestraft ausgeführt werden. Wie lange ein solcher Zustand noch dauern mag ist unbestimmt, in kürzester Zeit möchte ihm aber wohl kaum abzuhelfen seyn.

Den Hader noch womöglich zu erhöhen, ist jetzt eine Bill der Legislatur vorgelegt worden, Ausländern das Arbeiten in den Minen förmlich zu verbieten, man glaubt aber nicht daß sie durchgehen wird, denn ein solches Gesetz, nur einmal publiziert, riefe förmlichen Krieg hervor. Die Behörden selber sind zu ohnmächtig es in Kraft treten zu lassen, und einzelne Regulatorenhorden würden dann natürlich von allen Seiten in Masse auftauchen, ihrem eigenen gesetzlosen Treiben den Mantel des Gesetzes umzuhängen. Wenn ein solches Gesetz aber auch wirklich nie in Kraft tritt, macht nur die Möglichkeit desselben schon jetzt einen sehr bösen Eindruck und besonders böses Blut zwischen den so verschiedenen Nationen, und führt Hader und Blutvergießen nutzloser Weise herbei.

Träte übrigens das Gesetz auch wirklich in Kraft, so gäbe es für den Ausländer doch noch immer ein Mittel es zu umgehen, oder ihm vielmehr zu genügen, ohne die Minen zu verlassen – es ist keineswegs etwas Uebermenschliches, was von ihm verlangt würde – die amerikanische Regierung wünscht sich nämlich hauptsächlich dagegen zu sichern, daß die Fremden nur eben zu ihnen herüberkommen, Gold auswaschen und mit dem »Erbeuteten« in ihr eigenes Vaterland zurückkehren; sie will deshalb, daß sich der Fremde bei ihnen naturalisiere, daß er die Erklärung abgebe amerikanischer Bürger werden zu wollen, wobei er dann allerdings sein früheres Vaterland und seine Fürsten, vorzüglich den, von dem er bis dahin beglückt wurde, abschwören solle. Hätten wir nun ein deutsches Reich, ein deutsches Oberhaupt, wären wir eine Nation, wie schwer sollte es da dem Deutschen werden diesen Schwur zu leisten, so aber braucht er sich ja nur von einer Ecke, nur von einem größeren oder kleineren Stückchen, je nachdem er nun zu Württemberg oder Lobenstein, zu Reuß oder Sachsen gehört, loszusagen, und das bringt er merkwürdiger Weise ungemein leicht fertig. Ich habe solche undankbare Subjekte gesehen, die selbst mit lachendem Gesicht den König von Preußen abschwuren.

Was nun die Stadt betrifft, so hat die den Winter hindurch, trotz der fast unwegsamen Straßen, wirklich unglaubliche Verbesserungen erhalten, und breitet sich zu gleicher Zeit, trotz der dafür ungünstigen Lage, fast an allen Seiten vom Meere oder von steilen Hügeln eingeschlossen, doch nach allen Seiten zugleich aus. Auch die Lattentrottoirs haben sich erstaunlich vermehrt, man kann schon ganze Straßen lang trockenen Fußes hingehen, aber gnade Gott dem, der über die Straße hinüber muß. Es sieht ordentlich lebensgefährlich und manchmal sogar rührend aus, wenn solche Unglückliche mit einem halb verzweiflungsvollen halb resignirenden Blick nach oben in den Schlamm, dessen Tiefe sie gewöhnlich nur ahnen können, hinabspringen; und doch bleibt ihnen nichts anderes übrig.

Ueber das californische Klima kann ich noch kein bestimmtes Urtheil fällen; denn ich habe bis jetzt nur einen Theil, und zwar den schlimmsten Theil des Jahres gesehen; der war denn aber auch wirklich nicht verlockend genug, einem Fremden den Aufenthalt in Kalifornien angenehm zu machen.

Die Regenzeit soll sich, wie mich ältere Einwohner versichert haben, nicht an eine ganz genau bestimmte Zeit binden; manchmal fängt sie schon im November, manchmal erst Ende Dezembers an. In diesem Jahr begann sie Anfangs November, dauerte bis Februar, wo einmal mehre Wochen lang wirklich herrliches Wetter war, und fing dann im März wieder so toll und stürmisch an, als ob sie sich damals nur ausgeruht hätte, die Backen noch einmal so recht aus Herzenslust vollzunehmen.

Am schlimmsten möchten dadurch die armen Teufel weggekommen seyn, die sich durch das schöne Wetter vor einigen Wochen verlocken ließen, in die Minen aufzubrechen, dort sollen noch Massen von Schnee liegen, und viele von ihnen büßen jetzt mit Hunger und Zähneklappern ihre Voreiligkeit. Lange kann aber der Regen nicht mehr anhalten, denn die. schöne Jahreszeit muß spätestens Ende März beginnen.

Das nasse Wetter hatte übrigens auch bedeutenden Einfluß auf die Geschäfte, da natürlich so wenig Waaren wie nur irgend möglich, der enormen Fracht wegen, in die Minen hinaufgeschafft werden, und ebensowenig große Geldsendungen herunterkommen konnten. Ja in Sacramento City hatten sogar die gewaltigen Regengüsse, die den Sacramento ungewöhnlich hoch hinaufgetrieben, furchtbare Verheerung an Eigenthum, und in vielen Fällen sogar an Menschenleben angerichtet. Die ganze, dicht am Ufer des Flusses stehende Stadt stand unter Wasser, und Zelte wie kleine Gebäude wurden von dem wilden Strom hinweggeschwemmt. Der Verlust an Eigenthum soll besonders groß gewesen seyn, und Massen von Waaren, die aufgespeichert in den Straßen lagen, sind hiebei verloren worden. Nur diejenigen die nichts zu verlieren hatten, haben, wie das gewöhnlich der Fall ist, dabei gewonnen. Die für nichts zu sorgen brauchten, behielten Zeit und Muße genug herumschwimmende Fässer und Kisten aufzufischen, und was sie besonders so an Provisionen erbeuteten, konnten sie rasch und zu gewaltigen Preisen an die verkaufen, die in die obern Stockwerke ihrer Häuser gebannt und von solchen Zufuhren abhängig geworden waren.

Hühne und Kunitz waren noch vor der Ueberschwemmung in die Stadt gezogen, hatten sich ein Zelt und einen großen eisernen Ofen gekauft und ein kleines Geschäft in Candy damit angefangen, die steigende Fluth löste aber nicht allein ihren Candy sondern auch ihr »Geschäft« auf, und das einzige was ihnen geblieben, war außer dem Zelt, das seinen Platz behauptete, der eiserne Ofen gewesen. Solche Fälle von raschem Fallen und Sinken kamen aber in Californien viel zu häufig vor die Betreffenden zu entmuthigen, und sie fingen eben wieder mit frischem Muthe von vorne an.

Es brach am 24. Dezember plötzlich Feuer in San Francisco aus, und es läßt sich denken daß es bei der leichten Bauart der Stadt, die Bewohner in nicht geringe Furcht und Schrecken versetzte. Das Feuer entstand in einem am öffentlichen Platz stehenden Hause, und theilte sich bald den danebenstehenden Gebäuden, sämmtlich von Brettern errichtet, mit. Unter ihnen war auch das sogenannte Parkerhaus, eines der bedeutendsten Häuser der Stadt, das etwa 30,000 Dollars zu bauen gekostet hatte, und monatlich 12,000 Dollars Miethe trug – natürlich meistens von Spieltischen, deren es eine wahre Unmasse enthielt. Durch Sprengen und Niederreißen that man – da auch glücklicher Weise kein Wind wehte – dem Feuer endlich Einhalt. Der Schaden ist auf 1 ½ Millionen geschätzt. Gestohlen wurde übrigens, trotz der so oft gerühmten californischen Redlichkeit, ebenfalls, und eine große Zahl von auf der That ertappten Individuen verhaftet, ein Neger aber, den man gleichfalls beim Stehlen erwischte, von dem erzürnten Volk zu Boden geschlagen und unter die Füße getreten, wo er gestorben seyn soll.

Und die Brandstätte? Wer zwei Tage später dorthin kam sah schon keine Brandstätte mehr; das Parkerhaus war schon nach fünf Tagen in vollem Neubau begriffen, und mit den Zimmerleuten so veraccordirt worden, daß es, sechzehn Tage von dem Brand ab, vollkommen beendet dastehen mußte. Schon nach wenigen Tagen standen mehre der kleinen Gebäude fix und fertig, auf's Neue aufgebaut und bewohnt, und zwischen Asche und Rauch schollen die schrillen Töne der Violine hindurch und klapperten die Gold- und Silbermünzen auf den grünen Tischen der Spieler.

Ist man nur acht Tage lang nicht in der Stadt gewesen, so darf man sich gar nicht wundern ganze Straßen total verändert, und an Stellen wo noch in voriger Woche Zelten oder Hütten standen, große zweistöckige Häuser zu finden. Mit unseren wöchentlichen Bootfahrten merkten wir das besonders, da wir uns fast jedesmal einen anderen Landungsplatz suchen mußten, weil an der Stelle, wo wir noch das vorigemal unsere Fässer abgeladen, immer gewöhnlich neue Häuser standen oder Werfte begonnen waren. Selbst die Straßen der Stadt wurden, mit so ungeheuern Kosten das auch verknüpft war, verbessert, hie und da, wo sich die schlimmsten Stellen fanden, den Wägen nicht hinderliche niedere Steindämme quer über gezogen, die tiefsten Löcher derselben mit Buschwerk ausgefüllt und hölzerne Rinnen an die Seiten der abschüssigsten gelegt, damit das Wasser nicht wie früher förmliche Ravinen in sie hineinrisse.

Die Stadt hat dazu in letzter Zeit, wer für sie arbeiten wollte, zu fünf Dollar den Tag engagirt, die Leute binden sich dabei für keine Zeit und können, wann sie wollen, wieder aufhören zu arbeiten. Uebrigens stehen ihr auch kolossale Geldmittel zu Gebote und die Steuer fremder Waaren bringt allein ungeheure Summen in ihren Schatz. So bedeutend ist dabei der Verkehr daß die Beamten, oder vielmehr die Cassirer des Zollgebäudes, nicht einmal mehr im Stande sind, das einkommende Silber zu zählen, sondern es bis jetzt in gleich hohen Kasten und aufgeschichteten Rollen nur maßen und in letzterer Zeit sogar bloß wiegen, wobei sie die Dollars mit einer Art Kelle in die Schalen schaufeln.

Geschmuggelt wird ungemein viel, und die Lage, besonders die Größe des Hafens begünstigt das gar sehr, nichtsdestoweniger fahren doch einzelne Schiffe, die allzukühn auf die Nachlässigkeit der amerikanischen Beamten vertrauen, manchmal bös dabei, und es sind in letzterer Zeit die Ladungen dreier Schiffe wegen Uebertretung der amerikanischen Schifffahrtsgesetze condemnirt und die Eigenthümer noch außerdem zu schwerer Strafe verurtheilt worden.

Nicht allein das »customhouse« verauctionirt aber fortwährend die confiscirten Waaren, sondern die »Street commissioners« zeigen ebenfalls von Zeit zu Zeit Versteigerungen durch sie weggenommener Waaren an. Diese Street commissioners oder Straßenbeaufsichtiger haben nämlich darauf zu sehen, daß die Straßen von den Massen von Waaren, welche die Kaufleute nur zu gern wegen Mangel an Raum vor ihren Thüren liegen lassen, freigehalten werden. Sie geben den Eigenthümern dann eine gewisse Zeit, dieselben fortzuschaffen, kommen diese aber darin nicht der Weisung nach, oder treffen sie gar Sachen die im Augenblick gar keinen Eigenthümer zu haben scheinen, und um die sich niemand bekümmert, so confisciren sie dieselben und verkaufen sie dann zum Nutzen der Straßenverbesserung in öffentlicher Auction.

Häuser kommen jetzt von allen Enden der Welt hier an, besonders senden die Chinesen viele herüber, und wo man irgend jemand auf einem Dache sitzen und Schindeln aufnageln sieht, kann man immer zehn gegen eins wetten, daß es ein Chinese ist. Diese Leute zeichnen sich überhaupt hier durch Fleiß und Thätigkeit aus, und besonders gehören die Speisehäuser, die sie in den californischen Städten, vorzüglich aber in San Francisco errichtet haben, zu den besten, billigsten und deßhalb auch besuchtesten. Sie kleiden sich noch meistens in ihre Nationaltracht, nur daß sie sich, mit wenigen Ausnahmen, die Haare wachsen lassen und die Zöpfe (die ja überhaupt auch keine chinesische, sondern erst eine tatarische Mode sind) entweder ganz abschneiden oder zusammengerollt unter ihren Mützen tragen. Chinesische Waaren haben in Masse hieher ihren Weg gefunden, und werden oft zu erstaunlich billigen Preisen verkauft.

Die Kaufleute sind allerdings nicht alle mit ihren Geschäften gleich gut zufrieden, besonders solche welche große Holzspeculationen gemacht hatten, finden sich auf einmal mit einem Vorrath da, der sie vor sechs Monaten zu Millionären gemacht hätte, und den sie jetzt nicht einmal um die Fracht wieder los werden können, da der Transport von den Schiffen fort solche enorme Summen kostet. Die Fälle sind nur zu häufig hier vorgekommen, daß ganze Ladungen von Planken und Brettern auf der Auction nicht die Hälfte der Fracht brachten, da zöllige Bretter z. B. in wenigen Wochen, am Lande verkauft, von 80 Dollars für 100 Fuß auf 15 herabschlugen.

Man erwartete übrigens ein Steigen der Holzpreise nach dem »nächsten Brand San Francisco's,« von dem gesprochen wird, als ob man die Zeit seines Eintreffens nach dem Kalender bestimmen könnte. Daß ein Theil San Francisco's nächstens wieder einmal niederbrennen wird, scheint eine als vollkommen gewiß angenommene Thatsache zu seyn. Soviel ist sicher, hat erst einmal die Sonne einen Monat lang diese Unzahl von dichtgedrängten Holzgebäuden und getheerten und ungetheerten Zelten gehörig gedörrt, und bricht dann bei dem frischen Nachmittagswind an der rechten Stelle ein Feuer aus, so ist die Stadt, oder doch ein großer Theil derselben rettungslos verloren.

Waaren gibt es hier noch in ungeheuern Massen, und täglich fast kommen mehr an; auf Auctionen werden oft die schönsten und besten Gegenstände, wie Kleider, Waffen, Wäsche und Luxusartikel, zu spottbilligen Preisen verschleudert; so wurden z. B. vier Alabastervasen mit Glasglocken zu 6 ¼ Dollars alle vier verkauft, wo die einzelne in Deutschland mehr kostet; Boviemesser, die mit 6 bis 8 Dollars in den Vereinigten Staaten Käufer finden, zu 2 ½, und 3 Dollars, Tuchfracks zu 1½ Dollars, Sommerröcke zu ½ Dollar ec. Will man aber einen gewissen Gegenstand gerade kaufen, so muß man ihn trotzdem theuer genug bezahlen, und für Sachen, die von den Kaufleuten schon in die Ecke geworfen sind und der Zerstörung unbeachtet entgegengehen, fordern sie, wenn man darnach fragt, die vollen Ladenpreise.

Die Provisionspreise, wie Mehl, Kartoffeln und eingesalzenes Fleisch, sind allerdings der fabelhaften Massen wegen, die in den letzten Monaten eingeführt wurden, bedeutend gesunken, nichts destoweniger werden nur irgend außergewöhnliche und etwas schwerer zu erlangende Genüsse auch noch enorm bezahlt. So kostete z. B. ein weißer Kohlkopf drei Dollar, und war kaum für den Preis zu bekommen. Milch und Butter hielt ebenfalls entsetzliche Preise, und Eier wurden noch im Herbste in Sacramento City mit einem Dollar das Stück bezahlt. Von diesen wurden allerdings in letzter Zeit eine Masse von China und Chile eingeführt, hielten aber doch auch noch immer einen vortrefflichen Preis.

An Vergnügungen bietet San Francisco ungemein wenig dar, doch ist in neuerer Zeit manches gethan, auch diesem schon luxuriösen Bedürfniß abzuhelfen. Ein Nationaltheater – freilich noch mit sehr schwachen Kräften – ist errichtet, ein Circus für Aequilibristen gebaut worden; die Negersänger lassen sich in diesem Local hören, und auf der, San Francisco gegenüberliegenden Insel schlagen sich ein paar Menschen – zum Vergnügen der versammelten Zuschauer – die Mägen flach und die Augen schwarz. Das Eintrittsgeld zu allen diesen »Genüssen,« so wenig auch dort geboten werden mag, ist dabei sehr hoch, und die große Masse des Publikums, die sich dem nicht aussetzen will, schlendert dafür Abends, wo sie mit ihrer Zeit nicht wohin weiß, in den Spielsalons oder in den Auctionen herum – beides Plätze, wo Leute die Geld in der Tasche haben, das ihrige auf höchst rasche Weise los werden können.

Vor einigen Tagen war in der Stadt ein deutscher Ball, und dem Programm nach ebenfalls eine gewisse Einigung der Deutschen herbeizuführen und sie mit einander bekannt zu machen. Das letztere mochte dabei erreicht seyn, das erstere auf keinen Fall, da der Ball auf ächt deutsche Art mit einer tüchtigen Prügelei schloß.

Das Spiel hat in San Francisco wirklich einen furchtbaren Höhegrad erreicht, und muß auf die Bevölkerung einen verderblichen Einfluß ausüben; jedenfalls nimmt das auch noch einmal ein böses und blutiges Ende, wie es schon oft und oft zu blutigen Excessen in den Spielzimmern selber geführt hat. In letzter Zeit sind freilich viele Spielbanken gebrochen, da ein fühlbarer Geldmangel in San Francisco auch diesem edlen Erwerbszweig geschadet hat; der Sommer aber, wo wieder die Arbeiter mit ihrem Erbeuteten aus den Minen zurückkehren, belebt ihn wieder, und ruft dann mit der wachsenden Größe der Stadt mehr und mehr solche Höllen in allen Straßen, an allen öffentlichen Plätzen hervor. – Daß sie alle verderben möchten!

Gewaltig ist der Werth des Geldes hier, wo mit einem geringen Capital in kurzer Zeit so viel erworben werden kann. Alles geht rasch und im Fluge, Jahre werden in Monate zusammengedrängt, und der Geldwerth bleibt bei dieser lobenswerthen Eile ebenfalls nicht zurück. Interessen werden nicht nach Jahren, sondern nach Monaten, deßhalb aber nicht etwa billiger berechnet, und 6 Procent für den Monat ist das gewöhnliche, während man oft sogar 10, 12, ja noch mehr bezahlen muß.

In literarischer Beziehung ist, wie das auch kaum anders seyn konnte, noch sehr wenig in San Francisco geschehen, doch existiren schon drei amerikanische Zeitungen hier, die Alta California, die Pacific News und ein neueres Blatt, ein Commercial Bulletin. Die Franzosen haben ebenfalls in letzterer Zeit ein Organ im »Californien« erhalten, der jedoch aus gänzlichem Mangel an Lettern und einer Presse lithographirt werden mußte, was leider nur ein höchst mangelhaftes und unvollständiges Surrogat der wirklichen Buchdruckerpresse ist.

Ich selber hatte nicht übel Lust, den Winter über eine deutsche Zeitung in San Francisco zu gründen, und gab mir viele Mühe einen genauen Ueberschlag über das Ganze zu bekommen, mußte aber zuletzt davon abstehen. Ein deutscher Setzer, den ich dort fand, der aber ebenfalls auf dem Sprung stand in die Minen aufzubrechen – und mit solchen Menschen ist nachher gar nicht zu unterhandeln, denn sie berechnen sich alles nach zu findenden Goldklumpen – forderte allein für Satz und Druck, ohne Presse, Druckerschwärze und Papier, von vier Seiten, wöchentlich zweimal, Format und Lettern etwa wie das Ausland (nur natürlich lateinische Lettern, da in ganz San Francisco keine deutschen zu bekommen waren), 300 Dollars monatlich. Lokal, Presse, Schwärze und Papier wären auch noch etwa 200 Dollars per Monat gekommen, und mehre Subscriptionsbogen, die ich herumgab, lieferten trotz mehrfachen Versicherungen von Deutschen, wie sehr sie sich für eine solche Unternehmung interessirten, nur 500 Dollars vierteljährlich. Also fünfhundert Dollars Einnahme (wobei sich allerdings noch nach und nach mehr für Inserate herausgestellt hätte) gegen die faktisch dastehende Summe von 1500 Dollars Ausgabe – meine eigene Arbeit noch gar nicht einmal gerechnet; das war ein zu unverhältnißmäßiges Resultat, und ich unterließ es natürlich.

Deutsche gab es allerdings genug in San Francisco ein solches Blatt mehr als reichlich zu unterstützen, für die Sache selber haben die Leute aber meist kein Interesse, und was sonst Annoncen betrifft so können sie sich schon mit fremden Zeitungen behelfen.

Buchhandlungen sind in letzter Zeit auch schon einige in San Francisco errichtet, an Selbstverlag hier ist aber noch lange nicht zu denken; die hiesigen Pressen sind jetzt kaum im Stande die bestehenden Zeitungen und nöthigen Ankündigungen zu drucken, und importiren deßhalb nur Bücher. Wären aber auch wirklich Pressen da, die Druckkosten würden viel zu theuer kommen. Ueberhaupt hat die jetzige Bevölkerung Kaliforniens keinen Sinn für Literatur – die Leute sind hier, mit nur sehr wenig Ausnahmen, alle hergekommen um reich zu werden, oder doch wenigstens so viel Geld zu verdienen als das in einigen Jahren möglich ist; da dürfen sie denn keinen Augenblick ihrer kostbaren Zeit daran verschwenden etwas zu treiben was ihnen nicht so und so viele Prozente den Monat einbringt – und dahin gehört besonders das Lesen; Zeitungen abgerechnet, in denen sie Preiscourante finden. Es wird auch lange dauern ehe das anders werden kann, und ich selbst möchte die Periode wahrlich nicht in einem Land wie Californien abwarten.

Da ich aber gerade von Literatur spreche, so möchte ich dabei noch ein Buch erwähnen das kurz vor meiner Abreise in England erschien, von mir selber und später von noch vielen andern ins Deutsche übersetzt wurde und ebenso in französischer wie spanischer Sprache herausgekommen ist. Ich meine: »Vier Monate in den Goldminen Californiens, von Dr. Tyrwitt Brooks.«

Das Buch ist allerdings von jemand geschrieben der die Minen gesehen hatte, sonst aber in vieler Hinsicht eine Erdichtung. Wie z. B. die Scene wo die Wilden den jungen Matrosen scalpirt haben. Die californischen Indianer, wenigstens die an Bearcreek und Feather-River, nehmen gar nicht, wie ihre atlantischen Brüder, die Siegstrophäen des Scalps von den erschlagenen Feinden. Daß es Unwahrheiten enthält, bin ich außerdem noch sogar beauftragt zu erklären. Dr. Brooks erzählt darin wie er von Hrn. Lieutenant Sherman einen Empfehlungsbrief an Capitän Sutter erhalten und von diesem freundlich aufgenommen und bewirthet sey, erwähnt auch der Gemahlin des Kapitäns Sutter und einer liebenswürdigen Tochter. Capitän Sutter hat mir dagegen die Versicherung gegeben daß er einen Dr. Brooks nie gekannt noch bei sich aufgenommen habe. Ebenso wenig konnte seine Frau und Tochter damals anwesend seyn, da die Frau des Capitäns Sutter mit ihrer Tochter und zwei jüngeren Söhnen erst mit dem letzten Dampfboot, also Ende Januars, hier eingetroffen ist. Dr. Brooks Werk scheint die nicht üble Speculation eines englischen Buchhändlers gewesen zu seyn.

Doch genug für jetzt von San Francisco – am Himmel lacht die Sonne wieder warm und klar und »nach den Minen« schallte es von tausend Lippen; dorthin zog es auch mich. Die Stadt wurde mit jedem Tag stiller und ruhiger und die abgehenden Dampf- und Segelboote standen stets gedrängt voller Menschen die sie, entweder für die nördlichen oder südlichen Minen bestimmt, nach Sacramento oder Stockton führen sollten.

Ich selber hatte mich dießmal für die südlichen Minen bestimmt, da ich die nördlichen schon – und allerdings zur Genüge – gesehen hatte; von meinen früheren Reisegefährten schien aber Keiner Lust zu haben wieder dorthin aufzubrechen. Die Sache war ihnen damals doch ein klein wenig zu stark gewesen, und jetzt noch zu frisch in ihrem Gedächtniß. In San Francisco fand ich übrigens einen früheren Reisegefährten vom Talisman, einen gewissen Böhm, der mir ungemein viel von einer Stelle erzählte an der er selber mit vielem Glück gearbeitet habe, und zu der er zurückzukehren beabsichtige. Er suchte mich zu überreden ihn zu begleiten, und da es mir auch wirklich ziemlich gleichgültig war wohin ich mich wandte, denn voraus kann der Mensch ja doch nie wissen was er findet, beschloß ich mit ihm nach Murphys New-Diggings, wie der Platz genannt wurde, in den nächsten Tagen aufzubrechen.

Hier darf ich jedoch nicht vergessen dem Leser von einigen alten Bekannten Nachricht zu geben, die ich im Frühjahr wieder in San Francisco fand. Zu diesen gehört vor allen andern der Riese.

Wenn ich aber je ein heruntergekommenes Exemplar von einem Riesen gesehen habe, so war es dieses; als ich ihm in der Stadt zuerst begegnete kannte ich ihn kaum wieder. Mager und abgezehrt, die Backen eingefallen, das Gesicht bleich, die Augen tief im Kopfe schienen ihm die gewaltigen Knochen nur eben in der Haut zu hängen, und langsam und schleichend hinkte er in den schlammigen Straßen auf und ab. Seine Kleidung war noch ganz dieselbe wie früher, aber durch Wind und Wetter keineswegs besser geworden – der alte graue Filzhut, der ihm sonst das breite guthmüthige Gesicht beschattet hatte, hing ihm jetzt schlapp und weich um die hagere Physiognomie – der grüne Rock war abgetragen und schäbig geworden, und von dem unteren Menschen ließ der Straßenschlamm gar nichts erkennen. Allerdings trug er noch den breiten Gürtel und so viel Waffen als früher, ja eher noch mehr, aber auf gar verschiedene Art von früher – der Pallasch klirrte nicht mehr an seiner Seite, Gott weiß was mit dem geschehen war, aber am ganzen Gürtel herum hingen verschiedene Paare von Pistolen, Messern und Dolchen neben friedlichen Feuerzangen, Wagebalken und Feuerschaufeln. Der Mann schien eine wandernde »kurze Waarenhandlung« geworden zu seyn und verrannte allen denen, die er für Kunden hielt, den Weg auf der Straße.

Als er mich erkannte blieb er stehen, sah mich wehmüthig an und sagte:

»Na da sind wir ja nun man in Kalifornien – aber hier ists hübsch –«

Hätte er eine bogenlange Jeremiade gehalten, n wäre nicht im Stande gewesen mehr und tieferen Weltschmerz hineinzulegen.

Seine Leidensgeschichte war bald erzählt – in den Minen schien es ihm total mißglückt zu seyn, die Arbeit dort hatte ihm auch nicht im mindesten behagt – »wenn man so graben wollte« meinte er, »fände man auch bei uns – im Magdeburgischen – Gold,« dazu hatte er noch ein böses, jetzt arg geschwollenes Knie bekommen, wegen dem er keinen Doktor fragen wollte, die gleich zu viel Geld kosteten, und der Aufenthalt hier in der Stadt fresse förmlich die preußischen Thaler. Uebrigens gestand er mir daß er keineswegs Noth litte, sondern hier in aller Ruhe seine mitgebrachten Waarenvorräthe einzeln an den Mann zu bringen suche, sobald er aber wieder soviel Geld zusammen habe, als er mitgebracht hätte – denn Schaden wolle er durch Kalifornien nicht leiden – kehre er augenblicklich wieder nach Magdeburg zurück.

Ein paar Tage später sah ich ihn in seiner »Heimath« – einem kleinen Zelt ziemlich draußen vor der Stadt, das er, wenn er darin saß, schon fast ausfüllte. Während ich, davorstehend, mich mit ihm unterhielt, kamen ein paar Deutsche mehre Kleinigkeiten bei ihm zu kaufen, und er langte, ohne sich von der Stelle zu bewegen, einfach in die entfernteste Ecke des Zeltes hinein, und brachte daraus vor was verlangt wurde.

Seine Trabanten hatten sich aber, wie er mir erzählte, von ihm getrennt und »puddelten jetzt« wie er meinte, »irgendwo in den Bergen Gold.«

Auch von den »Haimonskindern« hörte ich hier – aus der beabsichtigten Vereinigung des alten Engelbrecht war nichts geworden und sie hatten sich getrennt – zwei von ihnen waren nach Norden und zwei nach Süden gezogen, der alte Bursche selber aber sollte irgendwo auf einem Schooner in der Bai herumfahren.


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