Friedrich Gerstäcker
Californien
Friedrich Gerstäcker

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5. Mission Dolores.

Um 9 Uhr früh etwa lichteten wir wieder die Anker, und legten dichter zur Stadt an, konnten aber doch an kein Werft hinankommen, und mußten noch einmal einen Dollar Passage bezahlen, uns nur an das kaum 30 Schritt entfernte Ufer setzen zu lassen.

Wie hatte sich aber San Francisco in den wenigen Monaten verändert – die Plätze, die ich jetzt durchwanderte, waren damals mit Zelten und einzelnen kleinen Hütten sparsam überstreut gewesen, jetzt standen geregelte volle Straßen mit großen Holz- und hie und da auch Backsteingebäuden dort, und ausgeputzte Läden nahmen die Stellen wild im Freien aufgespeicherter Waaren ein. Aber mit den Straßen selbst war auch eine dafür desto traurigere Veränderung vorgegangen. Damals in dem trockenen Wetter ahnte man noch kaum, was dieser Boden nach heftigem Regen und tüchtig aufgeweicht im Stande seyn möchte zu leisten, jetzt aber zeigte er sich in seiner wirklich furchtbarsten Gestalt, und förmlich bodenloser Schlamm füllte den ganzen Raum zwischen den Häuserreihen an, so daß man, ohne geradezu hindurch zu waten, gar nicht von einer Wohnung zur andern gelangen konnte.

Einzelne Plätze schienen förmlich unpassirbar, und in Clay und Montgomerystreet erstickten mehrmals Maulthiere mitten in den Straßen im Schlamme.

Roth ist übrigens die Mutter der Erfindung, und das zeigte sich auch hier; Trottoirs von Steinen anzulegen, würde zu enorme Summen gekostet haben, ja, jetzt bei den grundlosen Straßen, nicht einmal möglich gewesen seyn. Die Amerikaner wußten ein Surrogat dafür, sie machten Trottoirs von Holz, und zwar nicht von Blöcken oder Planken, die auch wieder den Schmutz gehalten hätten, sondern von Latten, die man wie ein Gitter in der gehörigen Breite an den Häusern hinlegte. Fußgänger konnten jetzt dort wo dieß geschehen war, trocken und sicher passiren. Alte Faßdauben eigneten sich zu diesem Zweck am besten, und wurden auch am häufigsten dazu genommen, da es aber keineswegs eine durchgängige Maßregel geworden, so mußte man nur dann und wann auf solche angebrachte Gestelle, die wie umgefallene Hühnerleitern aussahen, hinaufsteigen eine Strecke lang, mit dem wohlthuenden Gefühl festen Boden unter den Füßen zu haben, darauf hinlaufen und dann wieder, an der anderen Seite in den Schlamm mit Todesverachtung bis über die Knöchel, ja oft bis an die halben Waden hineinspringen. Kein Wunder, daß unter solchen Verhältnissen, als plötzlich einmal Mangel an Wasserstiefeln eintrat, solche in einzelnen Fällen zu 200 Dollars das Paar verkauft seyn sollen. Geld coursirte genug, und die Leute die es hatten, zahlten auch jeden Preis, um sich etwas anzuschaffen, was sie brauchten – wenn sie es nur eben bekommen konnten.

San Francisco fand ich übrigens gerade so von aus den Minen geflüchteten Goldwäschern überschwemmt wie Sacramento, nur daß hier doch mehr Arbeit zu finden war als dort oben, da die Stadt selbst viel zur Verbesserung ihrer Anlagen that. Welcher Art diese aber manchmal ebenfalls von Notwendigkeit gebotenen Anlagen seyn mußten, mag der Leser daraus sehen, daß eine sehr große Anzahl von durch die Corporation besoldeter Wägen einzig und allein damit beschäftigt waren, Büsche und Reisig aus dem benachbarten Holz zu holen, um die tiefsten Löcher der Straßen damit zu belegen, und Wägen, vor dem gänzlichen Untersinken zu bewahren. Bekamen aber Maulthiere manchmal ihre Füße zwischen die Zweige, so wurde es ein ordentliches Kunststück, sie wieder frei zu machen.

Doch ich hielt mich jetzt nicht länger in San Francisco auf als ich brauchte in reine und warme Kleider zu fahren und einige nöthige Besorgungen abzumachen, und ging dann nach der Mission Dolores hinaus, wo ich mich jedenfalls ein paar Wochen aufzuhalten gedachte.

Etwa drei englische Meilen von Yerba Buena oder, wie es jetzt heißt, San Francisco, liegt, durch eine entsetzlich sandige, zwischen Krüppeleichen und Lorbeern hinführende Straße mit der Stadt verbunden, die Mission Dolores, die besonders in den letzten Wochen an Wichtigkeit ungemein gewonnen hat, und wahrscheinlich über Jahr und Tag – wo nicht früher – eine ordentliche Stadt seyn wird.

Das eigentliche Missionsgebäude hat dabei wohl die wunderbarste Veränderung erfahren, die ein Gebäude in seinen Bewohnern und seiner ganzen innern Einrichtung überhaupt erfahren kann. Im Anfang, d. h. wie die ersten Goldminen in den kalifornischen Bergen entdeckt waren (denn nur von dieser Zeit kann man den Anfang Kaliforniens rechnen), stand dieser alte aus ungebrannten Backsteinen, also aus förmlichem Lehm aufgeführte klosterartige Mauerklumpen weit und öde. Den einen Theil desselben nahm die ziemlich geräumige Kirche ein, der Priester hatte unbestimmten Raum; müßige Spanier und getaufte Indianer trieben sich in den wüsten dumpfigen, hie und da fenster- und thürenlosen Zimmern umher. Einzelne Gemächer wurden zu Stallungen oder auch hie und da zu Schlafstätten von in der Nähe weidenden Kühen und Stieren benützt, und das ganze sah wild genug aus mit dem eigenen Geist, der unter den Kindern dieses ebenso wilden Landes herrschte, zu harmoniren.

Stünde Jetzt einer der alten, dicht neben den grauen Mauern begrabenen Priester plötzlich auf aus seiner schmalen, feuchten Gruft, und sähe die Veränderung, die wenige Monate hier gebracht haben, er schlüge die Knochenhände über dem Kopf zusammen.

Das Missionsgebäude selber ist in einem großen Viereck errichtet und umschließt einen weiten, etwa achtzig Schritt langen und sechzig Schritt breiten Hofraum; welchen verschiedenen Zwecken hat aber dieß alte ehrwürdige Haus jetzt mitten in der Aufregung des neuen Goldfiebers dienen müssen? – es ist kaum glaublich.

Den alten Raum behauptet vor allen Dingen noch die ziemlich hohe und geräumige Kirche – noch haben die Spanier hier das Uebergewicht, und hängen zu sehr an ihrer Religion, um nicht diesen Platz wenigstens mit aller Hartnäckigkeit zu vertheidigen. Die Priesterwohnung ist dagegen ungemein zusammengedrängt worden; der Geistliche, der sonst über das ganze Gebäude zu verfügen hatte, und noch überdieß einen ganzen Stamm von Indianern zu seiner Disposition gestellt sah, der für ihn »beten und arbeiten« mußte, sich jetzt aber ebenfalls auf eigene Hand zurückgezogen hatte, bewohnte damals schon nur noch einen sehr kleinen Raum des einen Flügels, und mehr und mehr wurde ihm von einbringenden Yankees davon abgeschnitten. Außer der »Geistlichkeit und deren Zubehör« umfaßte aber die Mission noch als neuen Zuwachs: eine Brauerei, ein Gasthaus, einen Tanzsaal, eine Trink- und Spielstube, eine unbestimmte Anzahl von Privatwohnungen, ein Hospital, die Wohnung des Arztes und ein Privatlogis, wo sich einige junge Mädchen, Mexikanerinnen, aufhielten. Die Brauerei war eben die der Herren von Witzleben, mit einem ächt bayrischen Brauer aus Miltenberg, die sich hier selbander in der Mission festgesetzt und eine alte Einrichtung benutzt hatten, mit der, ebenfalls ein Deutscher, in früherer Zeit den Versuch gemacht haben sollte, die Spanier an das Biertrinken zu gewöhnen, was ihm aber doch nicht geglückt seyn mußte. Die Bestellungen für Bier nach San Francisco und Sacramento liefen jetzt wacker ein, und das Unternehmen schritt rüstig vorwärts.

Die Brauerei ließ ihr Bier aber nur in Fässern oder Dutzend Flaschen ab, und es entstanden auf der Mission fast wöchentlich neue Trinkstände und Zelten, theils von Franzosen und Spaniern, theils von Amerikanern und Deutschen gehalten. In dem Missionsgebäude selber, in dem sich im Lauf des Winters sogar zwei Wirtschaften niederließen, war ziemlich regelmäßig alle Samstag Abend, und oft auch noch außerdem in der Woche Fandango, während Sonntags überhaupt schon eine Masse von Menschen aus San Francisco der freundlicheren Gegend um Dolores zuströmte.

Heftige Kämpfe stehen übrigens den hiesigen »Settlern« noch bevor. Das Eigenthumsrecht des Landes wird nämlich noch von verschiedenen Seiten bestritten – überall haben sich sogenannte Squatters niedergelassen, beanspruchen – spanische »claims« gar nicht weiter beachtend – nach amerikanischen Gesetzen ihre bestimmte Quantität Land, und abgeschlossene Käufe werden durch Processe wieder null und nichtig gemacht. Die Mission ist dabei schon zu einer förmlichen Stadt – auf dem Papier natürlich – ausgelegt, und Bauplätze werden in San Francisco zu dieser neuen Stadt in öffentlicher Auktion verkauft, jetzt aber noch allerdings zu sehr billigen Preisen, da niemand der Sicherheit dieser Käufe recht traut, und sein Geld lieber noch zurückhält, bis er es auf eine bessere Weise anlegen kann.

Der kleine Ort ist denn auch wirklich in letzter Zeit schon ungemein gewachsen, und eine Menge Häuser sind gebaut oder beanspruchte Plätze durch darauf errichtete Zelte und Fenzen bezeichnet worden. So viel bleibt gewiß, sind erst einmal die Eigentumsrechte des Bodens hier fest bestimmt, so wird sich gerade die Mission Dolores in demselben Verhältniß heben wie San Francisco in den letzten Jahren gewachsen ist. Der Boden ist großentheils zur Gartenzucht sehr gut geeignet, sonst aber leidet er unter denselben Nachtheilen wie der von San Francisco, da der regelmäßige heftige Wind, der an jedem Tag hier weht, den Getreidebau, wie die Obstbaumzucht gänzlich unmöglich machen wird.

Indianer sind in der hiesigen Mission nur sehr wenige zurückgeblieben; ein paar treiben sich hier noch herum, die halbe Zeit betrunken, die andere Zeit faul in der Sonne liegend, und lassen sich nur manchmal, um wieder etwas Geld zu neuem Saufen zu bekommen, nach entlaufenen Pferden ausschicken oder zum Viehtreiben gebrauchen. Die Zeit scheint vorbei zu seyn, wo aus braunen Heiden Christen gemacht wurden. Der Yankee kann die Zeit dieser Wilden gegenwärtig besser benützen, als daß er sie das Christenthum lehrt. Sie müssen dafür in den Minen Gold waschen, und ob sie dabei beten oder fluchen, ist dem Amerikaner gleichgültig. Allerdings sind die Indianer in letzter Zeit etwas klüger geworden; sie haben, eingesehen, daß ihre Arbeit in den Minen doch mehr werth ist, als dann und wann ein Hemd und kaum nothdürftige Lebensmittel; nichtsdestoweniger wissen Spanier und Amerikaner immer noch aus den unwissenderen Wilden Nutzen genug zu ziehen, und im Innern des Landes sieht man manchmal ganze Züge, die, von ordentlichen Treibern geführt, fröstelnd, in ihre Decken eingehüllt, und sonst fast nackt, aber immer fröhlich und guter Dinge dabei, barfuß den Minen entgegentraben.

Erwähnen muß ich noch die Tracht der californischen Männer, die wirklich malerisch ist. Ein Poncho, aber weit größer als der argentinische, aus geschmackvoll gefärbtem wollenem Zeug gewebt, die sogenannte mexikanische Serape, fällt über ihre Schultern, oder ist in der Art wie die Spanierinnen ihre Tücher tragen, um die Schultern geschlagen, wobei der eine Zipfel hinten über die linke herunterhängt. Den Kopf deckt ein breitrandiger, mit Wachstuch überzogener Hut. Die Beine stecken in schneeweißen Unterhosen, über die eine außen an beiden Seiten bis zum Hüftknochen hinauf aufgeschlitzte, oft gestickte und mit silbernen Knöpfen besetzte Sammt- oder Tuchhose getragen wird, während sie oben eine rothseidene lange Schärpe umschließt. Beim Reiten, und sie sind fast immer zu Pferde, schlagen sie um den untern Theil der Beine ein Stück gegerbtes Leder, unter dem Knie mit kleinen silbernen Schnallen befestigt, in dem auch das lange Messer steckt. Große Sporen, aber doch nicht so kolossal wie die argentinischen, vollenden den Anzug. Das Sattelzeug ähnelt dem mexicanischen, charakteristisch ist aber dabei daß die Californier keine Reitpeitsche tragen, ich habe wenigstens noch keine bei ihnen bemerkt. Den Lasso führen und gebrauchen sie mit derselben Geschicklichkeit wie die Argentiner, er ist nur darin von jenem verschieden daß kein metallener Ring, sondern eine lederne Schleife daran befindlich ist, in der er läuft.

Gleich in dieser ersten Zeit erhielt ich aber auch eine, für mich höchst schmerzliche Nachricht – unser Reisegefährte, der arme junge Matrose, war, schon am Bord eines Schooners der ihn von Sacramento nach San Francisco bringen sollte, gestorben. Es that mir um so weher daß ich in seinen letzten Stunden nicht hatte bei ihm seyn können, da ich ihn wirklich, seines ruhigen, ordentlichen Betragens wegen, lieb gewonnen. Das war wieder ein den Minen gebrachtes Opfers; o wie viele sind ihm schon vorangegangen – wie viele werden noch folgen!

Witzlebens wohnten hier draußen, die Sache ein klein wenig von der poetischen Seite aufgefaßt, romantisch genug – die Aussicht nach her gegenüberliegenden Contraküste war wirklich reizend, Nachts tönte dabei das laute donnernde Toben der Brandung, von der etwa vier englische Meilen entfernten Seeküste herüber, an unser Ohr, und schon das Bewußtseyn in einem so alten spanischen, abenteuerlich genug aussehenden Gebäude zu hausen hatte für eine etwas rege Einbildung etwas angenehmes.

Damit waren wir aber, wenn ich noch ein, wenigstens ziemlich gutes Dach ausnehme, mit den Vorzügen der Wohnung fertig, denn wenn sie auch unsere Einbildungskraft warm zu halten vermochte, mit unsern Leibern war ihr das nicht möglich. Der Wind pfiff überall durch eine Unzahl von Fenstern und Thürlöchern und es bedurfte erst einiger Zeit, bis wir nur in etwas, mit ganzen Breiten zu diesem Zweck angeschafften baumwollenen Zeuges die Decke »benäht« und die unnöthigen Fenster und Thüren und Dachseiten vernagelt hatten. Ein Ofen befand sich ebenfalls nicht in dem weiten öden Raum, und der kleine spärliche Herd auf dem gekocht wurde, gab keineswegs mehr Wärme her, selbst in seinen günstigsten Perioden, als unumgänglich nothwendig war einen spärlichen Eisentopf zum Kochen zu bringen. Hiergegen wußten wir uns aber zu schützen, am Boden – Gottes liebe Erde hielt das schon aus – zündete ich schon den ersten Abend mitten im Zimmer ein hoch aufloderndes Feuer an, um das wir uns alle gemüthlich schaaren konnten.

Die Hauptarbeit hier draußen bestand nicht allein in dem Brauen des Bieres selber, sondern auch in dem Herbeischaffen von Holz aus dem nahen Gebüsch, und dem in die, etwa drei englische Meilen entfernten »Stadtlieferungen« des Bieres, die meist zu Wasser als bis dahin dem bequemsten Wege, geschahen. Der jüngere von Witzleben und ich besorgten jetzt diese Wasserfahrten meistentheils und manche lange Stunde lagen wir zusammen in den Rudern, aus der stillen Missionsbucht hinaus in die von Schiffen erfüllte Bai von Yerba Buena (Pfeffermünzkraut) wie die Altcalifornier die jetzige Stadt San Francisco ebenso wie die kleine, ihr schräg gegenüberliegende Insel nennen, und Abends dann zurück, wo wir nicht selten, mit eintretender Ebbe auf dem zähen Schlamm der Bucht draußen sitzen blieben, bis uns die steigende Fluth oft aus einer nichts weniger als angenehmen Situation, erlöste.

Die Einfahrt in die Missionsbucht war besonders interessant, denn sie bestand in einem ganz schmalen Canal der sich, ohne die geringste nahe Landmarke (ein paar dünne Stöcke ausgenommen, die aber bei Nacht und Nebel natürlich gar nicht zu sehen waren) in den weiten schlammigen Strand hineinzog, und den zu finden man im Dunkeln eine förmliche Berechnung der in der Ferne gegen den helleren Himmel abstechenden Bergkuppen brauchte. Ich bekam zuletzt aber eine solche Uebung darin, daß ich die Stelle oft in der dunkelsten Nacht gefunden habe und passirt bin.

Der Holzwuchs um die Mission herum, oder eigentlich nur zwischen der Mission und San Francisco, ist eigenthümlicher Art, und besteht einzig und allein aus einem krüppelhaften Eichen- und Lorbeerwuchs, von denen die letzteren im Frühjahr die herrlichsten, wohlriechenden Blüthen tragen. Das Holz eignet sich aber weder zu Nutzarbeiten noch zum Brennen, es müßte sonst ganz trocken seyn, denn es hat eine fast dreiviertel Zoll dicke schwammige feuchte Schale, die erst förmlich wegglimmt und schwitzt, ehe das übrige in Brand geräth. Nichts destoweniger war es das einzige Brennmaterial in der Nähe der Mission und San Francisco's, und es läßt sich denken, wie in die Büsche hineingewüthet wurde Holz zum Verkauf in die Stadt zu schleppen.

Einen Haupthandelsartikel gab es damals mit Maulthieren Scheitholz zum Verkauf hineinzuschaffen – die Maulthiere hatten dann auf ihren Packsätteln eine winzig kleine Ladung, wie sie ein starker Mann recht bequem hätte ebenfalls hinein tragen können, und solch eine »load« kostete gewöhnlich zwei Dollars. So lange die Straßen gut waren blieb das auch, wie sich denken läßt, ein ziemlich einträgliches Geschäft; diese wurden aber, sobald die Regenzeit nur eingesetzt hatte, grundlos, und die armen Maultiertreiber – es gab besonders viel Deutsche unter ihnen – sahen sich jetzt genöthigt durch die Straßen neben ihren Thieren im Schlamm, oft bis an die Hüften, herumzuwaten, Käufer für ihr Holz zu finden.

Die Mission selbst liegt dicht an der Bai von San Francisco, und zwar an jenem Arm, der sich nach Pueblo San José hinauf streckt, auf dem schmalen, etwa vier bis fünf englische Meilen breiten Landstreifen zwischen dieser und dem stillen Meer, auf dem auch etwas weiter hin San Francisco erbaut ist, und der endlich, die südliche Spitze des »goldenen Thores« bildend, über dem »Präsidio« einer andern kleinen altspanischen Ortschaft, ausläuft. Die sie umgebenden Hügel, von einer Höhe von vielleicht tausend bis fünfzehnhundert Fuß über der Meeresfläche sind aber kahl und nur mit Gras, nicht einmal mit Büschen bewachsen, und wo ja einmal ein einzelner kleiner dürftiger Stamm der Krüppeleiche oder des Lorbeers Wurzel auf ihnen getrieben, hat ihm der, besonders im Sommer hier ausschließlich wehende und sehr heftige Seewind, die wunderlichste und abenteuerlichste Form gegeben. Nur aus den oft engen Thalschluchten kleiner Bergquellen scheint das tief dunkle Grün solcher niederen knorrigen Dickichte manchmal vor.

Stärker dagegen ist die Contraküste bewaldet, die an ihrem Strand einen ziemlich breiten Streifen stattlicher Eichen trägt, sonst aber freilich auch die kahlen Berge zeigt auf denen, nur an einer Stelle, was sich aus der Ferne wunderlich genug ausnimmt und auch sogar von den Schiffen früher als Landmarke benutzt wurde, riesige hohe Cedern, gerade auf dem höchsten Gipfel der einen Kuppe emporsteigen.

Unsere Wohnung, die jedoch im Lauf des Winters etwas besser hergerichtet wurde (denn dem Wind war so viel als möglich Abbruch gethan, der Kochherd verbessert und ein Backofen in die eine, ein eiserner, selbst dort draußen fabricirter Kanonenofen in die andere Ecke gesetzt worden) lag eine kleine Strecke von der Mission entfernt, in einem alten adobeAdobe nennen die Amerikaner die ungebrannten und nur in der Sonne gebrannten Backsteine. Haus, ich selber hatte mir im Missionsgebäude ein kleines, Gott weiß wie viel Jahre nicht benutztes Stübchen hergesucht, in dem ich manchmal eine Stunde ungestört schreiben konnte. Es war aber das wunderlichste Arbeitszimmer, das sich ein Mensch nur denken kann, und düster und unheimlich wie ein Inquisitionsgefängniß. Das Fenster, das in seinem alten aus jeder Fuge gegangenen Rahmen windschief auf die Seite hing, schützten natürlich dicke eiserne Stäbe – die Wände waren von dem Rauch des kleinen engen Kamins, dunkelgrau angehaucht, und eine spätere Hand, vielleicht eines Indianers, hatte auf der einen versucht die Umrisse eines großen Schiffes herzustellen, von dem er aber nur eine höchst unbestimmte Idee hinsichtlich der Mastenzahl gehabt haben mußte, denn das Ganze glich eher einem umgedrehten Kamm als irgend einem Fahrzeug, hätte es nicht die Flagge als solches bezeichnet.

An der anderen Wand hing, über zwei riesigen rostzerfressenen Nägeln, ein altes hölzernes Kreuz, und zwei altmodige, schwere, holzgeschnitzte Stühle, die vielleicht einmal ledergepolsterte Sitze gehabt hatten, standen zusammengeknickt – das Rücktheil über die Vorderbeine hinüber gebrochen, in verschiedenen Ecken. Das übrige Ameublement des Gemachs bildete noch ein großer eiserner Topf, den ich allein kaum von der Stelle bewegen konnte und ein Stück einer alten eisernen Lanze, die in früherer Zeit zum Feuerstochern gebraucht zu seyn schien. Ein anderer Boden war natürlich nicht gelegt als der, den der liebe Gott gleich von Anfang an hineingethan, und in diesem Gemach hauste ich. Eine morsche Bank zum Draufsitzen trieb ich in der Brauerei auf; eine auf deren äußerstes Ende gestellte leere Weinkiste bildete meinen Tisch und manche Stunde hab ich in der alten düsteren Celle verträumt und hingebracht. Im Laufe des Winters machten wir einmal einen kleinen Jagdausflug in die benachbarte Gegend, d. h. wir nahmen unsere Flinten auf den Rücken und wanderten eines Nachmittags und noch dazu gerade in sehr schlimmer Regenzeit, eben hinein in die Hügel unserem guten Glück überlassend, wohin es uns an diesem Abend und den nächsten Tag führen würde. Hügel nach Hügel überstiegen wir so, nach Südwesten wandernd und ziemlich den Ufern der Bai, die wir mehrmals in der Ferne sehen konnten, folgend, bis die Sonne endlich tiefer und tiefer sank, was wir in den grauen Wolken wenigstens an der einbrechenden Dämmerung merken konnten. Dabei fing ein feiner Regen an zu fallen und nicht einmal ein Baum war zu sehen, unter dem wir uns hätten niederwerfen können.

Wieder einen der wellenförmigen Hügel übersteigend, sahen wir plötzlich eine Anzahl so großer hochstämmiger Bäume vor uns, wie ich sie in dieser Gegend gar nicht erwartet hatte und lenkten unseren Cours darauf zu. Ein ziemlich starker Nebel fing zu gleicher Zeit an sich niederzusenken und Alles versprach eine höchst unangenehme Nacht. Von den Bäumen hofften wir indeß noch einigen Schutz, als wir aber näher kamen, schrumpften sie ebenfalls zu dünnen niedrigen Büschen zusammen, die uns der Nebel, wie eine Art fata morgana nur so hoch hinaufgetrieben hatte. Sie bildeten übrigens die Vorläufer eines kleinen, etwas dichteren Gebüsches, und wir suchten uns schon eben einen Platz aus, wo wir uns, wenn auch nicht auf trockenem, doch wenigstens nicht aufgeweichtem Boden hinwerfen konnten, als ich durch die, jetzt in gutem Ernst hereinbrechende Dunkelheit, plötzlich ein kleines Licht herüberschimmern sah, das wir augenblicklich aufzusuchen beschlossen.

Schon von weitem tönte uns fröhliches Singen und Lachen entgegen, und als wir uns endlich dem Platze näherten, war es ein kleines niederes Hüttchen, aus dem der Strahl des Lichtes brach und bald die einzelne Stimme eines Mannes herausscholl, bald der Chor von drei anderen Männerstimmen noch mit einfiel. Ich mußte zweimal erst an die Thüre pochen und dann förmlich dagegen schlagen, ehe sie mich hörten, und dann war aber auch Alles im Nu still und stumm. – Die Leute drinnen schienen auf eine neue Anfrage zu warten und ich klopfte noch einmal. »Hallo – wer ist draußen?« rief eine rauhe Stimme von innen auf englisch.

»Fremde« – lautete meine Antwort.

»Verdamm meine Augen, wenn ich das nicht auch glaube,« brummte die Stimme drin wieder, gleich darauf aber wurde die Thür aufgemacht und ein alter Bursch, der den Matrosen nicht hätte verläugnen können, wäre er in eine Mönchskutte gekrochen, öffnete die Thür so weit er konnte und ließ den Strahl des Lichts voll auf mich, der ich, vorn mit der Büchse in der Hand und der Decke auf dem Rücken, stand, fallen. Kaum hörte er aber, was ich ihm mit so kurzen Worten als möglich auseinandersetzte, daß wir drei Deutsche und zwar gewissermaßen Nachbarn von ihm wären, die heute Abend in den nächsten Büschen hätten lagern wollen, als sie sein Licht sahen und darauf zugingen, als er uns auch auf das freundlichste und gastlichste zu sich einlud und ohne weiteres in die Gesellschaft einführte.

Es war ein alter englischer Matrose, der lange auf einem Kriegsschiff gedient und sich jetzt hier, gewissermaßen als Verwalter einer californischen »Señorita« der der ganze Landstrich hier gehörte, niedergelassen hatte und Viehzüchter spielte. Mit ihm theilten diese Nacht noch die Hütte ein junger Chilene, gewissermaßen eine Art Unterverwalter von ihm, da er selber mit dem Lasso noch nicht besonders umzugehen wußte; und außerdem noch zwei Amerikaner, die mit einem Boot hier in der Bai eingelaufen waren (denn wir befanden uns wieder dicht am Ufer derselben) und des schlechten Wetters wegen die Nacht hatten ebenfalls nicht im Freien zubringen mögen.

»Ja aber »boys« sagte der alte Bursche nach den ersten Begrüßungen in seiner gemüthlichen und gastlichen Weise – »Ihr hättet ein klein bischen früher kommen müssen, denn jetzt ist weder zu essen noch zu trinken da und es thut mir verdammt leid, daß ich Euch heute Abend nichts mehr vorsetzen kann. Morgen früh wollen wir aber sehen daß wir ein wildes Rind schießen und dann gibt's wieder Fleisch genug.«

Glücklicher Weise konnten wir jedoch selber damit aushelfen, denn wir hatten eine Flasche Cognac und Brod und Fleisch bei uns, und der Alte sah kaum den Cognac, als er ein wahres Jubelgeschrei ausstieß. Schon durch eine, aber kurz vorher geleerte Flasche aufgeregt, brachte ihn diese vollkommen in Gang und er erzählte den ganzen Abend Anekdoten und sang seine langen Balladen und Matrosenlieder.

Es mochte zwölf Uhr seyn, als wir uns endlich in unsere Decken rollten und in ganz schiffsmäßig an den Wänden angebrachte Cojen wegstauten. Am anderen Morgen weckte uns aber unser alter Freund, der sich kurzweg Jack nannte, mit eben anbrechender Dämmerung; es sollte nämlich ein tüchtiger wilder Bulle, wie sie dort in den Bergen herumstreifen, ganz dicht am Hause seyn, denn er wollte ihn eben noch brüllen gehört haben und forderte uns auf, ihn, wenn wir überhaupt Fleisch zum Frühstück wünschten, zu schießen. – Wenn überhaupt? – ich hatte einen schmählichen Hunger und noch außerdem die größte Lust, diesem alten Burschen von wilden Bullen eine meiner Spitzkugeln auf's Blatt zu setzen. Während ich aber aufsprang, in der offenen Thüre, denn im Zimmer war's noch zu dunkel, nach meinen Pistols sah, ob das Pulver noch trocken sey und dann frische Zündhütchen aufsetzte, erzählte uns Jack in den komischsten Ausdrücken, wie er des Nachts einmal aufgestanden sey, »um nach dem Wetter zu sehen« und sich draußen in aller Gemüthsruhe sicher gefühlt habe, als er plötzlich, keine drei Schritte hinter sich, das dumpfe Brüllen des gerade dort stehenden Bullen, der in der Nacht zum Hause herunter gekommen seyn mußte, gehört hatte. Seine Beschreibung,, was er für einen Schreck bekommen habe und wie er aufgesprungen und in das Haus geflüchtet sey, bis zu dessen Thüre selbst ihm das zornige, auch nicht die mindeste Rücksicht nehmende Thier folgte, war kostbar und noch komischer wurde es dadurch, daß der alte Bursche steif und fest behauptete, die Bestie kenne ihn und thue ihm das nur zum Possen, denn das sey nun schon das drittemal, daß sie ihn auf solche Weise heimschickte – er sey es seiner Gesundheit schuldig, sie umzubringen.

Ich erbot mich nochmals sein Retter zu werden und sprang hinaus an den Hügelhang, hinter dessen einer Senkung der Chilene, wie er uns versicherte, den weißen Rücken des Thiers eben noch gesehen haben wollte. Dieser hütete sich aber wohl dem Bullen unberitten nahe zu kommen, denn das gereizte Thier hätte ihn auch augenblicklich angenommen. Vorsichtig besah ich mir jedoch das Terrain um mich her und als ich mir einige ziemlich starke Stämme von Krüppeleichen in der Nähe gemerkt hatte, hinter die ich mich zur Roth, mit abgeschossener Büchse und von dem Bullen vielleicht verfolgt, flüchten konnte, schlich ich so rasch und leise als möglich den niederen Hang hinauf und sah kaum den Rücken, des Thieres von dort vorschimmern, als ich die Büchse in die Höhe riß, noch einen Schritt aufwärts sprang, daß ich den ganzen Körper des Wildes frei bekam und abdrückte. In demselben Augenblick gewahrte mich der Stier; wenn er sich aber auch im ersten Zorn fast wie gegen mich wenden wollte, hatte die Kugel zu gut eingeschlagen – er fühlte sich krank und wandte sich zur Flucht, auf der ihn meine zweite Kugel überholte. Trotzdem, daß beide vollkommen gut auf dem Blatt saßen, rannte er doch noch wenigstens eine Strecke von hundert Schritt durch eine Ravine hindurch, an deren anderen Seite er vielleicht zwanzig Schritte hinauflief und oben an dem steilen Rande derselben taumelnd und den Kopf nach uns herübergewandt, stehen blieb. Ich hatte indessen schon wieder geladen und sandte ihm eine dritte Kugel durch's Auge in den Schädel, daß er auf der Stelle, wo er stand, zusammenbrach, aber im Todeskampf überschlug er sich noch einmal und stürzte dann auch richtig, gar nicht zu unserer Freude in die schmale enge Ravine hinunter, wo wir nachher noch Alle miteinander wohl eine halbe Stunde Arbeit hatten, ihn nur soweit herumzuheben, denn es war ein furchtbar starker und schwerer Bursche, daß wir ihn aufbrechen und zum Frühstück die Leber herausbekommen konnten.

Nach dem Frühstück marschirten wir weiter und überstiegen von hier aus einen niederen Gebirgszug, der sich von der Bai quer durch das Land nach der Seeküste hinüberzog. Das Wetter war ziemlich klar und schön geworden; oben aber auf dem Gipfel des doch wenigstens 2000 Fuß hohen Rückens lagerten dichte Nebelmassen, und der Wind strich so scharf und gewaltig herüber, daß wir uns an den steilen Hängen zweimal auf die Erde werfen mußten, nicht den Halt am Boden zu verlieren. Kaum stiegen wir aber auch auf der anderen Seite wieder tiefer nieder, als wir diese feuchten Schwaden hinter uns ließen, und bald eine wirklich reizende, von dem zackigen Ufer der Bai eingefaßte, von blitzenden Wassern überall durchzogene und mit zahlreichen Heerden förmlich überstreute Ebene vor uns liegen sahen.

Diese bildete gewissermaßen das Ziel unserer Wanderung, denn eben auf diesen Wassern, an deren anderem Ufer Sanchez, eines sehr reichen Californiers und Heerdenbesitzers Rancho lag, sollte sich eine Unmasse von Wildgänsen aufhalten, denen wir einmal einen Besuch abzustatten wünschten.

Nur der untere Theil des Bergrückens war mit niederen Büschen bewachsen, und wo die Ebene begann hörten auch selbst diese wieder auf, dafür deckte aber hier sehr üppiger Graswuchs den Boden, und besonders viel Heerden wilder, von hier ab alle Sanchez gehörender Pferde, weideten auf dem herrlichen Rasen oder jagten sich spielend über die grünen Flächen.

Uns machte besonders eine Heerde viel Freude, die gerade im Auslauf der kleinen Schlucht weidete, in welcher wir niederstiegen und bei unserer Ankunft eine kurze Strecke lang scheu davon flog und dann wieder schnaubend, wiehernd, stampfend und spielend stehen blieb, unsere weitere Annäherung halb erwartend, halb fürchtend. Ein junger brauner Hengst schien besonders der Schützer und Führer der Heerde zu seyn, denn mit zurückgeworfener Mähne gehobenem Schweif und schnaubenden Nüstern, galoppirte er, so lange wir in ihrer Nähe waren, fortwährend um die zusammendrängenden Thiere herum, kam dann in scharfem hochausgreifendem Trab gerade gegen uns an, hielt in etwa sechzig Schritt Entfernung, wieherte uns, wie herausfordernd, entgegen und flog dann, wenn wir ihm doch etwas zu nahe auf den Leib rückten, wieder zur Heerde zurück und vor dieser mit klappernden Hufen die Ebene entlang.

Unser Weitermarsch bot übrigens wenig mehr Interessantes, wir schossen einige Gänse, Schnepfen und Enten und wateten, die meiste Zeit noch überdieß vom Regen gepeitscht, in dem weichen Boden der Ebene herum, bis wir ein solches Leben satt bekamen und unsern Cours, zwischen immer toller werdenden Schauern wieder heimwärts lenkten.

Einen interessanten Vogel schoß der jüngere Witzleben noch, einen gewaltigen Geier von etwa drei Fuß Höhe, den wir zum Abbalgen mitnahmen.

Von Sanchez Rancho an, am andern Ufer eines kleinen hier vorbei strömenden, damals aber gewaltig aufgeschwollenen Baches an, liegt eine andere, dicht wieder mit Krüppelholz bewaldete Hügelreihe, die sich nach Pueblo San Jose hinüberzieht, und in der es noch hie und da Wild geben soll, das Wetter war aber zu entsetzlich, jetzt weiter an Jagen zu denken, und wir verschoben es auf ein andermal – d. h. wir gaben es auf.

In dieser Zeit war es wo ein Doktor, Don So und so, den ich in Buenos Ayres hatte kennen lernen und der einige Monate vor mir nach Californien gekommen war, ein Hospital in der Mission Dolores zu gründen wünschte, und sich zu diesem Zweck das Missionsgebäude ausersah. Aber auch dort war fast Alles so durch Fremde schon eingenommen, daß er im unteren Raum, der auch vielleicht seiner Feuchtigkeit wegen nicht passend für die Kranken gewesen wäre, gar keine, und auf den Böden nur eine Stelle finden konnte, auf der noch hinlänglicher Raum für eine Anzahl Betten seyn mochte. Dieser Platz lag aber direkt über den Kesseln der Brauerei, und dicht neben den dazugehörigen Malz- und Gerstenböden – ja eigentlich auf ihnen, denn sie waren bis jetzt nur noch nicht dazu benutzt worden, weil die Brauerei der hohen Gerstenpreise wegen nicht im Stande war, großen Vorrath davon aufzuspeichern – stellte man jetzt plötzlich eine Anzahl Betten, etwa fünfzehn oder zwanzig, mit Matrazen und Decken versehen, auf, und wenige Tage später zogen auch schon die ersten Kranken ein, die man auf Tragbahren zur Mission herausschaffen mußte. Wenn ich je im Leben etwas Trauriges gesehen habe, so war es dieß Hospital, auf einem Boden angelegt, dessen Gott weiß wie altes Ziegeldach nicht einmal mehr den Regen überall abhalten konnte, und über den der Wind aus hundert Löchern und Rissen ununterbrochen herüberzog und pfiff, da er überdieß gerade von dieser Seite das Thal bestrich. Selbst auf reinlich überzogene Betten durften die Patienten nicht hoffen; eine neue Matraze und eine gute wollene Decke war die einzige Bequemlichkeit der armen Teufel, die zuerst hier ankamen, und so lange diese Sachen eben noch neu waren, ging das auch an, aber so wurden sie alt und – schmutzig – auf diesen Betten starben die Einen heute und wurden ohne viel Umstände hinuntergetragen auf den kleinen Kirchhof, während Andere an ihrer Statt, den Keim des Todes vielleicht schon in den Gliedern, einzogen in die kaum kalt gewordenen Lagerstätten.

Eine andere Unannehmlichkeit dieses Platzes war aber der aufsteigende Qualm aus der Brauerei, der sich oben unter dem Dache oft wie ein festgeschichteter Nebel lagerte und für Manche der Kranken unerträglich seyn mußte. Der Arzt verlangte dafür Abhülfe vom Priester und der Priester diese von der Brauerei, die nach einem früher aufgesetzten Kontrakt eine Scheidewand über diesen Böden verpflichtet war zu ziehen. Eine solche war allerdings gar nicht genauer bezeichnet, und eine einzige Latte hätte dem Worte nach genügt, nichts desto weniger vernagelten wir den Zwischenraum mit baumwollenem Zeug und suchten die armen Teufel dadurch in etwas wenigstens vor dem fatalen Qualm zu bewahren, aber es half gar nichts. Durch all die tausend Ritzen und Spalten drang er hindurch und es wurde durch die gezogene Wand eher noch schlimmer als besser, da er sich nun anfing förmlich in dem Raume zu setzen.

Einzelne verließen das Hospital allerdings wieder gesund oder doch wenigstens im Stande einen andern Platz aufzusuchen, in dem sie den Versuch machen konnten sich herstellen zu lassen. Viele aber o sehr viele wurden die schmale steile Treppe, an meinem Arbeitszimmer vorbei, wieder hinuntergetragen, wie man sie hinaufgetragen hatte, nur jetzt kalt und steif und von ihren Leiden vollkommen geheilt.

War aber in dem einen Flügel des alten düsteren Gebäudes Krankheit und Elend, und schaute der Tod durch zerbrochene Dachziegel nieder und zählte seine Opfer, so herrschte auf dem anderen so viel mehr Lust und Fröhlichkeit und wöchentlich ein oder zweimal rief der muntere Fandango die stets tanzlustigen Söhne und Töchter der alten ernsten Abkömmlinge spanischer Race zum Tanz zusammen, den sie übrigens außer der Zeit in ihren eigenen Familien hielten, denn tanzen mußten sie.

Dieser kalifornische Fandango hat aber, was ich wenigstens davon gesehen habe, und so oft ich ihm beiwohnte, vielleicht andere Arten davon kennen zu lernen, immer dasselbe ziemlich monotone und kalte, aber nichts destoweniger graciöse Schreiten der Tanzenden, von denen die Damen besonders, mit niedergeschlagenen Augen, und so vorsichtig und aufmerksam die Füßchen setzten, als ob sie zwischen Eiern dahinhüpften, nur die Musiker und Zuschauer – die einzigen, die bei uns auf einem Ball gewöhnlich kalt bleiben, schienen sich zu erhitzen, und besonders habe ich, wenn einzelne der jungen hübschen Mädchen solcher Art vielleicht einmal allein in dem dichtdrängenden Kreis tanzten, die jungen Leute darum her d. h. nur die Spanier – ganz außer sich vor Entzücken gesehen, und ein sehr merkwürdiges, aber auch sehr praktisches Zeichen ihres gar nicht mehr zu bändigenden Enthusiasmus ist dann dieß, daß sie der jungen Dame Geld, meistens Dollars, vor die Füße werfen, wobei es die reichen Rancheros gar nicht selten zu Unzen treiben. Gesetz ist dabei, daß die junge gefeierte Tänzerin das Geld nachher selber und eigenhändig zusammensuchen und aufheben muß, wobei noch bei jedem Stück ein besonderes Applaus erfolgt.

Die Musik dazu bekamen sie nicht selten aus San Francisco, oft waren es aber auch wieder nur Guitarren, die den Tanz begleiteten und ihrerseits wieder von den Stimmen der Spielenden begleitet wurden. Hierbei zeichnete sich besonders ein Californier – der Bruder eines Nachbars von uns, den wir deßhalb immer den Schwager nannten – aus, denn er hatte eine fabelhaft gellende Stimme, und erst einmal tüchtig in Gang gebracht, was gewöhnlich schon nach dem dritten oder vierten Glas aqua ardiente geschah und er war für die ganze Nacht aufgezogen und unverwüstlich.

Dieser Gesang ist aber wirklich nicht zu beschreiben, er will gehört seyn; die schrillen, den Ohren nicht selten peinlichen Töne, die zuletzt allein den Takt zum Tanze halten, weil die wenn auch förmlich gehämmerten, doch rauheren Laute der Guitarre darin untergehen müssen, machen auf den Fremden besonders eine fabelhafte Wirkung. Diese Sänger, Gott verzeihe mir den Namen, sind zugleich meistens Improvisatoren, und wenn sie es dann, wie es der Schwager konnte, zugleich verstehen die gerade tanzenden Mädchen zu besingen und vielleicht kleine Familienangelegenheiten auf eine feine Art mit hineinzubringen, so können sie sich darauf verlassen, daß sie die Zuschauer zum Enthusiasmus hinreißen und förmliche Ladungen von Lorbeeren – natürlich sinnbildlich, denn der andere wuchs draußen – einernteten.

Andere merkwürdige Sitten haben sie ebenfalls noch bei diesem Fandango. So spielt z. B. zwischen gewissen Festen – ich glaube zwischen Fastnacht und Ostern, das Eierzerbrechen eine sehr bedeutende Rolle.

Ich stand eines Abends mit in der Reihe und sah dem Fandango zweier junger Mädchen zu, die sich wirklich mit vieler Grazie bewegten und schneller und schneller im Kreis dahintrippelten, während sich der Schwager schon fast heiser geschrieen hatte, ihre Vorzüge anzupreisen und ihre Anbeter aufzuzählen, als plötzlich ein junger Spanier, der einen ziemlich bedeutenden Rancho in der Nähe von Pueblo San José hatte und dicht neben mir stand, als das eine Mädchen an uns vorbei tanzte, die Hand rasch ausstreckte und ihr irgend was auf den Kopf drückte, was ich nicht sehen, aber wohl hören konnte, wie es zerbrach. Die Señorita schien aber dadurch nicht im mindesten außer Fassung gebracht, und als sie die Berührung fühlte, bog sie den Kopf, ohne irgend im Tanz einzuhalten, leicht nach der Seite über und ließ, was es nun auch war, von den glatt gescheitelten Haaren hinuntergleiten, strich sich dann mit dem Taschentuch an dem Scheitel nieder und schwebte freundlich lächelnd nach der anderen Seite des Ringes hinüber. Ich selber aber erstaunte nicht wenig, als ich den zu meinen Füßen liegenden Gegenstand näher betrachtete und fand, daß es nichts mehr und nichts weniger als ein rohes Ei war – jedenfalls eine höchst sonderbare Art ihr zu beweisen, daß er so zart mit ihr umgehen wolle.

Häufiger sollen diese Eier noch ausgeblasen und mit Eau de Cologne oder anderen wohlriechenden Wassern gefüllt, benutzt werden, und diese junge Señorita rächte sich auch auf gleiche Weise, denn der Tanz war noch nicht aus und zwei andere Damen traten eben zu einem neuen Fandango an, als ich meinen Arm leise berührt fühlte, und als ich langsam den Kopf dorthin wandte, sah ich eben das junge Mädchen von vorher, die mir vorsichtig winkte, ihr ein wenig Raum zu machen – ich drängte so wenig als möglich bemerkbar ein klein wenig vor, und als sie gleich darauf hinter mir hinglitt, stieß der junge Ranchero plötzlich einen lauten Schrei aus, denn die rasche Bewegung der Dame hatte ihm das Ei auf dem Kopf schon zerdrückt und wie er sich schnell nach der Flüchtigen umwenden wollte, lief ihm die Eau de Cologne dermaßen in die Augen, daß er wohl mehr vor Schmerz als Vergnügen laut aufschrie und von den Umstehenden noch obendrein tüchtig ausgelacht wurde.

Ein anderer Scherz, der ebenfalls wieder eine Art von Galanterie gegen die Damen seyn soll und ihnen zugleich Geld einträgt, ist das sogenannte »Mützenstehlen.« Wenn ein junges Mädchen tanzt, nimmt irgend einer der Umstehenden einem der jungen Leute, den er damit zu necken wünscht, Hut oder Mütze vom Kopf und setzt sie dann rasch der tanzenden Señorita auf, die sich dadurch auch nicht im mindesten stören läßt, ihren Fandango mit der Mütze ruhig beendet und die Kopfbedeckung des Fremden dann mit sich zu ihrem Sitz nimmt, wo sie dieselbe so lange auf dem Schooß hält, bis sie der Eigenthümer wieder bei ihr einlöst – und zwar mit baarem harten Gelde, wo ein Dollar das wenigste ist was er zahlen kann.

In der Brauerei arbeitete auch ein junger holländischer Matrose, der sich denn an solchen Abenden lekker machte und ebenfalls zum Fandango, wenn auch nicht zum Tanze selber ging. Diesem passirte es eines Abends, daß ihm ein Californier die Mütze vom Kopf und ehe er sie wieder gewinnen konnte, auf die Locken der Tänzerin prakticirte, wo sie von dem Augenblick an unberührbar war, und er hatte jetzt die Aussicht vor sich, das übliche Lösegeld zu zahlen. Nun war Wilhelm keineswegs knauserig, wenn es besonders galt sich ein Vergnügen zu machen, aber hier, wo er nichts davon hatte als höchstens nachher noch ausgelacht zu werden, ging ihm die Sache doch über den Spaß. Er überlegte sich dabei daß die Mütze schon sehr alt und höchstens einen Dollar werth sey, für welchen Preis er in der Stadt eine neue chinesische kaufen konnte und beschloß, den »alten Deckel,« wie er heimlich zu sich sagte, lieber im Stich zu lassen. Das wäre ihm aber beinahe übel bekommen, denn das hätte als eine unauslöschliche Beleidigung der Dame gegolten, die dann natürlich mit dem »alten Deckel« auf dem Schooß sitzen bleiben mußte, und man merkte kaum, was er im Sinn zu haben schien, als auch die jungen Leute von allen Seiten so wild auf ihn einstürmten, daß der arme Teufel von Junge – er mochte kaum achtzehn Jahre alt seyn – mich nachher versicherte, er sey entsetzlich froh gewesen, wie er nur erst seinen Dollar glücklich angebracht und die Mütze wieder »vor der Thür« auf dem Kopf gehabt hätte.

Ostern rückte indessen heran, und allerlei außergewöhnliche Vorbereitungen auf der Mission, wozu besonders ein total Reinigen und Lüften der Kirche gehörte, ließen ahnen, daß auch etwas Außergewöhnliches im Werke sey. Der Charfreitag ging jedoch noch sehr still vorüber, das vielleicht ausgenommen, daß die Glocken nicht geläutet werden durften und an dessen Statt alle aufzutreibenden kleineren Jungen, wobei noch außerdem alle größeren volontirten, mit einer Art von Castagnette durch die Straßen geschickt wurden, den frommen Gläubigen zu sagen, daß es Zeit zur Kirche sey und den Unfrommen anzudeuten, es würde ihnen auch nichts schaden, wenn sie einmal in das Gotteshaus gingen.

Der nächste Morgen sollte aber die Verhältnisse bedeutend ändern; schon mit Tagesanbruch hörte ich Musik und Lärmen, und ein alter Ansiedler von Californien, der gerade hereinkam, erzählte mir auf meine Frage, »heute werde die Auferstehung des Heilands gefeiert und Judas Ischarioth gebührendermaßen gezüchtigt werden.«

Der Tag selber versprach jedenfalls ein feierlicher zu werden, selbst die Indianer schienen davon erfüllt, denn sie gingen heute einmal, als etwas wirklich sehr Außerordentliches, rein gewaschen umher und hatten sämmtlich Kränze von den in Unmasse dort herumwachsenden blauen Wasserlilien gemacht, die ihnen auf dem schwarzen glänzenden Haar und den kupferfarbenen Gesichtern gar nicht übel standen. Mit diesen hielten sie auch eine Art Aufzug und ein alter Indianer ging dabei voran und mißhandelte eine Geige – »Quäle nie ein Thier zum Scherz.«

Dieser Zug bewegte sich nach der Kirche, und als ich ihm folgte, hörte ich, wie es dort jedenfalls noch viel lustiger hergehen müsse als hier, draußen, denn eine Masse Menschen standen vor der Thüre, und von innen heraus schallte die schönste Tanzmusik. Natürlich beeilte ich meinen Schritt etwas, vor dem indianischen Zuge dort einzutreffen, der jedenfalls den Raum dann gänzlich angefüllt haben würde und kam eben noch zur rechten Zeit, den Schluß eines wirklichen, leibhaftigen Fandango, der bei Violin- und Clarinettmusik von jungen Männern und Mädchen in der Kirche aufgeführt wurde, mit anzusehen:

»denn sie feiern die Auferstehung des Herrn.«

Es fragt sich übrigens, ob der alte David damals so graciös »vor dem Herrn« getanzt hat als er ihm auf solche Weise seine Ehrerbietung zu erkennen gab, wie die jungen Californierinnen hier, die mit ihren kleinen Füßen den Steinboden des alten Gebäudes kaum zu berühren schienen. Es war ein eigenthümlicher Anblicks diese jungen frischen Gesichter zwischen den modrigen Wänden des feuchten Adobegebäudes, das durch den vielen Flittergram, mit dem es im Innern behangen, einer alten geschminkten Betschwester nicht unähnlich sah.

Doch der Uebergang vom Tanz zu frommer hingegossener Andacht war blitzesschnell. Eben noch spielten die Violinen, eben betraten die ersten des indianischen Zuges das Portal, und die freundlichen Gesichter, mit denen sie den außergewöhnlichen Zustand der Kirchengebräuche bemerkten, verriethen, wie sehr zufrieden sie mit dieser Aenderung seyen, als auf ein Zeichen des Priesters die Musik verstummte, eine kleine silberhelle Glocke tönte, und alles, fast wo es stand, auf die Knie niederfiel und still und brünstig betete.

Die Kirche dauerte hiernach wohl noch eine gute Stunde, während ich aber noch drinnen im feierlichen Schweigen der Betenden stand, fiel draußen, dicht vor der Thür, ein Schuß.

»Unvorsichtige Menschen,« dachte ich bei mir selber, »da ist einem der Spanier, die mit keiner Schießwaffe umzugehen wissen, das Gewehr losgegangen – wie leicht hätte da in der Menschenmenge ein Unglück passiren können. Meine Befürchtung war ungegründet gewesen.

Piff – paff – piff – gingen draußen jetzt plötzlich noch eine ganze Menge von Schüssen, und gleich nachher begann ein ordentliches Pelotonfeuer, wobei sich die Männer nach und nach aus der Thüre stahlen. Ich hatte erst die Andacht nicht stören wollen, da ich aber so viele gute Katholiken hinausschleichen sah, glaubte ich ebenfalls keine Sünde zu thun, wenn ich ihnen folgte.

Draußen ging es lebendig zu.

Vor der Kirchthür standen eine ganze Masse von Californiern und schossen, zum ungemeinen Entzücken der Indianer, die sich fast alle um sie versammelt hatten und bei jedem Knall wegduckten, Pistolen, Musketen, Jagdflinten, Revolver und Schlüsselbüchsen, oder was ihnen sonst Schießbares in die Hand gekommen war, ab. Sie hatten aber natürlich nur blind geladen, denn sie zielten, wie ich im Anfang glaubte, alle auf das gegenüberliegende, vielleicht 60 Schritt entfernte Gebäude, bis ich etwas genauer hinsah, und jetzt den Gegenstand erkannte, auf den sie sämmtlich ihre unschuldigen Waffen abdrückten.

Auf einem dort hingefahrenen Karren stand eine schauerliche, lebensgroße Puppe, erst ordentlich angezogen, und dann noch von mehreren übergehangenen Mänteln und Schlafröcken umflattert. Mir kam ihr Anzug sogar bekannt vor, und als ich etwas genauer hinsah, fand ich, daß sie des Brauers Hosen und von Witzlebens Schlafrock anhatte. Außerdem trug die Gestalt noch einen sehr kühn vorstehenden, schwarzen, etwas mitgenommenen Seidenhut, eine steife schwarze Halsbinde, ein Halstuch von mir, einen alten Mantel, auch jedenfalls europäischen Ursprungs, und Zeugstiefel, die ihr aber unbequem sitzen mußten, denn sie waren beide auf den rechten Fuß.

Im Anfang begriff ich nicht wie all unser Zeug – denn das interessirte mich für den Augenblick mehr als Judas Ischarioth – dort hingekommen seyn könnte, später erfuhr ich aber, daß die californische Jugend es natürlich nicht gleichgültig ansehen konnte, wenn ein solcher Verräther Kleidungsstücke von guten katholischen Christen auf dem höchst unchristlichen Körper trüge. Sie war deßhalb, wie es schien, eifrig bemüht gewesen, zu dieser feierlichen Gelegenheit Kleidungsstücke von Ketzern, an denen es, Dank der Entdeckung des Goldes, nicht mangelte, oder wenigstens von Fremden, was eben so gut war, in genügender Anzahl und zwar in der vorhergegangenen Nacht heimlich herbeizuschaffen, denn unangezogen hatte selbst Judas zu viel Schamgefühl, sich sehen zu lassen.

Auf dem Schauplatz erschien aber jetzt noch eine andere, fast interessantere Persönlichkeit als Judas Ischarioth, und zwar Valentin, der Indianer, der beste Pferdebändiger und Fänger und Lassowerfer der ganzen Gegend, und das will viel sagen, der an dem nämlichen Morgen mit einem Theil seines »christlichen« Stammes ausgezogen war, eine Partie wilder Stuten zu der heutigen Feierlichkeit einzubringen. Die Californier reiten nämlich nie Stuten, eben so wenig thun dieß die Bewohner Südamerikas, und ich möchte es selbst keinem Fremden rathen, sich auf dem Rücken einer Stute in den Straßen von Buenos Ayres zu zeigen. Diese Thiere bleiben also auch hier dem eigenen Vergnügen überlassen, und zeigen sich natürlich desto ungeberdiger, wenn sie einmal eingetrieben und der bis dahin noch nie gestörten Freiheit auf kurze Zeit beraubt werden.

Wie die wilde Jagd kam Valentin plötzlich mit seinen tollen Reitern, die schlagenden und bäumenden, schnaubenden und wiehernden Stuten zwischen sichern Lassos fest, die breite Missionsstraße von den Bergen herunter, sprang, vor der Kirche angelangt, mit einem Satz aus dem Sattel und riß das Thier, das er hielt, mit so geschickter und starker Hand zurück, daß es jählings auf seine Hinterbeine zu sitzen kam, desto toller aber sich gleich nachher wieder emporbäumte und sein Möglichstes versuchte den Lasso zu brechen. Doch aller Zorn und Ingrimm war jetzt vergebens; Valentin's Lasso saß schon um einen Baumstumpf, den alle Pferde der Mission nicht aus dem Boden gerissen hätten, und das aus roher Haut sorgfältig und stark gedrehte Seil brach eben so wenig. Die Stute quälte und arbeitete sich also nur vergebens ab,, und der übrigen Thiere wußte er sich ebenfalls bald zu versichern, band diese aber etwas weiter von dem Orte entfernt an andere Stellen, und suchte nun mit Locken und Schmeicheln die wilde rabenschwarze Stute dahin zu bewegen, ihn erst einmal vor allen Dingen hinankommen und sich selber eine Binde um die Augen legen zu lassen.

Daran war aber gar nicht zu denken, das Thier zeigte sich wie rasend und schlug und hieb nach dem auf es Zukommenden, sobald er sich nur etwas zu nahe hinanwagte, ja es erforderte alle Geschicklichkeit und Behendigkeit des Indianers, den gut gezielten und noch besser gemeinten Angriffen der Gefangenen zu entgehen.

Höchst interessant war dabei der Indianer selber, wie er sich geduldig bemühte, den Grimm und die Sprödigkeit der wilden Stute durch Sanftmuth allmählig zu mildern. Valentin ist einer der schönsten Indianer die ich noch in Kalifornien, sowohl unter den südlichen als nördlichen Stämmen gesehen habe. Er mag vielleicht fünf Fuß sechs Zoll hoch seyn, schlank und kräftig gebaut mit feurigen, lebendigen, kohlschwarzen Augen. Seine Tracht hatte freilich nichts eigenthümliches mehr, – sondern war ganz die californische, stand ihm aber ungemein gut. Der breitrandige, wachstuchüberzogene Hut wurde unter dem Kinn durch ein dunkles Band auf dem vollen, glänzend schwarzen Haarwuchs festgehalten; eine blaue kurze Jacke schloß ihm dicht und eng auf den schlanken Hüften an, die Beine staken in blauen mexicanischen, an den Außennäthen offenen Hosen, unter denen er weiße Unterkleider trug, und an den Füßen hatte er heute ein paar feine glanzlederne Halbstiefeln.

Das kupferbraune, gutmüthige, aber doch verschmitzte Gesicht war dabei, als er das wilde Pferd zu überlisten suchte, der interessanteste Gegenstand, den ich in dem ganzen Cirkel von Menschen, die ihn, jedoch in ziemlich rücksichtsvoller Entfernung, umstanden, erkennen konnte (ich will übrigens so aufrichtig seyn zu bemerken, daß keine Damen dabei waren), die Augen blitzten förmlich von Luft und keckem Muth, und der allerdings etwas dicke Mund wurde ordentlich schön durch das feine sarkastische Lächeln was ihn umspielte, wenn das Thier einmal wieder einen vergeblichen tollen Angriff auf ihn gemacht. Er zeigte dabei zwei Reihen Zähne, wie sie ein Neger nicht schöner aufweisen konnte, und das will viel sagen, und jede Muskel seines Gesichts lebte und arbeitete.

Endlich aber, als die schwarze Stute gar keine Vernunft annehmen und sich von der schmeichelndsten Bewegung des wilden Sohnes ihrer eigenen Berge nicht beruhigen lassen wollte, verlor selbst der Indianer die Geduld und sprang, während das Thier gerade einen neuen Angriff auf ihn mit den Vorderhufen versuchte, mit einem hoch und fast komisch ausgestoßenen »Carajo« zurück, griff den dort liegenden Lasso, schwang ihn zweimal um den Kopf, und noch ehe die Stute mit den Vorderfüßen wieder die Erde berührte, hatte er die Schlinge über beide hingeworfen, kam mit zwei Sätzen hinter das Thier und riß es mit einem einzigen Ruck zu Boden.

Noch lag es nicht ganz, so hatte er sich auch schon darüber hergeworfen, und als er wieder gleich darauf, durch das neue Schlagen des Thieres bedroht, wie ich glaubte, zurückfuhr, schallte sein fröhliches Lachen triumphirend über das Bravorufen der ihn Umstehenden hin. In dem Augenblick hatte er dem Pferd die Binde um die Augen befestigt.

Also geblendet, wagte es keinen Sprung mehr zu thun, denn es begriff die Dunkelheit nicht in der es sich plötzlich befand, Valentin ging jetzt auch ohne weiteres darauf zu, und legte ihm die Hand auf die Schulter – es zitterte, stand aber regungslos.

Vorsichtig warf er dem Thier nun erst einen Gurt über, zog ihn leise in die Schnalle, und als er auch das bewerkstelligt, schnallte er ihn mit einem plötzlichen Ruck fest; ein neuer Wuthanfall mußte jetzt folgen und er entging demselben durch einen raschen Seitensprung; die Stute fühlte nämlich kaum den Zwang, der ihren Körper rings umgab, als sie mit einem förmlichen Angstschrei in die Höhe sprang, sich dann auf den Boden warf, und durch Wälzen, Ueberrollen und Treten die vermeinte Last loszuwerden suchte. Doch vergebens, der Gurt hielt fest, und das arme Geschöpf konnte sich nur in nutzlosen Anstrengungen quälen und abmatten.

Indessen waren die Umstehenden auch nicht ganz müßig; Judas Ischarioth wurde nämlich jetzt von ihnen herbeigeschafft, das Ende eines Lasso um eines der Beine geschlagen, und alles fertig gemacht, um auf dem Rücken des Pferdes gleich befestigt werden zu können. Dieses sprang endlich wieder auf und Valentin ließ den günstigen Moment nicht unbenutzt vorübergehen, rasch trat er dicht an seine Seite, streichelte ihm Nacken und Hals leise, und hob nun die ihm von anderen ziemlich vorsichtig – um in möglichst weiter Entfernung bleiben zu können – gereichte Puppe auf den Rücken des zwar erschreckt zusammenfahrenden aber doch für den Augenblick keinen weiteren gewaltsamen Versuch mehr wagenden Thieres.

Es würde mich zu weit führen, wollte ich all die kleinen Finessen beschreiben, deren er sich noch bediente bald den wieder ausbrechenden Zorn der Stute zu besänftigen, bald ihn zu brechen; kurz nach einer halben Stunde etwa hatte er die Figur, die jetzt auf höchst komische Weise mit dem Kopfe nickte und mit den Armen schlenkerte und einem Betrunkenen gar nicht unähnlich sah, fest und sicher angebracht, und das wilde Pferd schnaubte nur und blies die Nüstern auf, und schien in voller Ungeduld seine Erlösung von dieser Qual zu erwarten, oder vielleicht etwas noch weit ärgeres zu befürchten.

Jetzt war auch die Kirche aus, die Frauen und Mädchen kamen in langer Reihe daraus hervor, flüchteten aber, als sie sahen daß Judas schon firm und fest im Sattel saß, rasch in die Verandah der nächsten Gebäude – die in dem einen Flügel des Missionshauses der diesem Platz zugewandt war, selber lagen – von hier aus das nachfolgende Schauspiel aus sicherer Nähe zu betrachten.

Sie sollten nicht lange darauf warten; der Indianer hatte die Schlinge um den Hals des Pferdes gelöst, und warf nur noch einmal den Blick zurück, um zu sehen ob die Bahn nach seinem eigenen an der Fenz stehenden Thiere frei sey, um die übrigen kümmerte er sich nicht, hatte auch das nicht nöthig, denn die gaben schon auf ihre eigene Haut acht, und stoben nach allen Richtungen hin auseinander.

Jetzt stand das wilde zitternde Thier frei und ledig – nur die Binde hielt seine Augen noch geschlossen. Valentins Hand lag darauf – im nächsten Moment fiel sie vor ihm nieder, und als der Indianer von ihm weg glitt und in seinen Sattel sprang – was nicht die Hälfte der Zeit erforderte, als ich brauchte um es zu erwähnen, starrte das erschreckte, durch den plötzlichen Lichtstrahl geblendete Thier wild um sich, stieß dann ein gellendes Wiehern aus, das mehr fast einem Angstschrei glich, und brach zusammen. In dieser Bewegung fühlte es aber noch, außerdem jetzt frei und unbehindert, die schwankende Figur auf seinem Rücken; wie von einem Blitz berührt, sprang es wieder empor und flog jetzt, seinem vermeinten Peiniger zu entgehen, von dem gellenden Jubelgekreisch der nun fast sämmtlich berittenen Spanier gefolgt, die Straße hinunter, den Bergen wieder zu.

Der neue, aber anständig gekleidete Mazeppa saß mit ungemein graziöser Haltung im Sattel, bald bog er sich majestätisch, Zügel oder sonstigen Anhaltspunkt verschmähend, vorn über, bald hing er, in einer liebenswürdigen nonchalance, eine unbestimmte Anzahl von Graden hintenüber, die Arme dabei dermaßen schlenkernd, daß sie die Näthe seines Anzugs in Verzweiflung brachten. Bald schien die Gestalt dabei nach dem rechten, bald nach dem linken Steigbügel hinunter zu sehen, ob sich dort auch noch alles in gehöriger Ordnung befände, und das Schütteln, was jeder solchen Bewegung folgte, glich einem innerlichen Lachen und wilder ingrimmiger Zufriedenheit.

Wie ein toller Kobold hing die Figur auf dem Rücken des schnaubenden Thieres, und der wilden Jagd gleich stürmten jetzt die andern Reiter, die sämmtlich ihre Pferde in der Nähe gehabt, hinterdrein. Man war nämlich keineswegs gesonnen, den in der Verandah harrenden Damen das schöne Schauspiel so rasch wieder zu entziehen, und Valentin flog auch schon eben an der Seite des davonstürmenden Thieres vorüber und ihm in den Weg, es von den Bergen abzuschneiden. Dieses aber schoß um ihn herum und wollte wieder vorbei. Valentin war jedoch nicht gesonnen, sich so rasch zuwider handeln zu lassen; gerade als die Stute blitzschnell an ihm vorüber wollte, ergriff er sie hinten beim Schwanz und riß sie so gewaltig herum, daß sie zu Boden stürzte. Dadurch bekam sie aber nicht allein eine andere Richtung, sondern ihre übrigen Verfolger hatten indessen ebenfalls Zeit gewonnen ihr vorauszukommen, und mit einem Gebrüll, als ob eben so viele Teufel losgebrochen wären, schreckten sie das arme Thier wieder in die Bahn, die es gekommen, zurück.

Die Damen genossen jetzt mit innigem Vergnügen den vollen Anblick des Schauspiels. Die mehr und mehr ermattende Stute, sowohl durch Angst als Anstrengung fast schon ihrer Kräfte beraubt, stürzte mehrmals mit ihrer herüber und hinüber schwankenden Last zusammen, und wollte schon nicht mehr aufstehen, das Gejell und Gekreisch der Reiter aber, wobei die guten californischen Christen den Indianer noch natürlich an Wildheit zu übertreffen suchten, ließen ihr keine Ruhe. Auf und weiter, die Straße hinunter, und wieder zurück, die bewegliche schwanke Puppe schlenkernd auf dem Nacken.

Endlich konnte das arme gequälte Thier, durch Angst und ungewohnte Anstrengung völlig erschöpft, nicht mehr weiter – es stürzte nieder und weder Stöße noch Mißhandlungen machten mehr Eindruck auf das schon halb todte.

Doch der Spaß durfte so schnell noch nicht aus seyn und einen solchen Fall voraussehend, waren ja auch noch einige andere Stuten, gewissermaßen im Vorrath, mit eingefangen worden. Man nahm also die Puppe von dem, nicht den geringsten Widerstand mehr leistenden Pferd herunter und brachte sie zu einem andern, dieses bezeugte sich aber lange nicht so wild und unbändig als das vorige, der Spaß war auch deßhalb weit geringer, und da sich das Publikum schon bei dem ersten Aufzug vollkommen satt gelacht hatte, fand man hier nicht lange mehr Vergnügen daran.

Nach ein- oder zweimaligem die Straße auf- und abhetzen zogen sich die Frauen zurück, und die Männer trieben das Thier jetzt zu ihrem eigenen Spaß, schwerlich aber zu dem des armen unglücklichen Geschöpfes, in die Berge zurück.

Am Abend war Fandango, und die Auferstehung des Herrn wurde, außer diesem kleinen Intermezzo durch einen muntern spanischen Tanz beschlossen.

Valentin schien aber auch seinerseits diesem Tage und der Feierlichkeit desselben ein ganz besonderes Opfer gebracht zu haben. – Er war bis gegen Abend, als etwas sehr Außerordentliches, nüchtern geblieben, hatte jedoch jetzt auch, wie er nur irgend seine Rolle dabei ausgespielt sah, das Versäumte doppelt nachgeholt und schwelgte nun in dem Genusse vollkommener Seligkeit.

Draußen vor dem Ballsaal lag er unter einem dort stehenden Wagen auf dem Rücken, beide Füße gegen die Achse der Vorderräder gestemmt und sein Kopf ruhte auf einem dort zufällig untergeschobenen Ochsenjoch. Neben ihm, zu seiner Linken lag eine leere Brandyflasche und die rechte hielt eine noch halb volle, aus der er aber schon mehr verschüttet als getrunken haben mochte.

»Dice que me quieres, Caramba,»

lallte er mit schwerer Zunge und versuchte dabei einen Blick nach der Flasche zu werfen – der Schaum stand ihm vor dem Munde. –

Dice que me quieres, Caramba,
con el corazon. –
Dice que – huzza cavallita – huzza – carajo,

huzza, huzza guardase, huzza! – und die wilden Ausrufungen brachen plötzlich in einem unartikulirten Schrei ab, dem eine rasch herausgesprudelte zornige Rebe in indianischer Sprache folgte. Er wollte dann die Flasche noch einmal an den Mund setzen, vermochte es aber nicht mehr, und während ihm der scharfe Brandy über Hals und Gesicht lief, schloß er die gläsernen Augen und lag bald in tiefem Schlaf versunken da.

Der Trunk ist überhaupt ein Laster, das die Indianer gewöhnlich zu gleicher Zeit mit dem Christenthum einsaugen und das Herz thut Einem manchmal weh, wenn man die edlen kräftigen Gestalten, durch das nichtswürdige Getränk zum Vieh herabgewürdigt, im Schlamm und Koth sich wälzen und so langsam aber sicher verderben sieht.

Diesen Stämmen hier besonders wurde das Feuerwasser in fast unbeschränkten Quantitäten geboten; die vielen Ansiedler, die hierhergezogen waren und deren Rinder und Pferde in den Bergen herumstreiften, brauchten fortwährend Jemanden, in solcher Arbeit bewandert, ihnen weggelaufenes Vieh, oder auch nur solches, das sich zu weit entfernt hatte, wieder aufzusuchen und zurückzubringen, und derartige Arbeit konnten sie mit nichts billigerem als Brandy bezahlen, während die Indianer zugleich nichts lieber dafür nehmen, so daß dadurch zwar beide Parteien vollkommen zufriedengestellt wurden, die eine aber doch böslich und unrettbar dadurch zu Schaden kam.

Charaktere gab es übrigens, außer diesem Valentin, auf der Mission noch eine große Anzahl, und überhaupt liegt wohl kein Fleck mehr auf der weiten Erde, wo eine solche Masse der verschiedenartigsten toll und wild zusammengeschleuderten Charaktere vereinigt seyn konnte, als gerade Kalifornien. Es war nicht allein der Sammelplatz aller Abenteurer der ganzen Welt geworden, sondern alles Gesindel, alle Verbrecher, die sich unter jeden Umständen Geld zu verschaffen wußten, wenigstens die Reise zu bestreiten, trafen sich hier und waren manchmal nicht wenig erstaunt, unter den unscheinbarsten Masken, wo sie etwas derartiges gar nicht vermuthet haben mochten, ihres Gleichen, vielleicht alte Freunde und Genossen zu finden.

Aus dem amerikanischen Krieg, d. h. von der ersten Sendung Freiwilliger herüber, die Amerika gewissermaßen als verlorene Posten hergeschickt hatte von Californien Besitz zunehmen, fanden sich überall zerstreut die wunderlichsten Exemplare. Es waren dieß lauter Abenteurer, die meisten von ihnen aber, sonderbarer Weise, Deutsche gewesen, die von den vereinigten Staaten zu jener Zeit sicher als Futter für Pulver und Büchse aufgegeben seyn mochten, denn selbst die ertravaganteste Phantasie konnte damals nicht wirklich glauben, daß eine Handvoll solch zusammengelaufenen Gesindels ein ganzes Volk unterwerfen sollte. Die Regierung der vereinigten Staaten handelte aber darin ganz umsichtig – nahmen diese Tollköpfe, die allerdings von jedem Rückzug abgeschnitten nichts mehr zu verlieren und alles zu gewinnen hatten, wirklich von dem Lande Besitz, nun desto besser, so machte die ganze Sache weiter keine Umstände, wurden sie aber, das viel wahrscheinlichere, alle mitsammen todtgeschlagen, dann hatten die vereinigten Staaten vollen Grund, Rechenschaft für den Tod so vieler ihrer Bürger zu fordern und Californien wurde das ihre, mochte auch aus Mexiko werden was da wollte.

Außer denen gab es aber auch noch eine andere Classe und das waren Ausländer, ebenfalls viele Deutsche unter ihnen, die damals schon im Lande gelebt hatten, als die Amerikaner den ersten Einfall machten; diese mochten sich mehr Nutzen unter der neuen als der alten Regierung versprechen und leisteten deßhalb dem Feinde heimlich so viel sie konnten Vorschub, wobei sie ihm besonders als Spione unbezahlbar wurden.

Auch auf der Mission lebten zwei von diesen, beide Deutsche. Der eine von ihnen, Namens Herrmann, besaß einen kleinen rancho und etwas eingefriedigtes Land, dicht an der Mission und noch eigentlich auf ihrem Grund und Boden und hielt sich einige Kühe, von denen er die Milch jeden Morgen selber zu Pferd nach San Francisco brachte. Es war ein komischer Kauz und hatte besonderes Unglück in seinen Familienangelegenheiten, da ihm die Frau vor ganz kurzer Zeit fort und einem kaum dreihundert Schritt von seinem eigenen Hause entfernt wohnenden Irländer mit allen drei Kindern zugelaufen war. Ich habe lange keine häßlichere Frau gesehen als gerade diese, erst ganz kürzlich Entführte und ich glaube den früheren Mann ärgerte auch bloß, daß sie sich so gewissermaßen, wie er meinte, »ihm zum Trotz gerade auf seine Nase gesetzt hätte.«

Der andere war interessanter und hieß John Stapf. – Er hatte den Amerikanern ebenfalls als Spion gedient, ich glaube aber fast eher, daß er diese Rolle damals auf beiden Seiten gespielt hat, denn selbst jetzt noch stack er fortwährend mit dem Priester der Mission zusammen, mit dem er auf einem sehr vertrauten Fuß zu stehen schien. Auch sein ganzes Wesen, mit dem breiträndrigen Hut und dem gebückten schleichenden Gang, der von einem schielenden Auge unterstützt wurde, schien eher anzudeuten, daß er zu dem alten Missionsgebäude gehöre, als jemals feindlich dagegen aufgetreten sey, und doch sollte er den Amerikanern wichtige Dienste geleistet haben. Seine Beschäftigung bestand gegenwärtig in Kohlenbrennen, denn das Priesterthum war in dem Eldorado so heruntergekommen, daß es für ihn nichts mehr abwarf, wenigstens nicht genug, davon leben zu können, und sonst ging er ziemlich ernst und steif einher, nur der Brandy spielte ihm manchmal einen Streich – er wurde gesprächiger und jedesmal zu seinem Schaden, denn die Blicke, die man bei solchen Gelegenheiten in die dunklen Tiefen seines inneren Menschen thun konnte, gehörten wahrlich nicht zu den freundlichsten.

Auch Deserteure aus dem mexikanischen Krieg, ebenfalls Deutsche, trieben sich in Masse hier herum. – Wilhelm Erbe, Barbiergeselle aus Leipzig, du wirst mir stets in freundlichem Andenken bleiben, denn ich habe oft mit dir und über dich gelacht, daß mich die Seiten schmerzten. Selten auf meinen Wanderungen habe ich einen Menschen gefunden, der, ohne auch nur die geringste liebenswürdige Eigenschaft an sich selber zu haben, mich so durch seine Unterhaltung hätte fesseln können. Wilhelm Erbe sprach aber auch ein Englisch-Deutsch, das man wahrhaftig in diesen Biegungen nicht erfinden konnte, was man wörtlich nachschreiben mußte, wenn man es eben so klassisch wiedergeben wollte, und das habe ich auch redlich gethan. Erbe schüttelte dann jedesmal mit einem nur ihm eigenthümlichen sauersüßen Lächeln den Kopf, wenn ich mein Taschenbuch herausholte und Wörter von ihm notirte, aber – die Hauptsache – er erzählte weiter.

»Well, wenn man die Sache aber auch nicht besser mannatscht so kann man of course Hell ketschen, denn es ist ein different Ting, so etwas on purpuß anzutetschen oder nur klos dabei vorüber zu trawweln.«

Das ist einer von seinen Sätzen, und das war deutsch, und sollte es der Leser verstehen, müßte ich ihm wahrscheinlich ein förmliches Wörterbuch dazu liefern. Dazu sprach er noch dazu selbst dieß Kauderwelsch mit einem ächt sächsischen Dialekt und ich kann wohl sagen, daß ich in seiner Gesellschaft, wenn er uns besonders Scenen aus den mexikanischen Kriegen erzählte, förmlich geschwelgt habe. Er hatte bei Mays Dragonern gestanden, und schien überhaupt schon mehr durchgemacht zu haben, als er gern wiedererzählen mochte.

Heinrich, ein anderer, ging fortwährend in einer mexikanischen Serape herum, und sprach, wenn das irgend anging, nur spanisch – er war ebenfalls Deserteur, aber noch so an die Waffen gewöhnt, daß er beim Fortgehen sogar, und zwar ganz in Gedanken, neben andern Kleinigkeiten noch ein paar fremde Terzerolen mit einsteckte.

Frei, ebenfalls Barbier und Deserteur, der übrigens wohl anders hieß, denn es kamen nachher böse Sachen über ihn zu Tage, empfahl sich noch auf schlimmere Weise, und wäre nicht Californien für derartige Menschen ein gar so bequemes Land, so hieße er jetzt wohl auch wieder anders, denn er säße wahrscheinlich in Eisen.

Doch wo nähme ich Platz her, all diese verschiedenen Menschen zu schildern, die dort, nur Alle zu einem Zweck vereinigt, zusammentrafen. Dieß Kalifornien ist nur einmal in der Weltgeschichte unter solchen Umständen dagewesen, und kann nie wieder kommen, denn diese Kräfte sind jetzt alle vereinzelt und umhergestreut, möge auch Gold oder sonst etwas auf noch so verschiedenen Stellen weiter gefunden werden. Eine spätere Zeit ist auch nie wieder im Stande, sie so vollkommen auf einer Stelle zu sammeln, als das damals gerade in und um San Francisco der Fall war, und ich selber hätte kein günstigeres Land, keine günstigere Zeit abpassen können, Stoff für ein Lebensalter zu sammeln. Die Hauptsache aber dabei, es war Alles da, Alles fix und fertig – vollkommen reif und ausgebildet – ich brauchte nur einzuschneiden und zu trocknen.

Das eigentliche frühere Leben der Mission war aber schon fast, wie das auch nicht anders seyn konnte, unter dieser förmlichen Überschwemmung fremder Menschen ganz verschwunden. Der Priester, sonst die bedeutendste Person im ganzen Territorium und in manchen Fällen sogar über dem Alkalde stehend, hatte seine Macht in fast jeder Hinsicht verloren – die meisten seiner Beichtkinder selber waren fort in die Minen gezogen, oder ihrem sonst verhältnißmäßig ruhigen Leben abwendig gemacht, und von den Indianern, über die er in früherer Zeit fast unbeschränkt disponiren konnte, blieb ihm gar nichts. Die meisten streiften nach Gold in den Gebirgen umher und die wenigen, die ja noch alte Anhänglichkeit oder Gleichgültigkeit an die Scholle fesselte, hielten sich zu den Fremden, von denen sie Spirituosen bekommen konnten, und spielten und tranken so lange sie noch Bewußtseyn genug übrig behielten, das eine oder andere vorzunehmen.

Früher war auch das ganze umliegende Land der Mission eigen gewesen, und der Priester hoffte, als letztes Anhaltemittel, wenigstens das noch behaupten zu können, da die Amerikaner erklärt hatten die alten spanischen Ansprüche wollen gelten zu lassen und zu respektiren; Amerikaner ließen sich aber indessen ohne weiteres auf eben diesen Grundstücken nieder, und als er sie endlich verklagte, und damit auch zugleich seine Rechtsansprüche auf das Territorium der Mission geltend machte, zog sich der Proceß allerdings etwas in die Länge, und es schien fast einmal als ob es ihm zugesprochen werden sollte, wurde aber doch zuletzt gegen ihn entschieden, und kam so weit, daß er sich eines schönen Abends bei Nacht und Nebel aus dem Staube machte, und nichts wieder von sich hören ließ.

Die wenigen Indianer, die sich noch um die Mission herum aufhielten, bekannten sich alle zum Christenthum, und wenigstens die Frauen betrugen sich sehr ordentlich, wuschen und nähten für die Spanier und waren, in einzelnen Fällen, förmlich in ihre Familien aufgenommen; hie und da zogen aber auch noch kleine Trupps herum, lagerten im Freien und lebten, wie vor alten Zeiten, von Fleisch, das sie entweder heimlich erlegten, oder von den Spaniern erbettelten. Die civilisirteren hausten aber meistens in Gebäuden, und Alle trugen anständige und im Winter auch warme Kleider und sprachen die spanische Sprache.

Eine Familie hatte sich die letzten Monate ganz in unserer Nähe herumgetrieben und begrub eines Tages ein Kind, hinter dem sie, in förmlicher Procession, in die Kirche zogen, es auf dem Gottesacker der Christen beisetzen zu lassen. Die kleine Leiche, die sauber gewaschen und mit ihren besten Kleidern gedeckt, sonst aber auch noch mit einer wahren Unmasse von Flittergold, buntem Papier und allen möglichen Schnitzeleien aufgeputzt war, sah rührend genug in dem kleinen Sarge aus, es verdarb aber die Poesie der Sache etwas, wenn man wußte, daß der kleine achtjährige Knabe an dem zu häufigen Genuß von brandy gestorben war. Der Vater suchte sich auch nach dem Begräbniß in einer Art Vergeltung aus demselben Stoff seinen Trost, während sich die Mutter neben dem Grabe hinsetzte und ihre schauerlichen Wehklagen begann, die besonders in der ersten Zeit einen furchtbar erschütternden Eindruck auf den nicht daran gewöhnten machen. Diese lauten Wehklagen über den Verlust der Todten scheinen allen Indianerstämmen der ganzen Welt eigen zu seyn, nur daß sich einzelne davon denselben mit noch weit größerer Heftigkeit, ja oft mit in Raserei ausartenden Fanatismus, hingeben.

In der Kirche sah ich auch in dieser Zeit die Trauung eines jungen Mädchens aus der Mission mit einem Californier aus Los Angelos. Es herrscht hier die wunderliche Sitte, das junge Paar während der Trauung, und indem sie vor dem Altar knieen, mit Seilen fest zusammenzubinden, und mit einem großen Tuch zu überdecken.

Ganz kürzlich fand auch eine Trauung zwischen einem Amerikaner und einem californischen Mädchen statt, im Allgemeinen wollen die Californier aber nichts von ihren Eroberern, den Nordamerikanern, wissen, und hegen meist eine wohl unterdrückte, aber deßhalb auch desto tödtlichere Feindschaft gegen sie. Die wilden Söhne dieses Landes können und werden es den Eindringlingen nie vergessen, daß sie ihr Land geraubt haben und ihre Sitten, ihre Religion unter die Füße treten, und nur mehr und mehr wächst dieser heimliche Grimm, je machtloser sie sich sehen, je mehr sie fühlen daß sie nicht allein nie im Stande seyn werden ihre frühere Unabhängigkeit wieder zu erlangen, sondern auch mit der Zeit von dem Boden, auf dem sie einst die Herren waren, mit den Indianern, die sie selbst jetzt noch als soviel untergeordneter betrachten, verschwinden müssen.

Selbst während meines Aufenthalts auf der Mission fielen auch, auf dem Weg zwischen der Mission und San Francisco, der damals noch weit eher eine öde mit dichtem Gebüsch bewachsene Sandwüste, als der Communikationsweg zweier so belebter Plätze schien, mehre Mordthaten, und jedesmal an Amerikanern vor, von denen besonders zwei Leichen von unzähligen Messerstichen, wie im grimmsten Haß durchbohrt, gefunden wurden. Auch in den Minen selber wurden eine Menge Unglücklicher eben nur diesem Haß zum Opfer gebracht.

Selbst auf das schöne Geschlecht dehnte sich in sehr vielen Fällen dieses Gefühl aus, und in manchen Fandangos suchten Amerikaner vergebens Tänzerinnen unter den schönen Töchtern des Landes – sie weigerten sich hartnäckig, und das Bravo der umstehenden Californier konnte dann natürlich nicht dazu dienen, den Zurückgewiesenen für seinen Korb zu trösten. Die Zeit mildert das freilich, aber ganz wird sie es nie verwischen können.


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