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Am Mittwoch Abend, den 11. Juli 1849 setzten wir uns endlich, von meinen beiden deutschen Freunden Rhode und Schöpf bis zum nächsten, nur eine Legua entfernten Haltpunkt begleitet, in Marsch. Die Führer thun das gewöhnlich, um am nächsten Morgen gleich frei von der Stadt zu seyn und recht früh aufbrechen zu können. Hier tranken wir noch ein paar Flaschen Wein zusammen und ich warf mich, als sich die andern Beiden wieder nach ihren eigenen Wohnungen zurückgezogen hatten, auf meine Decke, der noch kurzen Nacht ein paar Stunden Ruhe abzugewinnen.
Das erste Nachtquartier ging denn auch ruhig, und ohne weiter etwas besonderes, vorüber – wir lagerten vor dem Haus, aber ohne Feuer, und es war ziemlich kalt, doch schlief ich gut – ich war nur froh, so weit wenigstens meinem endlichen Ziele entgegengerückt zu seyn.
Der Mond stand noch hell und klar am Himmel, als wir am Donnerstag Morgen in die Sättel sprangen. Die kleine Caravane bildeten mein Führer, ein Chilene, im sonst in der argentinischen Republik verpönten grünen Poncho, zwei Peons oder Diener, von denen der eine mein Gepäck, der andere Provisionen und einige Kohlen tragen sollte, und dann ich selbst. Der Morgen war frisch aber herrlich; links neben uns lagen die prächtigen Berge, hinter denen, in noch weiter Ferne, die weißen Schneekuppen wie drohend zu uns herüberschauten, und rechts dehnte sich die allerdings nicht sehr romantische, mit niedern Büschen bedeckte Ebene aus. Endlich stieg im Osten die Sonne empor und warf ihren Strahl auf die roth erglühenden Schneefelder der Kordilleren, und über den Himmel hinaus breitete sich der rosige Saum – und die Vögel zwitscherten, der Thau hing an den grünen Blättern der Sträuche – die Thiere trabten lustig in den reizenden Morgen hinein und selbst meine Begleiter – sonst gerade nicht lieblich und holdselig anzuschauen, sangen und pfiffen, und schienen sich ebenfalls der herrlichen Natur zu freuen.
Rechts, dicht am Weg stand ein einzelnes Häuschen, und ein hoher Weidenbaum dicht davor; dahin bogen sie plötzlich ab – wollten sie schon wieder Rast machen? – wir waren kaum eine Stunde geritten – nein, vor dem Baum hielten sie und murmelten ein halblautes Gebet.
Ich sah ihnen erstaunt zu, als sie aber fertig waren, zog der eine Peon auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, zeigte nach dem Baum hinauf und sagte: una bota (ein Stiefel) – ich blickte auf und – sollte mir denn, so weit die Republik reichte, jeder freundliche Augenblick durch irgend etwas Scheußliches verbittert werden? – oben an den einen Ast war der Fuß desselben Verbrechers, dessen Kopf mich schon von der Stange herunter angestarrt – bis zum Knie abgeschnitten – angenagelt. Ich wandte mich schaudernd von dem halb verwesten, halb vertrockneten Ueberrest jenes Verbrechers ab, drückte meinem Thier die Sporen in die Seiten, und sprengte voran – die andern lachten.
Es mag sein Gutes haben, diesem Volk die Folgen eines Verbrechens (das hier wohl nicht einmal zu den seltenen gehört) täglich und wohin es sich auch wendet vor Augen zu führen, es hat aber auch jedenfalls für den, der nicht gerade immer ein »abschreckendes Beispiel« vor sich zu haben braucht, etwas höchst Fatales und Widerliches. Und was haben nun gar die armen Menschen in dem kleinen friedlichen Haus verbrochen, daß sie das scheußliche Bein da bei ihrem Ein- und Ausgang immer vor Augen haben müssen? – ich scheue mich wahrlich nicht vor Leichen und habe deren schon in mancherlei Gestalt gesehen, in dem Haus möcht' ich aber doch nicht, sey es um welchen Preis es wolle, wohnen.
Der Morgen war mir denn auch richtig wieder verdorben, und ich war nur froh, als wir uns mehr und mehr den Bergen näherten, wo mit der alten Umgebung auch die alten Gedanken verdrängt werden mußten.
Am meisten trug übrigens das hier gar nicht so weit von der Stadt schon vorkommende Wild dazu bei, mich zu zerstreuen: wir sahen viele Guanakas – die Lamas der Cordilleren, und auch einige Strauße – die letzteren aber sehr scheu und gleich, beim Anblick der Pferde, in wilder Flucht.
Das Guanaka ist ein prächtiges Thier – so groß wie ein Hirsch fast, nur mit noch längerem Hals und weicher herrlicher Wolle, aber sehr leicht zu schießen, denn die Jagd darauf wird hier nur sehr schwach betrieben, und das Wild läßt die Jäger mit nur einiger Vorsicht, leicht auf hundert Schritte hinan.
Für mich waren übrigens auch noch außerdem meine Begleiter, und besonders die beiden Peons, die mein Gepäck trugen, von höchstem Interesse.
Der chilenische vaquiano bot nichts besonders; eine kräftige untersetzte Gestalt, von dem grünen, mit bunter Einfassung besetzten Poncho überhangen, die niedere Stirn mit einem breitrandigen Strohhut bedeckt und sonst mit einem ziemlich nichtssagenden Gesicht, das nur gleichgültig bald über die rechte, bald über die linke Schulter hinüberschaute, ritt er voraus. Die beiden Peons dagegen erinnerten mich – und sonderbarer Weise gleich wie es nur Tag wurde ihre Physiognomien erkennen zu können – lebhaft an die beiden Banditen aus Flotows Stradella. Der Eine – ein trocken drolliger Bursch, aber mit einer Galgenphysiognomie, wie sie wohl noch kaum dagewesen, verzog nur selten das Gesicht zu einem Lachen, während sich der Andere, ein kleiner jüngerer Bursch, fortwährend über die Geschichten, die jener erzählte, ausschütten wollte.
Der erste war ein Argentiner, der zweite ein Chilene, beide trugen aber die argentinische Tracht, beide auch das lange argentinische Messer hinten im Gürtel, und ich zweifle gar nicht, daß sie bei passender Gelegenheit auch recht passenden Gebrauch davon zu machen gewußt hätten.
Wir waren alle vier beritten, dießmal aber nicht auf Pferden, sondern auf Maulthieren, denn Pferde würden, wie mir der Vaquiano sagte, in den Engpässen, die wir zu passiren hätten, nicht allein nicht fortkönnen, sondern auch den Reiter, wenn der nicht fortwährend zu Fuße gehen wollte, zu sehr gefährden. Die Maulthiere waren übrigens vortrefflich, und wenn sie uns auch vielleicht noch im flachen Lande nicht so rasch vorwärts trugen als es Pferde gethan haben würden, ritten sie sich doch leicht und bequem.
Dreizehn Leguas von Mendoza entfernt betraten wir zuerst die Grenzhügel der Cordilleren, aber kein Baum erfreute das Auge, nur niederes Buschwerk stand in den Thälern, und an den Seitenhalden hin hingen Ziegen und hie und da auch Kühe und Maulthiere, und weideten das spärliche Gras ab. Das Wasser schien aber in dieser Gegend besonders rar, und wir hatten an dem Abend wirklich Mühe einen guten Lagerplatz zu finden. Es war schon dunkel als wir endlich eine ziemlich steile Felswand erreichten, unter deren Schutz wir ein Feuer anzünden und ein Stück Guanakafleisch braten konnten, aber keineswegs Holz genug da, die ganze Nacht ein Feuer zu unterhalten. Als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, mußten wir es ausgehen lassen und legten uns, so gut das angehen wollte, in unsere Decken gewickelt, die Sättel unter dem Kopf, zur Ruhe nieder. Den Abend vorher war es aber gar nicht so kalt, und ich selbst auch wohl die warmen Nächte Mendoza's noch gewohnt gewesen, kurz, ich gab mir gar keine besondere Mühe mein Lager nach allen Regeln des Berg- und Waldlebens zu bereiten, sondern warf mich eben nur auf eine Decke hin und deckte mich mit der andern zu. Dafür sollte ich aber auch büßen – ich fror die Nacht schmählich, und konnte mir im Anfang eigentlich gar nicht erklären woher das kam, bis ich am andern Morgen das Wasser in dem neben mir stehenden Blechbecher – gefroren fand.
Das erste Zeichen, wie wir schon in die Berghöhen vorgerückt seyen, machte sich hier bemerklich, und als wir ausrückten fanden wir deren nur zu bald mehr. Der Bach an dessen Ufer wir hinauf mußten, hatte überall Eis, so daß mein Maulthier an mehreren, wirklich abschüssigen Stellen verschiedenemale ausglitschte und zu stürzen drohte, jedesmal aber durch den ermunternden Zuruf der Führer wieder zu neuer Anstrengung angespornt wurde. Dieser Zuruf selber aber hatte wirklich etwas charakteristisches, und bestand nur in dem Worte: »oh mula, oh mula« – dem strauchelnden Thiere wurde nur zugerufen, daß es ein »Maulthier« sey, und es so bei seinem Ehrgefühl auf die wirksamste Art angefaßt. Ein Maulthier und stolpern – nein das ging gar nicht – der Führer hatte vollkommen recht, und es nahm jetzt alle seine Kräfte zusammen, so daß wir Stellen glücklich passirten, auf denen Pferde Hals und Beine gebrochen hätten.
Höher und höher stiegen oder kletterten wir vielmehr hinauf, bis wir die mit dünnem Schnee bedeckten Kuppen erreichten – doch lange noch keine Cordilleren – und diese an sich schon ziemlich hohen Berge haben den für den Wanderer, der hier schon Bedeutendes geleistet zu haben glaubt, allerdings nicht ermuthigenden und auch etwas unanständigen Namen der »Piojos der Cordilleren.« Hier fand ich auch im Schnee die Spuren der Guanakas und des Puma oder amerikanischen Löwen, der die Höhen zu lieben scheint – die Fährte war etwas größer als die des amerikanischen Panthers, und mein Vaquiano versicherte mich, daß man das Thier zwar manchmal, aber doch nur äußerst selten am Tag zu sehen bekäme, Nachts aber, und selbst bei Mondschein, streife es umher, und folge sogar manchmal den Fährten der Menschen, die es aber nie selber angriffe.
Auf dem höchsten Gipfel dieser Hügel, wie ich sie doch wohl nennen muß, öffnete sich uns aber auch plötzlich ein Panorama, das ich nun und nimmer vergessen werde; unter uns zu unseren Füßen lag das unmittelbar, die Cordilleren umschließende Thal, und schroff und scharf stiegen aus diesem empor die gewaltigen Berge – die Riesenleiber in ihre weißen, blitzenden Schneedecken gehüllt und hineinragend in die Wolken mit den starren, zackigen Kronen.
Da hinüber wollt' ich armes schwaches Menschenkind – da hinüber, wo unberechenbare Schneemassen oft Berg mit Berg verbanden, und die Schluchten in ihrer unergründlichen Tiefe bis zum Rande füllten – da hinüber, wo alles andere Leben in eisigem Froste erstarrt war, und selbst der Condor mit rascherem Flügelschlag die zackigen Eisfelder und Kuppen überflog? – ja, da hinüber wollt' ich – und es war zugleich auch ein stolzes freudiges Gefühl, daß gerade die schwache Menschenkraft es wagen konnte all die Schwierigkeiten zu besiegen und sich die Bahn zu brechen, wo jede Bahn, jeder Fortgang unmöglich schien.
Der Himmel spannte sich dabei in freundlicher Bläue über der prachtvoll großartigen Winterlandschaft aus, nur der Windzug strich scharf da oben, wo wir standen, über die Kuppen hin.
Doch mein Führer war nicht der Mann sich lange bei »Naturschönheiten« aufzuhalten – er hatte die Cordilleren schon mehr gesehen und wollte ins Thal, wo die Thiere nicht allein zu fressen bekommen, sondern er selbst auch mit seinen Leuten bessere Pflege erhalten konnten, wie wir sie in den letzten zwei Nächten gehabt. Bergab gings jetzt nun wieder scharf, und zwar so, daß wir den ersten Schnee bald hinter uns ließen und in ein sonniges, freundliches Thal hinabstiegen, wo grüne Myrthenbüsche wenigstens auf eine Zeitlang die kahlen nackten Felsen verdrängten. Die Sonne schien hier warm und erquickend, und gegen Abend erreichten wir, dem Lauf eines kleinen Wassers in der letzten Stunde folgend, ein Haus wo die Maulthiere, die sich die letzten Tage spärlich genug behelfen mußten, gute Weide und wir selbst ein vortreffliches Glas Mendozawein fanden, uns daran zu erquicken.
Dieß war das westlichste Haus der argentinischen Republik und hier versorgten wir uns auch noch mit ein paar Hörnern voll Mendozawein, die wir übers Pferd hingen.
Diese Art Flüssigkeiten zu transportiren ist übrigens so originell als praktisch; ein paar gewöhnliche Ochsenhörner, natürlich so groß wie sie solche bekommen können, werden unten gerade abgesägt und mit einem fest eingesetzten und verpichten hölzernen Boden versehen, dann oben, durch das spitze harte Ende ein Loch hineingebohrt und ein Stöpsel drauf gesetzt, und die Flasche ist fertig. Zwei solche Flaschen bindet man mit einem kurzen Ende Rohhaut – die hier überall den Bindfaden vertritt – zusammen, und hängt sie solcher Art über den Sattel.
Schon von Buenos Ayres hatte ich ein paar solcher »Zwillinge« nur etwas kleiner für Caña (den Vorlauf von Rum, eines der angenehmsten und leichtesten spirituosen Getränke) mitgenommen, und mein alter Correo, dem das Steppenwasser auch nicht besonders zu behagen schien, nahm recht häufig einen Schluck daraus. Er hatte sie »aus Gefälligkeit« auf sein eigenes Thier gebunden, und sie wären ihm gewiß noch lieber gewesen, hätte der alberne Stöpsel nicht jedesmal so gequitscht, wenn er ein kleines Stück zurückgeblieben war, irgend etwas an seinem Sattel oder Reitzeug nachzusehen. Ich fand später sogar aus, daß ihm diese Caña besser schmeckte als selbst der Mateh, den er gewöhnlich nur aus Höflichkeit zu trinken schien.
Apropos Mateh, den hatte ich jetzt, Gott sey Dank, mit den Pampas, hinter mir, denn hier wurde mehr Wein getrunken, und meine Lippen, die in den letzten Wochen gar nicht mehr zugeheilt waren, setzten frische Haut an.
An dem Abend spät kamen auch vier Guanakajäger mit fünfzehn mächtigen Hunden zurück, mit denen sie das arme Thier in den Bergen zu Tode gehetzt hatten. Das ist die einzige Art wie sie das Wild in dieser Gegend erlegen können, denn Feuergewehr führen sie nicht, oder wissen nur so mittelmäßig damit umzugehen, daß sie sich nicht darauf verlassen können.
Hier hatten sich unsere Maulthiere, die von da an, wie mein Vaquiano sagte, in den Bergen nicht mehr viel Futter finden würden, noch einmal tüchtig satt gefressen, und die armen Bestien schienen es fast zu wissen daß es jetzt einem für sie schlechten Terrain zugehe, denn so wie sich nur Einer der Einfriedigung näherte, spitzten sie schon die Ohren und liefen nach dem entferntesten Ende derselben, um nur nicht eingefangen zu werden. Arme Geschöpfe, das hilft euch nichts – der Lasso erreicht euch, wo ihr auch seyd, und seiner fliegenden Schlinge, unter der ihr erschreckt und zitternd zusammenzuckt, entgeht ihr nicht.
Am nächsten Morgen – Sonnabend, den 14. Julius, brachen wir früh auf und zwar jetzt dem Eingang der Cordilleren, einem schmalen Thale zu, das sich der Tucunjado in die Felsen gerissen. Wir blieben an der linken Seite des Bergstroms, und ich mußte staunend sehen, wie sich die Spuren des jetzt allerdings niederen Stromes bis zu 30 und 40 Fuß über uns erhoben, und dann noch Zeugniß gaben, wie er das nächste niedere Land überschwemmt habe. Eine furchtbare Gewalt muß es seyn, die all die tausend Wasser dieser ungeheuren Bergkette im Frühjahr sammelt und donnernd ins Thal hinabsendet, und nicht zu verwundern ist's dann, daß sie ganze Felsstücke mit fortreißt, und selbst an den steinigen Ufern mit Erfolg wühlt und gräbt, und ihr Bett verändert und erweitert.
Der Anblick des Gebirges war von hier wahrhaft wundervoll – wie eine riesige Wand lag die ganze fest in sich zusammengedrängte Masse der eigentlichen Cordilleren, des Rückenmarks eines ganzen ungeheuren Welttheils, das sich aus den Eisregionen des Nordens bis hinunter erstreckt zum 53. Grad Süder Breite und dort noch, am Cap Horn mit der starren Felsenstirne weit und trotzig in die dagegen vergebens anstürmende See hinaus droht – gerade und hochaufstrebend vor uns, und eine zackige Schneemasse krönte die gewaltigen Gipfel. Aber es sah nicht aus, als ob der Schnee auf diese Berge niedergefallen wäre, sondern der ganze obere Theil der Gebirgsmasse schien aus Schnee und Eis zu bestehen, so blitzte und funkelte und strahlte es im hellen fröhlichen Sonnenlicht und nur hie und da, wo die senkrecht niederschießenden Hänge so schroff und glatt abfielen, daß auch nicht eine Flocke daran hatte haften können, zeigte der alte Berg die nackten Glieder und verrieth dadurch die ungeheuren Schichten des gefangenen Schnees, der in seine Zacken hineingeweht worden, und dort Schluchten ausfüllte, in denen andere Gebirge Raum gehabt hätten.
Im Anfang war der Weg ziemlich gut, d. h. steinig und abschüssig genug, aber doch breit und nicht gefährlich, wir waren ja einmal in den Bergen, wo es eben keine Chausseen mehr gibt; je weiter wir aber hineinkamen, desto höher mußten wir auch hinauf, und desto näher traten von beiden Seiten die Gebirge zusammen, so daß der jetzt plötzlich ganz schmale Pfad schon anfing an steilen bröcklichen Schluchten hinzuführen, und die Maulthiere nicht mehr die Wahl hatten wo sie gehen wollten, sondern sich auf den einen schmalen Weg verwiesen sahen. Oft passirten wir jetzt Plätze, wo links der Abgrund viele hundert Fuß steil unter uns lag, während rechts schroffe vorragende Felsstücke jedes Abdrängen davon auf das unerbittlichste versagten, so allmählig kamen wir aber in diesen Engpaß hin, und so viel des Neuen umgab mich zu derselben Zeit, daß ich im Anfang kaum auf den Weg achtete. Mein Blick hing in den steilen, gäh niederschießenden Schluchten die oben, von weichen schimmernden Schneeschichten ausgefüllt, unten von grünen Myrthenbüschen bewachsen waren und hier – dort drüben strich er mit langsam gewaltigem Flügelschlag – sah ich den ersten Condor, den Riesengeyer dieser Berge und zum erstenmal fing ich hier an die unendliche Größe der Gebirge zu ahnen als der ungeheure Vogel, der so dicht an uns hingeflogen war daß ich das scharfe Schlagen seiner Schwingen hatte hören können, nach dem gegenüberliegenden Hang, den ich für nur wenig hundert Schritte entfernt gehalten hatte, hinüber und weiter und weiter strich, und die Hänge immer noch nicht erreichte, und zuletzt so klein aussah wie ein junger Rabe.
Der Weg wurde aber wirklich immer schmaler, und wo er sich vor uns in Schlangenlinien dicht um die Felsen schmiegte, schien es mir plötzlich als ob er dort vollkommen aufhöre, denn mein sonst gewiß scharfes Auge konnte nicht die Spur eines Aussprungs mehr entdecken, und doch befanden wir uns schon mehre hundert Fuß über dem kleinen Strom, der tief unter uns wie ein Milchbach über Felsblöcke, die aber in dieser Entfernung wie Kiesel aussahen, dahinsprudelte – und hinauf? – lieber Gott die ganzen Cordilleren lagen noch wie in einer schroffen Felsmasse über uns, und da hinauf konnte der Pfad unmöglich gehen. – Aber der helle Streifen, der eigentlich nur wie eine Ader in dem dunkleren Gestein aussah, konnte doch auch wahrhaftig nicht der Pfad seyn auf dem wir, an solchem Abgrund hin, mit unseren Thieren die Bahn suchen sollten.
Doch ich durfte nicht mehr so weit vorausschauen; die nächste Nähe nahm bald meine ganze Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch und es fing schon an einige Selbstüberwindung dazu zu gehören das Thier das ich ritt, an solchen Stellen nicht leiten zu wollen. Mein Vaquiano hatte mir aber besonders angerathen an irgend einem, mir vielleicht gefährlich scheinenden Paß, dem Maulthier nur ganz ruhig und unbesorgt den Zügel zu lassen, denn das wisse gewöhnlich am allerbesten wohin es treten müsse, seine Knochen gesund und unzerbrochen über die Berge zu bringen – und nun – wahrlich das war die Stelle von der ich schon früher gehört – an deren Fuß unten Massen von Maulthieren zerschmettert lagen, und wo ein einziger Fehltritt Thier und Reiter – todt, ehe sie den Boden erreichten – in die Tiefe senden mußte. Dabei führt der Maulthierpfad auch gerade am alleräußersten Rande hin, denn die Maulthiere müssen mit ihren Packen so weit vom Felsen abgehen wie nur möglich, da sie, sobald sie an diesen fest anstoßen, verloren sind. Für den, an solche halsbrechende Partien nicht gewohnten Europäer hat es aber etwas höchst fatales, das Thier auf dem er reitet förmlich über den Abgrund fortschreiten zu sehen, während doch zur Rechten noch gewiß drei Zoll Raum sind, die es wenigstens ein klein wenig von dem gähnenden Schlund abbrächten. Auch mir kam es so vor und als ich, scheu zwischen dem Steigbügel und der Schulter des Thieres hinunterschauend, in die Tiefe blickte und dort, Gott weiß wie tief unten, die Massen von Maulthiergerippen sah, die mahnend zu mir heraufstarrten, da griff ich fast unwillkürlich dem Thiere das ich ritt in die Zügel, und that dadurch etwas, was der Reiter auf solchen Stellen nur im äußersten Nothfall thun sollte – ein anderer mag da aber auch fischblütig zusehen.
Dadurch nämlich daß ich den Kopf meines Maulthiers vom Abgrund wegzudrängen suchte, verlor dieses seinen sicheren Schritt, trat zur Seite, stieß mit der Satteltasche an den Felsen an, erschrack wahrscheinlich selber darüber und – nein lieber Leser, wir stürzten nicht zusammen da hinunter, sonst könnte ich dir meine Fahrt hier nicht erzählen – es stolperte nur, aber wie es fehl trat, und der Stein an den es stieß nur eben vielleicht einen Zollbreit von seiner Stelle gestoßen wurde und auch gleich geräuschlos in die Tiefe stürzte, wo er lange, lange nachher dumpfdröhnend anschlug, da – ja ich brauche mich deß nicht zu schämen, denn es war mir allerdings nicht egal ob ich hinunterfiel oder oben blieb – da lief's mir doch eiskalt und fröstelnd den Rücken hinunter, und es war als ob mir das Blut in den Adern stockte. Die Maulthiere sind aber vortreffliche Geschöpfe, und wenn ich auch nicht eingebildet genug bin zu glauben, daß es sich nur meinetwegen bemüht habe wieder festen Fuß zu fassen, so that es das doch seines eigenen langohrigen Selbst willen, und schritt gleich darauf so ruhig und sicher als ob gar nichts vorgefallen gewesen, und wir nicht secundenlang am Rand eines entsetzlichen Grabes gehangen, über die gefährliche Stelle hinweg; ich ließ ihm aber von da an, besonders an solchen Orten, den Zügel vollkommen, und habe mich nur Wohl dabei befunden.
Diese Stelle war aber keineswegs, wie ich früher immer geglaubt, nur wenige Fuß, sondern im Gegentheil viele hundert Schritt lang, und ich fand jetzt daß alle die Plätze, wo ich den helleren bandartigen Streifen um steile Felshänge herum schon vorher mit den Augen verfolgt hatte, wirklich ein eben solcher, oder doch wenigstens ganz ähnlicher Pfad waren, dem wir, wir mochten jetzt wollen oder nicht, treu bleiben mußten, denn an manchen Orten hätten wir die Maulthiere nicht einmal wenden können.
Trotzdem soll es doch etwas ungemein seltenes seyn, daß ein Thier mit einem Reiter in diese Tiefe stürzt, und die meisten die hier verunglücken sind Lastthiere, und zwar alte Lastthiere die von den jungen, zum erstenmal diese Bahn beschreitenden, hinabgedrängt werden. Das junge Thier stößt nämlich im Anfang gewöhnlich zuerst ein paarmal mit seinen Packen an die Felsen, und wird dadurch von selber dem äußersten Rande der gefährlichen Bahn zugewiesen. In den vor ihm gähnenden Abgrund kann aber das arme erschreckte, von dem Treiber noch gepeinigte Thier, nur mit Entsetzen hinabschauen und um diesem Anblick zu entgehen drängt es jetzt in ängstlicher Hast, unbekümmert ob seine Packen gegen den Fels anschlagen, den Kopf zwischen das ihm nächste, vor ihm gehende Thier und den Felsen hinein und das arme, also mit Gewalt dem Abgrund zugeschobene Wesen stürzt, so kaum wenige Zoll von dem äußersten Rand entfernt, vielleicht mit einem Fuß schon auf einem schwankenden Steine stehend, rettungslos in die Tiefe.
Ist der Fluß nicht zu hoch, dann gehen wohl einige der Treiber zurück um gleich von vorn herein dem Lauf des Tucunjado unten am Wasser zu folgen und wenigstens die Packen und den Sattel noch zu retten, hat es aber kurz vorher geregnet, so dürfen sie das nicht einmal wagen, denn der Strom schwillt manchmal so reißend schnell an, daß sie, in der engen Schlucht von ihm überrascht, vielleicht selbst ihr Leben noch dabei einbüßen könnten, und tritt erst einmal das Wasser aus dem schmalen Bett, dann ist auch alles was in seinen Bereich kommt verloren.
Eine andere böse Stelle ja fast noch schlimmere Stelle als die vorige, hatten wir nur wenige Stunden später an demselben Felshang zu passiren; der Weg war hier ebenso schmal, der Abgrund ebenso tief und noch dazu eine Schneewehe, oben von den Bergen herunter, gerade darüber hingestürzt, so daß man den Pfad nicht einmal unterscheiden konnte. Der Führer war vorangeritten, und durch ein Felsstück meinen Augen entzogen worden, so daß ich nicht bemerkte ob er im Sattel geblieben oder abgestiegen war, ich ritt denn auch ruhig fort, bis ich plötzlich dicht vor der schmalen bösartigen Schneewehe stand, wo das Thier im wahren Sinn des Worts einen durch den darüber gestürzten Schnee noch unsicher gemachten Pfad von höchstens vier Zoll Breite hatte und die hinter mir herkommenden Peons riefen mir plötzlich mit lauter Stimme zu »abzusteigen.«
Das war eine höchst interessante Lage – den einzigen Platz wo man noch absteigen konnte hatte ich versäumt – links hinunter, wie es sich gehört, konnte ich gar nicht, denn auch kein Zollbreit war da, auf den ich hätte fußen können, und rechts stieg dicht am Maulthier der Felsen empor – zurück konnt' ich ebensowenig, da half also kein langes Besinnen, ich mußte, so gut das gehen wollte, an der rechten Seite des Thieres hinunter, zwischen dieses und den Felsen hinein – wobei sich das arme Wesen, das natürlich fürchtete den Abgrund hinabgeschoben zu werden, so fest als es nur möglicherweise konnte, gegen mich anpreßte. Nichtsdestoweniger gelang es mir endlich – ich kroch dann unter seinem Kopf vor und schritt langsam den schmalen Pfad im Schnee – der übrigens kaum sechs Schritt lang war, voran – das Maulthier folgte, und wir legten auch diesen Weg glücklich mitsammen zurück.
Der Weg blieb von da an wohl noch immer schmal und gefährlich, wir waren aber durch diese Engpässe so an Schluchten und Abhänge gewöhnt worden, daß ich schon anfing einen Pfad von drei Fuß Breite, neben einem gähnenden Abgrund hin, für etwas chausseeartiges zu halten, und dem Thier dabei unbekümmert die Sporen gab.
»Aber warum steigt der Reiter überhaupt an solchen Engpässen nicht ab?« fragt hier der Leser, und eigentlich mit ganz gutem Grund – »es ist doch tausendmal besser ein paar Meilen zu Fuße zu gehen und einfach das Maulthier und seine Satteltasche zu riskiren, als Leib und Leben leichtsinniger Weise im Sattel preiszugeben.«
Ein richtiger Grund existirt dafür freilich nicht – die Bergbewohner bleiben aber im Sattel – sehr wahrscheinlich weil sie zu faul sind den Weg zu gehen – und der Fremde, der manchmal diese Stellen besucht, scheut sich dann gewöhnlich weniger Muth zu zeigen – wie er nämlich glaubt – als diese, die sich nur wundern würden wenn er ginge, daß er sich einer solchen Unbequemlichkeit unnützer Weise aussetzt. Daß sie zerschmettert werden würden, wenn ihr Maulthier einen falschen Schritt thut, wissen sie dabei recht gut, aber auch eben so genau was ihr eigenes Leben werth ist – und das scheint sich dann meistens des Absteigens nicht zu lohnen.
Die Nacht lagerten wir an der Schneegrenze, und es war, da wir auch nicht einmal Holz zu einem ordentlichen Feuer hatten, ziemlich kalt; an Auslagern aber gewöhnt, richtete ich mir mein Lager mit Hülfe des Sattels und meiner Decken so gut her, daß ich weich und warm bis zum nächsten Morgen schlief und der Führer, ein Chilene, der die Berge schon gar oft passirt war, gab mir das höchst schmeichelhafte Zeugniß – »wenn ich auch wirklich weiter nichts verstände, wüßt' ich doch wenigstens mein Bett zu machen.«
Unsere Thiere fuhren hier sehr schlecht – nicht ein Grashalm wuchs dort für sie, an dem sie sich hätten letzen können, nur hie und da gelbes, strohartiges Gestrüpp, das noch vom Sommer her die dürren saftlosen Halme aus einzelnen Ritzen vorsteckte, wo vielleicht vor Jahren Maulthierdünger ein wenig Fruchterde gesammelt hatten. Selbst einen Schluck Wasser zu bekommen mußten sie mehre hundert Fuß eine steile bröckliche Schlucht hinunterklettern, dort mit Lebensgefahr saufen, und nachher wieder, müde wie sie waren heraufklimmen – und nachher keinen Bissen zu fressen.
Als ich sie übrigens bedauerte meinte der Vaquiano ganz ruhig – oh heute ist nur der erste Abend, da spüren sie noch nichts, wenn's aber länger dauert geht's ihnen freilich hart an, doch sind sie zäh und können ungemein viel aushalten. Und länger mußte es allerdings dauern, denn vor uns lagen die Schneegebirge und ich zweifelte sehr daß ihnen dort oben selbst die schwache Erholung gewährt werden würde, Zahnstocher zu kauen.
Von hier ab verließen wir aber auch den harten festen Boden und betraten die Schneeregion, die wir bis dahin sich fortwährend über unseren Köpfen hin aber doch näher und näher hatten ziehen sehen. Jetzt reichte sie bis zu uns nieder, und wie abgeschnitten fast liefen plötzlich, erst ein paar Windwehen über den Pfad hinüber, vielleicht zwanzig Schritt breit und wieder ebensoviel Raum hart gefrorenen nackten Steinbodens zwischen sich lassend, und dann plötzlich begannen sie in einer, ununterbrochenen öden blitzenden Fläche.
Der Winter hatte sein Leichentuch über die schlummernden Kordilleren geworfen, und die kecken Menschenkindlein wagten, es mit Füßen zu treten.
Sonntag, den 15. Juli machten wir nur einen kurzen Marsch, denn die Peons hatten, anstatt ihre Vorbereitungen in Mendoza zu treffen wie sie vorgegeben, alles das versäumt, und vergeudeten nun hier förmlich einen ganzen Tag ein Taschentuch voll Kohlen zu brennen und ihre Schneeschuhe vorzubereiten. Unter Schneeschuh darf sich der Leser aber nicht die in Nordamerika gebräuchlichen weidengeflochtenen Gestelle denken; die hiesigen sollen nicht dazu dienen über den Schnee hinzulaufen, sondern nur denselben von den Füßen abzuhalten, und diese werden deßhalb erst in ein weiches Schaffell dicht eingeschlagen und umwickelt, und bekommen dann noch eine feste rindslederne Sohle, was, wie sich später zeigte, Klima und Umständen auf das vortrefflichste angemessen ist.
An dem Hügel nun wo wir lagerten und die Kohlen brannten, hatten wir schon eine ganze Weile auf unseren Führer gewartet, der vor etwa einer Stunde zurückgeblieben war, und jetzt erst, viel später eintraf. Endlich kam er und trug etwas, dem Anschein nach ziemlich Schweres und Umfangreiches in seinem Poncho. Ich glaubte erst es seyen Kohlen, er aber bog sich zu mir über, öffnete den Poncho und zeigte mir eine wahre Unmasse der vortrefflichsten Rosinen – Traubenrosinen im Schnee. »Wo er die her habe,« war wohl die erste und natürlichste Frage, er aber zeigte lachend nach einer gar nicht entfernten, ebenfalls mit Schnee zum großen Theil bedeckten Felswand hin und versicherte mich: von dort her, und es seyen noch eine ganze Menge dort.
Das war jedenfalls ein Naturwunder – konnten die Trauben hier an einem, vielleicht vor der Kälte geschützten Ort gereift und zu Rosinen geworden seyn? – aber diese Süße – den Ort mußte ich unter jeder Bedingung in Augenschein nehmen, und trotz des tiefen Schnees machte ich mich, da die Maulthiere abgesattelt standen, zu Fuße auf, dieß Naturwunder zu besuchen.
Fünfhundert Schritt mußt' ich etwa gehen, da überschritt ich einen kleinen niederen Hügel, kam zu den bezeichneten Felsen und fand – keine Rebenstöcke mit aus dem Schnee vorragenden Trauben, wie ich sie höchst romantischerweise wirklich erwartet, sondern einige zwanzig hier verlassen stehende Kisten mit Rosinen, die ein vom Schneesturm überraschter Maulthiertrupp hatte zurücklassen müssen, um nur Menschen und Thiere in Sicherheit zu bringen. Und diese, hier durch Zwang den Vorbeipassirenden Preis gegebenen Güter wurden so von denen respectirt, die selbst nur zu oft mit Waaren durch die Berge zogen, und denen jeden Tag ein gleiches passiren konnte? – Als ich noch dastand, und kopfschüttelnd den hier halb im Schnee vergrabenen Vorrath betrachtete, von dem schon zwei Kisten fast ganz geleert und eine dritte angebrochen waren, kam einer unserer Peons auf seinem Thiere ebenfalls herangesprengt, und begann, ohne weitere Umstände, seine mitgebrachten Satteltaschen zu füllen; ich machte ihm, so gut ich das vermochte, Vorstellungen deßhalb, er lachte aber nur und meinte, »wenn er es nicht nähme nähmen es andere,« wie Figura zeigte, und schien darin überhaupt gar nichts außerordentliches zu finden daß er fremdes Eigenthum plünderte. Das Kohlenbrennen selber war ein höchst einfaches Geschäft – mit ihren langen Messern gingen die Burschen daran das Holz der kleinen niederen Büsche, die hier noch wuchsen, abzuhauen oder da wo es sich brechen ließ, niederzubrechen und schafften das jetzt Alles auf zwei ziemlich hohe Haufen die sie zusammentraten, so gut das eben gehen wollte, und dann anzündeten. Als das Holz zu Kohle heruntergebrannt war, überdeckten sie den jetzt ziemlich klein gewordenen Haufen mit etwa drei Zoll Erde und ließen das Feuer solcher Art ausgehen. Die ganze Kohlenmasse betrug solcher Art etwa fünfzehn Pfund die sich Einer der Peons am anderen Morgen in ein altes Hemd band und auf den Rücken warf, und ich meinestheils sah noch nicht recht ein wie wir mit der Kleinigkeit Feuerung durch den ganzen Schnee kommen wollten – wenn es nicht unterwegs Aushülfe gab – und gab es das, wozu dann überhaupt die Kohlen?
Doch es wäre thöricht gewesen sich jetzt mit solchen Sachen den Kopf zu zerbrechen, und ich schlenderte indessen ein wenig an dem Hügel herum, zu sehen ob ich nicht die Fährten irgend eines wilden Thieres im Schnee erkennen könnte.
Fuchsfährten, die wenigstens den unsrigen auf ein Haar glichen, schienen viele da zu seyen, von einem größeren vierfüßigen Raubthier konnte ich aber nichts weiter erkennen – nur ein Strauß mußte sich hier in diese Schneewüste hinaufgemacht haben– hier im Schnee und dort im weichen, feuchten nackten Boden ließen sich die enormen Spuren des Thieres auf das genaueste erkennen.
Als ich aber meinen Begleitern von einem avestruz erzählte, lachten sie laut auf und der Vaquiano meinte, der Strauß ließe sich nicht, selbst in den ersten und niedrigsten Hügeln, besonders nicht im Winter, blicken, und wenn hier dem Boden die Spuren eines großen Vogels eingedrückt wären, so könne es eben nur der Condor seyn.
Ich wollte erst gar nicht glauben daß es einen Raubvogel auf der Welt gäbe, der eine solche Spur hinterlassen könne und hatte an einen Condor in der That anfangs gar nicht gedacht, bei genauerer Untersuchung fand ich aber doch daß der Mann recht habe; die Krallen gingen tief tief in den Boden hinein, wo das kolossale Thier hingetreten hatte, und selbst der Schritt war einwärts, nicht gerade gestellt wie beim Strauß.
Nicht weit von dort, wo wir uns jetzt befanden, sollte auch, der Aussage meiner Führer nach, una casa, ein Haus an der sogenannten punta del vaca stehen, wo wir noch an diesem selben Abend übernachten wollten. Meine Erwartungen darüber, als wir es etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichten, waren aber, wie ich mir dort gestehen mußte, etwas zu exaltirt gewesen, denn wir fanden nur eine kleine niedere und vorn offene, roh aus Steinen errichtete, und mit Reisig und Erde gedeckte Doppelhütte, und ringsum tiefen Schnee, selbst kein Holz ein Feuer anzumachen, und nur einige, früher einmal hier zurückgelassene Kohlen.
Und was bekamen die Maulthiere zu fressen? – nichts – zum Wasser wurden sie einmal getrieben, und dann mußten sie die ganze Nacht, ohne auch nur einen Grashalm zu bekommen, mit den wundgescheuerten Rücken in der kalten Hütte stehen; ja selbst, wenn sie am anderen Morgen von hier zurückgingen, konnte der nächste Abend ihnen doch noch kaum Nahrung bringen.
Die Maulthiere sind wirklich nach dem Kameel wohl das zäheste, ausdauerndste Lastthier der Welt, denn welches andere Geschöpf hätte das bei schwerer Arbeit ausgehalten, zwei Tage in die Gebirge und zwei wieder hinaus, ohne eine Handvoll ordentliches Futter – ja zwei Tage davon, auch ohne nur einen Grashalm zu sehen, Berg auf- und abzumarschiren und an Hängen hinzuklettern, wo sie sich manchmal ordentlich mit den Hufen festhalten mußten.
Im Sommer, wenn sie die ganze Tour über die Cordilleren zurücklegen können, haben sie's übrigens nicht besser, und sind häufig vier volle Tage auch total ohne Futter, wo sie dann den trocken gewordenen Dünger anderer Maulthiere, als einziges zu erreichendes Nahrungsmittel, verzehren – und dabei bestehen.
Manchmal halten sie's aber auch nicht aus, wenn der rohe gefühllose Mensch Last auf Last auf ihren Rücken ladet und die erschöpften Glieder in den steilen Bergen endlich den Dienst versagen; Zeugniß davon geben die Unmassen von Maulthiergerippen, die überall an dem ganzen Weg durch die Cordilleren liegen, und die da, wo sie starben, auch unter ihrer Last erlagen und eben ruhig ihrem Schicksal überlassen wurden. Die Condors und andere Raubvögel reinigen dann in ungemein schneller Zeit das Aas, und an dem Gerippe vorbei – nie darüber hinweg – suchen sich die nachkommenden Maulthiere die Bahn. Am nächsten Morgen standen wir früh zum Marsch gerüstet; zu meinem Erstaunen that aber mein Führer gar nicht so, als ob er überhaupt beabsichtige seinen Fuß in Schnee zu setzen – und in der That beabsichtigte er das auch wirklich nicht. Er eröffnete mir jetzt, daß er mit den Maulthieren hier umkehren werde, ich aber mit den Peons meinen Weg weiter und allein suchen müsse. Auf der anderen Seite der Cordilleren würde ich dann von seinem Vater, der dort ansässig wäre, andere Pferde bekommen die mich nach Valparaiso brächten. Ich verstand zu wenig Spanisch um dagegen ernstlich zu protestiren, im Grunde war mir's auch wirklich einerlei, wenn er nur drüben sein Wort erfüllte, und wir brachen jetzt, nachdem ich gegen den Schnee alle möglichen Vorsichtsmaßregeln gebraucht, auf, unseren beschwerlichen, und wenn ein Unwetter eintrat, auch wirklich gefährlichen Weg so rasch wie nur immer möglich zurückzulegen. Die Schreckensgeschichten nämlich, die man mir von einem Wintermarsch durch die Cordilleren erzählt hatte, gingen wirklich ins Unglaubliche – wie viele waren schon in dem Schnee, wenn die Sonne darauf schien, erblindet – wie viele in plötzlichen »temporales erfroren. – Bestätigt ist, daß einmal in den argentinischen Kriegen ein ganzer Trupp der feindlichen besiegten Truppen in Winterszeit in die Berge flüchtete, um nach Chile zu entkommen und dort in den hie und da errichteten kleinen Steinhäusern jämmerlich verhungerte oder erfror. Kurz alle diese Erzählungen hatten keinenfalls viel Ermuthigendes, und konnten nur dazu dienen, mir den ganzen Weg als etwas Entsetzliches erscheinen zu lassen. Bald fand ich jedoch, daß wenigstens der Anfang nicht so gräßlich sey als er geschildert worden – die grüne Brille, die ich in der Tasche trug, meinen Augen im Nothfall zu Hülfe zu kommen, blieb eben in der Tasche; ich brauchte sie gar nicht, obgleich die Sonne gewiß aus besten Kräften auf den blendenden Schnee herniederblitzte – ei, zum Wetter, unsere deutschen Schneeflächen sind so weiß wie die der Cordilleren, die Sonne scheint dort ebenso hell, und man trägt doch keine grünen Brillen. Auch fand ich bald, daß ich am Körper vollkommen warm genug gekleidet sey, denn die scharfe Bewegung thut auch schon das Ihrige ihn zu erwärmen. So wanderten wir denn (ich voran, um im Thal hinauf eine Bahn zu treten, in der mir die mit meinem Sattel und Provisionen Beladenen leichter folgen könnten) zwar langsam, denn der tiefe Schnee ließ keine Eilmärsche zu, aber doch rüstig vorwärts, und hatten jetzt, wenn wir einmal ausruhen wollten, kein anderes Lager als den Schnee oder einen durch den Wind von seiner Decke befreiten Felsen.
Hierbei muß ich aber noch eines höchst nützlichen Meubles Erwähnung thun, das jeder Gebirgswanderer bei sich und auch wirklich nöthig hat. Es ist dieß ein Stuhl – aber weder von Mahagoni noch Kirschbaum, weder gepolstert noch rohrgestochten, weder drei-, vier- noch einbeinig und überhaupt kein Stuhl, wie wir ihn eigentlich in civilisirten Ländern zu sehen gewohnt sind, sondern einzig und allein ein Schaffell, das umgürtet wird und hinten bis tief unter den »letzten Rückenwirbel« hinunterhängt. Mit dem kann man sich getrost auf den Schnee niederlassen, man wird sich nicht erkälten, und es liegt stets auf der rechten Stelle.
Unser Weg lag noch immer an dem kleinen Flusse hin, dessen Lauf wir schon aus dem Thal herauf gefolgt waren, als wir aber die erste Felsenspitze umschritten, die über der punta del vaca hinauslief und diesen Platz etwas gegen die Nordweststürme schützte, breitete sich ein Schauspiel vor unseren Blicken aus, das ich nie im Leben vergessen werde.
Tief in das Gebirge hinein dehnte sich ein weites Thal und himmelauf an beiden Seiten, obgleich wir doch schon mehrere Tage aufwärts geklettert waren, starrten die Berge empor in wilden phantastischen Massen, hier durch gewaltige Schneewehen zu einem glatten, fast abgerundeten Ganzen zusammengegossen, dort wieder wie Riesen, die gewaltsam den drängenden Schnee von sich abschüttelten, schroff und nackt auseinandergerissen.
Der Anblick war furchtbar schön, und ich blieb wirklich erstaunt vor dem prachtvollen Panorama stehen das sich in einer Ausdehnung, von der ich damals selber keinen Begriff hatte – denn ich wußte noch nicht, wie nah die dünne durchsichtige Luft uns in solcher Höhe, selbst die entferntesten Gegenstände, rückt – vor mir ausbreitete.
Meine beiden Begleiter benützten diese Gelegenheit ihren ersten Ruhepunkt zu machen, und ihr wunderliches monotones Singen lenkte meine Aufmerksamkeit zuerst wieder von den kühnen Conturen der mich umgebenden Gebirgsmassen ab und den beiden Burschen zu, die allerdings ebenfalls originell genug aussahen.
Meine Banditen waren, wie schon gesagt, stehen geblieben und den Oberkörper vorn überbiegend, während sie sich mit beiden Händen auf den langen Stab stützten, den sie als Schneestange mit sich führten, brachten sie die Last die sie trugen, die aber keineswegs übermäßig schwer war, gerade auf ihren Rücken, der sich darunter zu biegen schien, und eine Art Lied, das nur aus zwei Tönen bestand, dabei mehr murmelnd als singend, gönnten sie so den »Hüftknochen,« wie sie sagten, eine kurze Rast.
Das geschehen, und als sie sahen daß ich ebenfalls wieder marschfertig war, richteten sie sich empor, und weiter ging's, einem kleinen runden Gebäude, einer sogenannten casucha zu, die wir deutlich, und wie es schien, in gar nicht großer Entfernung vor uns konnten liegen sehen. Meiner Berechnung nach glaubte ich wenigstens, daß wir in zwei, spätestens drei Stunden recht gut müßten dort seyn können. Zu meinem Erstaunen marschirten und marschirten wir aber den ganzen Tag bis Abends fast zu Sonnenuntergang, und als wir endlich ihren Eingang erreichten, und ich zurückschaute, sah der Berghang, an dessen anderen Seite die punta del vaca lag, gerade so aus, als ob eine Büchsenkugel bis dorthin getragen haben würde – und wir waren den ganzen Tag gewandert.
Von Morgens bis Abends hatten wir nun allerdings nur vier Leguas zurückgelegt, waren aber doch so erschöpft als ob wir sechzehn gemacht hätten. Das Waten in dem tiefen Schnee ermüdet ungemein, noch dazu, da der Fuß gar keinen festen Haltpunkt findet auf dem er Grund fassen kann. Die Schneeschichten sind allerdings viel zu tief, als daß sie den Körper bis ganz hinunterlassen sollten, nur beim Heben desselben geben sie wieder nach, und gewähren so nie einen festen, sondern stets einen unsicheren Tritt.
Eine nähere Erwähnung verdienen jedoch hier diese, im Lande sogenannten Casuchas, ohne deren Hülfe eine Winterreise durch die Cordilleren, wenn nicht unmöglich, doch mit wirklicher Lebensgefahr verknüpft wäre. Es sind kleine einfache Hütten, aus Backsteinen und zwar gewölbt gebaut, um dem Wanderer bei etwa eintretendem Schneesturm ein Obdach zu bieten. Zu diesem Zweck stehen sie auch wohl auf zehn bis zwölf Fuß hohem Mauerwerk, zu dem eine Treppe hinaufführt, damit sie nicht so leicht verweht werden können. Bequemlichkeiten bieten sie freilich weiter keine als eben nur die vier nackten Wände und die Nähe des Wassers, denn Feuerung muß sich jeder, will er sie haben, mitbringen. Nicht selten geschieht es dabei, daß bei einem recht scharfen Schneesturm Reisende schon acht, vierzehn Tage, ja vier Wochen in ihnen festgehalten wurden, und dann vor Kälte und Hunger fast umkamen, und noch der letzte Correo, der nach Chile hinüberging, war genöthigt, eilf volle Tage in einem dieser kleinen Rettungshäuschen beizulegen, weil Schnee und Sturm ihn keinen Schritt weit hinaus ließen. Ohne dieselben wäre der Reisende aber gewiß rettungslos verloren, überraschte ihn nur das geringste Wetter, denn er ist erstlich nicht im Stande genug Feuerung mitzunehmen, sich auch nur eine Stunde an jedem Abend warm zu halten, und die furchtbaren Schneewehen, die solchen Temporales eigen sind, würden ihn bald bedecken und vernichten.
In der argentinischen Republik stehen diese Casuchas nur etwas zu weit von einander entfernt, und wer gerade in der Mitte zwischen zweien einmal von einem tüchtigen Wetter überfallen wird, kann von Glück sagen wenn er mit dem Leben davon kommt.
Wir fanden einige Kohlen in dieser Casucha, brauchten also unseren kleinen Vorrath nicht gleich anzugreifen, und machten uns etwas kochend Wasser zu Thee und einer »Charquesuppe«, die ich dem Leser in der That nicht appetitlich genug schildern kann.
Zuerst muß ich ihm freilich die Nothwendigkeit der Suppe überhaupt darthun; das Charque oder getrocknete Fleisch war nämlich so hart geschlagen und so zäh, daß es erst wieder förmlich zwischen zwei Steinen zermalmt und dann in heißem Wasser halb aufgelöst werden mußte, um nur einigermaßen genießbar zu werden.
War das Fleisch soweit zubereitet und das Wasser kochend, dann nahm Barbarino ein altes, zu diesem Zweck mitgebrachtes Kuhhorn, bließ zuerst hinein, alles unnöthige, was sich vielleicht darin gesammelt haben mochte, zu entfernen, wischte es möglicherweise, wenn er einmal gerade seinen eigenen Tag hatte, mit dem einen Zipfel seines wahrhaft schauerlich schmutzigen Ponchos aus, bröckelte dann mit den Händen, an die keiner von ihnen auch nur einen Tropfen Wasser brachte, wenn sie das irgend vermeiden konnten, etwas von dem Fleisch hinein, schnitt eine Zwiebel dazu, that etwas Salz und rothen Pfeffer dran und goß nun das heiße Wasser auf, was sich durch diesen Proceß augenblicklich in Suppe verwandelt.
So weit ging die Wasserscheu der beiden daß sie mir, als wir in die Gebirge kamen und ich mich wie gewöhnlich in dem kalten, aus den Schneeregionen niederströmenden Wasser wusch, ernstliche Vorstellungen deßhalb machten und mir auseinanderzusetzen suchten, wie ich aufgesprungene Hände, mit allen möglichen anderen Nachtheilen davon bekommen würde. Ganz entsetzt waren sie aber förmlich, als ich, selbst im Schnee angekommen, bei meinem leichtsinnigen Verfahren beharrte, und als gar keine Vorstellungen mehr halfen, lachten sie über mich, und erzählten es später sogar ihren Bekannten in Chile, daß sich der Fremde unterwegs gewaschen habe, und die wollten es nicht glauben. Als mir aber weder Gesicht noch Hände wirklich darnach aufsprangen und ich ihnen das zeigte, da schüttelten sie mit dem Kopf und zuckten die Achseln – sie waren jedenfalls fest davon überzeugt daß ich eine besondere Art Fell haben müsse, selbst das Waschen mit Schnee zu vertragen, was ihre zarte Haut unter keiner Bedingung aushalten würde. Und mit den Händen machten sie das Essen, mit den Händen brockten sie Brod in die Suppe und kneteten sie Zwiebeln und Fleisch zusammen – mich schauderts noch jetzt wenn ich daran denke, und doch aß ich damals, aber der Hunger triebs hinein, und ich betrachtete das Ganze auch wirklich als eine Art Sühne, wo ich, das einmal ausgestanden, nach meinem einstigen Tode jedenfalls gleich direct in den Himmel eingehen müsse.
Dazu besaß meine Begleitung noch das angenehme, daß ich ihr nicht recht trauen mochte, und alle Ursache zu haben glaubte sie, trotz meiner Müdigkeit, im Auge zu behalten. Sie hatten fortwährend mit einander leise zu flüstern, und die Gegend selber würde jeden feindlichen Anschlag den sie nur im Schilde haben mochten, auf das vollkommenste begünstigt haben. Ueberall die Schluchten und Schneestürze, die erst wieder in mehren Monaten aufthauten, und selbst in dem Fall Condor und Raubthiere in Masse, vorkommende Spuren zu vertilgen, außerdem die Cordilleren selber als Scheidewand zwischen beiden Ländern, was wollten sie mehr? Gelegenheit macht überdieß Diebe, und um ihnen die auch nicht im Geringsten zu geben, beschloß ich sie keinen Augenblick aus den Augen zu lassen, und mich besonders Nachts so zu placiren, daß sie im Dunkeln nie wissen konnten ob ich wirklich schlafe, oder mich nur so stelle. Ob ich ihnen dann unrecht that oder nicht – mir selber war ich jedenfalls diese kleine Aufmerksamkeit schuldig.
Die Nacht verging übrigens, außer dem Bellen der Füchse, die einen eigenthümlichen Lärm vollführten, ziemlich ruhig; ich ließ sich meine beiden Compañeros zuerst niederlegen und suchte dann die entgegengesetzte Ecke der Casucha, wo ich vor ihren Augen meine Büchsflinte neben mich legte, und die Pistole ebenfalls herauszog. Ich löschte dann das kleine Talglicht, das neben mir stand, aus, knackte ein paarmal mit den Hähnen, und war zehn Minuten später so sanft und süß eingeschlafen, als ob ich daheim in vollster Sicherheit in meinem eigenen Bett gelegen hätte.
Dienstag den 17. marschirten wir früh wieder aus und der ganze Tag schien eine Wiederholung des vorigen werden zu wollen. Die Berge, von denen ich am vorigen Morgen geglaubt hatte daß wir sie vor Mittag erreichen müßten, lagen noch allem Anschein nach ebenso weit von uns entfernt, und nur tieferen Schnee fanden wir in dem immer enger werdenden Thal, je höher wir stiegen, obgleich wir von dieser Seite aus nur sehr allmählig bergan zu klimmen hatten. Der Weg muß im Sommer ein wahrer Spazierritt seyn, jetzt aber galt es harte Arbeit und tüchtige Ausdauer, ihn zu überwinden. Es geschah heute mehrmals, daß einer von uns in den Schnee förmlich einbrach und durch die anderen herausgehoben werden mußte, und einmal stack ich so fest darin, daß, wär' ich allein gewesen, wohl nur das Messer mir wieder hätte Bahn hinaus machen können. Barbarino mußte mir aber dießmal die Hand reichen, und ich war auch dabei vollkommen unbesorgt ihm zu trauen, denn sie wußten, ich trug Pistolen bei mir, und daß ich schießen konnte hatte ich ihnen schon einigemal bewiesen.
Ein prachtvoller Anblick sollte mich aber bald darauf für alles bisher Ertragene reichlich entschädigen, die Peons hatten mir schon am Morgen gesagt daß wir zu einer heißen Quelle kommen würden, und diese erreichten wir etwa gegen Mittag.
Schon von weitem zeigten, aus dem Gott weiß wie tiefen Schnee vorragende Büsche, daß die Vegetation hier eine kräftigere als an den anderen dürren Orten seyn müsse, und eine kleine Anhöhe hinter der der Bergstrom verschwand, hinanklimmend, standen wir gleich darauf am hohen, abschüssigen Ufer desselben, und hatten, uns gegenüber aus den Felsen sprudelnd, die heißen Quellen, die sich in drei starken Armen Bahn aus dem beengenden Stein brachen, und wie durch die harte Arbeit erhitzt, den Qualm hoch hinaufsandten in die reine, kalte, klare Luft.
Der Anblick war wirklich überraschend großartig – die Uferbank, steil und überhängend, und die kochendheißen Strahlen zischend ausstoßend, gestattete allerdings hier dem Winter nicht sein warmes Kleid darüber zu decken, aber jene unterirdische Kraft konnte nicht verhindern, daß sich die kecken Kinder des alten grämlichen Greises, die munteren Flocken, dicht darum herlagerten und dem wunderlichen Treiben neugierig zuschauten, das tief und gewaltig aus dem Innern der Erde heraus selbst ihnen eine Grenze zu setzen wußte. Hoch über den Rand der Bank hinüberquellend, wie ein riesiges Federbett, das eben im Begriff ist durch sein eigenes Gewicht niederzurutschen und nur noch durch die angespannte Leinwand gehalten wird – hing eine kolossale Schneemasse, an denen die heißen, zu ihr aufsteigenden Dämpfe fortwährend leckten, die sie aber doch nicht im Stande waren, zu schmelzen, denn aus den Höhen hernieder zog es mit gar zu scharfem Luftzug, und raubte ihnen die Kraft. Was sie aber davon niedergezogen zu sich, das formten sie zu ein paar mächtigen von den wunderlichsten Tropffiguren gezierten Eissäulen an beiden Seiten, die das obere Schneegewölk auch wirklich trugen, und gegen sie hin spritzten die heißen Tropfen und die Sonne funkelte und blinkte auf ihren diamantenen Flächen und brach sich in den buntesten Regenbogenfarben an den zackigen Auswüchsen und in dem Sprühregen selber, der den Strahlen folgte. Aber die Säulen standen fest und unberührt – nichts geben sie her von dem was sie gewonnen, wo sich aber ein kecker Tropfen zu nahe an sie hinan wagte, da hielten sie ihn fest mit ihren blitzenden Armen, und ein neuer Brillant wurde es in ihr funkelndes Diadem.
Ich konnte mich nur schwer von dem wirklich herrlichen Punkte trennen, und wäre gar zu gern einmal zu dem heißen Strudel selber nieder gestiegen, das war aber, wie Eis und Schnee und die schroffe Bank die Stelle jetzt umlagert hielten, unmöglich, ich hätte mich erst müssen von dieser Seite hinein durch den Schnee graben, und wer weiß ob dann die Bank nicht eben so steil nieder ging und ich selber vielleicht zu Schaden gekommen wäre, hier in der Wildniß.
Ueberdieß würde es auch zu viel Zeit an eine Stelle gekostet haben, wo jede Stunde kostbar ist, und dem Säumenden der Tod werden kann für seinen Leichtsinn. Im Sommer soll dieser Platz aber von Mendoza aus, ja selbst von Chile her besucht werden, und dann ein reizender Aufenthalt seyn.
Schöner und lieblicher mag sich dann übrigens die Natur hier gestalten, das geb ich zu, aber großartiger wahrhaftig nicht.
Wir hatten von hier aus wieder einen sehr schlimmen und ermüdenden Marsch, denn zwei »Schneestürze« lagen in unserer Bahn die wir unmöglich, des daneben hinquellenden Stromes wegen, umgehen konnten, und deßhalb überklettern mußten.
In diesen Bergkuppen können nämlich keine Lawinen fallen, die Klüfte und Hänge gehen zu furchtbar steil hinab einem Schneeball zu erlauben, daß er langsam nach und nach ansetzen könnte; hat sich aber eine Masse Schnee auf einer dieser Stellen angehäuft, und wird das oben lastende Gewicht zu schwer für die kleine Basis unten, auf der sie ruht, so drückt sie nieder und ein einziger Schneesturz räumt dann manchmal ganze Felswände auf, die er kahl und nackt, bis zum nächsten Temporale, stehen läßt, während er eine Schneemasse ins Thal wirft von der man sich wahrlich keinen Begriff machen kann, wenn man sie selber nicht einmal überklettert hat.
Gefährlich ist es dabei gewöhnlich, zu sehr in der Nahe des Bergstromes selber zu bleiben, der, total von solchen Stürzen überdeckt, zuerst vollkommen gedämmt wird und sich dann, durch den Schnee arbeitend, ein neues Bett manchmal in einer größeren, oft auch in vielen kleinen Röhren bohrt. Wie gerade die Masse liegt, ist man jedenfalls der Möglichkeit ausgesetzt über solch unterirdischem Wasser, das dann seine förmlich ausgehöhlten Gewölbe schwemmt, zu dünne Decke zu finden, und durchzubrechen, und nicht immer träfe man eine Stelle an der man sich so leicht wieder hinaufarbeiten könnte.
Ueber einen dieser Schneestürze hatten wir volle drei Stunden zu klettern, und ich glaube nicht daß es für die Beine viel ermüdendere Sachen auf der Welt gibt.
Als wir endlich wieder eine der größeren Flächen erreichten, wo der Schnee wenigstens hart genug war uns nicht mehr als drei oder vier Zoll tief einsinken zu lassen, sah ich plötzlich einen Fuchs, der mir bedeutend kleiner als die europäischen Füchse schien, gerade auf uns zukommen. Er hatte allem Anschein nach auch nicht die geringste Idee, daß sich außer ihm noch andere lebende Wesen in dieser Schneewüste aufhalten könnten, und trabte so gemüthlich und sorglos über den Schnee, als ob er »bei sich zu Hause« wäre.
Jäger sind eigentlich recht grausame Geschöpfe; obgleich mir die arme Bestie in ihrem ganzen Leben noch nichts zu leide gethan, ja trotzdem, daß ich nicht einmal den geringsten Nutzen aus ihr ziehen konnte, wenn ich sie wirklich erlegte, war doch mein erster Gedanke Mord, und ich erwartete mit wahrhafter Schadenfreude den Augenblick wo der Fuchs in Schußnähe kommen würde.
Meine beiden Begleiter, die sich selber für die Sache zu interessiren anfingen, waren ebenfalls regungslos stehen geblieben, und paßten auf das Resultat, und Reineke kam wirklich so unbesorgt an, als er wahrscheinlich gewohnt war, jeden Nachmittag hier zu seiner bestimmten Zeit vorbei zu passiren. Plötzlich bekam er Wind – etwas was er hier nicht gewöhnlich fand, mußte seine Geruchsnerven getroffen haben, und er blieb sichernd stehen.
Meiner Rechnung nach, und als Jäger gewinnt man in der Distancebestimmung mit der Zeit eine ziemlich große Fertigkeit, stand er jetzt in etwa hundert Schritt Entfernung, also gerade treffliche Büchsenweite, – ich stach, und beim Schuß sprang der Fuchs hoch in die Höhe, aber keineswegs getroffen, denn ich selber sah die Kugel noch eine ganze Strecke vor ihm in den Schnee einschlagen.
Die Büchse hatte ich noch an diesem Morgen nachgesehen, die Pistons ausgeschraubt gehabt und frisches Pulver nachgeschüttet, der Schuß hallte auch weit in den Bergen wieder – es war Pulver genug gewesen, und die Spitzkugel begnügt sich selbst mit wenigerem, was war die Ursache daß sie nicht hinüberreichte.
Der eine Peon lachte und sagte lejos – lejos – weit, weit, ich beobachtete aber zuerst den Fuchs, der über den Knall und Rauch wie die sich jetzt regenden Menschenbilder im Anfang jedenfalls mehr überrascht als erfreut war, dann sich aber leise und vorsichtig zurückzog, bis er eine Schneelage erreicht hatte, die ihn unseren Blicken, verbarg, und plötzlich verschwunden war.
Jedenfalls wollte ich mich jetzt überzeugen wie groß die Entfernung war in der ich geschossen, und die ich auf etwa hundert Schritt taxirt hatte, und ich fand nun zu meinem unbegrenzten Erstaunen daß es zweihundert und einige sechzig Schritt waren. So klar zeigte hier oben die dünne reine Luft die entfernten Gegenstände, daß sie dem Schauenden fast vor die Augen gerückt werden.
Von da an beobachtete ich die Gegenstände mehr, nahm mir besonders auffallende Plätze vor uns, dunkle Stellen im Schnee oder die obersten Spitzen eines Busches die unter der tiefern Decke vorschauten, in's Auge und taxirte ihre Entfernung, fand aber jedesmal daß ich mich manchmal um das Dreifache irrte.
Jetzt erst begriff ich auch wie ungeheuer diese Schneemassen seyn müßten die von den, wie uns schien, nächsten Hängen heruntergeschurrt waren, während sie nach dieser Berechnung eine Strecke von vielen Meilen einnehmen und tausende von Ackern Landes bedeckten.
Die Sonne vergoldete schon die höchsten Gipfel der östlich gelegenen Berge, und noch immer sahen wir die Casucha nicht, die für diese Nacht uns Quartier geben sollten, das gewaltige Felsenthal aber, in dem wir bis dahin fortgeschritten waren, zog sich hier, zu dichtgedrängten Massen zusammen, und hinter einem der niederen Kuppen die hier, wie riesige Maulwurfshügel aufgeworfen waren, mußte sie jedenfalls liegen. War das aber nicht der Fall, so konnten wir uns nur ruhig darauf gefaßt machen die Nacht einfach auf dem Schnee zu campiren, denn im Dunkeln war der Weg jedenfalls zu gefährlich.
Endlich schimmerte sie uns vom Hang einer kleinen Anhöhe, die deutlicher hinter einem größeren Berge vortrat, entgegen und – Wetter noch einmal was wir für Schritte machten, den Platz rascher zu erreichen, denn drinnen – brannte ein Feuer; also Menschen waren noch in dem kleinen steinernen Raume und wir bekamen wieder einmal andere Gesichter zu sehen, hörten andere Stimmen als die unseren.
Erst mit völliger Dunkelheit erreichten wir aber den Platz, der uns, da wir ihn zuerst erblickten als kaum noch etwa dreihundert Schritt entfernt geschienen hatte, und fanden jetzt den Correo von Chile mit drei Peons, der sich auf seiner Tour gen Mendoza befand. Fragen wurden natürlich gleich gegenseitig nach dem passirten Weg gewechselt, und wir hörten zu unserer Freude, daß der Schnee auf der anderen Seite wohl sehr tief, aber auch ziemlich hart sey, und sogar bei der vierten Casucha, an der Schneegrenze, ein Maulthiertrupp liege, den wir sehr wahrscheinlich benutzen könnten. Das waren gute Neuigkeiten, und bei einem knisternden Feuer und einer tüchtigen Tasse Thee verbrachte ich den Abend ziemlich angenehm.
Der Correo gratulirte uns übrigens zu dem schönen Wetter und erzählte uns jetzt wie er selber in diesem nämlichen Winter und in der letzten Casucha die wir passirt hätten, nahe dran gewesen wäre sein Leben zu verlieren und die mitgebrachten Provisionen schon bis auf den letzten Bissen aufgezehrt gehabt hätte. Nur die Verzweiflung trieb sie zuletzt hinaus in's Freie, und ein Glück war's daß sie's thaten, denn sie benützten dadurch gerade eine kurze Pause im Sturme, der gleich darauf, als sie die punta del vaca passirt hatten, und dem niederen Land näher waren, mit voller Kraft wieder an zu wüthen fing. Hier stecken wir übrigens, wie er sagte, grade in der Mitte drin, und wenn wir jetzt eines »auf die Mütze kriegten« könnten wir uns gratuliren.
Vor uns hatten wir aber am nächsten Tag, am Mittwoch den 18. Juli, ein ziemlich hartes Stück Arbeit, wir mußten heute die Cordilleren übersteigen, und schon von der Casucha selbst aus lief es steil bergan; damit war denn aber auch, aller Aussagen nach, das Schwerste überwunden, und wir gingen deßhalb mit freudigem Muth und mit Tagesanbruch an die Arbeit. Und Arbeit war es wirklich, noch dazu ein recht saures, schweres Stück, denn die Höhe wollte kein Ende nehmen, und immer, wenn wir schon den Gipfel erreicht zu haben, glaubten, lagen noch andere, weit höhere Schichten über uns. Dabei fing der Schnee an dieser steilen Hügelwand an zu thauen und gab unter dem Fuße nach, und kamen wir ja einmal auf eine gänzlich von Schnee freie Stelle, die Sonne, Regen oder Sturm gereinigt hatte, dann konnten wir gar kaum fortkommen, denn der bröckliche nasse Steinboden wich unter den Füßen und war noch viel schlüpfriger als der Schnee selber.
Eine Stelle besonders, viele viele hundert Schritt hoch – fand ich durch Wetter und Luft wunderlich zugerichtet – der Schnee lag hier zu sehr geschützt vor dem Wind, ganz zerstört zu seyn, aber die Witterung hatte doch Einfluß genug darauf ausgeübt die oberste Decke desselben förmlich in Stufen zu brechen, die sich, alle etwa zwei Fuß hoch, wie eine ungeheure Treppe an dem schroffen Hang hinaufzogen und da, wo sie hart genug waren den Körper zu tragen, das Fortschreiten sehr erleichterten, da aber wo sie nachgaben den Kletternden auch manchmal zur Verzweiflung brachten.
Der einzige Trost stand mir fortwährend vor Augen »das hier ist die letzte Kuppe – einmal diese Höhe erreicht, und das Schlimmste ist überstanden« und da uns jeder Schritt auch soviel höher brachte, konnte der Marsch ja nicht mehr ewig dauern. Endlich lag der höchste Gipfel nur noch wenige Klafter über mir, das Bewußtseyn gab mir fast neue Kräfte, und alle Müdigkeit von mir schüttelnd stand ich mit wenigen Sprüngen im nächsten Augenblick auf dem Gipfel der Cordilleren, auf der Scheidegrenze zweier Meere, dem Rückenmark eines ganzen ungeheuren Welttheils.
Ein herrliches Gefühl war es, als der Blick zum ersten Mal frei nach Westen hinüberschweifen konnte und weit hinaus, da drüben wo kein anderer Berg mehr die Aussicht dämmen durfte, den dunklen nebligen Horizont, das stille Meer, mehr empfand als erkannte, das wie ein anderer gewaltiger Gebirgsgürtel in seinem riesenhaften Umfang dem Auge gerade gegenüberlag, während, so dicht zu unserer Linken, daß es mir fast schien, als ob eine Büchsenkugel die starren Wände hätte erreichen müssen, der Tupungato die höchste Kuppe dieser südlichen Cordilleren noch fünf bis sechstausend Fuß über uns steil und schroff, die kühn gerissenen Wände dicht in Schnee gehüllt, emporstieg.
Dieser Paß soll 13,000 Fuß – der Tupungato über 18,000 Fuß über der Meeresfläche liegen.
Ich schlug die wollene Decke, die ich umgegürtet trug, fester um mich her, denn der Wind wehte hier oben gar scharf von der See her, warf mich auf einen der breitmächtigen Steine, die durch die über sie hingegangenen Stürme von Jahrtausenden weich und bröcklich geworden waren, und lange lange ruhte mein Blick – nicht auf den Gebirgen Chile's, nicht auf dem herrlichen Panorama der um mich her und tief unter mir aufsteigenden Gebirgskuppen, die wie die starren Wogen eines Riesensees in den blauen Aether hineinstarrten – nein, auf der weiten Oede, die über den östlichen Bergen dem atlantischen Ocean zugestreckt lag, denn dort, weit zurück ließ ich die Heimath, ließ ich das Meer das sie umfloß, und wie, wann sollt ich das Alles wieder sehen?
Es war ein schöner, aber auch wehmüthiger Augenblick, den ich da oben auf dem Gipfel der Cordilleren verträumte, doch die Zeit verstrich, und rasch bergab keuchten schon die beiden Peons, die sich den Blixem um die Landschaft kümmerten.
Als ich mich wieder emporrichtete stand, wie zu dem Ort gehörig, ein stattlicher Condor fast in Steinwurfsnähe über mir und schlug mit den gewaltigen Flügeln die Luft, als er aber sah daß der Körper den er da unten erkannt, noch Leben und Bewegung habe, strich er langsam der scheidenden Sonne nach. Ich hätte es für Mord gehalten auf ihn zu schießen.
Die scheidende Sonne mahnte mich aber auch, daß ich auf ein Nachtlager denken müsse, und das lag noch dort unten in bläulicher Finsterniß, tief zwischen den zackigen Schneegipfeln, die aus der jäh abschießenden Thalschlucht finster zu mir heraufdrohten – die beiden Burschen waren mit ihren Packen auch schon lang dahinter verschwunden, und allein stand ich noch immer lange, lange, und mußte mich zuletzt gewaltsam losreißen von dieser Stelle, an der ich einen Tag hätte verleben mögen.
Gerade mit dieser Stelle ist aber auch selten zu spaßen, und ich hörte später, daß ich den Uebergang gar ausgezeichnet getroffen hätte. Gewöhnlich weht hier oben ein fliegender Sturm, und im Sommer besonders danken die Reisenden manchmal Gott, wenn sie die wenigen Schritte die über diese äußerste Kuppe führen, hinter sich haben. Oben liegt auch in der That nicht die Probe von Schnee und Boreas hält seinen Tanzplatz gar rein und saubergekehrt; nur wenige Fuß hinunter aber, und der Schnee beginnt wieder, und jetzt zwar, in den engen Schluchten in solcher Tiefe daß die nächste Casucha die wir erreichten, bis an die Schwelle eingeschneit war.
Wer übrigens weiß was es sagen will ermüdet einen steilen Berg hinabzusteigen, der kann sich ungefähr denken, wie mir zu Muthe seyn mochte, als ich die Cordilleren kaum mit Mühe und Noth erklommen, wieder hinunter mußte. Meinen Körper hatte ich dabei wohl auch in der letzten Zeit etwas zu sehr angestrengt, denn wir waren kaum eine Stunde, aber fortwährend so steil daß Gefahr im Ausgleiten schien, hinabgestiegen, als mir die Glieder förmlich den Dienst versagten, und ich mich mehrmals auf den Schnee niederwerfen mußte, um nur in etwas wieder Kräfte zu sammeln. Mir wurde dabei schwindlich und übel, und ich fürchtete wirklich schon krank zu werden. Das Wörtchen muß ist aber ein vortreffliches Heilmittel; die Peons kehrten sich den Henker um mich, ob ich im Schnee da liegen blieb oder nachkam, und wollt' ich dort nicht allein übernachten und – die nothwendige Folge – jedenfalls erfrieren, so mußte ich mich schon zusammenraffen und meine letzten Kräfte brauchen. Es ging auch endlich, und mein einziger Trost dabei war die Aussicht die nächste, nur eine Legua entfernte Casucha bald zu erreichen, und dann bei einem Becher recht heißen Thees den erschöpften Körper in etwas zu stärken. Mit Dunkelwerden erreichten wir die Casucha, aber großer Gott was für ein Aufenthalt. Als ob Vieh und Menschen darin gelagert hätten, so sah der Platz aus, und so roch er, und dicht, ganz dicht vor der Thür lag noch, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, ein gefallenes und halb schon von den Geiern verzehrtes, halb angegangenes Maulthier. Und da sollten wir übernachten? – War das ein Aufenthalt für Menschen? – Es blieb aber keine andere Wahl, die nächste, ebenfalls eine Legua entfernte Casucha hatte kein Wasser (und Schneewasser hat einen schauerlichen Geschmack Thee daraus zu kochen) und zwei Leguas, noch dazu bei Nacht, und die steilen Berge hinunter, wären wir gar nicht mehr im Stande gewesen zu erzwingen; es ging nicht anders, wir mußten dableiben.
Mit Ekel machte ich mir mein Lager in der entferntesten Ecke, und rief den Peons dann zu ein Feuer anzuzünden und den Kocher mit Wasser hinanzustellen – lieber Gott, Feuer – die Schufte hatten die Kohlen, um sie nicht bergan tragen zu müssen, bis auf die letzte in der vorigen Nacht verbrannt, und wir lagen jetzt hier mitten im Schnee, ohne einen Funken Feuer zu haben. Nichts als die kalten nackten Wände und das zerfressene Maulthier dicht vor der Thür.
Das war ein harter Schlag, ließ sich aber jetzt unter keiner Bedingung ändern – eine harte Brodrinde kaute ich deßhalb, würgte ein kleines Stück des getrockneten Fleisches hinunter, trank einen Schluck Magenbitter, den ich der Vorsorge des italienischen Apothekers in Mendoza verdankte und glücklicherweise noch bei mir führte, und warf mich dann, zum Tode erschöpft, in meine Decken gewickelt, zum Schlafen, wenigstens zum Ausruhen nieder.
Eine Hundekälte, kein Feuer, die Luft selbst faul und verpestet – das Lager feucht und widerlich, und die Gesellschaft unsicher in der man schläft – hier waren Abenteuer für den, der danach gelüstete, mich schüttelte es vor Kälte und Ekel, und nur das Bewußtseyn meinen als von Gefahren umlagerten Marsch, wie die Schilderungen lauteten, doch wenigstens jetzt zum größten Theil beendet zu haben, während das wirklich herrliche Wetter nun auch einen glücklichen Schluß hoffen ließ, schien das einzige Trostbringende bei der ganzen Geschichte.
Es war ein trauriges Erwachen – mich fror und alle Glieder schmerzten mich – und dazu die Umgebung – »a cheerless home« – es schauderte mich nur die Luft einzuziehen, die kalt und fröstelnd genug durch den engen Eingang strömte – endlich überwand ich mich, stand auf, zündete mit großer Mühe, denn meine Schwefelhölzer hatte ich fast sämmtlich verloren, ein glücklicherweise mitgebrachtes Talglicht an und rief dann auch die Peons, um heute mit Tagesgrauen aufzubrechen und recht bald die Maulthiere zu erreichen, und meiner Umgebung und Begleitung enthoben zu seyn.
Die Burschen mochten ehrlich seyn – oder waren sie auch nur vielleicht feige, weil ich ihnen keine günstige Gelegenheit geboten, aber der Schmutz, in dem sie sich augenscheinlich wohl fühlten, fing an, mir widerlich zu werden, und ich sehnte mich um so mehr den sonnigen Thälern Chiles zu.
Noch vor Sonnenaufgang, ja sogar noch bei völliger Dunkelheit marschirten wir aus; denn heute gerade trieb es mich vorwärts mit einem Eifer, den ich mir selber nicht recht erklären konnte. Das Widerliche des letzten Nachtlagers mochte wohl viel dazu beigetragen haben, ich fühlte aber daß ich keine Ruhe haben würde, bis ich in Valparaiso wäre, und dort wenigstens Gewißheit über mein Schiff bekäme. Wir konnten übrigens Gott danken, daß wir gestern Abend nicht mehr weiter marschirt waren, denn der Weg den wir heute zu gehen hatten, zeigte sich am hellen Tage gefährlich, wie vielmehr also in Nacht und Dunkelheit und mit erschöpften Kräften.
Die Berge bildeten hier lauter abschüssige Hänge, und die obere Kruste war durch den scharfen Südwestwind, der sie hier vollkommen gut bestreichen konnte, gefroren, und spiegelglatt; dabei mußten wir gerade an diesen Abhängen hinklettern, und so steil und hart war der Schnee, daß eine Stelle besonders, als wir sie erreichten, fast unpassirbar schien.
Es war der weite Hang eines förmlichen Gebirges, denn wirklich »Bergehoch« thürmte es sich noch an unserer Linken empor, während es sich zur rechten in einem Winkel von etwa 60 Grad soweit niedersenkte, daß das Thal da unten, oder die Schlucht vielmehr, bläulich dunkel zu uns herauf schimmerte. Der Schnee lag wer weiß wie tief, war aber oben mit einer hart gefrorenen Kruste, so glatt wie Eis, überdeckt und kein Busch, keine Erhöhung, keine Biegung gewährte auch nur den mindesten Trost, daß man sich, im Falle eines Ausgleitens, daran halten könne. Fortwährend wehte dabei von den höher liegenden Kuppen der feine Schneestaub herüber und wirbelte über die Fläche hin, jede Unregelmäßigkeit ausfüllend und einen Platz suchend, wo er selber den Ruhepunkt finden könne.
Ein Umgehen dieses Platzes war nicht möglich und der eine Peon versicherte mich, wir könnten hier nicht anders hinüber, als wenn wir mit dem Messer Stufen, Schritt für Schritt, in den Schnee stächen – der alte Correo, der uns gestern begegnet wäre, hätte, weiter oben oder unten, jedenfalls dasselbe gethan, die Spuren seyen aber lange wieder durch den Schneestaub ausgefüllt.
Das war ein böses Stück Arbeit, ließ sich aber nicht ändern und Schritt für Schritt mußte ich jetzt, vorangehend, mit meinem schweren Jagdmesser einhauen in die glatte Rinde, die obere Kruste zu brechen und einen Eintritt für den Fuß zu gewinnen, und das hier gleich zum erstenmal auf eine Strecke von über eine Viertel englische Meile – später bekamen wir noch einige solche Stellen, aber nicht mehr so lang, eine aber dagegen noch steiler. Die nachfolgenden Peons traten langsam und vorsichtig hinter mir ein und ein Fehltritt, ein Ausgleiten hätte uns hundert von Fuße hinab in die bläulich schimmernde Tiefe gesandt, und dort in dem dünnen hinabgewehten Schneestaub rettungslos begraben.
Glücklicherweise kamen diese Stellen nicht häufig vor, aber doch immer oft genug, unseren Weg um ein Bedeutendes aufzuhalten, und waren dabei, ich kann wohl sagen ein klein wenig zu interessant.
Nach etwa dreistündigem Marsch, bei dem wir einmal auch einen ganz ähnlichen Hang zur Abwechslung niedersteigen mußten, nur mit dem Unterschied, daß wir hier zum Glück weicheren Schnee fanden, ich weiß sonst wahrhaftig nicht wie wir hätten hinunterkommen wollen, erreichten wir wieder eine Casucha, die höchst malerisch in einem tiefen, gegen Stürme ziemlich geschützten Kessel lag.
Von hier ab war der Weg, oder der Schnee vielmehr, denn Wege gibts im Winter nicht in den Cordilleren, besser, wenigstens fanden wir keine lebensgefährlichen Stellen mehr, und hie und da kamen schon Plätze, an denen man erkennen konnte, daß der Schnee, in dem tiefer gelegenen Land, dünner wurde. Und es däuchte mich Zeit, daß wir in tieferes Land kommen mußten, denn was für Hänge waren wir schon hinunter gerutscht.
Die Quellen deren Lauf wir heute, wenigstens in den Schluchten der Gebirge, gefolgt waren, schienen sich hier zu sammeln und fingen schon wieder an einen etwas größeren Bergstrom, den Puente, zu bilden. Von hier ab wurde das Thal breiter, ja hie und da kamen schon vom Schnee freie Stellen vor, und als wir endlich die nächste Casucha erreichten fanden wir, der alte Correo hatte wahrhaftig recht gehabt, einen kleinen Trupp Maulthiere, mit deren Führer ich augenblicklich um ein Thier bis dem Orte zu, wo ich frische Pferde bekommen sollte, akkordirte.
Von hier ab sollte der Weg nämlich schon für Maulthiere, wenn auch an einigen Stellen etwas schwer, zu passiren seyn, und die Leute waren hierhergekommen zu recognosciren, ob sie durch den Schnee hinüber könnten. Zu diesem Zweck hatten sie mehre Tage hier gelagert und einzelne Partien ausgesandt, diese waren aber sämmtlich an dem nämlichen Morgen mit keineswegs befriedigenden Nachrichten zurückgekehrt, und heute Nachmittag wollten sie wieder nach Santa Rosa zu aufbrechen, günstigere Jahreszeit abzuwarten.
Dadurch, daß ich jetzt ritt und auch keine Provisionen mehr brauchte, hatte ich den beiden Peons die ganze Last abgenommen, die nun leicht und unbeladen ebenso rasch wie das Maulthier auf der immer noch nichts weniger als bequemen Passage, vorwärts schreiten konnten. Wir hielten hier jedoch etwa eine halbe Stunde, um wenigstens vorher einen Becher heißen Kaffees zu machen, und brachen dann, fortwährend dem Lauf des »Puente« folgend, dem flachen Lande zu, auf. Der Weg zeigte sich aber immer noch für Maulthiere sehr beschwerlich und oft kamen Schneestürze, in ungeheuern Massen von den Bergen heruntergeschossen, welche die ganze Thalseite an der wir uns befanden, ausfüllten, und uns zwangen zu Fuß, die Maulthiere am Zügel, einen Weg hinüber zu suchen. Doch was that das; der Schneeregion entzogen, drangen wir mit jedem Schritt tiefer in das sonnige Thal ein, und warme Frühlingsluft wehte uns schon aus den Gründen an, und erfüllte mir die Brust mit einem unbeschreiblichen Gefühl stiller, aber freudiger Genugtuung.
Ich war jetzt in Chile, dem Lande nach dem ich mich so lange gesehnt, dessen Erreichung mir so furchtbar gefährlich geschildert worden, und das zu erreichen ich auch wirklich Mühseligkeiten und Gefahren genug ausgestanden hatte, und wie an beiden Seiten die Berge so schroff und kühn emporstiegen, mit ihren zackigen, noch immer schneegedeckten Kuppen nach den Wolken hinaufstarrten, und der Bergbach, den ich als Kind gekannt, toll und lebendig dazwischen hinsprudelte, da kam es mir fast vor, als sey ich hier gar nicht mehr fremd, als sey das meine Heimath die ich betreten, und ich kenne die grünen Kuppen, die weit da vorne lagen, und die Quelle, die neben mir aus dem Felsen sprang, und die Thäler, denen das Wasser entgegenströmte, schon seit langen, langen Jahren, und hätte sie lieb gewonnen alle mit einander, Berg, Thal, Quelle und schneeigen Abgang.
Es war nur eine Täuschung, wenn auch eine freundliche, und der enge Maulthierpfad nahm bald meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, daß mir nicht noch aus Unachtsamkeit zu guter Letzt ein Unglück zustieße. Das wärmere Klima der chilenischen Republik kündete sich jetzt aber schon in aufwuchernden Sträuchen und Bäumen an; hie und da zeigten sich kleine Dickichte, zwischen und unter denen die Thiere hinschritten, und Gras – ein lange nicht gesehener Gegenstand, sproßte am murmelnden Strom. Sonst blieb sich die Gegend gleich, ein noch ziemlich winterliches Bergthal, die tiefe, gähnende Schlucht in die riesigen Gebirgsmassen scharf hineinschneidend, und daneben hin, manchmal das Wasser hoch überragend, daß es unten, tief unten schäumte und dumpf heraufbrauste, manchmal dicht an seinem Ufer hin, daß die spritzende Welle die Hufe der Maulthiere berührte, lief der Pfad.
Gegen Abend rasteten wir ein wenig an einem freundlichen, von Bäumen überhangenen Plätzchen. Hier befanden wir uns schon wieder in einer, von Menschen bewohnten, belebten Gegend und wie ein Paradies kam mir das, nur spärlich von kleinen Bäumen überragte, von thürmenden Schneegebirgen umgebene Haus vor, dessen Herr dem kargen Boden hier vielleicht eine nur mühsame Existenz abgewann.
Dem kleinen Gebäude gegenüber, auf der andern Seite des Bergstroms, der rasch und schäumend vorübersprang und nur dicht unter dem Haus eine Furth gewährte, lagerten wir, und hier sollte ich auch zum erstenmal eine ächt chilenische Mahlzeit kosten.
Von meinen Peons war der älteste, der Bequemlichkeit halber, zurückgeblieben, und der jüngere, der mich begleiten mußte um den Brief abzuliefern, nach dem ich wieder Pferde empfing und mein Geld zu zahlen hatte, führte noch etwas von dem Charque oder getrockneten Fleisch mit sich, von dem er uns wieder eine seiner vortrefflichen Kraftsuppen in das alte noch nicht ein einzigesmal ausgespühlte Kuhhorn einbrockte. Der Bursche hatte noch keinen Tropfen Wasser an sich gebracht, so lange ich ihn kannte, und ich glaube wahrhaftig seine Mutter konnte dasselbe von ihm sagen, so sah er wenigstens aus. Ich dankte ihm aber jetzt herzlich für seine Mahlzeit und hielt mich an das, allerdings nicht so luxuriöse, aber reinlichere Gericht der Chilener, das einfach in rohem Mehl und Wasser bestand.
Das Mehl, grobes, aber sehr süßes und angenehm schmeckendes Weizenmehl, thaten sie in einen, ebenfalls aus einem Horn, aber sauber hergerichteten Becher, und goßen dann Wasser hinzu, bis es zu einem vollkommen dünnen Brei wurde. Dieses Gericht schien ihnen allen trefflich zu schmecken, und ich muß gestehen, daß ich selber im Anfang es ein wenig mißtrauisch betrachtete, es schien mir um eine Kleinigkeit zu primitiv und unschuldig; war aber der Hunger, oder mein in den Pampas total verdorbener Geschmack daran schuld, es schmeckte mir wirklich, und ich fand bald zu meinem eigenen Erstaunen, daß ich zwei solche große Becher voll sogar mit Vergnügen ausgetrunken oder vielmehr gegessen hatte. Eine gute Zwiebel, die in Chile vortrefflich wachsen, mit etwas spanischem Pfeffer vollendete die Mahlzeit, und ich legte mich, vollkommen gesättigt, an ein freundliches Plätzchen in's Gras unter einen Baum, einen Luxus, nach dem ich mich die letzte Woche nicht wenig gesehnt hatte.
Der Chilene ist weit civilisirter als der Argentiner, und schon die Nahrung zeigt das deutlich – nicht auf rein animalische Kost mehr angewiesen, die den Menschen stets roh erhält, gewinnt er seine eigenen Bedürfnisse dem Boden ab, und der Ackermann hat stets den Vorzug vor dem Viehzüchter.
Wir rasteten hier wohl drei Stunden, denn die Thiere hatten noch einen langen Marsch vor sich, und die Zeit über, da oben im Schnee, nur wenig zu fressen bekommen; mir selber aber war alles neu was mich umgab, und leicht und gern verträumte ich hier die wenigen Stunden. Noch befanden wir uns inmitten der wildesten Berge, denn wenn wir auch, gerade da wo wir eben lagerten, die Schneelinie verlassen und den keimenden grünenden Boden wieder erreicht hatten, so hingen doch noch dicht über uns, an den abschüssigen wilden Hängen mächtige und aufgethürmte Schneemassen, und selbst bis hierher hatten sie oft ihre Stürze gesandt, daß sie uns noch manchmal, wenn auch nur auf kurze Strecken, den Weg verdämmten. Die Scenerie gewann aber etwas besonders eigenthümliches durch die gewaltigen Cactus, die hier überall in den Bergen, wo sich nur die dünnste Fruchterde gesammelt hatte, wucherten, und von denen ich, gerade da wo ich lag, einige übersehen konnte, die wenigstens achtzehn Fuß Höhe und einen ziemlich beträchtlichen Umfang haben mußten.
Höchst interessant war es mir dabei, eine kleine Art wilder Enten oder Taucher, die hier in den Bergwassern der Cordilleren ihre Heimath haben, zu beobachten; kleine Dinger, die in den buntesten Farben ihres Gefieders prangten und mehrere verschiedene Arten zu zählen schienen, obgleich sie alle augenscheinlich zu einem und demselben Geschlecht gehörten.
Allerliebst sah es aus, wie sie auf den wilden stürmischen Bergwassern, oft über Fälle von vier bis fünf Fuß, keck und behaglich dahin schwammen – die Strömung war oft so stark, daß sie fast im Schaum und Sprudeln derselben verschwanden, aber der meist hochrothe oder grün und blau gefärbte Kopf des muntern Thiers blieb immer oben sichtbar und mitten in der Gewalt des Wassers, dem sie allerdings nicht widerstehen konnten, sondern von dem sie sich mußten mit fortführen lassen, steuerten sie bald hier bald da einem über die kochende und gährende Fluth vorschauenden Felsen zu, auf den sie, im Vorbeischießen hinaufzuklimmen wußten.
Hier saßen sie nun manchmal Viertelstunden lang und schauten ernsthaft und aufmerksam in die vorbeiquirlende Fluth, bis sie etwas entdeckten, das ihnen der Mühe werth schien nachzugehen – wie ein Blitz waren sie dann verschwunden, um bald nachher wieder, zwanzig oder dreißig Fuß weiter unten, aus dem weißen Schaum emporzutauchen, und so munter ihre rasche wilde Bahn zu verfolgen, wie bisher.
Erst mit Sonnenuntergang brachen wir wieder auf, so daß wir jetzt einen Weg, der mit Pferden sicherlich am hellen Tage lebensgefährlich gewesen wäre, in stockfinsterer Nacht – denn nicht einmal der Mond schien – zurücklegten. Im Anfang kam mir der Ritt auch selber fast unheimlich vor; in völliger Dunkelheit einen so schmalen Pfad hinzuschreiten, daß ich ihn, wenn ich mich vorn über den Sattel bog, mit der angestrengtesten Sehkraft nicht erkennen konnte, und dann nur das silberne Blitzen des tief, tief unten schäumenden Stromes gerade so zu sehen, als ob das Maulthier in freier Luft darüber schwebe, während das dumpfe Murmeln und Rauschen gar unheimlich zu uns herauftönte, ist gerade nichts angenehmes noch dazu, da ich gar nicht mehr darauf gerechnet hatte, solche Hänge passiren zu müssen – wir ritten diesen bösartigen Pfad aber so lange bergauf und ab, und ich war durch die in den letzten Tagen gehabten Anstrengungen so gleichgültig geworden und abgestumpft gegen alle dergleichen Eindrücke, die sonst mein ganzes Nervensystem in der lebendigsten Spannung erhalten haben würden, daß ich zuletzt förmlich im Sattel einschlief und im Halbtraum nur noch den Abgrund neben mir an der einen und die schroffen Felswände an der anderen Seite erblickte; – die erschöpfte schwache Menschennatur verlangte nach Ruhe, und als wir endlich, um elf Uhr etwa einen Platz erreichten, wo die Maulthiere etwas zu fressen bekommen konnten, glitt ich nur aus dem Sattel, breitete meine Decken an der Stelle wo ich stand, aus, und träumte im nächsten Augenblick schon »von daheim und Glück und Frieden.«
Am nächsten Morgen brachen wir wieder vor Tag auf – es war die Nacht recht kalt gewesen und es hatte mich gefroren; wir nahmen auch nicht einmal etwas zu uns – aus dem Sattel auf die Erde geworfen und von der Erde auf wieder in den Sattel – ein trauriges Leben – doch führte es mich meinem Ziele entgegen, und ich mußte zufrieden seyn.
Der Wind zog recht kältend die Schlucht herauf und ich wickelte mich fest, fest in meinen Poncho; der Traum, den ich die Nacht gehabt war auch gar zu lieb und freundlich gewesen, ich mochte ihn noch nicht aufgeben und suchte ihn fortzudenken, und wie die grauen dämmernden Morgennebel von den Halden herunter ins Thal glitten, und die Gegenstände um uns her nur erst langsam und schwach Form und Gestalt annahmen, während im Osten die Sterne erbleichten und den frischen Morgenhauch über die Bergkuppen sandten, da saß ich wieder mit halbgeschlossenen Augenliedern auf meinem Thier und suchte die Außenwelt so viel als möglich zu vergessen.
Hunde schlugen an und Kinderstimmen drangen an mein Ohr – ich hob den Kopf und schaute überrascht, erstaunt empor – wacht' ich denn, oder träumte ich noch fort? – kam ich denn wirklich erst eben aus eisigem Frost heraus, oder hatte mich ein neckendes Bild geäfft? – gestern Morgen noch bis am Gürtel im Schnee, bald an eisigen Hängen hinkletternd, wo weder Baum noch Strauch die monotone Oede von Schnee und starren Felsmassen unterbrach, und jetzt –?
Vor mir eine friedliche reinliche Hütte, fest in grüne laubige Büsche hineingeschmiegt, dicht daneben das dunkle Laub der Orangen und die Aepfel der Hesperiden in voller herbstlicher Pracht daraus hervorglühend – Monatsrosen in Knospen und aufgebrochene Blumen – Pfirsichbäume bis zur Spitze mit den weichen süßen Blüthen bedeckt, und um mich her überall blühende Sträuche und das saftige Grün der Wiesen und Hänge – ein Zauberschlag hatte den starren Winter zerstört, und Sommer war's geworden so rasch, wie sich die Nacht in Licht verwandelt, mir aber zog es wie Frühlingslust in die Seele, und mit dem erwärmenden Strahl der über die Berge emporsteigenden Sonne schüttelte ich Schwäche und Erschöpfung von mir, und fühlte mich wie neugeboren. Der Schnee der Gebirge lag hinter uns, und durch das sonnige Thal hin, wo bald grünende Weizenfelder und eingezäunte Weiden die geschäftige Hand des Menschen verriethen, trabten wir rascher als es die Thiere bis jetzt gethan, der Ebene zu, die sich vor uns in grüner herrlicher Pracht entfaltete und ausbreitete.
Ein weites Thal öffnete sich, in dem jede Handbreit fruchtbaren Bodens benutzt schien, und zahlreiche Maulthierzüge die uns begegneten, kündeten den lebendigen Verkehr dieser Gegend. Ueberall Orangen und blühende Pfirsiche und Aepfelbäume, die Häuser wohnlich und nett in deren Schatten, die Gärten und Felder mit sicheren Mauern oder Hecken umgeben, und von den Bergen nieder treffliche Wasserleitungen angelegt, den trockner gelegenen Ländereien die gehörige und nöthige Feuchtigkeit zuzuführen.
Zu Mittag erreichten wir endlich ein kleines Städtchen, Santa Rosa, und in diesem auch das Haus, in dem ich, wie mit dem in Mendoza genommenen Führer akkordirt worden, frische Pferde bis Valparaiso bekommen sollte.
Originell war die Ueberlieferung des, oben in den Cordilleren mit Brodteig zugeklebten Briefes, den zu entziffern die eine Hälfte der Familie verwandt wurde, während die andere dabei stand und mich auf das aufmerksamste von Kopf zu Füßen musterte.
Mit Hülfe der mündlichen Erklärung meines Peons bekamen sie endlich heraus, was sie eigentlich bei der ganzen Geschichte zu thun hätten, und der Sohn vom Haus – der Bruder meines früheren vaquiano erklärte sich auch bereit mich »am nächsten Morgen« nach Valparaiso zu begleiten. Damit war ich aber wieder nicht einverstanden – gleich mußten wir fort, denn mir ließ es keine Ruh und Rast mehr, bis ich wußte was aus meinem Schiffe geworden, und ich erklärte dem guten Mann ganz einfach daß ich, wenn er mir dem Contrakt nach kein Pferd augenblicklich zur Verfügung stelle, ich mir im Orte selber ein anderes miethen und nach Valparaiso allein reiten würde, nachher konnte er sehen wo er seine fünf Unzen bekam.
Der Grund war vollwichtig; hätte er das Geld schon gehabt, so würde es ihm sicher Vergnügen gemacht haben mich los zu werden, so aber hatte ich es noch und die Sache änderte sich – er machte ohne weitere Umstände Anstalten ein Pferd für mich zu bekommen, unterdessen wurde das Mittagessen hergerichtet – weiche Eier und eingekochte getrocknete Pfirsiche, an denen ich mich nicht wenig delektirte – und etwa zwei Uhr Nachmittags brachen wir wieder auf, mit dem Versprechen meines Führers, am nächsten Abend bei guter Zeit in Valparaiso zu seyn.
Noch an dem nämlichen Abend passirten wir die kleine freundliche Stadt San Felipe, mit ihren breiten regelmäßigen Straßen und mauerumgezogenen Gärten, mit ihren dichten fruchtbeladenen Orangenhainen und blumigen Hecken; ja vor der Thür des Regierungsgebäudes standen sogar, etwas das ich in Chile noch nicht gesehen und unter dieser Breite auch gar nicht erwartet hatte, zwei stattliche Palmen die der ganzen Gegend einen sonnigen tropischen Charakter gaben.
Auch das Volk hatte wieder sein Eigenthümliches und gar Verschiedenes von der Nachbarrepublik – dem argentinischen Reiche – den Poncho tragen sie ebenfalls – aber er ist kürzer, leichter und nicht von so blutigen Farben als der argentinische – die Leute galoppiren auch meistens mit ihren Pferden, wie es die Argentiner thun, aber es ist kein steter halsbrechender Carriere wie da drüben, der sich keinen Pfifferling drum schiert ob das Pferd in demselben Augenblick todt zusammenbricht, so es den Reiter nur erst zu dem bestimmten Ort geliefert hat. Die chilenischen Farmer traben auch sogar sehr häufig, was ich an der anderen Seite der Cordilleren nur in Buenos Ayres selber gesehen hatte, wo nicht galoppirt werden durfte.
Ebenso unterscheidet sich das Reitzeug auf das wesentlichste von einander, und wenn auch der Zaum selber große Aehnlichkeit hat, nur daß der argentinische schärfer ist, so kann man an Sattel und Steigbügel einen argentinischen Reiter von einem chilenischen so weit unterscheiden, wie man nur überhaupt Roß und Mann zu erkennen vermag.
Der Sattel des Argentiners ist gewöhnlich mit zwei, manchmal auch nur mit einem Schaffell, bei Vornehmeren mit einer reicheren Schabrake bedeckt, schließt aber dicht ans Pferd an. Besonders originell sind aber daran die Steigbügel. Der Argentiner der überhaupt Schuhwerk trägt, hat auch zugleich Steigbügel nach unserer Art am Sattel, wenn auch bedeutend kleiner, in die er nur eben die Spitze seiner Stiefel hineinbringen kann. Der ärmere oder wildere Argentiner mit seinen Pferdehautstiefeln (botas) aus denen der große Zeh und sein Nachbar vorschauen, benutzt diese Steigbügel ebenfalls hie und da; weiter in den Pampas hinein verschmäht er jedoch diesen Luxusartikel und es gibt dann Massen von Reitern die gar keine Steigbügel führen, wo das aber doch geschieht da benutzen sie eine andere Art, die aber auch eben nur in den Pampas anwendbar wäre. Diese bestehen nämlich in einem einfachen starken Riemen aus ungegerbter Haut, und in diesen an der Stelle wo der Steigbügel eigentlich seyn sollte, ein kleines Stückchen Holz oder einen kurzen Knochen hineingeknüpft. Zwischen die beiden, aus dem Bota vorschauenden Zehen fassen sie dann den Streifen ungegerbter Haut, unter denen das Holz oder der Knochen festsitzt, und der Steigbügel ist fertig.
Himmelweit von diesen verschieden sind die chilenischen Steigbügel, und zwar anscheinend so unbehülflich, wie die argentinischen dünne und mangelhaft sind. Die Chilener schnitzen sie förmlich aus einem Block Holz, groß und weit – fünf bis sechs Zoll breit, etwa vier Zoll hoch und bis drei Zoll dick – und lassen eine Wand an der äußeren Seite gegen welche die Fußspitze antritt, daß der Fuß nicht hindurchschlüpfen kann, und haben das Ganze noch gewöhnlich verziert und gepreßt.
Die Sporen der Chilener gleichen den argentinischen, doch sind sie ebenfalls nicht ganz so schwer und bösartig als jene, und die Stacheln daran dicht zusammenstehend und sonnenartig.
Wunderliche Caravanen begegneten mir dieser Art, die Pferde und Maulthiere mit ihren Wein und Mehl gefüllten, aus roher Thierhaut verfertigten Säcken beladen, die ihre Produkte dem nächsten Städtchen zuführten.
Den Abend übernachteten wir in einer kleinen Hütte dicht am Wege. Welch ein Unterschied zwischen den Leuten an der anderen Seite der Gebirge – die Hütte war allem Anschein nach ärmlich, aber nichtsdestoweniger sauber und gut erhalten, und die Bewohner freundlich, ja herzlich.
Am nächsten Morgen ritten wir vor Tagesanbruch aus – eine mir selber unbegreifliche Ungeduld hatte mich erfaßt – ich mußte nach Valparaiso. Gott weiß, wie vielmal wir in der Dunkelheit den Bergstrom kreuzten, der das Thal nach nur zu vielen Richtungen durchzieht und vieles Land, das sonst trefflich zu Weiden oder Feldern benutzt werden könnte, mit Steinen füllt. Toll und wild lagen hier förmliche Kieselblöcke durcheinandergewürfelt, und gaben Zeugniß, welcher Gewalt diese Bergströme fähig werden, wenn der Sommer erst einmal jene ungeheuren Schneemassen schmilzt und ein förmliches Meer von Bergwässern in das Thal hinunterschleudert.
Die jetzigen Biegungen des Stromes, die im Sommer aber alle überfluthet sind, waren mit Massen von herrlichen Blüthenbüschen bedeckt und wo nur ein höher gelegener Strich den geringsten Anbau gestattete, standen auch gewiß kleine Wohnungen, und irgend ein fleißiges Menschenkind hatte der gierigen Fluth einen kleinen Fleck zum Bau seiner Nahrung und Bedürfnisse abgewonnen.
Wieder erreichten wir eine Hügelreihe, an welcher eine Wasserleitung hingeht, deren Bahn wir später bis nach Valparaiso folgten, und gleich darauf betraten wir ein anderes Thal, das uns zugleich wieder ein gar nicht unbedeutendes Städtchen in Sicht brachte. Rings umher waren die Felder auf das sorgfältigste bestellt, die Straßen vortrefflich erhalten, und der kleine Ort selber, Guillota, schien belebt und geschäftig.
Wir hielten vor einer Pulperia, uns selber und die Thiere ein wenig zu erfrischen, und ich delektirte mich an köstlichen Oliven, wohlschmeckendem Brod und herrlichen Trauben und Orangen. Auch eine Art Most schenkten sie aus, er hatte aber schon ein trübes fatales Ansehen und schmeckte noch viel fataler – überhaupt kann sich der chilenische Wein mit dem Mendoziner nicht messen, und es wird auch viel von dort herübergeschafft.
Als ich fortging, wollte ich mir für einen halben Real (etwa 2 gute Groschen) Orangen und Trauben mitnehmen, konnte sie aber nicht alle transportiren und mußte die Hälfte zurücklassen, so viel bekam ich.
Nach etwa einer Stunde Rast, in der die Pferde gierig ein paar Bündel frisch geschnittenes Gras eingefressen hatten, brachen wir auf und suchten die Thiere wieder in Galopp zu bringen, aber sie fingen an nachzugeben, besonders das meinige, und wollten zuletzt kaum noch aus der Stelle – Peitsche wie Sporn blieben gleich erfolglos – die armen Bestien waren erschöpft. Der Geiz meines neuen Vaquianos hatte ihnen, wie ich leider erst zu spät merkte, das Futter nur karg zugemessen, und wir waren nur im Stande Schritt für Schritt mit ihnen vorwärts zu kommen. Mein Führer behauptete endlich, als die Sonne unterging, nicht mehr weiter zu können, und erklärte da, wo wir uns gerade befanden, übernachten zu wollen – ich aber erklärte ihm dagegen, dann ging ich noch an demselben Abend zu Fuß nach dem noch etwa fünf Leguas entfernten Hafen, und da der Accord lautete, daß er verpflichtet war mich zu Pferde hinzubringen, so fügte er sich endlich, wenn auch murrend.
Wieder, nach kurzer Rast im Sattel, und jetzt langsam mit den todtmüden Pferden bergauf, bergab, mehr nebenhergehend, als sie durch die Last des Reiters erschöpfend – gen Valparaiso – mich drängte es auch aus den Kleidern zu kommen, in denen ich nun in Staub und Thau, Tag und Nacht in den Pampas wie im Schnee gesteckt. Selbst die hohen Wasserstiefel waren an der Seite, vom scharfen Ritt durch die Steppe, aufgescheuert, das grauwollene Jagdhemd durch das darangeschnallte Gewehr und die Dornen zerrissen und meine Beinkleider natürlich total durchgeritten – der Poncho bedeckte Alles nur nothdürftig. Hatte der Talisman dann auch Valparaiso schon wirklich verlassen, so waren, genau getroffener Abrede nach, meine Sachen doch dort, im Geschäft der Hrn. Lampe, Müller und Fehrmann, zurückgeblieben, und ich konnte mit einem der nachfolgenden Schiffe von Heyborn und Compagnie weitergehen – also nur erst nach Valparaiso, in frische Wäsche, in ganze Kleider zu kommen. Aber der Weg wollte kein Ende nehmen – neun Uhr schon war's, und noch immer hatten wir die Stadt nicht erreicht.
Die Gegend wurde dabei monoton und öde genug, die Hügel waren kahl und baumleer, ja selbst das wenige Gras was darauf wuchs, schien kümmerlich und dürftig – das Land dehnte sich dabei wellenförmig vor uns aus – kein Berg, aber auch keine Ebene, wenn man auf einen langweiligen Hügel hinauf war, und hoffte nun eine Uebersicht weiter nach vorn über das andere Land zu gewinnen, so sah man sich wieder getäuscht – denn weiter vorn lag akkurat wieder ein solcher Hügel wie der, den wir eben zwei Stunden gebraucht hatten zu überwinden. Als es zuletzt dunkelte, wurde die Sache eben nicht anders, Hügel ab und auf – die Hügel hinunter that man es sich zu liebe daß man abstieg, und hügelauf dem Pferd, was blieb da. Endlich erreichten wir eine Windmühle, und es kam mir fast vor, als ob man hier einen Ueberblick über die See gewönne; lange hatte ich aber keine so dunkle Nacht gesehen als diese, und ich bin auch fest überzeugt, daß uns nur der Instinkt der Pferde im Wege selber hielt.
Ein helles strahlendes Licht wurde jetzt vor uns sichtbar – es war, wie mir mein Führer sagte, der Leuchtthurm des Hafens – wir mußten uns also ganz dicht am Meer befinden, aber vergebens strengte ich meine Augen an es zu sehen, nicht einmal die Lichter von Valparaiso ließen sich erkennen, und dennoch konnten wir nur noch eine sehr kurze Strecke davon entfernt seyn. Die ewigen wellenförmigen Hügel benahmen die Aussicht, und dichtes Gebüsch und Gärten – jetzt aber nur in ihrem noch dunkleren Schatten unterscheidbar, dämmten selbst später jeden Blick der Stadt zu ab, als wir die letzten Hügel hinabklommen und nun ein sandiges seichtes Flußbett erreichten, in dem hin wir uns eine Bahn suchen mußten, an's andere Ufer zu kommen.
Mein Begleiter schien hier selber die Furth nicht recht zu kennen, denn zweimal verfehlte er sie, und wir geriethen in tiefes Wasser, und das unheimliche Plätschern des Stromes, wie das nahe gewaltige Brausen der Brandung, die jetzt, so deutlich an unser Ohr schlug als ob wir sie dicht neben uns hätten, mit der Mattigkeit unserer Glieder und dem Ueberdruß des langen endlosen Marsches, diente wahrlich nicht dazu uns fröhlicher zu stimmen. Mürrisch und schweigend wateten und trieben wir vorwärts, einem Ziele zu, das uns Beiden fast vorkam als ob wir es im Leben nicht mehr erreichen sollten.
Endlich – endlich kamen wir an die Außengebäude, und zwar an die ersten Häuser der langen, am Strand hin, weit in die Hügel hineinlaufenden Straße, aber die meisten Thüren waren schon geschlossen – die Menschen gingen zu Bette, es war Nacht, und da unsere Thiere auch wirklich mit bestem Willen nicht mehr weiter konnten und ich an diesem Abend selber natürlich nicht im Stande war noch etwas auszurichten, gab ich endlich dem Drängen meines Begleiters nach, in einer »ihm bekannten Pulperia,« eine Art Schenke und Krämerstand, zu übernachten.