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Die Rhede von Buenos Ayres ist nichts weniger als günstig gelegen, denn auf der inneren können nur kleine Fahrzeuge, die nicht tiefer als acht Fuß gehen, ankern, während die äußere wenigstens vier englische Meilen vom Lande entfernt liegt und bei einem starken Südoster – wie wir ihn gerade unglücklicher Weise hatten, die Fahrzeuge fast ebensogut in offener See bleiben könnten. Eine andere Unannehmlichkeit ist die, daß bei einem solchen Wind die See ebenfalls gegen das flache felsige Ufer steht, und durch ihr Branden den Booten großentheils das Landen unmöglich macht – ja zu nur etwas tief gehenden Booten müssen selbst bei ruhigem Wetter besonders dazu gehaltene Karren hinausfahren, Mannschaft oder Ladung in Empfang zu nehmen.
Einen vollen Tag lagen wir solcher Art auf der Rhede, mit der Stadt in der Ferne vor uns, ohne an Land zu können, und am zweiten Tag wehte es noch ebenso stark. Der Capitän, dem bange war, daß sein Salz im Preise fallen würde (was auch wirklich an demselben Morgen geschah, denn am vorigen Tag hätte er noch eine vortreffliche Fracht gemacht) wollte sich aber nun unter keiner Bedingung länger zurückhalten lassen, während der Lootse, der sich bei einer von mir aus Rio mitgenommenen und noch wenig angesprochenen Flasche Absynth bene that, erklärte, der Capitän könne, wenn ihm das Spaß mache, in solcher See an Land fahren, er selber bliebe aber an Bord. Ich hielt mich natürlich zum Capitän, denn ich hatte das an Bord herumgeworfen werden herzlich satt bekommen. Unser kleiner Schooner schaukelte nämlich, selbst auf der Rhede, noch so stark, daß wir ein Segel aufsetzen mußten, das Fahrzeug nur in etwas auf der Seite zu halten, und selbst das wollte nichts helfen.
Als der Lootse übrigens sah, daß wir wirklich Ernst machten, schämte er sich allein zurückzubleiben; das große Boot war indessen ausgesetzt, die Sachen hinein gelassen, der kleine Mast aufgestellt, und von günstigem Winde getrieben, schoßen wir in unserem kleinen Fahrzeug pfeilschnell über die aufgeregte schäumende See des gewaltigen Stromes, der Haupt- und Residenzstadt der argentinischen Republik, Buenos Ayres, entgegen.
Im Anfang war ich ziemlich darauf gefaßt gewesen, durch die Spritzwellen, vielleicht gar durch eine übergehende See ordentlich durchnäßt zu werden, wider Erwarten kamen wir aber glücklich und selbst ziemlich trocken an Land.
Der Wind hatte ebenfalls in der letzten Stunde bedeutend abgenommen, die Brandung am Ufer ließ nach und der Steuernde wußte eine Welle so trefflich zu benutzen daß sie uns, mitten zwischen ein paar flache Felsplatten hinein, an eine Stelle an's Ufer setzte, wo wir geschützt lagen und leicht und verhältnißmäßig trocken an Land kommen konnten – Aber Buenos Ayres selber? –
Hast du dich, lieber Leser, wohl schon einmal recht lebhaft in die Märchen von Tausend und eine Nacht hinein versetzt, wo ganz plötzlich und unerwartet auf ein einfaches Indiehändeschlagen oder ein anderes höchst unschuldiges Zeichen die wunderlichsten Gestalten und Landschaften aus dem Boden heraufsteigen und den Beschauer überraschen? Hast du das, so wirst du dir einen ungefähren Begriff von dem Eindruck machen können den meine Umgebung, die nun schnell um mich her aufstieg, auf mich hervorbrachte. Die Aussicht auf die Stadt war mir bis dahin nämlich, da ich hinten im Boote gesessen und wir gerade vor dem Wind der Küste entgegen liefen, ganz durch das breite aufgespannte Segel entzogen worden, und jetzt, als dieses fiel, war es als ob ein Vorhang niedergerollt wäre um mich mit vorher sorgfältig berechnetem Effect zu überraschen.
Vor mir lag, von der Brandung bespült, die schäumend über lose hingestreute flache Felsblöcke hinwegsprang und sprudelte, der Landungsplatz von Buenos Ayres, und das Ufer wimmelte förmlich von abenteuerlichen, phantastischen Gestalten. Finstere, scharfgezeichnete und sonngebräunte Gesichter starrten überall unter schwarzen Hüten und rothen Mützen auf uns hin, und wohin auch das Auge fiel, begegnete ihm grelle, bunte, meist aber zinnoberrothe Farbe. Die Tracht der Männer erhöhte dabei das Pittoreske der Farben. Den Kopf bedeckt meistens eine rothe, stets keck auf einer Seite getragene Mütze. Der Poncho oder Mantel (ein viereckiges Stück Zeug, durch dessen aufgeschlitzte Mitte der Kopf gesteckt wird) fällt in malerischen Falten um den Körper nieder, und ist nur gewöhnlich über dem rechten Arm durch einen Knopf oder Haken in die Höhe gehalten, um jenem freie Bewegung zu gestatten. Die Beine stecken darunter in weißen langbefranzten Unterhosen, zwischen denen wieder ein buntfarbiges Tuch um die Lenden gegürtet ist, die Füße meistens in ungegerbten Kuh- oder Pferdebeinhäuten, auf deren Zubereitung ich später zurückkommen werde. So ausstaffirt hängt der »Gaucho« auf seinem Pferde, und die beiden vorn aus dem Hautstiefel schauenden Zehen in den kleinen schmalen Steigbügel gestützt, die Linke träge auf den hinten am Sattel befestigten Lasso gestemmt, schaut er mit den scharfen dunklen Augen mürrisch auf den »Fremden« hin, wirft sich dann im Sattel herum und sprengt im gestreckten Galopp das Ufer entlang.
Doch von diesem wird der Blick gar bald zu dem übrigen Treiben der lebendigen Stadt gezogen. Unzählige Boote schießen unter schwellenden Segeln vom Lande, oder zwischen den dort vor Anker liegenden kleinen Fahrzeugen hin; großmächtige zweirädrige Karren fahren überall in dem seichten Uferwasser herum um Ladung und Mannschaft aus den Fahrzeugen zu nehmen, die zu tief im Wasser gehen besonders bei der unruhigen See bis dicht ans Trockne zu laufen. Hier treibt ein brauner, mit zerrissenem Poncho bedeckter Junge eine Heerde rauh genug aussehender Poneys in den Strom, und gerade vor die bald mitten zwischen ihnen hinschießenden Boote hinein, daß die Thiere oft dem rasch dahergleitenden Bug gar nicht mehr so schnell ausweichen können, und nicht selten durch die Wucht des Fahrzeugs umgeworfen werden. Dort stolziren eine Anzahl der wildest und wunderlichst aussehenden Soldaten die mir in meinem ganzen Leben noch vorgekommen sind, ziemlich lässig vor dem Gebäude des Hafencapitäns herum. Gleich daneben singt und jubelt eine Anzahl betrunkener Matrosen, die jenes Kriegsschiff da draußen, von dessen Heck der Pennant flattert, schon vor vier Tagen an Land gelassen hatte, und jetzt, trotz den wiederholten Bitten und Drohungen der Officiere noch nicht wieder an Bord bekommen konnte. Kurz, Menschen und Wogen drängen und treiben durch einander hin, und das Auge wird nicht satt, die neuen Bilder in sich aufzunehmen.
Kaum weniger interessant ist dabei die wenn auch nicht an Naturschönheiten, doch sonst an manchen Eigentümlichkeiten reiche Scenerie. Das Land, wie überhaupt das ganze Ufer des La Plata, von der Mündung bis hierher ist flach und bietet nur wenige Hügel, ja selbst höchst spärlichen Baumwuchs; die Bauart der Stadt aber, die niedrigen Häuser und flachen Dächer, die vergitterten Fenster und das düstere Roth der Backsteine gibt dem ganzen Platz einen so besondern Anstrich, daß man den ersten Eindruck dieser zusammengedrängten Häusermassen wohl schwerlich vergessen wird.
Aber auch oben an der Landung haben die nach europäischem Geschmack gekleideten Männer eine Auszeichnung, die besonders dem Fremden rasch ins Auge fällt und seine ganze Aufmerksamkeit erregt. Die grellrothe Farbe spielt selbst in ihrem Anzug eine bedeutende Rolle, und dient dazu sie als Bürger der argentinischen Republik zu bezeichnen. Die Bürger der Republik müssen nämlich den vom Gouverneur Rosas gegebenen Gesetzen nach eine grellrothe Weste – deren Stoff jedoch in ihrem Belieben steht – ein rothes Band um den Hut, und in einem Knopfloch ein langes Band von eben der Farbe tragen, auf dem die Devise der Republik: »Viva la confederacion Argentina – mueran los salvajes, asquerosos inmundos UnitariosEs lebe die Argentinische Republik, es sterben die wilden, schmutzigen, unmündigen Unitarier. mit schwarzen Buchstaben gedruckt ist. Diese Devise findet sich überall – kein Document wird ausgestellt auf dem sie nicht den Anfang macht, kein Paß wird ohne sie visirt, keine Zeitungsannonce fast ohne sie eingerückt, so daß sie in jedem Blatt unzähligemale vorkömmt; auf den Aushängeschildern findet man sie, selbst über dem Theater, und überhaupt an jedem Ort wo ein öffentlicher Anschlag, eine öffentliche Anzeige oder Ueberschrift angeschlagen, gemalt oder geschrieben ist; selbst der Nachtwächter ruft sie Nachts in den Straßen, und es mag wohl nöthig seyn ein Volk wie das argentinische auch auf keinen Augenblick vergessen zu lassen unter wessen Gewalt es jetzt steht. Früher hatte es darin wenigstens ein nur höchst mittelmäßiges Gedächtniß, und es ist wohl kaum ein Märchen was mir erzählt wurde, daß sich in jener Zeit der häufigen Revolutionen die Leute, wenn sie morgens aufwachten, nicht selten frugen – »wer ist denn nun heute Gouverneur« – Jetzt hat sich das geändert, und die Argentiner wissen für den Augenblick wer Gouverneur ist.
Trotzdem aber, daß die Regierung der jungen Republik für jetzt wohl stark und sicher befestigt ist,Ich schrieb das vor drei Jahren, als Rosas noch fest das Steuer in Händen hielt, und er würde es meiner Meinung nach noch halten, hätte er sich mit der Regierung seiner eigenen Republik begnügt; Montevideo war ihm aber erst ein Dorn im Auge und wurde dann ein Nagel zu dem Sarge seiner Diktatur. kann man den Staat selber doch immer nur als im Entstehen bezeichnen. Bis jetzt hat er sich, während der ewigen Kriege mit dem Nachbarstaat Montevideo nur erst schwach ausbilden können, der Handel auf dem Strome wurde durch die Blokade der Engländer und Franzosen gehemmt, und die Bürger mußten, anstatt zu den nützlichen, einträglichen Beschäftigungen des Bürgers und Landmanns, zu Wehr und Waffen greifen. Auch das Volk im Innern war noch zu wild und trotzig, und fügte sich nur höchst ungern und erst nach heftigem Widerstand den strengen Gesetzen, die seiner Willkür hemmend in den Weg traten. Ja selbst die wilden Stämme der Pampasindianer schreckten durch ihre rohen Grausamkeiten und nicht selten tollkühnen Angriffe die fleißigen Landbebauer zurück sich weiter ins Innere zu wenden. Jetzt aber scheint die schlimmste Krisis überstanden, und die argentinische Republik geht vielleicht bald und mit raschen Schritten einer Wohlhabenheit und Vervollkommnung entgegen, die ihr auch schon ihrer glücklichen Lage und ihres gesunden Klima's wegen im reichsten Maße gebührt.
Für jetzt liegt noch alles im ersten Beginnen, nichts fast von allen hier verbrauchten Fabrikaten wird im Lande selber angefertigt, selbst der Gaucho sieht sich für seine einfachsten Bedürfnisse auf das Ausland angewiesen. Seine Ponchos werden in Europa gewebt, seine großen eisernen Sporen ebendort gegossen, das geringste Kleidungsstück das er trägt, die Botas ausgenommen, kommt über das Meer herüber, und selbst einzelne eigene Erzeugnisse müssen erst versandt werden um in anderem als rohen Zustand hier benutzt werden zu können. Hierher gehört besonders die Wolle, ja sogar das Pferdehaar das die Tapezierer der hier so theuern Arbeit wegen in Deutschland oder England kräuseln lassen, um es hernach zu ihrem Geschäft zu verwenden.
Auch den Fortschritt des Ackerbaues hindert der Mangel an Arbeitern, und der dadurch unverhältnißmäßig erhöhte Lohn. Weiter im Innern des Landes sehen sich die Leute nur auf Viehzucht beschränkt, und sind nicht im Stande die nöthigen Kosten an Einfriedigungen und Gräben für anzulegende Felder zu bestreiten, die überhaupt in dem holzarmen Lande ziemlich hoch zu stehen kommen müssen. Die Ausfuhr der Produkte beweist dieß ebenfalls – wie von der Westküste Afrika's werden von hier aus bis jetzt nur Rohstoffe, als da sind Häute, Wolle, Talg, Haare ec ausgeführt, und doch hat das Land alle die Hülfsquellen die es einst zu einem der blühendsten der Erde machen müssen.
Es läßt sich dabei denken daß noch nicht viel für die Verbesserung des Landes selber geschehen konnte. Dem Hafen fehlt noch ein ordentlicher Leuchtthurm, wie ein Damm oder Ausbau, damit Boote auch, was jetzt bei einem heftigen Südoster förmlich unmöglich ist, vor der Brandung ungehindert landen und löschen können. Ja der Fluß selber muß später, um die Schiffe vor den nur zu häufigen und gefährlichen Sandbänken zu warnen, an noch mehren Stellen mit Leuchtfeuern und Baken und Tonnen versehen werden.
Auch die Straßen der Stadt sind schlecht beleuchtet und in noch ziemlich trauriger Verfassung – bei Regenwetter gleichen die meisten flüssigen Morästen und die unförmlichen, aus dem Inneren kommenden Wägen tragen viel dazu bei, sie in diesem Zustand zu erhalten.
Ein Staat kann aber nie auch gleich vollkommen geschaffen, er muß ausgebildet werden, und wenn der argentinischen Republik nur ein längerer Zeitraum der Ruhe bleibt, daß sie sich von den erst kaum überstandenen Kriegen und Anstrengungen erholen kann, so muß sie, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, reißende Fortschritte machen.
Gouverneur Rosas scheint dabei gerade der Mann zu seyn, das kräftige wilde und auch wohl blutdürstige Volk der Gaucho's – selber ein Gaucho aus ihrer Mitte, mit all ihren Tugenden und Lastern – im Zaum zu halten. Er hat sich als Gouverneur der Republik, trotz allen Intriguen und offenen Angriffen der Gegner bis jetzt zu behaupten gewußt, er hat die Indianer schon mehrmals gezüchtigt und in ihre Grenzen zurückgetrieben und dem Land wie dessen Verkehr mehr Sicherheit gegeben als es je früher, so viel ich darüber hören konnte, gehabt hat. Dabei ist jetzt endlich nach langem Streite ein sechsmonatlicher Waffenstillstand mit Montevideo geschlossen, der wohl, wie man hier hofft und wünscht, in einem gütigen Ausgleich endigen wird.Die neueren Ereignisse haben gezeigt, daß jene Hoffnungen und Wünsche nicht erfüllt werden sollten, ein neuer Krieg hat das Land beunruhigt, Rosas, der bis dahin so gefürchtete Diktator ist vertrieben, und es kommt jetzt nur darauf an, ob die neue Regierung, der es gewiß nicht an gutem Willen fehlen wird ihre eigenen Interessen zu wahren, auch die Kraft hat ihre Absichten durchzuführen, und sich den Gehorsam der Gauchos zu sichern. Das Letzte ist dann gehoben was dem Lande seine, bis jetzt überdieß schon so spärlichen Bewohner so gänzlich entzog, daß an manchen Stellen die Estancias von ihren Insassen total entblößt wurden, daß die Gebäude zerfielen und das Vieh sich in alle Welt zerstreute. Wenn dann noch eine tüchtige Einwanderung (die schon jetzt von den benachbarten Staaten, besonders von Rio Grande und Montevideo begonnen hat), den Eingeborenen zu Hülfe kommt, so kann und muß sich das Land in seinen Erzeugnissen von Jahr zu Jahr bessern, und man darf ihm wohl eine glückliche Zukunft vorherkünden.
Was sein Klima betrifft, so ist schon der Name Buenos Ayres (gesunde Luft) eine Art Bürgschaft dafür; die Stadt selbst ist keineswegs unbedeutend, denn sie zählt über 80,000 Einwohner und die Gebäude sind, wenn auch niedrig, doch gänzlich aus Stein aufgeführt, so daß Feuersbrünste nur höchst selten vorkommen.
Die Kirchen, von denen es eine große Anzahl zu geben scheint, verleihen mit ihren gewölbten Kuppeln der Residenz ein fast morgenländisches Ansehen, dem die sonngebräunten Gestalten der Bewohner auch keineswegs widersprechen, aber die raschen lebendigen Bewegungen dieses centaurenartigen Volkes passen nicht zu dem Bild das wir uns gewöhnlich von den stillen ernsten Söhnen Muhameds machen, und die Kreuze der Kirchen predigen den »rechten Glauben.«
Ich habe meinem Tagebuch hier etwas vorgegriffen, denn der Leser kann sich wohl denken daß ich das nicht Alles gleich auf den ersten Blick übersah, für die ersten Tage die ich in Buenos Ayres verbrachte, bleibt mir aber auch nur sehr wenig zu erzählen, denn meine Beschäftigung beschränkte sich großentheils darauf zuerst ein Unterkommen zu suchen und dann herumzuhören was die Leute hier über meine Absicht, quer durch's Land hin nach Valparaiso zu, sagen würden.
Das erste hatte weiter keine Schwierigkeit, denn ich fand in einem englischen Haus, in welchem sich gewöhnlich deutsche und dänische Capitäne – und von beiden Nationen befanden sich gerade eine ziemlich bedeutende Anzahl in Buenos Ayres – einquartierten, zu einem mäßigen Preis Bett und Kost. – Desto trübseliger sah es aber mit dem anderen aus. Die Leute die ich frug ob ich die Reise jetzt durch die Pampas unternehmen könnte, sagten einfach nein, es wäre nicht möglich – die Pampasindianer hätten sich gerade in diesem Augenblick wieder gegen Rosas empört, und durchstreiften die Steppen nach allen Richtungen in Banden von 200–300 Mann – würde ich von ihnen erreicht, und das sey, wie die Sachen jetzt stünden, kaum anders möglich, so hätte ich auf kein Erbarmen zu rechnen, es sey festes Gesetz bei ihnen die jungen Frauen und Mädchen mitzuschleppen und den Männern einfach die Hälse abzuschneiden. Käme ich aber auch wirklich nach Mendoza, wozu sie aber nicht einmal die Möglichkeit sähen, so müßte ich dann dort jedenfalls liegen bleiben, da ich die Cordilleren gerade mitten im Winter, im Juli, erreichte, und diese durch Schnee, um solche Jahreszeit stets, geschlossen fände – ein Versuch dort hinüberzugehen wäre einfacher Wahnsinn, und ich solle lieber sehen, daß ich – wenn ich doch nun einmal nach Valparaiso müßte, Passage auf einem der gerade in dieser Zeit abgehenden Schiffe fände, die mich sicher und um mäßigen Passagepreis – ich glaube 100 Dollar, bis nach Valparaiso hinüberschaffen würden.
Hätten mir das nur zwei, oder zehn, oder zwanzig Leute gesagt, so wäre noch der Trost dabei gewesen, daß Andere auch eine andere Meinung über die Sache hätten, so aber waren, wunderbarer Weise, Alle gerade in dieser Sache einig, und ich fing in der That schon an zu glauben ich hätte irgend ein wahnsinniges Unternehmen vor, von dem ich doch am Ende, wenn ich mir nicht muthwillig wollte den Hals abschneiden lassen, abstehen mußte.
Der amerikanische Consul, ein Mr. J. Graham von Ohio, der mir überhaupt mit wirklicher Zeitaufopferung die größten Gefälligkeiten erwies, gab sich selber alle Mühe etwas Gewisses oder vielmehr Tröstlicheres über die Reise zu erfahren, denn ich hatte ihm gesagt ich verlange weiter nichts, als nur einen Menschen in der ganzen Stadt zu finden der mir zugestehe daß die Tour eben möglich wäre. Endlich trieben wir einen alten Spanier – ich habe seinen Namen vergessen – auf, der längere Zeit in Mendoza selber gewohnt hatte, und dieser, der auf die erste Anfrage hin ebenfalls nein antwortete, meinte endlich achselzuckend, möglich sey es allerdings, aber ich müßte viel Glück haben.
Viel Glück hatt' ich, also war die Sache abgemacht.
Damit im Reinen, schien es, als ob mir ein ordentlicher Stein vom Herzen gefallen wäre, und ich konnte mich nun in voller Ruhe all den fremden wunderlichen Eindrücken hingeben, die diese fremde und wunderliche Umgebung auf mich machte. Was ich jetzt auch noch gegen die Reise selber hörte, betrachtete ich vom richtigen Gesichtspunkt aus und ließ die Leute eben reden.
Vor allen Dingen beschäftigte ich mich nun damit, meine kurze Zeit in Buenos Ayres auch so gut als möglich anzuwenden, und so viel ich konnte über die Verhältnisse der Deutschen dort, oder überhaupt der Fremden, in Bezug der Auswanderung zu hören. Im Auftrag hierzu von unserem früheren deutschen Reichsministerium (wenn die Deutschen doch wenigstens nie vergessen wollten, daß sie einmal ein Reichs ministerium hatten) suchte ich auch direkt vom Präsidenten der Republik zu erfahren, in wie weit er deutsche Einwanderung begünstigen würde, und machte mehre kleine Streifzüge in die nächste Nähe der Stadt, die dortigen Estancias und Anpflanzungen selber zu sehen, wie etwas Näheres über ihre Bearbeitung und ihren Fortgang zu hören.
Ehe ich jedoch dazu übergehe, will ich mich in ein paar Worten noch mit der Stadt selber beschäftigen.
Buenos Ayres ist eine längs dem Fluß in regelmäßigen Blöcken und breiten Straßen vortrefflich ausgelegte Stadt, die einen sehr bedeutenden Flächenraum einnimmt, und eine doppelt so große Zahl von Einwohnern in sich fassen könnte, wäre nicht die weitläufige spanische Bauart mit den niederen Gebäuden und luftigen Hofräumen, mehr auf das warme Klima als darauf berechnet, eine Masse von Seelen oder vielmehr Körpern, in einen möglichst kleinen Raum zusammen zu drängen.
Die Tracht der Einwohner ist eine wunderliche Mischung von Französisch, Spanisch und Indianisch – die gebildetere Klasse wie die Fremden tragen die französische Tracht – Frack, Oberrock, lange Beinkleider und schwarzen Hut, die Argentiner nur eben mit dem patriotischen Zusatz der rothen Weste und dem rothen Hutband, dennoch aber, und besonders beim Reiten, auch dem des Poncho. Da ich diesen Poncho aber, bei einem längeren Aufenthalt in Südamerika, wohl ziemlich häufig erwähnen werde, ist es vielleicht besser ihn hier gleich so kurz, aber auch so genau als möglich, zu beschreiben.
Der Poncho ist, aus den verschiedenartigsten Stoffen – von der feinsten Weberei nieder bis zu der gewöhnlichsten wollenen Decke hinunter verfertigt, ein länglich viereckiges Stück Zeug, mit einem Schlitz in der Mitte, gerade groß genug, den Kopf hindurch zu lassen. Er hängt in Falten über die Schultern hinunter, wird aber beim Reiten, besonders wenn der Reitende seinen Lasso zum Gebrauch fertig hält, auf der rechten Schulter in die Höhe genommen und fest geknöpft, den rechten Arm frei zu lassen.
Der Gaucho und Peon oder Diener, selbst die meisten Abtheilungen der Soldaten, wenigstens die ganze Cavallerie tragen diesen Poncho, und darunter, statt der Hosen die sogenannte cheripa, ein dem Poncho ähnliches Stück Tuch, das hinten am Gürtel befestigt ist, und zwischen den Knieen durch, vorn zum Gürtel heraufgezogen und dort eingesteckt wird.
Die Füße der unteren Klassen, natürlich nur die der Männer, stecken in Stücken ungegerbter Haut, die sie den Beinen junger Pferde und Rinder nur eben abgestreift haben, sie auf die eigenen Füße zu ziehen. Die Haare werden mit ihren scharfen Messern herunterrasirt und das Fell dann durch Oel geschmeidig erhalten.
Die Tracht der Frauen ist meist spanisch, wenigstens gibt ihnen die Mantille ein solches Aussehen, obgleich die Damen der argentinischen Residenz, selbst den Französinnen nicht in geschmackvoller Toilette nachstehen würden.
Merkwürdig für den Fremden, und für mich besonders ungemein interessant, ist das Leben und Treiben in den Straßen selber. Die wilden Gestalten der Gauchos mit ihren flatternden Ponchos und Kopftüchern – die großen unbehülflichen Wägen, die, von Ochsen gezogen, mit ihren zwei riesigen, oft zehn Fuß hohen Riemen umwickelten Rädern durch die Stadt rollen – die Gauchojungen, die Morgens mit ihren zwei Milchblechen auf dem Pferd, das eine nackte Bein herunterhängend, das andere auf den Sattel gezogen, zu Markt kommen – die zerlumpten Soldaten, die vor den öffentlichen Gebäuden Wache stehen – die vorherrschend grell rothe Farbe der ganzen Bevölkerung – die langen, freilich verbotenen Messer in den Gürteln – die niederen Häuser dabei und vergitterten Fenster, das Alles glitt mir oft wie die wunderlichen Bilder einer Laterna magica vor den Augen vorüber und ich freute mich dann wohl im Stillen, daß ich da wirklich mitten drin sitze in all dem Schaffen und Treiben, und jetzt so recht hineinstürmen dürfe in das freie fröhliche Leben.
Was nun die Vergnügungen der Stadt betrifft, so bin ich freilich nicht im Stande viel darüber zu sagen – meine Zeit war mir dort viel zu knapp zugemessen, mich diesem überlassen zu dürfen, und nur einer Beschreibung nach, kann man in solche eben nicht genug eingeweiht werden, dem Leser wieder einen deutlichen Begriff zurückgeben zu können. Das wenige, was ich aber darüber weiß, soll ihm nicht vorenthalten bleiben.
Buenos Ayres hat zwei, und wie es heißt, sehr gut besuchte Theater, das eine – das Victoriatheater, soll eine recht tüchtige Oper besitzen, das andere bringt Schauspiele, verschmäht es aber auch nicht, Taschenspieler und Seiltänzer in seine Räume und den Kreis seiner Wirksamkeit aufzunehmen.
Aber selbst im Theater entgehen die Argentiner nicht der Devise, bei der es nur fehlt, daß sie die Bäcker auch noch mit auf die einzelnen Brödchen drucken müßten. – Viva la confederacion Argentina etc.
Vor jedem Stück nämlich Oper, Schau- oder Lustspiel, mag es nun in Amerika, Asien oder Europa spielen, muß der Vorhang, ehe es selber beginnt, aufgezogen werden – dann stehen sämmtliche Spielende auf der Bühne, die Hauptpersonen voran, der Chor hinter ihnen (sämmtlich im Costüm) und die ersteren rufen nun mit lauter Stimme:
Hauptpersonen: Viva la confederacion Argentina – worauf der Chor einfällt,
Chor: Viva –
Hauptpersonen: Mueran los salvajes Unitarios!
Chor: Mueran.
Dann fällt der Vorhang, es entsteht eine kleine Pause, und das Stück kann nun, nachdem das Publikum recht in den Geist desselben hineinversetzt ist, beginnen.Etwas Aehnliches habe ich übrigens auch später einmal in Sidney gesehen, wo die englischen Schauspieler bei einer besonders feierlichen Gelegenheit ebenfalls nach Art der Argentiner vor dem Anfang des Stückes und in vollem Costüm in Masse heraustraten und ihr God save the queen sangen. Besonders rührend machte sich dieß, da in diesen loyalen Wunsch selbst ein Chor von »Seeräubern« (in Balfe's Oper the enchantress) mit einstimmten.
Buenos Ayres erfreut sich auch neben diesen Theatern oder erfreute sich wenigstens damals, eines Puppen- oder Marionettenspiels – mit derselben entsetzlichen Devise über dem grob gemalten Vorhang und derselben Verpflichtung gegen das Gesetz, nach der selbst die Marionetten vor dem Beginn »aufgetreten werden müssen« und ihre Leiter hinter den Coulissen mit lauter Stimme rufen – Viva la confederacion – mueran los salvajes Unitarios.
Es existirt in der Stadt ein Leseclub, der auch deutsche, französische, englische und portugiesische Zeitungen hält. In Buenos Ayres selber erscheinen vier Zeitungen, drei spanische und eine englische – »The British Packet« – aber unter diesen kein einziges eigentliches Localblatt. Am wunderlichsten ist übrigens in dem Lesecirkel die deutsche Literatur vertreten.
Die in dem Anschlagzettel verzeichneten Journale sind: Augsburger Allgemeine Zeitung, Börsenhalle, Kritische Blätter, Preußische Zeitung – der Freischütz, Elberfelder Zeitung, Deutscher Freihafen und Berliner Zeitung. Von diesen sind aber nicht da: Augsburger Allgemeine Zeitung, Preußische Zeitung, Deutscher Freihafen und Berliner Zeitung; nur der Freischütz und die Börsenhalle kommen regelmäßig. Außerdem lagen noch auf dem Tisch, ohne angezeigt zu seyn: die Grenzboten, die Fliegenden Blätter und die Düsseldorfer Hefte. Von englischen Zeitungen wird, außer verschiedenen Magazines und Reviews, die Times, Morning Chronicle, Illustrated London News, London Price Current, Lloyds List, Spectator, Gores General Advertiser, Examiner und der Liverpool Mercury, Liverpool Albion und Liverpool Times gehalten. Von den französischen Blättern stehen angezeigt: Journal des Debats, Journal du Havre, Democratie, Le Cabinet de lecture, Revue de Paris, La Reform, Le Siecle, La Presse, Moniteur Universelle; Le National, L'Union, L'Illustration. Doch fehlten auch hiervon einige.
Was die hiesige deutsche Literatur betrifft, so sieht es mit der traurig genug aus; an eine deutsche Zeitung ist gar kein Gedanke, und selbst deutsche Bücher sind nur in sehr wenigen und meist zufällig hierher verschlagenen Exemplaren bei zwei deutschen Buchbindern, Herrn Remike und Kaiser, zu haben. Viel würde von diesen allerdings nicht an Deutsche abgesetzt werden, denn der Handwerkerstand liest leider sehr wenig und kauft noch weniger Bücher, Manches würde aber doch Abnahme finden, und jedenfalls verdiente dieser Geschäftszweig etwas mehr Aufmerksamkeit.
Gleich in den ersten Tagen machte ich einen kleinen Abstecher in die nächste Umgebung der Stadt, einige Deutsche, die in der Nähe ihre Estancias haben sollten, zu besuchen, und selber einmal mit eigenen Augen diese südamerikanischen Farmen zu sehen, von denen ich so Manches gehört, und doch noch keinen rechten Begriff bekommen hatte.
Mein Begleiter war ein kleiner deutscher Bauer, seinen Namen habe ich vergessen, nichts komischeres gab es aber, als ihn oben auf seinem riesigen Pferd kauern zu sehen, und beim Trab fürchtete ich mehremale, daß es ihn förmlich auseinander schütteln würde. Er kannte aber die ganze Nachbarschaft, und brachte mich zu einigen seiner Bekannten, mit denen er vor achtzehn oder zwanzig Jahren über See gekommen war, und die sich hier meistens in vortrefflichen Umständen befanden.
Die Umgegend von Buenos Ayres bietet, außer dem breiten schönen Strom mit seiner Menge von Masten, dessen gegenüberliegende Ufer nur manchmal bei sehr hellem Wetter sichtbar seyn sollen, sehr wenig Pittoreskes; trotz dem ist die Natur auch in dieser Gestalt schön, und besonders fesselt manche Eigenthümlichkeit das Auge des Europäers. Zu diesen gehören die Einfriedigungen der Gärten und kleineren Felder nahe bei der Stadt, die des großen Holzmangels wegen meistens aus dicht aneinander gepflanzten wuchernden Aloes und Cactus bestehen. Vorzüglich schön sehen die Aloes aus mit ihren riesigen fleischigen Blättern und den oft bis über 24 Fuß hoch aufgeschossenen Blüthenstengeln (jetzt leider nicht in der Blüthe), und so dicht drängen sie zusammen, daß ein Pferd oder Rind wohl nicht leicht den Durchgang wagt, ein Mensch sich aber erst eine Bahn hindurch schneiden oder hauen müßte. Auf solchen Einbruch steht jedoch Todesstrafe, und die Gesetze lassen hier nicht mit sich spaßen.
Mitten zwischen solchen Gärten und Hecken ritten wir hin, vergebens aber suchte das Auge einen ordentlichen anständigen Baum, der eine Abwechslung in die grenzenlose Fläche brachte; nur kleines niederes Gesträuch, Weiden und derartiges Buschwerk begegnete dem Blick, und die Blüthenstengel der Aloe reichten hoch über diese hinaus.
In dem Deutschen, Herrn –, dessen Farm wir hauptsächlich besuchen wollten, fanden wir einen freundlichen gefälligen Mann, der uns bereitwillig seine ganze Einrichtung, wie Felder und Wirtschaft zeigte.
Alles was er gepflanzt hatte schien vortrefflich zu gedeihen, die Felder und Holzpflanzungen waren mit Aloe dicht umzäunt und gegen das Eindringen der Thiere vollkommen gesichert, er hatte tüchtige Pferde, einen, aber natürlich draußen weidenden sehr guten Viehbestand, und zog durch die Nähe der Stadt schon durch Milch und Butter einen nicht unbedeutenden pecuniären Nutzen.
Der Mann war aber auch in anderer Hinsicht ein ächter amerikanischer Farmer geworden, und hätte sich seinen Brüdern in Nordamerika ohne weiters anreihen können – er schimpfte aus Leibeskräften auf die Deutschen und meinte, diese sollten nur um Gottes Willen nicht auswandern oder nach Südamerika kommen, denn arbeiten wollten sie doch nicht, und zum zugucken brauchten sie Niemanden mehr, da hätten sie gerade genug. Er beschäftigte auch eine Anzahl von Spaniern auf seinem Grundstück – Einzelne warfen Gräben aus, an denen hier die Cactus und Aloehecken gepflanzt werden, Andere entnahmen den dichten Reihen der letzteren junge Schößlinge, neue Schutzfenzen damit anzulegen; wieder Andere hieben junge Pfirsichstämme ab, und banden sie zu einer bestimmten Größe von Bündeln, zum Verkauf in die Stadt zusammen, denn so arm ist dieser Theil der Welt an Holz, daß wirklich Pfirsichholz, nur zu diesem Zweck angebaut, den größten Theil des Brennmaterials liefert. Nirgends beschäftigte er aber Deutsche und versicherte uns, wenn er auch einmal einen deutschen Arbeiter kriegte, so verdienten sie gewöhnlich das Brod nicht, denn erstens wollten sie nicht arbeiten, und dann forderten sie den dreidoppelten Lohn von dem, was er dem fleißigsten Spanier gäbe.
Ich konnte natürlich nicht untersuchen ob der Mann recht hatte, jedenfalls war aber seine Klage, wenn auch wohl hie und da begründet, doch im Allgemeinen übertrieben. Die Leute die schon in Deutschland nie gearbeitet haben, und nun mit den extravagantesten Erwartungen nach einem fremden Welttheil auswandern, mögen natürlich dort ebenfalls nichts thun, ja selbst die arbeitende Klasse hat sich meist immer so eine kleine Beihoffnung mitgebracht, nach der es in dem fremden Welttheil doch wohl ein Bischen leichter für die Sehnen gehen könnte, als in dem alten Vaterland – wenn sie das auch eben nicht deutlich ausspricht, und ist dann im Anfang eben nicht angenehm überrascht, wenn sie das nicht bestätigt findet; diese Letzteren richten sich aber gar bald auch in das Alte Gewohnte wieder ein, und werden gute Arbeiter und Landbebauer.
Von dort ritten wir noch nach einigen anderen Estancias hinüber, bei denen wir aber die Eigenthümer nicht selber aufsuchten, und kamen zuletzt an ein altes wunderliches Gebäude das, wie mir mein Geleitsmann sagte, in früherer alter Zeit einmal eine Kirche und ein Kloster gewesen sey, für die Deutschen hier aber auch noch in anderer Beziehung wichtig und interessant wäre, da es den damals von Rosas herübergezogenen Einwanderern für längere Zeit zum durch die Regierung angewiesenen Aufenthalt gedient hätte. Diese deutschen Arbeiter sollten nämlich gerade in einer Periode eingetroffen seyn, wo sie der Gouverneur, mitten in der politischen Aufregung, unmöglich gleich unterbringen und verwenden konnte; er hatte nicht einmal Arbeit für sie, wie trefflich er sich aber damals gegen die Deutschen benommen hätte, konnte der alte Bursche nicht genug rühmen. Ihnen wurde nicht allein das alte Kloster zum Aufenthaltsort angewiesen mit den nöthigen Provisionen für Frau und Kind, nein die Männer bekamen auch noch ihren trefflichen Tagelohn ausbezahlt, ohne daß sie auch nur zu irgend einer Arbeit aufgefordert gewesen wären.
»Das waren Zeiten« rief mein alter Deutscher, und hielt sein Pferd an, sich beim Reiten, denn sein Thier trabte ein wenig hart, nicht vielleicht einmal aus Versehen die Zunge abzubeißen, »das waren Zeiten, alle Tage unser gutes Essen, dreimal so gut wie wir's in Deutschland gehabt, und unser Tagelohn, viermal so viel wie wir hätten dort verdienen können und »gar nischt« dabei zu thun – und das dauerte viele Monate – da haben wir uns von der Seereise recht erholen können – und wie wir ja nachher was schaffen sollten, da konnte man sich auch noch immer mit größter Bequemlichkeit drum herum drücken, aber der Lohn ging fort.«
Eine ebenso nützliche Bevölkerung schien Rosas jetzt darin zu halten, eine Anzahl der leeren Zellen war nämlich von einem Schwarm Pampasindianern eingenommen, die von Rosas besiegt und gefangen genommen, hier von ihm friedlich gehalten und ernährt wurden.
Ob er selber so friedlich gegen diese, ihm stets feindlich gesinnten und blutdürstigen Stämme dachte, will ich dahingestellt seyn lassen, aber er durfte die rachsüchtigen Horden, denen das ganze Innere seines Landes preisgegeben lag, auch nicht unnöthig reizen und zur Vergeltung treiben, und deßhalb wurden diese Kinder der Steppe hier in ihrer Gefangenschaft, in der sie aber anscheinend ganz frei herumgingen, so gut und nachsichtig behandelt wie nur irgend möglich.
Dicht an der Stadt sollte noch ein ähnliches aber viel stärkeres indianisches Lager des nämlichen Stammes seyn, der ebenfalls den Platz nicht wieder verlassen durfte.
Es war eine, nicht sehr große, aber gedrängte kräftig muskulöse Menschenrace den nordamerikanischen Indianern, besonders in Haar und Farbe gar nicht unähnlich und um die einzelnen, in dem weiten Hofraume errichteten Lagerfeuer kauerten die verschiedenen Familien, ihrer Mahlzeit entgegenharrend. Die Männer standen dabei oft auf, und schritten gravitätisch, in ihre Decken geschlagen, in den Gängen herum, während die Frauen die kleinen dürftigen Feuer zusammenschütten und in Gluth zu halten suchten, damit das dicht daran gehangene Fleisch wenigstens in etwas durchbraten und gar werde.
In ihren Zimmern, wenn eine Art offener Ställe überhaupt so genannt werden kann, sah es ebenfalls wild genug aus – die Lagerstätten, meist von Bambusstöcken hergerichtet, waren etwas vom Boden erhöht – ein eigener Luxus den sie hier mit dem Schlafen trieben; ein paar wollene Decken und selbstgewebte Ponchos und Cheripas bildeten das ganze übrige Ameublement, denn sie wurden zugleich zu Tischen wie Stühlen verwandt; man hätte denn noch ein paar Pferdeschädel dazu rechnen wollen, die den Familienvätern zu Lehnsesseln zu dienen schienen.
Das ganze Gebäude sah dabei wild und schaurig genug aus – nicht ein einziges Fenster war noch mit einem gesunden Schalter versehen – die Thüren hingen theils hie und da in einer Angel, und schlenkerten und klapperten mit dem Luftzug hin und wieder, oder waren auch schon großentheils von den darin gerade nicht scrupulösen Söhnen der Steppe, zu Feuerholz klein geschlagen und aufgebraucht worden.
Selbst die alte Kapelle schien von den gierigen Händen der Zeit, und den fast noch gierigeren der Menschen, nicht verschont geblieben. Die Wände standen, ihres früheren Schmucks beraubt, kalt und kahl da, nur hie und da hingen noch ein paar alte verwitterte Zierrathen, die es den Leuten nicht der Mühe werth gewesen seyn mochten aus ihrer etwas unbequemen Höhe herabzuholen, in einer der Ecken; in einer zusammengebrochenen Nische stand auch ein kaum mehr erkennbares Steinbild von einem – Heiligen oder Götzen – es wäre schwer gewesen das jetzt zu bestimmen. Wenn aber auch alles übrige Holzwerk, eben wohl zu Feuerung, herausgebrochen seyn mochte, hatte man doch den Altar, vielleicht in einer Art Ehrfurcht der selbst den heidnischen Pampas vor dem Gott der Christen eingeprägt seyn mochte, stehen lassen, und sogar die alte, schwer gestickte Altardecke hing noch, wenn auch in Fetzen und schon fast verwittert, von dem vorderen Theil desselben herunter.
Ich wanderte lange Zeit in dem alten wunderlichen Gebäude umher, so lange daß es mein kleiner Begleiter zuletzt schon herzlich satt bekam, und mich frug, was man in den verwetterten windschiefen Nestern denn nur so ewig zu schauen finden könnte. – Da ich daran verzweifelte ihm das je begreiflich machen zu können stiegen wir endlich wieder auf unsere Pferde und ritten weiter.
Auf dem Rückweg besuchte ich die Quinta oder das Lustschloß des Gouverneurs, das Fremden stets offen steht – sie liegt etwa eine Stunde Wegs von der Stadt entfernt höchst angenehm dicht am Strom, und der Blick erfreut sich dort zum erstenmal wieder an grünen schattigen Bäumen, die das niedere, von Säulengängen umschlossene Lusthaus dicht umgeben. Der Aufenthalt muß hier, besonders im Sommer, reizend seyn, nur die Berge fehlen dem Hintergrund und dem Auge dadurch auch die freundlichen, weit hinausschweifenden Gebirgshänge mit ihren kühlen Schluchten und moosigen Felsen. Alles ist flach, und es kommt Einem manchmal ordentlich das Gefühl, als ob man sich hoch über die Ebene emporheben und froh aufathmend das weite schöne, aber noch so wilde Land überschauen möchte.
Der Platz um die Quinta her ist ungemein gut im Stand erhalten und eine Sorgsamkeit auf die kleinste Pflanze verwendet die besonders dann einen fast wohlthätigen Eindruck auf den Beschauer macht, wenn man die wilden Gestalten dabei sieht, die hier mit vorsichtiger Hand Bäume und Blumen pflegen.
Zu den Merkwürdigkeiten der Quinta gehört eine amerikanische Brigg, die einmal bei einem heftigen Südoster hier auf das Land getrieben, und später von Rosas angekauft wurde. Jetzt steht sie hoch und trocken mitten zwischen den sie umschmiegenden Weiden, über welche die beiden Masten hoch und kahl hinausragen. Sie ist übrigens im Innern sehr elegant zu einem einzigen Salon hergerichtet und eine bequeme Treppe daran hinaufgebaut.
Zu den Wundern dieser Brigg gehörte, wie mir erzählt wurde, früher auch noch eine darin aufgestellte Drehorgel, die Rosas einmal früher Gott weiß welchem wandernden Prager abgekauft – die Spanier aber, welche die Brigg besuchten und die Orgel spielten, sollen erst auf die richtige Art herumgedreht und nachher versucht haben, das Instrument »abzurichten« um es auch rückwärts musiciren zu machen, was aber die Stifte wohl nicht vertragen konnten, die Orgel mußte wenigstens später, gänzlicher Unmöglichkeit wegen auch nur noch einen einzigen Takt weder nach rechts noch links herum aus ihr herauszudrehen, entfernt werden.
Der Eintritt zu diesem Fahrzeug ist, wie bei der Quinta, den Fremden auf das gastfreundlichste geöffnet, und selbst die dort Wache haltenden und die Beschauer herumführenden Soldaten sind auf das strengste angewiesen kein ihnen gebotenes Geschenk zu nehmen.
Besonders gut hat mir bei der Anlage seines Lustorts gefallen, daß der Gouverneur, alles Fremdartige und Fremde verschmähend, die wilden Thiere seines eigenen Landes hierher verpflanzt hat und hält. So steht man in einem weiten, von niederem Eisengitter umschlossenen Raum eine Anzahl der südamerikanischen Strauße oder Casuare; in einem der kleineren Gebäude liegt, an allerdings etwas sehr dünner Kette, und sonst ganz frei, ein prachtvoller argentinischer gefleckter Tiger – dem asiatischen ganz gleich, nur etwas kleiner, und in einem Käfig nicht weit davon entfernt, ein Kaguar oder amerikanischer Löwe. Dem Tiger sind übrigens die Zähne abgefeilt und die Krallen dicht beschnitten so daß er, wenn er sich losrisse, einen Menschen höchstens todt quetschen könnte.
Selbst die fernen Kordilleren haben zu dieser kleinen Creolemenagerie, wie sie in Louisiana sagen würden, einen Tribut liefern müssen, denn auf einer, von tiefem Graben umzogenen und Aloe, Cactus und Dornhecke dicht umschlossenen Wiese, grasen drei Lama's und Guanaka's.
Auf dem Heimritt hielten wir uns etwas länger bei den Kasernen auf, die gleich unterhalb der Quinta stehen. Es sind das lauter kleine, nicht weit von einander und zwar einfach genug errichtete Hütten, die ein förmliches feststehendes Lager bilden, in dem die Soldaten mit ihren Familien wohnen. Das Ganze hat auch in der That mehr ein indianisches als civilisirtes Ansehen, und die Soldaten, die hier ganz nach indianischer Weise leben und lagern, können wirklich fast mehr zu wilden als civilisirten Stämmen gerechnet werden.
Diesem entsprechend, sieht auch ein großer Theil des Militärs wunderlich und wüst genug aus, rauh und abgerissen, eher einer Räuberbande als einem anständigen Heere gleich – ich verlange wahrhaftig keine Kamaschendisciplin und je einfacher die Soldaten gehalten werden, desto weniger sind sie ein »theueres Spielzeug« des Fürsten, aber einerlei Hosenbeine können sie denn doch haben, und wenn sie nun einmal am linken Fuß keinen Schuh erzwingen können, so sollten sie es wenigstens wie ihr Nebenmann machen, und den vom rechten ebenfalls herunter lassen.
Uebrigens sollen es tüchtige Burschen seyn, und sich in den früheren Kriegen schon wacker geschlagen haben. – Mir wurde gesagt daß sie wie die Mauern stehen – wenn man sie nur einmal vor dem Davonlaufen bewahren kann.
Die reguläre argentinische Kavallerie hat dagegen ein desto pittoreskeres, ja wirklich romantisches Ansehen. Die dunkelblauen Ponchos mit weißen Randstreifen und rothem Futter, die gleichen langen und spitzen Mützen vorn mit den Zipfeln herumgelegt und befestigt, machen sich vortrefflich. Dabei tragen sie eben solche blaue mit weißen Litzen besetzte Cheripa und weiße befranzte Leggins.
Auch eine Abtheilung der regulären Infanterie sieht originell und gut aus. Diese ist ganz in die Nationalfarbe – roth – gekleidet. Feuerrothe spitze Mütze – eben in der Art wie bei der Kavallerie getragen, feuerrothen Poncho mit weißen Streifen rings herum und eben solche Cheripa gleichfalls mit weißen befranzten Leggins oder Unterhosen.
Eines eigenen Gesetzes muß ich aber hier, da ich gerade von dem Militär spreche, erwähnen. In früheren Zeiten wo die Miliz noch in Masse aufgeboten wurde und häufig in der Stadt exerciren mußte sich einzuüben, geschah es oft daß Fremde die nicht militärpflichtig waren, also an diesen Uebungen auch nicht theilzunehmen brauchten, über die, vielleicht etwas abenteuerlichen Gestalten lachten und ihren Spaß darüber hatten. War dieß nun die Ursache, oder mehr der angegebene Grund: »daß Fremde in der Zeit, welche argentinische Bürger dem Wohl des Staates opfern mußten, nicht allein Geld verdienen, und diese dadurch doppelten Schaden leiden sollten,« kurz das Gesetz erschien, und war noch damals in Kraft, daß sich Niemand, so lange zu gewissen angesetzten Stunden (meistens Sonntags) exercirt wird, bei Strafe arretirt zu werden, auf der Straße dürfe blicken lassen. Alle Läden waren gesperrt, und selbst der Aufenthalt auf den flachen Dächern zu dieser Zeit untersagt.
So strenge wurde dieß Gesetz dabei gehalten, daß sich selbst auf dem Lande, wenn dort draußen Manöver war, Niemand durfte sehen lassen; keinem Reisenden war es erlaubt in solcher Zeit und in der Gegend seinen Weg fortzusetzen, und sogar die Hirten mußten in ihre Behausungen zurück. Die einzige Ausnahme fand bei den Schafheerden statt, bei denen ein Schäfer bleiben durfte.
Von diesem kleinen Ritt, der mich kaum aus der nächsten Umgebung der Stadt, und noch nicht einmal aus den Hecken der Felder hinausbrachte, zurückgekehrt, bekam ich eine Einladung des Bremer Consuls, Herrn *** seine, etwa drei Leguas, etwa neun englische Meilen entfernte Estancia zu besuchen.
Mir war dieß aus zwei Gründen sehr angenehm, denn erstens lernte ich dadurch einen kleinen Theil des Inneren kennen, und zweitens übte ich mich ein wenig im Reiten – ich wünschte mich selber erst einmal wieder zu probiren ob ich auch einen so langen anstrengenden Ritt, wie ich jetzt vor mir hatte, gut aushalten würde.
Das ging jedoch besser als ich erwartete, denn wenn ich auch in Nordamerika wochenlang hintereinander im Sattel gehangen hatte, war ich doch wieder die langen Jahre in Deutschland nur sehr selten »an Bord eines Pferdes« gekommen. Ich empfand nicht die geringste Unbequemlichkeit, ja im Gegentheile ergoß es sich mir ordentlich wieder wie mit neuer frischer Lebenskraft durch die Adern nach so langer Seereise die frische herrliche Luft einathmen und auf einem starken kräftigen Thier über die Ebene dahinbrausen zu können.
Nur zu sehr beengt fand ich mich noch im Anfang durch Hecken und Gebäude – mich drängte es wieder einmal, frank und frei hinaus in das wilde ungehemmte Leben zu tauchen, und Alles was mich an Civilisation erinnerte war dabei meinen Gefühlen eine Art Hemmschuh. Hier beginnen aber erst die ordentlichen Pampas, denn bis dahin findet man doch noch einen kleinen Hügel oder wenigstens etwas erhöhtes Land, mit einzeln zerstreutem Buschwerk oder Anpflanzungen von Pfirsich-, Paradies- und andern Bäumen, weiter hinein aber soll das ganz aufhören, und das Auge nichts finden auf dem es haften könne als eine einzige ununterbrochene, meerähnliche Fläche.
Ansiedlungen kann man übrigens diese Estancia's gar nicht nennen; es sind nur Gebäude mit mehren Einfriedigungen, Vieh darin zu halten, und die Bewohner derselben machen auch nicht den mindesten Versuch selbst nur das zu bauen was sie für sich allein zu Brod oder Gemüse brauchen könnten. Fleisch ist die einzige Nahrung; der Südamerikaner ißt hier wirklich »Fleisch zu Fleisch,« und alles fast was er braucht weiß er den Thieren die er schlachtet abzugewinnen.
Diese Plätze im Innern des Landes haben dann aber auch wahrlich nicht das Gemüthliche, Wohnliche, Sichere einer europäischen Landwirthschaft. Das reinlich stille Treiben eines Landguts, dessen Bewohner sich hauptsächlich von Vegetabilien nähren, fehlt ihnen ganz; überall bezeichnet Tod und Verwesung das rauhe Handwerk des Viehzüchters. Wohin das Auge, besonders in der Nähe der Häuser, blickt, sind Spuren von geschlachteten oder gefallenen Stücken Vieh zu sehen; überall liegen Häute, Schädel, Eingeweide, Hörner, Hufe, Knochen, Blutspuren; tausende und tausende von Aasgeiern, Raubvögeln und Möven umschwärmen diese Plätze, und die Nase muß sich erst wirklich an den im Anfang widerlichen frischen und faulen Fleisch- und Blutgeruch gewöhnen.
Die sonst friedlichen und eigentlich nicht fleischfressenden Hausthiere lernen sich ebenfalls in das Unvermeidliche fügen und verändern ihre Natur, Hühner und Gänse, selbst die Truthühner leben allein vom Fleisch, und die Schweine werden davon gemästet. Ueberall liegen frische Häute ausgespannt oder hängen zum Trocknen auf, und besonders in der Nähe der Stadt, wo die großen Saladéros oder Schlächtereien sind, begegnet das Auge, wohin es sich auch wendet, den Spuren der Verwesung. Sechs bis acht Fuß hohe Mauern sind allein ganz von Stierköpfen, die Hörner alle gleichmäßig übereinandergelegt, errichtet, ja die Vertiefungen der Straße selbst mit Gebeinen und Knochen ausgefüllt. So sah ich z. B. eine Stelle, wo Tausende und Tausende von unschuldigen Schafsköpfen dazu dienen sollten, eine sonst unbezweifelte Riesenpfütze in befahrbare Chaussee zu verwandeln. Ist es da ein Wunder, daß die Bewohner dieses Landes, von nichts als Fleisch genährt, fortwährend schlachtend und immer von Blut und Verwesung umgeben, selber wild und blutdürstig sind, und nur zu oft ein Menschenleben nicht höher halten als das eines Stiers oder Pferdes? Die rein animalische Nahrung muß den Menschen nothwendig verwildern, und die an das Messer gewöhnte Hand wird mit dem Gebrauch desselben zu sehr vertraut, es nicht auch manchmal mißbrauchen zu sollen, oder doch wenigstens in »unbeschäftigten Stunden« damit zu spielen.
Einen freundlicheren Anblick gewähren übrigens die weiten, nur vom Horizont begrenzten Wiesen, auf denen zahlreiche Heerden von Rindern, Schafen und Pferden, theils in zusammenhaltenden Massen, theils einzeln zerstreut werden. Eine ungeheure Menge von wildem Geflügel belebt dabei jeden anderen Platz, und nicht allein Raubvögel, sondern auch wilde Enten, Gänse, Schwäne, Reiher, Flamingos etc. durchziehen die Luft, oder stehen in dem Sumpfwasser der Steppe.
Die Jagd auf Wasservögel ist hier in der That ungemein ergiebig, und ich habe selbst in Louisiana, wo es doch wahrlich Enten und Schnepfen zur Genüge gab, nichts Aehnliches gesehen. Wir gingen nur ein einzigesmal mit den Flinten hinaus, und zwar mehr um die verschiedenen Gattungen Wild zu sehen, als viel davon zu schießen; ich fand aber wirklich meine kühnsten Erwartungen übertroffen.
Das Wild, was wir in etwa einem halben Tag sahen, war: Schwäne, wilde Gänse, viele Arten von Enten und Tauchern. Zwei Arten von Flamingos, eine rosenrothe Art, die besonders wunderschön aussah wenn sie mit ausgebreiteten Flügeln aufstieg, und eine andere, etwas größere mit dunklerem Roth und Schwarz. Unzählige Kibitze, die ebenfalls eßbar sind, hier aber, da man doch genug Geflügel hat, selten erlegt und dadurch fast zahm werden; Wasserschnepfen, Becassinen in förmlichen Völkern von 80 und 90 Stück, Strandläufer, eine Art Wassertruthahn, so groß wie ein gewöhnlicher Truthahn, aber nicht genießbar, dann einen anderen Vogel von der Größe eines Birkhuhns, auch wohl noch etwas größer, der ein so delikates Fleisch haben soll wie der Fasan; ferner Gott weiß, wie viele Gattungen von Raubvögeln, Aasgeiern, Möven und kleinen Eulen, Reihern und Störchen.
Außerdem gibt es hier noch in ungeheurer Menge ein Thier, das sehr große Aehnlichkeit mit dem Hamster hat, in Größe und Lebensart aber fast dem Dachs gleichkommt. Es lebt in Höhlen, in den Steppen, und kommt gegen Abend ins Freie. Ein junger Bremer, Namens Cäsar, der so freundlich war, mich dort herumzuführen, schoß eines, damit ich es näher beschauen konnte; wenn man aber darauf ausging, glaub' ich sicher, daß man, besonders in mondhellen Nächten, gerade so viel deren erlegen könnte, wie man Ladungen von Pulver und Schrot bei sich hat. Es gibt Tausende davon in den weiten Wiesen.
Eine eigene Art von Ottern belebt hier ebenfalls die Gewässer in großer Anzahl, gegen die sehr ergiebige Jagd derselben hat aber Rosas ein Gesetz erlassen, ihren Nutzen für seine Soldaten aufzusparen, wenn sie aus dem Krieg mit Montevideo zurückkommen würden. Das Erlegen der Strauße oder Kasuare ist ebenfalls bei harter Strafe untersagt, weil die Thiere nicht so rasch sollen ausgerottet werden.
Höchst interessant war es mir, auf der Estancia einen Deutschen zu finden, der diese verwaltete, und nicht weit davon entfernt eine eigene zum Grundeigenthum hatte. Zufälligerweise fand ich in ihm sogar einen Sachsen, Herrn Papsdorf, der mir Manches bestätigte, was ich auf meinem früheren Ausflug in das Land gehört hatte, und noch außerdem manche vortreffliche und nützliche Mittheilungen machte.
Er hatte sich übrigens vollkommen naturalisirt, wie eine Tochter des Landes geheirathet, und seine Söhne hingen, in Cheripa und Poncho, wie ächte Gauchos auf den Pferden und warfen den Lasso so geschickt, wie irgend ein anderes der wilden Steppenkinder.
Das, was ich durchschnittlich über die Verhältnisse des Landes und besonders dieser Estancias hörte, ist etwa das Folgende.
Das Eigenthum ist jetzt hier, wie mir von allen Seiten unwidersprochen versichert wurde, vollkommen geschützt, und Todesstrafe droht meistens, bei fast geringen Uebertretungen, den ertappten Verbrechern. Ich würde aber übertreiben wollte ich sagen, der eigentliche Charakter des Volkes selber sey dadurch ebenfalls vollkommen im Zaume gehalten. Der argentinische Gaucho ist gar geschwind mit seinem Messer bei der Hand, und trotzdem, daß es ihm in der Stadt auf das Strengste verboten ist es zu tragen, fallen doch nur zu häufig noch Mordthaten, selbst in den Straßen, vor; diese rühren aber fast jedesmal von Streitigkeiten untereinander her, und, es soll dann auch, wie das ja ebenfalls an anderen Orten der Fall ist, das schlimmste Volk gerade in der Stadt versammelt seyn. Sehr weit im Inneren bedrohen allerdings die Indianer nur zu oft einzeln gelegene Estancias, und überfallen und morden die Bewohner; so weit braucht sich aber auch der deutsche Ansiedler, für den noch Land in Masse in der nächsten Nähe ist, nicht hinaus zu wagen, und in den benachbarten Provinzen hat er dann von den Eingeborenen, den »Pampasindianern« nichts zu fürchten.
Sonst aber bietet dieses Land dem deutschen Auswanderer jeden Vortheil, den ihm nur irgend ein anderer Welttheil bieten kann. Das Klima läßt kaum etwas zu wünschen übrig; Krankheiten fallen allerdings vor, sollen aber keineswegs bösartiger Natur seyn. Der Boden ist, ungleich den meisten Prairien in Nordamerika, in den Pampas fast überall vortrefflich und liefert, selbst mit der ungemein einfachen Bearbeitung, herrliche Ernten. Der Hauptnahrungszweig des Landes ist übrigens, wie auch die Produktenausfuhr von Häuten, Fleisch, Talg, Wolle ec beweist, die Viehzucht und einen ziemlich deutlichen Begriff von der Masse Viehs, die sich hier befindet, und der Leichtigkeit, mit der es gezogen werden kann, mag eine kurze Uebersicht der verschiedenen Preise hier an Ort und Stelle geben.
Die Preise sind nach spanischen Dollaren gerechnet.
Von Rindern, als dem Hauptnahrungszweig, kostet hier ein geschnittener fetter Ochse von 2 ½ Jahr etwa 2 ½ Dollar. Ein geschnittener fetter Ochse von 3 Jahr etwa 2 2/3 Dollars. Eine Kuh 2 bis 2 3/4 Dollars. Eine zahme Milchkuh wird (mit Kalb) bis zu 5 Dollars bezahlt.
Kauft man das Vieh aber in der Heerde, wie es jedesmal beim Beginn einer Ansiedlung geschieht, so bezahlt man es durchschnittlich mit ¾ bis zu 1 Doll. Man reitet bei einem solchen Kauf einen Theil einer Heerde, je nachdem man nun viel oder wenig Kapital daran wenden kann oder will, ab, und zählt dann die also abgeschlossenen Thiere. Kälber werden aber auf diese Art nicht mitgerechnet, sondern dreingegeben.
Von Pferden kostet ein zahmes Reitpferd gewöhnlich 5 bis 5 ½ Doll., ein noch unzugerittener Wallach aber die Hälfte. (Hengste werden höchstens mit einem Dollar bezahlt – eine Stute kostet von ¾ bis 1 Doll. – Stuten werden übrigens hier nie geritten.)
Der Preis der Schafe ist wohl der verschiedenste, denn man hat hier die sogenannten feinen Merinoschafe, die bis zu 6 Doll. das Stück bezahlt werden. Das betrachten die hiesigen Landwirthe aber als einen enormen Preis, und es müssen dann ganz außergewöhnlich schöne Thiere seyn. Im Ganzen ist der Durchschnittspreis für gute Schafe hier etwa 1/3 Doll. das Stück (also etwa 15 Sgr.), kauft man sie aber weit im Lande drin, und zwar die gewöhnlichste, ordinärste Sorte, so bezahlt man sie – in der Heerde – mit 1 ½ bis 2 Pesos (ein Pesos hat noch nicht ganz 2 ½ Sgr.) das Stück. Schaffelle kosten dann auch das ganze Dutzend nur von 1 bis 2 Doll. Das Schwein ist noch fast das theuerste Thier hier im Lande und wird mit 5, ein fettes mit bis zu 10 Doll. verkauft.
Der Preis der von den Thieren gewonnenen Häute steht natürlich mit ihnen selber im Verhältniß. Rindshäute kosten die Pasado (35 Pfd.) 2 bis 2 ½ Doll. Eine Haut wiegt von 26-28 Pfd. (Das hiesige Gewicht ist etwa 8 Procent leichter als das deutsche Zollgewicht). Pferdehäute kosten von 1 bis 1 ¼ Doll. Der Preis der Wolle ist dagegen verschieden. Sie wird die Aroba (25 Pfd.) von 1 bis 3 ¼ Doll. bezahlt. Gute Merinowolle kostet dagegen oft etwas über 5 Doll. die Aroba.
In der That wird hier nicht viel Kapital verlangt, einen Anfang zur Viehzucht zu bekommen, da man bei größeren Quantitäten auch selbst noch billiger kaufen kann. Wie z. B. vor nicht langer Zeit ein Ansiedler weiter im Inneren des Landes eine Heerde Schafe von 5000 Stück, durchschnittlich das Stück mit einem halben Pesos, also etwa 11 Pfennigen, bezahlte.
Das Land ist dagegen, wenigstens im Verhältniß zu früherer Zeit, schon etwas gestiegen, immer aber noch billig genug, dem deutschen Auswanderer die größten Vortheile zu bieten. Die Berechnung des Landes findet hier nach Varas statt (die Vara ist gleich 2 7/10 rheinländische Fuß.) Die Regierung verkauft das Land in Strecken von 1 ½ Leguas Länge (die Legua zu 6000 Varas), in der Breite von 1 Vara zu 1 bis 1 ¾ Doll. per Strecke. In der Nähe der Städte steigt es aber natürlich, je nach seinem Verhältniß. Billiger als ein Dollar die Vara ist es jedoch wohl nirgends, man müßte es denn aus zweiter Hand erhalten können.
Das Getreide ist hier gerade gegenwärtig ungemein billig, ebenso die Gemüse, von denen die zweite Kartoffelernte reif geworden. Ueberhaupt kann der Ansiedler mit verhältnißmäßig nur sehr geringer Arbeit hier seine Existenz gründen, und alle hier ansässigen Deutschen stimmen darin überein, daß es ihrer Meinung nach kein besseres Land für ihre armen Landsleute gäbe, als gerade Südamerika, wo sie sicher darauf rechnen könnten, mit Fleiß und Sparsamkeit auch Fleiß und Sparsamkeit belohnt zu sehen.
Die Regierung ist dabei, so wenig sie Ursache hat den Engländern und Franzosen gut zu seyn, sehr gern geneigt, deutsche Auswanderung hieher zu gestatten und zu schützen; Fremde sind hier überhaupt (durch ein besonderes Gesetz des Gouverneurs) sehr geschützt, und das spricht gewiß für das Volk selber, so arg es auch manchmal wohl ist geschildert worden, daß, während die Engländer den La Plata blockirten, Engländer und Franzosen hier indessen ungehindert, ja unbeleidigt, ihren Aufenthalt hatten.
Deutsche Einwanderer können hier Land erhalten und sind militärfrei. Weiter unterstützen scheint aber die Regierung hiehergesandte Ansiedler nicht zu wollen.Auch dieß gilt natürlich von der früheren Rosas Regierung, doch glaube ich kaum, daß die jetzige mehr, wenn vielleicht so viel thun würde.
So sehr nun auch die Deutschen im Allgemeinen hier Einwanderer von Deutschland zu sehen wünschen, und so allgemein die Klage über Arbeitermangel ist, so wenig dürfte auf eine Unterstützung der Einwanderer von Seiten der Deutschen selber gerechnet werden. Man kann sich kaum einen Begriff von der Theilnahmlosigkeit machen, die meine guten Landsleute in Südamerika jedem anderen Gegenstand schenken, der nicht ihr eigenes Ich betrifft. Dem Einzelnen werden sie allerdings hie und da gefällig seyn, und ich bin selbst von sehr Vielen auf das freundlichste aufgenommen und behandelt worden. Im Ganzen aber kümmert sich der Deutsche hier – seiner eigenen Aussage nach – nur um das was ihn angeht – und dieß sind keineswegs seine Landsleute – und ich habe an verschiedenen Plätzen den Fall gehabt, daß ich, besonders zu Sachsen kam, denen ich doch aus ihrer Vaterstadt und deren nächster Umgebung hätte Nachricht geben können, und nicht einmal von ihnen gefragt wurde, wie es dort gehe und stehe. (Herr Paposdorf machte davon allerdings eine rühmliche Ausnahme.)
Einen höchst eigenthümlichen Baum hat die argentinische Republik, und der einzige, der wenigstens in der Nähe von Buenos Ayres zu einiger Höhe empor wächst. Es ist dieß der sogenannte Ombu, der in seinem ganzen Wachsthum sogar Aehnlichkeit mit dem Banian Indiens zeigt. Wie bei diesem hängen nämlich die Zweige selber durch niedergesenkte – ich möchte sie fast Stützen nennen, mit den Wurzeln zusammen, und bilden dadurch die wunderlichsten Formationen, die man sich nur bei einem Baum denken kann.
Gerade hier stand ein solcher, dessen eigentlicher Stamm vielleicht sechs Fuß im Durchmesser hatte, ganz unten am Boden breitete sich aber die Wurzel, oder das untere Ende des Stamms noch viel mehr aus, ja bildete an einigen Stellen förmliche Sitze, und von hier aus schossen dann theils schräg, theils gerade, theils eigensinnig gekrümmt, Strebepfeilern gleich diese Stützen aus, und verloren sich oben in dem ungemein dichten, birnblattartigen Laub des Baumes.
Er gibt jedoch nichts als Schatten, denn sein Holz wäre nicht einmal zur Feuerung zu verwenden, so naß und schwammig ist es. Eben so sind die kleinen bitteren turbanartigen Früchte, die er trägt, und die förmlich wassergefüllt scheinen; zum Zierbaum eignet er sich aber vortrefflich.
Nach Buenos Ayres zurückgekehrt, erfuhr ich, daß in kurzer Zeit der argentinische Correo oder Courier von Buenos Ayres nach Mendoza wirklich abgehen würde. Er hatte erst, der ausgebrochenen Indianer wegen, seinen Ritt verschieben wollen, sich jetzt aber entschlossen zu versuchen ob er durchkäme und mir wurde gesagt, daß ihm die Begleitung eines bewaffneten Mannes gewiß angenehm seyn würde. Durch die freundliche Vermittlung eines amerikanischen Kaufmanns, Mr. Hutton, da ich selber der spanischen Sprache noch nicht so weit mächtig war, schloß ich auch mit dem Correo bald einen Vertrag, nach dem er sich verbindlich machte, mir für vier Unzen – 64 spanische Dollar – Pferde und Fleisch, die Pferde zum reiten, das Fleisch zum essen unterwegs bis Mendoza, einem kleinen Städtchen am Fuße der Cordilleren, zu liefern, und überhaupt alle Kosten, die wir bis dahin haben würden, zu bestreiten. Er sagte mir aber dabei gleich und ganz offen, daß er, wenn er die Indianer im Süden heraufkommen sähe, so rasch ihn die Pferde trügen nach Norden in die Gebirge flüchten würde, und wenn ich dann nicht mitkäme, oder überhaupt auf dem Marsch liegen bliebe, so sey das nicht seine Schuld und er könne weiter nichts dafür thun.
Auf alles das war ich vorbereitet, mit alle diesem zufrieden, und unsere Abreise wurde auf den 17. Juni festgesetzt. Dadurch gewann ich auch noch eine kurze Zeit für mich, Buenos Ayres besser kennen zu lernen.
Die Auswanderung hat schon von frühester Zeit mein ganzes Interesse in Anspruch genommen, und ich suchte noch fortwährend, wo immer mir das nur möglich war, Erkundigungen über die Verhältnisse der Fremden, besonders der Deutschen, einzuziehen. Durch den besondern Auftrag des Handelsministeriums des deutschen Reiches hatte ich aber auch noch außerdem die Verpflichtung übernommen, nach besten Kräften über die Länder zu berichten, die ich geeignet zur Auswanderung finden würde, eben so die Verhältnisse und Aussichten der ausgewanderten und dort schon angesiedelten Deutschen zu schildern.
Die Aussichten der Deutschen gerade in den La Platastaaten aber zu erfahren, schien es mir das sicherste, mich an Rosas, den Gouverneur oder Diktator derselben selber zu wenden. Der amerikanische Consul versicherte mich jedoch, daß Rosas selber nur höchst selten selbst einen Gesandten empfange, und Donna Manuelita, die Tochter des gefürchteten Gauchohäuptlings, gewöhnlich Audienz ertheile.
Hier aber schien für mich eine ziemlich bedeutende Schwierigkeit zu liegen, ich war nämlich vom Bord des Talisman nur eben so weggegangen, wie ich gedachte in den Sattel zu steigen und der einzige Anzug den ich mit hatte, bestand in einem Reitkittel von dem gröbsten hellgrauen wollenen Stoff, eben solchen Hosen, hohen Wasserstiefeln und einem schwarzen, breitrandigen Filzhut – konnte ich so vor Donna Manuelita, der ersten Dame des argentinischen Reiches, erscheinen? Der amerikanische Consul sagte ja, Donna Manuelita sollte eine so liebenswürdige, wie vernünftige Dame seyn, Mr. Graham garantirte mir, daß ich nicht allein empfangen, sondern auch freundlich empfangen werden würde, und seinen Worten treu führte er mich eines Abends selber bei ihr ein.
Die Gauchosoldaten, die vorn im Portal und den Gängen Wache standen, schauten nicht schlecht, als ich solcher Art gekleidet, noch dazu in dem sonst so verpönten Blaugrau durch die Pforten ihres Herrn schritt, ließen uns jedoch ungehindert passiren und wir betraten bald darauf das Audienzzimmer.
Der Saal war ganz in europäischem Geschmack eingerichtet, der Boden mit sehr geschmackvollen bunten Tepichen bedeckt und nur die hohe luftige Decke trug ein argentinisches Abzeichen – die schwarz und rothen Farben (Sieg oder Tod) der Federacion.
Wir waren noch ein wenig zu früh gekommen – die Diener brannten erst die Kerzen an und ich benutzte indessen meine Zeit zuerst meine ganze Umgebung mir genau zu beschauen und dann Betrachtungen anzustellen ob meine Wasserstiefeln wohl nicht die ersten waren, die je diesen kostbaren Teppich betreten hätten. Lange blieb mir aber dazu keine Zeit, die Thüren öffneten sich plötzlich und herein traten nach und nach, »die Großen des Reichs« vielleicht, so viel ich davon wußte, denn ich kannte keinen von ihnen, aber stattlich geputzte Herren und Damen, die Herren sämmtlich in dunkelblauen Fracks (die hellblaue Farbe bezeichnet die Unitarios) mit rothen Westen und Hutbändern, und alle im Knopfloch das rothseidene Band mit der schwarz gedruckten furchtbaren Devise Muerun los salvajos Unitarios. Die Damen im elegantesten französischen Costüm. Beide Theile betrachteten mich aber, und ich entschuldigte vollkommen ihre Neugierde, mit kaum verhehltem Erstaunen, und schienen sich gegenseitig fragen zu wollen, »was thust du hier im Heiligthum?« Ehe aber der amerikanische Consul im Stande war nur überhaupt meine Existenz zu entschuldigen, erschien Donna Manuelita selber und empfing mich, nachdem ihr Mr. Graham mit ein paar Worten meine Absicht gesagt hatte, während sie ihn selbst in der Entschuldigung meines Anzuges unterbrach, auf das freundlichste.
Donna Manuelita verstand allerdings, wie mir Mr. Graham sagte, das Englische, sprach es aber vielleicht noch nicht geläufig genug und mochte sich deßhalb nicht darin unterhalten; eben so ging es mir mit dem Französischen und die Unterhaltung wurde deßhalb durchaus spanisch geführt, wobei Mr. Graham so freundlich war zu dollmetschen. Die Donna versprach mir übrigens mit ihrem Vater, der Auswanderungssache wegen, in wie weit er nämlich deutsche Einwanderung begünstigen würde, zu reden und mir noch, ehe ich Buenos Ayres verließ, das Resultat mitzutheilen.
Indessen hatte sich eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft eingefunden und ich sah mich bald im Gespräch mit zwei jungen argentinischen Damen, von denen die eine sehr geläufig englisch sprach und die andere angefangen hatte deutsch zu lernen, so daß sie ebenfalls schon viel verstehen und sich auch ziemlich deutlich ausdrücken konnte.
Ich verbrachte, trotz meinem nichts weniger als hoffähigen Anzug, ein paar sehr angenehme Stunden in so liebenswürdiger Gesellschaft, mußte aber ein paarmal bei mir selber lachen, wenn ich daran dachte, was die Hofschranzen daheim sagen würden, wenn jemand nur einen solchen Gedanken fassen sollte, in solcher Tracht bei ihrem Hofe zu erscheinen.
In Buenos Ayres besteht auch jetzt eine deutsch-evangelische Gemeinde, deren Pastor und Oberhaupt Herr A. L. Siegel ist. Den Leser wird es übrigens interessiren, das erste Kapitel der Kirchenstatuten von Buenos Ayres, 34° Süder Breite in den La Platastaaten, zu hören.
Erstes Capitel.
Begriff und Umfang der deutsch-evangelischen Gemeinde in Buenos Ayres.
§ 1. Die deutsch-evangelische Gemeinde in Buenos Ayres bildet einen Zweig der unirten evangelischen Landeskirche in Preußen. Sie hat sich dieser Kirche nach einem Beschlusse der Generalversammlung der Gemeinde im Monat April 1845, unter folgenden, ihr von dem Ministerio der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten d. d. Berlin den 11. Januar 1845 Nr. 31,536 gestellten Propositionen freiwillig angeschlossen.
I. In Betreff der Lehre des Cultus und der Disciplin ist das Bekenntniß, die Liturgie und die Ordnung der evangelischen Kirche Preußens für die Gemeinde in Buenos Ayres wesentlich maßgebend und bestimmend. Es wird daher auch die Agende der preußischen Landeskirche die Norm für den Gottesdienst und die gottesdienstlichen Handlungen in der Gemeinde abgeben.
II. Das Konsistorium der Provinz Brandenburg in Berlin ist diejenige geistliche Behörde, an welche sich die Gemeinde, resp. der Vorstand derselben, in allen denjenigen inneren Angelegenheiten und Streitfragen zu wenden, und die Entscheidung abzuwarten hat, über welche, indem sie das Verhältniß zu der hiesigen Landesregierung ganz unberührt lassen, eine Verständigung und Einigung der Gemeinde nicht hat stattfinden können. Es betrifft dieß namentlich Streitfragen über die Lehre und den Gottesdienst, über Disciplinarmaßregeln, sofern sie nicht in das Gebiet der bürgerlichen Gesetze und Einrichtungen hinüberreichen, endlich Mißhelligkeiten zwischen dem Prediger und der Gemeinde und Klagen der letzteren gegen den ersteren.
III. Das Konsistorium der Provinz Brandenburg hat das Recht, den Prediger der Gemeinde zu ernennen, und ihn für den Dienst der Gemeinde zu vociren. Die Gemeinde, resp. der Vorstand, hat im Falle der Vacanz um die Wiederbesetzung der Stelle bei dem genannten Consistorium nachzusuchen, und darf, ohne Genehmigung dieser Behörde, den ihr zugewiesenen Prediger nicht entlassen.
Nun soll mir noch Einer sagen, daß es in Buenos Ayres keine Deutsche gibt.
Unter den Deutschen in Buenos Ayres, wenn sie auch keinen bleibenden Aufenthalt da haben, spielen übrigens die Schiffscapitäne eine sehr bedeutende Rolle, und besonders kann man sie Nachmittags, mit ihren englischen, amerikanischen und dänischen Collegen erst durch die Straßen der Stadt traben und dann in vollem Carriere durch das flache Land galoppiren sehen.
Capitäne haben nämlich eine ungemeine Vorliebe für Pferde, die bei Pferden jedoch wie Pferdevermiethern keineswegs gegenseitig ist, denn Schiffscapitäne verstehen gewöhnlich – mit Ausnahmen natürlich – ebensowenig ein Pferd zu reiten wie es zu behandeln, und glauben das äußerste gethan zu haben, wenn sie sich »an Bord halten.« Von Schluß und Nachgeben ist natürlich bei ihnen keine Rede, sie fahren im Sattel herum, wie ein losgegangenes Paket auf einem Packthier, reißen in die ohnedieß schon scharfen Zügel, nur um sich im Gleichgewicht zu halten, und werfen das ganze Gewicht ihres Körpers dagegen, wenn sie das Pferd einmal bewegen wollen langsam zu gehen oder ganz still zu stehen. Die Thiere werden dadurch wund geritten und abgehetzt, und die Pferdevermiether hier, fast lauter Engländer und Amerikaner, haben einen solchen Ueberblick in den Personen ihrer Kunden, daß sich Leute, die nur das geringste Seemännische an sich tragen, fest darauf verlassen können, die abgerittensten und überdieß vielleicht schon aufgegebenen Kracken zu bekommen. Es geschieht deßhalb sehr häufig daß solche arme Schlachtopfer, selbst wenn sie ihr Thier einmal nicht übermäßig abgeritten haben, in den Fall kommen, es plötzlich stürzen und verenden zu sehen, wonach sie dann noch das Vergnügen haben, nicht allein zu Fuß in die Stadt zurück zu gehen, sondern auch noch das Sattelzeug zu tragen. Höchst erstaunt sind sie dann meistens, wenn man ihnen für das verlorene Pferd wenig oder gar nichts abnimmt, und es scheint sich deßhalb das Gerücht verbreitet zu haben, es sey schon genug von einem, in Buenos Ayres gemietheten Pferd Zaum und Sattel zurück zu bringen, das übrige habe keinen Werth; die Capitäne haben aber meist so nichtswürdige Pferde gehabt, daß sich die Vermiether förmlich schämen auch noch Geld dafür zu verlangen, weil Jemand so freundlich gewesen war, es für sie hinaus auf den Anger zu reiten.
Wer ein gutes Pferd ausmiethet und damit zu Schaden kommt, kann sich auch darauf verlassen, daß er theuer genug dafür zu zahlen hat – für Buenos Ayres nämlich – denn Pferde sind dort überhaupt spottbillig.
So viel schon hatte ich, während meines Aufenthalts in Buenos Ayres, von den Saladeros oder Schlachtplätzen dieses bedeutenden Handelsortes für Fleisch und Häute gehört, daß ich nicht umhin konnte, die, mir von allen Seiten beschriebenen Plätze auch einmal selber zu besuchen.
Diese Schlachtplätze liegen fast sämmtlich an der sogenannten Boca, etwa eine halbe Legua von der Stadt entfernt, und vor dem Frühstück sprengte ich eines Morgens, von einem jungen Deutschen begleitet, hinaus, das Schlachten des Viehes mit anzusehen.
Unser Weg führte uns fast durchgängig dicht am Fluß hin, und widerlich war mir hier besonders der Anblick der, durch den Fluß ans Ufer geschwemmten gefallenen Rinder und Pferde. Der Geruch, oder besser gesagt der Gestank, wurde an mehren Stellen so schauerlich, daß ich den Athem anhalten mußte. An einem Platz blieb uns sogar nichts weiter übrig, als über drei dicht bei einander liegende Pferde, oder wenigstens die Ueberbleibsel derselben hinwegzusetzen. Deutsche Pferde wären hier unter keiner Bedingung vorwärts zu bringen gewesen, die Buenos Ayres Ponies kehrten sich aber nicht im mindesten daran, und würdigten ihre gefallenen Kameraden kaum eines Blicks.
Nach einem etwa viertelständigen gestreckten Galopp erreichten wir endlich die Ufer der Boca, und ich konnte im Anfang nicht gleich heraus bekommen, was das Weiße seyn mochte, das beide Ufer an vielen Stellen eindämmte, als wir aber näher kamen, erkannte ich zu meinem Erstaunen, daß es Rinderköpfe seyen, deren Hörner überall, regelmäßig aufgeschichtet, aus der darüber geworfenen Erde hervorschauten. Drüben über der Boca lagen die flachen offenen Gebäude der Schlachtereien, und wir mußten noch eine Strecke an dem kleinen Wasser hinauf und dort über eine Holzbrücke reiten (wo, beiläufig gesagt, Zoll bezahlt wurde) und wir gleich darauf den »blutigen Grund« betraten.
In den nächsten Schlachtereien wurde heute nicht »gearbeitet« – es war dort »aufgeräumt,« und sah verhältnißmäßig reinlich aus, und als wir langsam hindurchritten, sahen wir die in Massen aufgeschichteten und eingesalzenen Häute in den einzelnen Schuppen liegen. Mir war aber besonders darum zu thun das wirkliche Schlachten der Thiere mit ansehen; glücklicherweise fanden wir in der ersten Schlachterei gleich einen Deutschen, der uns zu dem gesuchten Orte wies.
Schon von weitem hörten wir das Schreien und die gellenden Zurufe der Viehtreiber, und als wir näher kamen, sahen wir wie eben wieder drei Reiter in den etwas vom Schauplatz entfernten Corral (eine Einfenzung) sprengten, um einen Theil der dort hineingestellten Thiere in die für ihren Fang bestimmte Fenz zu treiben. Einer von ihnen war eine besonders hervorstechende Persönlichkeit – ein alter schlankgewachsener kräftiger Mann von etwa 56 bis 60 Jahren, zäh und wettergebräunt, aber mit einer solchen Galgenphysiognomie wie ich nur je einen Menschen gesehen habe. Er schien der Führer der übrigen, und in Blut und Mord ergraut; so mußten die Gestalten ausgesehen haben die Rosas früher mit seinen Blutbefehlen beauftragte, und die ihre Opfer aus den Kreisen ihrer Familien holten und ihnen die Kehlen durchschnitten. Er ging ganz in die Tracht der Gauchos gekleidet, mit roth und blauem Poncho, eben solcher cheripa und den gewöhnlichem botas von Pferdehaut an. Der Lasso hing ihm hinten am Sattel, denn ohne Lasso reitet kein solcher Bursche auch nur einen Schritt, und wenn der Poncho beim raschen Reiten manchmal in die Höhe flatterte, schaute darunter der Griff des hinten im Gürtel schräg steckenden Messers hervor. Der gleichfalls graue Bart umgab ihm in krausen unordentlichen Zotteln Kinn und Backen, und eben solche Büschel hingen ihm über die Augen herunter. Ich konnte im Anfang meine Blicke von dem greisen Gaucho nicht abwenden, und hätte ich noch einen Zweifel über seinen Charakter gehabt, der nächste Augenblick würde ihn zerstört haben.
Von den Corrals oder Umzäunungen lagen nämlich drei dicht neben einander, und der größte auch von dem Schlachtplatz am weitesten entfernt; etwa halb so groß als dieser war der nächstfolgende, und der dritte und zur unmittelbaren Aufnahme der nächst zu schlachtenden Thieren bestimmte war der allerkleinste, und konnte nur etwa kaum 40 bis 50 Stück halten. In den erstern wurde das Vieh gleich aus den Pampas hineingetrieben, in den zweiten dann das für den Gebrauch verlangte abgesondert und in den dritten das zum Schlachten abgeführt.
In den zweiten nun, in dem etwa 20 oder 30 noch ihrer Todesstunde harrten, sprengten die drei und trieben die Thiere mit Schreien und Heulen der durch Knaben indeß geöffneten letzten Einfriedigung zu. Im Anfang ging das auch ganz gut; das junge Vieh wurde durch den wilden Lärm und die zum Schein hochgeschwungenen Hände, in denen sie stets den gefürchteten Lasso zu sehen glaubten, scheu gemacht, und drängte selbst von seinen Verfolgern weg; kaum aber quoll ihnen, in der Nähe des letzten Corrals, der warme Blutgeruch ihrer vorangegangenen Kameraden entgegen, so suchten sie auch ebenso rasch wieder zurückzufliegen, und warfen sich ihren Henkern gerade entgegen. Aber zu spät; diese trieben sie, selbst durch das Gewicht ihrer Pferde, ihrem Bestimmungsort zu – es gab für sie kein Entrinnen mehr, und eingeschüchtert und halb betäubt wandte sich jetzt die kleine zitternde Schaar mit hochgehobenen Schnauzen, den gefürchteten Ort zu betreten. Doch das war den Treibern nicht rasch genug – vorwärts, mit Sporn und Revenka, trieben sie die eigenen Thiere an auf die jungen Rinder einzusprengen; mit dem schweren eisernen Revenkaring schlugen sie auf die Knochen der ängstlich Blöckenden nieder, und der alte greise Gaucho zog endlich mit wildem Fluch sein Messer und stieß es den hintersten Stieren, die nicht rasch genug vordrängen konnten, fünf- bis sechsmal in den After, um die Haut nicht zu verletzen. Die Wunden wären vielleicht, hätten sie noch draußen herumlaufen müssen, tödtlich gewesen; hier schadete es ja aber nichts. Die Thiere wurden gleich geschlachtet. Ich bin überzeugt, der Schuft hätte einem Menschen sein Messer mit eben solcher Ruhe in den Leib gerannt.
Als das letzte der armen halb zu Tode geängstigten und blutenden Geschöpfe in den für sie bestimmten Corral sprang, schob er das lange Messer lachend unter den Poncho zurück, warf sein Pferd herum und galoppirte nun, von den Kameraden gefolgt, um die Einfriedigung herum auf die andere Seite der Schlachterei. Dort stieg er ab, befestigte ein langes, auf der Erde liegendes und aus roher Haut gedrehtes starkes Seil an seinem Sattelgurtring, welchem Beispiele die andern beiden, und zwar mit dem nämlichen Tau, folgten, und richtete sich dann, nach dem Corral zurückschallend, hoch im Sattel auf. Ich fand bald die Ursache von diesem allem.
Das Ledertau war ein langer starker Lasso, dessen über einen richtigen »Block« laufende Schlinge der auf der Umzäunung des Corrals stehende Schlächter in der Hand hielt, ein paarmal um den Kopf schwang und dann, mit fast nie irrender Sicherheit, einem der Thiere um die Hörner warf. Sowie die Reiter sahen daß der Lasso nun geschleudert war, gaben sie ihren Thieren die Hacken, diese zogen an und rissen dadurch den gefangenen Stier zuerst auf die Vorderfüße, dann ganz nieder und zu gleicher Zeit auch dicht zu der Stelle hinan wo der Lassowerfer stand. Dieser hatte jetzt ein langes Messer in der Hand, damit bog er sich nieder, stach sein Opfer mit der scharfen Klinge in den Nacken dicht hinter die Hörner, daß es todt zusammenbrach, griff dann wieder nach dem Lasso und richtete sich auf ihn aufs neue zu werfen.
In dem Corral, eben da wo der gestochene Stier lag, öffnete sich aber zu gleicher Zeit eine Klappe, und das ganze Gestell, auf welches er schon vorher durch das Anspannen des Lasso gezogen worden, glitt jetzt mit dem Stier darunter vor und lief auf einer kurzen »Eisenbahn« den Schlachtschuppen entlang, an dessen Ende sechs Männer bereit standen ihn von dem kleinen niederen Wagen herabzuziehen, und dann augenblicklich abzustreifen und auszuschlachten. Der Wagen rollte dabei ohne weiteren Verzug wieder zurück, die Klappe fiel zu, der Lasso flog, ein anderes Opfer suchend, durch die Luft; wieder stürzte der Stier und wurde seinem Tod entgegengerissen; wieder glitt der Karren auf den blutigen Schienen hin und, von seiner Last befreit, zurück, und ein dritter fiel in demselben Augenblick – bis auch der letzte gefangen und getödtet worden.
Ich wandte mich jetzt dem Schlachthof selber zu, und der Anblick der sich hier mir bot, war wirklich schaudererregend. Der Platz selbst wurde so rein gehalten wie sich das nur möglicherweise halten ließ. Das Blut floß aber in Strömen in eigens dazu ausgezimmerte Canäle nieder, und besondere Männer waren sogar dabei beschäftigt mit eigens zu solchem Dienst bestimmten breiten Holzschaufeln das geronnene Blut auszuschieben und den Lauf des frisch zuströmenden frei zu halten. Der Schuppen unter dem die Leute arbeiteten, war hoch und geräumig, und die Eisenbahn lief längs darin hin bis zum äußersten Ende. Hier waren Leute beschäftigt die letzt angefahrenen Thiere – der Lassowerfer hatte zwei zu gleicher Zeit in die Schlinge bekommen – abzustreifen; dort hauten andere Keulen und Fleischstücke schon früher geschlachteter ab, und andere trugen, oder warfen vielmehr dieses wieder seinem Bestimmungsort zum Verpacken zu – alle in bloßen Füßen und in Blut watend, mit Blut bedeckt. Und dazwischen die wild umhergestreuten Köpfe und Gebeine, die Eingeweide die auf Wägen geladen und fortgefahren wurden, und dort drüben – mich ekelts noch wenn ich daran denke – lagen die ungeborenen Kälber, ein Haufen von vielleicht dreißig oder vierzig Stück, die hinausgeworfen und an denen Knaben, bis an die Schultern in Blut, eben beschäftigt waren, den ältesten und schon ziemlich ausgewachsenen die Haut abzustreifen und die andern oder die schon beendigten bei den Hinterläufen nach einem dazu bestimmten Wagen zu schleifen.
Ein Bursche in einem rothen Poncho – pfui, was für ein schmieriger Geselle es war! – schlich sich lange um den Haufen dieser ungeborenen Kälber herum und schien die dort liegenden mit prüfenden Blicken zu betrachten, endlich ergriff er eines der größten bei den Hinterbeinen, zog unter dem Poncho einen alten blutigen Sack vor, steckte es dort hinein und glitt dann, ohne daß sich weiter jemand um ihn bekümmert hätte, aus dem Schlachthof – hatte sich der Mann etwa unter diesem ekelerregenden Wust einen Braten ausgesucht? Mir schauderte die Haut bei dem bloßen Gedanken; ich hatte aber auch jetzt an dem Anblick vollkommen genug; sollte ich mir den Appetit an Fleisch ganz verderben?
Unsere Pferde standen dicht bei all dem Blut und Lärmen angebunden, aber so ruhig als ob sie sich draußen auf freiem ungestörten, unentweihten Plan befunden hätten. Wir lösten die Zäume, stiegen wieder auf und sprengten gleich darauf, wie es alle Leute in der argentinischen Republik thun, im gestreckten Galopp den Schlachthof entlang über die schmale, die Boca überspannende Brücke hinüber und am Ufer des Rio de la Plata hin, Buenos Ayres zu.
Es war mir interessant genug diese Schlachtereien, von wo aus Fleisch und Häute in ungeheuren Massen nach allen Weltgegenden hin versandt werden, einmal in der Nähe gesehen zu haben; ich konnte aber zwei volle Tage lang keinen Bissen Fleisch essen – ich mußte immer an den Mann mit dem rothen Poncho und dem ungeborenen Kalbe denken.
In den letzten Tagen die ich in Buenos Ayres verlebte, kamen noch Nachrichten über neue Gewaltthaten der Indianer – am Rio Quarto sollten sie eine Familie ermordet und Andere überfallen haben, die sich ihnen nur durch die rascheste Flucht entzogen, bis das Militär aus dem kleinen, nicht sehr entfernten Städtchen, aufgeboten wurde und gegen die wilden Söhne der Steppe anrückte. Weit hinweg durften sich aber einzelne Trupps Soldaten auch nicht von ihren befestigten Platzen wagen, denn Los Indios waren tapfere gefürchtete Krieger und nicht zu verachtende Gegner. Solche Nachrichten sind aber auch meistens übertrieben; keinesfalls konnten sie meinen Entschluß mehr ändern.
In der Zeit, in welcher ich mich in Buenos Ayres aufhielt, kam hier gerade mit dem englischen Paketschiff die Nachricht an von unserem ersten und letzten Seesieg über die Dänen, von der Zerstörung Christian VIII. und der Wegnahme des Gefion.
Zufälliger Weise befand sich gerade in dieser Zeit eine sehr große Anzahl von Schiffscapitänen hier – (die Fracht von hier fort stand sehr schlecht und die Leute lagen hier mit ihren Schiffen und warteten ob sie etwas Besseres bekommen konnten als Maulthiere nach Havanna zu führen.) Das Eßhaus von Duckwitz war aber schon seit langer Zeit der Sammelplatz aller im Hafen befindlichen dänischen und deutschen Capitäne gewesen, und da gerade von diesen beiden Nationen eine sehr bedeutende Anzahl dort zusammentraf, läßt es sich denken was für Discussionen über diesen Sieg entstanden. Einigemal kam es fast zu Schlägereien zwischen Einzelnen und mich amusirten nur die verschiedenen Ansichten und Ideen, die da manchmal vorwucherten. Auch die Ursache der einzelnen Streite war häufig wirklich komisch, so meinte ein deutscher Capitän eines Tags – denn es wurde fast von weiter nichts als Fracht und Seeschlacht gesprochen – es thäte ihm nur leid daß die Deutschen erst bei Christian dem achten angefangen hätten, worüber sich ein dänischer Capitän auf das furchtbarste erboste, die ganze Nachricht – was überhaupt sehr häufig geschah, für eine Zeitungslüge erklärte, und Leib und Seele verpfändete wenn sich die ganze deutsche Nation auf den Kopf stelle, könne sie noch nicht einmal Christian den fünfundzwanzigsten bekommen.
Die Zeit meiner Abreise rückte aber auch jetzt heran und ich freute mich wirklich daß ich nun einmal mit beiden Füßen in das neue Leben hinein springen sollte, denn hier in Buenos Ayres schien Alles darauf angelegt zu seyn, mir womöglich das Herz schwer zu machen. Fortwährend kamen neue Berichte über indianische Grausamkeiten und sogar von Mendoza wollte man wissen daß schon seit vielen Jahren so keine entsetzliche Masse Schnee in den Gebirgen gelegen habe, als diesen Winter.
Kürzlich war auch ein Deutscher aus dem Innern gekommen der mir dabei die schrecklichsten Schilderungen von den Gauchos, den Eingeborenen selber, lieferte, nach denen ich fürchten mußte einem von ihnen auch nur den Rücken zuzudrehen, wenn ich nicht ein langes zwölfzölliges Messer zwischen den Rippen haben wollte. An Nachts ruhig schlafen war gar nicht zu denken und er versicherte mich, er könne jetzt noch nicht begreifen wie er selber lebendig wieder herausgekommen wäre. Der Mann hieß Berger.
Mir kam jetzt die ganze Reise vor wie Jemand, der mit einem langen Stock bewaffnet wild um sich her schlägt – hat man ihn erst einmal um den Leib gepackt, kann er uns nichts mehr anhaben – so hofft man wenigstens.
Doch fort, fort mit Allem was mich beunruhigen oder ärgern könnte – eben schickt mir der Correo ein Pferd, mich zur neuen Fahrt abzuholen und das einzige nun was ich fühle und denke, ist das Bewußtseyn in ein neues thätiges – und wenn auch gefährliches Leben, einzutauchen. – Ein Ritt durch die Pampas – alle vier bis sechs Leguas ein frisches Pferd und im gestreckten Galopp ununterbrochen durch die weiten Steppen sprengend – so, fort bis nach Mendoza, zum Fuß der Kordilleren, dann, mitten im Winter, über die Schneegebirge und durch Chile meinem nächsten Ziele, Valparaiso zu, was kümmerte mich das Andere.
Manchmal war's mir aber doch auch wieder wie Einem zu Muthe der Morgens in einem fremden Bett aufwacht, und sich um's Leben nicht mehr zu erinnern weiß wie er dahingekommen; ja es gab wirklich Augenblicke, wo ich gar nicht übel geneigt war meine sämmtliche Umgebung, trotz handgreiflichem Gegenbeweis, für einen neckischen Traum zu halten, der mich urplötzlich aus der Heimath, aus dem Kreise meiner rastlos politisirenden und zeitungslesenden Landsleute fort, mitten zwischen die sonnverbrannten, abenteuerlichen Gestalten der Gauchos hinein versetzt habe und auch, sowie ich mich nur entschließen könnte die Augen aufzumachen, natürlich eben so geschwind wieder zurückbringen müsse, wohin ich eigentlich gehöre, damit ich um Gottes Willen die Ausschußsitzungen und Vereine, die Exercirübungen und Generalmärsche nicht versäume. Die Sache blieb aber unverändert wie sie war, und ich konnte endlich der Ueberzeugung nicht entgehen, daß die Heimath wirklich weit weit hinter mir, und auf's Neue ein wildes, thätiges Leben vor mir liege.
So mit Gott denn, der Anfang war gemacht, und mitten hinein will ich nun springen in das lebendige, rege Treiben, das mich umgibt – wenn mir beim ersten Ansprung auch die Wellen über dem Kopf einmal zusammenschlagen – ein guter Schwimmer kommt doch wieder nach oben.