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7. Kapitel. Lotte Bach als Anstands»baubau«.

»In mir muß etwas merkwürdig Vertrauenerweckendes liegen!« sagte Lotte zu Gretchen Thronik. »Entweder man hat mich schon kaltgestellt oder ich strahle den ganzen Glanz einer Dame d'Honneur aus!« – »Na, ich danke, Du und ausstrahlen! Von weitem aus großer Entfernung vielleicht. Dir Spitzbube traut doch keiner!« meinte Grete. Beide Mädchen stickten Monogramme in Gretes Handtücher ein; denn diese war schon mitten in ihren Ausstattungssorgen. – »Das sagst Du so, Schöps! Und trotzdem laufe ich mit zwei Paaren als Ehrenschütz mit, vermittele die Briefe eines Dritten, berge in meiner Brust zahllose Geheimnisse und zuguterletzt ruft mich noch Deine Tante vorhin 'ran!« – »Meine Tante?« – »Ja, meine Tante Deine Tante. Also die edle Dame meint, daß Paul und Du zuviel allein wäret etc. etc. Jetzt wolltet Ihr wieder den ganzen Sonntag in die Schlösser nach Potsdam und dort sogar Mittag essen. Das schickte sich aber nicht, und da weder Onkel noch Tante mitfahren könnten, bitten sie mich himmelhoch, Euch zu begleiten! He – etsch!« – Grete fuhr auf und schalt: »Das wirst Du thun?« – »Natürlich!« – »Und immer daneben laufen?« – »Sicher!« – »Auch draußen essen?« – »Gewiß!« – »Bis zum Abend?« – »Freilich, ich hab's ja versprochen.« – »Ekel!« – »Danke, mein Name ist Bach!« – »Ach was, Bach hin Bach her. Die ganze Zeit haben Paul und ich uns auf den Sonntag gefreut, weil wir da endlich 'mal allein sind und uns aussprechen können. Versteht Ihr denn garnicht, daß Braut und Bräutigam sich auch mal etwas zu sagen haben? Nee, aber immer hockt uns einer auf der Pelle!« – »Sehr bekömmlich!« – »Nie sind wir eine Minute allein. Man scheint uns garnicht zu trauen, das verletzt ja Paul so furchtbar. Sprechen wir eine Minute nicht, so heißt es: ›Kinder, Ihr habt Euch wohl verzankt?‹ Geben wir uns 'nen Kuß, schreien sie: ›Leckt Ihr schon wieder?«‹ – Grete weinte beinah. »Na, Ihr leckt auch genug, trotzdem!« entgegnete Lotte ruhig und fädelte kaltblütig einen neuen Faden ein. – »Und nun willst Du, Du auch noch unser Aufpasser sein, nette Rolle!« – »O ja, ich zähle die Knutsche, damit ich zu thun habe. Im übrigen braucht Ihr Euch vor mir nicht zu genieren. Ich bin die beste Freundin!« – »Ach was, Freundschaft und Brautzeit giebt es nicht!« – »So, warum sticke ich eigentlich hier mit, aus Haß?« – »Ach Schaf!« – »Gieb mir 'mal 'n Kuß, Grete!« – »Wozu?« brummte diese. – »Weil ich Euer Anstandsbaubau bin, und dann, ob Paul dir einen giebt oder ich ist doch schnuppe!« – »Jawoll, das ist gerade, als ob Du Spülwasser und Champagner vergleichst!« schrie die verliebte Braut gereizt. – »Ach, ich wußte garnicht, daß Pauls Küsse nach Spülwasser schmecken!« – Nun lachte Grete.

»Mit Dir werde einer fertig!« – – »Wird eben keiner, darum ergieb Dich, Dicke! Also ich komme mit nach Potsdam, auf jeden Fall, basta! Ich hole Dich früh hier ab und bringe Dich später abends nach Haus, wie ich es versprochen Da ich aber nun nicht die Lust habe, mich mit Euch beiden langstiezigen Verliebten totzumopsen, so werde ich für meine Unterhaltung sorgen. Heute Abend werde ich wohl zufällig Herrn Leutnant von Hase im Schauspielhaus treffen. Da werde ich ihm nun mitteilen, daß ich zufällig den ganzen Sonntag in Potsdam und seinen Schlössern unter Euerm Schutz bin und Angst habe, mich totzumopsen. – – Das Übrige wird sich dann finden!« – – »Lotte, Du bist ein Engel!« – – »Weiß ich!« – – »Das kommt später in Deinen Karmen!« – – »Grete, wenn Du daran denkst, erzähle ich Deinem Paul, daß Du uns damals zu der Bekanntschaft bei Telschow verholfen!« – – »Um Gotteswillen, er ist eifersüchtig wie ein Türke, Lotte, schwatz' Du nicht und Dein Hase auch nicht, sonst ist es aus!« – – »Fällt uns ja garnicht ein! Im übrigen esse ich bestimmt mit Euch am Tisch. Dein Kümmeltürke zahlt für mich und wird so freundlich sein, mein Häschen dazu einzuladen. Arrangier' das, bitte! Paul wird doch nicht quaseln!« – – »Na, da kennst Du ihn aber schlecht! Aber Lotte, Du amüsierst Dich, und Willi Feller schwimmt auf dem Meere. Wenn der das wüßte!«

»Hör' auf, hör' auf!« schrie Lotte. Sie stopfte die Finger in die Ohren, sprang auf und raste im Zimmer hin und her. Die Stickerei glitt mit allem Zubehör zu Boden. Grete bemerkte, daß ihr Thränen aus den Augen stürzten. In diesem Moment festete sich in ihr der Entschluß, an Doktor Feller zu schreiben und mit ihm nach seiner Rückkehr ein ernstes Wort zu sprechen. Sie plauderte, tief über ihre Handarbeit gebeugt, weiter von tausend Dingen. Lotte beruhigte sich langsam und setzte sich endlich still wieder zu ihr.

Am Sonntag waren sie schon um zehn Uhr seelensvergnügt in Potsdam angelangt. Ebenso fidel gesellte sich dort der kleine Offizier zu ihnen. Er gefiel Herrn Paul ausgezeichnet. »Ich habe nichts und Fräulein Lotte auch nix! Null und Null giebt Null! Lieben thun wir uns nicht; aber wir sind zwei fidele Knöppe von gleichem Kaliber und haben uns herzlich gern. So denken wir an nichts Ernstes und amüsieren uns harmlos wie die Götter. Im übrigen läßt sich ja mit Fräulein Lotte nichts riskieren! Wagt man es mal, ihre Hand zu nehmen und zu küssen – – – gleich ist die Freundschaft aus. Ist aber doch ein famoser Kaber!«

Harmlos und wie die Kinder so vergnügt, besah man die Schlösser und Kirchen, machte die Rundfahrten und speiste zusammen im Hotel. Man hatte gar nicht den Wunsch, sich zu trennen, Grete und Paul behielten Muße und Zeit genug für ihre Aussprachen und kleinen Liebesbeweise übrig. Und ›Häschen‹ und die ›Range‹ tobten und lachten in ausgelassenstem Übermute. – – Die Stunden flogen dahin. Endlich gedachte man an die Heimfahrt und begab sich langsam in Schneckenschritt nach dem Bahnhofe. Hase eroberte triumphierend ein leeres Abteil. Unser Quartett stieg ein. »Wer auch kommt, wird rausbugsiert. Ich stelle mich wahnsinnig!« sagte Lotte. – –»Ich rede vorzüglich Bauch und werde das Talent heute ausnützen. Sobald ein Unseliger die Thür öffnet, lege ich los!« rief Hase. »Vormachen und nicht prahlen, Herr Leutnant!« meinte Paul zweifelnd. »Pfui, so ein Schändlicher, seine schönsten Seiten enthält er uns vor. – Kinder, könnt Ihr übrigens schielen wie ich? Seht her!« kommandierte Fräulein Bach. Aber das Geschrei der anderen zwang sie, sofort ihren Blauaugen die richtige Stellung wiederzugeben. Besonders der Leutnant war ganz entsetzt über diese Gabe seiner fidelen Freundin. Dann mußte er bauchreden und that es zum Entzücken der anderen ausgezeichnet. Grete imitierte eine Kuh mit wunderbarer Natürlichkeit – Paul gackerte – Lotte bellte – und Hase drohte im tiefsten Baßtone von der Decke herab. Dazwischen wurde gelacht und dann das Konzert mit erneuten Kräften und vertauschten Rollen fortgesetzt.

Der Zug setzte sich langsam in Bewegung »Hurra, wir sind janz entre nanu!« – In diesem Augenblicke wurde die Coupéthür mit Vehemenz aufgerissen. Ein Herr flog hinein, sank auf das Polster und schnaufte barbarisch nach Luft, ehe er sich umschauen konnte.

»Haste Worte, Ernst Georgy! Wo man hintritt, tritt man auf den Mann!« schrie Lotte baff »Nun heißt es wirklich das Unvermeidliche mit Würde tragen! Wo kommen Sie denn wieder her?« – – »Erst gefälligst nach Puste jappen lassen!« stöhnte er. – – »Menschenskinder, bei Ernst Georgy muß man jede Atemlosigkeit benützen. Also ich warne Euch von ganzem Herzen, nehmt Euch vor dem bloß in acht. Der kiekt jeden Mitbürger durch und durch, und dann schmeißt er einen auf das Papier! Mich hat er schon ganz ausgebeutet. Ich muß ihm immer Stoff geben. Übrigens, Georgy, wenn Sie artig sind, ich habe wieder einen Kilometer Stoff und feine Humoresken, wie damals bei den Berliner Dienstboten. Die Stoffe waren doch famos, was?« – –Georgy hatte seinen Atem wiedergewonnen und begrüßte das ihm bekannte Brautpaar. Er ließ sich Hase vorstellen und schüttelte Lottes Hand.

»Gewiß, Lotte, das nehme ich mit Dank an! Mein Verleger brennt auf neue humoristische Arbeiten von mir. Am liebsten will er allerdings immer solche haben, wo Sie – die berühmte Berliner Range – vorkommen!« – »Was habe ich eigentlich davon?« brummte Lotte. »Pfui, seien Sie nicht so materiell, liebe Freundin! Sie haben die Lorbeerblätter, lassen Sie mir den nährenden Hering!« erwiderte der Schriftsteller lachend. »Also ich verlasse mich auf Sie für den fünften Band meiner humoristisch satirischen Bibliothek.« – »Den fünften? Donnerwetter, was steht denn im vierten?« fragte Gretchen Thronik neugierig. – »Im vierten schildere ich Euch Berliner junge Mädel und Lotte Bachs Brausejahre!« – »Was, schon wieder mich? Na, ich muß doch bald ausgebraust haben!« – »Gewiß, haben Sie auch, darum hoffe ich, daß ich Sie Band V schon in Ihrer ganzen Eigenart als Braut einführen kann!« – Lotte wurde krebsrot und dann blaß: Wenn das nur keine Tragödie giebt!« – »Lassen Sie mich nur machen, Range!« – »Aber ich habe noch garnicht ausgebraust!« – »Warten Sie doch ab!« – »Es ist noch keine Aussicht auf Verloben!« – »Widersprechen Sie nicht, daher heißt es doch auch Band V.« –

 

Zwei Tage später waren Lotte Bachs Brausejahre vorüber. Ganz plötzlich hatte sie den gütigen warmherzigen, liebenswürdigen Vater verloren.


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