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6. Kapitel. Lotte in London.

Fellers hatten den hochinteressanten Tower besichtigt und fuhren in ein Restaurant, um das Luncheon einzunehmen. Die junge Frau war voll von den historischen Erinnerungen in dem großartigen alten Gebäude. Sie schimpfte wie ein Rohrspatz auf die blutige englische Geschichte und das barbarische Volk, welches zuließ, daß so viele Frauen hingerichtet wurden. »Nee, Du, den Franzosen verzeihe ich nie ihre Marie Antoinette, und den Engländern nicht ihre Anna Boleyn, Jane Gray und die andern edlen, gemordeten Frauen!« – sagte sie und beobachtete dabei das Buffet. Die riesigen Schüsseln waren mit gigantischen Metallstürzen bedeckt, welche an Ketten von der Decke herabhingen. Sobald irgend etwas von den Braten oder Zuspeisen gebraucht wurde, schob der Vorschneider die Deckel in die Höhe. Diese schwebten dann, durch Gewichte gehalten, frei in der Luft, bis er sie wieder herunterzog. Lottes scharfen Blicken fiel die Sauberkeit und die praktische Einrichtung angenehm auf. Ihr imponierte die schwarze Tracht mit weißen Schleifchen und Mützchen, welche die Kellnerinnen trugen. »Laß jetzt die Vergangenheit, Liebling, und sage mir, was Du trinken willst?« – sagte Willi. – Sie betrachtete die gedruckte Karte und verzog das Gesicht. »Es giebt ja hier nichts Vernünftiges! Für Thee, Schokolade, Milch, Kaffee oder sonstige Wintergetränke danke ich! Bleibt Soda, Citronenlimonade oder Ingwerbier!« – – »Na, entscheide Dich, Liebling! Du bist in der Aerated Bread Company. Deinetwegen können sich die Leute kein neues Programm erdenken!« – – »Finde ich höchst uncoulant; wenn ich komme – – bah! Doch, um Dir auf die Beine zu helfen, Schatz, bitte um Ingwerbier!« –

Feller bestellte. Dann blickte er sich um. »Schau, es ist kein Platz frei! Daraus sieht man, wie notwendig diese Slaters und ABC-Companieen waren. Früher war es mit dem Essen in London schlecht bestellt. Es gab fast nur die Theestuben mit ihren faden Bouillons und Rindfleischgerichten. Im besten Falle bekam man Eier und Toasts.« – – »In jeder Großstadt sind solche Lokale einfach Bedürfnis, besonders aber hier! Sieh nur, all diese Leute haben etwas Müdes, Abgehetztes!« – – Willi drehte seinen Schnurrbart und betrachtete die einzelnen Gruppen. »Meiner Ansicht nach sind außer den paar Geschäftsleuten, welche hier rasch ihren Hunger stillen, meist englische Provinzler da. Die machen wie wir hier eine Erholungspause! Sieh, Liebstes, die Kleidung, das neugierige Umschauhalten, alles verrät sie. Der Urlondoner hat dazu keine Zeit und kein Interesse.« – – »Der denkt nur an sich! – bestätigte Lotte – scheußlich!« – – »Sind wir Berliner besser? Schatzlieb, Du bist wieder ungerecht! Gestern in der Pension hast Du es doch selbst zugestanden, daß es die englische Frau viel besser hat als die deutsche. Ihre Stellung ist viel größer! Der Mann macht sich zum Lasttier, damit sie bequem leben kann. Er verwöhnt sie!« – – »Ja, ja, das stimmt! Die Damen unserer Kreise thun hier ja auch weiter nichts, als Einkäufe machen und sich putzen! Ich möchte keinen Engländer haben; jedoch habe ich nichts dagegen, wenn Du mich auf englische Art verwöhnst!« – – Willi und Lotte blickten sich an. Auge in Auge. Dann lächelten sie glücklich. Er nahm ihre Hand, die auf dem Tische lag. »Hast Du Dich bisher zu beklagen, Range?« – – »Na und ob!« – – »Ernstlich?« – – »Wahrhaftig!« – – »Na, raus mit der Sprache. Ich muß doch meine Sünden kennen, ehe ich mich bessern kann!« – – Sie zog eine Schippe: »Ist alles registriert, Du! Warte! – Erstens bist Du gar nicht mehr zärtlich! Höchstens, wenn wir allein sind!« – – »Ja, Liebstes, ich kann doch nicht hier – – –« – – »Ich spreche nicht vom Küssen, Willi! Aber neben mir auf dem Sofa ist ein Platz frei. Du jedoch, wie ein alter Ehemann, setzt Dich ruhig auf einen Stuhl mir vis-à-vis. Das hättest Du als Bräutigam nie gethan!« – – Er lachte und setzte sich neben sie: »Dumme, kleine Person, Du sahst so müde und erhitzt aus, daß ich Dir Ruhe lassen wollte.« Heimlich legte er nach kurzer Umschau den Arm um sie. »Gottlob, wir sitzen ziemlich gedeckt! Ich kann es wagen!« – Damit preßte er sie fest an sich. »Ach Du! Katz!« – – »Du, Affenschwanz! Gieb mir einen Kuß!« – – »Nein, Lotte, so gern ich möchte, das geht hier nicht! Wir machen uns lächerlich!« – – –»Bei den fremden Leuten? P! Meinswegen, ich hab nix dagegen! Mich kusserts gerade, ich will also! Darum lasse ich jetzt den Handschuh fallen. Wir bücken uns beide, und kein Mensch sieht oder merkt etwas!« – –

Sie warf ihren Handschuh wirklich hin. Er beugte sich lachend, sie desgleichen. Unter dem Tische küßten sie sich schnell und innig. Zwar verschob sich Lottes Hut, und sie stieß sich eine ganz nette Beule an der Marmorplatte. »Au Wetter!« – Sehr rot und mit verzogenem Gesichte kam sie zum Vorschein. »Armer Schatz, ja so was kommt von so was! Hast Du mich lieb?« – – »Maßlos!« – – »Thut es weh?« – – »P!« – – »Die schöne, weiße Stirn ganz rot, Armes!« Willi erschrak und wandte sich zur Seite. Neben ihm stand ein Herr im dunklen Anzuge. Im Knopfloch die übliche Rosenknospe, den Cylinder in der Hand. »Herr Doktor Feller! Wenn ich nicht irre?« – – »Mein Name ist Feller!« – Er schnellte empor und starrte verlegen in das glattrasierte bartlose Gesicht. »Mit wem habe – – – Himmel, Dietrich, Sie, hier in London?« – Jetzt erkannte er den Fremden. Beide grüßten sich herzlich. Dann stellte Willi vor: »Sie müssen nämlich wissen, ich bin auf der Hochzeitsreise hier. Meine kleine Frau – – – – – liebe Lotte, gestatte, daß ich Dich mit Herrn Dietrich bekannt mache. Er ist der Bruder eines Kollegen, war früher auch Sohn der Alma Mater, hat aber der Wissenschaft den Rücken gekehrt und übernahm die Leitung seines englischen Hauses.« – – »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen!« – meinte Lotte verlegen und reichte ihm die Hand. – »Haben Sie Zeit, sich ein wenig zu uns zu setzen, Herr Dietrich?« – – »Wenn Sie gestatten und ich nicht weiter störe – – gern!« – – »Aha, Sie gedenken der Hochzeitsreise, ach, wir sind sehr vernünftig!« – sagte Willi. – Der Angeredete lächelte. – »Für deutsche Begriffe fraglos, Herr Doktor, obwohl – – – –« – Lotte und Willi gedachten der voraufgegangenen Scene, tauschten einen Blick und lachten. »Haben Sie uns beobachtet, Herr Dietrich?« – – »Ja, meine gnädige Frau!« – – »Na, das thut weiter nichts! Ich hatte meinen Mann seit acht Uhr früh vor lauter Besichtigen kaum angesehen! Da konnte ich nicht umhin!« – – »Oh bitte, meine gnädige Frau!« – – »Ich entschuldige mich weiter nicht! – entgegnete Lotte kühl – Doch haben Andere hier auch so scharfe Augen?« – – »Ich weiß nicht! Ich war Ihnen von der Straße nachgegangen, weil ich Herrn Doktor erkannte, als er vom Bus stieg. Darum behielt ich Sie scharf im Auge!« – – »Gott sei Dank!« –

Die Kellnerin brachte die Speisen. Auch Dietrich bestellte eine Kleinigkeit. »Ich hätte Sie stets für einen Engländer gehalten!« – – »Gewiß, ich auch! Wo haben Sie Ihren schönen Schnurrbart gelassen? Sie haben sich sehr verändert!« – fragte Feller. – – »Ja, ich bin durch und durch anglisiert! – versetzte der Gefragte stolz – Mir wird die deutsche Sprache fast schwer. Sie ist so lang und wortreich, so wenig – – – – logisch!« – – Lotte sah erst ihren Gatten, dann den Sprecher groß an. Sie richtete sich auf und begann, ihn zu examinieren. »Wie lange leben Sie schon hier?« – – »Acht Jahre!« – – »Und Sie fühlen sich hier glücklich?« – – »Ich möchte nicht mehr zurück!« – – »Warum, Herr Dietrich?« – – »Weil man hier als freier Mann lebt, während drüben kleinliche, enge Verhältnisse sind, no, ich bin Engländer geworden!« – – »Rechnen Sie sich dieses charaktervolle Wechseln der Nationalität als Verdienst an?« – – fragte Lotte scharf. – Willi begütigte: »Das ist doch aber Privatsache, Liebling!« – – »Aha, Frau Doktor gehört zum neuen Kurs, der jetzt drüben Mode? – ironisierte Dietrich – Ich bedaure; aber ich mache fast ein Verdienst daraus! Weil wir eben das Volk der Dichter und Denker sind, erkennen wir die Vorzüge anderer Länder an, behalten vom Alten, was uns gut dünkt, und – – – well, suchen in dem Besseren aufzugehen!« – – »Eine abgedroschene Antwort! – Eine bequeme, unzutreffende Erklärung! Warum bleibt der Franzose und Engländer stets, was er ist?« – – »Weil beide das Glück haben, jahrhunderte alten Nationen anzugehören, meine gnädige Frau! Wir Deutsche aber sind erst seit 1871 – Deutsche!« – –

»Da hast Du es, Lotte! Ich habe es Dir oft genug gesagt! Nun bist Du abgeführt!« – rief Willi. – »Ich? Oho! – sie setzte sich in Positur – Gewiß, Herr Dietrich, ich gebe Ihnen diese Schmach schmerzlichst zu. Wir waren vor 1870 – – Nulpen, wie wir in Berlin sagen! Immerhin, Sie sind Landsberger, immerhin waren wir schon lange, lange Zeit Unterthanen eines festen preußischen Staates, also Preußen! Immerhin sind wir schon seit über dreißig Jahre geeinigte Deutsche. Sie sind jünger als mein Mann, Sie haben also den andern Zustand garnicht kennen gelernt. Und Sie sollten zu stolz auf Ihr junges Vaterland sein, um es so hipp – hopp aufzugeben!« – – »Meine gnädige Frau, ich strecke die Waffen! – entgegnete Dietrich höflich – Aber Sie sollten nur hier leben, so würden Sie mir recht geben!« – – »Na?« – – »Wie lange sind Sie in London?« »Zehn Tage!« – – »Ach sooo! Haben Sie das Straßenleben beobachtet?« – – »Na aber!« – – »Sind Sie mit der unterirdischen, elektrischen Bahn gefahren, durch den Themsetunnel gegangen?« – – »Natürlich!« – »Unter dem Platze beim Mansionhouse gewandelt, während über Ihnen die Wagen rollten?« – – »Auch das! Vergessen Sie nicht, Herr Dietrich, daß wir vom frühen Morgen bis zum späten Abend nach festem Programm herumrasen und die Sehenswürdigkeiten abklappern! Da kann man schon etwas leisten!« – erwiderte die junge Frau. – Der Herr lächelte und bemerkte zu Willi: »Ihre Frau Gemahlin zaubert mir ganz Berlin und die Mark vor Augen. Es wird mir ordentlich heimatlich zu Mute, denn mir ist, als ob ich meine Schwestern sprechen höre!« – – »Weil meine Frau so berlinert? – rief Willi – Ja, das ist ihr leider nicht abzugewöhnen! Ich bin bloß froh, daß sie nicht g wie j ausspricht, denn das ist mir fürchterlich; während ich die etwas schnoddrigen, aber doch recht charakteristischen Berliner Ausdrücke an ihr sehr liebe. Sie gehören zu ihrer Eigenart!« – – Er schaute sie an. »Du hast alles an mir zu lieben, Willi, wie ich an Dir eben alles – – – – hahaha, sieh nur das unbehagliche Gesicht von unserm Landsmann! – Lotte lachte – Nein, Herr Dietrich, unbesorgt, wir neigen nicht zur Sentimentalität; wenn wir auch quietschglücklich sind. Wir sehen die Welt nicht durch einen Nebel, sondern objektiv und vernünftig an!« – – »Ich zweifle daran nicht, gnädige Frau! – entgegnete Dietrich freundlich – Darum frage ich auch gespannt, wie Ihnen London gefällt?« – – »Gefallen? – Lotte sann nach – Mein Mann kannte es bereits. Mir war es fremd. Nun, ich finde es großartig – – – überwältigend! Es imponiert mir! Das Gewühl von Wagen und Menschen, die Ordnung, die riesenhafte Ausdehnung, die gute Luft!« – – – »Ach so, Sie haben noch keinen Nebel erlebt, wo man die Hand nicht vor Augen sehen kann? Wo um Mittag tiefe Finsternis herrscht, und die Laternen brennen?« – –

»Nein, leider sieht meine Frau London nur bei Sonnenschein und gutem Wetter. In den anderen Jahreszeiten würde sie doch durch all die charakteristischen Londoner Eigenheiten mehr von der Reise haben. Jetzt sieht sie weder den Nebel, noch die Betrunkenheit, noch die entsetzliche, abstoßende Armut, welche schon im Herbst weit mehr zum Vorschein kommt« – erklärte Feller. – – »Na, Liebster, den Großstadtstaub und den Londoner Ruß habe ich doch auch schon kennen gelernt. In Berlin trage ich ein weißes Kleid acht Tage. Hier war es schon am ersten Tage pechschwarz und staubig und rußig. Mein Wäschebedarf ist ja einfach kolossal! Und die Verhältnisse mit den Waschfrauen sind ja rein unglaublich!« – – »Warum, meine gnädige Frau?« – fragte Dietrich erstaunt. – »Weil in dem Stadtteil, wo unser Boardinghaus liegt, die schmutzige Wäsche nur Montags geholt und Freitags rein zurückgebracht wird. Die Dienstboten sind selbst für Geld und gute Worte nicht dazu zu bringen, ein paar Stücke durchzuwaschen! So muß man denn zu den französischen Waschfrauen laufen, die weit entfernt wohnen und das Dreifache verlangen!« – – »Wie tief Sie schon eingedrungen sind, Frau Doktor, ich habe mich nie darum bekümmert! Das besorgt meine Housekeeper!« – erwiderte er etwas verächtlich. – »Das glaube ich wohl; aber diese furchtbare Unbequemlichkeit ist für uns Fremde sehr unangenehm fühlbar. Nur in den Hotels ist man in dieser Beziehung besser versorgt!« – – »Soviel ich weiß, sind aber die englischen Dienstboten den deutschen weit überlegen. So sagen mir wenigstens die hiesigen deutschen Damen, die ich im Athenäum oder im Turnverein zuweilen spreche!« – – »Das stimmt, weil die Dienstboten einen hier niemals ansprechen und sehr bescheiden sind, wenigstens die meisten. Ihre Art, wie sie in den Küchen nur an gedeckten Tischen speisen, zeugt von Civilisation. Auch die geschriebenen Reglements mit ihrer Tageseinteilung und Arbeitsbestimmung, welche in der Küche hängen, finde ich recht praktisch. So wissen die Leute doch stets, was sie während der Woche zu thun haben. Dennoch sagten mir die Damen unserer Pension, daß auch in England die Dienstbotenkalamität sehr im Steigen sei. Vor allem sollen die Leute hier rein mechanisch wie Maschinen arbeiten Jede denkt nur an ihr Pensum und würde nie das der Kollegin übernehmen!« – – »Da haben wir die Deutsche, die Hausfrau, welche sofort die Sonden in der Häuslichkeit anlegt!« – – »Jetzt halten Sie mich für so eine spießige, versimpelte Tante mit Häkelarbeit und Klatsch, nicht wahr?« – fragte Lotte lachend. – – »No, no, gnädige Frau, durchaus nicht!« – verteidigte er sich erschrocken. Willi plauderte mit ihm und orientierte sich über verschiedene Dinge. »Hör', Schatz, ich bin noch nicht satt; aber dieser Speisezettel hat für mich weiter keine Reize. Vielleicht empfiehlt uns Herr Dietrich noch ein gutes Lokal, wo man sich einmal nach deutscher Art satt essen kann. Wo speisen Sie immer?« – – »Ich? In meinem Klub auf dem Piccadilly! Sehr gut!« – – »Ist das ein englischer Klub?« – – »Selbstredend!« – – »So, mir scheint das garnicht so selbstredend, daß Sie als Deutscher dort sind! Aber nein, können Sie uns kein Restaurant mit deutscher Küche empfehlen? Ich habe den englischen Fraß nun satt und setze mich jedesmal mit Unlust zum Essen nieder!« – – »An die hiesige Küche muß man sich erst gewöhnen, Frau Doktor! Haben Sie das aber einmal gethan, dann schmeckt Ihnen die heimatliche nicht mehr!« – – »Siehst Du, Lotte, genau das gleiche sage ich Dir stets.« – – »Ich bedaure, daß ich Ihnen Beiden nicht beistimmen kann. Es giebt für mich nichts Fürchterlicheres, als wenn ich erst auf dem Tisch mit der Kocherei anfangen muß. Hier sind ja das Fleisch und dito die Fische entschieden ausgezeichnet; aber es kommt ja ganz roh hinein! Sie müssen erst salzen, pfeffern und durch Begießen von x gemanschten, gewürzten Saucen die Sache erträglich machen. Und diese widerlichen Gemüse, die einfach abgekocht sind! Diese Pies! Diese Mintsauce! Ewig haben Sie den Geschmack von kaltem Rinderfett im Munde. Und was die Leute stolz Pudding schimpfen, äx! Milchreis mit Früchten – – – –« – – »So gute Früchte wie hier haben wir in Berlin garnicht, Lotte!« – – »Ja, das Obst ist gut; dafür sind die Kuchen elend! Noch in keiner Konditorei, selbst bei Bußard nicht, hat es mir geschmeckt! Na, ich stürze mich daheim auf unsere Fressabilien!« – – »Strecken Sie die Waffen, Herr Dietrich, mein Frauchen ist nicht zu bekehren. Ich bin nur froh, daß ihr hier so vieles gefällt, und sie versucht, gerecht zu sein!« –

Die Herren zahlten an der Kasse und verließen mit Lotte das Restaurant. Dietrich führte sie in ein deutsches Lokal und machte sie unterwegs auf vieles aufmerksam. »Ich kann London absolut nicht mehr so mordshäßlich finden! – erklärte Lotte – Manche Plätze, z. B. die Gegend vom Charing Cross bis zur Westminster-Abtei, die Stadtteile um den Hydepark und Regentspark sind sogar wunderschön! Die alten Stätten in der City, Holborn, die Jahrhunderte alten Geschäftsstraßen mit ihren grandiosen Geschäften, die historischen Stätten um den Tower sind höchst interessant und eigenartig! – – – –« – – »Daran zweifelt wohl keiner!« – – »Paris ist ungleich schöner!« – – »Gewiß, weil London durch die einförmige, kasernenartige, dachlose Architektur der Wohnhäuser entstellt wird. Ganze Stadtteile sind ja vollkommen gleich. Ein Haus wie das andere, keine Phantasie! Dazu die häßliche Farbe: olivbraungrün vom Klima, – – die entsetzlichen Reihen von Schornsteinen! – In dieser Beziehung wäre ja London trostlos, wenn es nicht die grünen Squares mit ihren Bäumen und Büschen und die großen Parkanlagen hätte! Auch die Vorgärtchen verschönern das Straßenbild.« – – »Ich freue mich, daß Sie die Großartigkeit dieser Stadt anerkennen! Nicht wahr, gnädige Frau, mit diesem Babel läßt sich Berlin doch nicht vergleichen! Fünf Millionen Einwohner in fast neunzehntausend Straßen?« – fragte Dietrich stolz. – »Das ist wahr, mit London und Paris können wir den Vergleich noch nicht aushalten! meinte Lotte – Dafür sind uns diese beiden Städte um Jahrhunderte voraus und haben eine viel bessere Lage! Bei der Jugend Berlins und der Schwierigkeit seiner Entwickelung ist es aber relativ weiter als London und Paris!« – – »Damit haben Sie nicht so unrecht, das habe ich noch nie bedacht!« – – »Sieh nur, Schatzlieb, diese Reihen von Wagen, ununterbrochen! Omnibus – Pferdebahn – Droschken – Automobile – Lastwagen – es ist unglaublich! Dabei entlasten die Untergrundbahn, die Twopenny-Tube und der Dampferbetrieb auf der Themse doch noch den Verkehr!« – –

Alle drei hielten an einer Ecke und schauten ins Gewühl. Sie konnten den Damm nicht passieren. Nach einigen Minuten erhob der Schutzmann, der da postiert war, die Hand. Sofort stauten sich die Wagen. Das Publikum überschritt die Fahrstraße, bis der Policeman das Zeichen zur Weiterfahrt gab. »Das ist ideal!« – rief Lotte. »Beobachten Sie nur die Sauberkeit der Hansoms (zweirädrige Wagen) und die vortrefflich gehaltenen Pferde, Frau Doktor! Diese eleganten Gefährte sind doch mit den Berliner Droschken nicht zu vergleichen. Besonders bei denen ›zweiter Klasse‹ sieht man in Berlin doch nur Schindmähren, schlechte Polster und schmutzige Uniformen!« – – »Das stimmt; aber ich mag die Hansoms nicht, weil sie nur für zwei Personen sind. Eine dritte muß schon auf den Knieen der andern balancieren! An den Verdecken stößt man sich die Hüte ein. Sind die Wagen geschlossen, so sitzt man wie im Gefängnis. Sind sie offen, so hat man Wind und Regen im Gesicht. Nie hat man einen guten Rundblick. Ich bin mehr für Viersitzer. Jedoch sehr elegant und sauber sind sie, und die hiesigen Equipagen – – – – à la bonne heure!« – – »Alle Jahre ist auch in London ein Korso von Droschken und Lastfuhrwerken, wobei die bestgehaltenen Pferde prämiiert werden!« – – »Ach, das ist nett!« – – »Sieh nur, Lotte!« – – Diese wandte sich um. Ein Haufen zerlumpter, schmutziger Zeitungsjungen rief die Tagesblätter aus, unbekümmert um eine Dame, welche versuchte, Traktätchen unter ihnen zu verteilen. Ebenso schmutzige Blumenmädchen boten winzige Sträußchen für die Knopflöcher aus, die reißenden Absatz fanden. Fast alle Londoner Herren, auch die in der City, tragen Blumen im Knopfloch, die sie wechseln, wenn sie verwelkt sind. – – Zwei Betrunkene schwankten über die Straße, denen die andern sorglich auswichen. – »Hier siehst Du ein gutes Stück Londoner Leben!« – – »Und dort, gnädige Frau, dieser kleine Pavillon ist ein öffentlicher Fernsprecher, automatisch betrieben! Da – – die Blechbaracke – ist eine Cabmanstation, Kneipe und Sammelpunkt für die Kutscher. Diese können dort speisen, sich erholen. Wir aber können uns, da die Station ans Telephonnetz angeschlossen ist, jederzeit telephonisch einen Wagen bestellen, das ist höchst praktisch!« – – »Ja, und das ist sehr interessant, Dank für die Belehrung! Na, warten Sie, Herr Dietrich, ich pump' Sie noch gehörig aus!« – rief Lotte erfreut. »Ich stehe Ihnen mit Freuden zu Diensten!« – –

Die Kutscher und Kondukteure der vorüberfahrenden Omnibusse riefen ihre Strecken unermüdlich aus. Die letzteren sprangen herab, warben bei den Vorübergehenden, halfen beim Ab- und Aufsteigen. »Da ist schon etwas! – sagte Frau Doktor Feller – Ich bewundere die beschämende Höflichkeit der Londoner Schaffner. Sie bekommen doch nie ein Trinkgeld und sind unerklärlich coulant! Woher kommt das? Sind sie vielleicht am Gewinn beteiligt?« – – »Ich werde mich sofort genau erkundigen, gnädige Frau! Soviel ich weiß, erhalten die Leute kleine Prämien. Die gesamten Verbindungen hier sind doch im Besitze von Privatgesellschaften, was für das Publikum stets am vorteilhaftesten ist. Konkurrenz macht geschmeidig!« – – »Siehst Du, Liebster, das habe ich mir gedacht!« – – Die kleine Gesellschaft gelangte jetzt in das deutsche Restaurant. Sie bestellten, und Lotte geriet in hellen Jubel, als sie die Speisen auf heimatliche Art zubereitet fand. – Die Herren waren in eifrigem Gespräch. Dietrich hatte Beziehungen zu verschiedenen bedeutenden englischen Ärzten und versprach, Willi bei diesen einzuführen. Dieser war darüber hocherfreut, da er verschiedene Informationen brauchte. Plötzlich wendete er sich zu seiner Gattin, die interessiert gelauscht hatte. »Ach nein, es geht nicht! Ich danke Ihnen, lieber Freund! Diesmal muß ich schon verzichten! Ich bin auf der Hochzeitsreise und kann meiner kleinen Frau nicht zumuten, so lange allein zu sein!« – – Er nahm ihre Hand. Sie entzog sie ihm unwillig: »Unsinn, red' keine Romane, Schatz! Erst kommt der Beruf! Wenn Dir die Unterredungen auch nur von der geringsten Wichtigkeit sind, so wirst Du eben die Besuche machen! Das wäre noch schöner! Ich bin doch kein Kind!« – – »Aber wo bleibst Du so lange?« – – »Schöps, ich schließe mich den Damen aus der Pension an und besuche mit ihnen die Kunstsammlungen. Ich habe noch einige Galerien zu besichtigen!« – – »Du bist ein geliebtes, vernünftiges Herz!« Willi küßte ihre Hand. – »Wie gefallen Ihnen die Londoner Denkmäler, Frau Doktor?« – fragte Dietrich. – »Garnicht, denn die paar scheußlichen, schwachen Reiterlein, die da allenthalben aufgepflanzt sind, können Sie doch nicht rechnen! In Betracht käme nur das Albert-Denkmal und die Trafalgar-Nelsonsäule, abgesehen von den schönen Monumenten in der Westminsterabtei und der Paulskathedrale!« – – »Nun, und entsprechen diese beiden Ihrem Geschmack?« – – »Offengesagt, nicht ganz! So großartig das Albert-Monument auch ist, so mißfällt mir doch der Aufbau aus der Goldmosaik, der trotz seines gotischen Stiles so byzantinisch wirkt. Schade, daß diese Buntheit nicht vermieden ist. Zum Beispiel das Edinburger Scott-Denkmal ist weit edler! – – – Na, und der große Landseer hätte die vier Löwen am Sockel auch verschieden gestalten können! Es ist echt englisch, wie sie alle vier so einförmig verschlafen dasitzen!« – – »Zugegeben! Aber, aber – Sie sind doch recht böse auf uns zu sprechen!« – – »Uns? Sie rechnen doch nicht dazu!« – – »Ich fühle mich, wie schon gesagt, als Engländer.« – Lotte lächelte spöttisch: »Sie überengländern sogar noch die Beefsteaks! Schlimm genug!« – – »Laß das Thema fallen, Liebstes!« – untersagte Willi ernst, weil er seine Frau kannte.

»Sagen Sie, Herr Dietrich, es ist mir ausgefallen, daß hier time durchaus nicht money ist. Ich finde, die Herren haben entsetzlich viel freie Zeit!« – – »Darin liegt etwas, Frau Doktor! Anscheinend! Denn in Wahrheit wird hier viel intensiver gearbeitet als drüben. Dort verschwendet man eine Menge Zeit mit Spielereien.« – – »Nanu, bitte, beweisen Sie das!« – – »Gern! Also einmal ist der Deutsche in Geschäftssachen viel zu gesprächig. Er redet und redet und wird nicht fertig, ehe etwas zum Abschluß kommt! Hier ist ein Ja – – – ein Ja; und ein Nein – – Nein! Ferner, um etwas herauszugreifen: der Deutsche kalligraphiert seine Briefadressen, unterstreicht säuberlich die Städtenamen! So etwas verlacht man hier, das sind kleinliche Pedanterieen! Drüben ist der Geschäftsmann ein Lasttier. Hier bleibt er Mensch!« – – »Trotzdem sollen doch hier die besten Vertrauensstellungen in deutschen Händen sein!« – – »Ja; aber die Deutschen, die Clerks, haben sich eben verflucht angepaßt!« – – »Darauf kann ich leider nichts entgegnen, weil ich keine Erfahrungen habe. Aber entschieden bleibt der englische Handel durch seinen Konservatismus doch zurück!« – – »So?« – fragte Dietrich höhnisch. – »Ja, John Bull fürchtet den Michel schon in der Konkurrenz und wird ihn noch mehr fürchten lernen. Oder, er geht mit der Zeit mit! Unsere Reisenden und Korrespondenten eignen sich mühsam die schwierigsten Sprachen an und verkehren mit den ausländischen Kunden in deren Muttersprache. Der Herr Engländer bleibt beharrlich bei seinem Englisch und verlangt, daß man ihn versteht oder sich einen Dolmetscher anschafft. Wollen doch sehen, wer ihm die guten Handelsbeziehungen nach und nach abknöpft?« – – »England ist so reich, daß es dies ertragen und abwarten kann!« – – »Nana, man nicht so stolz und übermütig! Denken Sie an den Burenkrieg, der schon Jahre dauert. Man scheint hier die Hans-Guck-indieluft-Methode zu haben; dabei kann man gewaltig 'neinfallen!« – – »Seien Sie bezüglich Englands nicht zu pessimistisch!« – – »Für mich giebt es nur Deutschlands Wohl und Wehe, alle andern Nationen interessieren mich nur in ihrem Verhältnis zu uns, sonst – – pah!« – – »Sie sind eine Chauvinistin, Frau Doktor!« – – »Ja, mit Vorbehalt! Um noch einmal darauf zurückzukommen: Ich hörte, daß der hiesige Kaufmann bockssteif auf seinem Schlendrian beharrt. Er giebt zu, daß ein neuer Artikel besser, billiger, hübscher ist; aber er lehnt ihn so lange als möglich ab, eben weil dieser – – – neu ist!« – – »Das stimmt! Neues führt sich furchtbar schwer ein! Das ist die Konservative!« – – »Pardon, das ist Borniertheit! Wenn die Advokaten hier heute noch im dunklen Zimmer bei zwei Kerzen sitzen, wenn sie heute noch x historische Mätzchen machen und in und vor den Gerichten mit ihren weißen Perücken herumlaufen, so ist das doch borniert?« – – »Liebe Lotte, die Zeit fliegt, vergiß nicht, daß wir noch ins Hertforthaus, in die Wallace-Sammlung wollen! – unterbrach Willi sie heftig – Kommen Sie mit, Herr Dietrich?« – – »Ich bedaure; aber ich muß in mein Office; aber vielleicht verabreden wir einen Ort, wo wir uns treffen! Ich bringe meinen englischen Socius mit, damit er mir hilft, die gnädige Frau zu überzeugen!« – – Fellers waren einverstanden. Die Zusammenkunft wurde besprochen. Man trennte sich, und das junge Ehepaar fuhr in einem Hansom seinem Ziele zu.

 

An Frau Luise Hauf in Berlin über etwas Spleeniges.

»Hochverehrte, gnädige Frau, vieledle Jourmutter! – Heute muß ich mein Versprechen einlösen und Ihnen, wie Ihrem so lieben Herrn Gemahl von meinen Erlebnissen und Eindrücken vorplaudern. Schon aus Dank opfere ich gern das Stündchen, denn ich habe in Ihrem Heim so viele anregende Eindrücke empfangen!

Das englische Sprichwort: »Zeit ist Geld« hatte in mir den Wahn hervorgerufen, daß hier in England, also besonders in London, auf das Wahnsinnigste gehetzt und gearbeitet wird! Ich glaube, daß dies in New-York der Fall ist, hier entschieden nicht! Die Straßen sind überfüllt; aber die Fußgänger hasten und stürzen durchaus nicht so vorwärts wie in Berlin. Alles schlendert ganz gemächlich. Um neun Uhr und später noch strömen die Herren erst aus den Bahnstationen etc. in die City. Abends um sechs Uhr ist diese leer, die Arbeit hört auf. Donnerstag kommen viele schon um fünf Uhr heim. Sonnabend schließen fast alle Geschäfte um zwei Uhr nachmittags, na und Sonntags ist alles, alles verschlossen, sogar sehr viele Restaurants und Bäckereien. Selbst eine große Anzahl Briefkasten streiken! Also – – – scheinen die Leutchen hier schon soviel Geld zu haben, daß sie die Zeit nicht allzusehr auszunützen brauchen! – Selbst während der Geschäftsstunden sind die Restaurants gut – von Kaufleuten besucht, und sogar in den Nachmittags-Gottesdiensten der Kirchen sehen Sie die Herren der Schöpfung lange Zeit beten und knieen, Musterköfferchen, Aktenmappen etc. neben sich.

Einen Spleen haben die Engländer doch! Und dafür will ich Ihnen, Verehrte, einen Beleg geben! – Wir saßen Sonntag gerade in unserer Pension bei Tisch, als großer Lärm und Musik uns ans Fenster lockte. Wir erwarteten einen der Aufzüge der Heilsarmee; aber es war etwas Anderes. Auf allen den schmalen Balkons, an den Fenstern erschienen die Neugierigen. Sie tauchten über den Gittern der Treppchen empor, welche zu den Küchen und Dienstbotenräumen ins Erdgeschoß hinabführen. Mit Musikbanden und Fahnen, riesigen Prunkwagen und Maskeraden nahte ein Festzug. Nun erinnerte sich unser Wirt an eine Zeitungsnotiz und erklärte uns die Sachlage. Sehr viele der Londoner Krankenhäuser werden von der öffentlichen Wohlthätigkeit erhalten. Dieser muß man aber von Zeit zu Zeit einen gelinden Stoß erteilen, damit sie wieder in Gang kommt. So bedurfte eines dieser Hospitale einer großen Summe, und da hatte die Polizei der Verwaltung gestattet, einen Umzug durch die Stadt zu veranstalten und dabei unterwegs schon zu sammeln. Wie die Herrschaften den ins Werk gesetzt haben, mit welchen Mitteln und welcher Buntheit sie dabei vorgingen – – wie diese steife, ruhige, englische Volksmasse dabei ausgelassen und laut wurde – das muß man gesehen haben! Nicht für ein Krankenhaus schien dieser fidele, marktschreierische Umzug bestimmt, sondern für ein Stadtjubiläum, ein Künstlerfest oder einen Karneval! Wieviel Gemütsroheit offenbarte sich hier in der Nation der gentlemen, mit Respekt zu vermelden! –

Eine Stunde fast dauerte der Vorübermarsch. Voran die Musik, die Fahnen, ganze Trupps in historischen Kostümen, danach die riesigen bunten Schauwagen mit allegorischen Gestalten, zwischen den einzelnen Gefährten neue Banden in Tracht, fromme Schwestern, neue Kapellen! Um den Zug herum Tausende von Männern, Weibern und Kindern mit Fähnchen, Armbinden und Ulkhüten, die Sammelbüchsen trugen. Wie lästige Fliegen kamen sie bis zu den Hausthoren, standen und bettelten, die klingenden Kasten rasselnd bewegend. Immer und immer wieder erschienen sie und flehten um Geld. Auf den Fahnen, den Schildern, den Wagen stand der Name des Hospitals und die Bitte um Geld. – Das Widerlichste waren die Personen auf den Prunkwagen, die je nach ihrer Rolle steif da saßen oder lachend und jubelnd mit dem Publikum und untereinander johlten. – Ein Fuhrwerk mit den Krankenschwestern in Tracht, die alle die Hände flehend ausstreckten. Ein zweites stellte eine Krankenstube dar. In den Betten lebende kranke Kinder, neben ihnen in liebevollster Pose die Pflegerinnen. Danach kam ein Wagen, der – – man höre und staune! – – – einen Kirchhof darstellte mit Gräbern und Kreuzen. Darauf weinende Trauernde in knieender Stellung! – – Ist das schon einmal dagewesen? Ist das nicht widerlich? – Selbst die feinen Engländer in unserer Pension waren über solche Darbietungen entrüstet. Ich fragte meinen geliebten Willi lächelnd, wie ihm seine idealen Engländer denn jetzt gefielen, und ob er in Berlin schon so etwas gesehen? – Er zupfte mich am Ohre und meinte: »Triumphier' nur nicht zu früh über diese blöde Taktlosigkeit, Du wirst die Engländer noch von so erstaunlich guten Seiten kennen lernen, daß sich deine geliebten Berliner verstecken können!« – – Na, da bin ich mal begierig! Heute ist Sonntag, da will mir mein Gatte die öffentlichen Parkanlagen zeigen, wo unter freiem Himmel Predigten und Volksversammlungen stattfinden und ich den Londoner Mob kennen lernen kann.

Wir haben hier ein reizendes junges Ehepaar, gute Märker, gefunden und die beiden deutschen Damen, welche wir in Amsterdam kennen lernten. Ihrer Empfehlung danken wir auch unser Boardinghouse, dessen Adresse sie uns gaben. – Da sind wir schon sechs Landsleute, die auf Londonbummel ausziehen. Zwölf Augen sehen mehr als vier, und ich Anti-Engländerin habe an den vier anderen Personen einen Rückhalt. Angreifen, schlecht machen und verspotten ist viel leichter als verteidigen! Mir thut mein Willi leid, der uns gegenüber einen schweren Stand hat. Immer wieder bewundere ich seine vornehme Geduld, seine gütige Nachsicht! – Doch nun, liebe, verehrte Jourmama, leben Sie recht wohl! Grüßen Sie meinen besonderen Freund: Herrn Hauf, Ihre fesche liebe Olga und Gatten, Lotte und alle, die nach mir fragen! – Ich verbleibe in Treue, Ergebenheit und Verehrung Ihre Jourtochter Lotte, deren Gatte die verbindlichsten Empfehlungen beifügt. –«

 

Brief an Frau Marthchen über den Eitelkeitsmarkt im Hydepark.

»Du, heute habe ich soviel fesche Damen gesehen, soviel Toilettenpracht, angeborenen, anerzogenen, angepumpten und mißglückten Chic, daß ich unwillkürlich an Dich erinnert wurde. Du, liebes gutes Herz, würdest so gut hier – mitten mang – gepaßt haben! – Paris in seinem Bois de Boulogne und London in seinem Hydepark besitzen etwas, was unser Tiergarten bei aller Schönheit nicht hat. Etwas, was unserm Berlin gänzlich fehlt, nämlich einen Treffpunkt der schönen, eleganten und vornehmen Welt! Wo siehst Du bei uns Luxus und Vornehmheit, wo schöne Wagen und Pferde? – – – – Im Tiergartenviertel, im Grunewald! Aber immer nur vereinzelt, nicht en masse. Wo siehst Du in unserer Stadt auf Straßen und Plätzen Eleganz en gros? Nirgends! Nur in Gesellschaften, in einzelnen Premieren, bei den großen Rennen zeigt die Berlinerin ihren Reichtum, ihren Geschmack und ihren Schmuck. Außerhalb der Hausmauern bevorzugt sie, je feiner sie wirklich ist – umso schlichtere Einfachheit! – Ich, für meinen Teil, finde dies am schönsten, am vornehmsten! Aber – – – der Stadt entgeht bei dieser Zurückhaltung entschieden etwas höchst Reizvolles! – Wenn man in Paris und London war, fehlt einem gerade dies in Berlin! Jammerschade, daß wir nicht so einen öffentlichen Park haben, in dem die grand monde sich zu Pferd, zu Wagen und zu Fuße trifft und die petit monde umsonst zuschauen, kritisieren und beneiden kann! –

Weißt Du, Marthchen, jetzt ist mir der Unterschied zwischen der Pariserin und Londonerin so recht klar geworden. Der Ersteren, der Romanin, ist der Chic angeboren. Gehst Du im Pariser Bois de Boulogne und siehst den blendenden Luxus, so scheint er Dir in seiner Entfaltung, in seiner Auffahrt, bestrickend. Er rollt sich so ungezwungen natürlich, so durchaus ungewollt auf. Diese eleganten Männer und Frauen gehören ja selbstverständlich hierher wie das zahllose Publikum, das sie anstarrt! – Anders im Hydepark! Die germanische Londonerin hat von Haus aus nicht diesen Reiz, diese leichte Grazie. Sie hat sie der Pariserin erst abgesehen, sie ahmt sie nach! Darum wirken die Reittouren, die Promenieraufzüge, der Wagenkorso hier in London nicht selbstverständlich, sondern erzwungen, spleenig. Es ist ein eitles Zurschaustellen – – – ein Schauspiel, das Herr und Frau Bull bewußt sich und dem Zuschauer geben. Sie wollen gesehen sein, sie betrachten darauf hin die Tausende, welche sich Stühle gemietet haben oder auf den Bänken sitzen. – Sie nehmen selbst solche Stühle und pflanzen sich nebeneinander auf den Bosketts auf. Zu Hunderten sitzen sie da. Schwatzen, beobachten, halten öffentliche Empfänge im Freien ab, von den Spaziergängern bewundert. Hinter den niedrigen Eisengittern gehen die Defilier- und Kokettierkuren vor sich, während die Lakaien mit den Mänteln oder Schirmen wie regungslose Wachsfiguren in respektvoller Entfernung verharren, und die schönen Equipagen hin- und herfahren und warten.

Sieh die Pariserin gehen und ihren Kleidersaum emporheben! – Nun betrachte die Engländerin bei der gleichen Thätigkeit! Trotz aller Sportübungen kann sie sich die französische Grazie nicht anzaubern. Ihr Gang ist unschön! – Alles schwärmt von der Schönheit der Engländerin. Es heißt, man muß im Lande gewesen sein, die Hochseason im Hydepark, eine vornehme Gartengesellschaft, ein Ballett gesehen haben, um ihre unvergleichliche Schönheit richtig beurteilen zu können! – Nun, ich habe alle drei Vorbedingungen erfüllt und darf mir jetzt ein Urteil erlauben! Ich thue es auch, denn ich kann nur nach meinem Geschmack urteilen! Interessiert er Dich? Na, Du sollst ihn hören! Also, Marthchen, die Engländerin hat eine schöne, tannenschlanke, biegsame Gestalt, schöne Hautfarbe, aber ein feingeschnittenes Puppengesicht! Puppenköpfe siehst Du zu Hunderten, lieblich, hübsch, regelmäßig – – temperamentlos, vielleicht sogar geistlos! – Reizvoller bleibt mir die Pariserin, die Wienerin und die Ungarin! Und von all den Venussen der verschiedenen Nationen reiche ich die Palme der schönen Russin, wie ich sie in Moskau und Petersburg bei den Rennen und in der Oper sah! – Bums, nun kann man mich lynchen! Ich behalte meine Meinung! – – Mrs. John Bull hat für mich zu wenig Büste, zu wenig Hüften, zu wenig sprechende Augen! Meine Beobachtungen in den hiesigen und schottischen Gemäldegalerien vor den oft herrlichen Porträts bestätigten mir an den gemalten Ladies, daß ich die lebendigen richtig gesehen hatte! –

Ueber eins war ich erstaunt, sogar angeekelt! – Ehe ich es Dir enthülle, muß ich der Gerechtigkeit – Gerechtigkeit widerfahren lassen! Sehr glaubwürdige Personen versichern, ja beschwören, daß diese mir so widerliche Mode erst in den letzten zehn Jahren aufgekommen sei, sich alljährlich gesteigert und jetzt wohl ihren Höhepunkt erreicht habe! – Mag sein! Doch im Grunde geht mich das nichts an! Ich kann nur von den momentanen Thatsachen sprechen, und die sind betrübend! Wir stellen uns unter englischen Toiletten – die glatten Schneiderkleider vor! Unter englischen Hacken – die breiten flachen Absätze! Ja Kuchen! Die giebt es hier nur bei der Gouvernante, sonst, von der ›Überdame‹ bis zum Fabrikmädchen, ist das Bestreben, die Pariserin zu übertreffen! Und zwar nicht die grande dame von Paris! Oh nein, die Boulevardsgeschöpfe mit den gefärbten Haaren, den geschminkten Gesichtern! Wie bei jeder Nachahmung leicht ein Zuviel eintritt, so hier auch in London! Sitz' nur mehrere Tage zu den betreffenden Stunden beobachtend im Hydepark. Solch übertriebener, überladener Luxus, solche Schmink-Emaillier-Haarfärbekunst, wie hier bei den Damen der höchsten Kreise, ist noch nicht dagewesen! Das übertrifft die Stammgäste der Pariser Vergnügungslokale! – Der größte Londoner Friseur und andere ernste Zeugen haben es mir bestätigt, daß ich richtig gesehen hatte! Die Modedame hier trägt ihr Haar in drei Schattierungen, ja sie läßt die Spitzen der Stirnlocken, der Nackenhaare golden färben. Die Wangen, die Augen, die Nase, die Ohren, alles ist bemalt! – Donnerwetter, muß so ein Toilettemachen lange dauern und langweilig sein! – Dieses widerliche Geschminke verstärkt noch den Eindruck des Puppenhaften. Dazu behängen sich diese Frauen derart mit Schmuck, daß Juwelenhändler Wonneschauer überlaufen müssen. Wer keinen echten hat, trägt falschen; aber Schmuck muß sein. Mehrfach um den Hals geschlungen und dann fast bis zum Kniee reichend, siehst Du Ketten! Bei den Reichen aus Edelsteinen, Gold und Brillanten. Bei den Armen sogar aus Glasperlen! – Scheußlich!

Gegen die unglaubliche, ans Wahnsinnige streifende Toilettenpracht will ich nichts sagen, sie bot mir erlesene ästhetische Genüsse bei der Betrachtung! Trotzdem gehört sie nicht ins Freie, besonders jetzt nicht, wo England in solch unwürdigen Krieg verwickelt ist! Aber Geld müssen die Leute hier haben! Vermögen, von deren Höhe wir armen, kleinen Deutschen bisher nur schwindelnd ahnen! – Das muß man sehen, um es zu glauben! – Die herrlichsten Balltoiletten, wahre Märchen aus Spitze, Seide, Chiffon und Flittern, werden achtlos über den Boden geschleift. Unterröcke kommen zum Vorschein, die soviel kosten wie drei meiner besten Kleider. – Promenadenkostüme, wahre Träume großer Schneiderkünstler! Dagegen läßt sich nichts sagen, so etwas ahnen wir eben nicht! Und wie viele dieser hauchfeinen, zarten Gewänder, die sich nicht waschen lassen, muß so eine Dame haben? Uff!! – Häßlich sind ihre Reitkleider mit den langen Schößen, die beim Traben fortwährend auf und ab klappen und flattern! – – – – Weißt Du, der englische Spleen muß doch irgendwo zum Vorschein kommen! Momentan offenbart er sich in den Hunden, welche die Damen in den Equipagen mit sich führen oder an seidenen Bändern spazieren geleiten! Zum Totlachen sind diese Scheußlichkeiten mit den winzigen Beinchen und den riesigen Schnauzen, die fast um den ganzen Kopf gehen! Wenn diese Monstres so über die kostbaren Wagendecken lugen, habe ich immer das Empfinden: Die Besitzerin zeigt das Scheusal, um ihr Frätzchen in das richtige Licht zu setzen! – Einen hübschen Hund liebe ich und möchte ich haben; aber beständig einen Miniaturcerberus ansehen, zeugt von Geschmacksverirrung oder Spleen! –

Mein Herzensmann ist begeistert von den Engländerinnen und ihren Gertengestalten. Über ihre Färberei schweigt er sich aus. Ich liebe wiederum den hiesigen, sehr aristokratischen Männertypus! Die Herren, abgesehen von den Gecken, haben alle so etwas Würdiges, Ernstes! Sie repräsentieren ihren Reichtum und ihre Stellung mit angeborener Grandezza. Besonders die Weißhaarigen mit ihren schön geschnittenen Zügen, den bartlosen Lippen gefallen mir. Sie haben etwas, was zwischen einem guten Hofprediger und einem edlen Schauspieler liegt! – Es wird hier im Hydepark zu Roß, zu Wagen und per pedes entsetzlich kokettiert – – von beiden Geschlechtern! Aber, Marthchen, auch darin liegt brittische Ruhe! Ich könnte mich immer totlachen über diese feierliche Art beim Flirt. Ob diese Insulaner so recht von Herzen knutschen, necken und kosen können, ob sie unser herziges Liebkosen kennen??? Wenn der Willi, sobald wir allein sind, so verliebt herumalbert, dann danke ich immer dem Schicksal, daß wir sentimentale Deutsche und nicht Engländer sind! Ich tausche nicht! Nicht mit dem schönsten, reichsten John Bull. Und Willi, der soeben gelesen hat, was ich schrieb, will seine Range auch nicht für die herrlichste Miß eintauschen! Gott, wie ist die Welt so schön! – – – Ach, Marthachen, Du niedliche Puppe – bleibe im Lande, und küsse Dich redlich! – – – Nämlich – Wenn Dir ein so wonniger Knopp wie mein Willi den Mund hinreicht! Du, ich habe keine Lust mehr zum Schreiben! Verzeih' das jähe Abbrechen mitten im Thema!

Grüße Deinen lieben Gatten und Deine heranblühende Walküre herzlich! Es küßt Dich, mit besten Empfehlungen von Herrn Doktor Feller, dessen »ganze kleine, überselige Frau!«

 

Brief an Frau Geheimrat Bach über Krauses und Polizei!

»Na, Herzens- und Magenswonnchen, Mieze und ehemalige Erzeugerin! Hast uns da was Nettes eingebrockt, Du! Wir leben wie auf einem Vulkan. Immer in Angst, daß sich das »finstere Krause-Geschlecht von Graudenz«, irgendwo auftauchend, an unsere Füße heftet! Nu, schimpf' man nicht, und ärgere Dich nicht über Deines jüngsten Ablegers schlechtes Herz! Ich bin absolut nicht so schlecht, wenn ich auch gestern mit meinem Gatten in wilder Flucht aus einem Theelokal in der Bondstraße stürzte, als ich in einem eintretenden Ehepaar unsere teuren Verwandten witterte! Wenn ich auch London segne, wo es keine polizeilichen Anmeldungen giebt! Wenn ich auch in den Straßen scheu wie ein verfolgter Verbrecher umherlaufe! – Alle, alle würde ich, natürlich bis auf viele Ausnahmen, gern hiersehen; aber gerade diese beiden – – brr! Er so verängstigt, so wortlos; sie so lärmend und auf die Nerven fallend! Beide so wenig sympathisch mit ihrem ewigen Gegneddere! Du mußt auch nicht vergessen, dicke Wonne, daß wir hier in einer unaufhörlichen Strapaze unsere Kräfte gebrauchen und schon anstrengende Touren hinter uns haben! – – Also bis jetzt haben sie uns noch nicht! Sollten uns Onkel und Tante Krause trotzdem ergattern, depeschiere ich Dir, zur Strafe, sofort! Oder ich lege mir eine ansteckende Krankheit bei, damit die ängstliche Tante Stadtrat sich nicht in meine Nähe wagt. Nun »nach Krause von zu Hause eine Pause« und mit mehr Lust an etwas Interessanteres! Weißt Du noch, kleines Dickes, wie sie neulich auf die Berliner Polizei schimpften und auf die barsche, kurze Art unserer Schutzleute? Ich legte mich noch für diese ins Zeug und behauptete, daß ich oft Probe machte und die Beamten stets recht höflich fände, wenn auch nicht so gesprächig und liebenswürdig! Schließlich dachte ich, man könne das in einer Großstadt nicht verlangen, und daß die Pariser so chevaleresk wären, läge in ihrem Nationalcharakter! – Ich streiche die Fahnen ein und strecke die Waffen! Der ganze Kontinent: der liebenswürdige Franzose, der fesche Österreicher, der sinnende Slave, der kurz angebundene Norddeutsche, keiner kann sich mit dem Londoner Policeman vergleichen! Der ist das Ideal, der Gipfelpunkt alles Guten! Schweigsam, zuverlässig, höflich, liebenswürdig. Er ist dem Publikum nicht nur ein Schutz, sondern ein Helfer und Vater! Du solltest ihn nur an all den Straßenkreuzungen sehen, wie er stumm, mit einer einzigen Handbewegung den abnormen Wagenverkehr unterbricht oder weitergehen läßt. Wie er Greisen und Kindern hilft, zu jeder Auskunft bereit ist. Nie ungeduldig, immer freundlich, lauscht er im tollsten Gewühl Deinen Fragen. Er befördert Dich in die richtige Fahrgelegenheit, hält Dir sogar während des Einsteigens Deine Packete. Der Londoner Schutzmann ist nie zu suchen! In seiner netten Uniform ist er überall vorhanden, ob in den vornehmsten oder entlegensten Gegenden! Kein Wunder, da es hier sechzehntausend giebt! Er ist kein Polizeibeamter, keine personificierte Schneidigkeit, sondern ein Idealwesen! –

Dabei hat er, besagter Schutzmann, hier aufzupassen, hu! Der Fremdenzustrom! Die Herumlungerer! Die ungezählten, unter falschem Namen hier lebenden Verbrecher! Die fremden Nationen, die hier untergekrochen sind! Und neben dem fabelhaften Reichtum diese Abscheu erregende Armut, ungewaschen und in Lumpen sich unverhüllt zeigend. Diese Iren, Russen und Polen schlimmster Sorte, brr! Diese vielen Trunkenbolde, welche umherschwanken! Um Dir von dem Konsum einen Begriff zu geben, Geliebtes! Denke nur, sie verbrauchen in London jährlich 500 Millionen Liter Bier – 35 Millionen Liter Wein, 20 Millionen Liter Schnaps! – Der Trunk ist ein Laster, vielleicht vom Klima mit erzeugt! – Die Heuchler suchen es zu bestreiten; aber er ist da als Nationallaster. Hunderte von Vereinen und die Heilsarmee kämpfen dagegen. In den Pensionen, bei den Table d'hôtes siehst Du Wasser, das harmlose Ingwerbier oder Zitronenlimonade trinken. Du bist als Deutscher paff über englische Mäßigkeit; aber nachher auf den Rechnungen finden sich große Posten für Wein oder Bier! Also »pietschen« die Leute insgeheim! – Wenn sich bei den Vornehmen nach Tisch die Geschlechter in Herren- und Damenzimmern trennen, soll fürchterlich gepichelt werden! – – Daß aber der Hochadel trinkt und die Damen ihre sogenannten Hausapotheken mit wohlassortierten Getränke-Lagern versehen haben, halte ich doch für böswillige Übertreibung oder sogar für Erfindung! –

Vorgestern waren wir in Richmond und Hampton Court, gestern in Windsor! Davon mündlich! – Heute waren wir den Tag über in dem großartig eleganten Brighton, dem interessanten Badeort: »London an der See« genannt. Eine große Stadt mit schönen Magazinen und reichen Villenvierteln. Sehr schön ist der Strand mit seinen Piers und seiner ulkigen, elektrischen Schwebebahn. Fortwährend nahten sich Verkäufer mit den herrlichsten Obstsorten, auch Bananen und Ananas zu spottbilligen Preisen! Wir thaten uns bene daran, fuhren spazieren, ritten einen kleinen Strandweg per Esel und amüsirten uns über das farbenprächtige, bewegte Bild an und auf dem Meere. Die Hochsaison ist hier Weihnachten, dann soll der Luxus direkt unglaublich sein! Ich möchte hier nicht leben, Kälte und Seesturm bei den elenden Fenstern und den schlechten Kaminen, den kalten Betten! Brr, das ist nischt für Deine Tochter, Miezchen! Unsere Pensionsgenossen, das junge Ehepaar, sind hier im Winter mit Mänteln ins Bett gekrochen. Am Tage und des Abends hockt alles verpackt um die Kamine, wird von vorn glühend – von hinten kalt angehaucht, denn die Zimmer sind nur um die Feuerstätte warm. Steht der Wind ungünstig, dann bläst er eisig in die Räume oder erfüllt sie auch mit beißendem Rauch! Solche dumm Thorheit! Daß sie nicht unsere gemütlichen, allein richtigen Kachelöfen bauen, denn die neuen Versuche mit Füllöfen sollen nicht sehr glücken! Nein, geliebte kleine Mutter, von unseren behaglichen, molligen Wintergemächern, von unseren gemütlichen Federbetten scheinen die John-Bulls doch noch keine Ahnung zu haben! Wir tauschen nicht, gelt? – Du selbst bist für uns Alle so ein molliger Kachelofen, an dem wir uns wärmen! Und freundlich strahlst Du Deine Wärme über uns aus, Du Goldmutter! Daß Gott Dich uns noch lange Jahrzehnte heizen möge, wünschen mit vielen Andern Deine treuen Kinder Lotte und Willi!«

»Liebste Mama, diesem Wunsche muß ich mich mit persönlicher Zuschrift freudigst beistimmend anschließen! Stets Dein getreuer Schwiegersohn.«


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