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Damis. Lottchen.
Lottchen. Es dauert mich in der Tat, daß ich Sie beide gestöret habe. Ich hätte es nicht tun sollen: Aber ich konnte mich vor Freuden nicht länger halten. Kann wohl ein schönerer Anblick sein, als wenn man zwei Zärtliche sieht, die es vor Liebe nicht wagen wollen, einander die Liebe zu gestehen? Mein lieber Herr Damis, habe ich den Plan Ihres zärtlichen Schicksals nicht gut entworfen gehabt? Hätte ich mich noch einige Augenblicke halten können: so würde Ihre beiderseitige Wehmut gewiß noch bis zu etlichen vertraulichen Liebkosungen gestiegen sein.
Damis. Daran zweifele ich sehr. Ich war in Wahrheit recht traurig, und ich bin's noch.
Lottchen. Ja, ich sehe es. Und es wird Ihnen sehr sauer werden, mit mir allein zu reden. Holen Sie unmaßgeblich Ihre betrübte Freundin wieder zurück. Ich will Sie miteinander aufrichten.
Damis. Ja, das will ich tun.
Lottchen. Simon.
Simon. Ich bitte Sie um Vergebung, Mamsell, daß ich unangemeldet hereintrete. Das Vergnügen macht mich unhöflich. Sind Sie nicht die liebenswürdige Braut meines Herrn Mündels?
Lottchen. Und wenn ich nun seine Braut wäre, was...
Simon. So habe ich die Ehre, Ihnen zu sagen, daß Ihnen Ihre selige Frau Muhme in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht hat. Sie werden die Gewißheit davon noch heute vom Rathause erhalten. Das Testament ist geöffnet, und Ihr Herr Pate, der Herr Hofrat, der bei der Eröffnung zugegen gewesen, hat mir aufgetragen, Ihrem Herrn Vater diese angenehme Zeitung zum voraus zu hinterbringen, ehe er noch die gerichtliche Insinuation erhält.
Lottchen. Ist das möglich? Die Frau Muhme hat ihr Versprechen zehnfach erfüllt. Wie glücklich ist meine Schwester! Sie verdient es in der Tat. Das ist eine sonderbare Schickung. Mein Herr, Sie setzen mich in das empfindlichste Vergnügen. Ich bin nicht die Braut Ihres Herrn Mündels. Aber die Nachricht würde mich kaum so sehr erfreuen, wenn sie mich selbst anginge.
Simon. Kurz, Mamsell, ich weiß nicht, welche von Ihnen meinen Mündel glücklich machen will. Allein genug, die jüngste Tochter des Herrn Cleon ist die Erbin des ganzen Ritterguts und also eines Vermögens von mehr als funfzigtausend Talern.
Lottchen. Das ist meine Schwester. Wie erfreue ich mich!
Simon. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht ebendiese Nachricht bringen kann. Ich wollte es mit tausend Freuden tun. Wo ist Ihr lieber Herr Vater? Wird er nicht eine Freude haben!
Lottchen. Ich habe gleich die Ehre, Sie zu ihm zu führen. Aber ich will Sie erst um etwas bitten. Gönnen Sie mir doch das Vergnügen, daß ich meiner Schwester und Ihrem Herrn Mündel die erste Nachricht von dieser glücklichen Erbschaft bringen darf. Es ist meine größte Wollust, die Regungen des Vergnügens bei andern ausbrechen zu sehen. Und wenn ich viel hätte, ich glaube, ich verschenkte alles, nur um die Welt froh zu sehen. Lassen Sie mir immer das Glück, meiner Schwester das ihrige anzukündigen.
Simon. Von Herzen gern. Eine so edle Liebe habe ich nicht leicht unter zwo Schwestern gefunden. Ich erstaune ganz. Ich wußte wohl, Mamsell, daß Sie die Braut meines Mündels nicht waren; allein, ich wollte mir meinen Antrag durch eine verstellte Ungewißheit leichter machen. Ich glaubte, Sie würden erschrecken und über die Vorteile Ihrer Jungfer Schwester unruhig werden. Aber ich sehe das Gegenteil und fange an zu wünschen, daß Sie selbst die Braut meines lieben Mündels und die glückliche Erbin der Frau Stephan sein möchten.
Lottchen. Wenn man Ihren Beifall dadurch gewinnen kann, daß man frei vom Neide und zur Menschenliebe geneigt ist: so hoffe ich mir Ihr Wohlwollen zeitlebens zu erhalten. Also wollen Sie Julchen und dem Herrn Damis nichts von der Erbschaft sagen, sondern es mir überlassen? Sie sind sehr gütig.
Simon. Ich will sogar dem Herrn Vater nichts davon sagen, wenn Sie es ihm selber hinterbringen wollen. Hier kömmt er.
Die Vorigen. Herr Cleon. Herr Siegmund.
Cleon. Mein wertester Herr, ich habe Sie mit dem Herrn Siegmund schon im Garten gesucht. Ich sahe Sie in das Haus hereintreten, und ich glaubte, Sie würden den Kaffee im Garten trinken wollen. Ich erfreue mich über die Ehre Ihrer Gegenwart. Ich erfreue mich recht von Herzen.
Simon. Und ich erfreue mich, Sie wohl zu sehen und heute einen Zeugen von Ihrem Vergnügen abzugeben.
Lottchen. Ach, lieber Papa! Ach, lieber Herr Siegmund! Soll ich's sagen? Herr Simon!
Simon. Wenn Sie es erzählen, wird mir's so neu klingen, als ob ich's selbst noch nicht wüßte.
Cleon. Nun, was ist es denn? meine Tochter! Wem willst du es erst sagen, mir oder meinem lieben Nachbar? Welcher ist dir lieber, du loses Kind?
Lottchen. Wenn ich die Liebe der Ehrfurcht frage: so sind Sie's. Und wenn ich die Liebe der Freundschaft höre: so ist es Ihr lieber Nachbar. Ich will's Ihnen beiden zugleich sagen, was mir Herr Simon itzt erzählt hat. Die selige Frau Muhme hat Julchen in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht. Das Testament ist geöffnet, und mein Herr Pate, der Herr Hofrat, läßt Ihnen durch den Herrn Simon diese Nachricht bringen.
Cleon. Dafür sei Gott gedankt. Das Gut ist doch Weiberlehn? Ja! Ich erschrecke ganz vor Freuden. Das hätte ich nimmermehr gedacht. O sie war dem Mädchen sehr gut! Gott vergelte es ihr in der frohen Ewigkeit. Das ganze Rittergut?
Siegmund. Das ist vortrefflich. Die rechtschaffene Frau!
Simon (zu Cleon). Ich habe mir in Ihrem Namen die Abschrift von dem Testamente schon ausgebeten, und ich hoffe sie gegen Abend zu erhalten. Sie werden auch bald eine gerichtliche Verordnung bekommen.
Cleon. Das ist ja ganz was Außerordentliches. Ich will's die Armen gewiß genießen lassen. Aber du, meine liebe Tochter, du kömmst dabei zu kurz.
Lottchen. Ich? Papa. Nein. Wenn ich das Glück tragen könnte: so würde mir der Himmel gewiß auch welches geben. Ich habe schon Glück genug. Nicht wahr? Herr Siegmund! Was meinen Sie?
Siegmund. Daß Sie es ebenso würdig sind als Ihre Jungfer Schwester.
Cleon. Herr Simon, Sie haben mir ja in Ihrem Billette gemeldet, daß auch Sie eine erfreuliche Nachricht erhalten hätten. Kommen Sie doch mit mir in den Garten und vertrauen Sie mir's. Diese beiden feindseligen Gemüter werden sich schon hier allein vertragen oder uns nachkommen.
Lottchen. Siegmund.
Lottchen. Wenn ich Ihre Größe nicht kennte: so würde ich gezittert haben, Ihnen die Nachricht von dem großen Glücke meiner Schwester zu hinterbringen. Aber ich weiß, Sie schätzen mich deswegen nicht einen Augenblick geringer. Unser Schicksal steht in den Händen der Vorsicht. Diese teilen allemal weise aus, und sie werden sich auch noch zu unserm Vorteile öffnen, wenngleich nicht in dem Augenblicke, da wir es wünschen.
Siegmund. Mein liebes Lottchen, es wird mir sehr leicht, über Ihrem Herzen das Glück zu vergessen. Wir wollen hoffen. Vergeben Sie mir nur, daß ich noch immer den Zerstreuten vorstelle. Ich habe lange mit Ihrem Papa gesprochen, und ich weiß in Wahrheit nicht was.
Lottchen. Wenn Sie mich so lieben, wie ich Sie: so wundert mich's nicht, daß Ihnen ein Tag, wie der heutige ist, wo solche Anstalten gemacht werden, einige Wünsche und Unruhen abnötiget. Trauen Sie doch der Vorsehung. Es ist eben heute ein Jahr, da Sie durch den unglücklichen Prozeß Ihres seligen Herrn Vaters Ihr Vermögen verloren. Vielleicht beunruhiget Sie dieser Gedanke; aber vielleicht haben Sie auch alles heute über ein Jahr wieder. Haben Sie mit Julchen gesprochen und dem Herrn Damis zum besten sich etwas zärtlich gestellt?
Siegmund. Nein, weil ich so zerstreut bin, so...
Lottchen. Gut. Sie werden diese kleine Mühe fast ersparen können. Ihr Herz scheint keinen großen Antrieb mehr nötig zu haben. Aber sagen Sie ihr noch nichts von der Erbschaft. Ich will sie holen und es ihr in Ihrer Gegenwart entdecken und ihrem Geliebten zugleich.
Siegmund allein.
Welche entsetzliche Nachricht!... Julchen!... Ein ganzes Rittergut! Julchen... die so viel Reizungen, so viel Schönheit und Anmut besitzt!... Kennte ich Lottchens Wert nicht: so würde Julchen.... Aber ist Julchen nicht auch tugendhaft... großmütig... klug... unschuldig...? Ist sie nicht die Sittsamkeit selbst? Ist Lottchen so schamhaft? oder... Himmel, wo bin ich? Verdammte Liebe, wie quälst du mich! Muß man auch wider seinen Willen untreu werden?... Warum konnte jene nicht die reiche Erbschaft bekommen? Sahe die Muhme auch, daß die jüngste mehr Verdienste hatte?... Ich Elender! Ich bin ohne meine Schuld um das größte Vermögen gekommen... Aber habe ich weniger Vorzüge als Damis? Julchen widersteht ja seiner Liebe... Ist es ein Verbrechen?... Was kann ich dafür, daß sie mich rührt? Sind meine Wünsche verdammlich, wenn sie mit Julchens Wünschen vielleicht gar übereinstimmen? O Himmel! Sie kömmt allein.
Siegmund. Julchen.
Julchen. Meine Schwester hat gesagt, ich soll sie hier in Ihrer Gesellschaft erwarten. Sie sucht den Herrn Damis und will alsdann hieherkommen und uns etwas Angenehmes erzählen.
Siegmund. Wird Ihnen unterdessen die Zeit in meiner Gesellschaft nicht verdrießlich werden?
Julchen. Mir? Bei Ihnen? Gewiß nicht. Sie sind heute am freundschaftlichsten mit mir umgegangen. Und es wird Ihnen auch wohl kein Geheimnis sein, daß ich ihnen gut bin, wenngleich nicht so wie meine Schwester.
Siegmund (er küßt ihr die Hand). Sie sagen mir vieles Schönes, angenehme Braut.
Julchen. Bin ich denn eine Braut? Das hat mir noch kein Mensch gesagt. Nein, mein Herr, heißen Sie mich nicht so. Es kann sein, daß ich dem Herrn Damis gewogen bin; aber muß ich darum seine Braut sein? Nein, er ist so gütig und sagt mir fast gar nichts mehr von der Liebe.
Siegmund. Aber, wenn ich Ihnen etwas von der Liebe sagte, würden Sie auch zürnen? Sie wissen es wohl nicht, wie hoch ich Sie... doch...
Julchen. Bei Ihnen bin ich sehr sicher. Solange ein Lottchen in der Welt ist, werden Ihre Liebeserklärungen nicht viel zu bedeuten haben. Sie wollen mich vielleicht ausforschen; aber Sie werden nichts erfahren.
Siegmund. Meine Schöne, ich wollte wünschen, daß ich aus Verstellung redte; aber ach nein! Denken Sie denn, daß man...
Julchen. Und was?
Siegmund. Daß man Sie sehn und doch unempfindlich bleiben kann?
Julchen. Sie spielen die Rolle des Herrn Damis, wie ich sehe.
Siegmund. So werde ich sehr unglücklich sein, weil Sie mit seiner Rolle nicht zufrieden sind.
Julchen. Was verlieren denn Sie und meine Schwester, wenn ich seine Wünsche nicht erfülle?
Siegmund. Vielleicht gewönne ich. Vielleicht würden Sie die Absichten des aufrichtigsten Herzens sehn. Ich verehre Sie; doch... wie kann ich Ihnen das sagen, was ich empfinde!
Julchen. Sie können eine fremde Person vortrefflich annehmen. Aber auch die Liebe im Scherze beunruhigt mich. Ich weiß nicht, wo meine Schwester bleibt. Ich möchte doch wissen, was sie mir zu sagen hätte; sie küßte mich vor Freuden. Es muß etwas Wichtiges sein. Ich muß sie nur suchen.. Verziehn Sie einen Augenblick.
Siegmund allein.
Ich Abscheu! Was habe ich getan? Ich werde der redlichsten Seele untreu, die mich mit Entzückung liebt? Ich...? Aber wie schön, wie reizend ist Julchen! Sie liebt ihn noch nicht... Und mir, mir ist sie gewogen? Aber die Vernunft...? Sie soll schweigen... Mein Herz mag die Sache ausführen.... Mißlingt mir meine Absicht: so bleibt mir Lottchen noch gewiß. ... Hat sie mir nicht selbst befohlen, mich verliebt in Julchen zu stellen? Werde ich ihr darum untreu? Wie? Sie kömmt noch einmal? Sucht sie mich mit Fleiß?
Siegmund. Julchen. Der Magister.
Julchen (zu Siegmund). Lottchen will mir nichts eher sagen, bis Herr Damis wiederkömmt. Er ist eine halbe Stunde nach Hause gegangen, und Sie sollen so gütig sein und zu dem Papa kommen. Er wartet mit dem Kaffee auf Sie.
Siegmund. Nach Ihrem Befehle. Aber darf ich hoffen?
Julchen. Weil Sie in der Sprache der Liebhaber reden: so muß ich Ihnen in der Sprache der Schönen antworten: Sie müssen mit meinem Papa davon sprechen.
Der Magister. Ja, Herr Siegmund, mein Bruder wartet auf Sie, und ich möchte gern ein Wort mit Jungfer Julchen allein sprechen.
Julchen. Der Magister.
Julchen. Herr Magister, wollen Sie mir etwa sagen, was mir Lottchen Neues erzählen will?
Der Magister. Nein, ich habe sie gar nicht gesehn. Ich komme aus meiner Studierstube und habe zum Zeitvertreibe in einem deutschen Fabelbuche gelesen. Wenn Sie mir zuhören wollten: so wollte ich Ihnen eine Fabel daraus vorlesen, die mir ganz artig geschienen hat. Ich weiß, Sie hören gerne witzige Sachen.
Julchen. Ja, aber nur heute nicht, weil ich gar zu unruhig bin. Sie lesen mir ja sonst keine Fabeln vor. Wie kommen Sie denn heute auf diesen Einfall? Ja, ich weiß wohl eher, daß Sie mir eine ziemliche finstere Miene gemalt haben, wenn Sie mich in des Fontaine oder Hagedorns Fabeln haben lesen sehen.
Der Magister. Sie haben recht. Ich halte mehr auf gründliche Schriften. Und das Solide ist für die Welt allemal besser als das Witzige. Aber wie man den Verstand nicht immer anstrengen kann: so ist es auch erlaubt, zuweilen etwas Seichtes zu lesen. Wollen Sie die Fabel hören? Sie heißt Die Sonne.
Julchen. O ich habe schon viele Fabeln von der Sonne gelesen! Ich will es Ihnen auf Ihr Wort glauben, daß sie artig ist. Lesen Sie mir sie nur nicht vor.
Der Magister. Jungfer Muhme, ich weiß nicht, was Sie heute für eine verdrießliche Gemütsart haben. Ihnen zu gefallen, verderbe ich mir etliche kostbare Stunden. Ich arbeite für Ihr Glück, für Ihre Beruhigung. Und Sie sind so unerkenntlich und beleidigen mich alle Augenblicke dafür? Bin ich Ihnen denn so geringe? Verdienen meine Absichten nicht wenigstens Ihre Aufmerksamkeit? Sind denn Ihre Pflichten gegen mich durch die Blutsverwandtschaft nicht deutlich genug bestimmt? Warum widersprechen Sie mir denn? Kann ich etwas dafür, daß Sie nach der Vernunft verbunden sind, zu heiraten? Habe ich den Gehorsam, den Sie Ihrem Herrn Vater und mir schuldig sind, etwa erdacht? Ist er nicht in dem ewigen Gesetze der Vernunft enthalten?
Julchen. Sie schmälen auf mich, Herr Magister; aber Sie schmälen doch gelehrt, und deswegen will ich mich zufriedengeben. Darf ich bitten: so lesen Sie mir die Fabel vor, damit ich wieder zu meiner Schwester gehn kann. Sie wissen nicht, wie hoch ich Sie schätze.
Der Magister. Warum sollte ich's nicht wissen? Wenn Sie gleich nicht den schärfsten Verstand haben, so haben Sie doch ein gutes Herz. Und ich wollte wetten, wenn Sie statt der Bremischen Beiträge und anderer solchen leichten Schriften eine systematische Moralphilosophie läsen, daß Sie bald anders sollten denken lernen. Wenn Sie die Triebe des Willens und ihre Natur philosophisch kennen sollten: so würden Sie sehen, daß der Trieb der Liebe ein Grundtrieb wäre, und also...
Julchen. Sie reden mir so viel von der Liebe vor. Haben Sie denn in Ihrer Jugend auch geliebt? Kennen Sie denn die Liebe recht genau? Was ist sie denn? Ein Rätsel, das niemand auflösen kann.
Der Magister. Als der Verstand genug hat, in die Natur der Dinge zu dringen. Die Liebe ist eine Übereinstimmung zweener Willen zu gleichen Zwecken. Mich deucht, dies ist sehr adäquat. Oder soll ich Ihnen eine andere Beschreibung geben?
Julchen. Nein, ich habe mit dieser genug zu tun. Sagen Sie mir lieber die Fabel. Ich muß zu meiner Schwester.
Der Magister. Ja, ja, die Fabel ist freilich nicht so schwer zu verstehen als eine Kausaldefinition. Sie ist kurz, und sie scheint mir mehr eine Allegorie als eine Fabel zu sein. Sie klingt also: Die Sonne verliebte sich, wie man erzählt, einsmals in den Mond. Sie entdeckte ihm ihre Wünsche auf das zärtlichste; allein der Mond blieb seiner Natur nach kalt und unempfindlich. Er verlachte alle die Gründe, womit ihn einige benachbarte Planeten zur Zärtlichkeit gegen die Sonne bewegen wollten. Ein heimlicher Stolz hieß ihn spröde tun, ob ihm die Liebe der Sonne gleich angenehm war. Er trotzte auf sein schönes und reines Gesicht, bis es eine Gottheit auf das Bitten der Sonne mit Flecken verunstaltete. Und dies sind die Flecken, die wir noch heutzutage in dem Gesichte des Monden finden. Dies ist die Fabel. Was empfinden Sie dabei?
Julchen. Ich empfinde, daß sie mir nicht gefällt und daß der Verfasser ihrer noch viel machen wird. Ich will doch nicht hoffen, daß Sie diese Erzählung im Ernste für artig halten.
Der Magister. Freilich kann der Verstand bei witzigen Sachen seine Stärke nicht sehen lassen. Aber wie? wenn ich die Fabel selbst gemacht hätte?
Julchen. So würde ich glauben müssen, daß die Schuld an mir läge, warum sie mir nicht schön vorkömmt.
Der Magister. Sie wissen sich gut herauszuwickeln. Ich will es Ihnen gestehen. Es ist meine Arbeit. Ich will mich eben nicht groß damit machen, denn Witz kann auch ein Ungelehrter haben. Aber wollten Sie diese Fabel wohl auflösen? Was soll die Moral sein?
Julchen. Das werden Sie mir am besten sagen können.
Der Magister. Die Moral soll etwan diese sein: Ein schönes Frauenzimmer, die gegen den Liebhaber gar zu lange spröde tut, steht in der Gefahr, daß das Alter ihr schönes Gesicht endlich verwüstet.
Julchen. Sie sind heute recht sinnreich, Herr Magister. Ich merke, die Fabel geht auf mich. Ich bin der Mond. Herr Damis wird die Sonne sein, und die Planeten werden auf Sie und meine Schwester zielen. Habe ich nicht alles erraten?
Der Magister. Ich sehe wohl, wenn man Ihnen seine Gedanken unter Bildern vorträgt: so machen sie einen großen Eindruck bei Ihnen. Jungfer Muhme, denken Sie unmaßgeblich an die Fabel und widerstehen Sie der Liebe des Herrn Damis nicht länger. Was soll ich Ihrem Papa für eine Antwort bringen?
Julchen. Sagen Sie ihm nur, daß ich über Ihre Fabel hätte lachen müssen: so verdrießlich ich auch gewesen wäre. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.