Christian Fürchtegott Gellert
Geistliche Oden und Lieder
Christian Fürchtegott Gellert

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Die Liebe des Nächsten.Melodie: »Mach's mit mir, Gott, nach deiner Güt' &c.«

            So jemand spricht: »Ich liebe Gott!«
Und haßt doch seine Brüder,
Der treibt mit Gottes Wahrheit Spott,
Und reißt sie ganz darnieder.
Gott ist die Lieb' und will, daß ich
Den Nächsten liebe, gleich als mich.

    Wer dieser Erden Güter hat,
Und sieht die Brüder leiden,
Und macht den Hungrigen nicht satt,
Läßt Nackende nicht kleiden;
Der ist ein Feind der ersten Pflicht,
Und hat die Liebe Gottes nicht.

    Wer seines Nächsten Ehre schmäht,
Und gern sie schmähen höret,
Sich freut, wenn sich sein Feind vergeht,
Und nichts zum Besten kehret,
Nicht dem Verleumder widerspricht,
Der liebt auch seinen Bruder nicht.

    Wer zwar mit Rat, mit Trost und Schutz
Den Nächsten unterstützet,
Doch nur aus Stolz, aus Eigennutz,
Aus Weichlichkeit ihm nützet,
Nicht aus Gehorsam, nicht aus Pflicht,
Der liebt auch seinen Nächsten nicht.

    Wer harret, bis, ihn anzuflehn,
Ein Dürft'ger erst erscheinet,
Nicht eilt, dem Frommen beizustehn,
Der im Verborgnen weinet,
Nicht gütig forscht, ob's ihm gebricht,
Der liebt auch seinen Nächsten nicht.

    Wer andre, wenn er sie beschirmt,
Mit Härt' und Vorwurf quälet,
Und ohne Nachsicht straft und stürmt,
Sobald sein Nächster fehlet,
Wie bleibt bei seinem Ungestüm
Die Liebe Gottes wohl in ihm?

Wer für der Armen Heil und Zucht
Mit Rat und That nicht wachet,
Dem Übel nicht zu wehren sucht,
Das oft sie dürftig machet,
Nur sorglos ihnen Gaben gibt,
Der hat sie wenig noch geliebt.

    Wahr ist es, du vermagst es nicht,
Stets durch die That zu lieben.
Doch bist du nur geneigt, die Pflicht
Getreulich auszuüben,
Und wünschest dir die Kraft dazu,
Und sorgst dafür: so liebest du.

    Ermattet dieser Trieb in dir,
So such' ihn zu beleben.
Sprich oft: »Gott ist die Lieb', und mir
Hat er sein Bild gegeben.«
Denk' oft: »Gott, was ich bin, ist dein,
Sollt' ich, gleich dir, nicht gütig sein?«

    Wir haben einen Gott und Herrn,
Sind eines Leibes Glieder;
Drum diene deinem Nächsten gern,
Denn wir sind alle Brüder.
Gott schuf die Welt nicht bloß für mich;
Mein Nächster ist sein Kind, wie ich.

    Ein Heil ist unser aller Gut.
Ich sollte Brüder hassen,
Die Gott durch seines Sohnes Blut
So hoch erkaufen lassen?
Daß Gott mich schuf und mich versühnt,
Hab' ich dies mehr, als sie, verdient?

    Du schenkst mir täglich so viel Schuld,
Du Herr von meinen Tagen!
Ich aber sollte nicht Geduld
Mit meinen Brüdern tragen?
Dem nicht verzeihn, dem du vergibst,
Und den nicht lieben, den du liebst?

    Was ich den Frommen hier gethan,
Dem Kleinsten auch von diesen,
Das sieht er, mein Erlöser, an,
Als hätt' ich's ihm erwiesen.
Und ich, ich sollt' ein Mensch noch sein,
Und Gott in Brüdern nicht erfreun?

    Ein unbarmherziges Gericht
Wird über den ergehen,
Der nicht barmherzig ist, der nicht
Die rettet, die ihn flehen.
Drum gib mir, Gott! durch deinen Geist
Ein Herz, das dich durch Liebe preist.

 


 


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