Gustaf af Geijerstam
Das ewige Rätsel
Gustaf af Geijerstam

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Fünfzehntes Kapitel

Nach einer Pause fuhr Maud fort:

»Jetzt weißt du, was aus mir wird. Jetzt weißt du, daß ich dich wenigstens nicht verlasse, um die Karriere eines Mannes zu teilen. Glaube mir, Karsten, Frauen wie ich sollten überhaupt nicht heiraten. Sie bringen Unglück ins Haus. Weißt du noch, wie du mich einmal in zorniger Stimmung eine Waldfrau genannt hast? Es lag mehr Wahrheit in deinen Worten, als du selbst ahntest.

Jetzt wollen wir das vergessen. Alles das ist ja so gleichgültig. Alles andere, als das, was ich dir jetzt sagen will, hat platterdings keinen Wert. Was war und ist, läßt sich ja doch durch nichts auslöschen.

Etwas will ich dir aber doch aus meiner Jugend erzählen. Es kann dir bedeutungslos vorkommen. Aber für mich bedeutet es viel. Und es hat wohl dazu beigetragen, daß ich fremd für dich blieb. Denn daß du für mich ein Fremder warst, Karsten, das weißt du. Das kannst du nicht vergessen haben. Was ich sagen wollte, ist: als ich aufwuchs, war ich nicht nur wenig mitteilsam über mich selbst. Sondern ich glaubte geradezu, so müßte ich sein. Ich fand nicht, daß alle Menschen so sein müßten. Aber ich fand, ich mußte so sein. Ich nannte das sogar in meinen Gedanken mit dem großen Wort: mein Schicksal. Alles, was ich träumte und wonach ich mich sehnte, alles, was mein innerstes Ich war, wollte ich verstecken. Es nie einem Menschen offenbaren. Es war, als glaubte ich, alles, was ich weggäbe, mache mich selbst geringer oder schlechter.

Du mußt nicht glauben, Karsten, daß ich mich mit dem, was ich da sage, besser machen will als ich bin. Oder daß ich etwas bemänteln will damit. Warte nur! Warte nur! Es kann sein, daß du noch Dinge zu hören bekommst, über denen du alles vergißt, was ich jetzt sage, und glaubst, du träumest einen bösen Traum. Weißt du noch, Karsten, – wie Harry klein war, sagte er einmal ganz plötzlich – niemand wußte, woher er es hatte – wir waren beide gleich verwundert: ›Harry denkt,‹ sagte er, ›daß das ganze Land da nur ein Traum ist.‹ Wir waren damals draußen in den Schären, und Harry war kaum über vier Jahre alt. Woher hat ein Kind so etwas? Niemand kann das erklären. Niemand weiß es. Wir selbst können uns selten deutlicher erklären, wenn wir vom Leben sprechen.«

Maud beugte sich über den Tisch und stützte nachdenklich den Kopf in die Hände. Ein seltsames Lächeln erschien auf ihren Lippen.

»Ich glaube, ich muß von Anfang an einen Schrecken gehabt haben vor allem, was Zusammenleben zwischen Mann und Weib heißt,« sagte sie plötzlich. »Lang eh ich wußte, was ein solches Zusammenleben eigentlich in sich schließt.«

Dann fuhr sie in verändertem Ton fort:

»Du ahnst nicht, was es heißen will, sich nie einem Menschen anvertraut haben. Du hast es darin immer so leicht gehabt. Du lebtest ja wohl auf eine Art allein. Aber dann und wann trafst du doch einen Menschen, dem du dich anvertrauen konntest. Und wenn das geschah, so tatest du es ohne Einschränkung. Mehr als du selbst glaubst, hast du das genossen, was ich immer entbehrt habe. Als ich zu dir kam, da kam ich, bereit, dir alles zu schenken, was ich seither aufgespart hatte. Denn so empfand ich es, Karsten. Ich wartete und wartete nur darauf, dir alles zu geben. Aber ich konnte nicht.«

Zweifelnd blickte ich Maud an und erwiderte:

»Sind das nicht alles nur leere Worte?«

Sie schüttelte energisch den Kopf.

»Ich weiß recht wohl, daß sie dir so vorkommen werden,« antwortete sie. »Ich bitte dich auch nur, meine Worte anzuhören und sie zu behalten, so gut du kannst. Erinnerst du dich noch an unsere erste Zeit? Erinnerst du dich noch, wie oft dir ein Wort entschlüpfte, das verriet, wie du dich nach ihr zurücksehntest? Das habe ich nie getan.«

Mein Unwille, den ich während dieser ganzen Unterredung beinahe vergessen hatte, kehrte bei diesen Worten zurück. Heftiger als ich eigentlich wollte, fuhr ich los:

»Sprich nicht schlecht von jener Zeit. Es war unsere beste, unsere einzige. Sie umschließt alles, an was wir zurückdenken können, wenn wir einmal . . .«

Ich hielt inne. Denn ich wollte Maud den Triumph nicht gönnen, daß ich mich um ihretwillen hinreißen ließ.

»Ich glaube kein Wort von dem, was du da sagst,« fuhr ich statt dessen fort. »Alles, womit du jetzt kommst, ist erlogen, zurechtgemacht, eine offene Verdrehung des Geschehenen.«

Maud verriet mit keiner Miene, wie meine Worte sie verletzt haben mußten. Im selben kühlen Ton, in dem ich begonnen hatte, redete ich weiter:

»Hab ich dir nicht alles gegeben, was ich hatte? Wünschte ich überhaupt mehr, als nur geben zu dürfen? Vertraute ich dir nicht alles an, was ich fast jedem andern verschwieg? Du sprichst von Freunden. Aber ich weiß, daß ich über mein Innerstes ebenso verschwiegen war wie du, ebenso verschwiegen, als hätt' ich gar keine Freunde gehabt.«

Mauds Augen verdunkelten sich, als blicke sie in sich hinein, während sie mir antwortete:

»Du meinst, du hast ihnen dein Schlimmstes nicht anvertraut?«

»Jetzt peinigst du mich mehr, als du glaubst!« rief ich. Meine Selbstbeherrschung verließ mich mit einem Mal, und ich fuhr fort:

»Du kannst es nicht vergessen haben. Du kannst nicht vergessen haben, wie du mir geholfen hast und wie dankbar ich dir war. Sag um Gottes willen wenigstens das eine – daß du es nicht vergessen hast! Die Schwermut, die auf meiner Jugend gelastet hatte, all das, was jetzt zurückzukommen droht! Wie hab' ich dich nicht an allem teilnehmen lassen! Und wie hast du mir geholfen! War auch das ein Traum?«

»Bist du nicht über all das weggekommen?«

»Doch, doch! Aber ich hatte nie darüber sprechen können – eh ich dich traf. Tagtäglich gehen und warten, daß der Keim, den ich in mir trug, wachsen, zu einem Baum werden sollte, der mich auseinandersprengen, mich auf den Schutthaufen der verlorenen Existenzen dieser Welt schleudern würde! Der Wahnsinn, der, wie ich glaubte, in mir lauerte . . . Alles das hab' ich dir anvertraut.«

»Karsten,« sagte sie ruhig. »Das ist ja jetzt vorüber. Das war schon vorüber, als du mich trafst.«

Außer mir vor Erbittertheit antwortete ich:

»Ich bereue den Tag, an dem ich es dir anvertraute! Ich bereue den Tag, an dem ich dir meine Liebe bot! Ich bereue alles, was je zwischen dir und mir war!«

Zum ersten Mal brauste jetzt auch Maud auf:

»Hab' ich es nicht alles auf mich genommen?« sagte sie. »Hab' ich dir nicht geholfen, es zu tragen?«

»Ich glaubte es wenigstens,« lautete meine Antwort. »Darum fühlte ich mich auch wie erlöst von allem Übel in jener Zeit, die du jetzt mit so kühlen Augen betrachtest. Ich kehrte wieder ins Leben zurück. Weißt du, was das heißt, wieder ins Leben zurückkehren? Nie hatte ich mich darin heimisch gefühlt. Immer war ich wie ein Einsiedler herumgelaufen in diesem Leben, das für andere so voll Glück ist. Ich weiß noch unsere ersten Abende . . . Ich habe ja Zeit genug gehabt, in der Erinnerung zu ihnen zurückzukehren.«

Frostschauer schüttelten mich; ich stand auf und ging ins Wohnzimmer, in dem es dunkel war. Auf und ab ging ich, auf und ab. Und plötzlich hörte ich, wie die Uhr Zwei schlug.

Da kehrte mir die Besinnung zurück und ich trat wieder in Mauds Zimmer.

»Hast du mir noch mehr zu sagen?« fragte ich gleichgültig.

»Alles, was ich hauptsächlich sagen wollte, ist noch ungesagt,« antwortete Maud.

 


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