Gustaf af Geijerstam
Das ewige Rätsel
Gustaf af Geijerstam

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Sechstes Kapitel

Wie war es möglich, daß dieser Auftritt vorübergehen konnte, ohne gleich darauf eine Katastrophe herbeizuführen? Wie ist es überhaupt möglich, daß das, was zwischen Mann und Weib geschieht oder gesprochen wird, vergessen werden, in Vergessenheit sinken kann, als wären die Worte im Traum gesprochen und die Wirklichkeit, die sie deuteten, ein Schatten?

Liegt hierin vielleicht die Erklärung dafür, warum Mann und Weib so fest aneinander gebunden sein können, daß der Außenstehende gar nicht begreift, was sie überhaupt zusammenhält? Genug, genug. Habe ich nicht genug hierüber gegrübelt?

Die Maud, die ich dereinst geliebt hatte, war ja jetzt tot. Jetzt sah ich bloß noch die, die in meinen Zimmern umherging und eine Fremde war. Jetzt dachte ich nur noch an die Worte, mit denen sie Harry zum Schweigen geschreckt hatte: »Geh zu deinem Vater,« hatte sie gesagt, »sag' ihm alles, was du weißt und was du willst. Ich halt' es nicht länger aus. All das muß ein Ende haben.« Es mußte ja doch ein Sinn sein in diesen Worten. So etwas vergißt man ja doch nicht. Sonst vergißt man ja vieles. Der Alltag verwischt, das ist wahr. Und zwischen uns verwischte er, wie es schien, das, was die Eruption zwischen uns ans Licht gebracht hatte. Ungefähr so, wie ich mir vorstelle, daß es nach einem vulkanischen Ausbruch aussehen muß, so sehe ich jetzt, nun ich darüber nachdenke, alles zwischen Maud und mir. Die Lava bedeckt die Erde. Sie ist glühend heiß. Im Anfang muß man sich hüten, darauf zu treten. So nach und nach aber erstarrt sie, wird fest, trägt . . . Sie hält es trefflich aus, daß man darauf herumtrampelt; sie brennt auch nicht mehr. Man braucht nicht mehr auf die Seite zu gehen, um ihr auszuweichen. Fest und trocken deckt sie die Erde; und nachdem sie erst einmal richtig erstarrt ist, denkt keiner mehr an das Wachstum, das sie erstickt hat.

So war es und so blieb es. Darum dachte ich jetzt weniger an Maud als bisher. Statt dessen fing ich an, an Harry zu denken. Durch einen reinen Zufall hatte ich in unserem Gespräch seinen Namen genannt. Es war wirklich wahr, was ich zu Maud sagte: ich hatte es nur getan, um über irgend etwas zu reden, weil das Schweigen zwischen uns mich bedrückte. Und diese kleine Zufälligkeit führte meine Gedanken plötzlich auf Harry. Ich hatte ihn bisher fast vergessen. Was konnte es wohl sein, was er wußte, und was die Mutter ihn zu sagen aufforderte? Nur zu gut begriff ich, daß die beruhigenden Worte, die sie später geredet hatte, Verstellung gewesen waren, daß gerade in ihrem ersten Ausbruch die Wahrheit lag, die mir verheimlicht werden sollte. Viele Tage waren inzwischen vergangen, und wieder saßen wir nach dem Essen beieinander. Harry ging aus. Maud und ich blieben allein. Jetzt gingen wir einander nicht mehr aus dem Weg. Zwischen ihr und mir war ja alles gesagt. Aber beim Mittagessen hatte sich eine kleine Szene ereignet, eine jener unbedeutenden Szenen, wie sie zwischen Eltern und Kindern vorfallen, und bei denen die Nuance alles ist. Maud hatte dem Jungen einen Verweis erteilt. Sie hatte vollkommen recht gehabt. Er hatte sich eine Unachtsamkeit zuschulden kommen lassen, und es gehört ja zur Erziehung, auch Kleinigkeiten zu rügen. Aber der Ton, in dem sie zu Harry gesprochen hatte, hatte mich frappiert. Die ganze Sache war so unbedeutend, daß ich mich jetzt nicht einmal mehr entsinnen kann, was es eigentlich war. Nur die Miene, mit der Harry seine Mutter betrachtete, sehe ich noch heute vor mir. Trauer lag in seinem Blick, Erstaunen und noch etwas, was ich nicht zu deuten vermochte. Es war, als dächte er: Was habe ich ihr getan? Warum redet sie so hart zu mir? Im übrigen nahm er ihre Zurechtweisung auf, ohne mit der Wimper zu zucken, und bekämpfte tapfer die Tränen. Aber als wir von Tisch aufstanden, ging er schnell in sein Zimmer. Eben dies kleine Geschehnis war der Anlaß, daß Maud und ich jetzt allein waren.

Während des Schweigens, das herrschte, nachdem Harry gegangen war, merkte ich, daß Maud meinem Blick auswich. Zuletzt fragte ich sie geradeswegs:

»Was hast du gegen den Jungen?«

»Nichts. Hast du schon wieder etwas auszusetzen?«

»Ich suche keinen Streit,« antwortete ich. »Aber siehst du nicht selbst, daß der Junge sich vor dir ängstigt? Er ist ja vollständig verändert in seiner Art gegen dich, ja, gegen uns beide.«

Maud stand auf. Mit gesenktem Kopf ging sie langsam im Zimmer auf und ab. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen.

»Du bist entsetzlich, Karsten,« sagte sie endlich. »Du siehst eine Kleinigkeit, und sofort bist du bereit, eine ganze Psychologie auf dieser Bagatelle aufzubauen. Du siehst nicht das, was ist, sondern das, was du sehen willst. Weißt du, ich glaube manchmal, während meiner ganzen Ehe habe ich gekämpft, nicht gegen dich, sondern gegen deine Einbildung.«

Ich fand keine Antwort. Es lag ja eine Wahrheit in ihrer Anklage. Ich bin so, wie sie mich schilderte. Ich weiß ganz genau, daß darin meine Schwäche liegt, und ich habe auch gegen meine Einbildung angekämpft, länger und hartnäckiger, als jemals sie. Denn der Kampf hat mein ganzes Leben lang gedauert. Ich weiß es ganz genau. Aber zugleich fühlte ich auch, daß dieser Vorwurf hier nicht herpaßte. Er machte mich nur für den Augenblick stumm, brach gleichsam jedem Argument, das ich etwa anführen konnte, im voraus die Spitze ab. Aber trotzdem vergaß ich darüber nicht, was ich gesehen und beobachtet hatte.

Immerhin vermied ich es, das Thema wieder aufzunehmen, sondern antwortete statt dessen:

»Ist unsere ganze Ehe ein Kampf gewesen?«

Ich betonte das Wort ›ganze‹. Und meine Frau überlegte einen Augenblick, eh sie antwortete:

»Wenigstens fast die ganze.«

Darauf fügte sie, in einem der plötzlichen Übergänge, die ihr eigen waren, hinzu:

»Ist nicht alle Liebe überhaupt ein Kampf? Der allerblutigste. Ein Kampf auf Leben und Tod. Wenn der Kampf aufhört, so bedeutet das bloß, daß die Liebe tot ist.«

Wieder vermied ich es, das Thema weiterzuführen. Statt dessen dachte ich über meine Frau nach und wie anders sie war, als die meisten Frauen. Alles an ihr schien zwischen Intelligenz und Temperament hin und her zu spielen. Sie konnte über alles reden und besaß etwas von der Bildung eines Mannes. Dabei hatte ihr Wesen etwas vom Charakter des Feuers. Sie konnte aufflammen, brennen und erlöschen. Nur eins vermochte sie nicht mehr: zu wärmen. Was hatte sie verändert? Gehörte sie zu den Rätselvollen, die die Männer an sich locken und dann von sich stoßen? Und war es vielleicht ihre Natur, daß ihr die Mütterlichkeit fehlte?

Ganz kalt dachte ich an alles dies, und als wir zuletzt vom Dienstmädchen unterbrochen wurden, die mich ans Telephon rief, war das Gespräch zwischen uns nicht wieder aufgenommen worden.

Der Kampf zwischen uns war zu Ende. Die Liebe war tot. Und aus ihrer Asche keimte für mich ein neues Interesse, dem ich einsam gegenüberstand.

 


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