Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wohl nur die Minderzahl von Euch, Ihr hochgeehrten Gönner und Freunde, hat jemals die sieben Hügel von Rom beschritten und die ehrwürdigen Überreste altrömischer Größe, die wunderbaren Schöpfungen der neueren Kunst mit eigenen Augen anzustaunen Gelegenheit gehabt. Ich kann mich täuschen – die bekannten Gesichter unter meinen teuren Zuhörern gehören indessen zur Halbscheid den begüterten Kaufleuten aus der Merceria, den Besitzern jener glänzenden Seidenwaren – Handlungen, oder den reichen Goldschmieden vom Ponte de Rialto an – und diese wackern Männer befinden sich wohl in Venedig und gönnen dem heiligen Vater in Rom ein gleiches, denken aber nicht daran, sich durch den Augenschein davon überzeugen zu wollen. Die andere Hälfte besteht nun zwar aus weitgereisten Leuten, aus Schiffskapitänen und Reedern, die wohl schon allerwärts gewesen sein mögen, in Triest und Sinigaglia, in Livorno und Civita-vecchia, in Messina und Lavaletta, wohl gar in Smyrna und Tunis – nach Rom aber, nach der Weltstadt, sind sie nimmer gekommen – sie machen lieber dreihundert Miglien zur See, als drei auf dem festen Lande – und doch ist Rom die denkwürdigste Stadt auf dem weiten Erdenrunde (wohlverstanden nach unserm herrlichen Venedig), und wer weder unsere von dem Meergott gegründeten Mauern, noch den Tempel des Kapitolinischen Jupiters gesehen, darf nicht sagen, daß er etwas gesehen habe. –
Zweimal war ich in Rom, oder richtiger gesagt, anderthalbmal. Den halben Versuch machte ich in Begleitung der Lady Nuthook, einer jungen, englischen Peeresse, welche mutterseelenallein durch die Welt streifte, und mich hier auf der Riva degli Schiavoni kapern ließ, um ihr während der Reise als Dolmetscher zu dienen. Sie verstand kein Wort italienisch, ich noch weit weniger englisch; bei den von mir geforderten Dienstleistungen konnten wir jedoch jeglicher Sprache füglich entbehren. Meine Padrona verließ ihren Wagen weder bei Tag noch bei Nacht, weder zum Essen, noch zum Schlafen, und ließ nur in den Städten ausnahmsweise die Stores nieder, um mir die Goldbörse ans dem Kutschenfenster zu reichen. Ich bezahlte Extrapost und Kameriere, kaufte ihr den Wegweiser und Plan des Orts, und dann ging's weiter. In vier Tagen waren wir von Fusina nach la Storta, der letzten Station vor Rom, gekommen. Dort ließ Mylady halten, stieg aus der Karosse und winkte mir zu folgen. Wir erklommen einen kahlen Hügel und überschauten die öde, traurige Kampagna, Lady Nuthook schob einen Dollond weit auseinander und visierte nach der Kuppel von San Pietro, welche soeben, vom letzten Strahl der Abendsonne beleuchtet, aus der Dämmerung ragte, rümpfte vornehm das Näschen, zuckte die Achseln, und stieg wieder, ohne eine Silbe zu verlieren, in die Karosse, um unverzüglich umlenken zu lassen, in einem Strich nach Genua zu kutschieren und sich dort einzuschiffen.
Auf meiner nächsten Reise bekam ich dagegen Rom nicht bloß beinahe zu sehen, sondern gelangte auch wirklich hinein und verweilte lange genug, um die dortigen Merkwürdigkeiten in Augenschein nehmen, um sie dem Gedächtnis einprägen zu können.
Mein neuer Prinzipal war gleichfalls Engländer und hieß Milordo Venthyfolly. Während seines Aufenthaltes in Venedig hatte er keinen Abend bei den Conversazioni, welche ich dem verehrungswürdigen Publikum sowohl hier, als auf der Piazza di San Marco zu geben die Ehre habe, gefehlt. Und ich kann wohl beteuern, daß ich selten einen aufmerksameren, andächtigeren Zuhörer als ihn gehabt habe. Er sollte, nach Beendigung des großen giro durch Europa, seine Stelle im Parlament einnehmen und gedachte dort als Redner zu glänzen. Meine lebensvolle Deklamation, meine oratorischen Talente hatten ihn frappiert; er studierte meine Gebärden, meine Betonung, Silbenfall, Affekt, wie wir es wohl von Malern den Meisterwerken der venetianischen Schule gegenüber sehen. Ihr belächelt, meine Freunde, einen so argen Mißgriff? Ihr habt nicht unrecht. Erwägt aber, daß es ein Forestiere, ein Milordo war, der in diesen Irrtum verfiel, – daß ein solcher nie zurechnungsfähig ist, daß er ewig unsre Nachsicht, unser Mitleid in Anspruch nimmt. Nicht zufrieden, mich während eines vollen Monats in Venedig als Modell benutzt zu haben, verlangte der Lord, ich solle ihn auf Reisen begleiten, um unterwegs die letzte Feile an seine Rednergabe zu legen, ihm mit Bequemlichkeit die Kunstgriffe beizubringen, wie er die allgemeine Aufmerksamkeit erregen und sie fesseln, wie er schnarchende Zuhörer aufschrecken und durch die Gewalt der Suade mit sich fortreißen könne. Er wollte sich meinen körnigen und doch graziösen Stil, wie er ihn nannte, zu eigen machen, englische Gründlichkeit und italienische Glut verschmelzen. Nach langem Sträuben willigte ich endlich ein, gegen eine tägliche Vergütigung von zehn Guineen mich auf drei Monate aus den Armen meiner heimischen Gönner reißen zu wollen. Wir fuhren nach Rom.
Im Fond der Karosse saßen der Lord und ich, auf dem Rücksitz, und zwar mit starken Ketten angeschlossen, der Leibaffe Sr. Herrlichkeit, eine große, boshafte Bestie, welche den Namen Master Daniel O'Connel führte. Lord Venthyfolly, ein wütender High- Tory, war nämlich willens, bei seiner Rückkehr nach Alt-England dem zum Paten des Pavians gepreßten Agitator hart zu Leibe zu gehen, und erprobte vorläufig seine parlamentarischen Donnerkeile gegen den grinsenden, gräuliche Gesichter schneidenden Täufling. Ob er späterhin dem verhaßten Originale mit gleichem Erfolg die Stirn geboten, ist mir unbekannt geblieben; ich kann nur als Augenzeuge bekräftigen, daß er sich weder durch das boshafte Zähnefletschen, noch durch die entsetzlichsten Grimassen des gelehrten Mitgliedes für Kilkenny aus der Fassung bringen ließ, stundenlange Reden gegen Master Dan hielt, oder sie mich halten ließ, wobei wir abwechselnd nach jedem Komma hört! hört! schrieen, daß er scharf beobachtete, bei welchem Tonfall, welcher Gestikulation der Pavian am meisten in Affekt geriet, wo er die Fäuste ballte, wo er erschöpft niedersank. Gab sich der Master bald überwunden, so wurde seine Fügsamkeit mit Apfelsinen belohnt, verharrte er dagegen verstockt bei der Opposition, so gab es echt torystische Peitschenhiebe. Es war schon eine überaus denkwürdige Reise. Doch es würde mich zu weit von meinem Ziele abführen, wenn ich aller der eingebrachten und siegreich durchgefochtenen Bills, unserer mannigfachen Abenteuer, der Irrungen von seiten der Paß- und Zolloffizianten, welche alle Augenblicke den Master Dan für den Peer ansahen, und der daraus entspringenden Verdrießlichkeiten gedenken wollte, um so mehr, da weder der edle Lord Viskount Venthyfolly, noch der sehr ehrenwerte und gelehrte Master O'Connel die Helden meiner heutigen Erzählung sind, und ich beider eigentlich nur episodisch erwähnte, als der Reisegefährten, mit welchen ich nach Rom, dem Schauplatz einer während meines dortigen Aufenthalts vorgefallenen Begebenheit, gelangte. Die Erzählung ist übrigens ernster als der bisherige Eingang sie vielleicht glauben ließ. Ich halte es für meine Pflicht, die verehrten Anwesenden davon zu benachrichtigen, um sie nicht in ihren Erwartungen zu täuschen. Noch steht es ihnen frei, den Kreis zu verlassen, und ohne Murren will ich auch auf das Honorar der Ausharrenden verzichten, wenn ich so unglücklich sein sollte, durch die Wahl des Stoffes ihr Mißfallen bewirkt zu haben.
Wer aus der Porta San Sebastiano tritt, und den zwischen Vignen mit ihren altrömischen Trümmern führenden Weg verfolgt, an dem Kirchlein Domine quo vadis und der über dem Eingang zu den Katakomben erbauten Basilika San Sebastiano vorüberschreitet, wird ohne Zweifel von dem Anblick des prachtvollen Grabmals der Cäcilia Metella, welches ihm schon von weitem in die Augen fallen muß, gefesselt werden. Er wird, selbst wenn er im Wagen säße, und auf einer Fahrt nach Anzio und Nettuno begriffen wäre, gewiß nicht ermangeln, sich aus dem Schlage zu biegen, und den mächtigen viereckigen Unterbau, ebenso wie das großartige runde Gebäu von Travertin-Quadern mit dem Fries von Blumenkränzen und Ziegentöpfen anzustaunen; noch weniger aber wird er verfehlen, falls er ein Fußwanderer ist, vom Wege abzulenken, den Hügel zu erklimmen, einen Blick in das Monument, welches vordem den Sarkophag überwölbte, zu werfen, oder auf die angebauten, mittelalterlichen Mauern mit Zinnen und Epheukränzen und von dort auf den räumigen Zirkus des Caracalla in der Thalsenkung, auf das berühmte Wäldchen der Egeria, und über die meilenweite Kampagna bis nach dem Monte-Cavo zu schauen.
Wenigstens that dies ein wohlgebildeter, höchstens zwanzigjähriger Mann in der achtzehnten Stunde eines heiteren Apriltages, Seine Kleidung war völlig die eines römischen Jägers, sowohl in Hinsicht auf den Strohhut mit breiter Krempe und die olivenfarbige Manchesterjacke mit den vervielfältigten Seitentaschen, als auch auf die ledernen Gamaschen, welche den Fuß gegen Dornen und Schlangenbiß schützen sollten, auf Pulverhorn, Waidsack und die spanische Entenflinte mit dem langen Rohre, welche ihm über der Schulter hing. Sprach nun aber das Kostüm des jungen Mannes auch für den echten Sohn der Kampagna, so genügte doch der erste Hinblick auf die goldgelben Locken und weiße Gesichtsfarbe, auf das hellblaue Auge, um ihm das südliche Vaterland abzusprechen, und in ihm den Fremden, den Transalpiner, zu erkennen. Er war ein Deutscher, der von hoch aus dem Norden nach Rom gekommen war, um sich in der Malerkunst zu vervollkommnen, Federigo hieß, von den Römerinnen aber seines stillen, traurigen Wesens halber gewöhnlich il bello malinconico genannt wurde.
Die Deutschen sind ein gar kurioser, wenn auch im allgemeinen ganz gutherziger Schlag Menschen. Sie haben Geld, sehr viel Geld, und geben ohne Sperren und Zieren auch das letzte her, lassen sich überhaupt viel bieten, ehe sie sich entschließen können, die Zähne zu weisen, sind aber freilich, wenn sie erst einmal anfangen, rabiat zu werden, wahre Teufel. Niemand glaubt einem aufs Wort leichter, als so ein Deutscher; wird er nun angeführt, so wundert er sich über die Maßen. Still und geduldig dämmert er vor sich hin, und kennt im grunde genommen keine größere Freude, als so recht traurig zu sein. Wenn so ein Trinkeswaine in dem finstersten Winkel des Zimmers sitzt, den Kopf auf den Arm stützt, trübselig auf den Fußboden starrt und an die spitzigen Dächer seiner Heimat und an die ewig verschneiten Tannenwälder zurückdenkt, dann ist er just in seiner besten Laune und man kann alles von ihm verlangen.
Solch ein seltsamer Kauz war nun auch der Maler Federigo, So oft er nicht hinter seiner Staffelei saß, konnte er stundenlang unter einer Pinie in der Villa Borghese liegen und den ziehenden Wolken und fliegenden Dohlen nachgucken, oder auf dem Campo-Vaccino unter den Ruinen umherschlendern, vor den zerfallenen Trümmern stehen bleiben und tief seufzen, um so kläglicher, je älter und unkenntlicher das Gemäuer nun gerade war. Die hübschesten Mädchen mochten ihn beim Vorüberstreifen freundlich anblinzeln, alte Weiber ihm zuschwören, daß diese oder jene sich in Liebe für ihn verzehre – er ließ sich nichts anfechten, blieb still und kalt, und machte sich aus den Schönen so wenig, als einer der wasserspeienden Granitlöwen auf der Piazza del Popolo. Tag für Tag schlich er genau um die nämliche Stunde nach dem Monte Testaccio, kehrte ein wie allemal in dieselbe Kellerwirtschaft ein, pflanzte sich einsam auf denselben Stuhl, just auf den nämlichen Fleck, wo er den ersten Tag gesessen, schluckte stillschweigend seine Foglietta von der alten Sorte, und bezahlte auch täglich ohne Widerrede das dreifache, seitdem ihm der Wirt bei dem ersten Besuch für den Wein den dreidoppelten Preis abgefordert hatte.
Daß der Maler an jenem Tage seine Schritte statt nach der Porta San Paola bis vor das Thor San Sebastiano gelenkt, durfte freilich für ein halbes Wunder gelten. Auch mochte es ihm selber wohl ganz sonderbar vorkommen, daß er nicht zur gewohnten Stunde unter der breiten Ulme mit dem Gesicht nach der Pyramide des Cestius sitze, und nun über die weite Kampagna mit ihren Warttürmen und den kreuz und quer durcheinanderlaufenden Wasserleitungen schaue und auf die violettblauen Berge, und auf vordem nie betretenen Wegen feldein wandre. Daß die Jagdlust nur den geringsten Anteil an diese Absonderlichkeit habe, war wohl augenscheinlich. Schnepfen und wilde Enten stiegen ihm zu ganzen Dutzenden dicht vor der Nase auf, ohne daß er es der Mühe wert erachtet hätte, nur einmal die Flinte vom Rücken zu nehmen. Bald guckte er aufmerksam den grauen Eidechsen nach, wie sie scharenweis durch die Halme rannten und behend in ihre Ritzen schlüpften, bald irgend einem bunten Schmetterling, als müsse er genau wissen, auf welchen Strauch dieser sich niedersetzen werde. Dann starrte er einmal wieder auf die grauen Stiere, welche träg im Riedgras lagerten, oder auf einem flinken Kampagnareiter, der auf seinem Pferdchen über Hügel und Thal dahinjagte, die Hunde anhetzte und die verstreute Herde zusammentrieb. Vor jedem der alten Steinhaufen, die mit Brombeer überrankt auf der öden Fläche zerfallen, blieb er nachdenklich stehen, bog das Gestrüpp auseinander und schaute lange und andächtig in die finstern Löcher, als gedenke er in dem verwitterten Gemäuer, dem Versteck für Füchse und giftiges Gewürm, wunder was für Schatze ausfindig zu machen. Die Maler sollen dergleichen fabelhafte Promenaden zum öfteren machen und es »Motive sammeln« heißen. So mochte der Deutsche wohl ein paar Stunden über die kahle Ebene in der Richtung von Torre di mezza via geirrt sein, als ihm ein altersgraues Gebäude auf einem kleinen Hügel ins Auge fiel. Zur Heidenzeit mochte es als Grabmal gedient haben; die späteren Römer hatten einen viereckigen Turm mit Zinnen und Schießruten darangebaut, und nachdem auch dieser von den Wächtern verlassen worden, war er von den Kampagnahirten, so gut es gehen wollte, zur Winterwohnung eingerichtet worden. Die Schafherde hatte die ausgespannten Netze verlassen und weidete einzeln im hohen Gras des Abhanges unter den gelbblühenden Ginstersträuchern oder in den Binsen des moorigen Bächleins in der Tiefe, während die kletternden Ziegen auf Trümmern und Zacken herumsprangen und die Blätter der dornigen Brombeersträuche abrupften. Der alte Hirt im Wams von Schaffellen aber schlief auf der Steinbank vor seiner Schwelle im dünnen Schatten eines Feigenbaumes, ohne sich von dem Gekrächz der Dohlen, welche die Turmzinnen zu Hunderten umschwärmten, in seiner Ruhe stören lassen.
Ein andrer ehrlicher Christ hatte sich nun bei der ganzen Geschichte nichts weiter gedacht, als was man sich bei Schafen, Ziegenhirten und räucherigen Spelunken eben denken mag – dem Maler aber mochte wohl etwas ganz apartes beim Anblick der Herde und des alten Hauses aufgegangen sein, denn er legte Gewehr und Tasche neben sich ins Gras, zog aus der Waidtasche ein kleines Büchlein voll weißen Papieres und begann die ganze Wirtschaft mit Bleistift abzuzeichnen. Er war aber noch nicht gar zu weit mit seiner Arbeit gekommen, als ihn die Hunde witterten und mit wütendem Geheul auf ihn losstürzten. Sie hätten ihn auch ohne Zweifel in Stücke zerrissen, wie denn die Wolfshunde der Kampagna von einer gar wilden, blutdürstigen Rasse sind, trotzdem daß Federigo noch schnell genug Skizzenbuch und Stift wegwarf und die Flinte an die Backe riß, wenn nicht der alte Schäfer aus dem Schlafe erwacht wäre, und mit gellendem Pfiff die rasenden Bestien Zurückgelockt hätte.
»Schießt nicht, Exzellenza! Schont die Hunde! Zurück, Diavolo, Brigante! Wollt ihr wohl gleich gehorchen! San Nereo? Ist es doch, als ob der leidige Satan in die verdammten Tiere führe, so oft sie etwas Fremdes wittern. Zurück, ihr Köter, sage ich. Seid ohne Furcht, Exzellenza. So lange ich hier bin, soll Euch kein Haar gekrümmt werden. Tretet näher, wenn's Euch beliebt, und ruht in meinem schlechten Hause aus. Ihr werdet müde und der Kampagnasonne ungewohnt sein. Wenn ich auch nur ein armer Pächter bin, und die Herde dem Hospital von San Spirito zugehört, trockenen Mundes sollt Ihr deshalb doch nicht an meinem Kasale vorüberziehen.«
Langsam ließ der Maler das Gewehr herabsinken, setzte den Hahn wieder in Ruh und folgte der Einladung des alten Gio, welcher den aus der Entfernung knurrenden Hunden noch einmal den knotigen Schäferstock zuschleuderte. Über dem Eingang des Gebäudes prangte ein hölzernes Kreuz und an der Thür ein Holzschnitt mit dem Namenszuge der Madonna und der Unterschrift: Evviva Maria! Drinnen aber war alles wüst und leer. In einem Winkel lag der harte mit Fellen überdeckte Pfühl von Maisstroh; etliche Bottiglien und Topfscherben standen in den Nischen, und ein eiserner Kessel brodelte am Feuer. Der Schäfer langte durch den Rauch, welcher das Gemach durchqualmte, eine mit Schilf umflochtene Flasche vom Sims. »Ein Glas findet Ihr nicht bei unsereinem, Signor; ei nun, der Wein fließt ja ebenso gut auch aus der Flasche. Aber kommt nur wieder ins Freie. Eine Kampagna-Wirtschaft ist nichts für einen so vornehmen, fremden Herrn.«
Bald saßen Wirt und Gast auf der Steinbank vor dem Hause. Gio wußte eine Menge Geschichten von Fremden, welche sich leichtsinnigerweise ohne Waffen und Begleitung herausgewagt, zu erzählen, und wie sie von schlechten Menschen angefallen und ermordet worden, oder von wütenden Büffeln zu Tode gestampft. Der Maler berichtete wiederum gar wunderbares vou seiner Heimat, wie dort die Sonne nur ein halbes Jahr lang scheine, während es die andere Hälfte hindurch pechschwarze Nacht bleibe, und neun Monate Winter, die drei andern aber bitter kalt seien, und was nun dergleichen Kuriositäten mehr sein mochten. Dazu wanderte die bauchige Flasche von einem zum andern – es war nicht anders, als ob die beiden schon jahrelang einander gekannt hätten.
Während dessen kam über die Wiese eine junge Dirne mit hochgeschürztem Unterkleide auf die Hirtenwohnung zugeschritten, winkte schon von fern dem Alten mit der Hand, und löste rasch, und über und über rot werdend, sobald sie den Fremden gewahr wurde, den Gürtel, um das allzusehr verkürzte Gewand herniedersinken zu lassen. »Du kommst zur guten Stunde, Töchterchen,« rief ihr Gio freudig schon von weitem zu. »So hast Du Dich doch endlich einmal losmachen können, um Deinen alten Vater aufzusuchen. Seh' nur einer, wie frisch meine Virginia aussieht, und das neue Tuch, und die blauen seidenen Bänder am Mieder – richtig, auch schon einen silbernen Kamm! Was nicht alles in der Stadt aus einem armen Schäfermädel werden kann.« –
Während dessen der Alte sich nach seinem Bruder Pietro, nach dessen Frau Teresa und allen Sippen in der Stadt erkundigte, warf er dem Federigo gelegentlich die Nachricht zu, daß Pietro einen schönen Weinberg zu Rom in Pacht habe, wie die kinderlosen Eheleute seine Virginia nach dem Tode ihrer Mutter zu sich genommen, sie wie ihr eigenes Kind hielten und ordentlich auf den Händen trügen, was ihnen Madonna in Ewigkeit gesegnen möge.
»Aber wo in aller Welt bleibt denn der Arcangiolo,« flüsterte die hübsche Dirne halblaut, »und streift er schon wieder im Lande umher?« –
»Ei, mein verliebtes Täubchen,« erwiderte Gio lachend, »wenn Dein Besuch nicht mir und nur dem wilden Burschen galt, dann hast Du den weiten Weg vergeblich gemacht. Dein Bräutigam ist nach Ostia gegangen, um dort Büffel für den Ghetto aufzukaufen. Morgen Abend erst kehrt er zurück.« –
Das Mädchen schüttelte mißmutig das Köpfchen, dem Federigo aber war es ordentlich ein Stich durchs Herz, als er vernahm, daß die schöne Virginia schon versagt sei; es däuchte ihm, als habe er zeitlebens keine reizendere Jungfrau geschaut. Als Maler mochte er sich wohl am besten auf Schönheit verstehen; jeder andere aber hätte auch nicht anders urteilen können, wenn er der Dirne in das feine blasse Gesichtchen mit den dunkel glühenden Sternen der schwimmenden Augen geblickt hätte, oder auf das glänzende Haar und den feinen Arm, der weit und breit nicht seinesgleichen fand. Ich habe schon erwähnt, daß der Deutsche bisher so viel als gar nichts auf Frauen gegeben und ihnen wohl eher geflissentlich aus dem Wege gegangen sei – jetzt aber war er mit einemmale wie umgewandelt; er ward ganz munter und redselig, konnte sich gar nicht an dem lieblichen Bilde satt sehen und nicht aufhören, ihr allerhand Schönes vorzuschwatzen. Wenn ihm damals einer gesagt hätte, er sei in das Mädchen zum Sterben verliebt, so hätte er wohl ungläubig den Kopf geschüttelt, und doch war es nicht anders, Virginia aber hörte die freundlichen, einschmeichelnden Reden mit heimlichem Wohlgefallen an, lachte und scherzte wohl oft über die wunderliche Aussprache des hübschen Fremden, plauderte dazwischen frisch, wie ihr das Schnäbelchen gewachsen war, und vergaß zuletzt des abwesenden Liebhabers über dem anwesenden. Es war ihr, als könne sie sich der Zeit nicht erinnern, wo sie so aus Herzensgrund vergnügt gewesen sei.
Als die sinkende Sonne die zertrümmerten Bogen der Wasserleitungen purpurrot zu färben begann, und das Angelusläuten von allen Türmen der Stadt schwach über die Kampagna klang, rüstete Virginia zur Heimkehr. Federigo durfte ihr das Geleit bis ans Thor geben, dort aber hieß sie ihn mit scheuem Zaudern, des ärgerlichen Geredes halber, zurückbleiben, und wollte ihm, so inständig er auch bat, nicht einmal die Vigna ihres Oheims nennen. Es schien, als möge sie sich selber gar nicht eingestehen, daß sie dem Fremden gewogen sei, und so riß sie sich, um nur den innerlichen Kampf zu enden, plötzlich los, wandte sich dann schelmisch lächelnd und mit dem Händchen winkend noch einmal um, wünschte ihm die felicissima notte und schlüpfte davon. Der Maler blickte ihr so lange nach, bis das weiße Kopftuch und das Scharlachmieder in der Dämmerung verschwanden. Dann zog er stumm und träumerisch nach Hause, konnte die Nacht über kein Auge zuthun, war mit dem ersten Sonnenstrahl wieder auf den Beinen, versuchte das Bild der schönen Virginia zu entwerfen, zerriß ein halbes Dutzend Anfänge, schob endlich Papier und Bleistift ganz verdrießlich bei Seite, rannte nach der Porta San Paolo, dort, wo er das Mädchen zum letztenmale gesehen, harrte einen halben Tag lang in der tollsten Sonnenhitze, ohne nur eine Fingerspitze von seiner Schönen erblickt zu haben, seufzte und klagte, mit einem Worte, er trieb alle Thorheiten, die nur jemals ein rasend Verliebter angestellt hat.
Von nun an war es mit Federigos nachmittäglichen Besuchen auf dem Monte Testaccio vorbei. Tag für Tag durchstreifte er den Monte Celio, Aventino, Esquilino, oder wo nur jemals ein Weinstock gegrünt hatte, erkaufte sich den Zutritt zu jeder Vigna unter dem Vorwande, Ruinen zu zeichnen, warf die Paoli zu ganzen Dutzenden fort, überkletterte mit Lebensgefahr trotz Wächtern, Hunden und Fußangeln die Mauern und Hecken – es war vergebens, Virginia ließ sich nirgends erblicken.
Er rannte wiederum in die Kampagna zu dem alten Gio hinaus und versuchte, ihn auszuhorchen. Der mochte aber wohl merken, wo der Forestiere hinaus wollte, und eben kein besonderes Wohlgefallen an der thörichten Liebschaft haben, wenigstens war er nicht halb so freundlich gegen den Maler als das erste Mal, brach kurz ab, so oft dieser auf die Tochter zu reden kam, und erzählte dagegen in einem fort von Arcangiolo, was das für ein braver, prächtiger Bursche sei, und Mut habe, wie zehn Teufel, und eifersüchtig sei, wie zwanzig. Das konnte aber alles den Deutschen auf keinen andern Gedanken bringen, und wann hätte denn auch jemals ein Verliebter Vernunft angenommen?
So verstrichen Federigo einige Monate unter unermüdlichen, jederzeit vergeblichen Nachforschungen. Er grämte und härmte sich dabei ab und ward immer trauriger und blasser. Die Römerinnen nannten ihn nicht mehr den bello malinconico, sondern den Melancholischen kurzweg, und keiner fiel es mehr ein, ihn, wie wohl früher geschehen, mit Blumen zu bewerfen, wenn er abends unter ihrem Balkon vorüberstreifte, oder ihm zärtliche Einladungen zuzusenden. Die Weiber sahen Federigo kaum mehr an – er ward der Veränderung nicht einmal gewahr.
Da erschien das Fest des heiligen Johannes Battista. An jenem zieht der heilige Vater zu Fuß in großer Prozession um die Kathedrale von San Giovanni in Laterano. Ganz Rom und das Landvolk von vielen Meilen weit in der Runde strömt nachmittags zu dieser Feierlichkeit. Auch Federigo schloß sich teils auf Zureden seiner Freunde, mehr aber noch in der geheimen Hoffnung, die lange Gesuchte dort anzutreffen, dem Menschenstrom an, der sich durch die Via di San Giovanni nach der Basilika wälzte.
Es war einer der schwülsten Junitage. Weißlichgraue Gewitterwolken lagerten drohend über den Sabinerbergen, und zogen gar manchen ängstlichen Blick der um ihren Feststaat besorgten Römerinnen auf sich. Eine unzählbare Menge wogte auf dem Platze wild durcheinander. Dort führte der Minente mit schwarzer Samtjacke und roter Schärpe seine mit goldnem Strahlenkamm festlich geschmückte Geliebte, welche mit gespreiztem Fächer sich hastig Kühlung zuwehte; dort schritt der Weltgeistliche mit dreieckigem Hut und langem Rohrstocke gravitätisch einher, und die Schnitterin aus den pontinischen Sümpfen mit dem Kopftuche von grobem Fries, und der päpstliche Pontonier mit Bärenmütze und breiter Axt auf der Schulter. Langbärtige Maler zeichneten verstohlen irgend eine fremdartige Tracht oder ein nettes Landdirnchen, Soldaten drängten vergeblich das stets wieder zusammenflutende Volk auseinander; Eiswasser-Verkäufer schrieen ihre Limonade aus, die Stuhlvermieter ihre Rohrsessel, zwischen welchen die Prozession vorüberziehen sollte; hier wurden Heiligenbilder, dort getrocknete Kürbiskerne ausgeboten, hier heulte ein zudringlicher Bettler, dort ein mit Orangen beladener Esel. Es war schon der buntscheckigste Wirrwarr von der Welt, und wer nicht selber einem römischen Kirchenfeste beigewohnt hat, wird sich schwerlich einen Begriff davon machen können. Endlich begann denn unter dem Geläute aller Glocken die Prozession. Die Waisenknaben schritten voraus, ihnen folgten paarweis die regelmäßigen Orden mit brennenden Kerzen, Kreuzen und Kirchenfahnen, die Seminaristen, die Pönitenziarii der Basiliken, diesen die Kapläne, die Marschälle, bis zuletzt, umringt von den Hellebardieren der Schweizergarde, der Baldachin einherschwankte, unter welchem der Papst, mit der Gold-Monstranz in den Händen, langsam durch die Reihen der Knieenden schritt.
Kaum war jedoch der Umzug vollendet, und der heilige Vater mit seinem Gefolge wieder in den Lateran zurückgetreten, als auch die ersten schweren Tropfen fielen, und bald darauf das Ungewitter mit voller Wut losbrach. In wilder Hast flüchtete das Volk nach der Stadt zurück; es entstand ein entsetzliches Gedränge in der schmalen Straße. Wiehern und Schnauben der geängstigten Rosse, Toben und Fluchen der blind durch das Volk jagenden Kutscher, Kindergeschrei und Weibergekreisch tönten betäubend durcheinander, und wurden wieder von dem furchtbaren Rollen des nimmer verhallenden Donners verschlungen. Minutenlang glühte der Himmel im falben Licht der ineinander verschwimmenden Blitze. Ein Pferd ward scheu, stieg in die Höhe, schleuderte den Reiter zu Boden, und brach mit gewaltigen Sätzen, mit wildflatternder Mähne durch die auseinander stäubende Menge. »Sant Antonio! Sant Antonio!« erscholl es zu gleicher Zeit aus tausend Kehlen – aber das Unglück war schon geschehen: Ein junges Mädchen war von dem Rosse zu Boden geworfen worden und lag ohnmächtig im Schoß einer ältlichen Frau, welche sich unter Thränenströmen bemühte, die Scheintote zu erwecken, das aus der Stirn stromweis' hervorquellende Blut zu stillen. In diesem Augenblick schritt Federigo an der Gruppe vorüber, erkannte auf den ersten flüchtigen Blick in der Verwundeten seine Virginia, stürzte hell aufschreiend hinzu, rief aber schnell besonnen einen seiner Landsleute herbei, hob mit dessen Hilfe das Mädchen auf, und trug sie, von der voranschreitenden Muhme geleitet, nach ihrer nicht allzufernen Wohnung. Es war die dem Kloster von Santa Maria sopra Minerva zugehörige Vigne auf der Via di San Sebastiano, welche Pietro, der Oheim der schönen Virginia in Pacht hatte, und wohin die beiden Deutschen die Bewußtlose brachten.
Nach kurzer Frist erwachte Virginia von ihrer Betäubung, sah sich mit verbundener Stirn auf ihrem Bett unter dem Bild der Madonna liegen, und den Maler Federigo, wie er mit verstörtem Gesicht auf den Fliesen kniete, ihren Arm umklaftert hielt und ängstlich jeden der matten Pulsschläge zu zählen schien. Die alte Teresa rannte in geschäftiger Hast, bald nach den mit heilsamen Kräutern auf dem Herde kochenden Töpfen, bald nach dem lieben Pflegekinde schauend, hin und her, und stieß ein lautes Freudengeschrei aus, als sie das Mädchen wiederum die schönen Augen aufschlagen, und leise vor sich hinlächeln sah. Das Gewitter war vorübergezogen und der Donner murrte halb besänftigt aus der Ferne herüber. Breite goldene Sonnenstreifen brachen schon wieder durch die Regenwolken, und beglänzten die weitläufigen Trümmer der Thermen des Caracalla und die Lorbeer- und Jelängerjelieberstauden, die hoch auf dem Gemäuer wucherten. In das offene Fenster nickten die vom Regen glänzenden Weinblätter, und die Singvögel schlüpften wiederum, die Federn schüttelnd, aus ihrem Versteck hervor.
»So habe ich Dich endlich wieder, Du liebes schönes Bild, nach dem ich mich so lange, so lange gesehnt habe!« flüsterte Federigo halblaut und küßte den weißen herniederhängenden Arm. »Jetzt will ich auch nicht wieder von Dir lassen. Ach Virginia, ich liebe Dich so sehr!« – Die Jungfrau überließ ihm holdselig ihre Hand und drückte sie matt an seine heißbrennenden Lippen. Der Maler war unaussprechlich glücklich.
Von nun an war Federigo täglicher Gast auf der Vigne, wich nicht vom Lager des Mädchens, und verträumte halbe Tage mit ihr unter süßem Geplauder und Kosen. Ihre Verletzung war keine gefährliche gewesen, und schon nach Wochenfrist geheilt. Sie stand wieder auf, bleicher, aber mir um so reizender in den Augen des jungen Mannes. Bald war ihm auch die Trennung auf die wenigen Stunden, welche er in seiner Wohnung verbrachte, zur Qual geworden, und er ruhte nicht, mit Bitten und Verheißungen in den alten Pietro zu dringen, bis ihm dieser ein helles, freundliches Erkerstübchen eingeräumt hatte, und er mit seinen sämtlichen Malergerätschaften eingezogen war.
Jetzt begann für ihn eine gar schöne Zeit. Seine Lust an der Kunst erwachte mit neuer Lebendigkeit, und er gab sich ihr wiederum mit ganzer Seele hin. Es war ihm, als fühle er jetzt erst recht deutlich, daß er wahren Beruf zur Malerei habe, und oft erstaunte er selber über die Leichtigkeit, mit welcher er arbeitete, über die herrlichen Gedanken, welche ihm in unerschöpflicher Fülle zuströmten. Seine Frauenbilder glichen wohl alle der schönen Virginia – brauchte er doch nur aus dem Fenster in den Garten hinab zu sehen, wo sein liebliches Musterbild auf der Säulentrümmer im Schatten der Lorbeerhecke, den Rocken spinnend, saß, und mit heller Stimme eine fröhliche Canzonetta anstimmte, und es kaum erwarten konnte, bis die Abenddämmerung der Arbeit ihres Freundes ein Ziel setze, bis er herabsteige und die herrlichen Sternennächte mit Gesang und Zitherspiel und liebendem Geschwätz verschwelge. Oft trafen die ersten Streiflichter des Morgens das glückliche Paar noch unter der Weinlaube. Federigo meinte, das Leben sei allzuflüchtig und doch zu schön, um es dumpf zu verschlafen – kaum daß er während der Schwüle der Mittagszeit in der dämmernd kühlen Stube einige Stunden verträumte.
Virginia erwiderte die Liebe des Malers aus vollem Herzen. Ihr Verhältnis zu Arcangiolo erschien ihr wie ein wüster, wirrer Traum – es war ihr ein Rätsel, wie sie sich jemals dem rohen wilden Menschen habe zuneigen, wie sie ihm gar ihre Hand habe geloben können. Sie waren als Kinder zusammen aufgewachsen; er hatte sich um sie beworben, als sie noch draußen in der öden Kampagna zusammen lebten, als sie noch keinen Mann außer ihm gekannt hatte. Mit Federigos Liebe war ihr ein neues Leben aufgegangen. Ohne sich selber sagen zu können, wie es zugegangen, war sie eine Andere geworden, die träumende Knospe war vom Strahl der Liebessonne aus ihrem Schlaf geweckt worden und hatte sich zur herrlichen Blüte entfaltet. Und eben weil das Mädchen wohl fühlte, daß sie Alles, was sie jetzt sei, dem Geliebten allein verdanke, hing sie ihm auch um so leidenschaftlicher an. Nur mit geheimer Furcht mochte sie in die Vergangenheit zurückblicken, des älteren Bündnisses gedenken; sie hielt es für gelöst, und glaubte deshalb, sich willig täuschend, daß auch Arcangiolo es als solches betrachten werde. Schon seit Monden hatte er nichts von sich hören lassen. Virginias Vater war mit den andern Hirten während der Sommermonde aus der verbrannten Kampagna in die schattenkühlen Sabiner Bergthäler gezogen – sie verschob «3 von Tag zu Tag, ihn aufzusuchen. Die Muhme Teresa begünstigte schweigend das Liebesverständnis, teils von dem Golde des reichen freigebigen Fremden, welcher einen bisher nie gekannten Wohlstand in die Hütte brachte, geblendet, teils aus rein weiblichem Mitgefühl mit jeder zärtlichen Neigung. Ihr Gatte aber hatte längst den blonden, gutherzigen Deutschen liebgewonnen, und haßte, wie alle ruhigen ansässigen Leute, wüste Herumstreicher und das verwegene, unheimliche Treiben des Kampagna-Hirten Arcangiolo. In der Nachbarschaft galt es für ausgemacht, daß Virginia binnen kurzer Zeit den deutschen Maler heiraten werde. Das Geheimnis ihrer Liebe hatte die Mauern überflattert und, so stillselig das besprochene Paar auch in seiner Einsamkeit für sich hin lebte, sich doch nur allzuschnell verbreitet – wie denn die Menschen für alle den Nächsten betreffenden Angelegenheiten einen wundersamen Scharfsinn hegen, und mit heimlicher Schadenfreude gerade auf die Liebesblüten, welche wir ihrem Blick zu entziehen streben, am begierigsten stoßen, bis sie dieselben mit schonungsloser Neugier zerfasert und entblättert haben.
So waren die glühenden Sommermonate, in denen Rom wie von Fieberträumen befangen schlummert, herangekommen. Die Adligen hatten sich auf ihre, von frischer Seeluft durchwehten Villen am Meeresstrand geflüchtet, oder nach den umwaldeten Höhen des Albaner Gebirges. Die Straßen der Stadt waren verödet, Thüren und Jalousieen geschlossen, und nur sparsam schlich eine matte bleiche Gestalt über die glühenden Quadern und durch die vor Hitze zitternden Luftwellen, so dicht als möglich an die Schattenseite der Häuser geschmiegt, bis die Sonne ins Meer herniedergesunken war, und die Römer aus ihren dunklen Verstecken auftauchten, unter Gesang und Lautenspiel über die mondscheinbeglänzten Plätze wandelten, die sprühenden Fontänen umkreisten, und erst mit dem anbrechenden Morgen wieder in ihren Steinhöhlen Schutz vor der verpesteten Luft suchten. Federigo war in den verwichenen Jahren gleich den andern zur Villeggiatura hinausgezogen, bis die Gewitter des Septembers die Glut zerrissen und der Strom der Auswanderer nach der kühleren Stadt zurückfluten durfte. In diesem Sommer kam er nicht dazu. Er wartete nur auf Briefe aus seiner Heimat, um dem Bunde der Liebe die Weihe durch Priesters Mund erteilen zu lassen; jeder Tag konnte die Antwort bringen, und dann wollte er mit der angetrauten Jungfrau vor den alten Gio treten, und die Verzeihung und den Segen des Überraschten erflehen. So hatte er es mit Virginia und deren Verwandten abgeredet. Unterdessen kam er gar nicht mehr aus seiner Einsamkeit, und lebte nur für die Liebe und seine Kunst.
Seit kurzem hatte er ein großes Gemälde aus der altrömischen Geschichte begonnen. Es stellte den Virginius dar, wie er seine Tochter Virginia ersticht, um sie nicht in die Hände des Decemvir Appius Claudius fallen zu lassen. Das Gesicht der sterbenden Jungfrau war nach dem der Braut gebildet. Ein italienischer Maler hätte sich gewiß aus Scheu vor der üblen Vorbedeutung gehütet, der Ermordeten die Züge der Geliebten zu leihen, zumal, wenn diese einen gleichen Namen mit dem blutigen Konterfei führte. Die Deutschen dünken sich aber in solchen Sachen stets klüger als wir, verspotten uns, wenn wir das böse Auge fürchten, tragen kein Hörnchen bei sich und verschmähen es, beim Lobe die Fica zu machen. So lachte denn auch Federigo, als ihn Teresa des bedenklichen Spiels halber zur Rede stellte, und arbeitete nur noch emsiger fort.
Schon mehrere Male hatte ihm Virginia zum Kopf der altrömischen Jungfrau gesessen; jetzt gedachte er die in der Todesangst weit ausgebreiteten Arme, den entblößten Busen zu malen, und drang inständig flehend in das Mädchen, ihm auch hierbei als Modell dienen zu wollen. Lange Zeit weigerte sich Virginia, verschämt errötend, des Ansinnens, bis ihr Verlobter ihr denn zuletzt gestand, wie es keinem Maler gegeben sei, ohne ein lebendes Musterbild in der Kunst etwas gutes zu leisten, und wie er, wenn sie sich seinen Bitten weigere, ein fremdes Mädchen zu diesem Dienste dingen müsse. Mochte es nun innere Überzeugung sein, daß Federigos Wünsche wirklich aus reinem Herzen stammten, und daß sie sich ja doch in wenigen Tagen ihm ganz zum Eigentum übergebe, mochte vielleicht auch geheime Eifersucht auf das angedrohte Modell mit im Spiel sein – genug, Virginia flüsterte endlich mit gesenkten Augen und widerstrebenden Herzens ihre Einwilligung.
Es war in einer der Frühstunden des folgenden Tages, wo das Mädchen zum ersten Mal dem Verlangen des jungen Mannes nachgab. Die untern Scheiben waren zum Teil gegen das falsche Licht versetzt, teils durch Jalousieen geblendet. In das kühle lauschige Zimmer fiel durch die oberen, offenen, mit Weinlaub dicht umflochtenen Fenster eine wunderbare Beleuchtung, und bestrahlte die auf den Steinfliesen des Bodens liegenden Malergerätschaften, die halbfertigen, an den Wänden umherstehenden Bilder, und die von Goldrahmen umfunkelten aufgehangenen, bereits vollendeten. Virginia kniete mit erhobenen Armen, den schönen Kopf zurückgebogen, den Mund wie zum Schrei halb geöffnet, auf einem Kissen. Die schwarz glänzenden Locken rollten in üppiger Fülle lose über den entfesselten, ängstlich atmenden Busen, und ein hellbuntes Obergewand hing von der blendend weißen Schulter hernieder und schleifte in weichen, künstlich von Federigos Hand geordneten Falten auf der Erde. Den Maler überlief ein Schauer des Entzückens beim Anblick des herrlichen Weibes, sein Herz pochte voll ungestümen Sehnens, und oft war es ihm, als müsse er Pinsel und Palette von sich werfen und an die Brust der Geliebten fliegen; dann aber gedachte er wieder des gegebenen Versprechens, und wie unwürdig es sei, das Vertrauen des Mädchens zu täuschen, und er verharrte emsig bildend an der Staffelei.
Es war Totenstille im Gemach, und man vernahm nur das Schrillen der Zikaden draußen im Garten. Da springt die Thür auf – ein junger, wutbleicher Mann, die Jacke leicht über die Achsel geworfen, stürzt herein, hält einen Augenblick mit geballten Fäusten und verzerrtem Munde auf der Schwelle.
»Arcangiolo!« schreit Virginia, entsetzt vom Boden aufspringend und flieht, die Augen mit den Händen verdeckend, in die fernste Ecke. Mit gierigem Sprunge wirft sich der Fremde wie ein Löwe auf seine Beute – Federigo reißt den Wütenden bei dem schwarzen Kraushaar zurück – es ist zu spät, ein Messerstich hatte das Herz des Mädchens durchbohrt.
Mit entsetzlichem Lachen jauchzt Arcangiolo, indem er die Gemordete ihrem Verlobten zuschleudert: »Hier, Maler, hast Du das wahre Modell!« ringt sich aus den umklasternden Armen, und entspringt. Das Messer steckte noch in dem Busen des unglücklichen Mädchens; noch einmal seufzte sie tief auf – sie war tot.
Zwei Tage später schwankte eine offene, mit goldgestickter Samtdecke überhängte Bahre aus der Vigne. Virginia ruhte mit gefalteten Händen auf den Kissen, fromm und wunderschön. Von den Ecken nickten leise rauschende Blumensträuße und zitternde Goldflittern, welche seltsam beim Schimmer der Fackeln leuchteten. Der Zug der vermummten Brüderschaft trug sie zu Grabe und versenkte sie im Chor der Kirche zu Santa Maria della Consolazione. Federigo war dem Leichenbegängnis gefolgt. Stumm, kalt, thränenlos schaute er in die Grube, auf den schlichten Sarg, welcher die tote Braut umschloß, harrte, bis die Steinfliesen wiederum eingefügt und verkittet waren, dann richtete er seine Schritte nach dem Passionisten- Kloster von San Giovanni e Paolo, um es nie wieder zu verlassen.
Als ich den Klostergarten in Begleitung des Lord Venthyfolly besuchte, sah ich einen jungen, sehr blassen Mönch in der schwarzen Ordenstracht mit dem Kreuz über dem weiß eingefaßten Herzen auf der Brust, auf einer Steinbank an der niedrigen Mauer sitzen und aus erloschenen Augen nach der Wasserleitung des Nero und den Thermen des Caracalla, welche durch die Bogen schimmerten, hinüber starren. Der begleitende Laienbruder nannten ihn uns als den Confrater Virginius a corde transfixo, und wußte seinen frommen, heiligen Wandel nicht genug zu rühmen. Er erzählte ferner, wie der Bruder Virginius ans Deutschland gebürtig sei, in der Welt Federigo geheißen und welches betrübte Ereignis ihn in den Orden geführt. »Von der Vergangenheit,« setzte er hinzu, »spricht er niemals, und schüttelt nur stumm den Kopf, so oft die Rede darauf kommt. Stundenlang kann er auf jenem Fleck träumen und nach der Vigne, wo er gelebt und gemalt, wo die schöne Virginia ermordet wurde, hinüber schauen. Wenn auf seiner Zelle die Sonnenstrahlen durch die Blätter und Blüten der dichtgedrängt im Hofe stehenden Orangenbäume, die mit ihren Zweigen bis Fenster reichen, brechen, und er die Sonnenstäubchen auf- und niedertanzen sieht, oder wenn er abends nach den zerrissenen, sich rosig färbenden Wölkchen aufblickt, dann lächelt er still vor sich hin, und bildet sich ein, er male, nennt uns auch alle die Bilder, die, er unter der Hand habe, und schildert die heiligen Gestalten, die er mit Sonnengold und Karmin und Himmelsblau erschaffe. Wir müssen oft über seine wundersame Einbildung staunen. Sonst ist er schweigsam und verschlossen und klagt nie.«
Der Bruder Virginius a corde transfixo lebt noch jetzt im Passionisten-Kloster. Wer nach Rom kommt, kann ihn dort aufsuchen; die Geschichte seiner unglücklichen Liebe ist in Jedermanns Munde. Arcangiolo ging unter die Räuber und hauste lange Zeit in den Bergen, bis ihm ein Gensdarm beim Überfall der Agresanischen Diligence den Schädel spaltete. Seine Gebeine bleichen auf einem Pfahl rechts vom Wege nach Terracina. Eine schöne Ballade in ottave rime, welche mit Licenz der Obern gedruckt und verkauft wirb, schildert seine Thaten und sein Ende. Ich selber besitze ein Exemplar davon.