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Wir haben gestern wiederum das Fest der heiligen Lucia gefeiert. Ich hege keinen Zweifel, daß wir es nicht alle als gute Christen begangen, daß jeder von uns seine Messe gehört und die wunderthätige Heilige um milde Fürsprache angefleht habe, um ferneren Schutz und Schirm des Lichts seiner Augen, als deren Schutzpatronin unsre heilige Kirche die Märtyrin erkennt. Den unleugbarsten Beweis aber, wie gnadenvoll die himmlische Helferin unser aller Bitten aufgenommen habe, und wie barmherzig sie jederzeit über unser herrliches Venedig wache, finde ich mit Flammenschrift in den Augen meiner holdseligen Zuhörerinnen verziffert, in dem hellstrahlenden Glanz jener zauberisch glimmenden Gestirne, welche sich jetzt verschämt hinter das Seidennetz der langen, schwarzen Wimpern flüchten, jener Sterne, denen Venedig von je her den Ruf der irdischen Milchstraße verdankt, und durch deren Zauber es auch fernerhin den Beinamen la dominante und die ungeteilte Herrschaft über die Herzen der Männer behaupten wird, wenn auch jüngere, vom Glück begünstigtere Nebenbuhlerinnen ihr den Dreizack streitig machen sollten. Die heiligste Lucia sei dafür in Ewigkeit gebenedeiet!
Auch ich war gestern in San Moise, um daselbst meine Messe lesen zu lassen. Auch ich habe die gnadenreiche Märtyrin angefleht, mir bis an mein Lebensende den schwachen Schimmer des altersmüden Auges zu lassen, einen hinreichenden wenigstens, um die alten Chroniken entziffern zu können, um aus dem Novellenschatz der italienischen Meister auch noch ferner jene Goldkörner, mit deren Gespinnst ich Eure Abendstunden zu umflechten bemüht bin, auszulesen, nur genug des Lichtes, auch ohne führenden Hund den Weg nach der Riva degli Schiavoni zu finden. Die Messe aber galt dem Seelenheile meines vor fünfzig Jahren dahingeschiedenen Vaters. Ja, meine geliebten Freunde, mit dem gestrigen Tage beschloß das halbe Jahrhundert, seit ich dem zärtlichsten Vater die Augen zudrückte, ihm, dem liebevollsten Gatten, dem redlichsten Venetianer seiner Zeit. Ihr Alle habt ihn nicht mehr gekannt. Wohin ich rings um mich her blicke, strahlen mir feurige Augen, von Gesundheit, von Jugendfülle strotzende Wangen entgegen. Schon umgiebt mich eine zweite, dritte Generation – wie ein altes Römerbild rage ich aus der Vergangenheit in die Gegenwart – ich stehe allein. Aber wenn Ihr, hochverehrte Freunde, meinen Vater Antonello auch gekannt hättet, wenn Ihr auch Zeitgenossen des wackersten Burschen der Republik gewesen wäret, des geschicktesten Mandolinenspielers, des besten Tasso-Sängers, des gewandtesten Gondoliers, dessen Ruder jemals die Wellen des Canalazzo peitschte, des jedesmaligen Siegers bei der Regatta – Ihr hättet ihn doch längst schon vergessen. Und wahrlich, die Zeit rauscht jetzt mit so schnellem Flügelschlage um die Erde, daß ein halbes Jahrhundert mehr als hinreichend ist, um die Namen der Großen und Mächtigen, der Feldherren und Fürsten zu unleserlichen zu machen, geschweige denn den eines armen venetianischen Gondelführers. Übt Nachsicht daher, meine Gönner und Freunde, Nachsicht mit dem Sohne, wenn die Gefühle der Dankbarkeit gegen den Entschlafenen ihn verleiten, dessen Angedenken aus dem Schutt der Jahre an das Licht zu ziehen, wenn er mit vielleicht parteiisch erscheinendem Stolze seines Erzeugers gedenkt, wenn er Euch am heutigen Abende nur von ihm, und dem wunderbarsten Abenteuer seines Lebens unterhält.
Mein Vater fühlte sein Ende nahen. Mit geschlossenen Augen lag er auf dem von Maisstroh gestopften Pfühl, in den welken Händen den Rosenkranz, und die bleichen Lippen zum lautlosen Gebet bewegend. Im Zimmer herrschte eine Totenstille; sie ward nur von dem heimlichen Schluchzen der Mutter und Kinder unterbrochen. Das Glockenspiel von Santa Maria dei Gesuiti tönte langsam und traurig aus der Ferne herüber, und dann und wann hallte durch das geöffnete Fenster der einförmige Ruf der um die Ecken biegenden Gondoliere vom Kanal herauf. Die Strahlen der Abendsonne brachen durch das Weinspalier, welches unser Häuschen umflocht, und über das Gesicht des Sterbenden flogen abwechselnd rosenrote Lichter, bald wieder die Schatten der breiten Blätter. Da schlug er die großen, schwarzen, tief in der Höhle liegenden Augen noch einmal auf, schaute sich langsam im Kreise um, als wolle er die Angehörigen mustern und überzählen, ob auch keiner von den Seinigen fehle, machte mehrere vergebliche Versuche, seine erloschene Stimme zur vernehmlichen zu steigern, und begann dann endlich, matt und häufig durch Erschlaffung unterbrochen, seine Rede:
Schon seit Jahren war ich willens, Euch, meine Lieben, zu Vertrauten einer wundersamen, fast unglaublichen, in meine Jugendzeit fallenden Begebenheit zu machen. Ich verschob es von Tag zu Tage, teils Deine sattsam bekannte Geschwätzigkeit, mein gutes Weibchen, befürchtend, teils auch in der Hoffnung, Euch, meine teuren Kinder, noch dereinst als erwachsene, verständige Menschen um mich versammelt zu sehen, und dann um so achtsamere Ohren, um so verschwiegenere Lippen zu finden. Ich zauderte zu lange. Der Himmel ruft mich schon früher ab. Meine Augenblicke sind gezählt – weiß ich doch nicht einmal, ob mir der Tod noch eine hinreichende Frist gestattet, um Euch jenes langbewahrte Geheimnis zu entdecken. So vernehmt denn – aber zuvor schwört, schwört in die Hand des Sterbenden, daß Ihr vor Ablauf voller fünfzig Jahre keinem Menschen von dem jetzt Vernommenen eine Silbe entdecken wollt. Der Erbe einer großen, mächtigen Familie ward in mein Schicksal verflochten, das Tribunal der Inquisition – setzte er kaum hörbar hinzu – ward genötigt, einzuschreiten. Ein unbedachtsames Wort stellt Eure Hütte der Willkür eines zuchtlosen, gewaltigen Adels bloß, Eure Häupter der Strenge des heiligen Ufficio. Schwört ein fünfzigjähriges Schweigen. Bis dahin können jene stolzen Namen erloschen sein; im Verlauf eines halben Jahrhunderts ist vielleicht ein anderer, beglückterer Marino Falieri erstanden, ein Mann, welcher die Ketten des durch ein volles Jahrtausend erdrückten Volkes bricht, und den Schrecknissen jenes geheimnisvollen Blutgerichts ein Ziel setzt. Schwört! –
Wir gehorchten dem letzten Befehle unsers Vaters, wir legten die Hände in seine kalten, absterbenden – wir sprachen das zungenfesselnde Gelübde aus. Wir haben es treulich gehalten, meine Mutter, die Geschwister bis an ihren Tod, ich, der alle Überlebende, bis der Termin erloschen, bis die Prophezeiung des Sterbenden in Erfüllung gegangen, und der Erzähler von der Riva degli Schiavoni weder die Rache der Nobili, noch die Tyrannei des Rates der Zehn zu befürchten hat, wo er keine andere Furcht kennt, als die, seinen vielgeliebten Zuhörern durch die verfehlte Wahl des Stoffes, durch den matten Vortrag mißfällig zu werden. Doch, was rede ich? Sind es denn nicht meine großmütigen Gönner, vor denen ich stehe? Sind sie es nicht, welche sich schon seit Jahren die Erzählungen des Greises mit nachsichtigem Wohlwollen gefallen ließen? Sie werden es auch heute verschmähen, den strengen, kritischen Maßstab an meine schmucklose Berichterstattung zu legen, sie werden, wie in früheren Tagen, den redlichen Willen der Leistung zurechnen. Doch nun zur Sache.
Es war in der dritten Stunde eines schwülen Sommernachmittags – begann mein Vater seine Erzählung – als ich an dem Postament der Granitsäule, welche den heiligen Teodoro trägt, in dem langsam wachsenden Schatten lag, und meine faulen Glieder auf den Steinplatten der Piazzetta dehnte. Mein halbes Schock Patellen knackend und die frischen, leckern Muscheltierchen einschlürfend, zählte ich mit schläfrigem Auge die Säulen des Dogenpalastes herauf und wieder herunter, verzählte mich Mal auf Mal, und fühlte, daß mir die Augenlider bei jeder Nummer schwerer wurden. Der unter der Kolonnade wachhaltende Arsenalotto schlich immer matter und schwerfälliger auf und nieder. Die Hallen der Zecca waren völlig ausgestorben, wenn man nicht etwa das halbe Dutzend Türken, welche mit gekreuzten Beinen auf den Polstern hockten, den dünnen Rauch der Pfeife schläfrig in die Luft bliesen und regungslos vor sich hinstarrten, in Anschlag bringen wollte. Dann und wann schwirrte eine der Tauben des Markusplatzes über mein Haupt, und eilte, sich vor der sengenden Glut in die Luken der Markuskirche zu flüchten. Es war so still, daß man die aufhüpfenden Wellchen gegen den Schnabel der Gondeln klatschen hören konnte. Die ganze Welt hielt Siesta, und ich war auf dem besten Wege, ein gleiches zu thun, als der Ruf: »Heda! Antonello, auf! Eine Stunde auf dem Kanal grande!« mich aus meinem Hindämmern aufschreckte.
Der Rufende war der Nobile Orazio Memmo, der liebenswürdigste Taugenichts von ganz Venedig. Dreiundzwanzig Jahre alt, hoch und schlank gewachsen, ein feines, blasses Gesicht mit den schwärzesten, glänzendsten Augen von der Welt, ebenso gewandt als verwegen, reich und abgesagter Feind des baren Geldes, kecker Spieler, leidenschaftlicher Verehrer der Frauen und allezeit von ihnen begünstigter – dies war das treue Bild meines Gönners. Mißtrauisch gegen die Gondoliere seines Oheim-Senators, in denen er nicht ohne Grund Spione seines Thuns und Treibens witterte, bedurfte der junge Wüstling bei seinen Abenteuern eines gewitzten, furchtlosen Burschen, eines verschwiegenen, unerschütterlich treuen Helfers – in mir hatte er seinen Mann gefunden. Ach, wenn ich noch jener alten, guten Zeit gedenke, jener herrlichen Karnevali, jener Nachtschwärmereien und Serenaden der geheimnisvollen Rendez-vous in den Gärten der Giudecca! Väter und Ehemänner fürchteten und verwünschten Messer Orazio ärger, als den Großtürken, und manche Handvoll Philippen flog in meine Mütze, wenn meine vogelschnelle Gondel den Verfolgten dem ihm mit blanker Waffe nachstürmenden Feinde entführt, wenn ich den beglückten Liebhaber unentdeckt in der Casa Memmo ans Land gesetzt hatte.
Schnell wie der Wind war ich beim Schall der wohlbekannten Stimme auf den Beinen, löste die Kette vom Pfahle und trieb, nachdem die Exzellenza sich rückwärts durch das Kajütenpförtchen gedrängt und auf den üppigen Kissen niedergelassen, mit mächtigem Fußtritt von der Riva.
Eine halbe Stunde mochte die Barke bereits über das Wasser geglitten sein, ruhig und lautlos, wie ein treibendes Blatt. Unhörbar griff das Ruder in die grünen Fluten – hatten wir doch keine Eile, und mein Padrone keinen Zweck, als ein Stündchen im behaglichen Far niente zu verträumen – da schwirrte eine fremde Gondel mit hastigen Ruderschlägen hinter uns her, rauschte hastig heran und flog ebenso schnell vorüber. Das Felce Die Dachverzierung der Gondeln. war mit silber- und rotgestreiftem Teppich bekleidet, und die von der Decke herabhängenden schweren Seiden-Troddeln streiften die Fläche des Wassers. Beide Ruderer waren in gleichfarbige, reiche Stoffe gehüllt. Keinem der fremden Gesandten, die einzigen, welchen das bekannte Gesetz der Republik das Vorrecht zugestand, das unsern Gondeln verordnete Schwarz mit lachenden Farben zu vertauschen und sie nach Willkür zu schmücken, gehörte die vorbeieilende an. Vor der Kajüte saß auf Brokat-Kissen ein Mohrenknabe mit breitem, goldnem Halsbande und an blinkender Kette schwebendem Dolch, auf der Faust einen rotschillernden, kreischenden Papagei wiegend. Die Jalousieen waren zu beiden Seiten aufgezogen, und das Auge konnte im Vorüberstreifen die innern Räume übersehen. Auf den Polstern ruhte ein himmlisch schönes Weib. Den schlanken Leib umspannte ein goldstoffnes, enganliegendes Oberkleid, und weite, faltige Beinkleider nach morgenländischer Art fielen über die kleinen, zierlich mit Blumen gestickten Pantöffelchen. Das lange, goldgelbe Haar floß frei von der blendend weißen Stirn hernieder und ringelte sich in vollen Locken über Schulter und Busen. Wollt Ihr aber eine Ahnung von dem Liebreiz jenes verführerischen Antlitzes haben, von dem feuchten Glanz des schwarzen Auges, von dem Lächeln, welches den kleinen granatenfrischen Mund umgaukelte – dann geht in den Dogenpalast, laßt Euch die Sala del scrutinio aufschließen und richtet Euer verzücktes Auge auf die schöne üppige Jungfrau in Jacopo Palmas jüngstem Gericht – sie gleicht der in der Gondel, wenn auch nur von weitem. Als die fremde Barke an der unsrigen vorüber schwebte, ließ die Schöne die langgehalste Guzla, auf deren Goldsaiten die weißen Fingerchen geklimpert hatten, einen Augenblick sinken, schnellte mit geschicktem Wurf eine Feuerlilie in unsere Kajüte und rief dann ein paar fremdartig tönende Worte. Die Barcaroli griffen mit weitausholenden Ruderschlägen ein, und im Nu waren sie uns um einige hundert Palmen voraus.
»Nach, nach, Antonello!« schrie der Patrizier. »Hol' sie ein – wir müssen sie erreichen! Zwanzig Zechinen sind Dein, wenn wir sie im Auge behalten, wenn wir die Wohnung jener engelschönen Fremden auskundschaften.« –
»Verlaßt Euch auf mich, Exzellenza. Ihr sollt Euch in Eurem getreuen Antonello nicht getäuscht haben; so lange das Ruder nicht bricht und die Flechsen meiner Arme nicht reißen, soll uns das schöne Heidenkind nicht entschlüpfen.«
Nun galt es, das gegebene Wort zu lösen, meinen alten Ruhm aufrecht zu erhalten. Flüchtig wie Tauben stoben die rot und silbernen Fremden vor uns her, wie ein blutdürstiger Falk stürmten wir hinterdrein. Links bogen sie in eine der Seitenstraßen, hemmten dann aber ihre Flucht, nicht anders, als wollten sie sich vergewissern, ob wir ihre Spur auch nicht verloren hätten, als wollten sie verfolgt werden – und dann ging es von neuem in wilder Hast durch große und kleine Kanäle, rechts und links und wieder gerade aus, an San Nicola vorüber, bis endlich beide Gondeln sich in der Lagune auf dem Wege nach Fusina wiegten.
Gaukelnd, wie ein schillernder Schmetterling, wand sich das fremde Bot zwischen den Pfählen, welche die seichte Wasserstraße bezeichnen, hindurch. Oft war es nicht anders, als schösse ein funkelnder Stern vor uns her, so prächtig strahlte die Sonne auf die glitzernde Decke, und ich mußte geblendet das Auge schließen und im Rudern innehalten. Dann trieb aber der Padrone wiederum zur Eile, und ich warf mich aufs Knie und drängte das Ruder tief in die Wellen ein, und der Schaum quirlte hoch bis an den Eisenkamm des Schnabels auf. Aus der Ferne dröhnten die Glocken von den Türmen von Malamocco herüber und ihre Klänge zerflossen leise über den Wassern. Aus der verfolgten Gondel schallte ab und zu der heisere Schrei des Papageis, dann wieder einzelne Lauten-Akkorde, zu denen der Mohrenknabe mit den Schellen des Tamburins rasselte, und dazwischen die zauberisch lockende Stimme der Morgenländerin, der die fremdartige Betonung unserer Sprache einen neuen, wunderbaren Liebreiz verlieh. Sie sang:
Wo der Oleanderbüsche
Volle Kelche purpurn glimmen,
Wo die goldgeschuppten Fische
In dem Marmelbecken schwimmen,
Nachtigallen-
Lieder schallen
Zu der Mädchen hellen Stimmen –
Dort, dort
Findest Du des Rätsels Wort.
Wo der Sonne goldne Pfeile
Nie durch Myrtenlauben dringen,
Wo um schlanke Marmorsäule
Sich des Epheus Ranken schlingen?
Wo die hellen
Silberquellen
Stäubend sich zum Himmel schwingen–
Dort, dort
Findest Du des Rätsels Wort.
Herr Orazio Memmo, einer der gewandtesten Improvisatoren seiner Zeit, ergriff meine Zither und antwortete unverzüglich in derselben Weise:
Folgen muß ich Deinem Sterne,
Süßes Rätsel, durch die Wogen,
Willenlos in duft'ge Ferne
Deinem Leuchten nachgezogen;
Doch am Strande,
Holde, lande. Und wenn Ahnung nicht gelogen –
Dort, dort
Ist Erlösung Losungswort.
Wir näherten uns mehr und mehr der zauberhaften Gondel. Der Schnabel der unsrigen teilte aufs neue die Flut, noch ehe die Spuren der fliehenden in den Wellen zerronnen waren, und der nachquellende Schaum schien eine Silberschnur, welche die erste ausgeworfen, um die unsere, einer gefangenen gleich, nach sich zu schleppen. So liefen wir denn gemeinschaftlich in den Kanal der Brenta ein, flogen an den blitzenden Villen und frischen Lusthainen der reichen Venetianer vorüber, und hielten vor einem hohen Marmorportal, durch dessen vergoldete Lanzenstäbe wir in einen weiten, mit fürstlicher Pracht angelegten Garten schauen durften.
Die Fremde stieg aus. Bei San Marco! ein wunderschönes Weib, das mußte ihr der Neid lassen – eine edle, schlanke Gestalt mit verführerischer Anmut in jeder Bewegung, mit feinen und doch so süß schwellenden füllreichen Gliedern. Langsam wandte sie das zarte, von holdseligstem Lächeln verklärte Gesicht, die schwarzen schimmernden Gazellenaugen noch einmal nach meinem Herrn um und schwebte dann voran. Den gespreizten Sonnenschirm über das Haupt seiner Gebieterin und den farbigen, plauderhaften Vogel auf der Faust haltend, folgte der kleine Mohr. Die Thüren flogen auf, schlugen klirrend hinter dem Paar zusammen, es zog langsam durch die breiten, von Lorbeer- und Myrtenhecken gebildeten Alleen dem leuchtenden Schlosse zu und verschwand.
»Göttlich schön!« rief Signole Memmo, zuerst von uns aus seiner Betäubung erwachend. »Und wem gehört das Schloß, der Garten?« »Mir völlig unbekannt, Exzellenza. Heute seh' ich beides zum erstenmal.« »Du kennst sie nicht? und wir sind doch auf dem Kanal der Brenta?« – »Tausende von Malen bin ich ihn schon herauf- und heruntergerudert, kenne jedes Thor, jede Villa, jeden Gondelpfahl, jeden Strauch – aber, bei San Antonio, von diesem Schloß habe ich noch keinen Ziegel geschaut. Glaubt mir, Illustrissimo, in dem dort geht's nicht mit rechten Dingen zu. Teufelsspuk ist's, nichts weiter. Sprecht nur ein Pater, und der ganze Zauber verdampft wie ein Nebelstreifen. Habt Ihr noch niemals von Vampyren gehört? Ja fragt nur die griechischen und illyrischen Schiffer; die werden Euch erzählen, wie die Gespenster der Kindesmörderinnen sich in jugendliche, blühende Frauenleiber stehlen, und junge Männer mit Liebesgunst verlocken und ihnen im Schlummer das Herzblut aussaugen. Und solch ein Vampyr war die morgenländische Prinzessin dort, darauf nehme ich das Sakrament. O corpo di Bacco! hätte ich nur das Säckchen mit der Knoblauchzehe umgebunden – mir schwante es ordentlich heute in der Frühe – Ihr würdet Wunderdinge erleben. Folgt meinem Rat, Exzellenza. Laßt uns heimkehren, und zwar so schnell als möglich. Wir stehen hier auf argem Boden.«
Ich sah mich nach der Silbergondel um; sie war mitsamt den beiden Gondolieren spurlos verschwunden, nicht anders, als ob sie die Brenta eingeschlungen hätte. Ich machte es Herrn Memmo bemerklich – er schalt mich einen abergläubischen Pinsel. Weil sich der Patrizier nicht zum Gebet verstehen mochte und immerfort, just wie verzaubert, durch das Gitter starrte, so begann ich denn leise mein Ave herzusagen. Mochte ich nun aber in der Bestürzung ein oder ein paar Worte ausgelassen haben, oder waren's recht ausgepichte Teufel, die hier ihr Unwesen trieben, und Gott und allen Heiligen ein Schnippchen schlugen – so viel war richtig, daß Schloß und Ringmauer ruhig stehen blieben.
Schwarze Cypressen schauten mit langen Hälsen über die Wand, und Feigenbäume streckten ihre Zweige wie verwunderlich gekrümmte Finger aus, just als ob sie nach uns Krallen und uns zu sich hineinzerren wollten. Glänzende Eidechsen schlüpften steil die Mauer hinan, sahen sich mit funkelnden Augen nach uns um und schwänzelten dann hurtig in den Garten. Sie mochten wohl rapportieren, daß wir noch wie behext draußen standen und nicht von der Stelle könnten. Auf dem Sims standen recht häßliche Fratzen von Marmelstein: bocksfüßige Heidengötter, die uns Gesichter schnitten, und kleine bucklige Zwerge mit dreieckigen Hütchen, Jäger, die aus vollen Pausbacken die Waldhörner bliesen, Damen mit Reifröcken und Pferdeköpfen, Urnen, um die sich Molche, Drachen und anderes giftiges Gewürm mit weit aufgesperrtem Rachen und roten spitzigen Zungen ringelte, und was nun dergleichen diabolisches Zeug mehr war. Zwischen den grinsenden Larven aber spazierte ein Pfau mit lang hintennach schleppendem Schweif ernsthaft auf und nieder, und ließ, widrig krächzend, seinen blauen Hals in der Sonne schillern.
»Wie nun in den Garten gelangen?« fragte Messer Orazio träumerisch vor sich hinstarrend. »Das Gitter wäre noch zu ersteigen, ein kecker Sprung, und – –«
»Wohin denkt Ihr, Erzellentissimo?« warnte ich. »Um der allerheiligsten Madonna willen, gebt diesen Vorsatz auf. Ihr setzt Euren Leib, Eure unsterbliche Seele aufs Spiel. Glaubt mir, Exzellenz«, der Teufel geht auf Erden umher wie ein brüllender Löwe, und suchet, wen er verschlinge.«
Meine Warnung klang in taube Ohren. Schon war Signor Orazio aus der Gondel gesprungen, hatte schon das Ruder an die Mauer gestemmt, um sich an ihm die Höhe zu schwingen, als das Gitterthor aufsprang, und ein ältlicher Mohr mit tiefer Verneigung und kreuzweis gefalteten Armen vor den Nobile trat; er überbrachte ihm die Einladung seiner Gebieterin, der Signora Smeralda, sie in ihrem Garten mit seinem Besuch beehren zu wollen. Vergebens hielt ich den blind und rasend Verliebten am schwarzseidenen Mantel zurück, vergeblich suchte ich, Unheil ahnend, mich von der Begleitung loszusagen. Der Patrizier stürmte durch die Pforte, zerrte mich ungestüm mit sich fort, wählend der alte Sklave als Wächter bei der Gondel zurückblieb.
Betäubende Duftwolken wogten uns aus allen Hecken und Büschen entgegen. Wunderliche, vordem noch nirgends erblickte Blumen, wie sie wohl sonst nur noch in den Gärten des Großmoguls oder des Priesters Johann wachsen mochten, nickten mit ihren schlanken Stengeln, und schienen uns durch Verneigung ihrer funkelnden Kronen begrüßen zu wollen. Buntfarbige Vögel flogen uns von Ast Zu Ast voran, zwitscherten, sangen und schrieen mit fast menschlicher Stimme, nicht anders, als ein lustiger, plauderhafter Mädchenchor durcheinander. Dann warf sich einmal wieder eine häßliche Meerkatze, mit dem Wickelschwanz an einen Ast geklammert, vom Baume herab, fletschte grinsend die Zähne gegen uns, und schnellte sich wieder in das Blätterdickicht zurück. Aus einem der Seitengänge kam ein purpurfarbener Storch gravitätisch, wie ein Haushofmeister, hervorgeschritten, verdrehte den langen Hals zum manierlichen Kompliment hin und her, scharrte mit den dürren Beinen hinten aus, und stapfte dann wacker als Führer vor uns her, wobei er sich immerfort nach uns umguckte, ob wir auch folgten. In einem der Marmorbecken stürzte ein steinerner Winzer das Faß um, und der helle Gischt, der dem Spund entströmte, sprudelte in das breite Gesicht des schlürfenden Buben; in einem andern blies ein Götzenbild, das in gewundenem Fischschwanz endete, aus der Muschel den hellen Strahl in die Luft, und die verstäubenden Tropfen strahlten von der Sonne beglänzt wie funkelnde Demanten und Rubinen. Weiße Tempel mit von Epheu umsponnenen Säulen blitzten aus den Hecken hervor. Alles, was uns die fremde Schöne im Liede aus der Gondel zugesungen, zeigte sich vor unseren Augen in wunderseltsamer Herrlichkeit. Auch der Padrone schien des Gesanges und dessen verlockender Verheißung zu gedenken, und summte den Schlußreim leise vor sich hin. Ich aber folgte wie ein Träumender, widerstrebend, und dennoch wie von einer unerklärlichen Zaubermacht vorwärts getrieben.
Da standen wir plötzlich vor einem mächtigen, fremdartigen Baum mit breiten, glänzenden Blättern und silberweißen, glockenartigen Blüten über und über behangen. Im Schatten seiner weit hinausgeschwungenen Äste aber lagen kostbare persische Teppiche und rotsamtene, mit Perlen gestickte Polster, und auf ihnen ruhte die schöne Heidenprinzessin anmutig hingestreckt, und hieß mit verführerischem Lächeln und dem Wink der blütenweißen Hand meinen Herrn willkommen. Der kleine Mohrenknabe stand ihr zu Häupten und fächelte mit breitem Wedel von weißen Pfauenfedern Kühlung zu. Der rote Storch aber, welcher bis jetzt vor uns hergezogen, spreizte die Beine weit aus, stieß den langen Schnabel vor sich in die Erde und erhob die Schwingen als Armlehnen zum Sessel für Herrn Orazio, der sich auch auf den Wink der Dame auf diesen fabelhaften Sitz niederließ.
Jetzt ließ Donna Smeralda sich von dem schwarzen Sklaven die Laute reichen. Anfänglich entzitterten nur leise lispelnde Töne dem Saitenspiel und verschwebten im Grün; dann schwollen die Laute, klangen immer voller und mächtiger; die Blätter des zauberischen Baums, unter welchem die schöne Hexe ruhte, wiegten langsam auf und nieder, und die Tulpenglocken schwangen sich nach der Tonweise leise hin und her. Je hellere Klänge aber den Goldsaiten entquollen, um so stürmischer schaukelten aber Blatt und Blüte an den Stengeln. Da sank eine der silberstrahlenden Glocken vom Zweige, entfaltete im Fallen die Blätter und flatterte als schneeweißes Vöglein in die Luft und um den Baum; eine zweite, eine dritte Tulpe rang sich los und verwandelte sich im Niedersinken. Bald rieselte es wie Blütenschnee von Wipfel und Ast, und jeder Blumenkelch ward zum gaukelnden, singenden, in Licht sprühenden Kreisen umherschwirrenden Vogel. Darauf begann die Prinzessin in das Spiel der Laute mit ihrem wundersüßen Gesang einzufallen, und alsbald senkte sich eins der Vöglein auf den Rasen, schüttelte die Schwingen, dehnte sich, wuchs zusehends in die Höhe, und die silbernen Federn wurden zu schillernden Gewändern, der Vogel zum allerliebsten Mägdlein. In wenigen Augenblicken waren die Übrigen gleichfalls aus der Luft herniedergestiegen, hatten die doppelte Umwandlung vollbracht, und ein Schwarm der niedlichsten Kinder schwebte in zierlichem Reigen um ihre Herrin, fiel mit lieblicher Stimme als Chor ein, verstummte, so wie die Fee schwieg, löste den Kreis und verschlüpfte traumgleich in den blühenden Hecken und Sträuchern.
Lautlos, im Anstarren der schönen Smeralda verloren, hatte Herr Orazio ihr gegenüber gesessen; regungslos hatte ich hinter seinem Vogel-Dreifuß gestanden – da trat der Mohrenknabe mit einem goldenen, künstlich gearbeiteten Becher voll dunkelen, rotschäumenden Weins auf meinen Herrn zu. »Trinkt nicht von jenem Höllengebräu, Signore!« flüsterte ich leise, und fühlte mich zu gleicher Zeit von den weißen Armen eines kleinen wunderlieblichen Hexchens, die mir einen ähnlichen Pokal darbot, umschlungen.
Meine erste Regung war, das allerliebste Teufelskind von mir zu stoßen, den Zaubertrank zu verschütten – aber da duftete der Wein so würzig, schaukelte so lockend innerhalb der goldenen Wände, leuchtete so hell und wunderschön. Die Augen des Elfchens glänzten so bittend, so lieb und schmachtend, ihre Ärmchen schlangen sich so zärtlich um meine Schultern – – ach, meine Kinder, der Geist ist wohl willig, aber das Fleisch ist schwach. Darum wachet und betet, daß Ihr nicht in Versuchung geratet. So Ihr dereinst zu Männern reift, unterliegt Ihr ohne allen Zweifel.
Nur ein einzig Mal nippen, dachte ich bei mir, nur die Zungenspitze naß machen – das wird doch den Hals nicht gleich kosten. Wissen muß ich doch, welche Sorte, welchen Jahrgang der Teufel in seinem Keller liegen hat. Und ich nippte, ich züngelte, schlürfte, ich sog, ich schluckte den Becher in mich hinein, rein und bis auf die Nagelprobe, ich fiel der niedlichen Besucherin um den Hals, sah nur noch, wie mein Herr vor der reizenden Smeralda auf den Knieen lag, und der rote Storch den Schnabel aus der Erde zog, die Flügel wieder zusammenklappte und ehrwürdig abtruppte – ich berührte die heißen Lippen der kleinen Elfe – mir vergingen im seligen Taumel die Sinne – – da stürzte der Negerknabe atemlos aus dem Gebüsch und schrie: »Rettet Euch! Rettet Euch! Alles ist verloren! Porporinazzo, unser allergnädigster Gebieter naht. Er wütet!«
Ach, die warnende Stimme ertönte zu spät; kaum war sie verhallt, als auch schon ein kurzes, kugelrundes, gleißendes Ungetüm, in der Form und Farbe eines dunkelroten Riesen-Apfels, durch den Gang und bis dicht vor Smeralda und ihren sie inbrünstig umschlingenden Amante rollte. Bei genauerer Betrachtung ließen sich zwar an den Extremitäten des Ungeheuers gewisse Andeutungen von Gliedmaßen, welche auf Kopf, Arme und Beine zu schließen berechtigten, entdecken, um aber aus den Grübchen, Höckerchen und einem schwarzen gekrümmten Strich am Nordpol dieses Globus, Mund, Augen, Nase und Schnauzbart herausfinden zu können, dazu war schon eine überaus regsame Einbildungskraft erforderlich.
»Ist dies der Dank, Schlange, für das Dir gezollte Vertrauen?« gurgelte Porporinazzo in dumpfen Kehllauten der schreckensbleichen Smeralda zu. »Ist dies der Lohn für meine treue, beständige Liebe? Du buhlst um die Gunst jenes ungläubigen Hundes, und mich, mich, den Don Porporinazzo, den grand maître de la garderobe des Sultans von Taprobana, läßt Du unerhört verschmachten? Und was seh' ich? Mein Tulpenbaum ohne Glocken – mein ganzer Serail in alle vier Winde! Ha, bei Mahoms heiliger Leibkatze, das schreit um blutige Rache! Sklaven herbei!«
Sechs Neger mit diabolischen Physiognomiken, mit entblößten Armen und Säbeln, stürzen aus den Hecken hervor, werfen sich auf Messer Orazio und mich und binden uns mit Stricken die Hände auf dem Rücken. Vergebens beruft Herr Memmo sich auf seine Unverletzlichkeit als Venetianischer Nobile, vergebens droht er mit dem Zorn des Dogen, des ganzen Senates, und der Rechenschaft, die dieser für den ungeheueren Frevel fordern würde. – »Er möge sie fordern!« erwidert hochmütig der Taprobaneser grand maître, winkt mit den Ärmchen – ein Blitz, ein Säbelzuck – und unsere beiden Häupter rollen auf die Erde.
Meine Schöne hatte sich längst hinter den grünen Koulissen der Myrtenhecken verkrümmelt, Signora Smeralda das stereotype Auskunftsmittel der Frauen in desperaten Lagen ergriffen – sie war in Ohnmacht gefallen, der Tyrann Porporinazzo aber zog sich, stolz auf seine blutige That, mit den Henkersknechten in den Palast zurück. Ich konnte alles sehen, denn mein Haupt war mit himmelwärts gerichteter Nase auf den Rasen gekollert; ein paar mal haschte ich mit zuckenden Armen danach, um es mir wieder fest auf den Rumpf zu stülpen – die Hände fingen aber nur leere Luft und sanken nach einigen vergeblichen Versuchen schlaff herab. Für meinen Zustand giebt es keine Worte; es kann ihn niemand ahnen, als wer sich in gleicher Lage mit mir befunden und seinen Körper in so unbilliger Entfernung vom Kopf gesehen hat. Derjenige, welcher sich in seinem Leben schon einmal ungeheuer betrank, aber auch ganz ungebührlich, hat nur eine ungefähre schwache Ahnung von der höchst fatalen Situation, in welcher ich mich befand.
Der kugelrunde grand maître de la garderobe hatte kaum den Rücken gewandt, als auch Smeralda aus ihrer Ohnmacht erwachte, in Thränenströme ausbrach, verzweiflungsvoll die Hände rang und ihr schönes blondes Haar ganz rücksichtslos ausraufte. Zu gleicher Zeit duckte auch meine feldflüchtige Geliebte wieder auf, hielt sich aber nicht lange bei hohlen Tröstungen und nichtssagenden Gemeinsprüchen auf, sondern drang hastig in ihre Herrin, die kostbaren Augenblicke nicht ungenützt verstreichen zu lassen. »Nur von der schleunigsten Hilfe,« rief sie, »ist allein Rettung zu hoffen. Ums Himmels willen, Signora, den Kopf behalten. Sendet nach einem Arzt, nach dem geschicktesten. Eilt! Mit jeder Sekunde erkaltet das Blut mehr und mehr. In fünf Minuten ist es schon zu spät. Der Wunderdoktor Bartolinetto von Padua wäre ganz der Mann, die locker gewordenen Köpfe wieder zu verlöten. Aber nur rasch, rasch!« – »Doch wie schaffen wir ihn in so kurzer Frist zur Stelle?« – Die Zofe wußte für alles Rat: »Schickt Don Flamingo als Kurier nach Padua. Auf seine Gewandtheit, auf seinen Diensteifer dürfen wir bauen.« – »Glücklicher Einfall, Libella,« erwiderte die Prinzessin, »rufe den Don.«
Das Elfchen klatschte dreimal in die Hände. Der rote Storch stolperte hastig heran, streckte lauschend den langen Hals aus, ließ sich ein paar Worte ins Ohr flüstern, nickte zum Zeichen, daß er den Auftrag wohl begriffen, und schwang sich dann krächzend in die Lüfte.
Vier Paar Augen starrten in bänglicher Erwartung gen Himmel. Eine furchtbare Pause, während welcher die beiden Frauen nicht zu atmen wagten, und wir Dekollierten es nicht vermochten, trat ein. Sie währte etwa so lange, als erforderlich, um ein Paternoster beten, oder, um weiche Eier sieden zu können, da rauschte es hoch in der Luft, und mit mächtigem Flügelschlag sauste der wackere Storch, den Doktor Bartolinetto wie ein Wickelpüppchen im Schnabel haltend, hernieder und setzte den Requirierten, ein kleines, hageres, schwarzbraunes Männchen, säuberlich und wohlbehalten, wenngleich ein wenig außer Atem, auf dem Rasen ab.
Ein flüchtiger Hinblick genügte, um den gelehrten Professor mit dem Stande der Sachen bekannt zu machen. Hastig griff er den beiden Kadavern nach dem Puls, fühlte, daß dieser noch schwach, wenn gleich intermittierend schlage, zog das berühmte Pulver Perlimpimpino, seine unsterbliche Erfindung, aus der Tasche, krempte die Rockärmel auf, zankte dazwischen immerfort, ohne sich im mindesten in seiner Geschäftigkeit stören zu lassen, auf das undelikate Verfahren, einen Professor legens so à l'improvistà mitten aus dem Collegio del Bo schleppen zu lassen, eine Vorlesung über Pathologie, Abschnitt III, von der Pathogenie, zum Entsetzen des versammelten Auditorii, mitten in der Periode gewaltsam zu unterbrechen, wehklagte über seine deraugierte Koiffüre, welche während des Sturmfluges total entpudert worden, packte dabei meinen Kopf bei der Nase, streute das Perlimpimpino-Pulver auf den zerhackten Hals, paßte ihn mit leichtem Schlage auf die defekte Stelle, griff nach Orazios Haupt, that ihm ein gleiches – wir niesten dreimal nachdrücklichst, sprangen munter von der Erde auf, schüttelten uns, niesten abermals – die Kur war vollbracht!
Begeistert fliegen die Frauen in unsere Arme; auf meiner Wange brennt der Kuß der wunderschönen Smeralda, Libella hält den Patrizier umschlungen – aber küssen, sich losreißen, entsetzt zurückprallen, hell aufschreien, sind eins. Entsetzlicher Mißgriff! Der Doktor hat sich in der Eile versehen, hat meinen Kopf auf Orazios Körper, den des Nobile auf den Rumpf des armen Gondoliers gepfropft. – Die Mädchen haben sich in zärtlicher Ekstase durch die Kleider irre fuhren lassen – allgemeines Erstarren.
Von der ersten Bestürzung zurückgekommen, gehen wir dem Professor wütend zu Leibe. Der Edelmann verheißt ihm zweihundert gewichtige Stockprügel, ich ihm den längsten Messerstich, der jemals unterhalb der kurzen Rippen versetzt wurde, wofern er uns nicht unverzüglich wieder austauschte und jedem das Seinige erstatte. Der geängstigte Bartolinetto zuckte die Achseln bis über die Ohren, fleht himmelhoch um Verzeihung, will uns mit dem Sophism: Kopf sei Kopf! beschwichtigen, aber weder Männer noch Frauen lassen seine Entschuldigung gelten – Smeralda heißt ihn einen jämmerlichen Charlatan, die Zofe droht ihm die Augen auszukratzen. Vergeblich schreit er über Undank – seine Klage wird übertönt, seine Forderung für Kurkosten mit Hohngelächter zurückgewiesen. Auf ein Zeichen Libellas packt der Storch Don Flamingo den Dottore beim Kragen, zwickt, zaust, schüttelt ihn hin und her, und fährt endlich mit dem kläglich Wimmernden ab und wieder nach Padua zurück.
Die Wut der Verwechselten wendete sich nunmehr gegen einander. Wilde Flüche, Verwünschungen, Drohungen jagen sich – sie wären in thätliche Feindseligkeiten ausgeartet, wenn nicht jeder Rücksicht auf seinen verborgten Leib genommen und befürchtet hätte, sich selber im Feinde abzuprügeln. Wer ist jetzt Orazio, wer Antonello? Wer Edelmann, wer Gondelführer? Mein Kopf beruft sich auf den nobilitierten Kadaver, als die größere Halbscheid, und behauptet, der Bau der Schiffe entscheide allein über ihren Namen, die aufgehißte Flagge aber sei nur unwesentliches Beiwerk. Ein Austernkahn bleibe Austernkahn, und wenn auch zehn Admirals-Flaggen von seinem Hinterdeck flatterten. Mein Gegner vergleicht sich dagegen mit einer Säule, bei welcher lediglich das Kapital entscheide, zu welcher Ordnung sie zu zählen sei; das seinige aber sei unläugbar ein adliges Korinthisches, folglich auch das Ganze ein solches. Die Schönen sollen den Streit schlichten – sie sind selber verwirrt, finden bei dem Gezänk ihre Rechnung nicht, und erteilen uns den Rat, vorläufig nach Venedig zurückzukehren, um dort den Zwiespalt vor Gericht ausgleichen zu lassen.
Wir nehmen einen ziemlich kühlen Abschied und treten hadernd und grollend den Heimweg an. Vorher haben meine Finger, entweder von der Intelligenz des dirigierenden Memmoschen Hauptes, oder vom alten Antonelloschen Instinkt geleitet, den Rest des Pulvers Perlimpimpino, welcher dem im Storchschnabel zappelnden Doktor entglitt, eingesackt. Antonello-Orazio, oder der bürgerliche Kopf auf dem adligen Rumpf, wirft sich faul und vornehm auf die Kissen der Gondel und kommandiert dem Orazio-Antonello gebieterisch, zurück zu rudern. Zähneknirschend muß der Patrizier gehorchen, denn seine plebejen Arme verstehen allein das Ruder zu schwingen, das Ruder zu lenken – er schwört aber, diesen Schimpf blutig zu rächen, und die mit roter Gondoliermütze bedeckte Exzellenza verhöhnt auf den Polstern den mit adligem Federhut und Perücke stolzierenden, keuchenden, schwitzenden Barcarol.
Wir landen an der Piazzetta. Nachlässig ziehe ich die Börse, die ich in meinen neuen Kleidern vorfinde, und werfe dem Ruderer eine Zechine zu. »Gieb mir mein Geld wieder!« schreit der Undankbare, »gieb mir meine Ringe, meine Uhr, meinen Kopf!«
»Ehrfurcht, elender Sklave, vor dem Seidenmantel des Nobile! Erfrechst Du Dich, Hand an meine geheiligte Person zu legen? Zur Hilfe, zur Hilfe gegen den spitzbübischen Barcarol!« schreit auch er. –
Zahllose Haufen von Gaffern versammeln sich im Nu. Jeder nimmt für einen oder den andern Partei, die Mehrzahl für das stadtkundige Edelmanns – Gesicht. Der Doge spaziert just den Säulengang des Palastes auf und nieder, hört den Skandal und sendet den Messer-Grande mit seinen Sbirren ab. Wir werden arretiert, in die mittleren Kerker der Inquisition, in die Quadri, abgeführt, und schon an demselben Abende vor Gericht gestellt.
Der Staats-Prokurator beschuldigt uns nicht nur der schwarzen Magie, er erhebt auch gegen uns noch außerdem die gravierendere Klage als Störer der öffentlichen Ordnung, als Verschworene gegen die Sicherheit des Staats. »Wohin soll es mit uns kommen,« fragt er »wenn Senatoren und Patrizier anfangen, ihre Schädel so oft wie Perücken zu wechseln, wenn sie sich nicht entblöden, mit roten Schiffertappen bedeckte von der Hefe des Pöbels zu leihen? Den Kopf verlieren ist menschlich. Die Geschichte der erlauchten Republik ist nicht arm an Beispielen, daß Senatoren und Feldherren, ja sogar Dogen selber dieses Unglück betroffen – einen fremden Kopf aber, einen gemeinen, dagegen wieder aufzusetzen, ist unerhört. Welches unabsehbare Verderben erwächst nicht unserer Verfassung von dem Augenblick an, wo adliges und bürgerliches Blut sich in einem Kadaver vermischt! Welcher Wirrwarr von aristokratischen und demokratischen Grundsätzen in einem und demselben Leibe? Wo bleibt dann die eiserne Konsequenz, mit welcher wir ein volles Jahrtausend hindurch unbeweglich auf einem Flecke stehen blieben! Der Staat ist bedroht, die Republik sinkt in Trümmer, wenn wir uns im vorliegenden Falle von unzeitiger Milde leiten lassen, wenn wir den furchtbaren Krebsschaden nicht im Entstehen ausbannen. Ich stimme für den Tod beider Verbrecher, für die Enthauptung der Wechselbälge.«
Zehn schwarze Kugeln, welche in den Beutel rollten, bezeugten dem Redner, daß das Gewicht seiner Gründe von seiten des Tribunals erkannt worden, daß seine Beredsamkeit eine kopfabschlagende sei.
Der Sekretär der Inquisition verkündigte uns das Urteil: um Mitternacht sollten wir die Faselei des Paduaners mit dem Leben büßen. Welchen Sterblichen hat jemals ein dem unsrigen gleiches Mißgeschick betroffen? Wer kann sich rühmen, gleich uns im Zeitraum von vierundzwanzig Stunden zweimal geköpft worden zu sein?
Der Kerkermeister Salvadore war mir von altersher befreundet. Ich hatte ihm in früheren Zeiten ein Kind aus der Taufe gehoben, und wir hatten jederzeit getreulich und als gute Gevattersleute zusammengehalten. Mein unerhörtes Pech rührte ihn zu Thränen, er versuchte, mich zu trösten, so gut es gehen wollte, schwur mir hoch und teuer zu: der Schmerz beim Köpfen sei nicht der Rede wert, eine Art von Elektrisieren, ein pikanter Kitzel, nichts weiter – wie's that, wußte ich besser als er – die heiligen Sakramente, fügte er hinzu, würden mir vor dem Tode in der Kapelle der Quadri gereicht werden, er wolle aus seiner eigenen Tasche sechs Messen für meine Seele lesen lassen. Ich schüttelte nur traurig den Kopf und weinte leise vor mich bin. Da durchzuckte es wie ein Blitz meine Seele. »Gevatter,« rief ich, »bei den heiligen Banden, die uns verketten, beschwöre ich Dich, rette mich, rette den Mobile! Nimm hier die volle Börse als Aufgeld. Herr Memmo ist splendid, er zahlt Dir das doppelte, das vierfache nach – jetzt aber eile zu ihm, mahne ihn an den eingesteckten Rest Perlimpimpino und laß Dir die Gebrauchsanweisung mitteilen. Vollführst Du alles genau, so sind wir noch einmal durch.« – Salvadore wog den schweren Beutel, schüttelte ungläubig den Kopf, drückte mir schluchzend die Hand und ging.
Schwerfällig wälzten die Minuten sich hin. Ich versuchte den Rosenkranz abzubeten und brachte es in meiner Herzensbeklemmung nicht über drei Kugeln. Bängliche Zweifel, ob das Pulver seine wunderthätige Kraft auch in Abwesenheit des Dottore äußern werde, ob dessen geheimnisvolle Sprüche nicht die Hauptsache bei dem Hokuspokus, ob der Gevatter auch die erforderliche Geschwindigkeit und Akkuratesse beobachten werde, stürmten mir wild durch den Kopf. Die Lampe, welche mein niedriges Gewölbe erleuchtete, brannte so finster und verdrießlich vor sich hin, als warte sie ungeduldig, bis ich erst expediert sei, um gleichfalls einschlafen zu dürfen. Ich buchstabierte die zahllosen Inschriften und Klagen meiner Vorgänger an den Wänden – eine trübselige Lektüre. Verzweifelnd warf ich mich auf den Marmorblock, das Lager der Eingekerkerten, und schloß die Augen – aber der Strahl des unseligen Beils blitzte durch die festgekniffenen Wimpern. Da pochte der Gefängniswärter an die Thür: »Wach' auf, Antonello, der Priester wartet! Laß Dich erst ein einziges Mal köpfen, Gevatter, nachher schlaf' aus nach Gefallen.«
Die Erinnerung an Beichte und Absolution, an Henkersknecht und den gräulichen Block hat die entsetzliche Todesangst spurlos aus meiner Gedächtnistafel verwischt. Ich weiß nur, daß ich heftig nieste, die Augen aufschlug, mich in meinem gewöhnlichen Kostüm um Säulenfuß im Schatten des heiligen Teodoro liegend wiederfand, daß ich zu meinen Füßen den Patrizier Orazio Memmo stehen sah, daß ich seinen Zuruf: »Heda, Antonello, auf! Eine Stunde auf dem Kanal grande!« vernahm.
»Exzellenz«! Und Ihr verlangt noch einmal nach dem Zaubergarten des Don Porporinazzo? Und wir sind beide am Leben und auf freien Füßen? Und die Konfusion mit unseren Köpfen ist glücklich beseitigt?«– Der Mobile maß mich mit großen Augen, schüttelte anscheinend verwundert den Kopf, that, als ob er nichts begreifen könne und fragte barsch: ob ich noch träume, oder ob der wohlfeile Vincentiner mein Gehirn umnebele? – Kleinlaut löste ich die Kette, stieß ab und ruderte den Edelmann auf und nieder. Keine rot- und silbergestreifte Gondel ließ sich weit und breit spüren, Herr Orazio verschlief mit einer mir unerklärlichen Seelenruhe die bedungene Stunde. Ich landete, weckte ihn, beschwor ihn leise, flüsternd noch einmal, mir zu sagen, ob wir auch wirklich fortan keine Verfolgungen von seiten des Tribunals zu befürchten hätten? Ob er nicht ein Paar Messerspitzen des Pulvers Perlimpimpino für etwaige Fälle gerettet habe? – Der Illustrissimo beharrte dabei, sich fremd zu stellen, hieß mich einen Narren, und ich begriff nunmehr, daß ihm von seiten der Inquisition ein eisernes Stillschweigen über das Vergangene auferlegt worden sei, daß er absichtlich Unwissenheit heuchle, und von dem ärgerlichen Kopftausch nichts weiter wissen wolle. So drängte ich denn jede Frage in meine Brust zurück, bezwang meine Neugier, erwähnte ferner weder gegen den Nobile noch gegen eine andere Christenseele des Abenteuers mit einer Silbe, und Ihr, meine Kinder, seid die ersten, welchen ich es auf dem Totenbette unter dem Siegel des Eides anvertraue. Wenn ich seit jener Stunde nicht an meinem rauhen Halse, an einem empfindlichen Jucken in der Gegend der doppelten Wunde, zumal beim Wechsel der Witterung, laboriert hätte, – ich würde vielleicht selber die ganze Geschichte für einen wüsten Traum halten – so aber läßt sich nicht füglich daran zweifeln und die Wahrheit derselben ist mir nur allzu einleuchtend geworden.
Mit diesen Worten schloß mein Vater seine Erzählung: sie hatte seine ohnehin schon erschöpften Kräfte vollends aufgerieben. Schleunigst sandten wir nach dem Pfarrer von San Moise. Er erschien mit dem heiligen Viatikum, hielt eine wundervolle Rede, bei welcher wir sämtlich in Thränen zerflossen, und salbte die Stirn des Sterbenden, der auch bald darauf seinen letzten Seufzer verhauchte. Friede sei mit der Seele des Redlichen!