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VII.

Der Deutsche in Trastevere.

Eberhard an Otto.

24. November.

Ich schließe diesen in Perugia begonnenen Brief in Rom, – – Eine halbstündige Frist verstrich seit jener ersten Zeile. Der Gedanke, von Rom aus zu schreiben, überwältigte mich. Ich warf die Feder weg, riß das Fenster auf und sang in die Nacht hinaus, Otto, erinnerst Du Dich denn noch recht lebhaft unserer Piraneseabende, jener winterlichen, an denen es uns gelungen war, Deinen Vater zum Vorzeigen seiner piranesischen Beduten zu beschwatzen? Weißt Du noch, wie ängstlich wir Knaben hinter ihm drein zitterten, wenn er den riesigen, in Maroquin gebundenen Folianten ans dem Bücherschrank hob, den Staub von der Vergoldung blies, das Heiligtum feierlich aufklappte und langsam Blatt für Blatt umschlug. Kannst Du Dir die heilige Ehrfurcht noch vergegenwärtigen, mit welcher wir die Platten betrachteten, die Trümmer der ewigen Roma, ihre Kirchen und Fontänen, die mit sechs Rossen bespannten Staatskarossen, vor welchen der Läufer einhertrabt und die Herren mit langen Allongeperücken sich demütig verneigen, und wie wir die Unterschriften, welche uns der Papa mit würdevoller Stimme vordeklamierte voll heimlichen Entzückens nachsummten und uns an den Namensklängen: Fontana di Trevi, Palazzo Rospigliosi, Arco di Settimio Severo, berauschten; wie uns Dein Vater, der alle die Herrlichkeiten mit eigenen Augen geschaut, als ein Wesen höherer Gattung erschien, und wie ich Euern Buchhalter, seitdem er einmal so gleichgiltig von Florenz und Rom wie von Bruchsal und Rastatt gesprochen, tötlich verabscheute? So dachte, so fühlte der Knabe; die Aureole, welche sein Auge entzückt hatte, blendete das des Jünglings, seitdem er sich der Kunst zuwandte. Rom, Rom, ward sein Feldgeschrei, das alleinige Ziel seines Träumens. – Ich muß nur kurz abbrechen, sonst gerate ich auf den besten Weg, zu radotieren, wie Du es nennst, und unsern wechselseitigen Kontrakt zu brechen, kraft dessen ich mich anheischig machte, Dich in meinen Briefen mit den Dir im Grund der Seele verhaßten Exklamationen zu verschonen, und Du mich in den Deinigen mit den noch weit odiöseren Ermahnungen und guten Lehren. Aber das Mittel, um den wild brausenden Strom sein säuberlich und geräuschlos abzuleiten! – Mein Herz ist zu voll. Ich bin von meinem neuen Glück wie berauscht; wie soll ich da viel Vernünftiges schreiben? – – So eben verläßt mich der Kameriere, nachdem er mir die schlanke, vierflammige Messinglampe mit ihrem zierlichen Kettenbehänge auf den Tisch gesetzt und mir die felicissima notte gewünscht hat. Ich hätte dem Kerl, trotz seiner häßlichen Zipfelmütze, um den Hals fallen mögen, so entzückte mich sein Abendgruß; er sagte mir ja: ich sei in Rom! Du brummst, ich sei ein Narr – hast vielleicht recht, Otto, Ich aber danke dem Himmel, daß ich ein solcher Narr sein kann, und gedenk's auch, so Gott will, zu bleiben. Du nennst es Narrheit, ich anders – um Worte wollen wir uns nicht streiten.

Ich hatte mir meinen Einzug in Rom so herrlich ausgemalt, sah mich im Geist von der Höhe bei Baccano herniederrollen und den Vetturin nach dem Horizont weisen, hörte ihn das elektrische: Ecco Roma! rufen, sah die in der Morgensonne glühende Peterskuppel auftauchen und alle die mir im Bilde längst schon bekannten Tempel, sah mich rasch an den alten Meilensteinen vorüberfliegen, über mir den göttlichblauen, wolkenlosen Himmel, vor mir das in Sonnenglanz gebadete Rom – das war nun so ein Jugendtraum. Du weißt am besten, wie ich nicht zu den vom Glück am meisten begünstigten Sonntagskindern gehöre, und daß der Teufel eine spezielle Aufmerksamkeit besitzt, auf alle meine Unternehmungen hurtig den Schwanz zu legen. Nachdem seine Kunstgriffe, mir die Römerfahrt zu vereiteln, erschöpft waren, that er wenigstens sein Möglichstes, um meinen Triumphzug zu verkümmern.

Frühzeitig brachen wir von Civita-Castellana auf. Es war noch dunkel. Der Regen sprühte sein und schaurig hernieder und ein kalter Wind schnob durch die öden, nur spärlich von den flackernden Lampen der Madonnenbilder erleuchteten Gassen. Dann und wann erhob ein Hund sein klagendes Geheul auf der Schwelle, oder die Rosse schüttelten klirrend ihr Schellengeläut; in der Stadt aber regte sich niemand. Der Vetturin spähte ungeduldig durch die Nacht, denn er erwartete noch zwei Reisende nach Rom, einen geistlichen Herrn und eine Donna, murmelte dann eine halblaute Verwünschung über die Säumigen in den Bart und umwickelte seine Schenkel mit zottigen Ziegenfellen gegen den Regen. Endlich flog ein Laternenschimmer über das nasse, glänzende Pflaster; die Erwarteten erschienen. Der Abbate Pflanzte sich ohne Umstände auf meinen Sitz im Fond; ich war nur froh, daß es endlich vom Flecke gehe und nahm zur Seite der Donna den Rücksitz ein. – Als wir Monterosi erreichten, dämmerte es. Von den Scheiben der Kutschfenster rann perlend der Regen; der Nebel ließ kaum zehn Schritt weit sehen; der Vetturin vermaledeite Pferde, Weg, Reise und Reisende – es war eine melancholische Fahrt. Mir gegenüber saß eine Reisemütze und Patentregenmantel; dahinter mochte wohl der Engländer stecken, mit welchem ich von Florenz gereist war. Ich hatte auf der ganzen Tour nur die Worte: sporcheria, coglioneria, und seccatura von ihm gehört; heute verstummten auch diese. Die Italienerin hatte sich fest in ihr Tuch gewickelt und schlief. Der Priester zog bei Anbruch des Tages das Brevier hervor und las, leise murmelnd, die Morgengebete. Endlich senkte er das schwarze Büchlein wieder in die Tasche und begann die Konversation, fragte, ob ich in Rom schon bekannt, ob ich Künstler sei und woher des Landes. Die neugierigen, zudringlichen Fragen drängten sich rasch aufeinander. Bald wollte er wissen, ob's bei uns zu Lande kalt sei, bald, ob ich mich zur alleinseligmachenden Kirche bekenne, und als ich ihm letzteres bejahte, ob ich auch keine der neuern ketzerischen Ansichten teile. Es war einer von jenen zähen Fragern, die weder Schweigen, noch mürrische Antworten von der Fährte abbringen; eine widerwärtige Physiognomie, kleine, bewegliche, pfiffigschlaue Augen, sinnlich-lüsterne Lippen, schlaffhängende Wangen: mir versetzte die fatale Erscheinung die Luft. So kamen wir nach Baccano. Ich ließ ein Fenster herunter, ob ich Rom sehen möchte; eine lange dürre Kralle streckte sich aus dem Patentregenmantel und zog die Scheibe wieder herauf. Die junge Italienerin neigte ihr schlafendes Haupt auf meine Schulter. Das Tuch, welches sie bisher verhüllt hatte, glitt hernieder. Zum erstenmale schaute ich ihr unverschleiertes Antlitz – ein herrlicher Kopf, Der runde Strahlenkamm schien nur mühsam das schwarze glänzende Haar zusammenhalten zu können. Die langen dunkeln Wimpern, die steilrechte Nase, die scharfgeschnittenen, entgegenblühenden Lippen, der bräunliche Teint verkündeten die Römerin. Der mir aus Bildern sattsam bekannten Tracht zufolge mochte sie ein Bürgermädchen sein. Die Art, wie das Halstuch vorn in das Mieder gesteckt und auf dem Nacken in zwei Schleifen gebunden war, die Korallenschnüre und schweren Goldohrringe sprachen für die Minentin. Sie senkte mehr und mehr ihr Köpfchen; bald ruhte es auf meiner Brust, ich konnte mich nicht rühren. Ich wollte mir die lieblichen Züge recht einprägen, um sie dereinst im Bilde wieder gestalten zu können; da störte mich aber der Priester wieder mit seinen Kreuz- und Querfragen, und fing, als diese nicht mehr verfangen wollten, an, mir die Namen der mächtigen Trümmer, an denen wir vorübeifuhren, aufzuzählen: jetzt das Kastell Isola Farnese, das auf den Ruinen des alten Veji erbaut sein soll, dann wieder der Turm delle Cornacchi, das sogenannte Grabmal des Nero; ein jeder Klang durchzuckte mich wie ein elektrischer Schlag. Am liebsten hätte ich aufspringen mögen, und durfte es doch nicht, um nicht das schöne schlafende Kind zu stören; und dann fühlte ich wieder das leise Atmen ihres Busens – ich hätte die süße Last um keinen Anblick in der Welt hingegeben.

Wir rollten über Ponte Molle, Das Mädchen erwachte von dem Gerassel der Räder auf dem Brückenbogen, rieb sich erstaunt die verschlafenen Augen, sah mich fragend an und wurde rot. Bald aber war alle Verlegenheit verweht; sie klatschte in die Händchen vor Freude, daß sie wieder den Tiber sehe und nun gleich in dem herrlichen Rom sei, fing an, dem Priester eifrig eine Geschichte zu erzählen, brach ab, kramte hastig in ihrem Leinwandbündelchen, zog den kleinen Spiegel hervor, fing eine neue Geschichte an und lachte wieder hell dazwischen; da war mit einemmale Lust und Leben in unserer Vettura. Sogar der Engländer schien von der hellen, klaren Stimme aus seinem Winterschlaf geweckt worden zu sein und schob aus der Mantelspalte ein ewig langes Kinn hervor. Das Mädchen hatte die schönsten Augen von der Welt, so fein geschnitten, so tief und zärtlich glühend, und doch war das Feuer durch einen feuchten Schimmer gesanftigt.

So kam ich, als die Dämmerung schon eingebrochen war, nach Rom, ich wußte selber nicht wie. Das abscheuliche Wetter dauerte noch immer fort. Der Wagen hielt vor dem, zum Zollhause entwürdigten, herrlichen Tempel del Antonin. Auf der Piazza di Pietra flackerte ein Strohfeuer, durch welches die Buben lustig sprangen, und bei seinem roten Schimmer stiegen die alten Marmorsäulen wie Riesengeister aus der Erde herauf. Da war aber nicht Zeit zum Schauen und Staunen; der ganze Plunder der Reisefatalitäten stürzte auf mich ein; Felleisen mußten abgepackt und aufgeschnallt, heißhungrige Zollbeamte beschwichtigt, Lastträger gedungen, Bettler abgefertigt werden. Ich sah mich nach meinen Reisegefährten um – sie waren in dem Gedränge verschwunden, nur der lange Engländer ragte noch wie ein Leuchtturm aus einem Troß zudringlicher Lumpe hervor und deklamierte ihnen näselnd seine drei inhaltsschweren Worte: » seccatuira, coglioneria und sporcheria vor.

Erst als ich wieder auf meinem Zimmer allein war, glaubte ich aus dem wirren Traum zu erwachen. Ich fand mich fast verwundert an dem vierundzwanzig Jahre lang erstrebten Ziel. Das heute Erlebte war so himmelweit von dem Erträumten verschieden, daß ich wie irre an seiner Wahrheit wurde. Ich mußte mir wieder und immer wieder vorsagen, daß ich wirklich in Rom sei, ums so recht zu glauben. Dann aber brach auch der Jubel um so unaufhaltsamer aus. Was hätte ich darum gegeben, Dich oder eine andere liebe Seele hier zu haben! Ihr aber, Ihr armen Menschenkinder, Ihr sitzt fröstelnd in Eurem nebligen Deutschland hinterm geheizten Ofen, Ihr steckt im November tief, tief im Winter – und ich, ich bin in dem göttlichen Rom. Eine sommermilde Luft zieht durch das geöffnete Fenster, die Wolken haben sich verzogen, einzelne Steine blinken am Himmel – da halte ein anderer im Zimmer aus.

Es ist fünf Uhr in der Nacht nach italienischer Zeitrechnung, zehn nach der unsrigen. Ich bin von meinem Ausflug zurückgekehrt. Ich irrte ein paar Straßen aufs Ungewisse hin auf und ab. Vor den Madonnenbildern an den Häusern brannten zu Ehren der Adventszeit doppelte Reihen Kerzen, flimmerten neue Sträuße von buntem Papier und Flittergolds Ich kam an einem großen Palast vorüber, Karossen mit Windlichtern rasselten donnernd durch den Säulengang des Hofes, in welchem der Flußgott seine Urne in das Marmorbecken schüttete. Ein verhülltes Weib lehnte sich in den dunkelsten Winkel und sprach kaum hörbar die Vorübergehenden um ein Almosen an. Ich warf mich in eine Seitengasse, unstät, führerlos. Die Straße ging bergauf, bergab. Durch die offnen Thüren sah ich das Volk um den Herd sitzen, die kräftigen Männer mit den aufgekrempten spitzen Hüten und dem bunten, gezipfelten Schnupftuch im Nacken, die Frauen mit der Silbernadel in den Haaren. Die schilfumflochtene Flasche stand auf dem Tisch, der dampfende Kessel übel dem Feuer. Lautes Gelächter schallte aus den Osterien, dann und wann rauschten Mandolinenklänge dazwischen und das Ritornell verhallte aus der Ferne, Da hörten die Häuser und Laternen auf; ich hielt auf einem weiten, nachtschwarzen Platze. Einzelne Säulen ragten in die Luft, ein riesiger Bogen tauchte aus dem Schutt auf – ich stand auf dem alten Forum, ich wandelte auf der heiligen Straße. Mir fiel eine Felsenlast von der Brust. Ich muß Dir's nur gestehen, Otto, während ich Dir schrieb, überfiel mich eine tötliche Angst, ich könne doch wohl noch plötzlich aus Rom gerissen werden, ohne auch nur das mindeste von seiner alten Herrlichkeit geschaut zu haben. Es war wohl recht kindisch, aber darum nicht minder wahr; schleppen die Menschen doch alle einen oder den andern Milchzahn mit ins Grab. Nun aber war ich beruhigt und stillselig. Es war der Momente einer, wie sie im ganzen Leben, der Aloe gleich, nur einmal aufblühen, nie wieder. – Das Forum war leer und verödet; der Wind strich durch die dürren Zweige der Ulmen, welche jetzt die via sacra einfassen, und jagte das Gewölk von Stern zu Stern. Von einem nahen Klosterturm schallte die Sterbeglocke in feierlichen, gemessenen Pausen, und von der einsamen, unter dein Bogen des Friedenstempels glimmenden Lampe herüber der monotone Zahlenruf der Morraspieler. Ich durchschritt den Triumphbogen des Titus, die Wölbungen des Coliseo – ein päpstlicher Soldat trat mir mit gefälltem Bajonett entgegen und wehrte den Eintritt. Er ist des Raubgesindels wegen nur bei Mondschein gestattet. Mir entschlüpfte ein halblauter Ruf des Unmuts. Der Soldat lies das Gewehr sinken und rief im echtesten sächsischen Dialekt: ›Ei, du mein Herr Jesus, da sind wir ja Landsleute!« Er sei aus Jena gebürtig, erzählte er, und betrübter Zustände halber, wie er's nannte, gezwungen worden, sich bei den Päpstlichen anwerben zu lassen; er hab's aber längst satt und ziehe, sobald die Kapitulation um sei, nach der Heimat. Bald darauf kam die Ablösung. Seine Wachtzeit war abgelaufen, er durfte nach Hause gehen und bot sich mir zum Begleiter an. Sein Gespräch war eine fortwährende Klage, wie das Volk so boshaft, wie aller Wein verfälscht, gutes Bier aber nirgends zu haben sei; da lobe er noch sein Jena. Es war mir eine tragiskurile Empfindung, die deutsche Vetter-Michelnatur ihren kleinen, gemeinen Jammer unter den Trümmern des ewigen Roms auseinander zerren zu hören.

2. Dezember

Ich bin jetzt acht Tage in Rom; seine Größe erdrückt mich, Oft verzweifle ich, daß ich je zu stande kommen könne, die gewaltigen Eindrücke zu beherrschen, mich nicht von ihnen fortreißen lassen zu müssen. Was hab' ich nicht alles schon gesehen, und doch wie wenig im Vergleich zum Ganzen! Da gehe ich mit dem festen Vorsatz aus, den Vatikan oder sonst eine Galerie zu besuchen, schlage die erste beste Querstraße ein und werde gleich beim ersten Schritt gefesselt und kann nicht von der Stelle; bleibe hier vor einer Fontäne, dort vor einem zierlichen Fensterbogen, dort an einem alten eingemauerten Kapitäl kleben, Ein Menschenleben ist zu kurz, um all das Schöne zu sehen. Es ist der Schmerz der Lust, den ich in dieser Überfülle empfinde. – Du hättest Dir gewiß am ersten Tage schon den Plan der Stadt gekauft und den Nibby, und nun hübsch systematisch Deine Wanderungen nach Tagen oder Regionen eingeteilt; ich kann einmal von meinem unmethodischen Kometengang nicht lassen. Wir wollen sehen, wie weit ich's in meiner alten Art bringe. Am Ende müssen sich doch die einzelnen Mosaikstifte zu einem Ganzen runden. Ich mag niemanden fragen, wie die Paläste, die Kirchen heißen, ob jener Springquell nach Berninis Zeichnung gebaut, jenes Fresko von Baldassare da Siena gemalt sei – genug, wenn's nur schön ist. Und nun vollends ein steifleinenes Handbuch für Reisende in Italien aufschlagen, um einen tüdesken Kompilator auf seinem lahmen Verzückungsgalopp zu folgen, der Frau Base klugen Rat bei der Wahl des Kaffeehauses und Lohnbedienten voll Pietät einzuholen – verfluchte Zumutung! Nein, Otto, endlich bin ich frei, frei wie der Vogel in der Luft, und meine Freiheit will ich eifersüchtig bewahren; weder ein lebender noch ein löschpapierner Vormund sollen sie mir verkümmern. Ich stehe hier völlig isoliert; so ist's mir aber eben recht, und wenn ich früher schon dem Bekanntschaftmachen aus dem Wege ging, so verabscheue ich es hier vollends. Alle die schönen Empfehlungsbriefe, mit denen Ihr meine Brieftasche so ungebührlich ausgestopft habt, schlummern ruhig auf dem tiefsten Boden meines Koffers. Was sollen mir diese Menschen mit ihren Anweisungen und Predigten? Da lehren sie mich vom Ufer aus, wie ich's machen müsse, um das großmächtige Kunstmeer Rom zu durchschwimmen: ich solle vor allem Kopf und Brust hübsch hochhalten, kräftig rudern; und wenn ich versinke, werden sie's hindern? Noch war ich weder beim Gesandten, noch beim Bankier. Unsere Landsleute Streit und Vollmar sind gegenwärtig in Neapel. Desto besser; wenn sie zurückkommen, bin ich hier schon heimisch und kann ihre Leitung um so eher entbehren, Ein- oder zweimal war ich in den Kaffeehäusern und Trattorien, in denen die Künstler sich versammeln, aber nur, um hier, wie anderswo die alte Litanei zu hören. Da leben sie sinn- und gedankenlos in den Tag hinein, kauen an den in der Heimat eingestopften Lehren vom Akademiedirektor wie an einem Stücke Schuhwachs, suchen sich auf das geschwindeste irgend einen dreihundert Jahre alten Hahn aus, in dessen Manier zu krähen und die Flügel zu schlagen ihnen just am bequemsten däucht, glauben den Meister schon erreicht, wenn sie nur erst den Schnitt seines Barts weghaben, beißen sich an der Nußschale Technik die Augenzähne aus, ohne jemals den Kern Poesie zu erreichen, schlagen einander mit glatten Schmeicheleien ins Gesicht, um sich nachher hinter dem Rücken recht christlich herunterzureißen – allüberall die kleinliche Handwerksmisere. Gestern begegnete ich einem ganz braven Jungen, mit dem ich mich in München ein paarmal gekreuzt hatte; er kam vor drei Tagen nach Rom, ist bereits überall gewesen, hat alles, sage alles gesehen, und sich heute ein Studium gemietet. Morgen fängt er an zu arbeiten. Mich überlief's, als ich ihn dies alles so glattweg und mit der zufriedensten Miene von der Welt erzählen hörte. Wenn Ihr gehofft habt, auf der nächsten Ausstellung mit einem Bilde von mir groß zu thun, und der Welt die immensen Progresse. die das liebe Kindlein in Rom gemacht habe, vorrechnen zu können, so habt Ihr gewaltig fehlgeschossen. Ich kann die Zeit noch nicht absehen, wo ich an die Staffelei gehen werde. Alles, was ich bisher gemacht und geträumt habe, scheint mir so flach, so kleinlich. Spräche nicht das Entzücken, mit welchem das Auge in all der Herrlichkeit schwelgt, für den Künstler, ich würde noch an meinem Beruf irre.

7. Dezember.

Wir haben das herrlichste Wetter von der Welt. Die Fenster bleiben den Tag über geöffnet und eine wahre Frühlingsluft weht von außen ins Zimmer. Die ewig fröstelnden Italienerinnen freilich wärmen ihre Händchen schon über dem unzertrennlichen Aschentopf, und bei jeder Schildwacht glimmt abendlich ein gewaltiges Kohlenbecken, auf daß altrömische Tapferkeit nicht rettungslos erstarre. Aber das geht hier alles nach althergebrachter Weise. Der Kalender verkündet Adventzeit, und da muß man einmal frieren und den Scaldino hervorsuchen. Mit Advent steigen auch die Pifferari von den Abruzzen und blasen den Winter ein: es sind die Hirten, welche das Jesuskind anbeten und durch die Straßen von einem Madonnenbild zum andern ziehen – die feierlichste, rührendste Adoration, die Du Dir denken magst. Da stehen die schwarzlockigen, sonnenbraunen Bursche in ihren langen, blauen Mänteln, mit Jacken von rauhen Schaffellen und Sandalen an den Füßen, gegen die Mauer gelehnt: der spitze Hut liegt auf der Erde; der eine bläst den schnarrenden Dudelsack, ein zweiter die Schalmei, der dritte singt einen Vers dazwischen. Die Melodie ist einfach, herzlich. – Mir treten die Thränen ins Auge, wenn ich so ein Paar vor einem verblaßten Marienbild in einer wüsten Gegend der Stadt einsam stehen und spielen und die dunkeln Augen so inbrünstig nach der himmlischen Helferin aufschlagen sehe – da ist doch noch wahre Andacht,

Seit Wochenfrist treibe ich mich in dem alten, verlassenen Rom zwischen den Weinbergen umher und schlendere bald hier, bald dort durch die einsamen Gänge. Bei jedem Schritt stoße ich auf etwas Neues und Herrliches. Hier ragt eine Cypresse oder ein Orangenbaum mit goldgelben Früchten, dort ein verwitterter Bogen über die Mauer; dann kommt einmal wieder ein prächtig Thor mit Wappen und Inschrift, hinter dessen Eisengitter sich lange, schnurgerade Alleen von Lorbeerhecken bis zu einem Triton, der sein silberhelles Wasser in die Luft sprudelt, hinziehen, oder zu einer Villa mit heiterer Loggia. Und nun geht's zum Thor hinaus in die magische Kampagna. Da bin ich nun schon drei, vier Tage wieder und immer wieder aus der Porta Pia gezogen – ich kann nicht von der Gegend loskommen. Wenn man erst hinter der alten Basilika Sant' Agnese und dem zierlichen Rund des von vierundzwanzig Doppelsäulen getragenen Kirchleins Santa Constanza vorbeigekommen ist, verschwinden die häßlichen Mauern, welche den Weg zu beiden Seiten einfassen; da thut sich dann der unermeßlich weite Blick über Hügel und Thäler bis zu den fernen blauen Albaner- und Sabinerbergen auf. Zur Linken ragt eine weiße Villa aus der Olivenwaldung, im Vordergrund liegen die Trümmer eines alten Bacchustempels, weiterhin verfallene Warttürme, an welche Casali angebaut sind. Der Teverone strudelt im Bogen vorüber, der alte Ponte nomentana mit seinem Brückenturm leitet darüber hin. Jenseits erhebt sich der heilige Berg, von welchem der alte Schwätzer Menenius Agrippa das Volk in die Ring- und Zwingmauer zurückfabelte. Zu seinen Füßen liegt eine Osteria; dort kehre ich täglich ein. Die Leute sind gut und treuherzig; sie kennen mich schon alle. Die Kinder springen mir entgegen, der zweijährige Gigi winkt mir vom Schoß der Mutter mit dem Händchen; weiß er doch, daß der Forestiere ihm einen Portogallo oder eine Handvoll Pasteciotti mitbringen werde, und der zottige Hund Prudent springt wedelnd an mir in die Höhe. Frau Pasquorella wartet nicht erst auf meine Bestellung und setzt mir unaufgefordert meine Foglietta Tonnarello in der langhalsigen Flasche auf den Tisch. Da sitze ich Stundenlang an der Thür, störe in dem Kohlenbecken, lasse mir eine endlose Räubergeschichte oder einen Traum von Lotterienummern von der Padrona erzählen, starre hinauf nach dem klaren, wolkenlosen Himmel, nach den Brückenbogen ober kahlen Erdstürzen, oder auf die Landstraßen, wo die gelangweilten oder langweilenden Engländer vorüberjagen, die Jäger in die Kampagna hinausziehen und die Maultiere hintereinander herklingeln, und träume und bin glücklich, überglücklich. Du glaubst gar nicht, Otto, wie leicht es sich hier leben läßt, und wie so frei.

10. Dezember.

Da muß ich Dir doch ein hübsches Abenteuer, welches mir gestern begegnete, mitteilen. Behalt's aber für Dich, nicht meinethalben, – ist mir's doch sehr gleichgiltig, ob das vornehmthuende Gesindel zu meinem Thun und Treiben die Nase rümpft, – wohl aber wegen der ehrlichen Jungen in unserer Vaterstadt: ich wollte sonst darauf wetten, daß die Alten ein ewiges Interdikt über das Gomorrha Rom sprächen, so wie sie erführen, in welche Gesellschaft hier guter Leute Kinder geraten können.

Es war Sonntag. Ich wanderte nach der Porta del Popolo und gedachte, die Straße, um welche mich mehr noch als der häßliche Regen das freundliche Geplauder der kleinen Römerin gebracht Latte, zu durchmessen, und sie so recht mit Vernunft, wie Ihr es nennen würdet, zu genießen. Als ich aus dem Thore trat sah ich eine Menge Wagen nach den borghesischen Gärten rollen. Das herrliche Wetter hatte halb Rom hinausgezogen. Ich ließ mich von dem Strom fortreißen. Es war ein frohes, lebendiges Gewühl, Reiter und Fußgänger, die langen Schwärme der Seminaristen in ihren flatternden Gewändern, die über und über gefüllten Wagen mit Minenti in ihrer Festtracht – alles das wogte in den breiten Gängen auf und nieder, um zu sehen und gesehen zu werden, schwatzte, lachte, fächerte mit den Händen und freute sich' des schönen Lebens.

Ich wandte mich bald nach den entlegeneren, einsamen Partieen des Parks, wo die königlichen Pinien ihre breiten Wipfel in die Lüfte schwingen, wo die Aloe aus der bauchigen Vase quillt, die Fontänen im Schatten der Eichen und Myrten eintönig murmeln und der gefangene Barbarenkönig die verstümmelten Arme kreuzt. Auf dem frischen, grünen Rasen lag eine antike Granitsäule; sie war als Gartenwalze benutzt worden. Ein altrömisches Gartenmonument von Marmor lag unten auf dem Boden; es war der Länge nach geborsten, die Sprünge aber frisch. Sie hatten es wohl irgendwo aufrichten sollen und im nachlässigen Abladen erst neuerdings zertrümmert; das ist nun die glückliche Sorglosigkeit des Volks, wenn wir so einen Stein im Norden hatten, würde er frischweg im Museum aufgestellt, und da kämen die Gelehrten zehn Meilen weit gewallfahrtet und mäßen ihn aufs Härchen aus und schrieben dicke, langweilige Bücher darüber; hier bleibt er nun so liegen; es wird sich wohl ein anderer finden, die Erde birgt ihrer ja genug; die Bruchstücke werden gelegentlich vermauert, und damit ist's gut.

Während ich noch so philosophiere, fährt ein Wagen mit vier Römerinnen vorüber. Die Eine biegt sich aus dem Schlag und grüßt mich gar freundlich mit dem Händchen. Es war das hübsche Kind, mit dem ich von Civita-Castellana gefahren war. In der Zerstreuung gedachte ich nicht des römischen Handwinks und trat, statt ihn zu erwidern, nicht anders als ob's ein deutscher Wink gewesen wäre, näher. Erkannte ich nun gleich meinen Mißgriff, so war's doch zu spät. Die Kleine hieß den Kutscher halten und mich einsteigen. Die Anderen fanden dies ganz in der Ordnung, wiederholten die Einladung und rückten zusammen. Ehe ich mich recht besinnen konnte, saß ich drin. Das Mädchen nannte mich ihrer Tante, einer ältlichen, verkümmerten Figur, welche den jungen Schwarm zu bemuttern schien, als den Forestiere, mit dem sie gereist sei und auf dessen Schultern sie drei Posten lang geschlafen habe. Alles lachte, ich mit. Es waren keine zwei Minuten vergangen, so war es nicht anders, als ob wir uns schon seit Jahren gekannt hätten. Die anderen beiden Mädchen mochten gleichfalls Bürgertöchter, Nähterinnen oder so etwas sein; heute machten sie sich ihre Sonntagslust, und dazu gehört vor allem eine Spazierfahrt nach der Villa Borghese. Das Geplauder und Gelächter nahm kein Ende. Wir lenkten nach der anderen Hälfte des Parks zurück. Von jedem vorüberrollenden Wagen wußten mir die Mädchen den Besitzer zu nennen, von jedem ein Geschichtchen zu erzählen, jedem etwas anzuhängen: in Rom kennt sich Alles.

Als es zu dämmern anfing, schlug meine Kleine – sie heißt Teresina – vor, in der Gensola den Abend zuzubringen. Tantchen ließ es gern geschehen, den beiden Dirnen war es vollends recht. So fuhren wir denn über Ponte di Bartolomeo nach Trastevere. Die Gensola ist eine echt römische Osteria di Cacina, nach welcher Freitags zu wallfahrten auch die Gourmands nicht verschmähen; denn nirgends giebt es bessere Fische. An diesem Abend war sie des Sonntags wegen schon überfüllt und ein Platz nur mühsam zu erlangen. Alle Bänke saßen voll Kärrnern und deren Liebchen, die kräftigen, bärtigen Bursche mit dem buntwollenen Gurt um die Hüfte, die Dirnen mit den Rosaschleifen am Ärmel; hier und da ein Abbate mit gewaltigem Dreimaster, der seine Schüssel Makkaroni mit Andacht verspeiste; dicht dabei eine von Gesundheit strotzende Trasteverinerin mit einem halben Dutzend Kinder und ihrem magern, zusammengeschnurrten Papataci von Ehemann; im Hintergrund ein paar deutsche bärtige Maler, welche zum großen Verdruß der Römerinnen ihre thönerne Bajoccopfeife dampften. Der päpstliche Soldat, dessen Bekanntschaft ich im Coliseo gemacht halte, saß still-selig hinter seiner Fogliette, schien mit dem Getränk ganz leidlich versöhnt und brachte mir über den Tisch den Toast: Vivat Jena! zu. Bettler schlichen winselnd von Tafel zu Tafel; die zipfelmützigen Kamerieri rannten wie Wiesel hin und her und konnten nicht genug Broccoli und Crostataschüsseln auftragen, Wein aus dem Keller holen und Wasser aus dem Marmorbrunnen, der in der Stubenecke angebracht ist, heraufwinden. Und nun denke Dir das ganze lebendige Gewimmel, beleuchtet vom glutroten Schimmer der auf dem Herde flackernden Lorbeerreisige – es gab ein prächtiges Bild ab.

Die Mädchen waren voller Freud' und Lust. Du glaubst gar nicht, Otto, wie allerliebst sich jenes natürliche, ungekünstelte Geschwätz im Mund einer Römerin ausnimmt; da ist alles Feuer und Leben, jedes Wort zündet und die Antwort zögert keinen Augenblick; da wird nicht lange besonnen, das erste Wort ist das beste – Witz wie Blitz. Man staunt oft die Naturkinder verwundert an und kann nicht begreifen, wo sie das herhaben. Ja freilich, Eure Theegesellschaften sind schon etwas anderes: da sitzen die lieben, wohlerzogenen Püppchen so sanft und still und blöde, bis Jüngling A. eine schüchterne Frage an Fräulein V. riskiert und eine leise, noch weit schüchterne Antwort, die er längst vorauswußte, erringt, und dann entsteht wieder eine viertelmeilenlange Pause: Alles fein-fein, elektoralfein – hundelangweilig. Ihr habt mich so oft ausgescholten und mich unbeholfen und schwerfällig bei Frauen genannt – mag's doch. Der Mann ist das Instrument, welches, je nachdem die weibliche Hand es berührt, ertönt; weshalb verstanden Eure Frauen nicht besser, in meine Saiten einzugreifen? Hier klangen sie ganz anders, frisch und hell, rauschend und jubelnd; Du hättest mich wohl kaum wiedererkannt. Der schäumende Zauberteich des Lebens berauschte mich. Ich gedachte der römischen Feste Benvenuto Cellinis; Jahrhunderte liegen dazwischen, aber das Volk und sein für Freude, für alles Schöne empfänglicher Sinn blieben dieselben.

Teresina hatte mir erzählt, wie hier herum ein Improvisator wohne, welcher gegen eine kleine Erkenntlichkeit bereit sei, Proben seiner Kunstfertigkeit zu geben. Ich ließ ihn kommen. Es war ein ältlicher, hagerer Mann in einem roten verschossenen Plüschfrack; sein ganzes Äußere zeugte von Dürftigkeit; der Kopf war auffallend schön gebildet, die Stirne hoch und ausdrucksvoll, die Augen voll Feuer, die Adlernase entschieden aber nicht unfein. Ich goß ihm einen Becher Wein ein, und gab ihm auf, den Sonntag der Römerin zu besingen. Augenblicklich gefaßt, begann er seine Improvisation in Ottave rime, rezitativisch, monoton vorzutragen. Er zog sich ganz tapfer aus der Sache. Zuerst schilderte er die Römerin, wie sie mit der Wahl des sonntäglichen Putzes beschäftigt sei, pries die Eleganz, den Geschmack der römischen Frauentracht, die gefällige Form ihres Schmuckes; er malte den Anzug Teresinas und ihrer Freundinnen. Hierauf führte er sie in die Kirche, besang die den heidnischen Tempeln entführten Säulen des Heiligtums, die goldstrahlende Mosaik des Chors, die erhabene Feier des Gottesdienstes, ließ den rosigen Lippen glühende Gebete entschweben, die Perlen des Rosenkranzes durch die feinen Finger rollen. Nun ging er zu einem leichteren Versmaß und heiterer Melodie über und schilderte die Nachmittagslust, die Weingärten vor der Porta Pia, wo unter Lorbeerhecken die Zither klingt und die Schellen des Tambourin rauschen und die Kastagnetten klappern, wo das glückliche Paar den Saltarello tanzt, und dann die glühende Schöne sich zur Ruhe neben dem Geliebten niederläßt, während er den dunklen Wein aus dem Becher schlürft und die Stelle erwählt, welche ihre Lippen berührten. – Der Schalk schilderte nur, was er mich soeben hatte thun sehen. Die Mädchen mußten etwas gemerkt haben, und flüsterten kichernd in Teresinas Ohr; ihrer abwehrenden Gebärde wurde nicht geglaubt. Es war ein gar schöner Abend. Ich brachte die Frauen nach Hause. Tante und Nichte luden mich ein, sie nächstens zu besuchen; ich sagte es ihnen zu, und will auch wirklich der Einladung Folge leisten. Ich habe mir lange gewünscht, das römische Leben im Innern der Häuser durch eigene Anschauung kennen zu lernen, und verspreche mir manche schöne Stunde bei den Leutchen. –- Höre, Du wirst mir doch meine romanesken Freuden nicht begrämeln? Einem andern hätt' ich's nicht geschrieben, doch Dir – nun, wir kennen einander ja.

14. Dezember.

Ich war doch früher dort, als ich selber glaubte. Von San Pietro in Montorio herabsteigend, wanderte ich durch Trastevere. Man glaubt in einer ganz andern Stadt zu sein, so ganz eigentümlich und verschieden vom diesseitigen Rom ist die jenseitige Hälfte. Die Gassen sind noch um Vieles enger, düsterer durcheinander gewürfelt. Man sieht den Häusern an, daß sie aus dem Schutt erstanden; was dem Erbauer unter die Hände kam, ward genommen und benutzt; antike Säulen sind regellos in die Mauer eingefügt und ionische Marmorkapitäle und Basreliefs seufzen unter dem Druck von Ziegeln und Kalk. Hier und dort zeigt noch ein schönes gewölbtes Fenster, ein köstlich ornierter Sims, daß das Gebäude vordem begüterten Leuten angehört haben mochte. Jetzt verfällt alles. So ist auch das Haus in Santa Dorotea, wo Raphaels Fornarina gewohnt haben soll. Es zeichnet sich durch einen hohen Fensterbogen aus, um welchen sich zierliche Arabesken schlingen. Wie oft mag das liebende Weib von dort dem Nahen des Beglückten entgegen gelauscht haben! Der neidenswerte Raphael! Er lebte noch in einer Zeit, wo er frei der Schönheit huldigen durfte, wo seine Liebe die von ihm Erkorene adelte.

Die Trasteveriner sind stolz auf das unvermischte, altrömische Blut, welches in ihren Adern fließt. Etwas ist daran: einen Trasteveriner erkennt man auf den ersten Blick. Wie ist das Volk so schön, welche kräftige Männergestalten, welche edle, antike Frauenköpfe! Hierher muß der Künstler gehen, wenn er den römischen Charakter studieren will.

Zwecklos war ich in dem Straßengewirr umhergeschlendert und stand eben vor einem kleinen Hause, an dessen Schwelle eine antike Marmorstatue auf der Nase lag und als Bank diente! da hörte ich mich bei meinem italienischen Namen: Signor Everardo! rufen. Teresina schaute lachend aus dem Fenster und winkte, näher zu treten. Ich hätte das Haus, welches ich nur in der Dunkelheit sah, kaum wiedererkannt. Es steht vor dem Ponte rotto und just auf den herrlichen Bogentrümmern der alten palatinischen Brücke. Das hübsche Kind sprang die Treppe herab, und mit einer Hast, daß die Hühner im Hausflur gackernd auseinander stoben. Ich mußte gleich heraufkommen, sollte schon auf der Treppe tausend Fragen beantworten, weshalb ich so lange auf mich habe warten lassen, wo ich die Zeit über herumgedämmert. Das war eine Freundlichkeit, eine Herzlichkeit, wie ich sie nach so flüchtiger Bekanntschaft nimmer geträumt hätte. Flog doch sogar über das nicht allzuliebliche Gesicht der Tante Brigida bei meiner Erscheinung ein Lichtschimmer von Wohlwollen.

Sie führen eine kleinbürgerliche Haushaltung. Das Gerät ist wohl ziemlich dürftig, allein für eine römische Wirtschaft sieht es doch wahrhaftig sauber genug aus. Teresina hatte in ihrer freudigen Hast keine Ruhe. Gleich nach den ersten Worten zog sie mich mit hinunter; ich sollte ihr auf den Ponte rotto folgen. »Das ist die schönste Aussicht auf ganz Rom,« plauderte sie, »und so steht es auch schon in der gedruckten Beschreibung. Die Maler zeichnen wochenlang an der Brücke und die Mylordi kommen Euch Dutzendweis', um von dort übers Geländer zu gucken. – Nun, hab'ich nicht recht? Hab'ich Euch zu viel gesagt? Nicht wahr, Everardo, das habt Ihr Euch nicht träumen lassen? Gelt, sonst wär't Ihr auch schon früher gekommen? Und sagt Ihr kein Wort?«

Ich schwieg verwirrt, geblendet von der Überfülle an Pracht und Herrlichkeit. Wie soll ich Dir das alles schildern? Rechts der Aventin mit der Kirche Santa Sabina und seinen alten, epheuumrankten Unterbauten, vor mir der jungfräuliche Vestatempel, der schlanke Glockenturm von Santa Maria in Cosmedin, zur Linken San Bartolomeoinsel, jenes alte Äskulapschiff, neben welchem sich die Brücken Quatro Capi und San Bartolomeo über den gelben, strudelnden Strom schwingen, die Gärten am Strande, Orangenbaum dicht an Orangenbaum, deren Goldfrüchte jetzt in der Reife stehen und das dunkelgrüne Laub überblitzen, die Loggien auf schlanken Säulchen, die vorübergleitenden Kähne! Teresina ließ mir keine Ruhe; meine stumme Bewunderung war der kleinen Libelle nicht recht. »Seht nur hier,« schwatzte sie, »welch' schöne Myrtenstöcke ich mir gezogen habe, und dort das Madonnenbild in der Mauerblende. Wie hübsch das Geisblatt rings umher wächst, nicht anders, als wolle es sich hier für das Muttergottesbild zum Kranz flechten. Und was haben wir diesen Herbst für schöne Trauben von der Veranda, die sich über die Brücke zieht, gesammelt! Schaut nur die beiden Marmorpulti aus der Wasserkufe; die sollen was ganz besonderes sein, sagen die Leute. Ihr seid ja ein Künstler und müßt Euch darauf verstehen. Und auch die großen Basaltsteine im Pflaster sind noch aus der alten Römerzeit, wie sie behaupten.« Und immer fragte sie wieder dazwischen: »Nicht wahr, Everardo, das ist schön, so schön!«

Sie war in ihrem geschäftigen Eifer gar zu hübsch und lieb. Die Alte war uns nachgeschlürft und begann ein langes Klagelied über die schlechten Zeiten, und wie sie früherhin ihr Oberstübchen mit der schönen Aussicht auf den Fluß hin den Inglesi vermietet habe, wie jetzt aber alles hinüberziehe und um den spanischen Platz dränge. So stehe das Zimmer schon Jahr und Tag leer. Ich wurde vor Freude über und über rot und konnte kaum die Frage, ob sie mich einnehmen walle, hervorstottern. Im Augenblick waren wir um einen sehr leidlichen Preis einig. Teresina jubelte laut auf.

17. Januar.

Ich bin doch nur erst sechs, sieben Wochen hier, und mit wie verschiedenem Auge betrachte ich schon jetzt Rom und das hiesige Leben. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich Dir in der ersten Herzenswallung schrieb; wild genug mag's wohl in meinen Briefen getobt haben, ich will's glauben. Die anfänglich unbändig aufschäumenden Wogen beginnen jedoch sich allgemach zu ebnen, zu besänftigen, und jenen ekstatischen Stürmen folgt mild-selige Ruhe. Keine Stadt gewinnt wohl mehr, indem sie den Reiz der Neuheit verliert, als gerade Rom. Das Verständnis der wunderbaren Dominante geht mir immer mehr auf, sie wird mir von Tag zu Tag teurer. So lange uns noch jenes quälende Bewußtsein, dies oder jenes noch nicht gesehen zu haben, verfolgt und wie ein böses Gewissen durch Kirchen und Paläste geißelt, so lange ist auch an ungetrübten Genuß nicht zu denken. Allmählich beginnt sich jedoch jenes drückende Gefühl zu verlieren. Der erste rohe Heißhunger ist gestillt; ich bin zu dem mir besonders lieb Gewordenen schon zwei-, dreimal zurückgekehrt, und koste nunmehr züngelnd wie ein Gourmand, statt des planlosen Verschlingens. Ich habe mich blind in den Strom geworfen und mich tüchtig umherschleudern lassen, habe aber auch erreicht, was ich wollte, und in diesen wenigen Wochen mehr gesehen und gelernt, als ein anderer vielleicht in ebensoviel Monden. Der Deutsche ist aber nun einmal für ein so abenteuerliches Vagabundieren nicht geschaffen; über kurz oder lang verlangt er wieder nach einem Nestchen, um mit Behaglichkeit unterducken zu können, und in der Stufenleiter tierischer Glückseligkeit steht ihm die Schnecke, die bei jedem Ausflug ihr Häuschen mit sich trägt, oben an. So hat sich auch die Sehnsucht nach dem Schaffen früher, als ich es glaubte, wieder eingestellt. Allerlei Pläne zu größeren Arbeiten gehen mir im Kopf herum, freilich noch chaotisch genug. Die Seele des Träumenden beschäftigt sich allnächtlich mit Kompositionen, und das ist das sicherste Zeichen, daß die Produktivität wieder erwache.

Ich sehe Dich im Geist diesen Brief lesen, und wie Du Dich auf Deinem Schreibesel hin und her drehst, bei meiner schnellen Sinnesänderung ein verdammt pfiffiges Gesicht schneidest und endlich herausplatzest: »Aha, ich merke schon! Freund Eberhard hat sich verplempert. Die kleine Römerin – wie heißt sie doch gleich? – ja, ja, es ist richtig!« Und dann reibst Du Dir voll Selbstgefälligkeit über die Kombinationsgabe schmunzelnd die Hände. Und wenn dem nun wirklich so wäre? was denn mehr? Glaub' nur nicht, daß ich wie ein auf dem Weinspalier ertappter Schulbube die Augen verlegen niederschlagen und feuerrot mein pater peccavi, wie ich wirklich dem bildschönen Kinde zu tief ins Ange geschaut habe, hervorstottern werde. Vom Leugnen und Heucheln hab' ich mein Lebtage nichts gehalten, und immer frei von der Leber gesprochen, wie mir's just ums Herz war; und jetzt werde ich wahrhaftig mit Winkelzügen nicht den Anfang machen.

Nun ja doch, wenn Du's wissen willst, ich bin dem Mädchen von Herzen gut, und sie verdient's auch. Die hat noch ein frisches, warmes, anhängliches Herz, die ist durch und durch wahr und treu, da sieht man noch bis auf den Grund. Was sie denkt, spricht sie auch aus; da ist keine Falte, kein Rückhalt, keine ängstliche Scheu, kein Abwägen der Worte. Sie kennt noch nicht die Möglichkeit, daß ihre Rede anders gedeutet werden könne, als sie es gemeint habe, und so ist ihr auch das erste Wort das liebste, zärter gefühlt, als vielleicht klingend, und das macht mir just das Mädchen so lieb. Sie ist eine kerngesunde, unverbildete Natur; nach einer solchen suche ich schon lange vergeblich.

Du solltest das Mädchen sehen, wie sie am Fenster harrt, wenn ich ausgegangen bin, oder wie sie Arbeit und Alles wegwirft, und mir freudig entgegenspringt, wenn ich nach dem Ave Maria in ihr Zimmer trete, wie ihr dann die Augen vor Freude leuchten und sich das ganze Gesicht verklärt. Du solltest das anmutige, naive Geplauder hören, den Eifer, die Lebendigkeit des Vortrags, solltest dem so ausdrucksvollen, so graziösen Gebärdenspiel folgen, jeder dieser so wahren, plastischen Bewegungen, solltest den zärtlichcn Aufschlag der Wimpern schauen, in das schöne, dunkle, seelenvolle Auge – in somma, wie die Römer sagen, und mit Künstleraugen obenein, und Du würdest auch meinen: ja, da ist's kein Wunder!

Die Tage sind so kurz; bei Licht mag ich nicht arbeiten, und da werfe ich denn frühzeitig genug Stift und Pinsel bei Seite und gehe zu den Wirtsleuten hinüber. Die Tante Brigida spinnt schweigsam vom Wocken, oder hantiert am kleinen Herde, ohne sich viel um unser Treiben zu kümmern. Ich sitze bei dem Mädchen und erzähle ihr, was ich eben heute gesehen oder entworfen, von der Reise, von zu Hause, von Euch. Sie hat den schönen Kopf auf den Arm gestützt und lauscht in stiller Muße; denn die seelenlose Geschäftigkeit des ewigen Stickens, Nähens und Tapisseriemachens, für welche das Auge der Nordländerinnen allein geschaffen zu sein scheint, ist, Gott sei Dank, diesseits der Alpen noch nicht eingerissen. Die Katze schmiegt sich schmeichelnd, mit gekrümmtem Rücken, bald an die Dirne, bald an mich. Römische Mädchen und Katzen sind ja sprichwörtlich die schönsten in ihrer Art, und so haben mich denn die ersten auch mit den zweiten versöhnt. Dann erzählt auch sie wohl von den Zauberfesten Roms, von der Prozession am Frohnleichnamstage, von der feenhaften Girandola, von dem Karnevalstreiben und dem wilden Moccoli-Abende; sie zählt die Tage, die Stunden bis dahin, träumt von einer blitzenden Maskenkleidung, schlingt ein buntfarbiges Tuch zum Turban um die Schläfe, wirft es in malerischen Falten um die Schulter; jede Bewegung, jede Stellung atmet antike Naivetät und Grazie, jede könnte zum Modell dienen; ich möchte sie festhalten – die folgende anmutige hat sie schon verdrängt. Das Auge kann sich an dem buntschillernden Schmetterling nicht satt sehen. Und Teresina nun, sie ist mir auch recht gut, recht von Herzen, das seh' ich wohl, das fühlen wir Beide, ohne es uns gesagt zu haben; und es ist uns auch, als habe es nie anders kommen können.

Ich sehe schon längst, wie Du, von deutsch-philiströsem Entsetzen ergriffen, beide Arme wie ein hölzerner Wegweiser ausstreckst, und da steht auf dem rechten Arm: Weg zum Traualtar! auf dem linken: Weg ins Verderben! Solch einem hölzernen Prediger habe ich nur zu erwidern, daß ich ad I ein ehrlicher Kerl bin, und ad II es gehen lasse, wie es dem Himmel gefällt. Wenn man nur ein bischen in sein eigenes Leben zurückschaut, und da sieht, wie viel tausend Pläne und Entwürfe für die Zukunft geschmiedet werden, ohne daß sich eine Hoffnung, eine Befürchtung realisiere, dann läßt man am Ende das Schicksal ruhig die Karten mischen, statt seine Zeit mit neuen Kartenhäuserbauten zu vertrödeln. Die Zukunft möge bringen, was sie wolle – ich freue mich der Gegenwart, und die ist schön und herrlich. Was ist denn das Leben, was vollends die Kunst ohne Liebe? – Und das haben die alten Meister gar gut gewußt. Jeder halte sein Feinslieb, der er mit herzlicher Neigung zugethan war und deren seine Züge er überall aus der Leinwand hervorgucken ließ; da war's noch eint Lust zu malen. Roma – Amor – dies ist der künstlerische Januskopf, dies zweieinige Götterbild, dessen eine Hälfte nichts ohne die zweite wäre.

Teresina stammt aus einer guten römischen Bürgerfamilie. Der Großvater hatte sich durch Fleiß und Sparsamkeit ein hübsches Vermögen erworben. Der Vater es wieder verthan; nun müssen sie sich behelfen und leben größtenteils von der Unterstützung eines weitläuftigen Oheims, des Abbate. Es ist dies derselbe, den ich Dir schon als meinen Reisegefährten nach Rom genannt habe, und auch der einzige Dorn an meinem Rosenkranz. Die Frauen wissen des Rühmens und Preisens von ihm kein Ende zu finden; mag sein, daß er's verdient und ich ihm unrecht thue. Mir ist das Gesicht vom ersten Augenblick an in der Seele verhaßt gewesen und meine Idiosynkrasie hat mich bisher noch niemals irre geleitet. So oft ich sie auch bezwang und mich, den Warnungen des Sokratischen Genius zuwider, jenen von Haus aus anwidernden Figuren näherte, ebenso oft habe ich auch meinen Eigensinn zu bereuen Ursache gefunden. Nun, am Ende, was kümmert es mich? Ich geh' ihm ans dem Weg, und damit holla! Er ist jetzt ohnehin verreist und wird erst in zwei, drei Monaten zurückerwartet.

21. Februar.

Seit einer halben Stunde liegt dieser Briefbogen vor mir, ohne daß ich über das Datum hinausgekommen wäre. Zehnmal habe ich das Blatt schon zurückgeschoben, zehnmal wieder zurecht gelegt. Wahrhaftig, ich weiß nicht, was ich auf Dein vier Seiten langes Abmahnungsschreiben antworten soll, und wie ich es soll, ohne bitter zu werden. Du bist mein ältester, treuester Freund; was Du mir sagst, kommt alles vom Herzen, es ist Deine aufrichtigste, grundehrlichste Meinung. Du kennst weder Italien noch seine Bewohner; dies alles habe ich mir schon fünfzigmal vorgesagt, um Dich zu entschuldigen, um mich nicht von dem Unmut, welchen Deine Epistel in mir erregte, hinreißen zu lassen: aber wahrlich, es bedurfte auch so gewichtiger Beschwichtigungsgründe.

Laß mich vorerst Deinen vier Seiten langen Brief mit vier Worten beantworten: Teresina ist meine Braut. Sie war es schon, ehe ich Dein Sendschreiben erhielt, und hätt' es eines Grundes bedurft, um eine Erklärung zu beschleunigen, so war's gerade Dein Brief gewesen. Du kennst meine Antipathie gegen schlechten guten Rat; Du weißt, wie stolz ich auf meine Freiheit bin, und schreibst mir so? – Geh', Otto, das war nicht nur unfreundlich von Dir gehandelt, es was mehr noch als das – es war unklug.

Was weißt Du denn weiter von Teresina, um ihr Geist und Gemüt und Bildsamkeit absprechen zu wollen? Verwirfst Du mein Mädchen etwa, weil sie weder in Öl malt, nach Botanik studiert hat, noch Beiträge zum Musenalmanach liefert? Bewähren sich denn die Glanzperlen, welche Eure Salondamen am Rosenkranz der Konversation abbeten, auch in der Ehe als echte? Oder habt Ihr vielleicht Angst, daß ich das römische Bürgermädchen in Eure Koterieen einschwärzen werde? Ja, das wäre freilich etwas Entsetzliches, wenn so ein wildfremdes Kind, das weiter nichts als jung und schön und gut und liebenswert ist, wie vom Himmel geschneit, in Eure Zirkel fiele! Über den albernen Adelsdünkel schreien sie schon seit Jahrhunderten, und gerade die am ärgsten, die über die von Geldsäcken aufgestapelten Mauern, oder die von Geheimratspatenten zusammengekleisterten spanischen Wände nicht hinweg zu schauen vermögen. Und die Bürgerdirne ist es nicht allein, die Ihr scheut; da müssen mir doch die alte Brigida und der Kanonikus, jene unerträgliche Mitgift, wie Du sie nennst, aufgemutzt werden. Gebärdest Du Dich doch, als wenn auf Euern reichsbürgerlichen Stammbäumen die Rasse der langweiligen Tanten und unleidlichen Oheime etwas Unerhörtes wäre! Beruhigt Euch, die römische Sippschaft soll Euch kein Herzeleid verursachen. Ich habe hier Wurzel geschlagen – für immer. Bringe dies Deinem Vater möglichst glimpflich bei. Er war mir ein treuer, liebevoller Vormund. Wenn auch unsere Ansichten vom Leben himmelweit verschieden sind, so würd' es mich doch schmerzen, wüßt' ich, er zürne und könne mir einen Groll nachtragen. Meine paar tausend Thaler mögen nach wie vor in Eurer Handlung stehen bleiben; ich weiß sie nirgends besser aufgehoben als bei Euch. Im Mai wird meine Hochzeit sein. Lebet wohl, gedenket meiner in Liebe, oder mit Neid, wenn ja etwas Herbes in den Gedanken an mich einfließen sollte.

Ich schaue aus dem Fenster. Teresina steht in unserm Brückengärtchen unter dem purpurblühenden Mandelbaum und läßt die goldenen Orangenbälle spielend in der Luft tanzen. Die Sonne scheint so mild, so frühlingslau, der Himmel ist so rein, so durchsichtig – mein Mädchen winkt mir – gleich, gleich! – Göttliches Rom! –

24. Mai.

Wir saßen auf der Terrasse in Albano. Blühende Myrten und Oleander wölbten sich über uns zur Laube. Eintönig lauschten die Springbrunnen, die Sonne neigte sich dem Meere zu und vergoldete die Wipfel des Olivenhains auf dem Hügel, die Zinnen des zerfallenden Kastells der Savelli, die einsamen Warten, die öde, meerbegrenzte Kampagna. »Und das alles sah ich glänzen in dem Aug' der schönsten Frau,« der schönsten, weil es die meinige war. Es war der Tag, an welchem Teresina mein Weib geworden. Zwei Wochen sind seit ihm verflossen; in der Erinnerung erscheint er mir wie ein verschwommener Traum. Ich weiß nur noch, daß ich wunderbar bewegt war: die widerstreitendsten Empfindungen kreuzten sich sinnverwirrend, Hoffnungsfreudigkeit und Bangen, Entzücken und Grauen, Lebenslust und Todesschauer.

In einer mir sonst fremden Stimmung – ich weiß selber keinen Namen dafür – betrat ich die Kirche Santa Maria in Trastevere. Das Bewußtsein, den ernstesten, entscheidendsten Schritt meines Lebens zu thun, mit ihm alle Bande, welche mich an meine Heimat, an meine Lieben knüpften, auf immer zu zerreißen, beklemmte meine Brust. Ich sah dann wieder auf meine Braut, sie war so schön, sie strahlte vor Freude, vor Glück – hielt ich denn nicht die Hand, an welcher ich in ein neues, schöneres Leben eingehen sollte? Ich wollte mich ganz den schmeichelnden Träumen der beglückten Zukunft hingeben; die Erinnerung an das Vergangene, Verlorene zog immer wieder wie ein Nebel über den sonnigen Himmel hin. – In der Seitenkapelle zur Rechten des Hochaltars stand eine Bahre. Das Totenamt für den Verstorbenen war kurz vorher abgehalten worden. Die Leiche lag nach italienischer Sitte offen im Sarge; es war die eines schönen Jünglings. Die Züge waren unentstellt; die wachsbleichen Hände hielten das Kruzifix: das Gewand war mit Asche bestreut. Unser Gefolge warf scheue Seitenblicke auf die Bahre; ein Jeder fühlte sich von der unheimlichen Nähe des Todes erschüttert; Tante Brigida murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Ich betrat die Stufen des Altars; der Priester begann die heilige Handlung. Gewaltsam riß ich meine Blicke von dem Katafalk los; sie fielen auf die Votivtafeln, mit denen die Pfeiler behängt sind, auf die rohen Bilder, wo die Mutter Gottes hilfreich zu Siechen und von Räubern Bedrängten aus den Wolken herniedersteigt. Unter den frommen Schildereien hing ein verrostetes Stilet. Es bedurfte eines Winks von Teresina, um mich aus meiner Zerstreuung zu wecken, um mich zu erinnern, das Knie zu beugen.

Der Wagen trug uns aus der Kirche nach Albano. Unter dem seligblauen Himmel löste sich die peinigende Beklemmung; ich fühlte ganz das Glück, das schöne, geliebte Weib mein zu nennen. Unser Kreis war klein; außer einigen Freundinnen Teresinas hatte ich nur unsere Landsleute, Vollmar und Streit, welche kürzlich aus Neapel wiedergekehrt sind, eingeladen. Es war ein schönes Fest. Die Nacht war bereits eingebrochen, als wir uns zur Heimkehr anschickten. Streit war mit der Tante und den jungen Mädchen vorausgefahren; Vollmar folgte zu Pferde. Ich blieb mit Teresina im letzten Wagen allein und hielt das blühende, glühende Weib in meinen Armen. So fuhren wir über die alte Gräberstraße durch die stille Sternennacht. Plötzlich hörten wir den Zuruf: »Fahrt nicht zu! Im Wege liegt ein Mensch – ein Erschlagener!« – Ich stürzte entsetzt aus dem Wagen nach der bezeichneten Stelle – der Unglückliche war Vollmar! Das Pferd war scheu geworden und hatte sich mit ihm im Steigen überschlagen. Das Gesicht war vom Blut der Kopfwunde überströmt: er atmete nur schwach. Vorübergehende hatten den Ohnmächtigen seiner Uhr und Börse beraubt. Das Roß war in der Nacht verschwunden. Mit Hülfe des Fuhrmanns hob ich ihn in den Wagen; er fiel aus einer Ohnmacht in die andere; ich befürchtete, ihn in meinen Armen verscheiden zu sehen. Teresina schluchzte laut. Sie zog aus dem Unfall des Freundes eine traurige Vorbedeutung für das Glück unserer Ehe: die Bahre am Traualtar sei das erste böse Omen gewesen. Machtlos bekämpfte ich den Wahn: konnte ich mich doch selber eines geheimen Grauens vor der blutigen Brautnacht nicht erwehren. Erst mit Anbruch des Tages erreichten wir Rom.

Die unseligen Wirren, welche die ersten Tage verdüsterten, beginnen sich glücklich zu lösen; Vollmar ist außer Gefahr, und ich darf anfangen, mich des ungetrübten Glücks der Honigwochen zu erfreuen. Vor Teresinas spiegelhellem Sinn hatte sich jener trübe Hauch längst verzogen. Die Südländerin gleicht ihrem blauen Himmel, an dem sich die Wolken rasch türmen, um noch rascher zu zerstäuben. Über mein Leben schwebt selige Sabbatfülle; was will, was begehr ich denn mehr?

24. November.

Heute, allsam Jahrestag meiner Ankunft in Rom, erhielt ich die Anzeige von Deiner Vermählung. Du Glücklicher, mögest Du es doch bleiben! – und Du wirst es! Wohl erinnere ich mich noch Deiner Gattin: es war ein liebes, holdseliges Mädchen, ein echt deutsches. Ihr Bild schwebt mir lebhaft vor; ich sehe noch die frommen unschuldigen Züge Deiner Emma, ihre klare, klangreiche Stimme tönt noch in meinem Ohr. Ich erinnere mich, wie sich ihr Antlitz verklärte, so oft sie irgend ein sinnig Wort vernahm, oder den schönen Ausspruch eines unserer Dichter, wie das milde, blaue Auge so rührend aufblickte, so oft ihr weiches Herz bewegt ward. Ach, es ist etwas Herrliches um ein reines weibliches deutsches Gemüt! Ein solches gefesselt zu haben, sich von einem solchen verstanden zu wissen, für jedes Wort, jeden Gedanken den verschönten Widerhall im geliebten Munde zu finden, das Leben durch die stille, vorsorgliche Wirksamkeit eines freundlichen Engels verschönt zu sehen – das ist wohl ein hohes, süßes Glück! Du hast es errungen, Otto, Heil Dir, Heil Dir!

Der Winter ist eingebrochen; schon seit Wochen strömt der Regen; ich vermisse recht oft und schmerzlich die heimische Wohnlichkeit und Behaglichkeit unseres Nordens. Streit suchte mich neulich in meiner Einsamkeit auf. Er fand mich blaß und kränklich aussehend. Er betrachtete mich oft wie verstohlen von der Seite, es lag in seinen Blicken etwas Fremdes, Scheues; manchmal kam mir's vor, als bemitleide er mich, und das that mir sehr weh. Er reist in einigen Tagen nach Florenz, wohin der längst genesene Vollmar ihm voraus gegangen ist; dann stehe ich wieder ganz allein. Ach, und ich sehne mich so unsäglich nach Dir, nach irgend einem treuen, redlichen Herzen, an das ich mich so recht klammern könnte.

Mir ist oft recht trüb zu Mute. Ich bin ganz anders geworden, menschenscheu, empfindlich. Teresina nennt's Melancholie. Sie will, daß ich mich zerstreuen soll, daß ich sie ins Theater, in Gesellschaften, in die große Welt führe, Sie kann sich in den häuslichen, schweigsamen, brütenden Deutschen nicht finden. Manchmal ist mir's, als verständen wir uns nicht.

Der Abbate ist seit Monaten wieder in Rom. Er schien die veränderte Stellung Teresinas, seit sie meine Gattin ward, nicht beachten zu wollen, und machte seine alten Ansprüche als Leiter und Ordner der häuslichen Angelegenheiten mit jenem, den Priesterlichen Gewissensräten eigenen, schneidenden, gebieterischen Wesen geltend. Er fand in mir den entschiedensten Widersacher. Es kam zum offenen Bruch. Die Frauen nahmen laut seine Partie. Die längst genährte Bitterkeit quoll über. Er verließ das Haus mit einem vergiftenden Blick auf mich. Der Mensch hat mir bitterböse Stunden gemacht, und noch sind sie nicht verschwunden; ihre Rückwirkung auf meine Arbeit ist nur allzu fühlbar. Ich komme um keinen Schritt vorwärts; die Bilder stauben auf der Staffelei ein, meine Kraft ist gebrochen!

Es ist Nacht. Die Pifferari blasen ihre schwermütige Litanei unter dem Muttergottesbilde; der Wind saust durch die kahle» Zweige, ich will hinaus ins Freie. Draußen im Sturm soll mir wohler werden, denk' ich.

 

Streit an Vollmar

25. November.

Ich habe Dir Trauriges zu berichten, das düstere Verhängnis, welches unseren Eberhard ereilte. Mein Auge war Zeuge der unseligen Katastrophe.

Was wir längst ahnten, ist leider nur zu wahr geworden. Das Ehebündnis unseres Freundes war ein übereilt geschlossenes, welches ihn früh oder spät ins Verderben stürzen mußte. Ein Blick in die inneren Verhältnisse genügte, um das Elend zu durchschauen, Teresina ist ein gewöhnliches Weib, Italienerin im vollen Wortssinn, ohne Tiefe des Gemüts, ohne geistige Bildung. Unser armer, durch die schillernde Außenseite geblendeter Freund glaubte in dem südlichen, lasch auflodernden Feuer Genialität, in dem raschen Entgegenkommen innige Zuneigung zu sehen: er ließ sich nicht träumen, daß es dem italienischen Mädchen nur um den Gatten, nicht um dessen Persönlichkeit zu thun sei. Die Tante ist eine rohe, gemeine Natur. Beide Frauen standen seit längerer Zeit zu einem angeblichen Onkel, einem Geistlichen, in abhängigen Verhältnissen. Die Welt legte dieser Verbindung die gehässigste Deutung unter – Du erinnerst Dich der freiwilligen Isolierung Eberhards, wie ängstlich er bemüht war, seine Landsleute und Freunde zu meiden, wie er Jeden, der ihn hätte warnen können, floh. Wir kamen zu spät, um den verhängnisvollen Schritt zu hindern. Du kanntest Eberhard, sein zartfühlendes, jeder Gemeinheit widerstrebendes Gemüt, seine strenge Redlichkeit, die ihm nicht erlaubte, Ersatz für das Verlorene im frivolen Welttreiben zu suchen, seinen Stolz, der ihm wehrte, das ihm gewordene Los zu beklagen, irgend wen zum Vertrauten seines Kummers zu machen. Er muß unsäglich gelitten haben. Einer unserer Schriftsteller sagt einmal: »Der Deutsche darf nur die Deutsche zur Gattin wählen; der Fremden gegenüber wird er zum Tyrannen oder zum Sklaven.« Nirgends ist mir die Wahrheit des Ausspruchs augenscheinlicher geworden, als bei den deutschen Künstlerehen, als bei der unseres Eberhard.

Vor wenigen Tagen noch war ich bei ihm; kaum erkannte ich ihn wieder, so bleich, so vergrämt, so gealtert war er. Es schnitt mir durchs Herz, den einst so blühenden Jüngling hinwelken zu sehen. Ich forderte ihn auf, mich zu Freunden zu begleiten, in die Galerie Noria; er verwarf alles mit krankhafter Hast. Kein Gespräch wollte recht verfangen. Als ich ihn auf seine Arbeiten und die größeren Pläne, die ihn einst so mächtig ergriffen, brachte, lächelte er stumm und bitter vor sich hin. Ich fühlte, daß ihn meine Gegenwart bedrücke, und verließ ihn bald.

Gestern Abend war ich in der Gensola. Mehrere Freunde, die ich dort zu finden hoffen durfte, waren des Unwetters halber ausgeblieben. Das wüste Treiben des ungewöhnlich zahlreich versammelten Volks widerte mich an. Ich wollte mich eben entfernen, als Eberhard hastig eintrat. Seine Haare troffen von Regen, er sah noch blasser als sonst und wie verstört aus. Nach dem ersten flüchtigen Gruße setzte er sich schweigend neben mich. Er schauderte vor Frost, und stürzte gegen seine Gewohnheit einige Gläser rasch hinunter. Eine fieberische Nöte überflog bald seine Stirn und Wangen; der Wein hatte die krankhafte Aufregung noch gesteigert. Er befragte mich dringend um Nachrichten aus der Heimat. Die Kunde von der glücklichen Verheiratung seines ältesten Freundes hatte ihn tief ergriffen; seine Lippen strömten über vom Lob der deutschen Frauen des Glücks der Häuslichkeit, des schönen Vaterlandes. Die Erkenntnis der Größe des von ihm gebrachten Opfers, um wie Nichtiges er sein Lebensglück vergeudet habt, schien ihn überwältigen.

Eine neue Gesellschaft hatte an unserem Tisch Platz genommen, alles Leute aus den niederen Ständen, unter ihnen ein junger, wüster Geselle. Er hieß Antonio mit Vornamen, hatte sich früherhin der Kunst widmen wollen, war aber in niedrigen Ausschweifungen untergegangen. Wir kannten ihn kaum von Ansehen. Mit widriger Vertraulichkeit begrüßte er Eberhard, und befragte ihn nach dem Befinden seines schönen Weibes. Eberhard zuckte kaum merkbar zusammen, nahm den Schein an, die vorlaute Frage überhört zu haben, und redete leise eifrig mit mir weiter. Es war augenscheinlich, welche Gewalt er sich anthue, um seine Empfindlichkeit niederzukämpfen. – Der Römer schien berauscht zu sein; statt sich von der kalten Entgegnung zurückschrecken zu lassen, wurde er nur zudringlicher, seine Scherze frecher. Die Absicht, unseren Freund zu reizen, war unverkennbar. Ich mahnte zum Aufbruch. In diesem Augenblick schiebt Antonio Eberhard ein volles Glaß über den Tisch zu: »Trink, Du lammfrommer Deutscher!« spricht er mit giftigem Hohn, »trink hier aus dem Glase – aus dem Eimer kannst Du es ja doch nicht!« – Die Umstehenden brachen in ein schallendes, boshaftes Gelächter aus. Eberhard war außer aller Fassung. »Aus dem Eimer?« stammelte er mit bebenden Lippen, »was soll das heißen?« – »Nun, per Bacco!« lachte Antonio tückisch, »kannst Du denn mit Deinem vom Priester gehörnten Haupt in den Eimer?« – »Das spricht ein Elender, ein Vasallo!« schreit Eberhard. – Im Nu sind beide aufgesprungen – der Tisch wird umgestoßen – zwei Messer blitzen – der Römer taumelt getroffen zurück – Eberhard ist verschwunden – alles das Werk eines entsetzlichen Augenblicks. Wild durcheinander hallten die Flüche der Römer, das Rachegeschrei der Wütenden, das Zetern der Weiber, der Ruf nach einem Priester für den Sterbenden. Fliehende und Verfolgende drängten sich aus dem Zimmer. Mit der Kraft eines Verzweifelnden bahne ich mir den Weg, stürze aufs geratewohl durch die düstern Gassen. Ein finstrer Schatten flieht vor mir her – ich glaube Eberhard zu erkennen – ihn zu ereilen vermag ich nicht. Er jagt der Ripa grande zu, springt nach dem Ufer, reißt eine Barke los, stößt vom Strande ab. Mein Angstruf erreicht sein Ohr – noch einmal wendet er sich um – da schleudert der reißende Strom den Nachen gegen die aus dem Wasser ragenden Trümmer der Horatius Coclesbrücke – der Kahn schlägt um – ich glaube noch eine Hand aus den Wogen auftauchen zu sehen – er ist versunken.

Noch ist Eberhards Leiche nicht aufgefunden worden. Der Römer starb noch in der Nacht an seiner Wunde.

 


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