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I.

Schüler-Liebe

Ich rannte hastig auf der Chaussee fort. Da, wo der Weg ein Knie bildet, hielt ich noch einmal an, stieg auf einen Haufen kleingeschlagener Steine, und warf durch die Pappeln der Heerstraße einen halb ingrimmigen, halb wehmütigen Scheideblick auf die Rabenmutter, welche soeben den hoffnungsvollsten ihrer Söhne von sich und hinaus in die weite kalte Welt gestoßen hatte. Besagte Mutter aber war die alma mater, die Sächsische Fürsten- und Landesschule Pforta, und der aus ihrem Schoß vertriebene, unbarmherzig enterbte, – niemand anders als ich, der per consilium abeundi mit allen ziemlichen Feierlichkeiten entlassene Exalummus Friedrich Gotthelf Fistel, gebürtig aus Freiburg an der Unstrut, vor einer Stunde noch Obergesell und alter Primaner, jetzt aber Kandidat des Vagabundierens und der Landstreicherei.

Da lag am Fuß des mit herbstlich falben Buchen bedeckten Knabenberges jener mönchische Bienenkorb, in welchem ich, umsummt von hunderten der Kommilitonen, den Honig der Weisheit schier fünf Jahr zur Zelle getragen, bis mich das grausame Fatum ereilte und ich zur unnützen Drohne gestempelt und laut rescriptum principis ausgeschwefelt worden war. Über die roten Dächer der Schul- und Wirtschaftsgebäude ragte der spitzige schwarze Schiefer- Kirchturm hervor, gleich dem schwarzumkleideten Arm des riesigen Rektors, welcher dem Exulierten noch aus der Entfernung dräute – ich aber lachte voller Bosheit, rief: relinquere portam dulcius melle, glimmte meinen Ulmer Pfeifenkopf an, und wanderte tapfer schmauchend und aus voller Kehle ein trotziges gaudeamus igitur anstimmend auf dem Wege nach Naumburg fürbaß. Es dauerte aber doch gar nicht lange, so ging mir die Stimme aus, und bald hernach auch die Pfeife. Ich schob den Portativ-Vulkan, dessen freier Gebrauch mir jetzt zum erstenmale von keinem mißgünstigen Synodal-Mitgliede verkümmert werden konnte, verstimmt in die Rocktasche zurück. An die Füße hing es sich zentnerschwer. Mit meinem Trotze ging es mehr und mehr auf die Neige. Die heutigen Erlebnisse und die Aussicht auf eine jämmerliche Zukunft, in welche ich so geradesweges hineinmarschierte, vereinigten sich, um mir die Kehle zuzuschnüren, mir das Herz beinahe abzudrücken – und da fing ich denn unaufhaltsam und so recht aus Herzensgrunde an zu weinen. Ich war aber auch meilentief ins Pech geraten.

Durch so langjährige Übung nach den sieben Gedankensätzen der Chrie zu springen gewohnt, könnte ich auch diesmal die Relation meiner tragischen Fata nach dem: Quis? quid? ubi? quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? einteilen, und die vollkommen genügenden Antworten würden in aller Kürze folgendermaßen lauten: Quis? ich der Friedlich Gotthelf Fistel. – Quid? welcher ins Dekrement geraten. – Ubi? in Schulpforte. – Quibus auxiliis? durch den blinden Liebesgott. – Cur? weil ich ein allzu gefühlvolles Herz hatte. – Quomodo? und seiner Geliebten Schillers Entzückung an Laura vordeklamierte. – Quando? vor circa vierzehn Tagen. Und somit wäre denn alles vollständig erzählt und abgemacht. Ein so dürrer wortkarger Bericht würde sich jedoch meines Erachtens mehr zum Referat eines Schafdiebstahles eignen, als zur Schilderung der wundersamen Annäherung zweier jugendlichen, lichterloh flammenden Herzen, ihrer sympathetischen Entzückungen, und der Petarden, welche die verwachsenen Seelenhälften auseinander sprengten, nebst anderer höchst romanhafter Schickungen, so mir begegnet. Und somit halte ich es für zweckdienlicher, den ganzen Hergang ab ovo usque ad mala treu und der Wahrheit gemäß zu verkünden. Usque ad mala? Ach, ja wohl, usque ad pessima mala!

Seit dem Oster-Semester des für mich und Europa verhängnisvollen Jahres 1806 war ich nach Alt-Prima hinaufgerückt, und demzufolge aller Privilegien der Portenser Obern teilhaftig geworden. An meinem Arbeitstisch, und unter meiner speziellen Tutel saßen ein Mittel- und ein Untergesell, welchen letzteren wir beide alternierend unterwiesen, wie er gebotene lateinische Verse drechseln und verbotenen Kaffee kochen müsse, den wir pro poena ein Kapitel, eine Heroide nach der anderen memorieren ließen, und der als salarium unseres liebevollen Unterrichts die Messer putzte, Wasser vom Brunnen, und Butterbrote vom Waschmann, dem Spender aller Konsumtibilien, herbeischleifte. Die Abzeichen meines Standes, als Emanzipierter vom Frohndienst des Pennalismus, das kleine Mützchen, welches schräg ans das Ohr gedrückt wurde, und das bei summarischem Verfahren gegen rebellische Quartaner recht praktische Stöckchen, führte ich schon längst; ich überkletterte per nefas die Mauer, und eilte im gestreckten Trabe nach dem nahegelegenen Dorfe Kösen, um in demselben ganze Kuchenschilde weniger vor den Magen zu halten, als vielmehr sie als Trutzwaffe gegen den ewig regen Erbfeind Hunger in denselben zu versenken. Dann aber ließ ich mich, infolge dieses Prellens, wie der technische Ausdruck für das Ausschwärmen ohne Zeidel lautete, mit stolzem Selbstgefühl in das Karzer sperren, in jenes claustrum, welches ja auch Klopstock während seines Portenser Lebens einstmals bewohnt, und durch die Inschrift: »Mich gräbt die Nachwelt einst in ihre Tafeln ein,« geweiht hatte. Mit einem Worte, ich wurde allgemein als ein Ritter ohne Furcht, wenn auch nicht ohne Tadel, designiert; mit ersterem Prädikat von meinen Kommilitonen, mit dem zweiten von dem gesamten Lehrer-Personale.

Da geschah es einstens im Monat Julius des erwähnten Jahres, und zwar zu einer Zeit, wo ich zufälligerweise die Numismatik überall, nur nicht nach eignen Exemplaren studieren konnte, oder paucis verbis rattenkahl war, daß ich, von einem abnormen furor poeticus ergriffen, den Plan zu einer mächtigen epischen Dichtung entwarf, und auch rüstig an dessen Ausführung in Hexametern, natürlich lateinischen, schritt. Der Gegenstand lag nahe genug – es war die Gründung der Schulpforta, und der erste Gesang war bestimmt, die verhängnisvolle Jagd, auf welcher der blühende Jüngling Edwinus, Sohn des Grafen Bruno von Pleißen, sein Leben durch einen wütenden Eber einbüßte, zu schildern. Beiläufig bemerkt, ist wohl kein Schwein so häufig, als gerade das quästionierte, besungen und verflucht worden: wurde doch durch jenen Sauhieb die Gründung des Klosters und der nachherigen Fürstenschule motiviert, und ist es dieses borstige Lamm, welches seit 500 Jahren der Schüler poetische und prosaische Sünden tragen muß. Diese Rücksicht konnte mich jedoch nicht zurückschrecken, und so hieß ich denn die neun Musen jenen Eber, einen Deszendenten in gerader Linie von dem famosen, welcher dem schonen Adonis die tötliche Winkelquart beibrachte, im Vorgefühl des dereinst zu gründenden Weisheitstempels auf den Jüngling anhetzen. Zu meiner Rechten lag der Gradus ad Parnassum aufgeschlagen, zur Linken der Smetius, vor mir M. A. Olympii Nemesiani Cynegeticon; aus jenem entlehnte ich Silbenmaße und epitheta ornantia, aus letzterem die mir in praxi völlig unbekannte Anschauung einer Jagd.

Es war eine sogenannte Repetierstunde. Um ungestört aus dem Kastalischen Quell schlürfen zu können, hatte ich mein Pult mit den Spanischen Wänden riesiger, grauer Papptafeln verbaut nachdem ich die erforderliche Dosis Inspiration schon während der Freistunde in dem Musengange, – jenem durch zehn Säulen geschiedenen Portikus, von welchem jede Kolumne den Namen einer der Pierischen Schwestern, die zehnte die des Apollo Musagetes, trägt, – auf- und abwandelnd eingesogen.

Die Sonne beleuchtete das schwarze Schieferdach der Kirche, und spiegelte sich in den Scheiben des angelehnten Schulgebäudes. Im Gärtchen der Selektaner, welches der Kreuzgang umklafterte, schrieen die Sperlinge nach Herzenslust, just als wollten sie mir Mut einsprechen und mich belehren, wie leicht der übervollsten Brust das Lied entströme. Diese Mahnung war aber rein überflüssig, denn die Feder flog so rasch über das Papier, als wenn sie auf Schlittschuhen liefe, und knarrte ordentlich vor lauter Begeisterung. Da klirrte die Scheibe wie von einem dagegen geworfenen Steinchen. Es war ein Kirschstein, ein frisch erst von seiner fleischigen Hülle befreiter, welcher gegen das Fenster abgeschossen worden war, und mich aus meiner metrischen Raserei aufschreckte. Mit verlängertem Halse schaute ich nach dem Schützen in das Selektanergärtchen hinab – es war leer. Mein Auge machte nach dem schnellfertigen Orion an den Fenstern der umherliegenden Lehrer-Wohnungen die Runde – eine Jungfrau verschwand hinter den Gardinen an der vom Professor Triptolemos bewohnten Flanke. Ein jugendliches, scham-erglühendes Antlitz, blonde gescheitelte Haare, ein schneeiges, glatt anliegendes Busentuch, mehr konnte der rasche Streifzug des Blickes nicht erbeuten – und es genügte. Mochte nun Zufall, mochte Absicht jenen Finger-Ballisten gerichtet haben – ihm war der große Wurf gelungen. Ich war geschossen.

»Ist's Wahl, wenn der Gestirne Macht den Menschen
Ergreift in der verhängnisvollen Stunde?«

So wiederholte denn das Leben jene wunderbare Sage des Baron Münchhausen, welcher mit dem Kern einer Kirsche, in Ermangelung der Kugel, auf einen Sechzehnender feuerte und dem Flüchtling nach Jahren wieder begegnete, wie ihm ein reichtragender Fruchtbaum aus dem Haupte gewachsen. Auch der aus holden Händen geschnellte Kern traf, und zwar mein Herz, und ihm entsproß jener üppig wuchernde, herrlich blühende Liebesflor, an welcher meine Parze roch, und späterhin entsetzlich ins Niesen kam. – O Eros, der Götter und Menschen Herrscher! rief ich elegisch, klappte den Smets und den Gradus zu, lange mir Ovids de arte amandi aus dem Bücherfach, und lugte, wiewohl vergebens, nach der reizenden Amazone hinüber, bis die Schulglocke das Zeichen gab, daß wir uns ins Coenakel zum Abendbrot verfügen sollten. Wie mir noch wohl innerlich, gab's gebackene Birnen mit Klößen. Sie mundeten mir, allen Prinzipien der Romantik zuwider, vortrefflich.

 

Nunmehr war ich denn endlich so weit, wie ich schon lange gewollt hatte – nämlich in Liebe. Schwer hatte es mich bisher gekränkt, dieses mein Herz voller Sehnsuchtsverlangen, Sonnenaufgangsglut und Schauernachtsgeflüster so einsam und melancholisch im Karzer meines Brustkastens hängend zu wissen, und alle meine Phantasieen und Entzückungen nur an die Einstige, die Unbekannte adressieren zu müssen. Jetzt hatte ich das Ideal gefunden, jetzt hatte es sich verkörpert zu mir herniedergesenkt.

Die erste Olympiade meiner Liebe – sie hielt ganzer vier Wochen vor – möchte wohl von dem Dritten, nach Thatsachen Dürstenden, ziemlich monoton und langweilig geheißen werden. Auf meine Zelle gebannt, verträumte ich Repetier- und Selbstbeschäftigungsstunden ad modum des Ritters Toggenburg, gegenüberschauend:

»Bis das Fenster klang
Bis die Liebliche sich zeigte,
Bis das teure Bild
Sich ins Thal herunter neigte,
Ruhig, engelmild.«

Diese Gunst ward dem Harrenden wohl aber nur höchst spärlich zu teil, und dann auch nur auf pfeilbeschwingte Momente. Den Vorhang aufschieben, aus langen Wimpern einen seelenvollen Blick herüber schleudern (von Kirschkernen war nicht wieder die Rede), und den neidischen Schleier der Fenstergardinen wieder vorziehen, war das Werk dreier Sekunden – der magere Gottespfennig, mit welchem mein ungestüm pochendes Herz sich wieder während langer, banger Tagereisen beköstigen muße.

Meine Angebetete hieß – Dank sei es dein geschwätzigen Aufwärter, welcher mir ihren Namen, dieses unerschöpfliche Thema meiner Liebeshymnen, für ein bereits unscheinbar gewordenes Beinbekleidungs- Gewand verhandelt hatte – Minna Grasmeier. Sie war die Nichte des Professors Triptolemos, aus dem Städtlein Nebra gebürtig, und während des Sommer-Semesters bei ihrem Oheim zum Besuch.

Ihr auf irgend eine Art näher zu treten, hätte selbst ein Lovelace für undenkbar erklären müssen, so lange er in den spanischen Stiefel eines Portenser Alumnen gekeilt war, und mit ihm die endlose Reihe der Pallisaden, Wälle und Gräben, welche den Schüler von den Familien absperrten, hätte überspringen sollen. Gesellschaften gab es keine anderen, als die in den Hörsälen und Betstunden. Zwar wurde der Terpsichore gehuldigt, die kompliziertesten Tänze jedoch von den Scholaren unter sich exekutiert, und die Damenwelt höflichst eingeladen – zuzuschauen. Oftmals gedachte ich zwar den Kislar-Aga, welcher meine Odaliske in Verschluß hatte, sc. den Professor, mir geneigt zu machen, und dadurch, daß ich dem den Goldapfel bewachenden Drachen den Opferkuchen der freien Arbeit, eine mit Zitaten gewürzte Dissertation, überreichte, zu besänftigen und den Zutritt zum Garten der Hesperiden zu erschleichen; hatte auch schon die zierliche Abschrift in Händen und nahte mit hochschlagendem Herzen der Wohnung jenes griesgrämigen, feuerspeienden Ladon – fuhr aber, wie von einem Zitterrochen berührt, zurück, so oft ich die Thürklinke erfaßte, und rannte wiederum, gleich dem von den Erynnien gepeitschten Orestes, auf meine Stube. Durch die Zaubermacht der Harmonieen gedachte ich nunmehro mich als modernen Arion in ihr Herz einzuschwärzen. Zwar lebte nicht die Zither in meiner Hand, wohl aber das Flauto piccolo, welches ich von dem Stadtpfeifer zu Freiburg erlernt hatte. Schlimm nur war es, daß die Ausübung jeglicher Tonkunst auf den Stuben streng verpönt, und in die leeren Hörsäle verwiesen war, in diese Kreuzgewölbe aber kaum des Tages Licht, geschweige denn die Blicke meiner holdseligen puellula zu dringen vermochten. Mir blieb daher nur das einzige expediens, am Fenster stehend und inbrünstig hinüberblickend mein Instrument stumm zu spielen, nämlich die kunstvollsten Läufer auf demselben zu machen, auf Löchern und Klappern herum zu fingerieren, die Lippen zu spitzen und in meinem Innersten die zärtlichsten Melodieen zu singen, ohne aber auch den leisesten Ton hervorbringen zu dürfen. Sie mußte mich ja verstehen und meine Gefühle deuten, wenn sie nicht von einer Hyrkanischen Tigerin gesäugt worden war, welches sich doch keineswegs von einem in Nebra geborenen Kindlein präsumieren ließ. Mein Epos aber, die Gründung der Schulpforta, schien den Schlucken bekommen zu haben. Nicht einen gescheiten Vers brachte ich mehr zu Wege.

In der Kirche war es zum erstenmale, wo ich meine Geliebte in ihrer vollständigsten Liebenswürdigkeit zu erblicken Gelegenheit hatte. Noch lebt die Erinnerung an jene Momente, in welchen mein Herz vor ekstatischer Wonne zu springen drohte, hell und klar vor meiner Seele. Langsam schritt sie durch die kleine Kirchenpforte,

»Unwissend, daß sie Anbetung errungen,
Wo sie von eignem Beifall nie geträumt.«

an den mit Inschriften und verblichenen Totenkronen behängten Pfeilern vorüber. Meine Minna war von mäßiger Statur, hatte eine gewisse Anlage zur Fülle, und war von denen, auf welche Ovid das multa jacere toro preisend anwendet; trug auch ein weißmusselinenes Kleid und dito Umschlagetuch mit Zacken. In den gefalteten Händen das Gesangbuch nebst dem Levkojensträußchen haltend, schlug sie die Augen sittsam und tugendlich nieder, und blickte stramm auf die Leichensteine der alten Mönche und Äbte, über welche ihr Füßchen trippelte. Ihre Nasenspitze war mittelst zwei bis drei kleiner Blatternarben stigmatisiert – däuchte mir aber nur um desto reizender. – Von jener Zeit an war ich mit dem Kirchenbesuch ausgesöhnt, denn sie versäumte fortan weder Früh- noch Nachmittagspredigt. Item waren die dritten Feiertage, Betstunden, Mariä- und Michaelistage, welche noch aus der Klosterzeit mit ihrem zweispännigen Kirchengang herüberspukten, doch zu etwas gut.

Doch nicht allein in Hinsicht auf den Kirchenbesuch, welchen ich vordem freigeisterischer Weise zu schwänzen beliebte, sondern auch in meinem übrigen Wesen war ich totaliter umgewandelt. Es fiel mir nicht mehr ein, die Ringmauern, welche anjetzo meine Perle umschlossen, furtim zu verlassen, oder mit den Schülern Kegel zu schieben. Ich seufzte mit Max Piccolomini:

»Wie schal ist Alles nun und wie gemein!
Die Kameraden sind mir unerträglich.«

Stundenlang schlich ich mit pochendem Herzen den Gang zwischen der Kirche und den Lehrergärten entlang – denn dort hinaus ging ihr Kämmerlein, dort weilte sie nicht sparsam am Fenster, und begoß, mit dem Gießkännchen klappernd, ihre Centifolien, oder fütterte mit Eosfingern den Zeisig, und schaute jederzeit süßlächelnd hernieder, so oft ich vorbeiambulierte, und tiefseufzend die den Busen zermalmenden Zentnerlasten abzuwälzen strebte. Oft wohl erklomm ich auch einen der Wohnung in gemessener Entfernung gegenüberstehenden Baum, begrub mich in dessen Blätternacht, und blies auf meiner Querpfeife: »Hebe Dich in sanfter Feier,« »Namen nennen Dich nicht,« oder sonst ein empfindungsreiches Lied, von dem ich präsumieren durfte, daß es zärtliche Gefühle bekunde und erwecke.

So saß ich denn wiederum einstmals an einem sonnighellen Sonntag-Nachmittag des Augustmonds als Nachtigall verkappt in den Zweigen und trillerte so recht schwärmerisch über den Garten hinaus nach dem Fenster meiner Geliebten, welche sich geberdete, als sei sie in Beschallung des alten Kirchenportals mit seinen gerieften Bogen und Säulchen und Heiligen, welche lange Bänderrollen in Händen hielten, vertieft. Am ganzen Himmel war keine Wolke zu sehen. Die Bienen umschwirrten meinen schattenkühlen Sitz, und der Buchfink schmetterte im Dickicht, als wolle er meine Flöte überschreien. Aus dem nahen Schulgarten tönte das Rollen der Kegelkugeln und das laute Halloh der Schiebenben, so oft ein Bethlehemitisches Gemetzel unter den Neunen angerichtet wurde. Ich bemitleidete die Armen, welche Amor mit seinem Goldpfeil zu ritzen verschmäht hatte, welche in jenem krüden Materialismus ihre Jugend verdämmerten, denen »Jupiter, der helle Gott, bei der Geburt hinabgestiegen war.« Mir war unaussprechlich wohl und wehe zu Mut. Ich breitete die Arme weit nach der entfernten Geliebten aus, worüber ich schier die Balance auf meinem Sitz verloren hätte, und seufzte:

»Nur wen'ge Augenblicke
Allein mit Ihr!« –

Da verschwand sie vom Fenster, erschien aber gleich darauf wieder an der Thür, und schritt mit dem Schlüssel in den Händen auf den Garten zu.

»Hört' ich das Pförtchen nicht gehen?
Hat nicht der Riegel geklirrt?«

Zu dienen. Sie sperrte das Gitter wiederum, und kam, die von mir geblasenen Melodieen leise und anmutig summend, den Gang herauf. Mir zitterten alle Glieder, und ich vermochte vor innerlicher Bewegung keinen Ton mehr hervorzubringen, kein Loch mit dem Finger zu treffen. Am liebsten wäre ich davon gelaufen, wenn's unbemerkt hätte geschehen können.

Minna ober Minona – wie ich die Geliebte in jenen wonnebangen Augenblicken, »wo man dem Weltgeist näher ist als sonst,« in schaurigsüßen Stunden des sehnsüchtigen Schmachtens zu apostrophieren liebte – Minona strich leise und gleichsam träumerisch durch die kiesbestreuten Pfade des Gartens, richtete das matt gesunkene Köpfchen einer Blume auf, pflückte einen Strauß und zerpflückte ihn wiederum, brach dann einen reifen Pfirsich vom Spalier, und schlug ihre Perlzähnchen in das saftige Fleisch. Sie hatte wiederum ihr hermelinweißes Musselinkleid an, mit einem rotseidenen Gürtel, vor welchem ein schönes blankes Stahlschloß in der Sonne funkelte und blitzte. Sie erschien mir »wie ein Gebild aus Himmelshöhen.« Plötzlich schlüpfte sie in das Gartenhaus, aus dessen offenstehender Thür bald darauf flüsternde schmeichelnde Töne, den Goldsaiten der Guitarre entlockt, hervorquollen. Da vermochte ich nicht länger auf meinem Buchenwipfel auszudauern; ich rutschte vom Baume, durchbrach die Gartenhecke und stürzte, indem ich mir zur Erkräftigung das audaces fortuna juvat vorhielt, in die von Jelängerjelieber umrankte Hütte. Amare et sapere vix deo conceditur.

Anmutig hingegossen lag sie auf einer Lattenbank, mit ihren schneeigen Fingern auf der Zither klimpernd, das Lockenköpfchen schwärmerisch verdreht. Bei meinem tollen Hereinplatzen ließ sie das Saitenspiel herabgleiten, und nun erfolgte Wort für Wort jene mit Recht berühmte Szene zwischen Don Carlos und der Prinzessin Eboli:

– – – – – – – »Ich höre
Auf einer – Laute Jemand spielen – war's nicht,
Eine Laute? Recht, dort liegt sie noch –
Und Laute – das weiß Gott im Himmel – Laute,
Die lieb' ich bis zur Raserei –« u. s. w. u. s. w.

Bis Minna mit der Prinzessin Worten erwiderte und mich »einen liebenswürdigen Vorwitz« nannte.

Rühmlichst unterschied ich mich dagegen von dem Infanten Spaniens, indem ich dort, wo die Tragödie dem Prinzen ein düsteres Verstummen und linkisches Diskulpieren vorschreibt, dem jambischen Leitfaden untreu ward, und in gewählter Prosa die Demoisell Grasmeier nicht nur meines gehorsamsten Respekts versicherte, sondern mich auch nach dem Befinden ihres Herrn Onkels teilnehmend erkundigte, von dem Professor gewandt auf Minonas Zeisig übersprang, und, mit einem Worte, keine Gelegenheit verabsäumte, mich ihr im hellsten Lichte, und als einen im Umgang mit dem schönen Geschlechte nicht Unerfahrnen zu produzieren. Mit herzensfesselnder Huld vernahm sie still vor sich hinlächelnd meine Rede. »Sie blasen ja wohl die Flöte, Herr – ach, Ihren Namen weiß ich noch gar nicht.« – »O ja freilich, liebwerteste Demoisell! Dies ist just mein Leibinstrument. Übrigens heiße ich Friedlich Gotthelf Fistel.« – »Ach. ich liebe die Flöte auch recht sehr,« erwiderte sie. Und so wechselten denn die anmutigsten Redensarten mit kurzen, der respektiven Verwirrung gewidmeten Pausen.

Es wäre wohl fast zu kühn gewesen, wenn ich Minona gleich bei dieser Annäherung von den leidenschaftlichen Gefühlen, welche mich für sie entflammten, halte unterrichten wollen; überdies bimmelte die Schulglocke zur Visitation. So rief ich denn tragisch:

»Horch, die Glocken schlagen dumpf zusammen,
Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf;«

und gewahrte noch, indem ich mich der Schönsten der Schönen empfahl und scheidend einige Accorde von Zukunft, Hoffnung und Wiedersehen anschlug, an ihrem holdseligen Erröten, daß diese Sehnsuchtslaute Anklang zu finden schienen.

Erst nach Stundenfrist legte sich das stürmische Klopfen des Herzens, und dann erst ward es mir möglich, die Totalsumme meiner Glückseligkeit zu ziehen. Ich hatte auf das gloriöseste die Bahn gebrochen, und mit Abstreifung aller schülerhaften Blödigkeit zeugenlose, gewichtige Worte gewechselt, hatte mich als einen in litteris und im Welttone gleich experten Jüngling zu erkennen gegeben, hatte die melodischen Wellen der Schillerschen Verse über ihre Lippen rieseln hören und erkannt, daß sie gleich mir die Meisterwerke des unübertrefflichen Poeten in succum et sanguinem vertieret habe – mithin eine hochgebildete Jungfrau sei. Konnte ich von einem ersten Rendezvous wohl mehr verlangen? Mußte ich nicht einer frühlingsduftenden Zukunft, der Verwirklichung der überschwänglichsten Hoffnungen entgegenträumen? War mir ihre Gegenliebe nicht so gut als gewiß? Und halte ich nicht recht, mit Posa auszurufen: »O Gott! das Leben ist doch schön!«

Dimidium facti, qui bene coepit, habet.

Dieser Kernspruch bewährte sich abermals an meinem Liebesverständnis, welches ich auf ebenso kecke als eigentümliche Weise eingefädelt. Häufiger denn je lauschte sie am Fenster, wenn ich an dem meinigen lautlos phantasierte, und mit kirschbraunen Backen in das Luftloch der Querpfeife zu blasen heuchelte. Abend für Abend wandelte sie während der Betstunden im Schulgarten, in denen dieser von dem profanum vulgus der Alumnen leer war, und wo ich, vom verabredeten Zufall oder zufälliger Verabredung geleitet, ihr nachzuschleichen wagte. So verstrichen denn kaum vier Wochen, bis die getrennten Seelenhälften wiederum verschmolzen, bis ich die Schwüre der reinsten, heiligsten Liebe lallte, und dem Widerhall meiner Gefühle wonnetrunken lauschte.

»An meiner Brust fühlt' ich die ihre schlagen,
Als die Besinnungskraft mir wieder kam.« –

Halchonische Tage vor den Stürmen – ach, weshalb mußtet ihr so schnell, so schnell verrinnen!

Wie Tithrus patulae recubans sub tegmine fagi, wohl aber neidenswerter noch als jener Virgilianische Freigelassene, durfte ich an schönen, stillen Abenden zur Seite Minonas auf einer jener versteckten, laubüberwölbten Moosbänke, mit welchen die Alumnen den von Mauern umklafterten Teil des Knabenberges besäen, als glücklicher Zweisiedler sitzen und träumen, Nachtschmetterlinge haschende Fledermäuse schwirrten in den Lüften; die Frösche stimmten im Sumpf ihre Responsorien an, sonst aber regte sich nichts außer etwa im gegenüberliegenden Küchengarten ein spartanisch gesonnener Schüler, welcher den Pflaumenbäumen einen erschütternden Besuch abstattete. Dort

Qui pinus ingens, albaque populus
Umbram hospitalem consociare amant
Ramis,

rekapitulierten wir zum hundertsten und aber hundertsten Male die Geschichte unserer Liebe, jedes Augenwinkes, jedes Wortes. Nur daß sie den Kirschkern, welcher das Herabrollen der Liebes-Lawine erregte, mit Vorbedacht geschnellt, wollte sie nie Wort haben und allein den Amor als den deus ex machina hierin erkennen. In jenen Stunden – eheu fugaces! – war es, wo wir den Traum der seligsten Zukunft träumten. Noch ein Jahr sollte ich nach dem Willen meines Vaters, des Thor-Einnehmers zu Freiburg an der Unstrut, in Schulpforta verweilen; hiernächst drei Jahre die Leipziger Universität frequentieren, und mich abermals drei Jahre als Gerichtsschreiber oder Vize-Advokat in praxi vervollkommnen. Dann aber stand unserer Verbindung kein Hindernis mehr entgegen. Ich zählte siebzehn Jahr, sie wohl einige mehr – genau weiß ich's nicht, und habe ich aus Delikatesse diesen Punkt stets unerörtert gelassen. Was wollte also solch' ein ärmliches septennium bedeuten? War es denn mehr als ein Wassertropfen im Vergleich zum Weltmeer unsrer Leidenschaft?

Unterdessen war denn der Herbst herangekommen. Die Buchen der Berglehne färbten sich gelb; das Moospolster unserer lauschigen Bank sog den Regen ein und bedrohte das Seraphsgewand Minonas mit garstigen Flecken. Außerdem inklinierte meine Angebetete zum Rheumatismus. Mit zerrissenem Herzen mußten wir demnach auf jene idyllische Freuden verzichten, durften uns nur aus der Ferne die Grüße der Liebe senden, nur briefliche Schwüre der edelsten Leidenschaft, der unverbrüchlichsten Treue wechseln. Ich war recht tief betrübt.

Außerhalb der Mauern Schulpfortas ging es zu jener Epoche drunter und drüber. Der Preuße hatte den Franzosen den Krieg erklärt, und nun ging das Marschieren Tag und Nacht auf der großen Chaussee. Ein Heerhaufe trieb den andern, Fußvolk wie Reiterei, und die Kanonen rasselten an der alten Pforte vorüber, daß die Fensterscheiben nur so klirrten. Der ganze Schul-Coetus war einesteils in Sachsen und Preußen, andernteils in Gallier zerspalten, und der Schulgarten war Zeuge der memorabelsten Völkerschlachten. Heillose Prügel setzte es auf beiden Seiten, innerhalb und außerhalb der Mauern: Iliacos intra muros peccatur et extra. Aber was kümmerte sich ein in Liebe und Seligkeit schwimmendes Herz um alle Welthändel? Mich freute nur, daß die Lektionen eingestellt wurden, und ich frank und frei herumlaufen mochte. Da fingen die Leute an, die Köpfe zusammenzustecken, und von einer Schlacht, welche die Preußen bei Saalfeld verloren haben sollten, zu munkeln. Die Professorsfrauen rannten mit ihren silbernen Löffeln treppauf, treppab, vergruben sie in dem Garten, und scharrten sie wieder aus, um sie in der Rauchkammer zu verstecken. Die Porträts von Bonaparte mehrten sich zusehends; der französische Sprachlehrer, der sonst nie für voll angesehen wurde, war oben auf, und die alliiert gesonnenen Alumnen desertierten dutzendweis zur fränkischen Gegenpart.

So kam der 14. Oktober heran. Schon eh' noch der Morgen graute, waren die Franzosen alert und stürmten in hellen lichten Haufen nach Kösen, weniger aber des frischen Kuchens halber wie wir Primaner. Es währte auch nicht lange, bis die Kanonen von den Bergen brummten, und die Oreaden des Saalethals ihr dumpfes Echo-Amen nachbeteten. Der dichte, weißgraue Nebel wehrte jede Umsicht. Immer kamen neue Regimenter, machten an der Schule Halt, und verlangten Essen und Trinken, nicht anders, als wenn die alma mater nur eine Kneipe und der Rektor der Herbergsvater wäre. Küchschreiber und Kornschreiber rannten in der Bestürzung wie Stähre mit den Köpfen zusammen, und der weißgepuderte Rentmeister sandte tobend und in fremden Zungen parlierend einen Korb Alumnenbrote, einen Anker Naumburger Wein nach dem andern vor das Thor. Wenn die Soldaten nur nicht vergessen haben, brav Zucker in den letztern zu thun, sonst möchte er ihnen wohl kaum gut bekommen sein. Rückten auch ganzer Wagen voll Blessierter und Sterbender ein, und nun begann erst das wahre Elend. Die Kranken wollten so gut wie die Gesunden zu essen und zu trinken haben; und sogar das Mittagsbrot für den Coetus wurde den Heißhungerigen preisgegeben, was uns namentlich die Generosität etwas zu weit getrieben und außer allem Spaß bedäuchte. Wenn ich nun alle die konsternierten käsebleichen Gesichter um mich her ansah, das Fluchen und Schelten der rohen Kriegsknechte vernahm, das Gewimmer der Verwundeten und das Gebrüll von wer weiß wie viel hundert Kanonen, wenn ich ferner der Möglichkeit gedachte, daß ein Kriegshaufe sich in die sacra moenia Portae werfen könne, und wir dann eine Belagerung mit Haubitzen und Bomben aushalten müßten, daß uns ein Untergang wie Ilium bevorstände – dann wurde mir doch etwas weichlich zu Mute, und meine Fassung ging, trotzdem ich mir das rebus in angustis aequam servare mentem vorhielt, mächtig in die Brüche. Der große Scheller und der Livius, emendiert von Ernesti, waren zwar nur die einzigen Besitztümer von Wert, deren ich mich rühmen durfte – aber wenn auch.

So schlich der Abend heran, und mit ihm kam auch die Nachricht, daß der französische Marschall Davoust bei Hassenhausen eine große Viktorie davongetragen. Die Franzosen jubelten, und sogar die Totsterbenskranken schrieen, so laut sie vermochten, ihr Vive l'Empereur! Die Konfusion ward aber nun erst recht groß, denn Gesunde und Kranke wurden in die Hörsäle und bei den Professoren einquartiert. Da ging es in der Schulpforte wie beim polnischen Reichstage her.

Zweimal vierundzwanzig Stunden waren dergestalt unter Trubel, Angst und Not vergangen. Wir hockten bei erbärmiglich schmaler Kost auf unsern Zellen wie die Kaninchen im Bau, und durften nicht den Fuß über die Schwelle setzen. Von meiner süßen Minona hatte ich während der ganzen wilden Kriegswirtschaft auch nicht ein Löckchen zu sehen bekommen. Seelenangst, daß ein despotischer Kriegs-Obrister oder sonst ein Gewaltmensch die Geliebte gewaltsam mir entführt haben könne, raubte mir Ruhe und Schlaf. Endlich begann denn die strudelnde Flut der Kriegsscharen sich allgemach zu verlaufen, und wir steckten wieder die Köpfe aus unsern Mauslöchern.

Es dunkelte bereits, als ich die Treppe hinunterflog, um der quälenden Ungewißheit über Minonens Schicksal ein Ende zu machen. Der Wind heulte durch den langen Kreuzgang, nicht anders, als das Ächzen und Angstgeschrei der Sterbenden, welche hier vor wenigen Stunden ihre militärische Karriere beendet hatten. Mich überlief's ganz kalt. Draußen schlug mir ein feinsprühender Regen ins Gesicht. Frostschauernd schritt ich hinaus und vor das Fenster meiner Braut – ein mattes Licht glimmte in demselben. Ich wagte einige melodische Lockrufe anzugeben – sie blieben erfolglose. Das Entsetzlichste befürchtend, rannte ich fort, schleppte eine Feuerleiter herbei, legte sie mit dem Spruche

»Nichts ist zu hoch, wonach der Kühne nicht
Befugnis hat die Leiter anzulegen«

an das Haus und erklomm das Fenster. Ach, da saß die Herrliche im schönen, von den Grazien geordneten Negligé, und las meine Liebesbriefe. Leise, leise pochte ich an die Scheiben – sie bebte zusammen, sie erkannte mich, öffnete das Fenster und ich lispelte schwärmerisch:

»So ist er endlich da der Augenblick,
Und Karl darf diese teure Hand berühren.«

Da war nun alles Leid und Weh vergessen. Sie erzählte mir von der Angst, die sie erduldet, und ich ihr wiederum von der Hungersnot, die wir ausgestanden, worüber sie aus mitleidiger Rührung mir eine Krause mit eingemachten Prünellen, die gerade auf dem Tisch stand, verehrte. Das Übermaß meiner Seligkeit überwältigte mich, und meine Zunge, zu arm, das Entzücken mit eigenen Worten auszusprechen, entlehnte die Worte des unsterblichen Dichters, und deklamierte schmachtend:

»Deine Blicke, wenn sie Liebe lächeln,
Können Leben durch den Marmor fächeln,
Felsenadern Pulse leihn« –

da begann aber die Jakobs-Leiter, auf deren Sprossen ich den Himmel erstiegen, auf eine höchst befremdliche Art zu schwanken, und ein mißtöniger Baß – ach, es war des Rektors Stimme – donnerte in mein Ohr: »Was macht Er hier? Was hat der Schlingel auf der Leiter zu suchen? Will Er den Augenblick wohl herunter!« – Obstupui, steteruntque comae, vox faucibus haesit. Entsetzen und ein fortwährendes, übermächtiges Erschüttern der Leiterbäume löste meine Glieder – ich plumpte wie ein Sack herunter, und dem Zornsprühenden gerade vor die Füße. – »Er ist der Fistel? Wart' Er, ich werd' Ihm lehren! Marsch, auf Sein Zimmer. Das Weitere wird sich finden.« –

Niedergeschmettert von dem kategorischen Imperativ des schwarzen Jupiter tonans schlich ich mit gesenkten Ohren und brechenden Knieen heim. So viel war mir wohl klar, daß der Augenblick gekommen, wo ich den Schuldbrief des Glücks zurückgeben müsse, und zwar unerbrochen. Für den Augenblick strebte ich nur meiner entsetzlichen Seelen-Beklemmung zu entgehen, kroch im Bett wie ein Igel zusammen, zog die Decke über die Ohren und verschlief alles gebrannte Herzeleid.

Am nächsten Morgen und im Laufe der nächstfolgenden Tage schlich ich wie ein zweibeiniges böses Gewissen umher. Kein Mensch that aber, als wisse er eine Silbe, und sie sahen mich bloß von der Seite mit einer Pharisäer-Miene an, als wollten sie sagen: Gott sei gelobt und gepriesen, daß wir nicht in Deiner Haut stecken. Ich mochte auch gar nicht weiter fragen, um nicht den schlafenden Löwen zu wecken, dachte nur in meinem Sinn, der ganze Kasus würde sich wohl in den gegenwärtigen kritischen Zeitläufen verbluten, und that nachgerade immer protziger und unbefangner, just als ob ich kein Wässerchen getrübt hätte. Der Aufwärter steckte mir heimlich zu, daß die Demoisell Grasmeier bei Nacht und Nebel habe heimkutschieren müssen. Weshalb, wisse er nicht. Mir war das Warum nur allzu klar, und ich seufzte aus blutendem Herzen.

Mochten seit jenem Schicksalsabend vierzehn Tage verstrichen sein, als mich der famulus communis am Sonnabende vor die Synode zitierte. Ein sinistres Omen. Auf dem Wege dahin suchte ich mich mit dem klassischen dicto:

»Ein Augenblick gelebt im Paradiese
Wird nicht zu teuer mit dem Tod bezahlt.«

zu encouragieren, wobei ich mir noch obenein vorhielt, daß es nicht einmal ans Leben gehe. Kein einziger Trostspruch wollte jedoch verfangen, et paene gelidus timor occupavit artus.

Oben an dem grünen Tisch saß der riesengroße, hartknochige Rektor, und schoß über seine ultrarömische Nase Giftkugeln-gleiche Blicke auf mich ab. Die andern sechs Inquisitions-Richter saßen zur Rechten und Linken. Wohin ich sah, nichts als schwarze Samtkäppchen und Röcke, und grimmig gerunzelte Stirnen; nur die Gesichtsfalten des Oheim Triptolemos hatten eine elegische Drappierung angenommen. Der Rektor entfaltete einen schönen Velinbogen mit darunter gedrucktem großmächtigem Siegel, und las mir daraus mit klarer vernehmlicher Stimme vor: Wie ein Kurfürstlicher hoher Kirchenrat zu Dresden, auf Antrag des preislichen Schul-Kollegii, zu dekretieren geruht habe, daß dem Alumnus Friedrich Gotthelf Fistel aus Freiburg an der Unstrut, unziemlicher Verbindung halber, das consilium abeundi erteilt werde – »Und nun,« schloß der Rektor, »kann Er gehen!« – Das that ich auch.

Zurückgekehrt auf mein Zimmer, fanden sich etliche Kommilitonen aus mildherzigem Erbarmen mit meiner desolaten Lage bewogen, mir den erwähnten großen Scheller und Livius für ein Drittteil des Ladenpreises abzukaufen, wie sie mir denn auch noch ein Vivat als valedicturus, welches bei Abgängen aus der Schule gebräuchlich, vor dem Thor zu bringen gedachten. Als ich nun aber mit meinem freundschaftlichen Komitat an das Ende des langen Kreuzgangs gelangte, stand der Rektor bereits wie ein Engel mit feurigem Schwert vor der Thür, schwang den spanischen Stock recht rührig, und donnerte mit einem fulminanten Quos ego! dermaßen auf die Alumnen ein, daß der ganze Haufe zerstob, und ich recht muttlerseelenallein ohne Vivat und Abschiedsküsse zum Thor hinaus trappen mußte.

 

Dies ist die wahre pflichtgetreue Berichterstattung von meinen Erlebnissen in Schulpforta, von meinen dortigen Freuden und Leiden. Ich beginne nunmehro einen zweiten Lebensabschnitt, nachdem der günstige Leser mich bereits im exordio, mittelst dessen ich ihn gleichsam medias in res versetzte, als Pilger auf der Naumburger Chaussee, und alternierend fluchend, singend, rauchend und weinend hat kennen lernen.

Zu letzterem, dem Weinen nämlich, aber hatte ich meine guten Gründe. Wahrhaftig, wenn ich mir alles genau überlegte, so war ich noch schlimmer daran, als die Krähen auf dem Felde. Diesen winkte doch ein jeder Baum freundschaftlichst mit seinen Zweigen zu, bei ihm einzukehren und auszuruhen, die fanden doch auf jedem Kirchendach eine Heimat – um mich aber grämte sich von nun an keines Menschen Seele, und ich hatte weder Dach noch Fach, wo ich mein müdes Haupt hinlegen konnte. Bis Freiburg an der Unstrut waren es freilich nur zwei kleine Stunden Weges. Dort lebte aber ein gewisser alter Herr, welcher den Posten eines Thoreinnehmers bekleidete, und früher unter Kurprinz-Dragoner seine dreißig Jahr als Unteroffizier gedient hatte – ein Mann von altem Schrot und Korn, der als Korporal durch seine ausdrucksvolle Fuchtel berühmt geworden, und auch seinem lieben Söhnlein gegenüber nicht selten als Orbilius plagosus zu figurieren beliebte – und war dieses mein Herr Papa. Dieser würdige Mann hatte mir bei meinem Abgange nach Pforta nächst seinem Segen folgende treu und ernsthaft gemeinte Vermahnung mit auf den Weg gegeben: »Junge, durch Gottes und unsers allerhuldreichsten Kurfürsten Gnade hast Du nunmehr die Freistelle bekommen. So zeuch denn hin, mein Sohn, studiere, daß es kracht, und mache Deinem alten Vater Freude. Kommst Du ihm aber wieder vor Augen, eh' Du Aktuarius oder mindestens Akzessist geworden, so soll Dir – mit einem Blick in den Winkel auf den schlummernden brünetten Spanier – ein heiliges Donnerwetter auf den Hals fahren. Und nun geh mit Gott.« – Der Alte war ein Mann von Wort. Wohin nun mit dem konsiliierten Alumnus, da dermalen die Räuberbanden in den böhmischen Wäldern aus der Mode gekommen? Hinc illae lacrimae!

Ohne Zweck, ohne Ziel rannte ich auf der großen Straße dem physiognomischen Wegweiser, der Nase, nach, an Naumburg vorüber, auf Weißenfels zu. Wohin ich blickte, sah es wild und wüst aus. Die Wintersaat war zertrampelt. Auf den Anhöhen standen halbverbrannte Windmühlen, in der Tiefe dachlose Häuser, und die verkohlten Sparren lagen rings umher verstreut. Die Straße war mit zerbrochenen Laffeten, verdorbenen Musketen und anderem Mordgewehr wie besäet, und kein Mensch gab sich die Mühe, das Zeug aufzulesen. Tote Pferde lagen hart am Wege, und Dutzende von Krähen saßen darauf, ohne sich von den Vorübergehenden bei ihrer Mahlzeit stören zu lassen. dermalen die Räuberbanden in den böhmischen Wäldern aus der Mode gekommen? Hinc illae lacrimae!

Ohne Zweck, ohne Ziel rannte ich auf der großen Straße dem physiognomischen Wegweiser, der Nase, nach, an Naumburg vorüber, auf Weißenfels zu. Wohin ich blickte, sah es wild und wüst aus. Die Wintersaat war zertrampelt. Auf den Anhöhen standen halbverbrannte Windmühlen, in der Tiefe dachlose Häuser, und die verkohlten Sparren lagen rings umher verstreut. Die Straße war mit zerbrochenen Laffetten, verdorbenen Musketen und anderem Mordgewehr wie besäet, und kein Mensch gab sich die Mühe, das Zeug aufzulesen Tote Pferde lagen hart am Wege, und Dutzende von Krähen saßen darauf, ohne sich von den Vorübergehenden bei ihrer Mahlzeit stören zu lassen. Vestigia belli! – Mir war alles dies etwas Neues, und ich vergaß einigermaßen darüber meinen Gram. Als ich nun aber bergan stieg, und der alte Wartturm von Freiburg mir so wehmütig aus der Ferne zunickte, da erwachte das Bewußtsein meiner elenden Position wieder mit voller Lebendigkeit, und ich bekam ein rechtes Heimweh.

Wie oft war ich nicht als kleiner Junge nach jener alten Burg hinaufgestiegen, und hatte mich auf einen der Fruchtbäume, welche um den Bergabhang gepflanzt waren, abwechselnd an den Kirschen und an der schönen Aussicht zehrend, geschaukelt. Dann ragten zu meinen Füßen die beiden zierlichen Turmspitzen des Freiburger Doms aus dem Häusergewirr; die Unstrut strudelte im engen Bette zwischen den Weidensträuchern; weiße Weinbergshäuschen krochen lustig die Berglehnen hinan, und über die dunklen Wälder her erklang ein stillseliges Abendgeläute; und dann suchte ich mir den schmalen Giebel des väterlichen Hauses heraus, und freute mich über die vielversprechende Rauchsäule, welche aus dem Schornstein emporwirbelte. Kehrte ich nun aber mit sinkender Sonne müde und hungrig heim, so hatte die Mutter bereits das gewürfelte Schachwitz-Tischtuch aufgelegt und die dampfende Schüssel aufgetragen; der Mops, welcher im Ledersessel schnarchte, ermunterte sich, und der Vater schob seine Kassenbücher bei Seite, mitsamt dem grünpapierenen Lichtschirm, und fragte wohl liebevoll: »Wo steckt nur der Taugenichts, der Fritz?« – Mir gingen die Augen über, wenn ich der schönen, ach so fernen, auf ewig entschwundenen Kinderzeit gedachte.

Aus meinen schwermütigen Betrachtungen über die Vergänglichkeit irdischer Guter wurde ich durch den Ruf: Ah ça p'tit, venez ici! aufgeschreckt. Es war ein kaiserlich französischer Soldat, welcher mich dermaßen apostrophierte, ein ganz extraordinärer Kauz, oder vielmehr Käuzchen – war er doch fast noch um einen Kopf kleiner als ich, trotzdem, daß ich just auch nicht dem Titanengeschlecht zuzurechnen war. Ein schäbiger, fuchsrötelnder Dreimaster mit zerfaserter Bandtresse, unter dessen dreifarbiger Kokarde ein blecherner Löffel der Quer stak, saß schräg und verwogen auf dem gepuderten Haupte und dem kurzen, glatt abgeschnittenen, armsdicken Zopfe des Myrmidonen. Schwarze, schlaufunkelnde Äuglein blitzten aus einem Gesicht, welches sonnenbraun, von Pockennarben und Säbelhieben zerfetzt, einer halbgaren Karbonade nicht ganz unähnlich war. Auf dem rechten Ärmel der in der Farbe verschossenen blauen Montierung waren drei, vier Bandschleifen genäht, und jede deutete, wie ich später erfuhr, auf eine erneuerte Kapitulation. Trotz der naßkalten Oktober-Witterung trug der Soldat gelbe Nanking-Eskarpins und Gamaschen. Ihm zur Seite stand ein Frauenzimmerchen, welches ganz hübsch gewesen wäre, wenn ihr Gesicht nicht einen so markierten militärischen Komment gehabt hätte. Sie war mit einer grünen Husarenjacke mit Schnüren und Schleifen bekleidet, und trug auf dem Kopf einen runden Mannshut, auf welchem ein roter Haarbusch schwankte. Ein zweirädriges Kabriolet lag mit gebrochnem Rade halb auf der Erde. Die virago las die beim Sturz vom Karriol gefallenen Effekten von der Erde auf, der Kriegsknecht aber prügelte mit dem eisernen Ladestock ganz erbarmungslos auf den einäugigen Gaul. Ich sprang auf den Wink des Franzmanns hurtig hinzu, und half der Husarenmamsell die Branntweintönnchen, geschlachteten Gänse, Zuckerhüte, Knackwürste und Semmeln, die in den Graben gekollert waren, wieder auf das Wäglein binden und letzteres aufrichten. Aber das Rad war und blieb entzwei. Der Soldat sakernomdiöte zwischen den Zähnen, richtete dann den Kopf auf, schnoperte wie ein Windhund rund umher, rief mir ein attendez ici! zu und zog dann querfeldein auf ein einzelnes, zwischen den Äckern liegendes Häuschen los.

In seiner Abwesenheit fing das Weibsbild an, mit mir zu diskurieren, und erzählte in ihrem elsasser Deutsch, wie sie aus Straßburg gebürtig sei, Catin heiße, und vivandière oder Marketenderin beim 113ten Infanterie-Regiment sei. Jetzt ziehe sie mit ihrem Mann, dem Caporal la Crosse, dem die Soldaten den Beinamen le diable à quatre gegeben hätten, der großen Armee nach, seitdem sie sich beim Requirieren um ein weniges verspätet. Hierauf wollte sie auch wissen, weß Geistes Kind ich eigentlich sei. Es war kein Grund vorhanden, weshalb ich mit meinen fatis hätte hinterm Berge halten sollen, und so vertraute ich ihr denn in gedrängter Kürze, wie ich unseliger Liebesaventüren halber aus der Schule gejagt, mich als Ex-Portenser hilf- und ratlos umhertreibe, und nachgerade reif zum Hängen sei – Madam Catin schüttelte befremdet den Kopf, und alles, was ich ihr referierte, waren ihr böhmische Dörfer. Am wenigstens aber konnte sie kapieren, daß ich einer Amour halber verwiesen und mich just des Wegjagens halber so trostlos gebärden könne. »Preist doch Euern günstigen Stern,« setzte sie hinzu, »daß Ihr endlich Eurer dumpfigen, verdrießlichen Schulprison entwischt seid, und Euch frank und frei in der großen weiten Welt umherteiben dürft. Jetzt giebt es Krieg an allen Ecken und Enden, und das ist gerade die herrlichste Zeit für die Desperaten, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen haben. Faßt Courage, mein Kleiner. Euer Unglück ist pure Einbildung, und nicht der Rede wert.«

Mittlerweile kam auch der Caporal wieder und rollte ein Wagenrad, welches er in der einzelnstehenden Hütte requiriert hatte, vor sich her. Der Bauer folgte von weitem heulend und die Hände ringend, der Franzos aber zeigte ihm den blanken Säbel, und da schlich er zurück.

»Nun, nun, der Soldat
Behilft und schickt sich, wie er kann.«

Wir paßten das neue Rad an; es war ein bischen kleiner als das andere, das that aber weiter nichts zur Sache – ging doch das Karriol wieder vom Fleck. Nun sprach Madam Catin mit ihrem Herrn Gemahl auf französisch, detaillierte ihm meine Lage, und nannte mich ein bon enfant und pauvre diable. Der Mann schien meine Fatalität eben nicht höher als sie anzuschlagen, brummte naserümpfend und den Schnauzbart drehend: Bagatelle que ça! und endlich: Ah ça, montez! Da gehorchte ich ihm mit freudigem Herzen, und setzte mich zwischen den Schinken und Kommißbroten auf ein umgestürztes Tönnchen. Catin reichte uns die volle Flasche pour pendre la goutte, ergriff hierauf die Zügel, peitschte auf den einäugigen Engländer los, und nun rollten wir lustig des Weges.

Le diable à quatre zog sein Thonpfeifchen hervor, ich meinen Ulmer Holzkopf. Er blies große Wolken von sich weg, ich noch dreimal dickere. Madam kam aber über dies gewaltige Gequalme ins Husten, und schalt auf uns beide ein, daß wir die Achtung, die man den Damen schuldete, so gröblich verletzten. Da lachte der Caporal und versenkte seinen Stummel: ich ließ den meinigen ebenfalls ausgehen, und als der Franzose mit lauter, nicht allzumelodiöser Stimme das »Allons enfants de la patrie« anstimmte, holte ich meine Pickelflöte vor und accompagnierte ihm ganz munter. Die Marketenderin fiel ein und schlug mit der Peitsche den Takt auf den alten Einspänner, so daß wir recht nach Noten davonfuhren.

Der Caporal war über unsere musikalischen Leistungen ganz guten Humors geworden und meinte, es sei nun Zeit zu beratschlagen, was aus mir werden solle. Madam wurde mit zur Konferenz gezogen, und nach zwei Sekunden war das Ehepaar einig: mir ständ's auf der Stirn geschrieben, daß ich nur beim 113ten prosperieren könne. Ich mochte wohl ein stutziges Gesicht über die Proposition gemacht haben, denn der Caporal la Crosse wurde ganz empfindlich, daß ich nicht mit Enthusiasmus auf die Idee einginge, und eilte mit giftig-funkelnden Augen, mir die Thaten des 113ten vorzurechnen, und wie es eigentlich besser als die Garde selber sei, und überall vorgeschoben würde, wo's gälte. »Sieben Kampagnen, elf Bataillen, dreiundzwanzig Kanonen genommen und acht Fahnen – Hein? Ça 'n 's mouche pas du pied, mon p'tit!« Hierauf nannte er mir ein Dutzend Namen von Generalen und Marschällen, die alle damit angefangen, aus der Schule zu laufen oder vom Gewürzkrämer, und mit der Muskete in der Hand Fortüne gemacht. Kennst Du den Augereau? Kennst Du Victor? Kennst Du Junot? He? Ah tonnerre de Normandie! Hundertmal haben sie in diesen Feldkessel hier mit mir zusammen den Löffel eingetunkt. Ja, mein Kleiner, das war im Jahre 1 und 2. In jener Zeit waren wir noch alle gleich; 's gab nur citoyens. Damals rissen sie sich noch darum, wer mit dem diable à quatre ins Quartier kommen solle – war ich doch in der ganzen Armee wegen meiner delikaten Suppen renommiert. Und jetzt sind sie Großkreuze und Herzöge. Ah, sacré nom d'un nom! und ich bin und bleibe der Caporal la Crosse!« –

»Ja, wenn die leidigen Aristokraten nicht wären,« schob Catin maulend ein. »Seitdem die nach Frankreich zurückkehren durften, kommt der pantin nicht mehr auf. Bonaparten sind jetzt seine neugebackenen Grafen und Barone lieber, als die alten Schnurrbärte von Montenotte. Nun, wir werden ja sehen, wer ihn aus der Patsche zieht.«

Auf seinen kleinen Caporal wollte aber der diable à quatre nichts kommen lassen, und nun entspann sich zwischen dem Ehepaar eine politische Kontroverse, aber mit einer solchen Zungen-Volubilität, daß ich keine Silbe davon verstehen konnte, wie denn überhaupt mein Französisch nicht allzu weit her sein mochte – Catin meinte wenigstens, es röche ganz verzweifelt nach dem pays latin. Als ich nun aber an unzweideutigen Zeichen gewahrte, daß die Gemüter sich mehr und mehr zu echauffieren begannen, langte ich wieder meine Querpfeife hervor und blies einen Versöhnungs-Walzer. Der schlug augenblicklich an. Catin vergaß ihren Kummer darüber, daß ihres Mannes Verdienste trotz der kräftigsten consommés, gleich denen des Wachtmeisters in Wallensteins Lager, bisher im Stillen geblieben, und sprang schnell auf das Lob des großen Kaisers und des 113ten über. Beide schilderten mir nun, abwechselnd deutsch und französisch, wie prächtig es sich als Soldat leben lasse, und namentlich in Deutschland, wo man überall gedeckten Tisch finde – die Flasche machte dazu die Runde. Ich begeisterte mich durch etliche klassische Sprüche, wie z.B. dulce et decorum pro patria mori, was im Grunde genommen und wenigstens für den Augenblick auf mich gar nicht paßte; per aspera ad astra; »im Felde, da ist der Mann noch was wert,« und was nun dergleichen heroische Mottos mehr mir gerade durch den Kopf schossen. »Topp,« rief ich, »Ihr habt mich gewonnen! Aus dem Soldaten kann alles werden, denn Krieg bleibt ewig die Losung auf Erden. Es lebe das noble 113te Regiment und der wackere Caporal la Crosse nebst seiner Frau Gemahlin! Und wenn ich dereinst General oder Feldmarschall geworden bin, so will ich Euer gedenken!« – Die Marketenderin lachte und meinte, das könne mir gar nicht fehlen.

Unter solchen Diskursen kamen wir nach Lützen, wo unser Regiment in Kantonnierung lag. Die Soldaten, die vor den Häusern schwatzten, Ball schlugen, oder mit hölzernen Rappieren fochten, begrüßten ihre getreue Marketenderin mit lautem Jubelgeschrei, umdrängten das Kabriolet und setzten den Messinghahn des Tönnchens in Bewegung. Sie mußte viele intime Freunde im Regimente haben – schien es aber auch zu verdienen, und verteilte ihre Gläschen und Späßchen nach der Schnur. Es war so recht eine Gustel von Blasewitz, nur in der französischen Übersetzung.

Der diable à quatre nahm, so wie wir vom Wäglein gekrochen waren, mit einemmale eine ganz sonderbare befehlshaberische Miene an. »Jetzt ist's keine Zeit, den Krähen nachzuschauen,« rief er. »Der Dienst ruft. Marsch.« Und nun zog er mit festem, kriegerischem Schritt voran, trat in das Zimmer des Hauptmanns, legte die verwandte Hand an den Dreimaster, und sprach: »Mein Kapitän! hier bringe ich der Kompanie einen Rekruten.« Der Hauptmann spielte gerade Karte mit einem andern Offizier, blickte gar nicht einmal auf, und nickte ganz kurz: C'est bon. Allez. – »Mein Kapitän,« fuhr der Caporal fort, »conscrit bläst die Flöte wie Orpheus. Wir könnten einen guten Tambour aus ihm machen.« »Soit. Allez!« war der abermalige lakonische Bescheid – und wir gehorchten. Der diable à quatre verzog keine Miene, mich aber wurmte es doch gewaltig, daß man mit einem ehemaligen Primaner so wenig Umstände mache, und daß ich statt des verheißnen Marschallstabes nur den Trommelstock schwingen solle. Machte auch dem Caporal allerhand Einwendungen und Vorstellungen.

Der antwortete aber nur ganz barsch mit einem: Silence und schritt weiter zum Sergeant-Major,

Ein langer, hagerer Mann mit totbleichem Gesicht, in welchem ein Paar schwarzer funkelnder Augen rollten; auf dem Schädel kein Haar, und nur im Nacken ein kleines, schwarzumwickeltes, kerzengerade abstehendes Büschchen, welches einem Zöpfchen glich; quer über den Hirnkasten aber eine lange tiefe Narbe, breit genug, um zwei Finger hinein zu passen – das war der Sergeant-Major. Ihm zur Seite saß ein großer, schwarzer Pudel auf dem Stuhle, und glotzte mich starr und unbeweglich wie sein Herr an. Der Caporal betete hier zum andernmale sein Sprüchlein ab: › Mon Sergant-Major, hier bringe ich der Kompanie einen conscrit. Er bläst die Flöte wie ein Orpheus. Wir könnten einen guten Tambour aus ihm machen.« – Der Totenkopf zwinkerte nur mit den Augenbrauen, sah mich so starr und durchdringend an, daß es mir eiskalt über den Rücken lief, langte ein Büchlein hervor und schrieb mein ganzes Gesicht ab, nicht anders, als entwerfe er einen Steckbrief. Auf einen andern Augenwink holte la Crosse einen Zollstock herbei, und maß mich vom Wirbel bis zur Zehe. Wurde gleichfalls eingetragen. »Heißt?« fragte der Feldwebel- Mumie. Stotternd nannte ich meinen Namen. »Alt?« – Siebzehn Jahre. – »Ist Nummer 87.« – Ein dritter Augenwink und le diable à quatre fuhr mit mir ab.

»Ein Heros, der la Terreur dort, der Sergeant-Major,« raunte mir der Caporal vor der Thür zu; »brav wie der Degen Karls des Großen! Ha! Hat früher bei der colonne d'enfer gestanden – bei den Pyramiden den Hieb über den Schädel empfangen. Ein Heros, ein Agamemnon.« – »Ist ihm die Zunge nicht gut gelöst?« fragte ich schüchtern. – » A sacré mâtin! Die Schweigsamkeit hat er noch von seinen frühern Metier beibehalten. Vous comprenez,« fügte la Crosse hinzu, indem er die rechte Hand vertikal auf die flache Linke fallen ließ. Ich schüttelte verdutzt. » Eh, butor! Exécuteur des arrêts criminels war er während der Revolution zu Lyon, hat mehr als hundert Aristokratenköpfe die carmagnole tanzen gelehrt. Das ging Euch un, deux. Ha, bei der Guillotine kann einer schon die Sprache verlernen. Eine ganz süperbe méchanique, solches Fallbeil.« – Gott, Gott, unter welche Währwölfe war ich geraten! – »Im Kartätschenfeuer aber,« fuhr la Crosse fort, » morbleu! da spricht der la Terreur wie ein Mirabeau, und schlägt sich wie ein Cäsar. Ein Teufelskerl! Also Deine Nummer?« - Ich hatte sie in der Herzensangst rein vergessen, – » Tonnerre de Normandie! Ohren auf, wenn's den Dienst gilt! Nummer 87 bist und bleibst Du in der Kompanie, bis Dir die Kugel den Abschied unterzeichnet. Vorwärts!«

Die dritte Standesperson, der ich nunmehr vorgestellt wurde, war der Capitain d'armes; dies war aber nur ein Titular-Hauptmann, und streng genommen ein Unteroffizier, der über die Uniformstücke kommandierte, ein kleines, braunes, bewegliches Kerlchen. Der sprang wie ein Eichhörnchen auf den Montierungswagen, riß bald das eine, bald das andere Pack hervor, hing mir eine Kapotte über, die eine zwei Fuß lange Schleppe bildete, stülpte mir einen Czako auf, der mir nur um weniges über die Nase fiel, warf mir dann noch eine spitze tuchene Schlafmütze, bonnêt de police genannt, Säbel, Trommel, was weiß ich alles, zu, sang dazwischen Ça ira, und fand zum Schluß, wie ich, mit all' dem Trödelkram behangen, nicht wußte, ob ich lachen oder weinen solle, daß ich jetzt wie ein Prinz equipiert sei. Wenn sich nicht Madam Catin daheim über mich erbarmt hätte, so wäre ich rein verloren gewesen. Die schnitt das Fähnchen hinten ab, zog zusammen, paßte an, rückte zurecht, klatschte mir dann mit der flachen Hand auf die Backen und meinte, ich sähe ganz scharmant aus. Nur Courage solle ich fassen, das andere finde sich alles – ihr alter Trostspruch.

Ach, Courage, woher die nehmen? Da stand ich denn mit einemmale einsam und verlassen in der Welt, ohne eine wohlwollende, für mich sorgende Seele, die der Marketenderin ausgenommen. Alle Anderen drehten und drängten sich kalt an mir vorüber, tanzten und zechten, lachten und fluchten wild durcheinander, aber um mich, ihren neuen Kompanie-Kameraden, grämte sich eben keiner.

Mit thränenschwerem Herzen flüchtete ich mich zuletzt in das Kämmerchen des Lützner Knopfmachers, zu welchem mich mein Quartierbillet verwies. So hatte ich denn togam cum sago vertauscht, Epictets Encheiridion mit dem Kriegs-Reglement, die Muse mit der Marketenderin, den Rektor mit dem Guillotinen-Feldwebel, die Feder nicht einmal wie der lange Peter von Itzehoe mit der Kugelbüchse und nur mit dem Trommelschlägel! Auf dem sonnigsten Gipfel des Glücks hatte ich gestanden, war Anbeter und Angebeteter einer zartfühlenden deutschen Jungfrau gewesen, ihr Verlobter cum spe, sie in sieben Jahren als Frau Vizeaktuariussin heimzuführen – ach,

»ich will vergessen,
Wie unaussprechlich glücklich ich mit ihr
Geworden wäre.«

»Da kam das Schicksal roh und kalt,« schüttelte mich von der Leiter und aus den Armen der Liebe, schleuderte den dereinstigen Mann des Gesetzes unter jene barbarische Heerschar, vulgo die Löffelgarde geheißen, zwang mich, dem Siegeswagen des stolzen, fränkischen Imperators voranzutrommeln, und dereinst, statt in den torus der Heißgeliebten, unbeweint in ein fernes blutiges Grab zu sinken. Auf diese und homologe Art haderte ich in meiner Bodenkammer mit dem unerbittlichen Fatum, bis mir endlich vor Elend und Müdigkeit die Augen zufielen.

Am folgenden Morgen rüttelte mich einer heftig beim Arm. Schlaftrunken fuhr ich auf und fragte, ob's schon Zeit sei zur Betstunde. »Ach du mein frommer Herr Jesus,« antwortete der Schüttler, den ich endlich als meinen ehrlichen Wirt erkannte, »von Betstunden dürfte wohl bei Ihrem Korps nicht allzuhäufig die Rede sein, aber die Herren Soldaten marschieren schon allzusammen ab, und da wollte ich mir nur die ergebenste Freiheit nehmen – –« Ich warf hastig den ungewohnten Kriegsrock über, packte die Trommel unter den einen Arm, den Havresac unter den andern, schüttelte dem Knopfmacher, der mir tausend Gottes-Segen und eine glückliche Heimkehr nach Sachsen wünschte, die Hand, und rannte über Hals und Kopf dem Regimente nach. Da lachte der Oberst, als ich an ihm vorüber schoß, hell auf und die imitatorum serva pecora der Kriegssöldner brachen auf dieses Signal gleichfalls in ein wütendes Gelächter aus, riefen mir Spitznamen nach und peitschten mich mit salse dictis die ganze Regimentslinie entlang. Der diable à quatre sprang endlich aus dem Gliede, hing mir den Säuel, der zufällig auf der rechten Seite hing, auf die rechte, nämlich die linke, und führte mich beim Kragen zu den übrigen Tambours, welche an der Spitze des Bataillons hinter den langbärtigen Sappeurs marschierten. Errare humanum. Wer kann auch alles gleich von Hause aus wissen?

Zu Fuß marschieren und noch obenein einen ganzen Sack voll kaiserlicher Montierungsstücke auf dem Rücken schleppen, ist schon an und für sich eine molestierende Sache, wird es aber doppelt bei so starken pensis von fünf bis sechs geographischen Meilen, so wir täglich zu machen hatten, und vierfach, wenn man abends unter freiem Himmel, ohne Bett, ja auch ohne das armseligste Hälmchen Stroh zur Unterlage auf bloßer Erde kampieren muß. Ich aber war kein Antäus, sondern bekam von dem Liegen auf kaltem Boden recht tüchtige Zahnschmerzen. »Bei Gott, ein elend und erbärmlich Leben!« Hätt's nur noch damit sein Bewenden gehabt! Aber kaum im Biwak totmüde und quasi semianimus angelangt, mußte ich beim bärtigen Tambourmajor Privatunterricht auf der Trommel nehmen, und Appell, Generalmarsch, Sturmschritt, was weiß ich alles, schlagen lernen. Die Flügel hingen mir oft wie gebrochen vom Leibe, hätte auch für mein Leben gern Horazens Beispiel gefolgt, relicto clypeo das Weite gesucht, mich zuhause gebettelt, und dem Braunen des Vaters heroisch Trotz geboten – der diable à quatre, dessen Korporalschaft ich zugeteilt war und welcher daher für meine intellektuelle militärische Ausbildung Sorge tragen mußte, hatte mir jedoch die Paragraphen vom sabot, oder die mit dem Schuhabsatz ad posteriora applizierten Prügel für erste Desertion, der Galeere bei wiederholter, der fatalen Kugel bei der dritten Entweichung weitläuftig exponiert. Solche mit Blut geschriebene Drakonische Gesetze vermögen einen schon zur Treue gegen die Fahne, zum Opfer des freien Willens und zu Privatstunden auf der Trommel hinreichend zu begeistern. Die Schule des Unglücks hat das vor andern Schulanstalten voraus, daß sie sich nicht schwänzen läßt – aushalten muß man.

Doch tempora labuntur, tacitisque senescimus annis und ebenso wie die Stunden verrauschen und wechseln, also auch unsere Ansichten und Entschlüsse, unsere ganze Denkungsweise. Allmählich, wenngleich langsam, fing ich an, mich mit meinem neuen Stande zu befreunden. Die den Kalbfellwirbeln gewidmeten Lektionen wurden, seit ich sattsame Gelenkigkeit in der axillaris erlangt, kürzer und kürzer, und schliefen zuletzt ganz ein. Im Laufen konnte ich's bald mit der erzgefüßten Hirschkuh der Diana aufnehmen. Auf den Biwaks kroch ich bis über die Ohren in einen großen Zwillichsack, sprach mit Tibull:

Quam juvat immites ventorum audire susurros,
Et dulces somnos imbre juvante sequi,

und schlief dann trotz Epimenides. Im Klößebacken und Kaffeekochen hatte ich mich bereits in Schulpforta perfektioniert und kam mir dieses ausgebildete Talent wohl zu statten. Catin steckte mir dann und wann noch einen fetten Bissen zu – und so ging's denn am Ende noch leidlicher, als ich mir hätte träumen lassen. Oftmals sogar, wenn wir mit Spiel und Klang durch eine Stadt marschierten, und der goldbeblechte Tambourmajor vor uns herzog, und den großen Rohrstock mit dem Goldknopf und den seidenen Bommeln bis in den dritten Stock hinaufwarf und wiederfing und drehte, und wir dann aus allen Kräften das Kalbfell gerbten, daß einem das Herz im Leibe zitterte, in solchen Fällen, sage ich, konnte ich auf die ergriffene militärische Karriere ordentlich stolz sein, die Maulaffen feilhabende Menge recht trotzig und hochmütig über die Achsel ansehen, und in den Bart brummen:

»Es treibt sich der Bürgersmann träg und dumm
Wie des Färbers Gaul im Kreise herum.«

Oder wenn ich abends im Kantonnierungsquartier auf der Querpfeife zum Tanz blies, und jung und alt, Kapitän d'armes und vivandière die Soldaten und die sträubenden Dirnen vor mir herum kapriolten, daß die Uniformschöße und Röcke nur so sausten, bis ich denn zuletzt selber von delikatem, nichts kostendem Weine enthusiasmiert, mit der Wirtin einen Schwenker machte – dann war ich ganz versöhnt mit dem Schicksal, und die Wahrheit des Spruchs: volentem ducit, nolentem trahit ward mir vollkommen plausibel. Gewiß war es mir in der Wiege vorgesungen worden, daß ich Querpfeifer beim 113ten werden müsse, um in der Herberge zum Tanz aufzuspielen, und ich fand, daß alles zum besten eingerichtet sei. Bei rechtem Schlackerwetter, Seitenwegen und höchst nüchternem Magen marschierte ich aber durch dick und dünn, dachte an gar nichts, und war somit auf dem Wege, ein ausgezeichneter Kriegsmann zu werden.

Der französische Soldat hat das mit dem abgerichteten Stieglitz gemein, daß ihm sein Flitter und Saufnäpfchen nicht vorgebunden wird, und daß er sich's mühsam herbeikarren muß. Rückten wir auf das zum Biwak bestimmte Feld, und waren erst die Gewehre zusammengesetzt, dann rannten die Soldaten zu ganzen Kompanieen im Lande herum, so daß nur die Herren Offiziere im Lager blieben, fielen in die Dörfer und schleppten mit, was nicht niet- und nagelfest war. Heimgekehrt, wurde gesotten und gebraten bis an den grauenden Tag, und dann quasi re bene gesta weitergezogen. Mich hatten sie bisher bei der Fahne gelassen; ich mochte ihnen wohl nicht raffiniert genug scheinen. Eines Tages aber bedeutete mich der diable à quatre, nunmehr sei's an der Zeit, daß ich auch diese Branche des Soldatentums perfektionieren und mich fortan selber beköstigen müsse; langer könne ich nicht wie ein Wickelkind gefüttert werden. Ich solle mich ihm nur anschließen und nach seinem Beispiele formieren. Darauf ging's in ein Viertelstunden weit entlegenes Dorf. Der Caporal trat gleich von vornherein die Thür mit dem Fuß ein; denn solche Ouvertüre, meinte er, sei sehr geeignet, um dem Bauer zu imponieren. Hierauf fuhr er mit gezogenem Säbel auf die winselnde und jammernde Familie ein, verlangte Wein, Braten, Schinken, drohte, wetterte, prügelte ganz kannibalisch, und that wie Unverstand, wenngleich ihm die armen Teufel bei allen Heiligen zuschwuren, daß sie schon vor drei Tagen ausgeplündert worden wären. Mir drehte sich das Herz bei dieser Gräuelszene im Leibe herum, und ich begriff nun, womit der Caparal den Beinamen le diable à quatre errungen habe. Ärger konnten die Höllischen Jäger »in Bayreuth, im Vogtland, in Westfalen« nicht gehaust haben. Zitternd und bebend blieb ich während der Exekution in der Thür stehen und betete heimlich. La Crosse hatte aber eine Lade aufgebrochen, und, mochte sich wohl nicht gern bei seinem Funde auf die Finger sehen lassen, deshalb schrie er mir zu: »Nun marsch und versuche Dein eigenes Glück. Wehe Dir, wenn Du mit leeren Händen zurückkommst!«

Ich ging und trat in die nächste Hütte, klopfte aber doch vorher, wie sich's ziemt, an. Als ich aufklinkte, lag eine Frau mit drei Kindern auf den Knieen und schrie und heulte. Es waren schon andere vor mir da gewesen. Mir waren die Glieder ordentlich gelähmt. Endlich faßte ich einen rasenden Entschluß, fing auf französisch an zu fluchen, zog den Säbel und hieb recht brutal in den fichtenen Tisch eine großmächtige Scharte. Die Frau stürzte mit den armen Würmern platt auf die Diele, und mochte wohl nichts anderes denken, als daß jetzt die Reihe an sie komme. Das schnitt mir durchs Herz. Ich steckte den vertrackten Säbel schnell wieder ein, schenkte dem Weibe ein halbes Kommißbrot, und rannte aus dem Hause, als hätte ich die ganze Hölle auf meinen Fersen. Ach mein Gott, wie danke ich Dir, daß ich nicht habe Theologie studieren wollen! Hätte ich denn nun auch im glücklichsten Fall nach einem solchen gottlosen Einbruch jemals die Kanzel besteigen und Gottes Wort predigen können? Für einen angehenden Aktuarius oder Advokaten ging's schon eher.

Noch hatte ich keine Feder, keine Klaue erbeutet, und, doch die gemessenste Ordre, zu suchen, und was noch schlimmer war, zu finden. Wäre nur Geld in meinem Beutel gewesen, ich hätte ja den Bauern ein Huhn oder eine Gans herzlich gern abgekauft, und dem Korporal nachher weißgemacht, ich hätt's gestohlen. Auf dem Marsch aber wurde kein Traktament gezahlt, und das Geld für die Bücher war längst für Branntwein an den Tambour-Major und den la Crosse aufgegangen. In meiner Seelenbetrübnis schlich ich nun in ein drittes, leidlich statiöses Haus – mochte wohl dem Herrn Pastor zugehören. Es war, Gott sei Dank, ganz leer. Auf der Erde lagen zerschlagene Möbel, Flaschenscherben, zerrissene Bücher und wildverstreute Bettfedern umher, aber kein lebendes Wesen ließ sich spüren, bis auf eine Lerche, welche in ihrem Käfig ängstlich umherrannte und wohl seit vierundzwanzig Stunden nichts zu fressen bekommen hatte. Gebratene Lerchen sind aber ein delikates Essen, und wenn nur neunundfünfzig Kameraden einen ähnlichen Fang thaten, so hatte der Kapitän sein volles Schock zum Abendbrot, und durfte wahrhaftig nicht klagen. Von den Kompanie- Kameraden aber erwartete ich, sie würden meinen guten Willen anerkennen, und das Sprüchlein: ut desunt vires, tamen est laudanda voluntas beherzigt haben. Ich nahm deshalb das Gebauer von der Wand, fütterte das arme Tierchen noch mit ein paar Brotkrumen, damit mir's nur nicht unter den Händen wegsterben solle, und trat meinen Heimweg an. Aber jene entmenschte Soldateska und Billigkeit! Da war ich gut angekommen. Mit Fingern zeigten sie auf mich, hielten sich die Seiten vor Lachen und hießen mich kurz und lang. Das ganze Lager rannte zusammen, um mich zu verhöhnen; ich stand unter dem übermütigen, zischenden Volk mit meiner Lerche wie am Pranger und knirschte vor Scham und Bosheit mit den Zähnen. Ein baumlanger Kerl mit drei Chevrons auf dem Arm fragte mich recht malitiös, ob ich etwa der Papageno aus der Zauberflöte sei, und zupfte mich dabei am Ohrläppchen. Da sprang ich an dem langen Höllenhund in die Höhe, schrie wütend: noli me tangere! und versetzte ihm eine Maulschelle, die zum mindesten wie die große Susanna-Glocke zu Erfurt brummte. Nun erhob sich ein wilder Tumult, ein verworrenes Schreien, und alle brüllten durcheinander: diese Schmach könne nur mit Blut abgewaschen werden. Mir auch recht. Ich hatte edel und großmütig gehandelt, und dieses stolze Bewußtsein hob mein Herz, so daß ich wie Karl Moor eine Armee in meiner Faust fühlte.

Duelle waren im Heere an der Tagesordnung. Alle Bivonaks gab es ihrer zwei, drei, und wenn nur die gehörigen Sekundanten dabei gewesen waren, so mochte in Gottes Namen einem der Degen durch den Leib gerannt werden – es krähte eben weiter kein Hahn danach. Ich machte den Käfig auf, ließ die Lerche, die glückliche, fliegen, bat den flinken Kapitän d'armes mir zu sekundieren, und nun truppten wir ab. Außerhalb der Enceinte des Lagers wurde Posto gefaßt. En garde! schrie mein Gegner – ich aber besann mich nicht viel, und hieb dem Langen, ohne mich auf Finten und Faxen einzulassen, gleich von Hause aus mit dem Säbel in die Tatze, so daß drei Finger mitsamt seiner Waffe quer übers Kartoffelbeet flogen. Die Franzosen schrieen nun zwar, ich hätte mich nicht in Positur gesetzt, nicht salutiert, gegen alle Regel gehauen, wo ich hätte stechen sollen – ich hörte mir all das Gewäsch ingrimmig schweigend mit an, und fragte nur, ob ein anderer etwa Lust hätte? Es meldete sich aber keiner. Von Stund' an ließen sie mich ungehudelt.

 

Mittlerweile war uns auch der Winter über den Hals gekommen, ohne daß unsere militärischen Operationen dadurch nur im geringsten unterbrochen worden wären.

»Da mußten wir heraus in Schnee und Eis,
Das werd' ich wohl mein Lebtag nicht verwinden.«

Das Wort Winterquartiere schien ein verbum obsoletum geworden zu sein. Wo wir aber alles umhermarschiert waren, mochten die Götter am besten wissen. Die Herren Offiziere und Sergeanten führten wohl ihre Landkarten bei sich, tippten auch immer mit den Fingern darauf herum, brachten dann aber so kauderwälsche Namen zu Wege, wie sie im ganzen heiligen Römischen Reich nie erhört worden waren; und wenn's nun auch einmal die richtigen waren, so gingen sie zu einem Ohre hinein, zum andern wieder hinaus. Was macht sich der Soldat aus Ortsnamen, so lange nur die marmite schäumt. Doch mit letzterem nahm es nur zu früh ein Ende mit Schrecken. Wir rückten in Polen ein.

Ach, über das Elend, welches ich in dieser Kampagne ausgestanden, ließe sich viel sagen – infandum, regina, jubes renovare dolorem – und vollends über die jammervollen Gewaltmärsche durch jene unkultivierten Striche. Nichts als unabsehbare Schneeflächen, wohin das Auge blickte, und kaum, daß hier und da ein paar verkrüppelte Weiden den ellenhoch verschneiten Weg bezeichneten. Wir aber, die Tambours nämlich, an der Téte, fuhren am übelsten, da uns die Rolle der Schneebrecher zufiel und wir überdies noch, um die Leute alert zu erhalten, mit stocksteif gefrorenen Armen und Fingern wirbeln mußten. Sogar die Sentenz: perfer et obdura, nam et haec meminisse juvabit, verlor hier ihre Kraft, denn, um sich an der Erinnerung zu laben, gehörte die Voraussetzung, daß mau aus diesem Trübsal mit dem Leben davon kommen könne – diese Hoffnung aber hatte ich längst aufgegeben. Ein alter oder neuer Weltweiser sagt irgendwo: Zwei Leiden, die zu gleicher Zeit auf uns einstürmen, können eine Art von Trost abgeben. Gewissermaßen hat der Mann recht, denn oft verging mir vor grimmiger Kälte und Hunger die Erinnerung an meine Geliebte totaliter, und andremale vergaß ich über mein Herzeleid den schneidenden Dezemberwind und die ungestümen Mahnungen latrantis stomachi. Jammer und Not wuchsen von Tag zu Tage. Wer liegen blieb, blieb liegen. C'est la guerre! meinten die Franzosen, und schleppten sich weiter, ohne sich nur einmal nach den Sterbenden umzusehen. Der diable à quatre erfror sich alle zehn Finger, was er auch mit seinen »Diebeskniffen, Praktiken und bösen Kniffen« rechtschaffen verdient hatte.

Nichts zu beißen, nichts zu brechen. Das Militär giebt sich wohl nur sparsam mit Erlernung fremdländischer Sprachen ab, der Franzose vollends nicht. Soviel hatten unsere Leute aber doch losbekommen, daß auf Polnisch chleb Brot und woda Wasser heiße. Fragte man nun nach chleb, dann war die stehende Antwort: nie masz! es giebt nichts. Begehrte man dagegen woda, dann waren die Bauern flugs damit bei der Hand, und riefen: zaraz, gleich. So ruderten wir denn eines Tages wieder gegen das Schneegestöber und matt wie die Fliegen aus der Sahne, als plötzlich von den hintern Kolonnen her der Ruf: Der Kaiser kommt! erscholl. Das war doch nicht anders, als ob der Blitz in das Regiment gefahren wäre. Das Bataillon, welches noch eben faul und lose und locker wie die Kurrendejungen trendelte, fuhr in die Glieder und Züge, das Gewehr scharf im Arm, wie zur großen Parade, und der feste Tritt stapfte nur so durch den Schnee. Näher und näher wälzte sich das Vivat-Rufen. Da kam Er – er streifte dicht an mir vorüber – ich paukte mit ordentlicher Furie auf das Fell, verwandte aber kein Auge von ihm – ich werde nun und nimmer den Moment vergessen. Er saß bequem auf seinem Schimmel in einem grünen mit Pelzwerk und Schnüren auf polnische Art besetzten Rock, auf dem Kopf den kleinen dreieckigen Hut, an welchen er von Zeit zu Zeit salutierend die Hand legte. Wie er eben zum nächsten Bataillon reiten wollte, schreit unser Flügelmann den Kaiser an: Papa, chleba! Da wendet Bonaparte rasch die scharfen blitzenden Augen nach dem Schreier und antwortet mit kaum merklichem Lächeln: nie masz! Nun lachte Alles aus voller Kehle, das Elend war vergessen, und das Jubeln: Vive l'Empereur! wollte kein Ende mehr nehmen. Ich aber schrie wo möglich noch toller als alle Übrigen. Dies war die einzige Zusammenkunft, welche ich mit dem französischen Kaiser hatte, und fiel diese memorable Begebenheit den 17. Januar 1807 vor.

Wir Deutschen haben ein altes gutes Sprichwort, das da lautet: »in Polen ist nichts zu holen,« und wohnt ihm gleich allen adagiis ein tiefer Sinn inne. Entbehrt doch alles in jenem Lande erduldete Ungemach, der täglich erneuerte Kampf mit der Lernäischen Hydra der trübseligsten Not, auch sogar in der Relation des Interesses, und so schlüpfe ich denn mit beschwingtem Griffel über die Aufzählung von zähneklappernden Biwaks, abgedeckten Strohhütten, verbrannten Thürpfosten, Sechsfüßlern und Weichselzöpfen, um den Faden erst am Morgen des 7. Februars, des Schlachttages von Eylau, wieder aufzunehmen.

Es war eine bitterkalte Nacht gewesen. Der Wind sauste über die weite verschneite Ebne, schnob in die Kohlen der Biwakfeuer, um welche wir uns Schulter hart an Schulter drängten, und verstäubte die weithin sprühenden Funken. Vorn brieten, im Rücken froren wir. Von Schlaf konnte da nicht viel die Rede sein. Die sonst so gelenkigen, tausendfüßigen Franzosen waren wie erstarrt, und sogar ihre Zunge schien eingefroren zu sein. Dann und wann regte sich ein Arm, um die knisternden Brände zusammen zu stoßen, oder ein Kopf drehte sich schläfrig, ob nicht ein Stern oder der falbe Streif des Morgens zu spüren sei, und wandte sich matt und verdrießlich wieder nach dem Feuer zurück, so lange das Auge nur Schneegewölke langsam über den Himmel schieben sah. Wir wußten, daß uns eine große Bataille bevorstehe. Den Meisten war eine Schlacht nichts Neues, und sie dachten sich wohl eben nichts besonders dabei; ich aber, weil ich von dem Gefechte gar keine Idee hatte, dachte mir erst recht nichts, und nur, daß ich bei der Gelegenheit tot geschossen werden könne, woraus ich mir nun auch eben nicht viel machte, denn ich war von aller der Plackerei so recht mürbe und abgerieben und des Lebens überdrüssig geworden. Einer hob wohl an: Morgen in Königsberg – das fand aber auch keinen rechten Anklang; es ward alles wieder still, und man hörte nur das Pfeifen des Windes, das Wiehern der Pferde und das ferne »qui vive?« der Schildwachen, dem ein einzelner Flintenschuß folgte.

Die dritte Morgenstunde mochte wohl schon angebrochen sein, da sprengte der Adjutant vorüber und kommandierte Generalmarsch. Hurtig hing ich die Trommel um, und wirbelte längs der Reihen der zusammengestellten Gewehre auf und nieder. Das Bataillon war wie der Wind auf den Beinen, und die Kompanieen schwenkten zum Viereck. In der Mitte stand der Kommandeur; ich mußte ihm die Laterne halten, und bei ihrem Schimmer las er die eben verteilte Proklamation des Kaisers an die Truppen vor. Alle die Schlachten, welche die Armee gewonnen, die Festungen, die sie erobert, die Anzahl der Kanonen, Fahnen, Pauken und Kriegsgefangnen wurde uns haarklein vorgezählt; dann Ermahnungen zur Bravour, indem ganz Frankreich, ja ganz Europa, die Augen dermalen auf uns hefte, und was dergleichen Redensarten mehr waren. Die diserta verba weiß ich nicht mehr, und erinnere mich nur noch deutlich, daß ich über alle Gebühr fror und die Laterne mir in den zitternden Händen hin und her schwankte. Dann wurde das Karré gelöst, die Glieder geöffnet, und auf Kaisers Unkosten Rum verteilt, welcher das Herz mehr als die übrigens schön stilisierte Proklamation erwärmte. Der diable à quatre hielt mit dickumwickelten Fäusten unserer Hebe-Catin das Tönnchen.

Vom Sergeant-Major hatte aber der Caporal nur Wahrheit berichtet. Er war rein wie umgewandelt. Mit einer Rührigkeit, welche man dem hagern Alten nicht hätte zutrauen sollen, durchflog er mit seinem hinterher galoppierenden schwarzen Pudel die Glieder, öffnete die Patrontaschen, um sich von den Munitions-Vorräten zu überzeugen, sprach mit jedem, er, der früherhin die Zähne nicht auseinander brachte, nannte uns seine lieben Kinderchen, zupfte uns beim Ohr und verzog sein falbes abgewelktes Gesicht zu einem diabolischen Lächeln, vor welchem mir die Haut schauerte. Als er meine Schulter berührte und ich die Mörderfaust dem Nacken so nah spürte, duckte ich mich unwillkürlich. Er schien aber, seitdem er Blut witterte, verjüngt und nun erst recht in seinem esse zu sein.

Das Bataillon rückte in geschlossener Kolonne vor, machte Halt, um wiederum ein paar hundert Schritt zu avanzieren, und dann aufs neue zu halten. Schweres Geschütz und Munitionswagen rasselten dumpfpolternd neben dem Bataillon her, und aus der Ferne schmetterten Trompeten-Signale. Plötzlich erhellte ein Blitz das Dunkel, ein donnernder Knall krachte und eine Stückkugel sauste über unsere Köpfe hin – ein zweiter, ein dritter Schuß folgten – wir rührten uns nicht. Die ersten Bogenstriche der heroischen Symphonie! »Fortgefahren in diesem Takt, Maestro!« flüsterte eine Stimme hinter mir. Sie gehörte la Terreur. Meine Kniee schlotterten, »an die Rippen pocht mein Männer-Herz,« und die bebenden Hände wirbelten leise und unwillkürlich mit den Trommelstöcken auf dem gespannten Fell. Da glimmte es in Osten. Gott sei gelobt, die Sonne geht auf, seufzte ich halblaut. Und der Sergeant-Major wisperte eben so heimlich: »Unschuldiger Narr! Die Sonne? Sieh doch nur hin – ein brennendes Dorf ist's ja nur.« – Die Flamme schlug höher und überflog in wenigen Augenblicken die ganze Häuserreihe. Im blutroten Schimmer zitterte die Schneefläche und schwarze Haufen wälzten sich an der Glut vorüber. »Ha! die Russen! Sie ziehen links! brach der halblaute Schrei aus der Brust des Sergeanten. Seine Augen funkelten, er streckte krampfhaft die Hände aus, als wolle er den Feind festhalten – der Kannibale bangte, er würde ihm noch entrinnen.

Meine Gedanken stoben in wilder Verwirrung durch den Kopf. Moriens pro patria, summa carpit gaudia, summos et honores! betete ich mir vor, um nur eine halbwege Fassung zu erlangen. Wie oft hatte ich nicht diese Verse beim Glase Punsch mit lauter Stimme und überquellendem Enthusiasmus gesungen – heute aber ließen sie mich wunderbar kalt. Dann dachte ich wieder an meine alte Mutter zu Freiburg an der Unstrut – es war auch ein Gedanke, der mir im Soldatenleben spärlich genug eingekommen – und wie ich sie so sündhaft gekränkt, und wie bittre Thränen ihr der verlorene Sohn kosten werde. Ich erinnerte mich auch der oft vorgepredigten Lehre, daß unter tausend Kugeln nur eine treffe – wenn nun aber gerade auf Nummer tausend mein Name stand, wie dann? Noch war kaum eine Stunde verstrichen, seit mir der Verlust des Lebens mehr als eine Erlösung aus der Erdennacht vorgekommen, und jetzt rief ich aus voller Seele: dum vita superest, bene est. Ach, des Menschen Herz ist schon ein trotzig und verzagt Ding! Regungslos still stehen, nicht zurück, nicht einmal drauf los gehen dürfen und lammsgeduldig harren, bis es einer Kugel beliebe, mit der Stirn zu kollidieren – ja, wer da den Kopf nicht verliert, der muß keinen haben, oder wenigstens ungeheuer viel Schulden, Ich werde aber an jene Stunden Zeit meines Lebens gedenken.

Endlich sprengte ein Rettungsengel von einem Adjutanten herbei und brachte die Ordre, wir sollten rechts abschwenken und das brennende Dorf umgehen – ich hätte dem Ehrenmann um den Hals fallen mögen – und bald darauf brach auch der Tag dämmernd an, und aus der Wolken-Nachthaube begann die Sonne mit blutigrotem Antlitz hervorzuschielen. Ich fühlte mich ordentlich wie neugeboren, obschon ich recht gut wußte, daß unser Tagewerk erst beginne. Ich bemühte mich eine Art von Übersicht zu gewinnen. Caesars commentarii de bello gallico hatte ich zwar in Schulpforta gelesen, von den strategischen Bewegungen mir dessenungeachtet nie ein klares Bild machen können. Ich dachte mir beide Armeen, jede von der Länge der Schulmauer, auf hundert Schritt Entfernung einander gegenüber aufgestellt, und wie sie dann parallel auf einander losrückten, bis die eine Part es satt bekäme und davonliefe. Auch auf den Holzschnitten alter Chroniken ging's bei Schlachten so bunt übereck, daß diese mehr wie Herbergs-Prügeleien denn wie künstliche Manövers aussahen. War deshalb nicht wenig verwundert, als ich ein Schlachtfeld in natura überschaute: nichts wie Himmel und Soldaten, hier ein Trupp, dort einer – hinter den Bergen mochten auch noch welche stecken. Wie dies aber alles zusammenhänge, wer Freund und wer Feind sei, und wie's nachher zum Klappen kommen solle, das war und blieb mir ein Rätsel.

Links von uns ging das Kanonieren schon mit Vehemenz los, und wir marschierten immerfort rechts, als ginge uns der ganze Casus nichts an und wir wollten uns mit heiler Haut drücken – ich hätt's gar gern gesehen, wenn dem also gewesen wäre. So mochten wir wohl zwei, drei Stunden gezogen sein. Der Schnee rieselte erst ganz bescheiden hernieder, fing aber zuletzt an, uns mit Ungestüm ins Gesicht zu treiben, so daß man die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Das Trompetengeschmetter, das Brüllen der Kanonen, die Salven der Infanterie übertönten jedoch den Sturm. Eine abermalige Schwenkung, und wir standen vor einem Dorf, an dessen Ausgang zwei Geschütze recht unmittelbar auf uns gerichtet waren und ganz rücksichtslos feuerten; und da der Kommandeur sich gar nicht daran zu kehren schien und recht verwogen darauf losrückte, begann auch das kleine Gewehrfeuer hinter allen Hecken und Zäunen los zu knattern, und die Kugeln sangen im feinsten Diskant über uns hin. »Was schwankst Du denn hin und her, mein Lieber?« fragte der lange Sergeant. »Nimm Dir hübsch ein richtiges point de vue, zum Exempel die feindliche Kanone dort links. Die behalte scharf im Auge und marschiere gerade darauf los.« – Eine ganz verdammte Zumutung. »Lücken reißt die streifende Kartätsche, auf Vormanns Rumpf springt der Hintermann. Verwüstung rechts und links und um und um. Grüße mein Lottchen, Freund,« u.s.w. u.s.w. Jeder Billigdenkende wird mir's ohne Beteuerung glauben, daß mir obige Citata erst späterhin einfielen; für den Augenblick hatte ich so gut wie gar keine Gedanken, kniff die Augen fest zu, zog den Kopf zwischen die Achseln und hieb in blindwütender Verzweiflung auf das Kalbfell zum Sturmschritt – ich wollte mich mit aller Gewalt übertäuben. Wer den ersten Stein wider mich aufheben wollte, der hat noch keiner kugelspeienden Kanone starr in den Höllenrachen geblickt. Ich bekenne meine dermaligen Seelenzustände frei und offen: homo sum, et nihil humani a me alienum puto.

Es dauerte eine kleine Weile, so hörte ich weiter nichts als das Gerassel meines eigenen Instruments, und bald darauf auch dieses nicht mehr, denn ich hatte in der Hitze des Gefechts ein großmächtiges Loch in das Fell geschlagen. Ich stutzte, blinzte auf und gewahrte mich zu meinem nicht geringen Entsetzen mutterseelenallein, kaum vierhundert Schritt von dem zu stürmenden Dorfe auf freiem Felde. Mein Bataillon hatte schon längst kehrt gemacht, ich aber hatte das Kommando über Schießen, Trubel und Schneegestöber rein verhört, und rannte nun recta via dem Tod in die Arme. Der Instinkt der Selbsterhaltung stürzte mich wie ein Wasserstrahl platt auf die Erde. Ne Hercules quidem contra duos – und ich armes, nur mit zwei Trommelstöcken bewaffnetes Tambourchen gegen ein mit Kanonen und Bajonetten bespicktes Dorf! Ja, wenn ich nur wenigstens eine geladene Muskete bei mir gehabt hätte – aber so.

Eine halbe Stunde mochte ich wohl mit zurückgehaltenem Atem und bewegungslos wie ein Käfer dort gelegen haben, da hörte das Feuern auf. Ich präsumierte, daß der Feind sein Pulver verschossen, und machte mich behutsam auf die Beine, um mit Zurücklassung meiner durchlöcherten Trommel, welche ich den Russen von ganzem Herzen als Trophäe gönnte, das Bataillon wieder einzuholen. Nun rannte ich querfeldein, mußte aber wohl vom früheren Wege abgekommen sein, indem ich unversehens auf einen tiefen Hohlweg stieß. Aus weiter Entfernung vernahm ich den Lockruf des Regiments, wie denn im französischen Heere ein jegliches sein besonderes Signal und Erkennungszeichen hat. Ich säumte denn auch nicht, in den Abgrund hinab zu klettern – da führte mein maleficus eine ganze Kolonne Feinde durch den nämlichen Engpaß. Im Handumdrehen steckte ich mitten drein – es waren Preußen, das hörte ich an der Sprache. Ich arbeitete mich wütend mit den Ellenbogen hindurch und brüllte überlaut: »Laßt mich durch! Laßt mich zu meinem Regiment! Ich bekomme sonst Prügel mit dem Schuhabsatz.« – Die ungeschliffenen Kerle lachten mich aus, obschon hier gar kein Motiv zu lachen war und ihnen doch die Grundregeln der Kriegsdisziplin nicht so wildfremd sein konnten, machten aber doch wirklich Platz, und so erklomm ich denn mit äußerster Anstrengung den jenseitigen Rand, gewahrte aber doch zu meiner nicht geringen Bestürzung, daß bei der gewaltsamen Leibesübung meine Beinkleider radikal geplatzt waren, und daß ich demnach gezwungen sei, das einzige Paar gute, die ich im Tornister trug, nunmehr für alle Tage anzulegen. Die leichtsinnigen, gemütlosen Franzosen hätten gewiß dazu gelacht, oder mich höchstens mit ihrem kalten: c'est la guerre! getröstet.

Pulverdampf und Schneeflocken verfinsterten die Luft. Die Erde bebte vom Krachen der Donnerröhren. Getümmel rechts, Getümmel links – vor mir ein kleiner Kiefernbusch. Auf diesen dirigierte ich meinen Rückzug, teils um meine Toilette schicklicherweise daselbst ins Werk zu stellen, teils auch, um die erste Wut der erbitterten Feinde einigermaßen verrauchen zu lassen.

Ein grausenerregender Anblick für jeglichen, welchem nicht marmorea praecordia zu teil geworden, stellte sich meinem Auge dar, als ich mich besagtem Wäldchen näherte. Dort hatte Bellona wild rasend ihre bluttriefende Geißel geschwungen, dort lag das Feld mit ihren Opfern übersä't. Es war mein eigenes Regiment – ich erkannte es schon von fern an der Uniform – es war mein Bataillon, welches hier gekämpft und zum großen Teil hingeschlachtet worden war, und wenn mich die himmlische Providenz nicht auf so wundersame Art und Weise in Protektion genommen, so hätte ich aller Wahrscheinlichkeit gemäß das Schicksal meiner Kameraden geteilt und ebenfalls ins Gras beißen müssen. Blut färbte den ringsum zerstampften Schnee. Ein Pulverkarren war in die Luft geflogen und die geschwärzten, zerriss'nen menschlichen Glieder lagen gräulich verstreut. Totwunde Pferde hinkten über die Wahlstatt. Das Winseln der Blessierten, das Ächzen der Sterbenden heulte herzzerreißend durch die Luft. Entsetzt wandte ich mich von diesen Szenen des Schreckens und stürzte mit sträubendem Haar und wie sinnlos in das Dickicht. Und wie ich mich nun rasend durch das Gestrüpp arbeite, renne ich – o horror! horror! – auf den Sergeant-Major. Da saß er mit dem Rücken an eine Kiefer gelehnt, die Fäuste krampfhaft geballt, die großen schwarzen, starren Augen weit auf, den Mund gräßlich verzerrt. Eine Kartätschenkugel hatte ihm den Leib zerrissen – er war tot. – In der Todesqual mochte er sich bis hierher geschleppt haben. Sein schwarzer Pudel rannte heulend im Kreise um ihn her, sprang an ihm in die Höhe, leckte ihm die Hände, packte mich dann beim Mantel, um mich zum seinem Herrn zu zerren – mich grauste. Ich riß mich von der wütenden Bestie los und rannte, wie von den Furien gejagt, weiter.

Einmal Soldat gewesen, und nie wieder! das schwur ich mir feierlich zu, als ich mit etwas abgekühlterem Blute den jenseitigen Saum des Wäldchens erreicht hatte. Mir war der Geschmack am Handwerke vom bloßen Zusehen auf ewige Zeiten vergangen. Macht, was ihr wollt. Gebt mir Sabots, schickt mich auf die Galeeren, füsiliert und spießt mich – aber daß ihr mich nicht gutwillig wieder zu Eurer patentierten Menschenschlächterei bekommt das gelobe ich beim Styx, Acheron und Cochtus. Redime te captum, quam quaeas minimo war jetzt meine Devise.

Bei der unerläßlichen Toilette mit mir zu Rate gehend, wie ich nun mit guter Manier aus der unseligen Zwangsjacke, aus den Kriegstrubeln und dem wildfremden Lande in die Heimat und zur Geliebten meiner Seele gelangen mochte, vernehme ich unfern von mir ein erbärmliches Klagen und Rufen um Hilfe. Es waren deutsche Laute – fränkische hätten mich zweifelsohne von neuem in die Flucht gejagt. So aber richtete ich meine Schritte nach dem Ort, von dem die Stimme kam, und erblickte einen hohen Offizier, welcher sich vergeblich quälte, unter seinem totgeschossenen Pferde sich hervorzuarbeiten. Der rechte Arm war ihm von der Kugel zerschmettert, der Schenkel vom Sturz. Eilig sprang ich hinzu, war aber eben so wenig imstande, ihn von der Last zu befreien – bei dem geringsten Versuche schrie er vor Schmerzen hell auf. Es war ein Oberster, ein Landsmann von mir - bei dem konnte ich doch nicht kalt wie der Levit vorüberstreichen.

Eine Viertelstunde vom Wäldchen lag ein Dorf. Ich versprach Hilfe herbeizuholen, ließ dem Herrn mittlerweile meine Feldflasche als Pfand und Herzstärkung, rannte darauf spornstreichs querfeldein und in die Pastorwohnung. Seine Ehrwürden klappten vor Schrecken, als ich unangemeldet und mit der Thür quasi ins Haus fiel, das Gesangbuch zu, mutmaßlich eines raub- und mordlustigen Marodeurs gewärtig. Sofort aber sprach ich ihn, um seine Besorgnisse zu zerstreuen, seine Teilnahme zu erregen und mich ihm als kultivierten Jüngling zu erkennen zu geben, im zierlichsten Ciceronianischen Latein an, detaillierte die Not, in welcher mein Herr Landsmann schmachte, flocht nicht ohne Schlauigkeit ein, wie die Anwesenheit eines so hohen Offiziers ihm als Sauvegarde gegen herumstreifendes Raubgesindel dienen könne, und ging ihn schließlich mit milden Worten um Knecht und Wagen an. Die bläßliche Physiognomie des Herrn Pastor kolorierte sich augenscheinlich, sowie er aus dem Munde eines Tambours vom 113ten jene klassischen Laute vernahm – auch waren dergleichen Exemplare wohl nur selten zu finden, und ich in dieser Beziehung eine rara avis – und gern war er erbötig, das gewünschte Fuhrwerk zu bewilligen. Nur mit der Latinität des Herrn Pastor war es schwach bestellt. Er brachte bloß imo! imo! hervor, und setzte nachher im breitesten ostpreußischen Dialekt hinzu, wie er dem Knecht augenblicklich befehlen wolle, anzuschirren.

In Stundenfrist lag der Herr Oberst von Bischoffsleben – dies war seine Name – auf dem rotkarrierten Bette des Predigers, nach besten Kräften von den Pfarrleuten gehegt und gepflegt. Wenn der Seelsorger auch nur ein Küchenlateiner war und seine Klassiker rein verschwitzt haben mochte, so bewies er sich doch als einen barmherzigen Samariter, und so wird er wohl unserm Herrgott Wohlgefälliger geworden sein, als wenn er wie Justus Lipsius und Julius Cäsar Scaliger zusammengenommen Latein parliert und so gottlos wie die beiden Philologen gehandelt hätte. Der Reitknecht des Obersten war mit Handpferden und Mantelsack zum Henker geritten und hatte ihm nichts gelassen, als was er just auf dem Leibe trug – da nahm ich denn die Proposition des Verwundeten, ihm hilfreich an die Hand zu gehen, bis er in seiner Heimat angekommen, falls nämlich unwiderstehliche Kampflust mich nicht zum Regimente zurückzöge, mit recht herzinnigster Freude an. In kleinen Tagereisen erreichten wir Warschau, wo der Herr Oberst seine vollständige Heilung abwartete, und dann – es war in der Mitte des Märzmondes – ging's mit Kurierpferden nach Thüringen. Die Güter meines Prinzipals, der nunmehr dem Kriegsdienst Valet sagte, lagen bei Cölleda. Das war einmal eine Freude, als die Frau Oberstin ihren Mann wieder hatte!

 

Drei schöne, prächtige Wochen hatte ich nun schon auf dem Schlosse meines Herrn Obersten wie der liebe Herrgott in Frankreich verlebt, mich in bona pace von den Strapazen und mörderischen Fährlichkeiten der Kampagne restaurierend. Erholte mich auch zusehends dabei und wurde dick und fett. Ihro Gnaden, die Frau Oberstin, trugen mich qua, Lebensretter des Herrn Gemahls schier auf Händen, und der gnädige Herr, der selber in Grimma auf der Fürstenschule gewesen, klassische Bildung zu würdigen wußte, und noch bis auf die Stunde seinen Horaz nach der Elzevirischen Ausgabe las, hegte mich wie seinen eigenen Augapfel. Alle acht Tage einmal diktierte er mir einen Brief in die Feder, angeblich, weil der zerschossene Arm noch bisweilen seine Mucken habe und namentlich, so oft das Wetter sich ändere, ganz verzweifelt zwicke und brenne – das war aber auch das Ganze, und ich durfte den schönen, lieben langen Tag in Scheunen und Ställen und auf den Feldern umherschlendern, angeln und dazu mein Pfeischen schmauchen. Deus haec nobis otia dedit.

Da riefen Se. Gnaden mich eines schönen Tages in ihr Kabinett, musterten mich vom Kopf bis zu Fuß mit einer kuriosen, pfiffigen Miene, und hoben dann endlich an: »Fistel, ich halte Dich für ein treues redliches Gemüt,« – Das hoffe ich zu Gott, mein gnädigster Herr Oberster,« – »Gut gesagt, mein Söhnchen. Und weil ich diese feste Überzeugung hege, und ohne Deinen treuen Beistand wohl schwerlich noch lebte, wohl aber aller Wahrscheinlichkeit zufolge in der Haide bei Preußisch-Ehlau vermoderte – so will ich Dich auch zum Kornschreiber auf meinen Gütern machen. Der alte ist gestorben. Dein Brot hast Du hier, und wohl auch noch das Salz obenein. Ist Dir's so recht?« – Da tanzte mir das Herz vor Freuden im Leibe; ich küßte meinem lieben Herrn mit ziemlicher Rührung die Hand, und wutschte, so bald es thunlich war, nach meiner zukünftigen Amtswohnung hinüber; legte mich auch gleich mit halbem Leibe aus dem Fenster, um zu probieren, wie mir das Haus zu Gesichte stände. Prächtig, wie mir däuchte. Dann rannte ich vor überquellender Lust wieder hinaus, sah mir das neugebaute Haus von allen vier Seiten an, und jubelte über den schönen blitzweißen Anwurf, das hellrote Ziegeldach und den Schornstein mit angemalter Jahreszahl. Im Garten stand ein großmächtiger Kirschbaum in voller Blüte, und auf dem Gestell drei Bienenkörbe, deren Inquilinen mich jetzt lustig umsummten. Aurikeln und Iris wuchsen in den mit Salbei sauber eingefaßten Beeten, im Winkel aber stand eine mit spanischer Kresse umrankte Laube, die sich exquisit zum Kaffeetrinken eignete. Das war nun ad dies vitae alles mein. Hurtig fuhr ich wieder in das Haus zurück, und in die weißgetünchte Stube mit der grünen Bordüre, an deren Wand die Kerbhölzer und Speicherschlüssel hingen, warf auch einen Blick in das Nebenkabinett. Es war eng – zwei Betten hatten aber doch wohl darin Platz, zur Not auch noch eine Wiege, und bei dieser Berechnung überkamen mir ganz eigene wonniglich-sehnsüchtige Gedanken, und die Verse:

»Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar,«

fielen mir ein, während Minonas Bild in Heller Glorie vor meine Seele trat. Nun, kommt Zeit, kommt Rat. Vor der Hand grämte ich mich um weiter nichts, als um meinen Dienst, rumorte voll früh, wenn der Hahn krähte, bis nach dem Abendläuten auf dem Felde und den Kornböden herum, vermaß das Getreide, brachte es zu Markte, und notierte es dann mit Latus und Transport in dicken schweinsledernen Folianten. Das war ein anderes Leben, als in der Polackei und beim 113ten.

Pfingsten war vor der Thür. Meinen Eltern hatte ich weder von der Heimkehr, noch von der gemachten Fortüne ein Wort gemeldet. Oftmals zwar hatte ich schon zur Feder gegriffen, um ihnen die briefliche Versicherung zu geben, daß der alte Herrgott noch lebe und sich des verlorenen Sohnes erbarmt, und den Trebern-Diners gnädiglich ein Ende gemacht habe. Dann erwägte ich aber wieder, wie mißtrauisch alte Leute zu sein pflegten und wie sie gar leicht meine ganze Epistel für eitel Windbeutelei halten könnten. Besser ist's, dachte ich, Du trittst ihnen als ein gemachter Mann mit Stiefel und Sporen entgegen. Sehen sie erst die silberne Uhrkette, die Dir die Frau Baronin schenkte, und befühlen sie das feine, blaue Tuch des Fracks, dann kommt ihnen auch der Glaube in die Hand. Als nun aber die Feiertage eingeläutet worden waren, begehrte ich einen zweitägigen Urlaub von der Herrschaft, schwang mich Tags darauf in aller Frühe, als kaum noch die Schwalben munter waren, auf meinen kleinen Braunen, und trabte mit wunderlichen, wehmütigbangen Gefühlen nach Freiburg an der Unstrut.

Die Sonne war schon hinter die Berge gesunken, als ich in meine Vaterstadt einrückte. Ich zog das Pferd ein und schritt mit pochendem Herzen den heimischen Laren zu, sah schon von unten Licht in der Stube, schlich auf den Zehen die Treppe hinauf und öffnete leise, leise die Thür. Es war alles noch beim alten geblieben; in der sechsjährigen Abwesenheit hatte sich nichts verändert, war nichts vom gewohnten Platze verrückt. Die Mutter saß strickend mit der Brille auf der Nase im Lehnstuhl, der Vater am kleinen Pult, unfern des Fensters, und trug beim Schein der Lampe bedächtig, und mit schwarzer und roter Tinte abwechselnd, die Zahlen ein. Auf dem braunen Sessel schnarchte der alte Mops vernehmlich, und die Bilder Ihro Durchlauchten des Kurfürsten und der Kurfürstin sahen noch ebenso ernst und vornehm neben dem aufgehängten Kalender von der Wand herab.

Die Mutter schlug zuerst die Augen auf, schrie laut, blieb aber schwach und keines Wortes mächtig im Armstuhl sitzen. Nun hob auch der Vater den grünpapiernen Lichtschirm von der Stirn, maß mich, ohne eine Miene zu verziehen, vom Wirbel bis zu den Schuhspitzen, und fragte dann nach geraumer Pause ernst und würdevoll: »Nun, Schlingel, wo kommt Er denn her?« Da schüttelte ich leise den Kopf und antwortete in mich hineinlächelnd: »Mit Vergunst, Herr Vater, bei mir hat es sich ausgeschlingelt. Unsereiner hat den Feldzug in Polen beim 113ten mitgemacht und ist jetzt als hochfreiherrlich von Bischoffslelebenscher Kornschreiber bestellt, mit zweihundert Reichsthalern fixum, ohne die Extrageschenke zu Weihnachten, zwanzig Dresdener Scheffeln Korn Deputat, mit vier Tonnen Bier und Ration für das Pferd. Das sind wir jetzo. Und nun, alter Vater, gebt mir Euren Segen, und Ihr auch, Mutter, und preist Gott mit mir aus vollem Herzen, daß er alles so zum guten gefügt.« Und dabei klatschte ich mit der Reitpeitsche recht kavalier auf die Stulpenstiefel und klimperte mit der silbernen Kette und den Uhrbommeln. Der Alte nickte zwanzigmal mit der Zipfelmütze und brummte vor sich hin: »So ein Haselant und zweihundert Reichsthaler und vier Tonnen Deputat! Hm! hm! Je größer Strick, je größer Glück! Dann streckte er langsam die Hand aus und drückte die meinige nur so kalt und obenhin, als wolle er seine Freude nicht merken lassen – ich kannte ihn aber besser. Die Mutter hingegen konnte sich nicht verstellen und fiel mir schluchzend um den Hals, nannte mich ihren einzigen Goldsohn und Joseph, um den sie viel tausend Thränen des bittersten Herzeleids geweint.

Nunmehr ging es an ein Erzählen ohne Ende. In gedrängtem Entropischen Auszuge referierte ich die Weltbegebenheiten, in welche ich eingegriffen, und diejenigen, welche wiederum auf mein Leben eingewirkt, bis ich per varios casus, per tot descrimina rerum in patriam heimgekehrt und der Fortuna redux mein Dankopfer habe anglimmen können. Bei Erwähnung der Kriegsbegebenheiten schmunzelte der alte Herr seelenkontent, hieß mich jedoch einen Hasenfuß, weil ich mir den Abschied allerhöchsteigenhändig selber unterzeichnet und mitten aus der Bataille gelaufen. Die Mutter hingegen gab mir völlig recht, unterbrach sich aber mit der plötzlichen Frage: »Aber sage mir Fritz, um aller Welt Wunder, was hast denn Du für Liebesgeschichten angezettelt? Ist das wohl erlaubt? Schämen solltest Du Dich was,« – Ich wurde ganz blutrot. »Kommt da,« fuhr Mama fort, »just an Mariä Empfängnis ein junges Mamsellchen zu mir und fragt, ob ich nicht die Mutter des Herrn Friedrich Fistel sei, und wie Dir's ginge, und wo Du wärst? Und dabei stürzen ihr die hellen, klaren Thränen aus den Augen, so zärtlich und beweglich, daß ich ganz weichmütig wurde und mein Gesetzchen mitweinen mußte.« – »Trug sie nicht ein weißes Musselinkleid mit rosa Gürtelband und Stahlschnalle? – »Nun ja wohl!« – »Ach, meine Minona – –« Nein, so nannte sie sich nicht, aber Minna Grasmeier, und erzählte noch, sie habe vom Großonkel das Eckhaus am Markte zu Nebra geerbt.« – »Ach ja wohl, sie ist es, sie ist es! Die Reine, die Edle!

»Ja Mutter, segne Deinen Sohn! – Dies Herz,
Es hat gewählt; gefunden hab' ich sie,
Die mir durchs Leben soll Gefährtin sein.«

»Nachgerade rappelt's mit ihm,« brummte der Vater. »Achtzehn Jahr ist er alt und denkt schon ans Heiraten. Wart' Er die Schwabenjahre ab, Junge, und dann wollen wir sehen,« – Ich aber erhob mich mit feierlichem Anstand und sprach:

»Das ist der Liebe heil'ger Götterstrahl,
Der in die Seele schlägt und trifft und zündet,
Wenn sich Verwandtes zu Verwandtem findet.
Da ist kein Widerstand und keine Wahl –
Es löst der Mensch nicht, was der Himmel bindet.«

»Und somit, Herr Vater, erkläre ich denn solemniter: Diese oder Keine! Die Liebe zu meiner Minna, alias Minona, war es, welche mich in die weite Welt hinaustrieb; sie war es, welcher ich, wenn gleich nur mittelbar mein gegenwärtiges Glück verdanke. Ihr lege ich es wiederum zu Füßen, und zwar morgen in der Frühe schon. Nach Jahren aber – sei es um diesen Verzug – führe ich sie als meine Gattin heim, und schreibe über die Pforte, durch welche ich die Geliebte des Schülers, des Tambours wie des Kornschreibers leite:«

» Inveni portum. Spes et Fortuna valete!
Sat me lusistis – ludite nunc alios.
«

Der Vater brummte: »Er ist und bleibt doch ein Narr in alle Ewigkeit. Meinetwegen thu', was Du willst!« Die Mutter aber faltete die Hände und sprach ein andächtiges Amen!

 


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