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Der Jahrestag

Es war an einem heitern Oktober-Nachmittag des Jahres 1816, als ein Greis, in Begleitung einer der Kindheit kaum entwachsenen Jungfrau, die Anhöhe bei Solothurn, auf welcher der Wengi-Stein ruht, von der Einsiedelei zu Sta. Verena aus langsam erstieg. Freundlich nach den Antlitz ihres bejahrten Gefährten ausspähend, Und wie nach der Gunst eines dankenden Augenwinks, eines flüchtig verschwimmenden Lächelns haschend, hielt das junge Mädchen dessen linke Hand umspannt, während ihr verlängerter Arm seine Achsel stützte, um so vorsorglicher, je wehr die Steilheit des Pfades das Erklimmen erschwerte. Wenn jedoch das ergraute Haar und der gebeugte Nacken für das vorgerückte Alter des so liebevoll geleiteten Greises sprachen, so offenbarte wiederum der sichere, kriegerische Schritt, die männliche Haltung der hohen, schlanken Gestalt, daß es weder die Last der Jahre, noch körperliche Schwäche waren, welche ihn bewogen, die führende Hand anzunehmen, und daß er wohl eher jenes zarte Opfer der Liebe nur eben aus gleich zarter Ehrfurcht vor ihrem heiligen Walten dulde.

Das Paar hatte die Spitze der Anhöhe erreicht.

»O sehen Sie dort,« rief das junge Mädchen, »die Ruhebank im Schatten der Kiefern unweit des Wengi-Denkmals! Wie freundlich wußte der Genius des Orts Ihre Gedanken Zu erraten, wenn er über Nacht diesen moosgepolsterten Sitz auf Ihrem Lieblingsplatz aus dem Boden wachsen hieß.«

Ein leises Lächeln überflog die bleiche, durch Runzeln und Narben gefurchte Wange des Greises, als er die Verwirklichung eines erst am verwichenen Tage flüchtig angedeuteten Wunsches erblickte. »Ich zweifle keinen Augenblick,« begann er mit voller, klangreicher Stimme, indem er die Hand auf das von blonden Locken umringelte Haupt des Mädchens legte, »ich zweifle nicht, daß die freundliche Fee, welche sich gefällt, so schmeichlerisch den Launen eines alten Mannes zu huldigen und ihn mit Aufmerksamkeiten liebreich zu verwöhnen, auch jetzt ihm zur Seite stehe – und so empfange sie denn den herzlichsten, gerührtesten Dank für diesen neuen Beweis ihrer kindlichen Liebe.«

»Ich würbe stolz darauf sein, ihn verdient zu haben, mein General!« entgegnete die Jungfrau. »Sie denken aber allzugünstig von Ihrer kleinen flatterhaften Emilie, wenn Sie wähnen, sie habe Ihr gestriges Wort nicht in den Wind geschlagen. Tief beschämt darf ich den unbekannten Wohlthäter nur um sein Verdienst beneiden, oder vielmehr um sein Glück – denn was wollen diese spärlichen Halme der Ernte nach so überreicher, weithin verstreuter Saat bedeuten?«

Der Greis drückte leis' die gefalteten Hände an die Brust, und wandte mit jenem rührenden Blick, in dem sich das edelste Wohlwollen, die reinste Liebe für die Menschheit abspiegelte, das Haupt, gleichsam als suche sein Auge den Urheber der ihm bereiteten Freude, als sehne sich die blasse Lippe, den Gefühlen der Erkenntlichkeit Worte zu leihen; dann aber richtete er seine Schritte nach dem ihm geweihten Moosthron, um von diesem aus das Reich der Liebe, welches er, so weit sein Auge reichte, in diesen Thälern sich gegründet hatte, zu ermessen.

Die Sonne neigte sich allmählich dem Untergange zu und warf ihre schrägen Strahlen auf die weiten Stoppelfelder und glänzenden Wiesen, welche die niederen Hügel umkleideten, auf die zierlichen Landhäuser, welche ihre Gipfel krönten, vergoldete das falbende Laub der Obstbäume, die sich in den Gärten der Niederung aneinander drängten und wiederum von dichten Föhrenwaldungen begrenzt wurden, spiegelte sich in den Wellen der vielfach gekrümmten Aar, und erleuchtete die altertümlichen Giebel und Turmspitzen des auf sanfter Anhöhe ruhenden Solothurn. Die fernen Zacken des von frühzeitigem Schnee bedeckten Inragebirges flammten heller und heller, und die flockigen Wölkchen, welche am Himmel schwammen, begannen gemach unter den Abschiedsküssen des Lichts zu erglühen.

Der Zauber, welchen die Reize des schönen Jurathales sonst jederzeit auf das Herz des bejahrten Kriegers ausübten, schien jedoch an diesem Tage seine frühere Macht verloren zu haben. Wohl nahm das Auge die grüne Hügelkette, die dampfenden Thäler, die funkelnden Kreuze der Kirchen und Kapellen und den schwarzen Gürtel der eintönigen Waldungen spiegelnd in sich auf, aber nur allzubald senkte es sich zu Boden, und der freudige Schimmer, welchen die Schönheit der Erde auf der Stirn des Greises abgeglänzt hatte, erblich. Seine Finger zogen die Spätrose, welche das Knopfloch des blauen, schlichten, fast unscheinbaren Kleides als dessen einziger Orden zu schmücken pflegte, aus ihrem Versteck und entblätterten sie als stumme Zeugen für die schmerzlichen Gefühle, welche die Brust erschütterten, an welcher die schöne Blüte geduftet hatte.

»Vermag denn ein so über Alles herrlicher Abend dem so begeisterten Verehrer der Natur kein Wort des Entzückens zu entlocken?« begann Fräulein Emilie Zeltner, um ihren väterlichen Freund von seinen düstern Träumen abzuleiten.

»Du hast wohl recht, mein Töchterchen,« entgegnete der Angeredete. »Oft genug rügte ich schon an Anderen dies dumpfe Hinbrüten, und verdämmere jetzt selber mit ihm diese feierliche Weihestunde. Kaum aber bin ich am heutigen Tage vermögend, auch mit den kräftigsten Blitzen des Wollens die rastlos aufs neue heranstürmenden Wolken des Trübsinns, der Schwermut zu zerreißen. Es ist ein alter Glaube – nenn' ihn Aberglauben, wenn Du willst – wie es solcher Tage im Leben gebe, an welchen den Unglücksmächten freie Hand über den Sterblichen gegeben zu sein scheint, Tage, an denen sie die ihnen gewordene Freiheit mit wilder, dämonischer Lust ausjauchzen, deren Wiederkehr wir arme Opfer mit heimlichem Grauen entgegensehen – schwarze Tage nannten sie die Alten. Mögen wir glich ihre unheilbringende Wechselwirkung verwerfen – ihr Dasein zu leugnen vermögen wir nicht, und Jeder, dem ein langes Lebensziel gesteckt ist, oder was gleichbedeutend, ein dornenreiches, muß wohl, wenn auch mit Widerstreben, ihre Existenz einräumen. Der heutige Tag aber ist ein solcher für mich. Es ist der 10. Oktober, der Jahrestag der unglückseligen Schlacht von Maciejowice – es ist der Tag, an welchem in früheren Jahren meinem Herzen eine andere – ach! ich darf wohl nicht sagen schmerzlichere, aber beim wahren Gott! Wohl ebenso tiefe, ebenso wenig verharrschende Wunde geschlagen wurde.«

»Weshalb aber,« erwiderte Emilie, mit liebender Sorgfalt bemüht, die nächtigen Bilder, welche der Seele des Krieges vorschwebten, durch freudighelle zu verdrängen, »weshalb mit starrem Trotze ans dem Lebenskranze nur solche Blumen erwählen, deren giftiger Duft noch nach so langen Jahren in betäubender, seelenlähmender Kraft fortwirkt? Ist er doch so überreich an Blüten, welche für Sie so in Ihrem Vaterlande wie jenseits des Ozeans sproßten. Wie oft entzückten Sie nicht schon mein kindisches Auge, wenn Sie vor ihm den schillernden Farbenglanz Ihrer früheren Tage spielen ließen; wie oft nicht mein achtsam lauschendes Ohr, so oft Sie die Heldensage vom Kampf für Freiheit, Selbständigkeit und Unabhängigkeit begannen, wenn Sie der edlen Hingebung der überseeischen Nationen für das Heiligtum der Ehre, wenn Sie ihrer glorreichen Siege gedachten; wie oft, wenn Sie das mit ebenso glühender Begeisterung begonnene, vom Glück verratene Ringen Ihres Vaterlandes mit der Übermacht schilderten. Über Alles liebe ich Ihre edelmütigen, hochherzigen Landsleute, Ihr herrliches Land! Sprechen Sie mir nur von ihm, von ihm allein. Führen Sie mich wieder nach den Gefilden, die Sie als Kind, als Mann erblickten. Mit welcher heimlichen Lust male ich mir die geheimnisvollen, schweigsamen Urwälder Litauens aus, unter deren riesigen Bäumen jene wilden Tiere, die für uns schon längst zu Gestalten der Sagenwelt wurden, in trotziger Sicherheit wandeln, oder durchschweife im Geist die unabsehbaren reichen Flächen Polonias, über welche der leichte Wagen zauberschnell hinwegrollt, und die Freude von Hütte zu Hütte trägt. Sprechen Sie, General, von jenen stolzen, leicht beweglichen, so ritterlichen Edlen, von dem Zwist der Parteien, dem ewig gährenden, den nur der Ruf um Hilfe der gemeinsamen Mutter, des Vaterlandes, zu beschwichtigen vermag; sprechen Sie von den liebenswerten Frauen Ihrer Heimat. Nur selten gedachten Sie ihrer, und doch sind ihre Reize gewiß des Preisens aus Ihrem Munde nicht minder würdig als die Großthaten ihrer Gatten und Brüder.«

»Sie sind es, mein teures Kind! Sie sind des begeisterten Herolds würdig, eines geübteren Lobredners mindestens, als ich es bin, wenngleich in meinem Herzen das Andenken an ihre Anmut, an ihre enthusiastische Vaterlandsliebe, ihre Seelengröße tiefe, mächtige Wurzeln schlug, erst mit dem Leben absterbende. Von Polens Frauen verlangt Dich zu hören. Sei es denn. Der heutige Tag mahnt mich, Deinem Wunsche Gehör zu schenken, Dein Auge ans ein bisher noch nimmer entrolltes Blatt zu richten, ein Blatt, auf welchem viel hoffnungshelle Lichter, recht trostlose Schatten spielen – es ist die Geschichte meiner Liebe, meiner ersten, meiner einzigen. Und über das höchste, heiligte Gefühl, welches die Gottheit in unsere Brust senkte, über diese reine Flamme, welche ein Erdenleben verklärte, braucht auch der Greis nicht zu erröten; von ihr darf er auch in grauen Haaren mit schmerzlich süßer Rührung zu der Jungfrau, dem Kinde seines Herzens, reden, und noch am Abend seines Lebens sich glücklich preisen, daß er eine so zarte, edle Neigung zu fassen, sie vierzig volle Jahre hindurch treu zu bewahren, fähig war.«

Verstummend deckte der Greis das Auge mit der Linken. Ein zitternder Händedruck bezeugte seiner jugendlichen Freundin, daß der Schmerz in so langem Zeitraum noch nichts von seiner Herrschergewalt eingebüßt habe. Dann begann er:

»Die Prüfungsjahre in der Pflanzschule des Kadettenhauses zu Warschau waren dem emsigen Sammler nur allzuschnell entronnen; ein ehrendes Zeugnis seiner Vorgesetzten gewährte ihm die Gunst, das Ausland bereisen und sich an Ort und Stelle in die Geheimnisse der Waffenkunst einweihen lassen zu dürfen. Ich kehrte zurück, nur des einen Wunsches voll, die Früchte meiner Studien zum Verderben des auswärtigen Feindes verwenden zu können. Der tiefe Friede, in welchem zu jener Zeit Polen den Stürmen der folgenden Jahre entgegenschlummerte, vereitelte jedoch meine Sehnsucht. Ich hatte das Alter von dreißig Jahren erreicht, im Heere den Rang eines Hauptmanns. Ich lebte still, eingezogen, fast menschenscheu, den Sitten des Landes und dessen lebensfreudiger Jugend, denen meiner Standesgenossen zuwider, ausschließlich für die Wissenschaften meines Berufs. Das weibliche Geschlecht stand mir fern und zu hoch, um ihm nur jene leichte, tändelnde Aufmerksamkeit, jene allgemeine bedeutungslose Galanterie zu widmen. Mehr und mehr zog ich mich in meine selbstgeschaffene Einsamkeit zurück. Es war, als ob die innere Stimme mir zuriefe, mich nicht von den Seligkeiten dieser Welt, für welche ich nicht geboren sei, umgarnen zu lassen, als ob ich ahnte, daß mein Leben eine Kette von Fehlschlagungen, von bitteren Entsagungen sein werde. Schon häufig ist es mir begegnet, daß auf der Stirn derjenigen Männer, welchen das Geschick lange und schwere Prüfungen aufbewahrte, bereits von ihrem Eintritt in das Leben an sich die dichten Wolken des Trübsinns lagerten und vor den Sonnenglanz der Jugendfreudigkeit drängten. Die schwere, gewitterschwüle Zukunft schien schon auf dem unmündigen Herzen beklemmend zu lasten. Ich konnte mir keine Rechenschaft von dem Grunde meiner Traurigkeit geben, von meiner Schweigsamkeit, von dem Verschmähen alles desjenigen, was meine Alters- und Standesgenossen für Glück erachteten. Ich blieb still und in mich gekehrt, und floh die rauschende Brandung der Lust, welche sich zu jener Zeit in Warschaus Mauern an dem Throne des prachtliebenden Poniatowski brach.«

»Da traf es sich, daß der Geburtstag des Monarchen gefeiert wurde. Graf Zamojski versammelte an jenem Tage in seinem Palast alle die Sterne, welche über der Hauptstadt, über Polen durch den Adel ihres Stammes, durch Güter des Glücks, durch Verdienste leuchteten. Die Befehlshaber des Heeres, die Starosten, die Landboten der Republik, die fremden Botschafter, der König selber leistete mit den Gliedern seiner Familie der Einladung Folge; auch mir, dem Niedrigstehenden, Unbekannten war sie zu teil geworden – nur mit Widerstreben gab ich ihr Gehör.«

»Die Wogen der Geladenen rauschten in die glanzerfüllten Säle des Krongroßfeldherrn, und fluteten in wirrem, betäubendem Treiben auf und nieder. Dort hättest Du den von Gold starrenden Offizier der Krongarde neben dem Bischof, welchen der violette Talar und das Ordenskreuz als solchen bezeichneten, sehen können; dort den festlich nach Frankreichs Sitte gekleideten Höfling in goldbrokatnem Kleide, den brillantierten Stahldegen an der Seite, bei dem Magnaten, welcher stolz auf seine altpolnische Tracht, auf das geschorene Haupt und Knebelbart, auf entblößten. Hals und lang herniederwallende Czamarra mit ihren geschlitzten Ärmeln, auf goldgewirkten Paß und Karabella, – wie die gebogene Damaszenerklinge, welche sich am Korduangehenk schaukelte, genannt wird, – jene fremdländische eines Sarmaten unwürdige Aftermode verwünschte, sie, die ihren Szepter allmählich auch über die Männer auszudehnen begann, nachdem ihr das schöne Geschlecht schon seit längerer Zeit gehuldigt hatte. Es war eine fürstliche Versammlung, und auch der Gegner des Prunks mußte stolz auf sein Vaterland sich eingestehen, daß nur Polen so strahlende, zauberische Erscheinungen hervorzubringen imstande sei.«

»Schweigsam stand ich an einer der Fensterbrüstungen, anteillos an dem tosenden, mir fremden Gewühl, wenige nur der Bekannten unter den Großen des Reichs zählend, weniger noch unter den edlen Frauen. Da rauschten die Flügelthüren abermals auf, und an der Seite ihres Vaters trat sie herein, sie, die Geliebte meiner Jugend, meines Alters.«

»Es giebt der Augenblicke in unserm Dasein, in welchen, dem Wechsel der Bühnendekorationen gleich, das Frühere zauberschnell und spurlos versinkt, um von einem Neuen verdrängt zu werden. Der Eintritt der holdseligen Jungfrau war für mein Leben solch ein Moment, ein unwiderruflich entscheidender. Noch jetzt spiegelt das liebreizende Bild sich hell und leuchtend in meiner Seele ab noch sehe ich die schlanke Gestalt in der schönen jungfräulichen Tracht ihrer Heimat, die echte Tochter Litwas, in kurzen, Zobelverbrämten Überkleid, des braunen Haares bis auf die Erde herabhängende Strähne mit rotseidenen Bändern und Perlenschnüren durchflochten; noch das dunkle, von nie gekannter Lust strahlende Auge mit dem umringenden Fallgatter der langen seidenen Wimpern; noch erblicke ich die von magdlicher Befangenheit erglühende Wange, den jugendlich-schalkhaften Mutwillen, welcher die rosenfrische Lippe umgaukelte, und dann wieder die freie, klare Stirn, den Thron der seligsten Kinderunschuld. – Erst in diesem Augenblick ging mir die Schönheit, die Herrlichkeit des Weibes auf.«

»Der Trompeten Schmettern, der Pauken hohler Wirbel verkündete den Eintritt Stanislaw Augusts – ich hatte kein Auge für das Erscheinen des Monarchen, seines Gefolges. Willenlos zog ich der Schönsten nach, hielt in ihrer Nähe, verlor mich in den Anblick ihrer vollendeten Schöne, der Anmut ihrer Bewegungen. Eine befreundete Stimme weckte mich aus meinem Taumel; sie gehörte Julian Niemcewicz, meinem Jugendgefährten und Waffenbruder. »Wer ist sie? Um Gottes willen, sprich!« – »Wer? Sie?« – »Wer? Dort die Schönste,« – »Ah, die Litauerin! Ja wohl, die Schönste. Du sprichst wahr. Die reizende Hetmanstochter ist's, Ludwisia Sosnowska, das einzige Kind des Marschalls von Litauen und Unterkronfeldherrn Jozef Sosnowski. Ihre Mutter ist eine Radziwillowna.« – Aufs neue brauste die Musik vom Chore herab, und der feierliche, schwärmerische Takt der Polonaise durchzuckte begeisternd die Herzen. Der edelschöne ritterliche König nahte mit der einnehmenden Grazie, welche jeder seiner Handlungen eigentümlich war, mit der ihm alle Herzen gewinnenden Huld der Gräfin Zamojska, um mit dieser den festlichen Zug aufzuführen. Ludwisias Hand ruhte in meiner zitternden.«

»Kindliche Unschuld und helle Freudigkeit waren die Grundzüge von Ludwisias Herzen. Sie war ganz das reine, schöne Geschöpf der Natur, die noch von keinem Hauch getrübte Perle, Ihre Reise nach Warschau war die erste Entfernung von ihrer Heimat, von dem von finstern Waldungen umstellten Ort ihrer Geburt. Schon in einigen Tagen kehrte sie dahin zurück – mit schwerem Herzen, wie sie lächelnd gestand. Wohl habe sie nach den Erzählungen der Ihrigen sich ein großes, glänzendes Bild von den Wundern der Königsstadt entworfen – so herrlich sie aber nimmer geträumt. Alles dies hatte sie mir mit lieblicher, kindhafter Natürlichkeit vertraut, noch ehe wir zum erstenmale die Länge des Saales durchmessen, noch ehe ich sie darum zu befragen gewagt hatte. Ihre Stimme war so silberhell, so klangvoll – wie oft glaubte ich nicht seitdem, sie im Traume, in den Stunden der trauernden Liebe zu vernehmen – ihr Lachen so herzlich und doch von der Anmut gesäuftigt. Alles, was sie erblickte, war ihr neu und überraschend. Frage drängte sich an Frage, Scherz an Scherz. Bei ihrer schuldlosen Heiterkeit vergaß ich, daß ich an der Seite der zum erstenmal erschauten Jungfrau einherschritt. Wie überschwänglich reich unsere Sprache an Bezeugungen der Ergebenheit und Unterwürfigkeit auch sein möge – so kennt sie doch nur eine Anrede, die des vertraulichen Du. Dieser brüderliche Gruß ist es, welcher uns als Söhne einer Mutter bewährt, den Hohen dem Niedrigen verknüpft, dem Fremden die Rechte des Blutsverwandten einräumt, und der Etikette giftigen Schößlingen auf dem Boden unseres Vaterlandes Wurzeln zu schlagen verwehrt. Ohne die Sitte zu verletzen, durfte ich das Fräulein mit dem herzlichsten Klange beglückter Liebe begrüßen. Die mir sonst eigene Schweigsamkeit war in die Redseligkeit des langjährigen Bekannten umgewandelt, meine Befangenheit in den ekstatischen Taumel des Liebenden. Ich war über alles glücklich. Von der Konvenienz begünstigt, machten zahlreiche Nebenbuhler mir die Hand des Fräuleins für die folgenden Tänze streitig; erst die Tafel vereinigte uns wieder. Unvergeßliche Stunden, von der ersten Liebe Zauber verklärte, traumflüchtig entschwundene, deren Angedenken nimmer in meinem Herzen verlöschen wird! – Wie in unfern Steinbrüchen am Fuß des Weißensteins die schwarzen Schieferplatten Abdrücke Indischer Pflanzen zart und unversehrt bewahren, so auch das Herz des Greises jene Erinnerungen, Die Stunde des Aufbruchs schlug. »Werde ich Dich jemals wiedersehen, mein gnädiges Fräulein?« fragte ich Ludwisia im beklemmenden Momente der Trennung. »Komm' nach Zielonawies, Kapitän. Besuche mich in meinem schönen Vaterlande, auf unserm von hundertjährigen Linden umstellten Schlosse. Einen so glänzenden Abend wie den heutigen kann ich Dir in unsern Wäldern nicht verheißen, wohl aber frohe, und das frohe Gesicht des Wirtes. – Auf Wiedersehen, Kapitän!« rief sie noch einmal aus dem Wagen gebeugt, und mit dem Tuch den Abschiedsgruß winkend. – Die Karosse donnerte über die Quadern. Lautlos starrte ich den flackernden Windlichtern, welche vor ihr her sprühten, nach, bis die Nacht sie verschlang, weilte, ein regloser Träumer, unter der Säulenhalle des Palastes, und schon brach der Morgen an, als ich mich in meiner Wohnung wiederfand.«

»Ein königlicher Befehl verordnete für das Heer den jährlichen Wechsel der Standquartiere; infolge desselben traf mich das Los, für die Dauer des nächsten Jahres in Krakau zu verweilen – zwölf Monde von der Geliebten meiner Seele entfernt, kaum nur von der Kunde ihres Daseins erreicht. Leicht möglich, daß Du, meine Emilie, wähnest, mir sei dies Jahr zur unleidlichen Qual geworden, und jeder Tag, den ich getrennt von dem geliebten Gegenstände verträumte, zur Ewigkeit. Dem war nicht also. Nicht nur auf diesen Zeitraum war die Trennung von Ludwisia beschränkt. Die Hoffnung des Wiedersehens war an keinen bestimmten Tag gebunden – sie war in das schrankenlose Gebiet der Träume hinausgerückt. Ein Tag verfloß dem andern gleich, jeder brachte nur das Gestern wieder. Im nüchternen Kreislauf schleppte ich Schritt für Schritt die Bürde des Daseins, ohne Trauer wie ohne Freude. Dem Umgang meiner Waffengefährten entfremdet, lebte ich nur für meine Bücher, für die Erinnerungen des einzigen Abends, an welchem meine Lippen den Becher des Glückes berührt hatten. Die schnellsten Schwingen der Zeit heißen Einförmigkeit des Daseins und Hoffnungslosigkeit.«

»Da brachte der September des Jahres 1777 der Heeresabteilung, bei welcher ich stand, den unerwarteten Ruf nach dem Norden Litauens, nach der Heimat meiner Geliebten. Welche Wandlung! Gleich wie der im Schacht Verschüttete mit beklemmter Brust, mit zurückgepreßtem Atem, jeden der dumpfen Schläge, die ihn aus seiner Gruft erlösen sollen, zählt und dem Lichte entgegen zittert, also ich dem Tage, den Stunden, die mich meiner neuen Bestimmung entgegen führen würden. Endlos erschienen mir die melancholischen Steppen Litauens, welche das Heer durchzog, endlos jene von Schlinggewächsen übersponnenen Sümpfe, in welchen auf einzeln verstreuten Inselchen die Erle dem moorigen Boden entsteigt, in deren Rohrgestrüpp sich der scheue Eber verbirgt, und welche nur auf jenen von Baumstämmen roh gefügten Dämmen zu durchmessen sind. Weder die silberhellen Flüsse mit den von wildem Hopfen umrankten Weidenstämmen am Ufer, mit jenen von Strand zu Strand sich schwingenden Kranz-Gewinden, noch die finsteren Urwälder, deren Nacht nur auf der Heerstraße die Axt zu lichten wagte, jene auf ihren Wurzeln vermodernden Riesen-Säulen der Eichen und Tannen, von denen das weiße Moos, einer Leichenfahne vergleichbar, hernieder wallt und deren Gestrüpp das stolze Elen, der tückische Ur nur mit Mühe durchbrechen, – waren imstande, mich mit ihrem stummen Zauber zu umstricken. Mein Denken, mein Sehnen lag vor mir. Werde ich ihr wieder begegnen? Wird sie sich noch meiner erinnern wollen? Wird es mir glücken, ihre Neigung zu erringen? Ach, ist sie denn noch frei! Muß denn die hochbegabte Jungfrau nicht die Augen Aller auf sich ziehen, in jedem Herzen die Sehnsucht nach ihrem Besitze entflammen? Dies war der enge Kreis, in welchen meine Gedanken gebannt waren, den sie Tausende von Malen im Lauf des Tages durchstürmten. – Wir näherten uns dem Orte unserer Bestimmung. Der vorausgeeilte Ordonnanz-Offizier sprengte den Truppen entgegen, um dem Obersten den Namen der ihm angewiesenen Kantonnierung zu nennen. Er nannte das Schloß des Marschalls. Ich, als Adjutant, sollte das Quartier meines Vorgesetzten teilen.«

»Im Halbkreis um den Spiegel eines Waldsees gereiht, lagen die niederen Hütten von Zielonawies; ihre mit Moos und Hauswurz überwachsenen Halmdächer überragten das adlige, auf einem Hügel erbaute Schloß. Von Feldsteinen und Quadern getürmte Mauern, mit Schießluken versehene Türmchen an den ausspringenden Winkeln, ein halbverschütteter Graben, über welchen die morsche Zugbrücke leitete, zeichneten diesen Rittersitz als einen der wenigen in Polen aus, welcher den Verheerungen der Zeit, wie den Stürmen der fremden Horden widerstanden, den sogar die verderblichere Neuerungssucht seiner Eigentümer nicht gewagt hatte anzutasten. Hohe Linden drängten sich, ergrauten Wächtern gleich, um die Ringmauern und schieden das Schloß von den meilenlangen Waldungen, welche dicht hinter demselben begannen.«

»An der Schwelle des niedrigen, mit heraldischen Insignien und steinernen Trophäen geschmückten Thores empfing der alte Marschall von Litauen seine Gäste, und geleitete sie nach dem so herzlichen Willkommen unsers Vaterlandes, dem Kuß auf die Schulter, in den Saal zu seiner Gattin, zu seiner Tochter. Ludwisia erkannte sogleich ihren einstigen Partner wieder. Die höher flammende Glut ihrer Wangen, der freudige Glanz des lichtbraunen Auges, das liebselige Lächeln, welches auf ihren Lippen erblüte, wären ebenso viel giltige Bürgen dafür gewesen, auch ohne die dem Gruß verschwisterten Worte: »Ist dies Ritterart, Kapitän, erst nach Jahresfrist das den Damen gegebene Versprechen zu lösen? Nichtsdestoweniger heiße ich Dich von Herzen willkommen in Zielonawies.«

»So hatte denn ein günstiger Stern mich unter das Dach der Geliebten geleitet. Noch durfte kein Mann sich als den Beglückten nennen, dem sie ihr Herz zum holdseligen Eigentum gegeben. Sie hatte mich unverzüglich wiedererkannt. Von der schnellen freudigen Lösung dreier der Fragen, welche sich in der jüngst verwichenen Zeit wieder und immer wieder dem Geist aufgedrungen hatten, wagte ich es, auf die ebenso günstige der vierten, ob es mir gelingen werde, Ludwisias Herz zu gewinnen, folgern zu dürfen. Die Schicksalsmächte schienen mit meiner Leidenschaft im Bunde – und wie so willig ergab ich mich dem schmeichelnden Wahne – dem verzeihlichen Irrtum eines jugendlichen, von der glühendsten Liebe entzündeten Herzens.«

»Glänzende Gastmähler und Festlichkeiten bezeichneten jeden Tag unsers Aufenthaltes bei dem Unterkronfeldherrn. Das Schloß von Zielonawies, schon früher der Vereinigungspunkt des geselligen, zerstreuungssüchtigen Adels der Provinz, wurde zu keiner Zeit leer von den Schwärmen der Besuchenden, welche vergeblich die Gastfreiheit des Marschalls, des begütertsten der Edlen Litauens, zu ermüden strebten, und ebenso begierig als unser Wirt die Anwesenheit der fremden Krieger zum Vorwand nahmen, sich von dem wilden Strudel der Vergnügungen mit fortreißen zu lassen, auch die entferntesten Edelhöfe in denselben zu ziehen.«

»Schrankenlose Freigebigkeit, wilde Verschwendung, wo es galt, die Gastlichkeit seines Hauses zu bewähren, oder die Zwecke der einmal ergriffenen Partei zu erreichen; begieriges Streben nach neuem Besitztum, nicht aber um dieses den Nachkommen zu übertragen, nur um es rücksichtslos wieder vergeuden zu dürfen; schnelles Anschließen an eine Sache und noch schnelleres Aufgeben derselben; eine bis zur Verwegenheit gesteigerte Kühnheit, welche in Zweikämpfen wie in Feldzügen zu bewahren eine stürmische Jugend häufige Gelegenheit dargeboten, und zu gleicher Zeit Unfähigkeit, die Prüfungen des Schicksals zu erdulden: der aktive Mut ohne den passiven; die Urbanität des hochgestellten Weltmanns hart an die zügellose Leidenschaftlichkeit des rauhen Sarmaten grenzend; starres Festhalten verjährter Vorurteile statt der Grundsätze – dies waren die hervorstechenden Züge im Charakter des Marschalls Sosnowski. Was bedarf es der weiteren Schilderung? Er war Pole voller Bedeutung des Worts, der Pole von echtem alten Schlage; er kannte keinen höheren Stolz, als es zu sein, als die Fehler und Tugenden seiner Landsleute zu teilen, in einem wie in dem andern die Extreme zu erreichen. Alt-Polnisch war ihm charakteristische Bezeichnung für alles Edle und Schöne; Alt-polnische Sitte die Richtschnur seiner Handlungen, die des ganzen Hausstandes.«

»Zahllose Dienerschwärme, jener Luxus der Morgenländer, welchen die Häuser unserer Großen abspiegelten, füllten die Schloßräume von Zielonawies. Hunderte von Kosaken harrten des Winks, um als allzeit willige Organe die Machtsprüche ihres Gebieters zu vollziehen, die Wohnungen des minder mächtigen Adels zu bestürmen, den Ausspruch der Gesetze, häufiger den der schrankenlosesten Willkür zu vollstrecken, bei Ausübung des Zastaw oder angeblichen Pfandrechts, des Zajasd oder faustrechtlicher Besitznahme streitiger Güter, das Recht des Stärkern geltend zu machen. Scharenweise drängte sich die Szlachta ) Szlachta, der niedere Adel; szlachcic, der einfache Edelmann. zum Dienst des Litauischen Magnaten, und bewarb sich um die einflußreichen Stellen des Upawazniony Bevollmächtigter. des Marszalek, Haushofmeister. des Konjuszy, Stallmeister der Leib-Schützen, selbst um die des Kammerdieners. Verarmte Adelige, an Zahl nicht geringere, Mittelglieder zwischen der Dienerschaft und der Familie des Herrn, wohnten unter dessen Dache, saßen an seinem Tische und teilten unter dem Namen Domownik mit den Ehrenbeamten und Hausoffizianten das untere Ende der Tafel, das durch das Salzfaß geschiedene graue Ende. – Ein Menschenalter kaum verfloß, seit dieses Gemälde von dem Haushalt eines Polnischen Großen als ähnlich anerkannt werden durfte; ein Menschenalter kaum – und die Söhne jener übermächtigen Magnaten, eines Adels, der die Titel der Fürsten verschmähend, sie an Glanz, an Selbständigkeit, an Macht überragte, irren verbannt und heimatlos in der Fremde, oder fristen, der Güter ihrer Ahnherren beraubt, im Vaterlande ihr kümmerliches, durch Reue, durch gebrochnen ohnmächtigen Stolz vergiftetes Dasein. Dem Nebelreich der Sage verfiel nach einem Viertel-Jahrhundert bereits das, was das Auge des Kindes, des Mannes noch in voller Blüte erschaut hatte, jene orientalische Prachtliebe, jene unbegrenzte Herrschergewalt. Eines Viertel-Jahrhunderts bedurfte es nur, um ihren Namen aus den Reihen der Mächtigen zu streichen, aus dem Buche der Völker den Namen einer der ältesten, edelsten Nationen.«

»Doch ich vergaß meine Ludwisia über deren Vater, über die Andeutungen jener Zustände meine eigenen.«

»Wem jemals das Glück zu teil ward, Wochen, Monde lang mit dem Gegenstand seiner zärtlichste Zuneigung unter einem Dache zu weilen, täglich, stündlich die Gunst ihrer beseligenden Nähe zu genießen, mit or Wonne zitterndem Herzen das leise schüchterne Entfalten der Liebesknospe zu belauschen – der wird eine Ahnung von der schönen Zeit, die mir zu teil wurde, haben können, von dem Himmelsstrahl, welcher mein Leben erleuchtete. Nicht des Überraschenden, des außergewöhnlichen Ereignisses bedurfte es, um die Lippe des Liebenden zum Bekenntnis seiner Gefühle zu erschließen, um den entzückenden Widerhall in der Brust der Jungfrau zu erwecken; es bedurfte wenig mehr als jener ruhigen, anscheinend bedeutungslosen Aufmerksamkeiten der Chiffreschrift, deren geheimnisvollen Sinn nur das Auge der Liebe zu enträtseln vermag, der zwanglosen Annäherung, welche die Sitte der Heimat unserer Jugend gestattet. Alle jene kleinlichen, des Lebens Genuß verkümmernden Rückblicke auf Konvenienz, welche der Deutschen wie der Französin jeden selbständigen Schritt verwehren, und sie zum peinlichen, nimmer endenden Kampf zwischen Jugendfreudigkeit und Entsagen verdammen, sie sind der Polin fremd. Sie fühlt sich schuldlos und rein; dieses stolze Selbstgefühl verläßt sie in keinem Augenblick; es geleitet sie leicht und sicher über die Klippen und Untiefen hinweg. Unsere Jugend darf jugendlich denken und fühlen; keine pedantische Formen verkümmern ihren Lebens-Frühling; nicht wird ihr dieser zum hohlen, bedeutungslosen Schalle. Die freie naturgemäße Entwicklung des Keimes ist es, welche den kräftigen Aufschwung des kraftvollen Stammes bedingt.«

»Wiederum jauchzten vom Altan des Schloßsaales die Trompeten den gellenden Widerhall zu den Gesundheiten, welche an den langen Tafeln unter jubelndem Beifall von Gastgeber und Gästen ausgebracht wurden. Bemooste Flaschen ergossen ihre dunkeln Goldfluten in die mit Wappen und Inschriften verzierten Silberpokale, welche von Hand zu Hand wanderten. Die meinen Landsleuten eigentümliche Leidenschaftlichkeit, gesteigert noch durch den raschen, wüsten Genuß des feurigen Ungarweines, begann bereits die Schranken der Sitte zu durchbrechen, und sich gleich maßlos im Haß wie in der Liebe zu offenbaren. Seit längerer Zeit schon hatte Ludwisia sich dem unheimlichen Treiben des Festmahles entzogen; ich ergriff den ersten unbewachten Augenblick, um ihr zu folgen.«

»Vom Schlosse herab führte längs der Ufer des Sees ein von Erlen und Birken überwölbter Gang nach einer Ruhebank, dem Lieblingsaufenthalt der Hetmanstochter. Reiche Stunden beglückter Liebe waren mir dort an ihrer Seite erblüht, wenn ich die Dichter unserer Heimat, die glutatmenden Gesänge eines Kochanowski, eines Trembecki, die Erzeugnisse der jugendlichen Muse des mir innig befreundeten Niemcewicz, der Geliebten mitteilte, wenn ich alle unserer Leidenschaft schmeichelnden Stellen erwählte, wenn die Begeisterung der liebenden Herzen jene Empfindungen der Dichter als frostige, als farblose verwarf, sich den eigenen Stürmen überließ, in regellose Ausrufungen das Übermaß ihres Glückes aushauchte, die Schwüre der ewigen Treue wieder und immer wieder stammelte.«

»Die zierliche Spur des kaum merklich in den feuchten Sand ausgeprägten Schuhes verriet den Weg, den die Geliebte eingeschlagen hatte. In Begleitung ihrer unzertrennlichen Jugendfreundin, der liebenswürdigen Karolyna Zenowiczowna, der Vertrauten unserer Liebe, war sie der Moosbank zugeeilt. Es war ein sonnigklarer Herbst-Abend. Leise strich der Wind durch die Zweige der Linden, entführte ihr falbendes Laub und warf die getrockneten Blätter auf den ungetrübten Spiegel des Sees, auf welchem die Schwärme der wilden Enten unter den abgespiegelten Rosen-Wölkchen schwammen. Vom gegenüberliegenden Ufer winkte das altertümliche Schloß, aus welchem von Zeit zu Zeit der dumpfe Schall der Trompeten quoll, über das Wasser zog und in den Waldungen zerfloß. Schwerfälligen Schwunges erhob sich vom Gestade ein Reiher und durchschnitt schreiend die Lüfte. Dann ward Alles wieder still.«

»Wird es Dich befremden, meine gute Emilie, daß das Bild jenes Abends nach so langer Zeit mit brennenden Farben in meiner Seele abglänzt? Mit der geliebten Gestalt zieht auch die umgebende Welt, ziehen Menschen und Natur, als Folie der Ewigteuern, in das Herz, um es ewig zu erfüllen; und wenn eine vierzigjährige Nacht sich dem Lichtpunkte des Lebens anreiht, dann werden dessen Strahlen auch noch nach Menschenaltern hell, leuchtend, blendend glühen.«

»An diesem Abend war es, wo ich zum ersten Male den Schleier der Zukunft zu heben, und deren finsterm, ihr voraneilendem Herolde, der Ahnung, Worte zu leihen wagte. »Teilst Du denn so recht innig den Glauben, meine Ludwisia, daß das Glück dem Bunde unserer Herzen die Weihe erteilen werde? Wird unser Lieben kein vergebliches Sehnen bleiben? Was ist es denn, was ich außer einem vollen, treuliebenden Herzen Dir zu bieten habe? Darf ich doch keine anderen Glücksgüter als meinen Degen in die Wagschale werfen, wenn es die Werbung um das reichste Edelfräulein in Litauens Marken gilt?« – »Still, still, mein Freund, Deine Zweifel wecken das Unglück aus seinem Schlummer. Mein ganzes Dasein ist Dir geweiht. Du bist der Gebieter meines Herzens, meiner Zukunft. Morgen, ja schon morgen werde ich es frei und offen der Mutter gestehen, und so tritt auch Du dem Vater männlich kühn mit der Bitte um meine Hand entgegen. Sage ihm, daß er keine Tochter, als nur Deine verlobte Braut, als Deine Gattin besitze. Er denkt edel, großmütig – er liebt mich zärtlich – er achtet Dich hoch. Dein edler Stamm kommt dem unserigen an Alter gleich. Polens Edle aber sind Brüder, deren Jeder berechtigt ist, die Hand nach der Königskrone auszustrecken. Sprach ich nicht Wahrheit, Karolyna?« – Das melancholische Lächeln, die ausweichende Antwort ihrer Freundin bekundeten, daß diese die rosigen Träume einer Liebenden nicht zu teilen vermöge, daß sie frühzeitig schon des Lebens ernstem, starrem Medusenhaupt ins Auge geblickt. Mit Befremdung gewahrte Ludwisia die schwankende Beipflichtung ihrer Jugendgenossin. Zum ersten Male faßte auch sie den nahen, über das Glück unseres Lebens entscheidenden Augenblick in seiner vollen, schweren Bedeutsamkeit auf, zum ersten Male gab sie dem Gedanken Raum, daß ein plötzlicher Frost ihre so freudig gepflegten Hoffnungsblüten vernichten könne, und an dem früher noch nie getrübten Horizonte stiegen langsame, gewitterschwangere Wolken auf. Stumm wandten wir uns zur Heimkehr.«

»Ich trat vor den Marschall. »Sei mir willkommen, Kapitän!« rief er mir mit jener traulichen Herzlichkeit, welche der Pole gegen seinen Gast zu hegen gewohnt ist, schon auf der Schwelle entgegen. »Was führt Dich so früh zu mir?« – »Eine Bitte, gnädiger Herr.« – »Wohl. Sie ist Dir gewährt, von ganzem Herzen. Sprich, mein Junge! Befiehl über mich, über mein ganzes Haus; es steht zu Deiner Verfügung.« – »So gewähre mir denn die Hand Ludwisias, der über Alles geliebten, der treu und innig meine Liebe erwidernden.« – Langsam lehnte sich Herr Sosnowski in den Divan zurück. Staunen über das völlig Unerwartete schien seine Zunge zu fesseln. Die eben noch von wohlwollenden Gesinnungen verklärten Züge versteinten in Kälte, in zornigem Hohn. »Nun fürwahr, Brüderchen, schüchtern im Bitten bist Du nicht. Sprich doch, Knabe, haben meine Ohren mich nicht gethört? – Du? Du? Du frei'st um eine Sosnowska? Um die Tochter des Unterkronfeldherrn? Um dessen einziges Kind? Du? Und wohin gedenkst Du denn die Marszalkowna, Die Tochter des Marschalls. in deren Adern das Blut der Jagiellonen fließt, zu führen? Wie? In das weißgetünchte Zimmer der Kaserne zu Warschau? Unter das Schaubendach der lehmgeklebten Hütte von Mereczewsczyna? Schlaf Deinen tollen Rausch aus, Bursch! Fürst Jozef Lubomirski bewirbt sich um Ludwisia. Mag auch sein Adel dem unserigen an Glanz nachstehen, mag auch die Zahl seiner Seelen die meiner Leibeigenen kaum zur Hälfte erreichen – sei's darum. Dem Littauischen Magnaten ziemt kein jüdisches Markten – der Palatin hat mein Wort. Um den Wappenschild einer Sosnowska darf nur der Hermelinmantel, nicht die Burka Der Mantel der polnischen Soldaten. des Söldners hängen.«

»Alle die Worte, welche der schwärmerischen, hoffnungslosen Liebe zu Gebot stehen, flossen von meinen bebenden Lippen. Bei allen Heiligen beschwor ich den Marschall, das Glück meines Lebens, das seines einzigen Kindes nicht grausam zu morden – es war vergeblich. In Verzweiflung stürzte ich zu den Füßen des harten Vaters, umklammerte mit überströmenden Thränen dessen Kniee – ich, ich, Emilie, ich habe vor einem Menschen gekniet! Von Schmerz, vom Taumel der Leidenschaft hingerissen, habe ich einem Sterblichen die Huldigung, die nur der Gottheit gebührt, erwiesen: Schmähliche, entsetzlich gebüßte Selbsterniedrigung, deren Erinnerung noch jetzt die bleiche Wange mit der Farbe der Scham schminkt! Seelenangst verwirrte meine Rede. Halb willenlos lallte meine Lippe jene am gestrigen Tage von dem Munde der Geliebten vernommene Ermutigung. Ich berief mich auf meine adlige Geburt, auf die Gleichheit der Edlen Polens.«

»Mit vor Zorn flammendem Antlitz sprang der Starost von der Tigerdecke auf: »Szlachcic – Du, meinesgleichen? Dort, dort der Jedrzey Mikorski, »schrie er mit rauher, von Leidenschaft erstickter Stimme, indem er auf seinen an der Thürschwelle harrenden Kammerdiener deutete, »er ist ein Edelmann wie Du. Mein Hausmarschall, der Aszawul, Führer der Kosaken im Dienste der Großen. meine Schützen sind es. Hunderte Deinesgleichen stehen in meinem Sold, dienen in meinen Vorzimmern, in meinen Ställen, küssen meinen Rock, haben sich mir um Brot und Stiefeln verkauft – und Du erfrechst Dich, dem Josef Sosnowski Dich zur Seite zu stellen, um die Tochter seines Stammes zu werben? Die Vorrechte der Szlachta machst Du geltend, Bursch? Die kenne ich gar wohl. Der Bauer, der Jude, den ich die Peitsche meiner Kosaken fühlen lasse, wird auf die nackte Erde geworfen – der Bruder Edelmann bei wohlverdienter Züchtigung auf den gewirkten Teppich. Hörst Du's, Bettler? Und bei der Mutter Gottes von Czenstochowa! nur der Rock des Königs, welcher Deine Schulter bekleidet, nur das heilige Gastrecht schirmt Dich vor der gerechten Ahndung Deiner Frechheit.«

»Vernichtet wankte ich aus dem Gemach. Im Vorzimmer streifte Karolyna an mir vorüber. Es bedurfte nur ihres Hinblicks auf meine verstörten Züge, um sie von dem unseligen Ausgang meines Werbens in Kenntnis zu setzen. »So ist denn Alles verloren?« flüsterte sie. »Alles!« war der trostlose Widerhall. – Auch Ludwisia kniete vergeblich, auch ihre Thränen vermochten nicht das Herz der Mutter für unsere Liebe gewinnen. – Stolz auf angeerbten Rang und Reichtümer wurzelt bei Frauen tiefer als bei dem Manne, eben weil sich ihnen jede Gelegenheit, beides zu erwerben, versagt, und sie die einmal verscherzte Gunst des Glückes für eine unwiederbringlich verlorene achten.«

»Mir mangeln die Worte, um Dir das Qualvolle meiner Lage zu schildern, um ein Bild von jenen entsetzlichen Tagen, welche ich auf dem Schlosse zu verleben gezwungen war, entwerfen zu können. Die augenblickliche Abwesenheit meines Befehlshabers bannte mich nicht allein auf meinen Posten, sie verwehrte mir sogar den Trost, in der Einsamkeit meinem Schmerze nachhängen zu dürfen, sie drängte mich immer wieder unter die Menschen zurück. Die jede Rücksicht verschmähende Leidenschaftlichkeit des Unterkronfeldherrn hatte nicht einen Augenblick angestanden, das Geheimnis meiner Liebe seiner Umgebung preis zu geben, hunderte von Späher-Augen auf Ludwisia, auf mich zu lenken. Wohin ich sah, begegnete ich den Blicken des schadenfrohen Hohns, des noch schmerzlicher verwundenden rohen Mitleids. Meine Geliebte blieb unsichtbar für mich.«

»Von einem Dienstgeschäft zurückgekehrt, führte mich der Weg durch die Vorhalle des Schlosses. Dienstboten und Müßiggänger umstanden im dichten, gedrängten Kreise den Zwerg der Marszalkowna, um seinen von Gesang begleiteten possenhaften Tanz zu belachen, ihn zum Stichblatt ihrer rohen Scherze machen. Schon früher einmal war es mir gelungen, den armen Mrówka gegen den in Mißhandlungen ausartenden plumpen Mutwillen der trunknen Soldateska in Schutz zu nehmen. Seit jenem Tage war mir das unglückliche, von allen verhöhnte und gekränkte Geschöpf mit dankbarer Zuneigung zugethan und unablässig bemüht, durch Zeichen der Unterwürfigkeit, durch freiwillige Dienstleistungen seine Erkenntlichkeit an den Tag zu legen. Flüchtigen Schrittes durcheilte ich die Halle, um den Schauplatz jener widerwärtigen Lustigkeit, der mir schmerzlichen Entwürdigung eines menschlichen Wesens zu entfliehen, als der Zwerg den Ring der Zuschauer durchbrach, sich mit phantastischen Gaukelsprüngen vor meine Füße schleuderte, und mir mit grinsend-verzerrtem Gesicht seinen Narrenkolben in die Hand drückte. Die Umstehenden wähnten in der Grimasse des Possenreißers eine durch die Ungnade ihres Herrn berechtigte Verspottung des Fremden zu erblicken, und brachen in ein schallendes Hohngelächter aus. Ich fühlte ein gefaltetes Papier in meiner Hand, gab dem Kleinen die hölzerne Pritsche mit einer Silbermünze zurück, und eilte mein Zimmer zu erreichen. Der mir zugespielte Brief war von Ludwisias Hand. Sie schrieb:

»Ich habe Dir Liebe, ich habe Dir Treue geschworen. Ich kann nicht von Dir lassen. Mein Schicksal ist unwiderruflich an das Deinige gekettet. Ich folge Dir, wohin Du begehrst. In der elften Nachtstunde erwarte ich Dich auf unserer Moosbank. Dein Wagen möge bei dem Kruzifix, ans der Heerstraße halten. Um elf Uhr, Geliebter!«

»Die anberaumte Stunde fand mich auf dem entgegengesetzten Ufer des Sees. Ludwisia war mir bereits zuvorgekommen. Ich sank ihr zu Füßen, ich drückte sie an mein stürmisch pochendes Herz. »Laß un» eilen, teurer Freund,« sprach sie. »Nur kurze Zeit kann unsere Entfernung verhehrt werden.« – Aus dem Gebüsch wand sich eine gnomähnliche Gestalt – es war der treue Mrówka, welcher seiner liebreichen Gebieterin in ihre selbstgewählte Verbannung folgen wollte. Meine Briczka hielt bei dem Steinbilde des Gekreuzigten – die kräftigen Rosse zogen an – Ludwisia war die meinige.«

»Die Nacht war sternenhell. Der weiche Sand dämpfte den Schall der eilenden Hufe, der im Flug dahinrollenden Räder. Die von Furcht bang beklemmte Brust preßte das verräterische Wort, den Atem zurück. Schweigend saßen wir innig aneinander geschmiegt; schweigend drückte ich ihre zuckende Hand an meine Lippe. Ludwisia weinte – ob Thränen des Schmerzes, ob die der freudigen Bewegung – ich wagte nicht, sie zu befragen. Der Wind strich durch die Wipfel der Föhren, und das Ächzen der schwankenden Stämme, das Schnauben der Rosse waren die einzigen Laute, Welche das nächtliche Schweigen unterbrachen.

»Eine Stunde mochte seit unserer hastigen Flucht verstrichen sein. Da schallt aus der Ferne ein dumpfes Tosen – verworrenes Geschrei, bohl dröhnende Hufschläge lassen sich hinter uns vernehmen, Fackeln sprühen durch das Dunkel des Waldes und beleuchteten die bärtigen Gesichter der zu unserer Verfolgung ausgeschickten Kosaken des Marschalls. Zwanzig Stimmen heulen ihr rauhes Halt! Pistolenschüsse knallen. Näher und näher stürmen die Söldlinge – die Schnelligkeit ihrer Rosse überwiegt die der unserigen. Der vorderste der Verfolger bohrt im mächtigen Anlauf die Lanze in die Leite des Sattelgauls, und streckt den Hochaufbäumenden tot zur Erde. Mit der Linken die Geliebte umspannend, in der Rechten den Säbel, empfange ich die Knechte, taub gegen ihren Zuruf, mich Zu ergeben. »Ich kämpfe den Kampf der Verzweiflung – ich unterliege der Übermacht. Klirrend sinkt meine gesplitterte Klinge zu Boden – ein schwerer Säbelhieb trifft mein Haupt – ich stürze unter dem Wehegeschrei Ludwisias zu Boden, vernehme noch das in der Ferne verhallende Wimmern der meinem Arm entrissenen Geliebten – ein tiefes Todesstöhnen an meiner Seite – dann umwölkten die Nebel der Ohnmacht mein Auge.«

Nach stundenwieriger Betäubung erweckte mich der eisige Reif des Oktober-Morgens. Schüchterne Sonnenstrahlen zerrissen die Schatten der Nacht und beglänzten die Wipfel der Kiefern. Ich versuchte mich aufzurichten, und sank von Blutverlust erschöpft in den Sand zurück. Ein brennender Durst verzehrte mich. Allgemach jauchte die Erinnerung an die verwichenen Stunden vor der Seele auf, ich begann mein Elend zu überschauen, und schloß wiederum das Auge, um ihm wie einem wüsten Traume zu entfliehen. Vergebliches Bestreben. Statt sie zu bannen, traten Bilder auf Bilder klarer, greller vor den geistige» Blick, bis mir dann wohl kein Zweifel blieb, wie das Glück meines Daseins in dieser Nacht hingemordet werden sei, bis die Leiden der Seele den Schmerz meiner Wunde betäubten. Es war die Nacht vom 9. zum 10. Oktober – und heute feiere ich ihr thränenvolles Jahresfest.«

»Von fern kreischten Räder durch den Wald. Die Augen aufschlagend, gewahrte ich einen des Weges ziehenden Landmann. Er ließ sich willig finden, mich nach dem nahegelegenen Dorf Wilczyskopole zu bringen: er richtete mich mühsam empor. Die höherflammende Sonne warf ihre Lichter auf eine im Wege liegende Leiche. Ich erkannte den unglücklichen Zwerg, welchem eine Kugel die Schläfe zerschmettert hatte. Das Frühlicht beglänzte das bleiche Antlitz, die mit geronnenem Blut überströmten, von Wut verzerrtcn, im Tode erstarrten Züge des Getreuen, dessen krampfhaft geballte Faust noch das abgefeuerte Pistol hielt. Er war in der Verteidigung seiner holdseligen Herrin gefallen – er war glücklicher als ich. Ein weißes Tuch schimmerte auf dem Boden; ich hob es auf, ich erkannte es an der Namenschiffer für das meiner Ludwisia im Ringen mit dem feilen Schergen entglittene. Ich barg es auf meiner Brust; ich besitze es noch. Sich her, Emilie, hier ist es, dieses teure Andenken, das einzige, welches mir außer meiner Trauer von der Geliebten geblieben ist. In allen Schlachten hat es auf meiner Brust geruht – die Kugeln scheuten sich, es zu zerreißen. Über den Ozean schiffte es mit mir, es soll mir in den Sarg folgen, auf und mit meinem Herzen in Staub zerfallen.«

Der Feldherr drückte das Pfand der unglückseligsten Liebe an die Lippe, an das feuchte Auge. Der Tau des zärtlichsten Mitgefühls zitterte in den Wimpern der jugendlichen Zuhörerin; sie machte sich laute Vorwürfe, diese Stürme in der Brust ihres väterlichen Freundes aufs neue geweckt zu haben.

»Nicht doch, mein Kind,« antwortete der General. »Ob offenbart, ob mit dem Schleier des Schweigens bedeckt – die Wunde wird dennoch nun und nimmer vernarben. Doch schon bin ich mit meiner Erzählung zu Ende. Der Vorhang des Trauerspieles fiel, und nur noch der Epilog bleibt mir zu sprechen übrig.«

»Der Wagen hielt vor einer der Bauernhütten von Wilczykopole, dem Standquartiere meines getreuen Julian Niemcewicz. Entsetzt stürzte der Freund mir entgegen, als ich mit fahlem Antlitz, mit von getrocknetem Blut zusammenleimendem Haar durch die Thür schritt: »Um Gottes willen, was hat sich begeben? Welches Furchtbare führt Dich in diesem Zustande mir zu?« – »Forsche nicht. Ich bin der unglückseligste Sterbliche. Reiche mir Feder und Papier.« –

»Bei dem matten Schimmer des Morgenlichts, welches durch durch die mit Öl getränkten Papierscheiben brach, schrieb ich meine Bitte um Entlassung aus dem Dienste. Schon nach einer halben Stunde trug sie der reitende Bote nach Warschau.«

Ermattet sank ich in den Sessel zurück. Ohne mich mit einem Laut unterbrochen zu haben, hatte Julian meinem Thun gelauscht. »Du nennst Dich den unglücklichsten der Menschen,« hob er endlich leise zu fragen an, »und liebst?« – Ich schüttelte schweigend den Kopf. – Starb Ludwisia?« – »Für mich.« – und was hast Du beschlossen?« –»Zu fliehen.« – »Wohin?« – Gleichviel. Nur weit, weit von hier.« – »Starr schaust Du in die Vergangenheit zurück, statt Deinen Blick auf die Zukunft zu richten.« – Eine Zukunft ohne Hoffnung läßt sich nicht ins Auge fassen.« – »Ein reiches Leben steht Dir noch bevor. Du bist an Jahren noch Jüngling.« – »Doch an Schmerzen ein Greis.« – »Und was kann ich für Dich thun?« – «Nachsicht mit dem Unglücklichen üben, und ihn seinem Schicksal überlassen.«

»Nach bangen, mit schweigsamem Hinbrüten in bei Hütte meines Freundes vertrauerten Wochen langte endlich die Entlassung aus königlichen Diensten an. Ich verließ die Heimat, in welcher ich die Augen der Liebsten, die ich auf dieser Welt hatte, mit Thränen des bittersten Wehes gefüllt, eilte nach Paris, bestieg in dem Hafen von Toulon das Schiff, welches mich nach den Ufern des Delaware tragen sollte, nach der Wahlstatt, auf welcher der Freiheit siegreiches Panier flatterte – das übrige ist Dir nicht mehr neu.«

»Und Ludwisia?« fragte schüchtern die Jungfrau.

»Ward Fürstin Lubomirska!« erwiderte der Greis, und ließ in Schweigen versinkend die Blicke niederwärts gleiten.

Aus der Tiefe drang das Geläut der Abendglocken herauf und zitterte in den Bergschluchten aus. Den schlängelnden Lauf der Aar bezeichneten die dem Wasser entquellenden Nebel, und über den schneebelasteten Firnen strömte der magische Purpur der sterbenden Sonnenstrahlen.

Den von Z'Chrüzä nach dem Denkmal führenden Fußpfad erklomm, von zwei Dienern gefolgt, eine Dame, deren beflügelte Schritte die Besorgnis, den Scheideblick des versinkenden Lichtes zu versäumen, bekundeten. Ein Ausruf des Entzückens über das großartige Schauspiel, welcher ihren Lippen entschlüpfte und sie als Fremde verriet, erreichte das Ohr des von schmerzlicher Vergangenheit träumenden Gicises. »Hörst Du diese Klänge, Emilie?« fragte er aufschreckend. »Es sind die Töne meiner geliebten Heimat, es sind die schönen, lang entbehrten Laute meiner Muttersprache.«

Mit jugendlicher Lebendigkeit erhob er sich von dem Ruhesitze, trat an die Reisende und gab sich ihr als Stammesgenossen zu erkennen, als einen durch langjährige Besuche mit den Schönheiten des Jurathales Vertrauten. Alle die Namen der glühenden Gipfel waren ihm geläufig; er nannte die schon in Nacht versunkenen Dörfer, deutete auf das glimmende Kreuz der Stiftskirche des heiligen Ursinns, auf die Giebel der Einsiedelei zu Sta. Verena.

»Und jener, von Föhren überschattete Granitblock?« fragte die Fremde. »Wessen Gedächtnis soll das Denkmal verewigen? Wessen Namen die lateinische Inschrift verherrlichen?«

»Sie feiert den Sieg der Bürgertugend, das Andenken des großherzigen Nikolaus Wengi, Schultheißen von Solothurn. Er war es, der sich vor das Geschütz warf, welches das mit Anhängern des neuen Glaubens erfüllte Haus zerschmettern sollte, der die Mündung mit seiner Brust bedeckte, der durch seine edle Hingebung die Wut der Fanatiker entwaffnete.«

»Wie schön! wie erhaben!« rief die für alles Große leicht begeisterte Polin.

»Wohl haben wir recht, auf unser gemeinsames Vaterland stolz zu sein,« fuhr der General fort; »verzeichnet doch die Geschichte fremder Völker keine Großthat, zu welcher die unserige des glänzenden Gegenstücks entbehre. Gedenke, gnädige Frau, der Schlacht von Raclawice. Zwei russische Geschütze säeten von der Anhöhe herab den verwüstenden Gisenhagel auf die vordringenden Haufen der Unserigcn, schmetterten reihenweise die Freiheitskämpfer zu Boden. Schon beginnen die Krieger, welche erst den Tag zuvor die Pflugschar mit der Waffe vertauscht, welche zum erstemnale den Tod ins blutige Antlitz schauen, zu wanken, und der belebende Zuruf ihrer Führer verhallt, von den Weichenden unvernommen. Da treten zwei Landleute von dem Gebiete von Krakau aus den Rotten der Zagenden, stürzen sich allein auf die mörderischen Feuerschlünde, Bartosz Glowacki, der erste dieser Helden, schlägt mit der Mütze dem Kanonier die zum Abfeuern gesenkte Lunte aus der Hand, und mit gewaltigem Hiebe der Sense den Erstarrenden zu Boden. Sein Waffenbruder Thomas Switacki umklaftert das zweite Geschütz mit den Armen, und drängt seine nackte Brust als Mauer vor den Schlund des Feuerrohrs. Bei diesem Anblick schließen die Krakusen die noch eben lockern Reihen, dringen mit kampffreudiger Begeisterung vor – stürmen unter wildem Jubelruf die Batterie – der Sieg war unser. Noch auf dem Schlachtfelde ernannte ich die beiden Tapfern zu Offizieren.«

Mit schweigendem Staunen hatte die Fremde der Erzählung des ergrauten Kriegers gelauscht, die forschenden Blicke starr auf sein von dem letzten Strahl der Sonne erglühendes Angesicht geheftet.

»Ja, Du bist es,« begann sie nach kurzer Pause, »Du bist es. Ein Irrtum ist undenkbar. Schon als Kind sah ich diese Züge. Jede Polin trug Dein Bildnis, das Bild des Vaterlandserretters auf ihrem Busen. Über die Schläfe flössen die langen schlichten Haare; die gefalteten Hände hielten das Schwert empor; die Lippen schienen das Gebet zu stammeln! Gott! Gott! Laß mich nur noch einmal für mein Vaterland streiten! Du bist unser großer Naczelnik – Du bist Thaddeusz Koscinszko!«

Und mit gesenktem Blicke flüsterte kaum hörbar der Greis: »Ich bin es.«


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