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Da kam einmal vor vielen Jahren ein junges, frisches Weibchen aus dem tiefen Wald in das weite, maiengrüne Tal gelaufen. Strümpfe und Schuhe trug das Geschöpf hübsch in den Händen. Darum gingen die schönen, nackten Füßchen so leicht und flink, dass sich die drei kurzen Leinwandröcke, von denen der oberste blau gedruckt war, hintennach nur so schmissen. Und das spottmagere Wanderbinkelchen flog an langen, weißen Trägern, die vorn über der Brust mit einer schmuckhaften, zweischlupfigen Masche endeten, dem schwarzen, feierlichen Tuchspenser zumeist in der Luft nach. Im Talgrund, wo das steinige, von wilden Hochfluten ausgeweitete Bett des Baches entlang das alte, zerlumpte Dorf steht, tummelte sich das muntere Ding von Haus zu Haus, steckte überall das blühende Gesicht mit den lachenden Blauaugen ein wenig zur Stubentür hinein und rief auf gut Glück in den wildfremden Raum: »Schön guat'n Morng. Braucht's koa Dirn? Kunnt glei dobleib'n.«
In den Stuben saßen die Leute just beim Mittagmahle, welches überall anders duftete, obwohl nur überall Kraut und Mohnnudeln auf den Tischen standen. Denn es war an einem Samstag, und das ist seit jeher Mohnnudeltag.
Da hätte es die Dirne mit ihrem Gesicht und ihrer Stimme leicht verschulden können, dass einem Knecht oder gar einem Bauernsohn eine Nudel im Hals stecken geblieben wäre. Geschah aber weiter kein Unglück. Nur hie und da belächelten scharfblickende Weiber einen oder den anderen aus dem jungen Mannsvolk, der rötere Wangen und ein leuchtenderes, begierlicheres Geschau hatte, wenn er das Letztere anstandshalber von der Fremden abwenden musste.
Nur in einem Gehöfte erging es dem jungen Bauern etwas schlimmer. Der lenkte just eine Fracht Mohnnudeln zum Mund, kam aber zu hoch, malte sich mit dem siruptriefenden Holzlöffel einen artigen Schnurrbart auf die frischrasierte Oberlippe und ließ die Nudeln in die Schüssel zurückfallen, als das schöne Gesicht zur Tür hereinguckte und die helle Stimme tönte.
Während sich der Mann die Dirne besah, leckte er sich, ohne damit etwas anderes andeuten zu wollen, mit gelenker Zunge fein säuberlich die süße Lippe rein. Und das kam der eifersüchtigen Bäuerin so verdächtig, so lüstern vor, dass sie in aufquellender Erbitterung nicht anstand, ihren Mann vor sämtlichen Hausgenossen in die Schande zu stellen.
»Da schauts«, rief die Ungerechte, »wia si unser Bauer ableckt, wann er a solchene siacht.«
Daraufhin errötete die Dirne und lief, ohne sich noch umzusehen, schleunig um ein Haus weiter.
Hie und dort wurde sie aufgefordert, vollends einzutreten, und man fragte sie dies und jenes. Aber wer keine Magd braucht, nimmt eben keine.
Woher sie sei, wurde sie meist zunächst gefragt. – Zutiefst aus dem Walde. – Wie sie heiße? – Stani. – Und wem sie angehöre? – Einem Holzhauer, dem nach seinem gottseligen Weib eine Stube voll Kinder hinterblieben ist, die halt nach und nach aus dem alten Nest müssen und ihr Fortkommen suchen.
Wo und wie lange sie schon diente? – Seit kleinauf bei so einem notigen Fretter, einem armen Waldbauern, der statt Wiesen Moore, statt Felder Steinhalden hat, alle Wochen sechs Fasttage und am Sonntag nichts zu essen. Dann begehrten wohl auch vorwitzige Burschen zu wissen, wovon sie so rund und mollig sei, und mitleidige Bäuerinnen luden das Mädchen zum Mitessen ein.
Darauf sagte es scherzend, dass es keinen »Nudelschlunden« habe. Es hungerte sie wohl, aber sie konnte sich aus purer Scham und Schüchternheit nicht entschließen, eine dieser Einladungen anzunehmen.
Als sie nur noch drei Häuser vor sich sah, wurde ihr auch ein wenig bange. Das drittletzte Haus des Dorfes war das größte von allen, aber auch das vernachlässigteste. Das Stroh auf den Dächern war verfault, die niederen Lehmwände durchweicht, von dem Scheunentor hing der eine Flügel heraus, der andere hinein, und davor auf dem dürren Anger warteten ein paar so sündmagere Kühe, wie solche der ägyptische Josef im Traum gesehen haben mag, anscheinend mit Sehnsucht auf den Tod.
Stani entsetzte sich groß bei dem Anblick dieser Tiere, die sie alle mit so traurigen, flehenden Blicken ansahen, dass sich auch gleich ein mächtiges Erbarmen in ihr regte und eine kaum kleinere Empörung über die in dem Hause wohnenden Leute. Mit diesen Gefühlen stürmte sie förmlich durch den großen Hofraum und übersetzte mit einem kecken Sprung eine Jauchenlacke, ohne lange nach deren Tiefe zu raten.
Die Stube war zu Stanis Erstaunen frisch gescheuert, und an dem weißgedeckten Tisch saßen zwei junge, bildsaubere Leute hart nebeneinander. Und vor ihnen stand eine Schüssel voll Milch, aus welcher nur ein helles, blaues Dünstchen stieg.
Der Bauer war ein schlanker, brauner Bursche und die Bäuerin ein seltsam feines Geschöpf mit einem über und über gleich rosigen Engelsgesicht und mit prunkendem, blondem Haar. Aber Stani ließ sich durch das Äußere der beiden nicht irremachen, sondern platzte gleich heraus: »Mir scheint, Ös vergesst's über lauter Liab auf Enk selber und auf Enker Viach a. Schamt's Enk!«
Weil sie dann nichts mehr Rechtes zu sagen wusste und die zwei Leute so groß auf sie sahen, wurde sie verlegen und wollte darum wieder schnell davon.
Aber der Bauer schrie: »Halt!«
»Na?« fragte Stani und sah über die Achsel nach den beiden zurück.
»Was willst denn Du eigentli?«
Da wandte sich Stani doch wieder um, suchte eine Weile nach Worten und sagte endlich: »Frag'n hab' i woll'n, ob's a Dirn brauchts. Aber wia i dös Viach dersehg'n hab', is mir der Gusto zu Enk verganga. Pfirt Gott!«
»Halt!« schrie der Bauer. – »Na?« – »Dableibst, Potscherl. Mir hab'n ja erst vorgestern z'samg'heirat.«
»Aso«, sagte Stani und lachte. »Da grämt si halt das Viach über dö Heirat a so. Hat eh alle Ursach'. Eh.«
»Bist Du an Hamptigi«, verwies sie der Bauer. »Mir san ja erst heut da einzog'n.«
»Was? Des seids koas von dem Haus da?«
»Gebürti bin i ja da«, antwortete die Bäuerin. »Aber halt seit meiner Kindheit nit dag'west. Mei Voda und mei Munda sein ausanand ganga. Woaßt, weil's nit recht z'sammg'standen sein. I bin bei der gottsölig'n Muada aufg'wachsen. Mein Vodan hätt' i eh ner g'irrt da am Haus, und drum war koa groß's G'riss um mi. Seit dö letzten Jahr hab' i mi als Bauerndirn umg'schlag'n und dabei is mir mei Mann unterkema. Und hiatzt stirbt vor an Jahr mei Voda und vermacht mir dö unsinnige Irbschaft – das Haus. I hab' mir das gar nit derhofft. Und hiatzt bin i auf amal a großmächtigi Bäuerin.«
»Woaßt«, sagte der Bauer in erklärendem Ton, »mir nehmen's von der lustigen Seiten. Zu dem Haus hätt' si mei Weiberl oan mit a paar Tausender heiraten soll'n, nit an Bettelbuab'n wia mi. Aber weil mir halt schon so guat war'n, hat uns dö groß' Irbschaft nit vonand bringa mög'n.« Und dann lachten sie beide recht vom Herzen.
»Aha«, machte Stani. »Ös habt's wahrscheinli weniger als nix g'erbt, das hoaßt, an großen Haufen Schulden.«
»Ja, ja. Hast's schon derraten«, antworteten die zwei.
»A versoff'ni Wirtschaft is halt«, fügte der Mann hinzu. »Unsre Gläubiger lass'n uns nur g'rad' aus Gnad' und Barmherzigkeit da. Sö derwarten's gar nit, dass mir d' Prozenter zahl'n werd'n. Und wir wollen's halt probieren, ob's geht. Mein Wei ihr Voda war a –« Er sah sein Weib an, ob er es sagen dürfe, indes hatte es Stani schon ergänzt: »A Lump! Und ös seid's Narren«, setzte sie hinzu. »Um so a Werk nehmt's Enk an.«
»Eh nur hetzhalber«, entschuldigte der Bauer.
»Tuat ja nix, wann mir in a paar Jahrln wieder davon müass'n«, sagte das Weib.
Darauf wieder er: »Tuat eh nix. Ärmer als mir einzog'n sein, können mir nit ausziahg'n.«
»Ner recht ausg'rackert und ausg'hungert werd'n ma nach a paar Jahr sein«, meinte sie ein wenig kleinlaut.
»Ah was!« warf er hin. » I werd Dir's schon leicht macha. Wann i mei Stärk nit kennat und koa Freud zan Arbeit'n hätt', war i z'erst nit herganga. Aber Herrgott! Wann a jeder Bauer so viel Schneid und so viel Lust in eahm hätt' wia i...« Da sprang er auf, ließ die schönen strammen Beine knacken und reckte die starken Arme.
»Mir scheint«, sagte Stani, als sie sich den prächtigen Mann einmal von oben bis unten betrachtete, »Du nimmst Dir's do schö fest vor, das Haus zan Derretten. Und mit Dein'm guat'n Muat kann's Dir am End g'linga.«
»Moanst?« fragte er, ihr lachend in die Augen sehend.
»Ja, ja, i hoff'. I vergunat Enks. Ös seid's a Paar rare Leut'. Kenn' mi scho aus. Und wann's a Dirn braucht's, so bleib' i da. Mit Freuden. Mir scheint, ös habt's eh no neamd um Enk.«
»Koan Menschen«, sagte die Bäuerin. »Wir hab'n gmoant, dass mir die ganz' Arbeit alloan zwinga werd'n. Aber es wird uns halt am End' do z'stark. Dreiß'g Joch Föld, fünf Küah, zwoa Ochsen – da gibt's was z'toan. Na, wiast halt moanst, Hansl. Bau'r bist Du.«
»Bild mir a was ein drauf, so viel, dass i von derer Einbildung nit so leicht lass'«, sagte er. »Also, Du bleibst da. Aber halt z'wegen dem Deanstlohn is'! Werd Dir nit viel zahl'n könna. Und mehr versprech'n als zahl'n, will i a nit gern. Dös is halt a hoakliche G'schicht mit dem verflixten Lohn. Bei mir hängt all's vom Glück ab…«
»Das brauchst mir net sag'n«, sagte Stani, und dann rief sie mit leuchtenden Augen: »I pfeif aufn Lohn. Schatz mir's zan an Ehr und is mir a Freud, wann i so zwoa bravi Leut' zu ihrem Glück behilfli sein kann. An Acker Hör (Flachs) lass' mir und zan Essen gibst mir was und…«
Da hielt sie ihm die kleine braune Hand hin, damit er einschlage. Er aber sah sie lange fragend an und sprach:
»Du muasst a guldas Herz hab'n, aber so viel kann i von Dir nit verlanga. Es kunt di a bald g'reu'n, was D' da eingeh'n willst und…«
Stani warf den Kopf zurück. »Nia! Was i red', das muass gelt'n. Aber sobald i siach, dass' Enk g'reut, geh' i halt wieder, oder mir mach'n dö G'schicht anderst. Derweil bleib' i ohne Lohn und hilf Enk nach Kräften. Wisst's, i muass Enk's schon sag'n, i arbeit mi viel leichter und freier ohne Lohn, denn was hiatzt auf der Welt Lohn hoast, das is nit z'gleich Dank. Es is a schundlicha Brauch, das ma all's für's Geld tuat, für dö dumm' Spielerei und gar nix für das Rechti und Ernsthaftigi. Für meine Leut' dahoam kann i nix toan. Mei Voda sagt zu uns Kina: ›Ös habts dö grad'n Glieda und Enkern Verstand und hängts d'rum oas von andern nit ab. Schauts, dass auskemmts und suachts Enker Glück.‹ Aber red'n mir nit lang«, unterbrach sie sich, »lasst's mi da oder nit? Bäuerin, glaubst am End, dass ma dei Mann a bissl z'gut g'fallt, und dass i d'rum so a billige Dirn abgeb'n will?«
Darauf lachte die Bäuerin nur und sagte: »So weit's Enk Ös zwoa g'fall'n derfst's, lass i 's schon gelt'n. Und g'fallt's Enk mehr, so wird i mi a zum Derhalt'n wissen. Z'weg'n den hat's koa Sach'. Weilst aber koan Lohn willst, so will i nit, dass mir zananand Dirn' und Bäu'rin sagen.« –
»Wia denn sonst?« fragte Stani.
»Schwester und Schwester.«
»A recht. I hoaß Stani. Auf a paar G'schwister kommt's mir nimmer an. Woaßt… Wie hoaßt denn?«
»Resei.«
»Woaßt, Resei, mit der Liab' is a eigni Sach'. Je mehr man d' Liab teilt, desto größer wird's.«
Dann küssten sich die neuen Freundinnen, und wie sich Wange an Wange schmiegte, vereinigten sich zwei Tränen, von denen die eine aus einem blauen, die andere aus einem braunen Auge kam, zu einer einzigen, um die dann schade war, dass sie zu Boden fiel.
Der Bauer aber ging in den Obstgarten, der vor den Stubenfenstern lag, und sang unter den knospenden Zweigen in den Maientag hinaus:
»Wann 's in Himmel no schöner war
Als da herint,
Da gang i nit eini,
Furt ma a Sint.«
Das war vor vielen Jahren. Seitdem haben die drei Verbündeten vor den Augen aller Dorfleute Wunder über Wunder gewirkt. Noch an demselben Samstag gingen die drei, nachdem sie zusammen die abgekühlte Milch ausgelöffelt hatten, an das Werk.
Und sie arbeiteten und rackerten tagein – tagaus, jahrein – jahraus. Frühmorgens sang Stani die Eheleute aus dem Schlaf, dass sie gerne aus dem Bette sprangen, und spät abends sangen sie alle drei von den Feldern heimzu, auf denen sie immer zu wett arbeiteten.
Nach drei Jahren war kein Stein auf diesen Feldern, kein Sumpf in den Wiesen, und im Stall standen sieben Kühe, bei deren Anblick die Bäuerinnen des Dorfes neidgelb wurden und sagten:
»Da is der Herr Teufel im G'spiel, sonst wär' das alles nit mögli.«
Und eben weil es mit rechten Dingen zuging, kam es so.
Als die Drei fünfzehn Jahre lang gewirtschaftet hatten, immer mit dem gleichen Eifer und dem gleichen fröhlichen Mut und der sechzehnte Mai ins Land zog, da fielen sie eines schönen Morgens wie voller Ingrimm über die alten Dächer des Hauses her und deckten ab, dass die Fetzen flogen.
Drei blonde Jungen halfen auch schon bei dem Zerstörungswerk, und ein vierter heulte unten im Garten, weil man ihn nicht auch hinauf und mittun lassen wollte.
Und im Dorfe entstand ein Geschrei, dass die Drei närrisch geworden seien.
Dem war nicht so.
Sie wollten ein neues Haus haben, und es bereitete ihnen nur Vergnügen, die alte Ruine vollends einreißen zu dürfen.
In den fünfzehn Jahren waren sie mit den Schulden fertig geworden, und jetzt machten sie neue.
Da konnte man ihre Courage und ihren Unternehmungsgeist sehen. Nach weiteren fünfzehn Jahren aber war auch das schöne neue Haus, das im Dorfe nicht seinesgleichen hatte, bezahlt.
Da hatten freilich schon zwei stämmige Burschen tüchtig mitarbeiten und verdienen geholfen. Die anderen zwei waren in die Welt gezogen, und was die auch von sich hören ließen, war danach, dass sich drei alte, ausgerackerte Leutchen irgendwo heimlich zusammenstellen konnten, einander stummselig Beifall zunicken und ein Freudentränlein weinen.
Und noch ein paar Jährchen und –
Dann wurde in dem schönen Hause drei Tage gesotten und gebraten, und am vierten Tage führte der neue Hausherr ein junges, frisches Walddirndl daher, eines, dem der grüne Kranz gar schön zu Gesicht stand, obwohl es nicht so reich war, sich den letzteren selbst zu kaufen.
Und dabei spielte die Musik, krachten Böller und stiegen die hohen Jauchzer in die klare Luft empor.
Hinter dem Brautpaar kam ein schöner junger Herr mit weißen Handschuhen und einem Zylinder. Das war der zweitälteste Sohn der Alten, ein wohlangestellter Werkmeister einer großen Fabrik.
Der hatte sich eine besondere Kranzljungfer ausgesucht: die Stani.
Sie wollte ihm zuerst durchaus nicht mitgehen. Aber es nützte sie nichts. Sie musste. Er sagte, dass für sie kein schicklicherer Platz sei im Hochzeitszug.
Einen Kranz trug sie freilich nicht, obgleich ihr ein grasgrüner in das weiße Haar gehört hätte, einer mit kleinen Blumen, mit rotem Gold und leuchtendem Edelgestein.
Die Dorfleute nahmen es ihr auch nicht für übel, und nicht einmal die fünf anderen Kranzljungfern, dass sie gleich hinter der Braut herging. Im Gegenteil, man wusste ihr Dank, weil sie den Spaß nicht verdarb.
Hinter den Kranzljungfern wackelten die Eltern des Bräutigams. Die Braut hatte niemanden mehr. Und die beiden alten Leute nickten sich, wie es seit Jahren so ihre Gewohnheit war, in einhelligem Verständnis still glücklich zu.
In der festlich herausgeputzten Stube aber stellte sich der Alte vor die Musikanten und sang:
»Wann's in Himmel no schöna war
Als da herint,
Da gang' i nit eini,
Furt ma a Sint.«
Während die Musik in die Ländlerweise einfiel, rempelte die alte Bäuerin die erste Kranzljungser ein wenig an: »Kennst Di aus. Stani, dös singt er uns zwoa z' Ehr'n.«
Und Stani nickte beseligt: »Eh, eh.«
Nach ein paar anderen G'stanzeln ging dann ein Ländler an, und da wollte der Werkmeister, wie es sich schickte, zuerst seine Kranzljungser zum Tanz nehmen.
»Jessas!« schrie sie und fuhr sich an den Kopf.
»Was is' denn?« fragten erschreckt die Umstehenden.
»Jessas!« wiederholte sie. »Eh, wenn i in dös Haus kemma bin, hab' i tanzt als wia a Kanarivögerl. Und hiatzt hab' is' rein vergessn. Nit an oanzigsmal bin i seit der Zeit zum Tanzen kemma. Rein vergessen hab' i draf.«
»Und auf d' Liab hat unser Kranzljungfer a vergessn«, sagte ein alter Nachbar.
»Auf d' Liab? Aua. Dö hab' i nit vergessn. Und wann i 's vergessn hätt – d' Dorfmänner hätt'n mi scho wieder drauf erinnrert. Ös Sakra, ös! Habt's am End z'weng ang'fensterlt bei mir?«
Das konnten die Alten nicht widerstreiten, und sie gaben es auch zu, dass sie vor Stanis Kammerfenster eine tiefe Grube ausgetreten hatten.
»Einig'lass'n hat's koan«, hieß es.
»Weil halt nit der Rechte kemma is«, sagte sie.
»Ja! Weil's Dir nit Zeit g'numma hast, den Rechten anz'hören, weil Dir vom Anfang koaner so liab war, als Dei nächtliche Ruah. Dass D' nur Tag's drauf hast rüstig und frisch bei der Arbeit sein könna!«
»Na, so sag'n ma halt, i hab' aufs Heiraten vergessn«, sagte sie. »Aber af d' Liab nit. Gelt na, Baur'?«
»Auf d' Nächstenliab nit«, sprach dieser. Dös kann i beweisen, und dö heutige Hozat beweist's a.«
Dann versuchte die erste Kranzljungfer halt doch einen Fürzwengerischen. Und er ging. Sie hatte ihn nicht vergessen und tanzte ihn putziger als alle Jungen.
Deshalb bekam sie von dem Mannsvolk die ganze Nacht keine Ruh und tanzte den Letzten am andern Tag bei Sonnenanfgang.
In ein paar Tagen nach der Hochzeit zogen die Alten hinüber in das neue, schmuck eingerichtete Ansnehmerhäusel.
Endlich wollten sie rasten.
Stani wollte beim Umziehen helfen, aber sie hatte vom Tanzen einen geschwollenen Fuß bekommen, und darum ließ man sie nichts arbeiten.
Da wurde sie böse, denn sie hielt das für die erste Beeinträchtigung ihres Wirkungskreises.
Sie schwieg aber bis zum Abend. Als dann die zwei Alten zum ersten Male beisammen an einem Fenster des Raumes saßen, an welchem sie nun den Rest ihres Lebens verbringen sollten, kam Stani zu ihnen hinüber.
»Drent woll'n s' mi zu koaner Arbeit mehr lassen«, sagte sie spitzig. »So mach' i halt Feierabend. Aber zwoa, drei Jahrln hätt' i scho no d' Stallarbeit versehen.«
»A na«, sagte der Bauer. »Gib schon a Ruah, Stani. 's hat all's sein Zeit.«
»Guat«, sagte sie. »So geh' i halt hoam in – tiaf'n Wold.«
»Was?« schrien die beiden wie aus einem Munde, als ob sie allzugleich in die Herzen gestochen worden wären.
»Na, na!« rief Stani »Toat's nit so schiach. Was tat i denn bei Enk?«
»Dei Lebtag hast nit so dumm g'fragt«, warf der Bauer ein.
Aber Stani fuhr fort: »In Wold lebt no a meinische Schwester, dö lad'nt mi schon längst ein, i soll bei ihr ableb'n. Kost mi koan Kreuzer bei ihr.«
Der Bauer stand auf und sah ihr in die Augen.
»Willst uns seckiern, alter Schelm, gelt. Tua's nit. Es tuat weh.«
»Viel z' weh«, stöhnte die Bäuerin. »Wann ma so lang nebenanand g'stand'n is, treu und tapfer, oa Freud und oa Load g'hobt hat, und nachher war oas aus lauter Bosheit im Stand, das andere in Stich z'lassn! Na! Auf so an grausama Übermuat müasst der Blitz von hoatern Himmel…«
»Stad sei«, sagte der Bauer. »Sie muass ja bleib'n.«
»Na, i muass nit. I g'hör jetzt von Rechtswegen in 'n tief'n Wold, von wo i herkemma bin. Und dass mi hiatzt nit mehr hoamzihgt, dass i nit mehr 's Hoamweh g'spür, das halt i für a sündlige Verstocktheit. Aber i kann nit dafür.«
»Dei Hoamat is jetzt bei uns, Du hast koan andere mehr«, sagte der Bauer.
»In Wold hast Dir koa Hoamatrecht verdeant wia da bei uns. Du hast im Wold all's verlor'n, was D' bei uns g'wonna hast.«
»Dös is freili wahr«, murmelte Stani. Und als sie dann in das Gesicht der Bäuerin sah und dasselbe so schmerzverzehrt und vergrämt wie noch nie fand, da drehte es ihr das Herz um, und sie hätte sich in jäher Reue über den törichten Entschluss, der freilich kein fester war – die weißen Haare ausraufen mögen. Darum setzte sie leise und weich hinzu: »Na, weil's sei' muass, so bleib' i halt da.«
»So bist brav«, lobte der Alte. »Lasst do no was red'n mit ihr, d' Stani.«
Und dann richtete er gleich scherzend die Worte an sie: »Was moanst denn? I müasst Dir ja Dei'n Lohn auszahl'n, wannst fortgangst.«
»Mein' Lohn? Jessas richtig, mein' Lohn! Den hätt' i rein vergessn.«
Da lachte die Bäuerin auch schon wieder.
»Mein' Lohn! Guat, dass ma koan ausbedung'n hab'n. I bin a so besser dazua kemma. War' das schändli, wann i jetzt mit an' Binkel Geld hoamscheppern müasst und sagen: »Schaut's her, dös Teufelzeug, dö dumm' Kinaspielerei is mei Lohn für das und das. A na, da hab' i schon an bessern Lohn.«
Und sie fiel stillmeinend der Bäuerin in die Arme. Dann saßen die Drei bis tief in die Mondnacht hinein beisammen und plauderten süß und traulich von einem Leben, das ihnen jetzt vorkam wie ein einziger, schöner Sonnentag, der nun still und klar zur Neige geht.