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Da fährt nun auch die Eisenbahn in die böhmischen Wälder hinein, mitten in jene unvergleichliche Bergwelt, welche von Schiller wohl darum zum Schauplatz seiner Räuber gewählt wurde, weil der Große in den weiten deutschen Landen hier die stattlichsten Reste einer romantischen, großartigen Urwaldnatur ahnte.
So viele sich nun an dem Jugendwerke des Meisters begeisterten, so viele verspürten gewiss mehr oder minder heiß den Wunsch, den Gau zu sehen, darauf noch der alte, deutsche Wald steht, stolz und voll der unbeschreiblichsten Pracht und voll des märchenhaftesten Lebens wie zu der Heldenväter Zeiten. – Unter jenen von dem Weltgetriebe unentweihten, immergrünen Domen weht ein wundersüßer, heiliger Zauber, dessen Macht sich zuvörderst jeder Deutsche und dann jeder warmfühlende Mensch in allen Altersstufen mit Wonnen hingäbe.
Den Deutschen allein aber berührt es in diesen hohen Waldeshallen wie ein Geistesgruß des edlen, herrlichen Volkes, welches wie kein anderes seine Nachkommen durch den Anblick einer freien Waldnatur all seine Vergangenheit gemahnt und welches uns, Gottlob! wohl manch ein hehres, geistiges Denkmal hinterließ, aber keine Amphitheater, keine Pyramiden und Triumpfpforten, zu deren Aufbau geknechtete Menschen mit Geißelhieben getrieben wurden.
Wie schade, dass deutsche Herzen, welche sich je nach dieser Wälderpracht sehnten, stille sehen mussten, ohne je unter diesen grünen Bogen das Echte, Rechte gefühlt zu haben.
Wie schade, dass der schönste Teil des Böhmerwaldes dem großen Publikum so lange nicht zugänglich gemacht wurde, dass er zwischen zwei kultivierten Staaten unbekannt, unbewandert, ungeehrt blieb und die Scharen der Touristen und Sommerfrischler an seiner Schönheit vorbei fuhren.
Es war früher zu dem Genuss seiner Schönheit so leicht wie zu dem Genuss der Herrlichkeiten des Schlaraffenlandes zu gelangen. Die Vorhöhen des Gebirges sind freilich nicht aus süßem Brei, sonst wären sie zu Zeiten der Not von den armen, ebenso wie ihre schöne Heimat von der Welt und der Nation vergessenen, vernachlässigten Waldleuten aufgebraucht worden. Auf den in die Hochtäler führenden Wegen gab es undelikatere Hindernisse als süße Breiberge.
Und nun führt eine Eisenbahn in das grüne Reich hinein, und man kommt recht bequem und billig auf die lichten, tannenduftigen Höhen, all denen man jetzt nicht mehr vorbei soll, um in Gegenden die Natur zu suchen, wo allerlei Käse- und Wurstpapier durch Wälder flattert, welche dem »Schutze des Publikums« empfohlen sind . . .
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Von Budweis geht die neue Eisenbahn gen Süden. Vor den Mauern dieser Stadt hebt gleich sonnbegnadetes, lachendes, farbenbuntes Gefilde an – eine Ebene, die ihresgleichen gar nicht nahe hat. – Das schöne Städtebild ist mit vielen seiner Partien eine überaus reiche, mannigfaltig belebte Staffage zu einem Waldgebirgs-Panorama von prächtigen Formen und Tinten.
In dem Gewirre von menschlichen Wohnstätten, Gärten, Äckern und Alleen geht es über die zweitstärkste Wasserader der weiten, ebenen Fläche: den Maltschfluss, der hier an manchen Stellen fast stille steht und trübe nach den fernen Heimatbergen blickt, gerade wie ein junges Waldkind, das sich auf der ersten Reise traurig dessen besinnt, was es verlassen hat und vor dem Weiterwandern zurückscheut. Fernerhin, zwischen reichen Saatgefilden nimmt ein wenig zaghafter, stärkerer Waldbursch seinen Lauf: der Moldaufluss. Der ist freilich erst eben aus kühlen Waldschatten erfrischt in den Sonnenschein gekommen. Und da ist man auch schon am Rande der Ebene und vor den waldgrünen Bodenwellen, die von dem blauenden Waldmeer herziehen. – Mit notigen, ausgerechten Bauernhölzern fängt der Wald an, als könnte er unmöglich auch nur mit Spuren seiner Pracht die Ebene berühren, aber dann wird er bald frischer und seine grünen Inseln heller.
Einige der Vorberge sind rasch umfahren, endlich auch ein größerer, und man sieht sich auf der Sockelhöhe des berühmten Vorpostens der Böhmerwaldbergriesen des Schöningers. Da steht er vom Scheitel bis zur Sohle in einem tadellosen, dunklen, feierlichen Fichtenkleide, und er breitet hierseits eine majestätische Schleppe von gemischtem Grün bis zu einem großen Teiche aus, dessen Spiegel man füglich mit einem Parkettboden vergleichen könnte, wenn er an schönen Abenden den matten, stahlblauen Glanz bekommt. – Drüben in einer Falte der Bergschleppe liegt die Station Adolfstal. Es ist ein gar vornehmes Landschaftsbild. Auf der breiten, stolzen Kuppe des gewaltigen Luginslandes ragt ein runder Steinturm, es sollte ein Leuchtturm sein für die Hunderttausend von Menschen, deren Stätten, deren Treiben der Berg übersieht, ein Leuchtturm für die, welche weitum in den unruh- und lärmerfüllten Fernen, Frieden und die unentweihte Gottesnatur suchen. Man kommt von Adolfstal mühelos auf wohlmarkierten Pfaden in zwei Stunden auf den Berggipfel. Es ist eine schöne, zünftige Bergfahrt, auf welche man Kind und Kegel mitnehmen kann und soll. Und wer da unerbaut absteigt, den wird wohl nicht so leicht mehr etwas von dem, was der Schöpfer in seinen Werken offenbart, über das kleinliche, erbärmliche Denken erheben. Man bemerkt von der Plattform des Turmes, welcher den Schöninger krönt, nur an wenigen Stunden des Jahres nach allen Himmelsrichtungen hin die äußerste Linie zwischen Himmel und Erde.
Gegen Morgen hin erstreckt sich ein Komplex von Waldbergen. Wenn hinter den fernsten die Sonne aufsteigt und wenn jeder von ihnen, die tagsüber in allen Farben erscheinen, welche es zwischen dem tiefsten Schwarzgrün und dem lichtesten Graublau gibt – seine goldige Umsäumung hat, dann denke man sich dies Bild!
Über all' diese Höhen ragt das Glatzer Gebirge mit seinen Domen und Spitzen empor. Daran schließen sich im Hintergrunde die Waldviertler Berge und der Manhardtsberg. Nordwärts davon und hinter der Budmeiser Ebene erblickt man die großartigen Teichanlagen der Rosenberger. Gegen Norden zu ist die Aussicht schier unermesslich. Zu ganz besonderen Stunden sieht man jenseits des weiten Flachlandes, welches in seinen vorderen Teilen wie eine Landkarte daliegt, zart wie von Geisterhand in die Luft gezeichnet, einige Gipfel des Riesengebirges. Im Westen sieht man dem Böhmerwalde in die Flanke. Über die stille Herrlichkeit des ungeheueren Waldbereiches hinweg, gewähren seine Berghäupter keinen Blick. Und im Süden tauchen jenseits den Ländern ober und nieder der Enns nicht selten die Voralpen und etliche Zinnen der Zentralalpen auf. Diese fernen, nackten Bergkolosse bilden mit ihrem Vordergrund jedenfalls die imposantesten Partien der ganzen Aussicht.
Auf der Fahrt von Adolfstal zur Station Goldenkron wechseln die Landschaftsbilder rasch und prächtig. Wer sich für die Vorgeschichte dieses Territoriums interessiert, kann das dereinstige Kloster Goldenkron besehen, muss es aber nicht für einen Spott und Unfug der Hölle halten, wenn ihm aus dem altehrwürdigen, heiligen Gemäuer das Geräusch einer Eisengießerei entgegentönt.
Von Goldenkron fährt man 10 Minuten lang nach der Station Krumau. Von dem Bahnhof aus senkt sich die Straße nach der Stadt, welcher man schon von Weitem das graue Alter ansieht und deren überaus romantische Lage nicht wenig zu dem mittelalterlichen Nimbus beiträgt. Diese Gegend war durch Jahrhunderte der Schauplatz bunten, ritterlichen Treibens. Hier blühte eines der übermächtigsten Adelsgeschlechter seiner Zeit, welches Bedeutendes zur Rodung und Bevölkerung der Urwaldnis tat. Die gewaltige Burg imponiert selbst dem Vielgereisten, und das alte, liebe, traute Gewinkel der Mäuer und Dächer in der Stadt hat den gewissen, vielbemeritierten, poetischen Reiz. Es ist jedenfalls pietätlos, an der alten, reiche Ehren gewohnten Stadt, vorbei zu eilen.
Wer das düstere Felsental wieder per Bahn verlässt, um die Reise in das Innere des Gebirges fortzusetzen, dem zeigen sich nun Landschaften, darauf man nicht mehr viel verfallendes Menschenwerk sieht, aber um desto mehr von der minder schnell vergänglichen Pracht der Gotteswerke.
Man atmet freier und tiefer zugleich und hört das heilige Rauschen und Brausen der Wälder bis in das Coupé.
Die Täler zwischen den Waldbergen sind oft eine einzige üppige Wiese, auf welcher kleine, wilde Gießbäche wie übermütige Buben von tollem Jagen rasten, um es alsbald wieder anzugehen. Hie und da umstehen alte Linden ein einschichtiges Gehöfte, und dann in einem Kreise schöner Berge auf lichter Höhe ein reizender Marktfleckem Höritz.
Hier oben flirren nicht mehr Sommerduft und Sonnennebel wie unten in der Ebene, und es ist alles taufrisch und üppig, als wäre es eben plötzlich in die Halme geschossen. Und die köstliche Brise, die von dem prunkvollen, fein parfümierten Sommerkleid jenes mächtigen Berges dort drüben herweht! Diese Landschaft mit den leuchtenden Fernen, dem reinen Horizont und der kräftigenden Luft wirkt erhellend auf das Hirn. Man merkt das an dem Menschenschlag da heroben.
Sie brachten den Schöngeist ihrer Väter mitsamt dem eigenen, welchen sie nebst vieler übriger deutscher Tugend ererbten, zu besonderen Ehren. Da steht nämlich vor dem Markte ein neues Passionsspielhaus, dessen Ruhm plötzlich in die weite Welt gedrungen ist. Früher pflegten sie ihre schöne Kunst, die bei ihnen Natur ist, im Stillen. Aber nun ist man auf den seltenen, unauslöschlichen Funken, der in diesen Leuten ist, aufmerksam geworden, und sie spielen für ein Publikum, das nie vorher den Bannkreis dieser Berge betrat.
Es ist eine helle Freude ihnen zuzusehen. Man kann bei ihrem Spiel, welches ein tüchtiger, rechter Künstler zu veredeln und vollständig bühnenfähig zu machen wusste, nicht zweifeln, dass sie zu diesem Spiel von der Natur berufen sind.
Möchte ihr Talent auch nur Segen über sie bringen und über ihr Heim und sie befreien vor dem Drucke übler sozialer Verhältnisse und erheben über die Herrschaft aller Reaktion! Der Erfolg des wirklich großartigen Unternehmens ist auch bisher ein entsprechend großartiger.
Wer die Böhmerwaldleute kennen lernen will, der fange hier frisch mit dem Studium an, welches ihn gewiss nur in seinem Menschenglauben bestärken wird.
Von Höritz fährt die Bahn an das Südende der größten Wasserfläche des Böhmerwaldes, des Langenbrucker Teiches. Und von der entzückenden Uferung dieses Wassers wird sich ein begeisterter Naturfreund nicht mehr führen lassen – sondern seinen Weg zwischen den dunklen Gewande der Bergriesen – in das Herz des Böhmerwaldes frei wählen.