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Trotz der sorgfältigsten Untersuchung vermochte ich an Luxerl nicht die geringste Verletzung zu entdecken. Eine halbe Stunde später hatte er den sonderbaren Schreck bereits vergessen, sperrte wieder die Straße, bellte, schüttelte die Ohren und verursachte jedem Wagen einen kleinen Aufenthalt.
Das Schicksal, das dem Luxerl seit Ewigkeiten vorbestimmt war, hatte mit dem Metzger von Unterstein eine ernste Warnung geschickt.
Luxerl verstand sie nicht.
Und da war's an dem Tag, an welchem Prinz Luitpold nach Antritt der Regentschaft seinen Einzug in Berchtesgaden hielt. An das Volksfest, das da gefeiert wurde, sollte sich eine feenhafte Illumination mit Bergfeuern anschließen.
Es ist nicht zu verkennen, daß das Schicksal, wenn es sich auch als unerbittlich erwies, die schwere Lebenskatastrophe dem Luxerl doch wenigstens mit einem Zug ins Große inszenierte.
Bei sinkendem Nachmittage wanderte ich mit meiner Frau von Königssee nach Berchtesgaden. Immer hörte man Böllerschüsse und ihr rollendes Echo, immer vernahmen wir die verwehten Klänge einer Blechmusik, sehr deutlich den Ton der großen Trommel, der wie ein aufgeregt pumpender Herzschlag war.
Luxerl zappelte nach seiner Gewohnheit auf der Straße weit voraus. Zuweilen blieb er am Wiesenrande stehen, besah sich das wundervolle Panorama der Berge, bellte ein bißchen und trottete weiter.
Ich war in Erinnerungen versunken. Bei diesem rollenden Echo der Freudenschüsse dachte ich an eine seichte Stelle im See von Starnberg. Und sah zwei große, schöne, vom Wahn umschleierte Augen. Und ein kleines Erlebnis fiel mir ein von jenem Tag, an dem die Kunde dieses tragischen Fürstentodes nach Königssee gekommen war. Damals am Nachmittage war ich zu Berg gestiegen. Es hatte mich hinaufgetrieben, hoch hinauf über die Täler der Menschen. Ein Gewitter zwang mich, Unterstand in einer Sennhütte zu suchen. Da waren noch andere, die der Regen hereingepeitscht hatte unter das steinbeschwerte Schindeldach: ein Jagdgehilf, ein paar Holzknechte, die Sennerin, der Hüterbub und ein wohlhabender Bauer aus der Ramsau, der Nachschau nach seinen Kalben gehalten hatte. Die Leute wußten noch nichts von dem Grauenvollen, das am Starnberger See geschehen war. Von ihm erfuhren sie's. Lange schwiegen sie, weil sie vor Schreck und Kummer nicht reden konnten. Das Volk der Berge liebte diesen schönen König. Und dann gab's ein aufgeregtes Reden rings um das flackernde Herdfeuer. Einer der Holzknechte schwatzte von den vielen Schulden, die der König nimmer hätte zahlen können. Und der schwere Bauer aus der Ramsau – ich werde seine Stimme nie vergessen – sagte bekümmert: »Jesus, jesus, warum hat er's denn mir net eingstanden! I hätt eahm doch geben, was er braucht hätt! Gern aa no!«
Damals wünschte ich, die Dinge der Welt so sehen zu können, wie dieser Bauer sie sah – ohne Maßstab!
Aus solchen Erinnerungen fuhr ich auf, als ich plötzlich das wohlbekannte Bellkommando des kleinen Komikers hörte: »Wer da? Halt!«
Unerschrocken stand Luxerl inmitten der Straße und ließ den Wagen, der da gefahren kam, an sich herankommen. Schlief der Kutscher? Waren die Pferde durch die Böllerschüsse und ihr Echo nervös gemacht?
In böser Ahnung fing ich zu rennen an und brüllte: »Luxerl! Luxerl! Ob du hergehst!«
Er ging nicht her. Das ist bei den Dackeln eine erbliche Belastung.
Und bevor ich den Wagen erreichen konnte, war der Unerschrockene unter klappernden Pferdehufen und blitzenden Rädern verschwunden.
Meine Frau tat einen gellenden Schrei. Ich beschimpfte in Zorn den Kutscher, der mit der Peitsche auf die Gäule losschlug, um rasch vom Fleck zu kommen.
Ein schwerer, sehr schwerer Landauer war's. Und die fünfe, die im Wagen saßen, schienen aus fruchtbarer Gegend zu stammen. Mit neun Zentnern war ihr Gewicht nicht überschätzt.
Als Luxerl hinter dem Wagen aus der verdampften Staubwolke heraustauchte, ging er langsam und ernst auf den Straßengraben zu und legte sich nieder. Die Mitte der Straße schien ihm nicht mehr zu gefallen. Das rote Zünglein lechzte, und die einfältigen Augen guckten traurig ins beschädigte Leben.
Meine Frau weinte, während ich das Hundl prüfend auf seine vier sinnwidrigen Beinchen stellte. Luxerl legte sich gleich wieder hin. Eine Wunde war nicht zu finden. Doch der Brustkorb hatte eine vertiefte Stelle, die mürb und schlottrig war. Drei Rippenbrüche.
Ich trug den Luxerl zu einem nahen Bauernhof, hielt ihn unter den Brunnenstrahl, wusch ihn im Trog, umwickelte ihn mit meinem Lodenmantel – und dann fingen meine Frau und ich zu laufen an. Luxerls Augen träumten an meiner Brust sehr weltschmerzlich aus einer Falte des Mantels heraus.
Atemlos erreichten wir bei Anbruch der Nacht den festlichen Trubel, der unter dem Glanz der aufbrennenden Illumination den Marktplatz von Berchtesgaden füllte. Bunte Trachten, schmucke Forstmannsuniformen, die schwarzen Stollenkleider und Federhüte der Salzknappen – und überall Musik, fröhliches Gedränge, übermütige Heiterkeit. Und rings in der dämmrigen Ferne leuchteten große, prachtvolle Sterne auf, als wären sie vom reinen Himmel auf die Gipfel der Erde gefallen – die Bergfeuer.
In mir war alle Freude an diesem Glanz zunichte geworden. Mit vorgebogenem Arm den leidenden Luxerl schützend, bahnte ich für uns einen Weg durch dieses Gewühl und fragte nach einem Tierarzt. Zu Berchtesgaden gab es keinen. Da waren Vieh und Menschen so gesund, daß sie ärztlicher Hilfe nicht bedurften.